Romano Guardini und Paul Ludwig Landsberg: Unterschied zwischen den Versionen
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Später 1936 und 1939 hatte Landsberg sich in zwei Aufsätzen unter dem Titel „La conversion de Saint Augustin“ und "La confession de Saint Augustin" erneut Augustinus zugewandt. Im ersten versuchte er die drei Hauptteile der Confessiones unter die aus 11, 20, 26 gewonnenen Aspekte von memoria, contuitus und expectatio zu stellen (Paul Ludwig Landsberg: La conversion de Saint Augustin, in: La vie spirituelle, 48, 1936, Supplément, p. 31-56). Im zweiten (Paul Ludwig Landsberg: La confession de Saint Augustin, in: La vie spirituelle, 60, 1939, S. 1-22). Zwar während des Kriegs verfasst, erscheinen erst posthum 1948 und 1950 die Texte "Les sens spirituels chez Saint Augustin" (in: Dieu Vivant, 11 (2. Quartal), S. 87-105, mit einer Einleitung von Pierre Klossowski) und "Verité chez Saint Augustin" (in: Deucalion, 3, 1950, S. 45-64). Im Grunde gehen auch schon die "Bemerkungen zur Erkenntnistheorie der Innenwelt" wesentlich zu Augustinus (in: Tijdschrift voor philosophie, 1, 1939, S. 363-376). | Später 1936 und 1939 hatte Landsberg sich in zwei Aufsätzen unter dem Titel „La conversion de Saint Augustin“ und "La confession de Saint Augustin" erneut Augustinus zugewandt. Im ersten versuchte er die drei Hauptteile der Confessiones unter die aus 11, 20, 26 gewonnenen Aspekte von memoria, contuitus und expectatio zu stellen (Paul Ludwig Landsberg: La conversion de Saint Augustin, in: La vie spirituelle, 48, 1936, Supplément, p. 31-56). Im zweiten (Paul Ludwig Landsberg: La confession de Saint Augustin, in: La vie spirituelle, 60, 1939, S. 1-22). Zwar während des Kriegs verfasst, erscheinen erst posthum 1948 und 1950 die Texte "Les sens spirituels chez Saint Augustin" (in: Dieu Vivant, 11 (2. Quartal), S. 87-105, mit einer Einleitung von Pierre Klossowski) und "Verité chez Saint Augustin" (in: Deucalion, 3, 1950, S. 45-64). Im Grunde gehen auch schon die "Bemerkungen zur Erkenntnistheorie der Innenwelt" wesentlich zu Augustinus (in: Tijdschrift voor philosophie, 1, 1939, S. 363-376). | ||
=== Antrittsvorlesung über | Guardini dürfte 1948 durchaus erfreut gewesen sein, als in der N° 11 der Zeitschrift "Dieu vivant" sein Beitrag "Le serieux de l´amour divin" (in: Dieu vivant. Perspectives religieues et philosophiques, N° 11, Seuil, Paris 1948) neben dem posthumen von Paul Ludwig Landsberg "Le sens spirituels chez saint Augustin" zu lesen war. | ||
=== Antrittsvorlesung über „Pascals Berufung“ === | |||
Am 1. Dezember 1928 hielt er seine Antrittsvorlesung mit dem Titel „Pascals religionsphilosophische Berufung“, die er im Jahr darauf erweitert unter dem Titel “Pascals Berufung” als Buch veröffentlicht (Paul Ludwig Landsberg: Pascals Berufung, Bonn 1929). Hierin wird noch einmal eine gemeinsame Linie Guardinis und Landsberg zurück in die Bonner Zeit sichtbar, nämlich zu Wilhelm Worringer. Dieser hatte in seiner zwei Jahre zuvor erschienenen Schrift „Griechentum und Gotik“ (München 1927) versucht, „den Gegensatz zwischen hellenistischem und römischem Wesen mit hellster Wachheit durch die gesamte Geschichte der europäischen Kunst aufzuspüren.“ Mit den darin enthaltenen „Interpretationen der französischen Kultur gegenüber dem latinistischen Vorurteil“ überzeugte er offensichtlich auch Paul Ludwig Landsberg (Pascals Berufung, Bonn 1929 (die erweiterte Wiedergabe der Bonner Antrittsvorlesung), S. 45 FN 21). In dieser Antrittsvorlesung würdigt Pascal, der „nicht den Weg der Durchschnittstheologen seiner Zeit“ gegangen sei, die versucht hätten, sich und die christliche Lehre dem veränderten Weltbild anzupassen: ''„Kein zweiter hat sich jedem solchen Versuch so bewußt und radikal entgegengesetzt, als eben Pascal. Er war der Hüter des Heiligtums. … Den Geist der Ewigkeit in den gegensätzlichen Sprachgeist seiner Zeit herabgerissen zu haben, ohne dessen Lauterkeit preiszugeben, ist Pascals Tat: so unbegreiflich und unableitbar wie alle echten Taten wahrhaft schöpferischen Menschengeistes“'' (ebd., S. 9). | Am 1. Dezember 1928 hielt er seine Antrittsvorlesung mit dem Titel „Pascals religionsphilosophische Berufung“, die er im Jahr darauf erweitert unter dem Titel “Pascals Berufung” als Buch veröffentlicht (Paul Ludwig Landsberg: Pascals Berufung, Bonn 1929). Hierin wird noch einmal eine gemeinsame Linie Guardinis und Landsberg zurück in die Bonner Zeit sichtbar, nämlich zu Wilhelm Worringer. Dieser hatte in seiner zwei Jahre zuvor erschienenen Schrift „Griechentum und Gotik“ (München 1927) versucht, „den Gegensatz zwischen hellenistischem und römischem Wesen mit hellster Wachheit durch die gesamte Geschichte der europäischen Kunst aufzuspüren.“ Mit den darin enthaltenen „Interpretationen der französischen Kultur gegenüber dem latinistischen Vorurteil“ überzeugte er offensichtlich auch Paul Ludwig Landsberg (Pascals Berufung, Bonn 1929 (die erweiterte Wiedergabe der Bonner Antrittsvorlesung), S. 45 FN 21). In dieser Antrittsvorlesung würdigt Pascal, der „nicht den Weg der Durchschnittstheologen seiner Zeit“ gegangen sei, die versucht hätten, sich und die christliche Lehre dem veränderten Weltbild anzupassen: ''„Kein zweiter hat sich jedem solchen Versuch so bewußt und radikal entgegengesetzt, als eben Pascal. Er war der Hüter des Heiligtums. … Den Geist der Ewigkeit in den gegensätzlichen Sprachgeist seiner Zeit herabgerissen zu haben, ohne dessen Lauterkeit preiszugeben, ist Pascals Tat: so unbegreiflich und unableitbar wie alle echten Taten wahrhaft schöpferischen Menschengeistes“'' (ebd., S. 9). | ||
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=== „Zur Soziologie der Erkenntnistheorie“ (1931) === | === „Zur Soziologie der Erkenntnistheorie“ (1931) === | ||
1931 veröffentlichte Landsberg seinen Aufsatz „Zur Soziologie der Erkenntnistheorie“ (in: Schmollers Jahrbuch 55, 1931, 2. Hbd., S. 1 ff.=769 ff.). Darin übte er heftige Kritik am sozialistischen, marxistischen bzw. „submarxistischen Soziologismus, der an Verkleidungen so reich ist und doch immer auf denselben Grundirrtümern“ beruhe. Er sprach in diesem Zusammenhang auch von einer Verflechtung des deutschen Judentums mit diesem Soziologismus als „soziologischem Tatbestand von erheblicher Bedeutung“. Er bestimmte hingegen die Leistung der „Soziologie als Erforschung der Zusammenhänge der anderen historischen Sinngebiete mit dem sozialen Sein des jeweiligen Menschen.“ Dann leiste Soziologie „einen Teil der Aufgaben eines anthropologisch fundierten Geschichtsverständnisses, das uns die Ergebnisse der reichen historischen Spezialforschung unserer Zeit erst innerlich aufschließen und zu eigen geben kann“ (ebd., S. 21f.=789f.) | 1931 veröffentlichte Landsberg seinen Aufsatz „Zur Soziologie der Erkenntnistheorie“ (in: Schmollers Jahrbuch 55, 1931, 2. Hbd., S. 1 ff.=769 ff.). Darin übte er heftige Kritik am sozialistischen, marxistischen bzw. „submarxistischen Soziologismus, der an Verkleidungen so reich ist und doch immer auf denselben Grundirrtümern“ beruhe. Er sprach in diesem Zusammenhang auch von einer Verflechtung des deutschen Judentums mit diesem Soziologismus als „soziologischem Tatbestand von erheblicher Bedeutung“. Er bestimmte hingegen die Leistung der „Soziologie als Erforschung der Zusammenhänge der anderen historischen Sinngebiete mit dem sozialen Sein des jeweiligen Menschen.“ Dann leiste Soziologie „einen Teil der Aufgaben eines anthropologisch fundierten Geschichtsverständnisses, das uns die Ergebnisse der reichen historischen Spezialforschung unserer Zeit erst innerlich aufschließen und zu eigen geben kann“ (ebd., S. 21f.=789f.) | ||
=== Briefkontakt zwischen Guardini und Landsberg noch im Sommer 1932 === | |||
Aus einem noch unveröffentlichten Tagebuch Romano Guardinis vom Sommer 1932 (Guardini-Archiv der Katholischen Akademie in Bayern, Nr. 812) geht hervor, dass er Anfang Juni 1932 von Isola Vicentina aus einen Brief an Landsberg verfasst hat, in dem es ebenfalls um die Frage des Erkennens gegangen ist. Da dieser Brief selbst nicht erhalten ist, bleibt unklar auf welche vorherigen Schriften Landsbergs Guardini damit reagiert hat. | |||
== VII. Auf der Flucht (ab März 1933) == | == VII. Auf der Flucht (ab März 1933) == | ||
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=== Mitarbeit an Horkheimers „Zeitschrift für Sozialforschung“ (1933-1936) === | === Mitarbeit an Horkheimers „Zeitschrift für Sozialforschung“ (1933-1936) === | ||
In einem Beitrag für die "Zeitschrift für Sozialforschung" übt Landsberg Kritik an Wieses „System der allgemeinen Soziologie“: ''“v. W. gibt in dieser wesentlich erweiterten Neuauflage seiner Soziologie von 1924 nunmehr einen Gesamtüberblick über sein wissenschaftliches Lebenswerk. Die Soziologie als Fachwissenschaft endgültig methodisch zu sichern und den Umriss ihrer Arbeit festzulegen, ist sein Ziel. Der Geist des Buches ist unbedingter Glaube daran, dass sich das wissenschaftliche Denken und Forschen von allen Bindungen der sozialen Situation befreien und in vollendeter Objektivität die soziale Welt an sich im Geiste wiederentwerfen kann. Dabei ist das Interesse wesentlich auf das Allgemeine gerichtet: „Das wahre `quale´ des sozialen Prozesses steckt in der allgemeinen Kategorie (z.B. in der Kategorie `Herrschaft´). Die der Kasuistik nahekommenden Unterkategorien historischen Charakters fügen mehr das Nebensächliche, Beiläufige hinzu, das auch als Erlebnis mehr oder weniger belanglos ist.“ Hier scheidet sich der Weg des Rezensenten von dem des Autors. Mir will das Ziel der Erkenntnis auch hier gerade in einem Herankommen an die Einzigartigkeit des jeweils faktischen Phänomens bestehen. Ein allgemeiner Begriff von Herrschaft überhaupt besagt garnichts für die konkrete Analyse etwa des fascistischen oder des kommunistischen Staates. Es ist schwer, über solche Unterschiede des Erkenntniszieles zu diskutieren, die mit philosophischen Überzeugungen grundsätzlicher Art untrennbar verbunden sind. Der Wert des W.schen Buches wird von unserem Standpunkt aus gesehen also weniger in der umfassenden begrifflichen Konstruktion einer Lehre von den Beziehungen überhaupt liegen als in einer Fülle von gelegentlichen Analysen und Bemerkungen, die von dem Geist und der Gelehrsamkeit des Verfassers reiches Zeugnis geben. Auch die historischen Analysen sind stets lehrreich. Trotz der grössten Achtung vor der wissenschaftlichen Ehrlichkeit des Verf. vermögen wir aber an sein Unternehmen, ein gleichsam zeitloses System der Soziologie zu gründen und ihre Wege ein für allemal methodisch zu sichern, keineswegs glauben. Ausserordentlich wertvoll ist die Art, in der W. den unmittelbaren Zusammenhang zwischen Soziologie und Anthropologie würdigt. Gerade aber weil der Mensch und seine Selbstauffassung in einem ständigen Wandel allein existieren, wird auch die Soziologie diesem Wandel des Menschenbildes und der menschlichen Realität in ihrer Entwicklung nachfolgen. Vor dem Sturm der Zeiten wird sie sich nicht auf eine akademische Insel retten können“ (Paul Ludwig Landsberg: Rezension zu: Wiese, Leopold von: System der allgemeinen Soziologie als Lehre von den sozialen Prozessen und den sozialen Gebilden der Menschen (Beziehungslehre), 1933, in: Zeitschrift für Sozialforschung, 2, 1933/34, S. 277). | In einem Beitrag für die "Zeitschrift für Sozialforschung" übt Landsberg Kritik an Wieses „System der allgemeinen Soziologie“: ''“v. W. gibt in dieser wesentlich erweiterten Neuauflage seiner Soziologie von 1924 nunmehr einen Gesamtüberblick über sein wissenschaftliches Lebenswerk. Die Soziologie als Fachwissenschaft endgültig methodisch zu sichern und den Umriss ihrer Arbeit festzulegen, ist sein Ziel. Der Geist des Buches ist unbedingter Glaube daran, dass sich das wissenschaftliche Denken und Forschen von allen Bindungen der sozialen Situation befreien und in vollendeter Objektivität die soziale Welt an sich im Geiste wiederentwerfen kann. Dabei ist das Interesse wesentlich auf das Allgemeine gerichtet: „Das wahre `quale´ des sozialen Prozesses steckt in der allgemeinen Kategorie (z.B. in der Kategorie `Herrschaft´). Die der Kasuistik nahekommenden Unterkategorien historischen Charakters fügen mehr das Nebensächliche, Beiläufige hinzu, das auch als Erlebnis mehr oder weniger belanglos ist.“ Hier scheidet sich der Weg des Rezensenten von dem des Autors. Mir will das Ziel der Erkenntnis auch hier gerade in einem Herankommen an die Einzigartigkeit des jeweils faktischen Phänomens bestehen. Ein allgemeiner Begriff von Herrschaft überhaupt besagt garnichts für die konkrete Analyse etwa des fascistischen oder des kommunistischen Staates. Es ist schwer, über solche Unterschiede des Erkenntniszieles zu diskutieren, die mit philosophischen Überzeugungen grundsätzlicher Art untrennbar verbunden sind. Der Wert des W.schen Buches wird von unserem Standpunkt aus gesehen also weniger in der umfassenden begrifflichen Konstruktion einer Lehre von den Beziehungen überhaupt liegen als in einer Fülle von gelegentlichen Analysen und Bemerkungen, die von dem Geist und der Gelehrsamkeit des Verfassers reiches Zeugnis geben. Auch die historischen Analysen sind stets lehrreich. Trotz der grössten Achtung vor der wissenschaftlichen Ehrlichkeit des Verf. vermögen wir aber an sein Unternehmen, ein gleichsam zeitloses System der Soziologie zu gründen und ihre Wege ein für allemal methodisch zu sichern, keineswegs glauben. Ausserordentlich wertvoll ist die Art, in der W. den unmittelbaren Zusammenhang zwischen Soziologie und Anthropologie würdigt. Gerade aber weil der Mensch und seine Selbstauffassung in einem ständigen Wandel allein existieren, wird auch die Soziologie diesem Wandel des Menschenbildes und der menschlichen Realität in ihrer Entwicklung nachfolgen. Vor dem Sturm der Zeiten wird sie sich nicht auf eine akademische Insel retten können“'' (Paul Ludwig Landsberg: Rezension zu: Wiese, Leopold von: System der allgemeinen Soziologie als Lehre von den sozialen Prozessen und den sozialen Gebilden der Menschen (Beziehungslehre), 1933, in: Zeitschrift für Sozialforschung, 2, 1933/34, S. 277). | ||
