Antijudaismus: Unterschied zwischen den Versionen
Aus Romano-Guardini-Handbuch
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Verschiedentlich wird Romano Guardini insbesondere in Bezug auf sein Werk "Der Herr", '''Antijudaismus''' oder zumindest die Verwendung antijüdischer Stereotype vorgeworfen (Klein, Lapide | Verschiedentlich wird Romano Guardini insbesondere in Bezug auf sein Werk "Der Herr", '''Antijudaismus''' oder zumindest die Verwendung antijüdischer Stereotype vorgeworfen (Klein, Lapide, Ruster, Kampling). Andere Autoren sehen lediglich eine "verbreitete Ausblendung des Juden Jesus" (Heer, Theobald) oder ordnen Guardinis mitunter zu pauschale Kritik gegenüber den Pharisäern und der jüdischen Gesetzespraxis in seinem Werk ein (Knoll). | ||
== Charlotte Klein == | == Charlotte Klein == |
Version vom 14. Juli 2023, 13:25 Uhr
Verschiedentlich wird Romano Guardini insbesondere in Bezug auf sein Werk "Der Herr", Antijudaismus oder zumindest die Verwendung antijüdischer Stereotype vorgeworfen (Klein, Lapide, Ruster, Kampling). Andere Autoren sehen lediglich eine "verbreitete Ausblendung des Juden Jesus" (Heer, Theobald) oder ordnen Guardinis mitunter zu pauschale Kritik gegenüber den Pharisäern und der jüdischen Gesetzespraxis in seinem Werk ein (Knoll).
Charlotte Klein
- Charlotte Klein beklagt in ihrem einschlägigen Buch von 1975 "Theologie und Antijudaismus" noch keinen Antijudaismus Guardinis, allerdings eine ungeprüfte Übernahme der These von der Erstarrung des Spätjudentums in einem Gesetzes-Fanatismus.
Pinchas Lapide
- Pinchas Lapide zitiert ab 1982 aus Kleins Werk - allerdings verkürzend und verändernd - Guardini aus seinem Werk "Der Herr" und leitet daraus ab, Guardini selbst würde die antijudaische Haltung vertreten, das Gesetz und das gesetzestreue Judentum seien Heuchelei.
Friedrich Heer
- In ihrer Studie "Friedrich Heer (1916-1983). Eine intellektuelle Biographie" (1995) äußert sich Evelyn Adunka auch zu Guardini (S. 203): "In einem Artikel im "Magnum" verwies Heer noch deutlicher auf den in der von Guardini wesentlich geprägten liturgischen Bewegung implizierten Antijudaismus, obwohl er andererseits deren österreichischen Wegbereiter Pius Parsch, den er in diesem negativen Zusammenhang auch hätte erwähnten können, noch in einem sehr späten und schönen Aufsatz ausführlich würdigte210: "Das Judentum wird übersehen: die deutsche liturgische Bewegung ist immanent, wohl mehr unbewußt, antijüdisch, die große französische liturgische Bewegung um Solemses, um Proper Guéranger, ist ziemlich offen antisemitisch eingestellt!"
Alfons Knoll
- Alfons Knoll schreibt in seinem Werk "Glaube und Kultur" (S. 474 mit Anm. 126) zur Frage eines theologischen Antijudaismus: "Nur wer sich die Mühe macht, diese "unnütze" Phantasie in sich hochsteigen zu lassen, empfindet die ganze Tragweite dessen, was von Guardini dann als "zweiter Sündenfall"126 bezeichnet wurde: die Ablehnung des "Herrn" durch sein Volk! ... [126 Vgl. Herr, 105, 108, 115, 171, 247, 283, 410. - Guardini urteilt in manchem sicherlich zu pauschal, v. a. gegenüber den Pharisäern und der jüdischen Gesetzespraxis, über die es heute differenziertere Ansichten gibt. Ich halte es aber für problematisch, überall "antijüdische" bzw. "antisemitische" Tendenzen zu vermuten (so Klein, Anti-Judaismus, darin zu Guardini: 30 f., 55 f., 76, 104). Dem steht sogar eine eindeutige Aussage von Guardini selbst entgegen: "Aber sagen wir nicht: die Pharisäer, die Hierarchien, die Juden haben ihn getötet. Als Gerufene, als Partner des Bundes stehen sie für Alle - so wie der erste Mensch als Haupt des Geschlechtes für Alle stand. Ihre Verantwortung ist auch die unsere. Alle sind wir in der Gemeinschaft der Schuld und der Erlösung verbunden" (Bild, 117)."
Thomas Ruster
- Gegen Knoll erhebt Thomas Ruster in seinem Beitrag "Romano Guardini: "Das Christliche ist ER SELBST" - Größe und Grenze toralosen Christentums" zum von Mariano Delgado herausgegebenen Sammelband "Das Christentum der Theologen im 20. Jahrhundert. Vom "Wesen des Christentums" zu den "Kurzformeln des Glaubens"" (2000, S. 113) den Vorwurf: "Es ist mir unbegreiflich, wie KNOLL, Glaube und Kultur (Anm. 7), 474, Anm. 126, den theologischen Antijudaismus Guardinis herunterspielt und nicht gelten lassen will. Er mahnt nur mehr Differenzierung gegenüber den Pharisäern etc. auf dem Niveau der heutigen Bibelwissenschaft an. Guardini habe "in manchem sicherlich zu pauschal“ geurteilt.20" Dagegen urteilt Ruster: "Im letzten Kriegsjahr und nach dem Krieg hat Guardini seine Ausführungen über die Ablehnung Jesu durch die Juden in voller Schärfe wiederholt. Vgl. Glaubenserkenntnis. Versuche zur Unterscheidung und Vertiefung, Mainz - Paderborn (3)1997, 93 f. (Erstausgabe 1944, (2)1949). - Mit N. Reck (Theologie nach Auschwitz. Das Aufkommen der Frage und die Antwortversuche von Juden und Christen. In: Münchener Theologische Zeitschrift 46, ( 1995, 463-479, 473) ist hervorzuheben, daß Guardini das Verdienst zukommt, als einer der ersten Theologen nach dem Krieg die jüdische Frage“ thematisiert zu haben."