=== Rassenhygiene als kritische Rassenwissenschaft (1933/36) === | === Rassenhygiene als kritische Rassenwissenschaft (1933/36) === | ||
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Bis heute geben auch seine Rezensionen 1934 zu Theodor Geigers Buch „Erbpflege“, Eugen Fischers Buch „Der völkische Staat“, Oswald Menghins Buch „Geist und Blut“, Otto Steches Buch „Gesundes Volk, gesunde Rasse“, Konrad Dürres Buch „Erbbiologischer und rassenhygienischer Wegweiser für Jedermann“, Bruno K. Schultz´ Buch „Erbkunde, Rassenkunde, Rassenpflege“, zu Martin Stemmlers Buch „Rassenpflege im völkischen Staat“ , Helmut Nicolais Buch „Rasse und Recht“ und Wilhelm Erbts Buch „Weltgeschichte auf rassischer Grundlage“ und 1936 zu Erich Voegelins Buch „Die Rassenidee in der Geistesgeschichte von Ray bis Carus“ Rätsel auf (Paul Ludwig Landsberg: Rezension zu: Geiger, Theodor: Erbpflege; Fischer, Eugen: Der völkische Staat; Menghin, Oswald: Geist und Blut; Steche, Otto: Gesundes Volk, gesunde Rasse; Dürre, Konrad: Erbbiologischer und rassenhygienischer Wegweiser für Jedermann; Schultz, Bruno K.: Erbkunde, Rassenkunde, Rassenpflege; Stemmler, Martin: Rassenpflege im völkischen Staat; Nicolai, Helmut: Rasse und Recht; Erbt, Wilhelm, Weltgeschichte auf rassischer Grundlage, in: Zeitschrift für Sozialforschung , 3/4, 1934/35???, S. 143-148; sowie ders.: Rezension zu: Voegelin, Erich: Die Rassenidee in der Geistesgeschichte von Ray bis Carus, in: Zeitschrift für Sozialforschung, 5, 1936, S. 153). | Bis heute geben auch seine Rezensionen 1934 zu Theodor Geigers Buch „Erbpflege“, Eugen Fischers Buch „Der völkische Staat“, Oswald Menghins Buch „Geist und Blut“, Otto Steches Buch „Gesundes Volk, gesunde Rasse“, Konrad Dürres Buch „Erbbiologischer und rassenhygienischer Wegweiser für Jedermann“, Bruno K. Schultz´ Buch „Erbkunde, Rassenkunde, Rassenpflege“, zu Martin Stemmlers Buch „Rassenpflege im völkischen Staat“ , Helmut Nicolais Buch „Rasse und Recht“ und Wilhelm Erbts Buch „Weltgeschichte auf rassischer Grundlage“ und 1936 zu Erich Voegelins Buch „Die Rassenidee in der Geistesgeschichte von Ray bis Carus“ Rätsel auf (Paul Ludwig Landsberg: Rezension zu: Geiger, Theodor: Erbpflege; Fischer, Eugen: Der völkische Staat; Menghin, Oswald: Geist und Blut; Steche, Otto: Gesundes Volk, gesunde Rasse; Dürre, Konrad: Erbbiologischer und rassenhygienischer Wegweiser für Jedermann; Schultz, Bruno K.: Erbkunde, Rassenkunde, Rassenpflege; Stemmler, Martin: Rassenpflege im völkischen Staat; Nicolai, Helmut: Rasse und Recht; Erbt, Wilhelm, Weltgeschichte auf rassischer Grundlage, in: Zeitschrift für Sozialforschung , 3/4, 1934/35???, S. 143-148; sowie ders.: Rezension zu: Voegelin, Erich: Die Rassenidee in der Geistesgeschichte von Ray bis Carus, in: Zeitschrift für Sozialforschung, 5, 1936, S. 153). | ||
== VIII. In Kriegszeiten == | === Von der Schweiz über Frankreich und Spanien (1934) === | ||
'' | Nachdem ihm die Schweiz keine Möglichkeit bot, als Universitätslehrer tätig zu sein, ging er am 20. April 1934 zunächst nach Frankreich ins Exil, folgte er im Mai 1934 einem Ruf an die Universität von Barcelona und später (1936) an die Universität Santander. Sowohl von Barcelona als auch von Santander aus pendelte Landsberg bereits wohl auch nach Paris. | ||
=== Einführung in die philosophische Anthropologie (1934) === | |||
Im gleichen Jahr konnte in Frankfurt noch seine „Einführung in die philosophische Anthropologie“ erscheinen (Paul Ludwig Landsberg: Einführung in die philosophische Anthropologie. Frankfurt a.M., 1934; (2)1960; vgl. dazu Eduard Zwierlein: Die Idee einer philosophischen Anthropologie bei Paul Ludwig Landsberg: zur Frage nach dem Wesen des Menschen zwischen Selbstauffassung und Selbstgestaltung, Würzburg 1989 (Hamburg Univ. Diss. 1987/1988? unter dem Titel Selbstauffassung und Selbstgestaltung: die Idee einer philosophischen Anthropologie bei Paul Ludwig Landsberg); Andreas Lischewski: Person und Bildung. Überlegungen im Grenzgebiet von philosophischer Anthropologie und Bildungstheorie im Anschluß an Paul Ludwig Landsberg, Würzburg 1996 (Phil. Diss.); Dettelbach o.J.; Amsterdam/Atlanta, GA, 1998) | |||
Zu Beginn definiert Landsberg „Philosophische Anthropologie“ wiefolgt: ''„Philosophische Anthropologie ist die begrifflich klärende Entfaltung einer Idee vom Menschen aus seiner Selbstauffassung auf einer bestimmten Stufe seiner Menschlichkeit, und der Versuch, ihm den weiteren Weg seiner Bestimmung zu zeigen“'' (ebd., S. 9). | |||
Im Gegensatz zu den merkmalhaft definierenden Additions- und Substraktionsanthropologien definierte Landsberg dabei den Begriff „Wesen“ als „Intensivum von Sein in seiner jeweiligen qualitativen Konkretheit, im Gegensatz zum Begriff des Seins überhaupt - `Existentia´, der das Sein in abstracto unkonkret, weil qualitätslos, bezeichnet. Demgemäß bedeutet Wesensanthropologie für uns eine Anthropologie, deren Frage NACH DER BESONDEREN SEINSWEISE DES MENSCHEN IM GANZEN geht. Diese Frage richtet sich an die Selbstauffassung des Menschen und befragt sie auf ihre letzten fundierenden Inhalte“ (ebd., S. 22). | |||
Grundsätzlich hält Landsberg darin bezüglich einer christlichen Anthropologie fest: ''„Es geht nicht um die Höherentwicklung der Gattung Mensch, sondern um das Erscheinen eines Prinzips, das höher als die Humanisierung sein soll. Eine solche Lehre ist vor allem, richtig verstanden, die christliche Lehre von der Heiligkeit durch die übernatürliche Gnade als dem höchsten und letzten Ziel des menschlichen Individuums“'' (ebd., S. 90). | |||
Weiter macht er sich vor allem auch Gedanken über die Funktion des Mythos. So wie die „träumende Phantasie“ nach wie vor die Rätselhaftigkeit des Menschen in einer bildhaften und vieldeutigen Erzählung beruhige (vgl. ebd., S. 98), könne auch die besondere „Wahrheit“ des Mythos dem modernen Menschen nicht prinzipiell fremd sein, „weil wir ja zweifellos immer auch den mythischen Menschen noch in uns tragen“ (ebd., S. 101). Da der Mythos „das Fragen der Menschheit nicht“ klärt, sondern heilt, ist er „eher eine Funktion der Seele, als eine Tat der Vernunft“ (ebd., S. 103). Während der mythische Mensch das Rätsel also zu ertragen und der „reine Lyriker“ als „eine Art von Mystiker des Daseinsrätsels“ (ebd., S. 105 f.) zu erfahren versuche, wolle der Philosoph es in „kämpfender Selbstgestaltung“ das Rätsel bezwingen (ebd., S. 105). Philosophie sei daher dem Philosophen „Kampf mit dem Unaussprechlichen und der Versuch, das innere Rätsel des Menschen von immer neuen Seiten her mit der Klarheit des Begriffes anzugreifen; mag auch die Würde solchen Versuches gerade da liegen, wo er scheitern muss“ (ebd., S. 106). „Ehrliche Philosophie“ werde sich daher als Vertiefung des menschlichen Daseinsrätsels verstehen, während die Theologie für sich beanspruche, in gewisser Weise von Gott her das „Lösungswort“ bereits zu kennen (vgl. ebd., S. 111-115). Landsberg warnte dabei ebenso vor einer „bloß subjektivistischen Lebens- und Erlebnisphilosophie“ (ebd., S. 122) als auch vor einem Verständnis des Lebens als Prozess der „reinen Freiheit“. Vielmehr sei es ein „Gestaltungsprozess“ (ebd., S. 194). Dennoch war es für Landsberg unverzichtbar, dass Verstehen ohne Erleben und Erleben ohne Leben nicht möglich sei: ''„Verstehen im echten geisteswissenschaftlich-historischen Sinn, bewegt sich in der schon prinzipiell erschlossenen Welt innerer Erfahrung, analog wie etwa das Beobachten in der schon prinzipiell erschlossenen Welt der äußeren Erfahrung geschieht. Erleben baut sich auf Leben, Verstehen auf Erleben auf“'' (ebd., S. 198). | |||
Aus der Privatbibliothek Romano Guardinis wissen wir, dass Guardini das Werk besessen und gelesen, und wohl auch für seine eigenen Anthropologie-Vorlesungen herangezogen hat. Das in der Guardini-Bibliothek der Katholischen Akademie in Bayern aufbewahrte, von Guardini benutzte Exemplar der „Einführung in die philosophische Anthropologie“ enthält auf S. 93 folgende handschriftlichen Eintragungen im Schriftzug Guardinis: Nach einer Markierung des Satzes „Es ist möglich, die Sonderart des Menschen als seine Vorherbestimmung zum Ort für das Einbrechen eines übermenschlichen Prinzips zu interpretieren.“ Dem Satz „Über die Geltung und Bedeutung der christlichen Idealität steht uns hier als Philosophen kein Urteil zu“ fügt Guardini eine Fußnote hinzu in der er die Frage aufwirft, ob es eine autonome philos. Anthropologie gebe? Oder ob es nicht Ergebnis, eine autonome philosophische Anthropologie zu versuchen, sei, die Undeutbarkeit des "bloßen Menschen" einzusehen. | |||
=== Treffen in der Emigranten-Kolonie Tossa de Mar (1934/36) === | |||
1934 bis 1936 bildet sich im katalanischen Fischerort Tossa de Mar eine kleine Kolonie von deutschen Emigranten. Hier trifft das Philosophen-Ehepaar Landsberg mit den Malern Oscar Zügel, Eugen Spiro, André Masson, Pierre Klossowski und Jean Metzinger sowie dem Schriftsteller-Philosophen Georges Bataille zusammen (Vgl. Thomas Keller: Verkörperungen des Dritten im Deutsch-Französischen Verhältnis, 2018, S. 517). Mit Bataille scheint Madeleine Landsberg wohl im Mai 1935 eine Affäre gehabt zu haben (siehe Georges Bataille: chronologie 1923 1939, in: http://lesoleilenface.blogspot.com/2013/04/chronologie-1923-1939.html; siehe auch Thomas Keller: Verkörperungen des Dritten im Deutsch-Französischen Verhältnis, 2018, S. 518). | |||
In Tossa de Mar hatte Paul Ludwig Landsberg auch Kontakt zu Picasso (Keller, a.a.O., S. 220). | |||
=== Kontakt zu Lacroix und zur Zeitschrift "Esprit" (1934-1940) === | |||
Landsberg gewann auch in Paris viele Freunde, darunter den Philosophen Jean Lacroix, der mit Mounier die linksliberale katholische Zeitschrift "Esprit" herausgab, in der von Dezember 1934 bis Januar 1940 Beiträge von Landsberg erschienen sind. Der erste Aufsatz in der Zeitschrift trug den Titel "Quelques réflexions sur l´ idée chrétienne de la personne" (in: Esprit, Dezember 1934). | |||
==== Die Erfahrung des Todes (1935/1937) ==== | |||
Seine Schrift „Die Erfahrung des Todes“ wurde im Original in deutsch verfasst, erschien aber 1935 zuerst in französischer Übersetzung in der Zeitschrift „Esprit“, bevor sie in der deutschen Fassung 1937 in Luzern veröffentlicht wurde (Paul Ludwig Landsberg: Essai sur l'expérience de la mort (suivi de le problème moral du suicide), Paris, 1936; 1951; 1993; deutsch: Die Erfahrung des Todes. Luzern, 1937; Frankfurt am Main, 1973; ders.: Der Selbstmord als moralisches Problem, o.O. 1947. Zumindest eine spätere französische Ausgabe enthält ein Vorwort von Lacroix). Darin entschlüsselte Landsberg die mystische Gotteserfahrung, die Einigung mit Gott, als „Vorwegnahme des Todes in den Verzückungen“ (Luzern 1937, S. 85; vgl. auch S. 79), in der nicht nur der Tod erfahren, sondern zugleich als „Befreiung vom Tode“ transzendiert werde (ebd., S. 73 und 89). Der Mystiker gewinne den Tod „lieb“ als „eine höchste Möglichkeit der Existenz, die durch den Tod verborgen und gleichsam im Tode enthalten ist“ (ebd., S. 88). Die mystische Verzückung verwandle den tödlichen Schmerz in das „Vorspiel einer grenzenlosen Freude“, in dem in der Liebe zu Gott „der Tod eine Stätte endgültiger Erfüllung“ der mystischen Hochzeit zwischen Gott und der Seele" werde (ebd., S. 89). Landsberg bekannte in der Schrift persönlich noch keine Erfahrungen mystischer Art zu besitzen, doch fühlte er sich zu jenen „mystisch begabten Geister(n)" hingezogen (vgl. ebd., S. 72). | |||
==== Weitere Artikel in „Esprit“ (1937/40) ==== | |||
In „Esprit“ vom April 1937 beschäftigte Landsberg sich mit der Gottesgegnerschaft des Anarchisten (Paul Ludwig Landsberg: L´Anarchiste contre Dieu, in: Esprit, April 1937, S. 75-79). Und im November 1937 schreibt er "Réflexions sur l´ engagement personell“. Dari heißt es: ''“Cet intellectualisme pur, ce point de vue d'une intelligence radicalement séparée de la totalité personnelle, ne peut plus contenter les hommes à une époque de crise historique et sociale devenant tôt ou tard la crise personelle de chacun […]. Cette même intelligence est l´ adversaire commun, me paraît-il, de tous les mouvements de jeunesse en Europe”'' (Übersetzung bei Keller, a.a.O., 2001, S. 104: ''“Dieser reine Intellektualismus, diese Auffassung einer Intelligenz, die völlig von der personalen Ganzheit abgetrennt ist, kann die Menschen angesichts einer historischen und gesellschaftlichen Krise, die früher oder später die persönliche Krise aller wird, nicht befriedigen [...]. Diese Intelligenz ist, wie mir scheint, der gemeinsame Gegner aller Jugendbewegungen in Europa“.''). | |||
Es folgen 1938 die Artikel: “Introduction à un critique du mythe” (Januar 1938); gemeinsam mit Jean Lacroix: „Dialogue sur le mythe“ (Februar 1938); “Kafka et la metamorphose” (September 1938); “La Sens de l´ action” (Oktober 1938). | |||
1939 erscheint noch vor dem Krieg der Text: “Notes sur la philosophie du marriage” (April 1939) | |||
=== Artikel über Marx in der Zeitschrift "La Vie Intellectuelle" (1937) === | |||
1937 veröffentlichte Landsberg in der Zeitschrift „La Vie Intellectuelle“ in der Juli-Nummer einen Aufsatz über Marx und das Problem des Menschen (Marx et le problème de l´ homme, in: La Vie Intellectuelle, 1937, 51 vom 10. September 1937 (Juli-September), S. 72-93). | |||
=== Von Spanien zurück nach Frankreich (1936-1939) === | |||
Nicht zuletzt der Ausbruch des Spanischen Bürgerkrieges (17. Juli 1936) zwang das Ehepaar Landsberg aber erneut zur Flucht, diesmal direkt nach Paris. | |||
Landsberg hatte zuvor schon am 2. Februar 1936 in Paris bereits an der (zweiten oder je nach Zählung) dritten Lutetia-Konferenz teilgenommen. Die erste Lutetia-Konferenz hatte am 26. September 1935 auf Einladung von Wilhelm "Willi" Münzenberg im Hotel Lutetia stattgefunden, mit dem Ziel eine einheitliche deutsche Volksfront zu bilden. Nach einer Tagung am 22. November 1935 kamen dann am 2. Februar 1936 erneut 118 Teilnehmern, darunter eben Landsberg, unter dem Präsidenten Heinrich Mann zusammen, die schließlich auch ein Manifest zur Bildung einer deutschen Volksfront verabschiedete. | |||
In Kontext dieser Tätigkeit hatte Landsberg 1936 auch mit Prof. Lenz-Medoc ein erstes Gespräch geführt, der selbst nach einer Inhaftierung als Generalsekretär des Katholischen Friedensbundes 1934 nach Frankreich emigriert war. Später war er über die gemeinsame Tätigkeit an der Sorbonne wohl mit Lenz-Medoc befreundet. Denn 1937 hatte Landsberg selbst eine Professur an der Sorbonne erhalten. | |||
Wie persönlich nahe ihm diese Fluchterfahrungen gingen, zeigen auch seine wissenschaftliche Veröffentlichung dieser Jahre, die wie gesehen von Tod und Freitod handeln; zumal als dann im Mai 1938 Landsbergs Mutter Selbstmord begangen hatte, nachdem ihr die deutschen Behörden einen Paß für einen Besuch bei ihren Geschwistern in der Schweiz und ihrem Sohn in Frankreich verweigert hatten. | |||
Landsberg beteiligte sich in Paris aktiv an den gegen Hitler gerichteten Bestrebungen der deutschen Exilanten. Zum „Esprit“-Kreis von Mounier und Lacroix gehörten damals unter anderen N. Berdjajew, Merlau-Ponty und P. Ricoeur. Mounier schreibt über Landsberg im Oktober 1946: "Il nous manque notre grand ami Paul Landsberg, dont je sens chaque jour plus profondément l'absence (Œuvres, 4, 192)". | |||
Landsberg gehörte aber auch zur sogenannten „Philosophischen Gruppe“ mit G. Marcel, J. Wahl, G. Gurvich und wiederum N. Berdjajew. | |||
Im Herbst 1937 wurde mit Sitz in Paris der „Bund Neues Deutschland" gegründet, eine Vereinigung, die an die Aktivitäten des „Bundes Neues Vaterland“ aus der Zeit des Ersten Weltkrieges anknüpfen soll. Mitglieder sind neben anderen Thomas Mann und Karl Barth, Fritz Lieb, Paul Tillich, Erzabt Walzer, Veit Valentin, Wilhelm Uhde, René Schickele, Fritz von Unruh, Hans und Anna Siemsen. Der Gründung des Bundes stimmten Lion Feuchtwanger, Rudolf Olden, Maximilian Beck, Julius Lips und eben auch Paul Ludwig Landsberg schriftlich zu (Ursula Langkau-Axel: Deutsche Volksfront 1932 bis 1939, Bd. Geschichte des Ausschusses zur Vorbereitung einer deutschen Volksfront, 2004, S. 433). | |||
Auch mit Jacques Maritain hat er sich in dieser Zeit wohl befreundet, da dieser nach dem Krieg schreibt: "Paul Landsberg und Edith Stein perished in German concentration camps, as did so many Jewish friends whose memories I cherish.(…)" (Vgl. Jacques Maritain in: John M. Oesterreicher: Walls are crumbling, Seven Jewish Philosophers Discover Christ, New York 1952, S. 8). | |||
=== Ausbürgerung === | |||
Am 14. April 1939 wurden er und seine Frau wegen ihrer Widerstandstätigkeit ausgebürgert und beiden die akademischen Titel aberkannt (Volker Siebels: Ernst Landsberg (1860-1927), 2011, S. 208). | |||
=== Beteiligung an der "Décade de la destinée" in Pontigny === | |||
Vom 26. Juli bis 5. August 1939 war Landsberg an der „Décade de la destinée“ in Pontigny beteiligt (vgl. Gabriel Marcel, Gaston Fessard: Correspondance 1934-1971, hrsg. von Henri de Lubac, 1985, S. 193). | |||
=== Artikel in Münzenbergs Zeitschrift "Zukunft" (1939/40) === | |||
Landsberg arbeitete weiterhin eng mit dem kommunistischen Verleger Willi Münzenberg zusammen und wirkte 1939/40 bei der von Münzenberg herausgegebenen Zeitschrift „Zukunft“ mit, dem Organ der Deutsch-Französischen Union (Paul Ludwig Landsberg: Deutschland erwache, in: Die Zukunft, 37, 1939, S. 5; Recht ist, was dem deutschen Volke nützt, in: ebd., 38, 1939, S. 5; Sigmund Freud in: ebd., 39, 1939; Limes, in: ebd., 40, 1939; Grußbrief zu: Ein Jahr Zukunft, in: ebd., 41, 1949, S. 4; Der Gerechte Krieg, in: ebd., 42, 1939, S. 4-5; Henri Bergson, in: ebd., 43, 1939, S. 5; Feind der Menschheit, in: ebd., 43, 1939, S. 5; Hitlerrätsel, in: ebd., 44, 1939, S. 5; Grenzen der Propaganda, in ebd.; 46, 1939, S. 5; Wo wir stehen müssen, in: ebd., 48, 1939, S. 4; Unter falscher Flagge, in: ebd., 49, 1939, S. 4-5; Zu Rauschnings Gesprächen mit Hitler, in: ebd., 50, 1939, S. 4-5; Die Stimme eines freien Denkers, in: ebd., 5, 1940, S. 5; Hermann U. Kantorowitz zum Gedächtnis, in: ebd., 10, 1940, S. 4-5; Rezension zu B. Grimm: Das Ende der nationalen Front, in: ebd., 16, 1940, S. 7). | |||
Der „Kampf gegen Hitler“ ist für Landsberg eine „allgemeine Menschenpflicht“ (Paul Ludwig Landsberg: Wo wir stehen müssen, 60, 1939, S. 4), der vor allem ein Kampf für die „Verteidigung alles sinnvollen Lebens in Europa“ und „Einsatz für die Werte der menschlichen Person, für ihre unveräußerlichen Rechte und die unbedingte Bedeutung ihrer rechtlich geordneten Freiheit im staatlichen Leben eines Kulturvolkes“ sein müsse (Paul Ludwig Landsberg: Deutschland erwache, in: a.a.O., S. 5/Grußbrief, in: a.a.O., S. 4). Engagement, Widerstand und Kampf für eine freie Existenz sei dort erforderlich, wo Hitlers Vertierung sich auf andere gefräßig und blind auszuwirken beginnt: ''„Höchst listig und gewaltsam ist das Unwesen, das er uns vorführt, aber bei aller Verschlagenheit letzten Endes doch nicht klug zu nennen, eine Art von Tier eben doch; wenn auch oft ein übermenschlich-unmenschlich dämonisch schlaues Tier. Ein Tier, das ehrlich nur an seine wilden Appetite glaubt, und im Mitwesen die Beute sieht, die es zu verschlingen gilt. ... Was uns heute angreift, ist schlechthin unmenschlich gewordene Gewalt“'' (Paul Ludwig Landsberg: Zu Rauschnings Gesprächen, in: a.a.O., S. 4 f.). | |||
Hier liegt für Landsberg auch die Legitimation für den „gerechten Krieg“ (Paul Ludwig Landsberg: Recht ist, was dem deutschen Volke nützt, in: a.a.O., S. 5; Der gerechte Krieg, in: a.a.O., S. 4f.; Wo wir stehen müssen, in: a.a.O., S. 4) gegen die Propaganda und geschickt inszenierten Demagogie, durch die eine Ideologie erst zur „grundlegenden Lebensbestimmung“ werden könne (vgl. Paul Ludwig Landsberg: Wo wir stehen müssen, in: a.a.O., S. 4). Auf dem politischen Felde degeneriere die Sprache dann zu einem Instrument zur Schaffung einer „Herde“ oder „Masse“. Bevor Gewalt und Terror nahezu anstandslos hingenommen oder gar begrüßt werden, muss der Propagandist die Charaktere präparieren. Bevor der ungehemmte Machtwille und räuberische Kriegsegoismus zur „natürlichen Ein-Stellung“ werden, die allmächtige Gegenwart des Staates geduldet oder ehe noch bejaht wird, muss eine propagandistische Menschenformung mitwirksam geworden sein. Private, neutrale oder oppositionelle Spielräume frei verantworteter politischer Existenz verlieren ihre Wirklichkeit, wenn sich eine politische Macht rücksichtslos kontrollierend, prägend und gleichschaltend auf alle Lebensbereiche erstreckt, indem sie die Mittel der Indoktrination, der Einschüchterung, der `Prämien´ und der Gewalt zum Einsatz bringt. Die Gleichschaltung der Lebensbereiche und die Ausschaltung der Freiräume ist dabei nicht nur von einer Ohnmacht der Massen begleitet, die keine Kontrolle mehr über die auf sie ausgeübte Herrschaft besitzen, sondern auch von einer Ohnmacht der Humanisierung. Propaganda ist ein meist entstellender und verlogener Kommentar der Wirklichkeit (vgl. Paul Ludwig Landsberg: Grenzen der Propaganda, in: a.a.O., S. 5). Wenn auch die Lügenpropaganda auf die Dauer nicht den Sieg davon tragen kann, weil sie dem „Wahnglauben an die unbegrenzte Willkürmacht der Lüge“ erliegt (Paul Ludwig Landsberg: Zu Rauschnings Gesprächen, in: a.a.O., S. 5), so kann sie doch eine lange und grauenvolle Zeit des Leidens erzeugen, die es ohne Zögern von allerwichtigster Bedeutung macht, Ansatz, Ziel und Techniken der Propaganda zu vergegenwärtigen. Propaganda ist Landsberg die Organisation des Willens durch Lüge und Drohung und setzt bei der „politischen Ahnungslosigkeit“ an (vgl. Paul Ludwig Landsberg: Deutschland erwache, in: a.a.O., S. 5). Zum Ethos jeder „Gegenpropaganda“ müsse es daher gehören, das Prinzip der sich personalisierenden Besonderung des historischen Werdeseins „Mensch“ und damit jedes „echte geistige Leben“ und die Möglichkeit „wahrer Selbstbesinnung“ als ihre Grundlage anzuerkennen und ihre Verstellungen zu analysieren (vgl. Paul Ludwig Landsberg: Grenzen der Propaganda, in: a.a.O., S. 5): ''„Trotz alledem vermuten wir, dass die Geschichte nicht gering anschlagen wird, was die deutschen Flüchtlinge sei 1933 in allen Erdteilen an Aufklärung über die Weltgefahr Hitler verbreitet haben. Da galt es nicht zu verleumden oder zum Kriege zu hetzen, wohl aber war es Menschenpflicht, schonungslos die Wahrheit zu sagen und den großen offenen Rachen des Wolfsmenschentums sichtbar zu machen, dessen Gefräßigkeit keine Grenzen kennen konnte“'' (Paul Ludwig Landsberg: Zu Rauschnings Gesprächen mit Hitler, S. 4). | |||
== VIII. In Kriegszeiten (1939 bis 1943) == | |||
=== Flucht von Paris über Lyon nach Pau === | |||
Nach Kriegsbeginn arbeitete Landsberg zunächst noch als Kommentator für „German Broadcasts of Radio Paris“. | |||
Durch die Hilfe seiner französischen Freunde wurde er 1939/40 vor der ersten Internierungsverfügung für alle deutschen Männer in Frankreich bewahrt und konnte in der Bretagne untertauchen. Dort wurde er 1940 vorübergehend interniert, floh dann aber weiter gen Süden, zunächst nach Lyon, wo er für einige Wochen bei Lacroix zu Gast war (Lacroix, Jean: Preface, in: Landsberg, Essai sur l'expérience de la mort, 1951). In Südfrankreich, im pyrenäischen Ort Pau, angekommen, lebte er dort bis Anfang 1943. Ein befreundeter Polizeipräfekt hatte ihm dafür einen französischen Pass auf den Decknamen „Paul Richert“ ausgestellt, mit Berufsangabe Arzt und Herkunftsangabe Elsass, unter dem er aber nicht mehr publizierte. | |||
In seinem Glauben wirkte 1941 ein „mystisches Jesus-Erlebnis“ entscheidend, das Landsberg „in einem Zyklus von vier Christus-Gedichten und seiner gesamten Gesinnung, Lebensführung und Leidensbereitschaft zum Ausdruck brachte. Weitere aus den Jahren 1940/42 in Pau stammende - später von Albert Beguin und Bertrand d'Astorg ins Französische übersetzte und posthum in Esprit veröffentlichte - Gedichte bezeugen seine Verachtung Hitlers, seine dankbare Verehrung Frankreichs und General de Gaulles und bekunden in einer Sprache des Gebets seine politische Hoffnungslosigkeit und zugleich religiöse Hoffnung: `Herr, laß die Nacht der Welt um uns vergehn´“ (hier zitiert nach Verena Lenzen: Paul Ludwig Landsberg - ein Name in Vergessenheit, in: Exil, 11, 1991, Nr. 1., S. 16, zum einen unter Verweis auf deren englische Übersetzung bei John M. Oesterreicher: Walls are crumbling, Seven Jewish Philosophers Discover Christ, New York 1952, S. 226; zum anderen auf Paul Ludwig Landsberg: Poemes spirituels, in: Esprit, 1952, S. 49-56, hier S. 50. Lenzen verweist außerdem auf Jean Lacroix: Vorwort, in: Paul Ludwig Landsberg: Problemes du personnalisme, S. 7-11). Eines dieser spirituellen Gedichte vergegenwärtigte das Kloster Monte Cassino (Landsberg, Poemes spirituels, a.a.O., S. 50), in dem er nach dem Krieg - so seine Frau (siehe unten) getauft werden wollte. | |||