Rainer Kampling
- Im Jahr 2005 äußerte Rainer Kampling in seinem Beitrag ""Da hilft es nicht, zu vergessen oder zu tun, als ob nichts wäre...". Anmerkungen zu Romano Guardinis "Verantwortung. Gedanken zur jüdischen Frage" zum von Lucia Scherzberg herausgegebenen Sammelband "Theologie und Vergangenheitsbewältigung. Eine kritische Bestandsaufnahme im interdiszplinären Vergleich" zu Romano Guardini im Anschluss an Thomas Ruster seine Fundamental-Kritik:
- S. 153: ???
- S. 156: "Noch bemerkenswerter mag es heute anmuten, dass man jemanden zu einem solchen Thema einlud, dessen Theologie durchsetzt war mit den gängigen antijüdischen Stereotypen der vorkonziliaren Theologie.14 Es finden sich die Verkennung der Thora, die negative Darstellung der Juden im Neuen Testament und die Verzeichnung des nachbiblischen Judentums ebenso wie die Vorstellung von der Heillosigkeit der Juden post Christum, die Substitutionstheorie und die damit verbundenen negativen Akzentuierungen. Es ist das, wenn man so will, gängige Klischee von Israel und Judentum in Kirche und Theologie, das erst durch das Zweite Vatikanische Konzil mit der Erklärung "Nostra Aetate" (Art. 4) unterbrochen wurde. Allerdings hat Thomas Ruster15 deutlich machen können, dass die antijüdischen Elemente im Werk Romano Guardinis mehr sind als mitgeschleppter Ballast der Theologiegeschichte. Sie sind vielmehr notwendiger Bestandteil und Folge der strikten christozentrischen Lesart und der exklusiven Ekklesiologie Guardinis, die den Gedanken an Israel als Heilsgemeinschaft nicht aufkommen lassen konnten." (Allerdings kann man offensichtlich auch gegenwärtig die antijudaistischen Elemente bei Guardini tolerabel finden, indem man nicht sie, sondern ihre Benennung als problematisch ausgibt ; so: Knoll, Alfons, Glaube und Kultur bei Romano Guardini, Paderborn 1994, Paderborn 1994, 476 Anm. 126, der leider keinen Beleg dafür bringt, dass man Guardini Antisemitismus vorgeworfen habe. Vgl.: Ruster, Thomas, Romano Guardini: „Das Christliche ist ER SELBST“"
- S. 157: "auf Israel als Gottesvolk ist auch im Spätwerk Guardinis nicht feststellbar.16 Wie wenig der damals herrschende theologische Antijudaismus als Problem galt, kann man unschwer daran sehen, dass offensichtlich niemand daran Anstoß nahm, dass einer seiner Vertreter zur "Jüdischen Frage" Stellung nahm.17 Der Autorität Romano Guardinis als des führenden katholischen Denkers ..."
- S. 161: "Wie immer man die Rede Guardinis bewertet, so kommt ihr darin zweifelsohne Wichtigkeit zu, dass sie überhaupt eine der ersten öffentlichen Stellungnahmen eines katholischen Denkers in Deutschland zur Shoa war. Sie steht am Anfang einer Entwicklung innerhalb der katholischen Theologie, die Guardini selbst nicht mehr mitging, aber in die er als Zeitzeuge hineingehört.21"
- 2019 erneuerte Kampling diese Kritik in seinem Beitrag "Bedeutung der Staatswerdung Israels für die Jüdisch-Christlichen Dialoggruppen" (in: Stefanie Fischer, Nathanael Riemer, Stefanie Schüler-Springorum (Hrsg.): Juden und Nichtjuden nach der Shoah. Begegnungen in Deutschland, 2019, S. 160): "Wie verbreitet diese Vorstellung noch um die Mitte des vergangenen Jahrhunderts war, kann man an kirchlichen Verlautbarungen ablesen, die selbst die Schoah von diesem Antijudaismus her deuteten. (Wie hartnäckig sich Stereotypen des Antijudaismus hielten, kann man etwa an Romano Guardini ablesen; vgl. Kampling Rainer: "Da hilft es nicht, zu vergessen oder zu tun, als ob nichts wäre...". Anmerkungen zu Romano Guardinis "Verantwortung. Gedanken zur jüdischen Frage".)"
Michael Theobald
- Michael Theobald dagegen unterscheidet Antijudaismus und Antisemitismus von der "verbreiteten Ausblendung des Juden Jesus". In seiner Beitrag "Christus - Diener der Beschnittenen" (Röm 15,8). Der Streit um die Beschneidung nach dem Neuen Testament" (in: Jan-Heiner Tück (Hrsg.): Die Beschneidung Jesu: Was sie Juden und Christen heute bedeutet, 2020, S. 101 - https://books.google.de/books?id=VT3sDwAAQBAJ&pg=PA101) schreibt Theobald: "Teilt Guardini die verbreitete Ausblendung des Juden Jesus, so füllt sich dieses Vakuum bei ihm aber nicht antijüdisch – in scharfem Kontrast zu Karl Adam (1876–1966), der seine Jesus-Figur antisemitisch ideologisiert13."