=== Exkurs: Mounier und die Zeitschrift Esprit (1939-1946) === | |||
In den ersten beiden Kriegsjahren konnte die Zeitschrift noch relativ unbehellig weitererscheinen. Von Landsberg erschienen darin im Oktober 1939 noch seine “Réflexion pour une philosophie de guerre” sowie im Januar 1940 der Artikel "Les faussaires” mit dem eindrücklichen Satz: “La volonté de puissance russe ne peut plus se cacher derrière la classe ouvrière comme l'impérialisme naziste ne peut plus se cacher derrière la nation allemande.” | |||
Am 25. August 1941 wurde die Zeitschrift „Esprit“ durch das Vichy-Regime verboten. Mounier wurde am 15. Januar 1942 auf Anordnung des Vichy-Regimes verhaftet, weil er als einer der geistigen Führer der Widerstandsgruppe Combat, die aus Linkskatholiken und Rechtssozialisten bestand, galt. Erst am 30. Oktober 1942 wurde er endgültig wieder freigelassen. Während der neun Monate schrieb er sein Buch „Traité du caractère“, das dann 1946 erschien. Nach der Freilassung zog Mounier unter dem Mädchennamen seiner Frau (Paulette Leclerq) nach Dieulefit, machte aber er sein neues Zuhause erneut zum Versammlungsort des Esprit-Kreises. 1944 kehrte Mounier nach Paris zurück und gab noch im Dezember 1944 die erste Ausgabe einer neuen Serie der Zeitschrift „Esprit“ heraus. Auch das Zentrum des Esprit-Kreises wechselt wieder in sein altes Haus. An dieser neuen Serie arbeiteteten Berdiajew, Jean Lacroix, René Biot, Jacques Maritain, Gabriel Marcel, Louis Lavelle und Louis Meylan mit. | |||
Diese erste Ausgabe enthält auch einen letztlich posthumen Text von Paul Ludwig Landsberg (siehe oben). Und in seiner wohl letzten, ebenfalls posthum veröffentlichten Schrift notierte er: „leben heißt, ein Kreuz tragen“ (Paul Ludwig Landsberg: Das moralische Problem des Selbstmordes, in: ebd.: Die Erfahrung des Todes, S. 91-130, S. 119; übers. v. Eva Moldenhauer. Erste frz. Veröffentlichung: Le probleme moral du suicide, in: Esprit, 1946, S. 800-821; erste dt., leicht gekürzte Fassung, übers, v. Friedhelm Kemp, in: Hochland 39 (1946/47), S. 401-419). | |||
=== Internierung und Trennung von seiner Frau === | |||
Die zweite Internierungswelle, die Männer und Frauen betraf, erfasste nun auch das Ehepaar Landsberg. „Durch Freunde vor der Verhaftung durch die Gestapo gewarnt, verließ er eines Abends seine Wohnung, erreichte jedoch den Zug am Bahnhof nicht mehr, kehrte nach Hause zurück und wurde dort beim Aufbruch am nächsten Morgen, dem 23. Februar 1943, von der Gestapo festgenommen“ (Verena Lenzen: Paul Ludwig Landsberg - ein Name in Vergessenheit, in: Exil 1933-1945, 1/1991, S. 5-22, hier S. 15). | |||
Anschließend wurden sie in getrennte Lager verfrachtet, Landsberg in die Bretagne, seine Frau nach Gurs bei Pau im Süden Frankreichs. Die deutschen Truppen und mit ihnen die Gestapo drangen nach der Kapitulation Frankreichs immer weiter vor. Viele der Internierungslager wurden den Deutschen übergeben, so auch jenes bretonische Lager, in das Landsberg deportiert worden war. | |||
In buchstäblich letzter Minute gelang ihm und einigen anderen die Flucht. Mit dem Fahrrad fuhr Landsberg auf der Suche nach seiner Frau quer durch das besetzte und "freie" Frankreich. Einige Wochen blieb er in Lyon bei seinem Freund Lacroix, bevor er wieder weitersuchte. Er lehnte die Möglichkeit einer sofortigen Ausreise nach Amerika, die ihm Freunde verschafft hatten, obwohl seine Frau als "Arierin" nicht so gefährdet war wie er. Er fand sie letztendlich in Pau, doch war sie dort infolge eines Nervenzusammenbruchs im Lager Gurs so schwer erkrankt, dass sie nicht reisefähig war. Daher blieb auch Landsberg wider allen Rat dort, obwohl sich seine wahre Identität auf Dauer nicht geheim halten ließ. | |||
=== Scheitern der Flucht === | |||
Als er sich schließlich - nach einer Besserung des gesundheitlichen Zustandes seiner Frau - im März 1943 doch noch dazu entschloss, die für die Ausreise nach Amerika erforderlichen Papiere zu besorgen, war es schließlich zu spät. Auch der Fluchtversuch mit dem Zug scheiterte an einer Razzia der Gestapo. Landsberg kehrte daraufhin fataler Weise in sein Hotel zurück. Inzwischen war er von einem französischen Nachbarn als deutschfeindlicher Elsässer verraten und daher am nächsten Morgen verhaftet worden. | |||
=== Tod im Konzentrationslager Sachsenhausen === | |||
Er wurde in das Konzentrationslager Sachsenhausen(-Oranienburg) überführt. Gequält, gedemütigt und ohne ausreichende Nahrung erkrankte er dort an Tuberkulose. Er starb am Pfingstsonntag des Jahres 1944 an Auszehrung und Entkräftung im Krankenbereich des Konzentrationslagers. Seine letzte Gebärde, die ein Augenzeuge aus dem Konzentrationslager beschrieb, war ein Kreuzzeichen, mit dem der Sterbende stumm die Zurückbleibenden segnete (vgl. Gedächtnisschrift für Professor Doktor Ernst Landsberg (1860-1927), Frau Anna Landsberg geb. Silverberg (1878-1938), Doktor Paul Ludwig Landsberg (1901-1944), Bonn 1953, S. 7 f.). | |||
== IX. Madeleine Landsbergs Bericht über die geplante Konversion ihres Mannes == | == IX. Madeleine Landsbergs Bericht über die geplante Konversion ihres Mannes == | ||
== X. Landsberg und Guardini als Vertreter ständestaatlicher Ideen? == | Madeleine Landsberg hatte gegen Ende des Jahres 1940 während der Internierung große psychische Probleme (vgl. Gabriele Mittag: "Es gibt Verdammte nur in Gurs": Literatur, Kultur und Alltag in einem südfranzösischen Internierungslager, 1940-1942, 1996, S. 230). Im Unterschied zu Landsberg überlebte sie aber das Dritte Reich und kehrte im Oktober 1947 nach Deutschland zurück, nachdem sie ihre geistige Gesundheit vorläufig zurückgewinnen konnte. 1948 wandte sie sich an die Stadt Bonn und den Rektor der Universität und erreichte eine Gedenkfeier mit feierlicher Enthüllung einer Gedenkplakette auf dem Familiengrab ihres Mannes in Bonn. Die Gedenkplakette für Paul Ludwig Landsberg auf dem Bonner Friedhof verschwand allerdings, als 1963 das Familiengrab in Bonn aufgelöst wurde und die Urnen der Eltern von Landsberg nach Bedburg, der Geburtsstadt seiner Mutter, überführt wurden. | ||
Da Madeleine Landsberg ansonsten wenig Unterstützung in ihrem Anliegen erhielt, das Werk ihres Mannes hochzuhalten, kehrte nach Frankreich zurück, und lebte in Bordeaux und Paris. Ihre finanziellen Verhältnisse zwangen sie allerdings 1952 nochmals dazu, in das mittlerweile doppelt verhasste Deutschland zurückzukehren. Dort erlitt sie bereits ein Jahr später einen gesundheitlichen Rückschlag und wurde unter staatliche Pflegschaft gestellt. 1954 starb sie in einer Nervenheilanstalt an Herzversagen. | |||
Madeleine Landsberg hat allerdings einige erinnernde Berichte über ihren Mann hinterlassen. Zur Frage, warum Landsberg nicht zu der ihm näherstehenden katholischen Kirche konvertiert sei, schreibt Verena Lenzen auf deren Grundlage: ''„Wer mit Landsbergs Schriften und Gedanken vertraut ist, wird zunächst einmal von dem Faktum überrascht sein, daß er kein getaufter Katholik war, sondern jüdischer Herkunft und Mitglied der Evangelischen Kirche. Schon in seinen frühen Schriften über die Welt des Mittelalters und über Augustinus, der neben Thomas von Aquin und Theresa von Avila eine Leitfigur seines Lebens, Denkens und Glaubens blieb, bewies Landsberg Nähe und Neigung zur katholischen Glaubenslehre. Lange Zeit besuchte er regelmäßig den katholischen Sonntagsgottesdienst. Er liebte die römisch-katholische Liturgie, war mit einigen Priestern gut befreundet und verehrte die Benediktinerabtei Maria Laach als seinen Lieblingsort. Wenn er in den dreißiger Jahren gefragt wurde, warum er noch nicht zum katholischen Glauben konvertiert wäre, erklärte er, der katholischen Kirche beitreten zu wollen, wenn sie ihr „Werdesein" vollendet hätte. Er selbst verstand seine geistig-religiöse Entfaltung als ein „Werdesein" in auf die Kirche.“'' (Paul Ludwig Landsberg - ein Name in Vergessenheit, in: Exil, 11, 1991, Nr. 1. S. 5—22, hier S. 16) | |||
Lenzen verweist außerdem auf den Bericht Magdalena Landsbergs, dass dieser beschlossen habe, "seine Konversion zum katholischen Glauben, die er sorgfältig und ernsthaft vorzubereiten dachte. Nach dem Krieg wollte er sich von Pere Gaston Fessard S.J. und von Romano Guardini im römischkatholischen Glauben unterweisen lassen und in der Benediktinerabtei Monte Cassino die Taufe empfangen.“ (Lenzen, a.a.O., unter Berufung auf John M. Oesterreicher: Walls are crumbling, Seven Jewish Phi-losophers Discover Christ, New York 1952, S. 229f.; auch in ders.: Five in search of wisdom, 1967, S. 223). Von Fessard (1897-1978) kannte Landsberg in jedem Fall dessen Schrift "Pax nostra. Examen de conscience international" (Paris 1936), da er darauf Bezug genommen hat (vgl. Annali (Milan. Fondazione Giangiacomo Feltrinelli, 1985, S. 86). | |||
== X. Literaturverzeichnis == | |||
* Marietta Siebeke: Paul Ludwig Landsberg - Ein Exilkrimi, Internet-Quelle: http://www.dhm.de/lemo/forum/kollektives_gedaechtnis/210/; | |||
* Konrad Feilchenfeldt: Christliches Volksfrontverhalten. Mit einem Exkurs über Paul Ludwig Landsberg, in: Christliches Exil und christlicher Widerstand. Ein Symposium an der Katholischen Universität Eichstätt. Regensburg 1987, S. 55-69 | |||
* Verena Lenzen: Paul Ludwig Landsberg - ein Name in Vergessenheit, in: Joachim H. Koch (Hrsg.): Exil, Bad Homburg, 11, 1991, 1, S. 5-22; | |||
* Gedächtnisschrift für Professor Doktor Ernst Landsberg (1860-1927), Frau Anna Landsberg geb. Silverberg (1878-1938), Doktor Paul Ludwig Landsberg (1901-1944), Bonn, 1953. | |||
== XI. Nachtrag: Landsberg und Guardini als Vertreter ständestaatlicher Ideen? == | |||
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Aktuelle Version vom 18. Dezember 2024, 13:55 Uhr
I. Bonn – Freiburg – Maria Laach – Köln (1920-1922)
Das Elternhaus
Paul Ludwig Landsberg hatte 1920 in Bonn sein Abitur gemacht und stammte aus einer gut vernetzten Familie. Im Freundeskreis der Familien Landsberg sowie von Paul Silverberg (vgl. zu ihm Boris Gehlen: Paul Silverberg (1876-1959), 2007) verkehrten unter anderem Pferdmenges, Wassermann, Jacob Goldschmidt, Oscar Schlitter, Konrad Adenauer, Carl Duisberg, Hermann Hüffer (vgl. dazu Volker Siebels: Ernst Landsberg (1860-1927). Ein jüdischer Gelehrter im Kaiserreich, 2011, S. 134).
Zwischen Sozialismus, Jugendbewegung und George-Kreis
Des jungen Landsbergs Abituraufsatz über Hamlets berühmten Ausspruch: „Die Zeit ist aus den Fugen; Schmach und Gram, daß ich zur Welt, sie einzurichten, kam.“ löste aufgrund des für sozialistisch erachteten Inhalts einen Schulskandal aus (vgl. Stephan Moebius: Paul Ludwig Landsberg - ein vergessener Soziologe? Zu Leben, Werk, Wissens- und Kultursoziologie Paul Ludwig Landsbergs. in: Sociologia Internationalis, 41, 2003, 1, S. 77-112, hier S. 81). Zudem hatte er tatsächlich Kontakte zu Sozialisten, allerdings auch zur Jugendbewegung. So war er unter anderem Mitglied in der Bonner Alt-Wandervogel-Gruppe und arbeitete an der Zeitschrift „Freideutschen Jugend“ mit (z.B. Paul Landsberg: Rezension zu Meinecke, Friedrich: Die Bedeutung der geschichtlichen Welt und des Geschichtsunterrichtes für die Bildung der Einzelpersönlichkeit, in: Freideutsche Jugend, 5, 1919, S. 48; ders.: Hans Blühers politische Irrlehren, in: Freideutsche Jugend, 6, S. 287–289). Hierhin gehört auch die Freundschaft zu Paul Vogler (1899-1969), einem im Alt-Wandervogel und in der Freideutschen Jugend engagierten jungen Mann, der eine Affinität zu Gustav Wyneken aufwies (vgl. dazu Ortrud Wörner-Heil: Von der Utopie zur Sozialreform. Jugendsiedlung Frankenfeld im Hessischen Ried und Frauensiedlung Schwarze Erde in der Rhön 1915-1933. Darmstadt, Marburg 1996, S. 132 ff.). Einige Zeit später hatte Landsberg wohl auch Kontakte zum George-Kreis, dessen aristokratische Ästhetik ihn vorübergehend faszinierte. Die bislang ohne Beleg behauptete Beziehung könnte über den im Hause seines Vaters verkehrenden Friedrich Gundolf und seinem Freiburger Lehrer Ernst Kantorowicz gegeben sein. Schon Adolf Dyroff hatte ihm in Bezug auf sein Mittelalter-Buch im Habilitationsgutachten einen „Bekenntnisfanatismus, der Männern wie Scheler, Bertram, Stefan George gilt und auch im Zitieren eines Zitierens eines Japsers sich verrät“ unterstellt. (zitiert nach Stephan Moebius: Paul Ludwig Landsberg - ein vergessener Soziologe? Zu Leben, Werk, Wissens- und Kultursoziologie Paul Ludwig Landsbergs. in: Sociologia Internationalis, 41, 2003, 1, S. 77-112, hier S. 83). Kurt von Fritz behauptete bereits 1931 Landsberg habe mit seiner Platon-Arbeit endlich, „obwohl er selbst dem `Kreise´ nahe stand, mit dieser ganzen Tradition entschlossen“ gebrochen (Kurt von Fritz: Brecht, Platon und der George-Kreis (Rezension zum gleichnamigen Buch von Josef Franz Brecht), in: Gnomon, 7 1931, S. 359ff., hier S. 360, zu Brechts Schlußkapitel „Die Platondeutung P. L. Landsbergs“).
Studium bei Scheler und Kontakte nach Maria Laach
1920/21 studierte Landsberg zunächst zwei Semester Philosophie, Nationalökonomie, Soziologie und Jurisprudenz in Freiburg, wo er bei Cohn, Diehl und Kantorowicz hörte und mit Husserl, Heidegger und Kroner bekannt wurde.
Aber auch schon in dieser Zeit hatte er offensichtlich und wohl über das Elternhaus bereits Kontakt zu Max Scheler, denn noch vor Landsbergs Wechsel nach Köln zum Wintersemester, stellte Scheler in einem Brief vom 8. August 1921 an Abt Ildefons Herwegen eine Besuchsempfehlung aus: „Hochverehrter hochwürdigster Herr Abt! Der Überbringer dieses Schreibens, Herr cand. Phil. Paul Landsberg, der Sohn des Bonner Ordinarius für Jurisprudenz bittet mich, ihm die Möglichkeit zu eröffnen, in das religiöse und geistige, besonders auch liturgische Leben des Klosters Maria Laach tiefer einzudringen. Er ist einer meiner begabtesten Schüler, von tiefer Religiosität, aber evangelischer Confession. Er ist religiös noch stark in der Entwicklung begriffen, hat aber zu unserer Kirche sehr tiefe Sympathien. Darf ich Sie, hochwürdigster Herr, freundlich bitten, Herrn Landsberg wohl aufzunehmen und ihm einen oder den anderen Ihrer Herrn Patres vorzustellen, der ihm in diesem oder jenem dienlich sein könnte. [...]“ (Archiv Maria Laach: Sign. III A 112, zitiert nach: Johannes Schaber: Max Scheler in Beuron und Maria Laach, in: Erbe und Auftrag. Benediktinische Monatsschrift, 77, 2001, S. 59).
Ob Landsberg bereits beim Überbringen des Schreibens in der Abtei blieb oder zu einem späteren Zeitpunkt für einen längeren Besuch zurückkehrte, muss noch offen bleiben. In jedem Fall hat er sich aber in Maria Laach ein Bild vom benediktinischen Mönchtum gemacht. Denn als 1922 sein Buch „Die Welt des Mittelalters und wir“ erschien, ist darin zu lesen: „Es soll nicht bestritten werden, dass der mystische Weg auch heute der gegebene Weg mancher Einzelperson ist, aber dem Zeitalter als Ganzen tut Bindung und nicht Lösung not. Es torkelt, es braucht einen Halt! Es wird viel über religiöse Verinnerlichung heute geschrieben. Gewiss, eine solche braucht jede Zeit. Aber uns gerade tut in noch höherem Maße Veräußerlichung der Religion not. Wir Erben des Protestantismus haben viele tiefe Seelen, aber wenig klare Gestalten. Wir Erben des Protestantismus haben manche große Schauer ihrer selbst, aber nur einen großen Schauer der Weltordnung, Goethe. Wir Erben der Renaissance haben manchmal ein bis in das Mystische lebendiges Verhältnis mehr zu dem Kosmos als geordnetem Ganzen. Wir haben oft noch Leidenschaft, aber selten Zucht. Uns tut der scholastische und der benediktinische Geist in neuen, aus dem Leben frisch erstandenen Formen und in den alten, soweit sie eben noch lebendig da sind, bitter not.“ (Paul Ludwig Landsberg, Die Welt des Mittelalters und wir, 1922, S. 76) Dabei nimmt Landsberg Bezug auf seine Ausführungen über das benediktinische Mönchtum auf den vorausgehenden Seiten 53-57. Dort hatte er bereits formuliert: „In der Persönlichkeit des heiligen Benedikt von Nursia fand Abt Ildefons Herwegen in seiner im allerbesten Sinne legendären Biographie als Kern eine innige Einung von 'virtus Romana' und 'Caritas Christiana' vor.“ (ebd., S. 53) Schaber urteilt daher nicht zu unrecht, dass Landsberg "auch in seiner Sichtweise des benediktinischen Mönchtums wichtige Impulse von Max Scheler und Maria Laach“ erhalten hat (Schaber, a.a.O., S. 59 f.).
Zum Wintersemester 1921 wechselte Landsberg dann für vier Semester nach Köln, wo er zwar noch bei von Wiese und Kaiserwaldau Soziologie, vor allem aber Philosophie und Soziologie bei Scheler hörte. Er wurde dort auch Schelers letzter Assistent, unter dessen Einfluss sich seine Nähe zum Sozialismus erkennbar verringerte, obwohl sein Verhältnis zu Scheler sowohl persönlich als auch inhaltlich keineswegs spannungsfrei war. Landsberg würdigte Scheler und dessen Werk in mehreren Aufsätzen (Paul Ludwig Landsberg: Zu „Max Scheler und der homo capitalisticus“, in: Die Tat, 14, 1922/23, S. 468-469; ders.: Zum Gedächtnis Max Schelers, in: Rhein-Mainische Volkszeitung, 58, 1928, Kulturelle Beilage Nr. 21 oder 121 vom 25. oder Mai 1928 [muss noch am Original überprüft werden]; vgl. dazu auch Heinrich Lützeler: Der Philosoph Max Scheler: eine Einführung, Bonn 1947 und Stephan Moebius: Paul Ludwig Landsberg - ein vergessener Soziologe? Zu Leben, Werk, Wissens- und Kultursoziologie Paul Ludwig Landsbergs, in: Sociologia Internationalis, 41, 2003, 1, S. 77-112).
II. „Die Welt des Mittelalters und wir“
Gewidmet an Scheler, geschätzt von Guardini
Noch Ende 1921 legte Landsberg eine Scheler gewidmete philosophische Schrift mit dem Titel „Die Welt des Mittelalters und wir“ vor (Bonn 1922; 1923; 1925; vgl. dazu die Rezension von Anton L. Mayer-Pfannholz: Paul Ludwig Landsberg und das Mittelalter, in: Hochland, 20/II, 1923, S. 319-322). Diese Schrift wurde zwar bereits 1922 veröffentlicht, sollte aber noch nicht seine Dissertation werden. Dennoch handelt es sich bei dieser Schrift ohne Zweifel um ein „Schlüsselwerk der Epoche“ (vgl. Otto G. Oexle: Das Mittelalter als Waffe. Ernst H. Kantorowicz’ "Kaiser Friedrich der Zweite" in den politischen Kontroversen der Weimarer Republik, in: ders., Geschichtswissenschaft im Zeichen des Historismus. Studien zu Problemgeschichten der Moderne (Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft 116), Göttingen 1996, S. 163-215, hier S. 176). Mit diesem Werk fand er insbesondere in der Jugendbewegung viel Anerkennung (vgl. dazu Seewann, Gerhard: Österreichische Jugendbewegung 1900 bis 1938: Die Entstehung der deutschen Jugendbewegung in Österreich Ungarn 1900 bis 1914 und die Fortsetzung in ihrem katholischen Zweig „Bund Neuland“ von 1918 bis 1938, 1974, S. 453).
Scheler selbst hatte die Arbeit aber als zwar virtuos, aber zu romantisch und rückgewandt beurteilt (so Heinrich Lützeler: Persönlichkeiten. Konrad Adenauer, Paul Clemen, Kardinal Frings, Johannes XXIII., Erich Rothacker, Max Scheler, Freiburg 1978, S. 114). Dagegen hebt Guardini dieses Werk immer wieder hervor. So schreibt er bereits in seiner "Liturgischen Bildung" (S. 76, Anm. 2; Wege, S. 45, Anm. 1): "Es ist in den letzten Jahren nicht viel erschienen, das ich dieser Schrift an die Seite setzen möchte." Dieses Urteil erfolgte keineswegs nur, weil Landsberg sich darin auch auf Guardinis These vom “Primat des Logos vor dem Ethos” beruft (Paul Ludwig Landsberg: Die Welt des Mittelalters und wir, a.a.O., S. 30 und 117f.).
Die Formeln "Gepräge der Negativität" und "Konservative Revolution"
Gleich zu Beginn spricht Landsberg darin nämlich vom neuzeitlichen „Gepräge der Negativität“ und der „konservativen Revolution“, die mit dem „Liebeswort Mittelalter“ verbunden sein sollte (Paul Ludwig Landsberg: Die Welt des Mittelalters und wir, Bonn (3)1925, S. 7 sowie S. 112; vgl. dazu K. Albert: Landsbergs Deutung des Mittelalters und die Idee einer konservativen Revolution, in ders.: Das gemeinsame Sein. Studien zur Philosophie des Sozialen, 1981, S. 21-31; Eduard Zwierlein: Konservative Revolution und Engagement. Paul Ludwig Landsbergs Weg vom Ideal der Konservativen Revolution zur Wirklichkeit des engagierten Humanismus, in: Zeitschrift für Politik, 36, 1989, Nr. 1, S. 88ff.; Schloßberger, Matthias: La rivoluzione dell´eterno: Landsberg e la „rivoluzione conservatrice“, in: Nicoletti, Michele/Zucal, Silvano/Olivetti, Fabio: Da che parte dobbiamo stare. Il personalismo di Paul Ludwig Landsberg, Soveria Mannelli 2007, S. 91ff.).
Landsberg grenzt sich dabei allerdings klar von jeglicher Mittelalter-Nostalgie ab: „Kein `zurück zum Mittelalter´ kann uns helfen, keine Neomystik, keine Neoscholastik, - helfen kann uns die Wiederentdeckung des Ewigen in der Welt, auch in der Geschichte der Welt, auch im Mittelalter“ (Paul Ludwig Landsberg: Die Welt des Mittelalters und wir, 1922, S. 99).
Der Begriff der „konservativen Revolution“ wird von Landsberg aber eng verbunden mit seiner personalistischen Vorstellung eines „engagierten Humanismus“: Es ist heute Umsturz, von der Ordnung im ewigen Sinne her die Zeitlichkeit messend zu betrachten, da seit Jahrtausenden die geordnete Unordnung Zustand ist, für einige wenigstens in ehrliche, unängstliche Anarchie übergegangen. Lange genug hat das europäische Bewusstsein nur den einen Gegensatz, hier Hüter aller Geordnetheit, dort Brecher aller Geordnetheit und Ordnung, hier Bürger und dort Anarchist, Stürmer und Dränger, Romantiker, Sozialist, Menschen der Jugendbewegung gekannt. Die konservative Revolution, die Revolution des Ewigen ist das Werdende und schon Seiende der gegenwärtigen Stunde. Die in ihr Stehenden und die, mit denen mein Titel mich als ‚Wir' zusammenfassen soll. Nicht ‚Die Welt des Mittelalters und ich' konnte es hier heissen. Denn wir jungen Menschen haben die hohe und heilende Freude eines neuen ‚Wir' erfahren, nicht geschaffen, sondern geworden, nicht Feind, sondern Grundlage der Einzelperson. Wir sind von dem Glauben durchdrungen, dass in diesem »Wir« die Gewähr des Vorstoßes zur ewigen Ordnung, die Gewähr der guten Zukunft liegt“ (ebd., S. 112 f.)
Auch wenn Hugo von Hofmannsthal den Begriff nach der Lektüre der dritten Auflage von Landsbergs Mittelalter-Buch übernommen hat (so Oswalt von Nostitz: Zur Interpretation von Hofmannsthals Münchner Rede, in: Festschrift für Rudolf Hirsch, Frankfurt am Main 1975, S. 272-275), bekam die Formel "Konservative Revolution" in dessen Münchner Rede eine ganz andere, mit Landsbergs Ideen nicht zu vereinbarende ideologische Dynamik. Bei Landsberg handelte es sich um “einen geschichtsphilosophischen Versuch über den Sinn eines Zeitalters” und somit eine pointiert “weltanschauliche” Deutung, aber trotz aller politischen Implikationen eben keineswegs einen ideologisch-polemischen Affekt. Das Mittelalter erscheint bei Landsberg vielmehr als “eine menschliche Grund- und Wesensmöglichkeit”, die er an der Romanik und an den antiken Wurzeln anknüpft und die in der Synthese von Antike und Christentum Bestand hat.
Unterschiede und Gemeinsamkeiten mit Guardini
Anders als Guardini, der sowohl den “Geist der Gotik” (K. Scheffler: Vom Geist der Gotik, Leipzig 1917) als auch den “Geist der Romanik” aufgriff und sich gleichermaßen von der "schwächlichen, gekünstelten" Neugotik und deren neuromanisches Pendant der unmittelbaren Vergangenheit abgrenzte (vgl. Thule, S. 69, Anm. 2-4 u. ö.); der ebenso das “klassisch-romanische” und das “germanische” in Ausgleich zu bringen versuchte, findet bei Landsberg das Germanische und das Gotische keine große Beachtung.
Doch geht es ihm wie Guardini um "Gesinnung" und "Haltung": "Die zentrale Ansicht, von der aus Denken, Weltanschauen und Philosophie des Mittelalters verständlich werden, ist die, dass die Welt ein Kosmos sei, dass sie ein sinnvoll und ziervoll geordnetes Ganzes sei, das sich ruhig bewege nach ewigen Gesetzen und Ordnungen, die, aus Gott ersten Anfanges entsprungen, auch auf Gott letzten Endes Beziehung hätten" (Landsberg, Die Welt des Mittelalters und Wir, 1922, S. 12). Diese mittelalterliche Gesinnung (der „Logos des Mittelalters“) und Haltung (der „Ethos des Mittelalters“) basiert für Landsberg wie für Guardini auf der Idee des “Ordo”, auf Ordnung und Ordnungsvertrauen, während die Neuzeit seit dem spätmittelalterlichen Nominalismus das Gepräge der „Negativität“ aufweise (ebd., S. 7, S. 9, S. 78). Diese Negativität der Neuzeit habe eine zentrale Wurzel vor allem auch darin, dass nach der Reformation der Katholizismus "nicht durch die katholische Renaissance, sondern durch die Gegenreformation bestimmt worden sei" (ebd., S. 95).
Die zentralen Gestalten des Mittelalters inklusive der Renaissance sind für Landsberg vor allem Dante und Thomas von Aquin, wobei Landsberg letzteren in seinen Gottesbeweisen ausdrücklich zu widerlegen versucht, wenn auch "auf den Knien unseres Herzens" (ebd., S. 50-65, zu Thomas von Aquin besonders S. 65). Wie Auerbach und später Guardini stellte Landsberg die Nähe von Dantes Gesängen zur Scholastik insbesondere zu Thomas von Aquin heraus, inhaltlich gerade auch bezüglich des „Ordo“-Gedankens (ebd.) Vor allem Thomas von Aquin und Dante verkörpern für Landsberg das Wesen des Mittelalters (vgl. Alfons Knoll: Glaube und Kultur bei Romano Guardini, Paderborn/München/Wien/Zürich 1994, S. 181 und S. 312 in Bezug auf unveröffentlichtes Manuskript „Geordnete Welt”). Die „Divina Commedia” ruhe auf der Ordnungslehre der Scholastik auf und führe sie in literarischer Form zu Ende. Für Guardini wird dabei aber die Erkenntnis bestimmend bleiben, dass Macht immer das ist, was Menschen daraus machen und das es notwendigerweise so etwas geben müsse wie eine „Macht über die Macht” im Sinne eines „Ethos der Macht“. Wie der von Guardini schon früh gelesene Jacob Burckhardt sah auch Guardini die Renaissance als „Anbruch der Neuzeit“ und als Ende der mittelalterlichen Synthese von „germanischem“ Organismus-Denken und „romanischem“ Christentum. Hier unterscheidet Guardini sich von Paul Ludwig Landsberg, der das Wesen des Mittelalters in der Synthese von Antike und Christentums ausmachte und die Renaissance daher positiver und - anders als auch Burckhardt (Paul Ludwig Landsberg: Die Welt des Mittelalters und Wir, a.a.O., S. 89-100) - als „Endblüte und Nachblüte des Mittelalters“ betrachtete, weil hier das Mittelalter “auf seine antiken Quellen, besonders also auf Plato” zurückgehe und dadurch “im vollen Sinne des Wortes `katholischer´” werde (ebd., S. 94).
Den von Alfons Knoll (Glaube und Kultur bei Romano Guardini, a.a.O., S. 181) und Zimmermann (Zimmermann, Die Nachfolge, a.a.O., S. 70) konstruierten starken Unterschied zwischen Landsberg und Guardini in der Einschätzung der Renaissance halte ich insgesamt aber für nicht in Gänze nachvollziehbar. Auch Guardini setzt sich, wie gesehen, von Burckhardt ab und Landsberg sieht die Renaissance wie Guardini auch keineswegs nur positiv. Knoll und Zimmermann schätzen dabei meiner Ansicht nach Guardinis Aufsatz “Gedanken über das Verhältnis von Christentum und Kultur” (1926) einseitig ein und vernachlässigen das gleichermaßen Chamberlain- und Burckhardt-kritische Anliegen seines Rezensionsartikels von 1911 (siehe unten).
Trotz positiverem Renaissance-Bild sieht auch Landsberg, dass durch die Übersteigerung der Subjektivität sich die objektiven Ordnungen in der Renaissance aufzulösen beginnen. Nicht ohne Grund verweist Guardini in seinem eigenen Urteil, in der Renaissance sei die Subjektivität “selbstherrlich” übersteigert worden und die objektiven Ordnungen hätten sich aufgelöst, ausdrücklich auf die Studie von Landsberg (Guardini, Liturgische Bildung, 1923, S. 69, inkl. Anmerkung 1; Werkausgabe, S. 86 inkl. Anm. 62).
Obwohl Landsberg sonst durchaus den “Geist” und das “Wesen” vieler Phänomene zu erfassen sucht und auch entgegen dem noch Jahre später weit verbreiteten Usus (M. Grabmann: Mittelalterliches Geistesleben, Bd. I, München 1926, Bd. II, München 1936; Bd. III, München 1956; E. Gilson: Der Geist der mittelalterlichen Philosophie, Wien 1950), beschreibt er nicht das “Wesen” des Mittelalters bzw. der mittelalterlichen Philosophie, sondern die “Welt des Mittelalters” und das “Weltbild” bzw. “Menschenbild” dieser Epoche. Er bemüht sich – wie Guardini - um die daraus resultierenden „Gesinnungen“ und “Haltungen”, mit dem Ziel die “Negativität der Neuzeit” zu überwinden.
In letzter Konsequenz geht es Landsberg daher - wie Guardini - nicht um ein Zurück zum Mittelalter, denn nichts liege ihm ferner “als der Vorschlag einer unmöglichen und unerfreulichen `Rückkehr´ zum Mittelalter. Wir können nur da von einem anderen Zeitalter lernen, wo es mehr ist als es selbst, wo es in das Ewige ragt” (Paul Ludwig Landsberg: Die Welt des Mittelalters und Wir, a.a.O., S. 12). Guardini verweist in seiner Schrift “Liturgischer Bildung” (Werkausgabe S. 67 f., Anmerkung 43) ausdrücklich auf diese Stelle bei Landsberg.
Landsberg geht es also wie Guardini um ein „Neues Mittelalter“ im Zeichen der „Revolution des Ewigen“. Dabei entwickelt er eine dezidierte Vorstellung einer „Bewegungsgestalt“: „Von der Ordnung der Hochantike führt der Weg zur Gewohnheit der Spätantike und der Anarchie der Übergangszeit. Aus dieser Anarchie dann wieder zur Ordnung des Mittelalters. Von der Ordnung des Mittelalters führt er zur bürgerlichen Gewohnheit und zu jener Anarchie, die sich in den Gegenbewegungen gegen sie anmeldet, um in der heutigen Jugendbewegung, das Wort in ganz wörtlichem und doch weitem Sinne genommen, siegreich zu werden. Es ist die Zukunft, daß aus dieser Anarchie eine neue Ordnung geboren werden wird“ (Paul Ludwig Landsberg: Die Welt des Mittelalters und wir, a.a.O., S. 114). Landsberg stellte darüber hinaus bereits in dieser frühen Schrift seine später immer wirksamere „positiv-christliche Überzeugung schlechthin" heraus, „daß der Sinn des Lebens die gottschauende Ruhe nach dem Tode sei“ (ebd., S. 30).
Im Vergleich zu dieser hier erkennbaren engen geistigen Beziehung zwischen Landsberg und Guardini wird daher Schelers direkter Einfluss auf Guardini meist überschätzt. Bereits Knoll (Glaube und Kultur bei Romano Guardini, a.a.O., S. 237, inklusive Anm. 168) konstatierte: Max Scheler habe 1920 zwar „in seiner Schrift `Vom Ewigen im Menschen´ die Ursprünglichkeit und Unableitbarkeit des religiösen Phänomens gegenüber den erst sekundären philosophischen Gottesbeweisen“ behauptet und habe „damit an die Linie“ angeknüpft, „die im protestantischen Denken von Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher ausging und im Jahre 1917 mit Rudolf Ottos Schrift `Das Heilige´ eine neue aufsehenerregende Behandlung erfahren hatte.“ Dabei müsse dahingestellt bleiben, „wie stark der direkte Einfluß Schelers auf Guardini war“. Klarer seien „die Bezüge auf Rudolf Otto, Walter F. Otto, Lucien Lévy-Bruhl und G. van der Leeuw – allerdings auch erst zu einem späteren Zeitpunkt“, nämlich 1934 in seiner Schrift „Religiöse Erfahrung“.
Allerdings darf man trotz aller Würdigungen und Zitierungen einen umgekehrten Einfluß Landsbergs auf Guardinis Mittelalter-Konzeption nicht überschätzen. Eine solche Überschätzung findet sich zum Beispiel – wohl in Unkenntnis des Textes von 1911 bei Joseph Ratzinger (Von der Liturgie zur Christologie. Romano Guardinis theologischer Grundansatz und seine Aussagekraft, in ders. (Hrsg.): Wege zur Wahrheit. Die bleibende Bedeutung von Romano Guardini Katholischen Akademie in Bayern 117), Düsseldorf 1985, S. 121-144, hier S. ???; bisher nur in Englisch: „Turning away from the modern era is combined in the young Guardini with a new, almost rapturous enthusi-asm for the medieval period, as it looked at him out of P. L. Landsberg's book Das Mittelalter und wir [The Middle Ages and us] (Bonn, 1923), which evidently had become for him a sort of key reading experience”; ähnlich einseitig zuletzt auch Lehmann, Karl: Romano Guardini und Mainz, zur debatte (8/2014) 1-4; leicht verändert ders.: Romano Guardini und Mainz (1885-1969). Skizze einer schwierigen Beziehung, in: Claus Arnold/Christoph Nebgen (Hrsg.), Lebensbilder aus dem Bistum Mainz. Band II: Vierzehn Portraits (= Neues Jahrbuch für das Bistum Mainz 2017), Mainz 2017, S. 227-241; auch in: Karl-Heinz Wiesemann, Peter Reifenberg (Hrsg), „In allem tritt Gott uns entgegen“. Zum 50. Todestag von Romano Guardini (= Romano Guardini, Quellen und Forschungen 3), Ostfildern 2018, S. 13-25).
Guardinis erste Rede von der zu Ende gehenden Neuzeit und dem neuen "Mittelalter" (1911)
Guardini selbst hatte nämlich bereits in seinem ersten anonym veröffentlichten Aufsatz vom Dezember 1911 in den „Historisch-politischen Blättern“ unter dem Titel „Interesse der deutschen Bildung an der Kultur der Renaissance“ (in: Historisch-politische Blätter, CXLVIII, 1911, 12, S. 881-891) vom „neuen `Mittelalter´“ gesprochen und sich dabei sowohl durch die Anführungsstriche als auch durch die Erläuterungen von restaurativen Mittelalterkonzepten abgegrenzt. Also lange vor Paul Ludwig Landsberg und Nikolaj Berdjajew hatte Guardini seine Vorstellung von einem "neuen Mittelalter" als Zeit nach der Neuzeit formuliert: “Für unsere Zeit als vorwärtsstrebendem Ganzen hat die Renaissance kein lebendig-praktisches, sondern nur noch ein literarisches, historisches Interesse. Die Renaissance war es, die die Aufmerksamkeit der Schauenden und Handelnden auf allen Gebieten vom geschlossenen Ganzen zu den Teilen, zur Vielheit des Einzelnen führte; vom Allgemeinen zum Mannigfaltig-Individuellen, vom Bleibenden zu Wechsel und Veränderung; vom Absoluten zum Relativen. Nicht nur das. Während bisher die großen objektiven religiösen und sittlichen Ideen das Denken und Handeln beherrscht hatten, richtete das Interesse sich jetzt allmählich auf das Menschliche, auf seine mannigfaltigen Bedingtheiten, auf das Subjektive, und zwar mit natürlicher Folgerichtigkeit immer schärfer auf die jeweilig eigene Menschlichkeit, das Persönlich-Subjektive” (Guardini, a.a.O., S. 886). Und Guardini betonte dabei ausdrücklich, dass wir „jener neuen Art, die Dinge zu sehen, viel” verdanken: "Aber wir haben auch ihren Fluch verkostet, so sehr, scheint mir, dass wir ihrer müde sind. Der Blick hat sich so tief in das Einzelne verloren, dass er das Ganze nicht mehr sieht" (ebd., S. 887). So spricht er schon in diesem ersten Aufsatz von den „Vorboten einer neuen Zeit. Auf dem sozialen Felde hat das Bewusstsein der Solidarität den liberalen Atomismus schon fast verdrängt” (ebd., S. 888). Guardini sah in den aktuellen Strömungen mehr Verwandtschaft zum Hellenismus und zum römischen Kaisertum, also zur Klassik, als zur Renaissance. Auch die Klassik „hatte ein Freiwerden aller individuellen Kräfte und Momente, eine Einstellung der Aufmerksamkeit auf das Ich erlebt. Auch sie war zersplittert, skeptisch und gefangen in dies Ich. Auf sie aber folgte nach langem Ringen eine Periode, die in ihrer Art das hatte, was wir heute suchen, das Mittelalter, jene Jahrhunderte gewaltiger Leistungen, gewaltiger Einheiten. Das Mittelalter ist die modernste Zeit, mehr, es ist unsere Zukunft.... Unsere Aufgabe ist, ein neues `Mittelalter´ zu schaffen. Das braucht niemanden zu erschrecken; nicht zurück zum vergangenen, sondern vorwärts zu `unserem Mittelalter´ solls gehen” (ebd., S. 889 f.) Vom Entstehen des ersten Mittelalters aus dem Germanentum und Christentum „könnten wir lernen, die Welt wieder nicht mit den kleinen, verschleierten Augen unserer Subjektivität, sondern mit dem Blick der Dinge selbst, Gottes, zu sehen.” Er wendet sich gegen die „Enge und Ängstlichkeit der `kritischen´ Zeit” und plädiert für eine Rückkehr zu einer „Klassik..., die in der Linie UNSERER Mittel und Zwecke liegt”. Er betont ausdrücklich, Rückkehr meine nicht kopieren, sondern „dem Geist nachspüren”, um den „neuen Stil zu finden, der die Herbigkeit all der Arbeit unserer Tage hat, die Kraft der sozialen Spannungen, die ernste, selbstlose Sachlichkeit der Maschine, die jubelnde, leichte Grazie der eisernen Brücke” (ebd., S. 891).
Ohne die Renaissance selbst – wie der von Guardini im Zusammenhang mit seiner „religiösen Krise“ während seiner Münchener Studienzeit gelesene Houston Stewart Chamberlain dies getan hatte - abzuwerten, spricht Guardini sich also gegen eine Wiederbelebung der Renaissance aus, wie umgekehrt die Reformtheologen um Josef Müller dies mit ihrer Zeitschrift „Renaissance” anstrebten. Statt eine „Kopie von der Kopie” zu machen, müssten zunächst dem Geist der griechisch-römischen Klassik selbst und schließlich dem Geist des christlich-germanischen Mittelalters nachgespürt werden, um den „neuen Stil” für eine „neue Zeit” zu finden. Die Idee vom „Ende der Neuzeit” klingt hier schon deutlich an und zwar ohne grundsätzliche Vorbehalte gegenüber den sozialen Spannungen und den Errungenschaften der Technik, sondern als Versuch, diese positiv zu integrieren. Dabei verteidigte Guardini wie auch schon sein Freund Neundörfer bei allen persönlichen Vorbehalten sogar das Grundanliegen der Antimodernismusenzyklika von 1907: “Der Wechsel und die Veränderung hat das heutige Denken fasziniert... Es begreift nicht einmal, dass ... eine Enzyklika gegen das PANTA RHEI (=ALLES FLIESST) in der Theologie mehr sein könnte als Gedankenknechtung, und, in der Geschichte des menschlichen Denkens, sich dem weiteren Blick als das Gegengewicht gegen die `Kritik der reinen Vernunft´ offenbaren könnte" (ebd., S. 887).
Papst Pius X. contra Kant, aber nicht als Widerspruch, sondern als polare Gegengewichte. Die Wahrheit liegt daher auch hier schon im konkret-lebendigen Ausgleich der Spannung zwischen Tradition und Fortschritt. Dies wiegt umso mehr, als Guardini und Neundörfer wie gesehen selbst an der mit dem Kulturkampf und Antimodernismus verbundenen innerkirchlichen Gesinnungsschnüffelei zu leiden hatten und natürlich im Rahmen ihrer wiederum gemeinsam durch den Mainzer Bischof Georg Heinrich Kirstein empfangenen Priesterweihe am 28. Mai 1910 auch selbst den „Modernisteneid” abzulegen hatten. Guardini soll vor allem unter „dem den Geistlichen abverlangten Antimodernisteneid zeitlebens gelitten haben, so dass er auch nie ein von Spannungen freies Verhältnis zur Gestalt Papst Pius X. entwickeln konnte” (Frühwald, in: Christliche Weltanschauung, a.a.O., S. 57, FN 32.). In der Zeit von Papst Pius X., von 1903 bis 1914, kulminierte der Anti-Modernismuskampf der römisch-katholischen Kirche, was sich 1907 in der Herausgabe der Enzyklika „Pascendi” und des Dekretes "Lamentabili" ausdrückte. Papst Pius X. sah im Modernismus als „Sammelbecken aller Häresien” und führte daher ab 1910 den sogenannten „Antimodernisteneid” für alle Kleriker ein - Guardini und Neundörfer gehörten also mit zu den ersten, die ihn ablegen mussten. 1966/67, also erst kurz vor Guardinis Tod, wurde er wieder abgeschafft.
Carl Muths Reaktion auf den anonymen Guardini-Aufsatz
Es ist erstaunlich, dass ausgerechnet Carl Muth diesen anonymen Guardini-Aufsatz in den Mittelpunkt seiner Betrachtung „`Reaktion´ und Reaktion“ (Carl Muth unter dem Kürzel –th: `Reaktion´ und Reaktion, in: Hochland, 9, 1912, 2. Bd., H. 12 (September 1912), S. 748-751) stellt: "Es ist nicht uninteressant, zu beobachten, wie in unsern Tagen da und dort kritische Besonnenheit Platz greift, ohne deshalb reaktionäre Formen anzunehmen. Betrachtungen dieser Art liegen auch einem Artikel der `Historisch-Politischen Blätter´ (Dezember 1911) zugrunde, der noch nachträglich einige Beachtung verdient, umso mehr, als man dort Gedanken so fein abwägender Art nicht allzu häufig begegnet. Der ungenannte Verfasser setzt sich mit dem Diederichschen Unternehmen kritisch auseinander, das Zeitalter der Renaissance unserer Zeit durch die Herausgabe ausgewählter Quellenschriften näher zu bringen, und kommt dabei zu sehr richtigen Beobachtungen und Feststellungen.... Der Verfasser ist gegen die Vorzüge und Errungenschaften der Renaissance keineswegs blind; indem er sie ins Licht stellt, zollt er ihnen sogar hohe Bewunderung. Aber mit Recht fährt er fort: `Wir danken jener neuen Art, die Dinge zu sehen, viel. Aber wir haben auch ihren Fluch verkostet, so sehr, scheint mir, dass wir ihrer müde sind´" (ebd., S. 749). Dann lässt Muth den anonymen Verfasser über eine ganze Seite hinweg selbst zu Wort kommen und schließt mit der Bewertung: „Wer in solcher Betrachtung den Ausdruck reaktionärer Gesinnung sehen will, der wird gut tun, auch die weiteren Ausführungen des genannten Artikels zu lesen. Es beweist nichts so sehr geistige Unreife als jeden Anlauf zur Mäßigung sofort als Reaktion zu verschreien“ (ebd., S. 750). Schließlich sei eine Reaktion gegen eine alleinige „Befriedigung individueller Wünsche und Leidenschaften... nicht `Reaktion´ - sondern FORTSCHRITT“ (ebd., S. 751).
Guardini/Landsberg "versus" Blumenberg
Gerd Althoff schreibt in seiner Studie „Die Deutschen und ihr Mittelalter“ (1992) infolgedessen – von Guardinis „Das Ende der Neuzeit“ und Blumenbergs „Die Legitimität der Neuzeit“ ausgehend – durchaus treffend von dem „von Guardini und Blumenberg repräsentierten Schemata des `entzweiten Mittelalters´“: „Guardini diagnostizierte demnach und forderte deshalb zugleich (wie vor ihm schon P.L. Landsberg) die „Auflösung des neuzeitlichen Weltbildes“, er diagnostizierte und forderte (und das ist denn auch der Titel seines Buches): `Das Ende der Neuzeit´. Die dem diametral entgegengesetzte Position hat in diesem Fall anderthalb Jahrzehnte später Hans Blumenberg vertreten, in einem Buch mit dem wiederum programmatischen Titel: `Die Legitimität der Neuzeit´. Hier geht es darum, dass die Neuzeit zum Mittelalter (als einer „Jahrhunderte überspannenden Sinnstruktur"), daß sie dem „theologischen Absolutismus" des Mittelalters mit „humaner Selbstbehauptung" und im Zeichen der „theoretischen Neugierde“, mit der „immanenten Selbstbehauptung der Vernunft durch Beherrschung und Veränderung der Wirklichkeit“ entgegentritt“ (Gerd Althoff: Die Deutschen und ihr Mittelalter, 1992, S. 20).
Guardini versteht infolgedessen Antike, Mittelalter und Neuzeit als menschliche Grund- und Wesensmöglichkeiten mit Vorzügen und Nachteilen, positiven und negativen Prägungen. Gerade an der Tugend der Ordnung und Ordnungsvertrauen, für die das Mittelalter bei Landsberg steht, zeigt Guardini auf, dass auch der mittelalterliche Habitus durchaus ambivalent sein kann. Tugenden sind Gestalten sittlichen Lebens, die von ihrer Wirkung her zu beurteilen sind. Nur jene, die zu vernunftgemäßem, gutem Handeln qualifizieren, sind auch wirklich Tugenden und nicht nur unkritisch übernommene und überkommene Traditionen. Gerade hier zeigt sich wieder Guardinis Nähe auch zu Aristoteles und Thomas von Aquin. So wie bei Aristoteles sich die sittliche Tugend als “Habitus der guten Handlungswahl” definiert und als “Mitte” die Handlungswahl habituell vervollkommnet, es dazu aber auch eine gleichermaßen durch Autorität und Freiheit geprägte „Erziehung zur Tugend“ braucht (vgl. Martin Rhonheimer: Die Perspektive der Moral. Philosophische Grundlagen der Tugendethik, Berlin 190 f.), sieht auch Guardini die Tugenden als dynamischen Habiti. Gerade hier führte Guardini aber vielfach auf den eigentlichen Schauplatz der Auseinandersetzung zurück: auf den politisch-theologischen, denn: „Nur wer Gott kennt, kennt den Menschen“ und mit dem Menschen auch die Welt und ihre „Politik“. Guardini ist Zeit seines Lebens davon überzeugt, dass der trinitarische „Gott ein Politikum“ ist (Guardini, Ethik, a.a.O., S. 881). Es handele sich in der Hauptsache um eine Frage des Gottesbildes und des daraus abgeleiteten Welt- und Menschenbildes und in der keineswegs unwichtigen Nebensache um ein daraus resultierendes methodisches Problem, wie die Gegensätze des Daseins philosophisch zu erfassen sind. Guardini hatte die politisch-theologischen Wurzeln der geistesgeschichtlichen Entwicklung zum Totalitarismus am Beispiel des “Heilbringers” ganz konkret herausgestellt und sie auf antike und neuzeitliche Vorgänge zurückgeführt, ohne dabei - dies sei noch einmal entgegen den gängigen Vorurteilen gegenüber Person und Werk Guardinis betont - das Mittelalter als Idealzustand vorzustellen, sondern um es gemeinsam mit Landsberg lediglich als typisierte Gesinnung und Haltung zum Ausgangspunkt für eine nach-neuzeitliche Neugestaltung zu machen. Wie Guardini eben schon in einem seiner ersten Aufsätze betonte, soll es „nicht zurück zum vergangenen, sondern vorwärts zu `unserem Mittelalter´” gehen. Damit wird aber zwangsläufig die Nach-Neuzeit des Totalitarismus zur Antike dieses neuen Mittelalters und das neue Mittelalter wird ebenfalls nur ein Durchgangsstadium zu einer abermaligen Neuzeit werden. Und auch diese wird wieder zu Ende gehen. Dies stellte für Guardini einen notwendigen Geschichtsprozess dar. Nicht notwendig war für ihn dagegen, dass dieser Geschichtsprozess sich dialektisch in extremen Pendelschlägen vollziehen müsse; gerade dann nicht, wenn man sich auf die polare Grundstruktur des Daseins besinnt und auf ihrer Grundlage ein „Ethos der Macht“ entwickelt, das weder auf Egalitarismus noch auf Titanismus beruhe und so in der Polarität zum „Ethos der Liebe“, jenes konkret-lebendige „Ethos der Verantwortung“ als Spannungseinheit hervorbringe, wie dies auch von Max Weber und von Hans Jonas formuliert wurde. Die akosmistische Liebesethik und die kosmistische Machtethik müssen sich also in einer situations- und umweltbezogenen Verantwortungsethik polar miteinander verbinden.
Sowohl bei Landsberg und noch mehr bei Guardini handelt es sich bei ihrer Mittelalter-Theorie also vorrangig um eine ethische und pädagogische Deutung nicht um eine historisierende oder historistische oder gar im Hegelschen Sinne eine geschichtsphilosophisch orientierte Beschreibung. Sachlich wie polemisch werden in der Folgezeit Landsberg und Guardini im Blick auf ihr Mittelalter-Verhältnis aufgrund der beschriebenen großen Ähnlichkeiten folgerichtig zusammengespannt.
Polemik gegen Guardini und Landsberg durch Robert Kosmas Lewins "Apostaten-Briefe"
Am unsachlichsten und polemischsten ist dabei Robert Kosmas Lewin 1928 in seinen sogenannten „Apostaten-Briefe“ (Wiesbaden 1928), in denen auch Guardini heftig angegriffen wurde, insbesondere sein Kolleg über „das Konkrete und das Reich Gottes“, „worin einerseits die reale Welt mit allen ihren Ordnungen in thomistischer Konzeption auftauchte, er aber andererseits 'der blassen Abstraktion einer Staatsidee, die des Menschen Seele auszufüllen habe', huldige“ (ebd., S. 82 f.). Dabei werde wohl die christliche Idee vom Staate untergeschoben, so wie auch die katholische Presse nicht müde werde, in Erziehung zum Staatsbürgertum diese christliche Idee als das in der modernen Welt realisierbare Ideal hinzustellen. Aber die Civitas Dei, auf die Erde projeziert, wäre Verwirklichung des Dritten Reiches in diesem Jammertale. Lewin hält dies aber für utopistisch, und hätte es auch noch nie gegeben: "Das war nie erfüllt, auch nicht in dem von Landsberg und Guardini verklärten Mittelalter. Guardini träumt von einem Wesenhaftwerden der Staatsidee in der Persönlichkeit, in der Seele, von einem Körperhaftwerden der Liebe zu Staat und Volksgemeinschaft in liturgischer Haltung. Bei einem so selten feinen Denkerkopf kann es wehtun, daß er alle Beziehung zum Konkret-Lebendigen und zur Härte historischen Geschehens verliert. Es entgeht ihm, daß der Weltkrieg eine Cäsur ganz anderen Gewichts im Schicksalsgange der Menschen bedeutet" (ebd., S. 84). Im 17. Brief heißt es dann: "So die Landsberg, die Guardini - offenbar höchst fein besaitete Geister. Haben wohl aber kaum etwas vom Leben erfahren, leben darum und agieren wie in Trance. In jenen Kreisen hegt man den kindlichen Glauben, das Leben sei liturgisch zu formen. Man lernt, das `Leben erfahre sich an Gegensätzen´, man registriere und schematisiere nur all die Gegensätze, und schon begriffe man das Leben, schon habe man es in der Hand. Das wäre dann die neo-katholisch-romantische Pragmasie. Im Grunde sind alle diese Vertreter eines aktivitätlichen, jugendbündlichen, neo-katholischen Intellektualismus im Grunde sind sie alle Esoteriker. .. Wäre nur Romano Guardini zu den Quellen gegangen, er hätte seine Gegensatz-Philosophie nicht betrieben. Obzwar er von den Quellen weiß! Gewiß weiß dieser vortreffliche Magister der Philosophie auch, daß die Griechen schon ihr Spiel mit den Gegensätzen hatten. Doch Guardini vermeint, einen neuen Weg zu gehen, den katholischen Weg zur Erfassung des Konkret-Lebendigen. Ein schöner, aber anaemischer Gedanke! Die germanische Erbschaft im romanischen Guardini trieb den armen Philosophen in das kimmerische Dunkel monströser Philosopheme. Er wird sich vergeblich dagegen sträuben, aber faktisch ist er in den Fängen der Hegel-Fichte-Kant-Abstrusitäten. Schon, weil er aus Erbaffinität das Idiom jener Geister adoptiert. Denn auf Lateinisch oder Italienisch hätte Guardini sein Buch nicht schreiben können. Nur ist Guardini, eben wegen der Quote von Latinität in seiner Geistigkeit, nicht so verschwommen wie jene Köpfe. Aber Gott sei´s geklagt, er spricht den ideologischen neu-romantisch prezieusen Jargon wie nur einer. Also das Konkret-Lebendige wollte erfassen, und griff ganz und gar daneben. Warum? Er spielt mit Antinomien; die aber taugen wohl nicht, einen Hund vor den Ofen zu locken. Guardini verlegt die sterilen dialektischen Antinomien aus der ratiocinierenden Vernunft in das Lebendige selbst. Er vergißt, daß die Oppositio terminorum der Scholastik nichts als begriffliche Analysenarbeit sein will. Indem Guardini die Abstrusitäten der Ideologie in einer gezierten neo-romantischen Sprache denkt, verdirbt er zu neo-idealistischer Spielerei, was die Griechen wenigstens treffsicher hingestellt hatten. ... Alles, was Guardini sagen konnte, nur - sind wir dem Geheimnis des Lebens nicht um Haaresbreite näher gekommen. ... Der romanische Guardini hat dies übersehen. Er revidiere nur noch einmal sein enantiologisches Denken; vielleicht erblickt er erschreckt sein Antlitz in diesem Fichte-Hegel-Spiegel: `Jeder Begriff schlägt in seinen Gegensatz um, um sich mit ihm in einem höheren Begriff zu vereinigen.´ Allenfalls hat enantiologisches Denken etwa heuristischen Wert. Wie Herbart wenigstens für die Psychologie einen Gewinn zog: `Der Gegensatz zweier Vorstellungen ist ein voller, wenn eine von beiden ganz gehemmt werden muß, damit die andere ungehemmt bleibe. Vorstellungen, die einander entgegengesetzt sind und zusammentreffen, werden zu Kräften, die einander widerstehen, hemmen. Grund des Widerstehens ist die Einheit der Seele.´ Ein feinsinniges Apercu! ... Aber Guardinis sämtliche Inferenzen und typologischen Normen sind Gemeinplätze. Bleibt es Apercu, mag´s hingehen. Auch sind Gemeinplätze schöne Erholung und Entspannung. Aber man macht doch kein System aus Binsenweisheiten, keine Typologie aus den Selbstverständlichkeiten der Lebens-Gegensätze! ... Spielerei. Nein, Guardini müßte am Leben zerbrechen, es erleben auf der Konflikts-Ebene aller Agonisten um die Seele herum. ... Aus dem Schema der Lebens-Gegensätze gewinnt man eine spielerische Typologie. Aber in die Tiefe der Persönlichkeit, in das Ich dringt man so nimmer. Daher denn wurde aus Guardinis Typologie eine Normentafel für die Oekonomie des spießerlichen Lebens; eine neue Lebenskunst für die goldene Mittelmäßigkeit; so etwas wie praktische Bürgerkunde mit Eignungsprüfung. ... Guardini sieht wohl selbst, daß er sich an ein fruchtloses Spiel hingibt: `Rechtgesehen, decken sich die Begriffe des Gegensatzes und der Polarität. Ich ziehe den ersteren vor, da er noch weniger zerredet ist.´ (Guardini: Der Gegensatz, p. 16) Warum aber übersieht er, daß gewisse Geister schon an der `Polarität´ ihren armen Geist `zerredet´ haben?" (ebd., S. 392-395).
III. Landsberg und die Jugendbewegung zwischen Scheler und Guardini
Diese Ausrichtung hat nicht zuletzt bei beiden seinen „Sitz im Leben“ in der jeweiligen Auseinandersetzung mit den damals aktuellen Themen der Jugendbewegung.
Rezension zu Landsbergs "Die Welt des Mittelalters und Wir" in den Schildgenossen
Wohl Waldemar Gurian, der zusammen mit Paul Ludwig Landsberg und Werner Becker zu diesem Zeitpunkt noch völlig zwischen Romano Guardini, Max Scheler und Carl Schmitt stand, hatte in der Quickborn-Kulturzeitschrift „Die Schildgenossen“ das Buch „Das Welt des Mittelalters und wir“ besprochen (W. G.: Rezension zu: Landsberg, Die Welt des Mittelalters und Wir, in: Die Schildgenossen, 3, 1922, S. 44 f.). Gurian lobte darin Landsbergs Fähigkeit Geschichte zu deuten, ohne in den Fehler der Verherrlichung einer unmöglichen Restauration zu verfallen.
Eine Rezension Landsbergs in den Schildgenossen (1922/23)
Bislang häufig übersehen wurde, dass Landsberg bereits zum Schildgenossen-Jahrgang 1922/23 eine Rezension über Peter Dörflers „Stumme Sünde“ beisteuerte, die ebenfalls die Nähe zu Guardini dokumentiert: „Die ganze Neuzeit krankt an einer Relativierung des Sündenbegriffes, die beginnt bei Jakob Böhme. Für ihn wird das Böse notwendig zur Hervorrufung des Guten. Nicht umsonst gefiel diese späte, in manchem entartete Sproß der deutschen Mystik den Romantikern so gut, deren spielende Seele auch stets in der Gefahr war, den Ernst gerade der moralischen Entscheidung zu vergessen. Hegel endlich trieb durch sein dialektisches Prinzip den Wahnsinn auf die Spitze. Er wagte es, das Identitätsprinzip zu leugnen: Gut war nicht mehr Gut und Böse nicht mehr Böse. Das Ende kennen wir in Nietzsche, den gewaltigen Protest in Kierkegaard, der sich als welthistorischer Gegner gegen Hegel fühle: Der Mann des `Entweder-Oder´ gegen den des `Sowohl-Als auch´. – Diesem unheilvollen Relativierungsprozeß ist nicht in erster Linie durch begriffliche Erwägung zu begegnen, vielmehr durch einfache Hinstellung des Felsens der Realität der Sünde, an dem er scheitern wird.“ Landsberg übt schließlich „Kritik an all diesen `Psychoanalytikern´, diese feinen Versteher der Sünde und Verführer zur Sünde.“ (Paul Landsberg: Rez. Peter Dörfler, Stumme Sünde, Kempten 1922, in: Die Schildgenossen, 3, 1922/23, Heft 2, S. 78 f.)
Der Bonner Scheler-Kreis
Paul Ludwig Landsberg (1901-1944) wurde eine der führenden Gestalten, vielleicht sogar Mittelpunkt des Bonner Scheler-Kreises, dem neben Landsberg selbst die Kunsthistoriker bzw. Kulturphilosophen Heinrich Lützeler (1902-1988), Paul Clemen (1866-1947), aber auch der schon der ältere herangezogene Wilhelm Robert Worringer angehörten. Dabei scheint Scheler selbst bei den Treffen des Schüler- und Freundeskreises gar nicht so häufig anwesend gewesen zu sein. Überdies hatten einige sogar den Eindruck, dass während seiner Bonner Zeit vielmehr Guardini der eigentliche Inspirator für den Scheler-Kreis war. Tony Foerster zum Beispiel erinnerte sich daran, dass dort immer viel geredet und debattiert worden sei, bevor Guardini dann “das allein Endgültige” ausgesprochen habe (Brief von Tony Foerster an Guardini vom 20.2.1965 (zum 80. Geburtstag, Stabi), zitiert nach Gerl, 1985, a.a.O., S. 132).
Die Besprechung zwischen Max Scheler, Romano Guardini und einigen Jugendbewegten in Köln
Dies könnte auch für eine Außenwahrnehmung des Schüler-Kreises gesorgt haben, der zwar Landsberg deutlich widersprochen hat, aber wohl dennoch nicht gänzlich von der Hand zu weisen ist. Im Sommer 1922 fand nämlich eine Besprechung zwischen Max Scheler und einigen Jugendbewegten in Köln statt, an der auch Romano Guardini teilnahm und die zu einem Diskurs zwischen der Pädagogin, Soziologin und Frauenrechtlerin Elisabeth Busse-Wilson (1890–1974), Autorin der Studie „Die Frau und die Jugendbewegung. Ein Beitrag zur weiblichen Charakterologie und zur Kritik des Antifeminismus“ (1920), und Paul Ludwig Landsberg in der Zeitschrift „Die Tat“ führen sollte (Elisabeth Busse-Wilson: Max Scheler und der homo capitalisticus, in: Die Tat, 14, 1922/23, S. 179-186, besonders S. 184f.; dann in dies.: Stufen der Jugendbewegung. Ein Abschnitt aus der ungeschriebenen Geschichte Deutschlands, Jena 1925, S. 55-63, besonders S. 61 f.; Paul Landsberg: Zu „Max Scheler und der homo capitalisticus“, in: Die Tat, 14, 1922/23, S. 468f.; Elisabeth Busse-Wilson: Scheler und seine Schüler, in: Die Tat, 14, 1922/23, S. 469f.).
Wie stark Landsberg die Jugendbewegung wahrgenommen hatte und wie nahe er insbesondere Guardini geistig stand, zeigt unter anderem sein heftiger Einspruch gegen eine Schilderung dieser Versammlung von Jugendbewegten bei Scheler durch Elisabeth Busse-Wilson: „Die Auseinandersetzung zwischen Scheler und Guardini war eine rein sachliche. Guardini als Theologe sieht natürlich mehr das rein Religiöse, Scheler als Philosoph und Soziologe mehr die Bedingtheiten der Verwirklichung. Beide zusammen hätten bei einer Fortsetzung der Besprechungen zu einem Gesamtbild gelangen können, das so aus den Wahrheiten beider sich zu bilden jedem einzelnen Teilnehmer der Tagung überlassen blieb. Alles in allem scheint mir die sachliche Einstellung, die für solche Berichte nötig ist, von E. Busse-Wilson fast nirgends eingehalten. Ihr Aufsatz ist geistreich und gebildet, aber er gibt ein falsches Bild von den Tatsachen, Gedanken und Menschen, die er berührt“ (Paul Landsberg: Max Scheler und der homo capitalisticus, in: Die Tat, 14, 1922/1923, S. 468f., hier S. 469).
Busse hatte in ihrem „Tagungsbericht“ die These aufgestellt, Scheler vertrete „eine Renaissance des Katholizismus und des Mittelalters, die man durchaus verkennen würde, wenn man sie mit dem romantischen Zeitalter gleichsetzen würde. Er nennt den Gegenpol des katholischen Prinzips den „homo capitalisticus“, dessen geistige Struktur und Typologie er mit MAX WEBER aus dem Heraufkommen des protestantisch-calvinistischen Bürgertums Mitteleuropas erklärt“ (Elisabeth Busse-Wilson: Max Scheler und der homo capitalisticus, in: Die Tat, 14/I, 1923, S. 179-186, hier S. 180). Schelers „romantische Utopie, Franziskanertum und Heidentum (machiavellistischer und kapitalitischer Artung) zu vereinen, wurde aufgelöst von dem vortrefflichen Führer der katholischen Jugendbewegung ROMAN(O) GUARDINI, der mit dem der Jugendbewegung eigentümlichen Gefühl für ethische Unbedingtheit und Echtheit auftrat: Staatsmoral und Privatmoral sind nicht zu trennen! Bismarck habe seinerzeit mit Genialität und olympischer Ruhe den 70er Krieg vorbereitet - bis zur Fälschung der Emser Depesche. Das Unternehmen verlief glänzend, Gottes Segen ruhte sichtbar auf ihm, und nach 50 Jahren kam die Antwort auf die Emser Depesche im Versailler Friedensschluß von 1919! Scheler musste sich belehren lassen, dass das Moralische in der Politik wie im Einzelleben in der Folge auch das „Nützliche" ist. Denn die geistigen Gesetze können wie Naturgesetze nicht umgangen oder übertreten werden, ohne, unsichtbar zunächst, aber heimlich und sicher sich an den Enkeln zu rächen. Leider wurde in diesem Zusammenhang das Thema des Großinquisitors von keinem von beiden berührt. Gleichwohl vertrat Guardini, ausgerüstet mit philosophischer philosophischer Kultur und geistiger Strenge zugleich, am edelsten jenen Typus des neuen religiösen Menschen, der die kostbarste Frucht der Jugendrevolution ist. Als Scheler dann, politisch und richtig, feststellte, dass die Durchsetzung der neuen antikapitalistischen Gesinnung durch den Einzelnen unfruchtbar bleiben muß, und beinahe vor einem neuen, nutzlosen Freiwilligentum warnte, erwies sich wiederum dieser katholische Geistliche als der dem Ethos des Jugendmenschen verwandtere. Und nützt der Kampf für eine Idee weder mir noch anderen, noch dem Siege dieser Idee selber so muß ich doch sagen - „ich habs gewagt fürwahr" und nach meiner individuellen Ethik handeln. In Sachen der Moral darf nicht gerechnet werden; denn der Gott in mir ist das Höchste. Schelers Bewunderung für den Typus des übermoralischen Helden hängt an einer Stelle mit der Anerkennung einer höchsten zeitlichen und weltlichen Moralinstanz zusammen, die aber der Christ und vor allem der Katholik außerhalb der göttlichen Offenbarungswerte nicht gelten lassen dürfte. Darf ein verantwortlicher politischer Führer seine Privatmoral opfern, um einer überpersönlichen Institution, z. Ä. dem Staat, Vorteil und Ehre oder Wohlfahrt zu retten? Woher nimmt der Staatsmann, der gegen seine politische Überzeugung im Amte bleibt, allein um eine schwere politische Situation zu überwinden, woher nimmt er die Kraft, um vor sich selbst nicht gesinnungslos zu erscheinen? Was ist es, das Hindenburg, einen altpreußischen Militär und kaisertreuen General, seinerzeit befähigte, nach Errichtung einer sozialistischen Republik, die Armeen nach Deutschland zurückzuführen? Bezeichnenderweise fiel hier nicht das Wort „Pflicht", was unangenehm nach kantischer Häresie und Gotteslästerung geschmeckt hätte. Der eigentümliche Riß in Schelers Lehre trat auch zutage, als man ihm die Gewissensfrage stellte, wie die Umgestaltung der kapitalistischen Welt nun realiter zu bewerkstelligen sei. Er neigt sehr dazu, in dem aufgeklärten Absolutismus einer oder zweier Wirtschaftsdiktatoren das Heil zu sehen. Denn er ist zugleich Augustiner und Bewunderer der Kondoitieri des Kapitalismus von der Art eines Hugo Stinnes. Katholik aus metaphysischem Bedürfnis, nicht aus Romantik wie viele Dichter und Denker, ist er gleichzeitig heimlich verliebt in den selbstherrlichen Unternehmer, der doch zugleich sein Antichrist ist. Hierdurch wird Scheler aber zum Romantiker des Kapitalismus. Er glaubt dabei nicht etwa an die Theorie des wissenschaftlichen Sozialismus von der Selbstaufhebung des Hochkapitalismus, dadurch, dass das in einer Hand voll Leuten konzentrierte und vertrustete Kapital notwendig zur Sozialisierung hinüber führt. Auch seine Vermutung, dass der Abbau des kapitalistischen Zeitalters durch das biologische Aussterben des kapitalistischen Menschentypus erfolgen werde (spärlicher Kindersegen in dem protestantischen höheren Bürgertum, im Gegensatz zu katholischen Familien), erscheint als eine Rassenmythologie. Von hier aus gelangt er, der eine zentralistische Gewalt zur Heilung des demokratisierten Deutschland befürwortet wie viele, zur Ablehnung der Diktatur des Proletariats, mit der Begründung, dass diese soziale Klasse nicht gesellschaftsneubildend sein kann, weil sich im Proletariat wahrscheinlich nicht mehr akapitalistische Menschen befinden als im Bürgerrum. In der Tat ist ja nur eine Elite im Proletariat die neue Rasse, die eine absterbende Menschenschicht ablösen könnte, im ganzen aber stellt es eine barbarische, verschlechterte Auflage des Bürgertums dar. Das Rückgrat der neuen Gesellschaft sollen nach Scheler vielmehr die akapitalistischen und die antikapitalistischen Menschen aus der Jugendgeneration des Bürgertums und des Proletariats bilden. Können nun diese Gottsucher, Beter bleiben, während sie doch gleichzeitig die Welt wandeln sollen, deren Schicksal aber in den Händen jener Eroberernaturen der kapitalistischen Regierungen Europas liegt? Ist so Scheler eine interessante Mischung eines wahrhaftigen und echten Katholiken und eines Kryptokapitalisten und -protestanten, so ist Guardini kristallklar, Heiliger ohne die Intellektscheu des Gläubigen; auch ist er zugleich ein Erbe jener romanischen Kultur, die die katholische Kirche in so großartiger Weise konservierte und die den germanischen „Barbarenhorden“ der Jugendbewegung völlig abgeht. Guardinis Ethik führt in ihrer Reinheit und Unbedingtheit auf jene letzte große Einsamkeit, wo der Mensch mit seinem Gott allein ist. Eben das ist die metaphysische Haltung der Jugendbewegung, nur daß diese kosmische Einsamkeit, eine protestantische Konsequenz, für den Katholiken immer gemildert ist durch Absolution und Zuspruch seiner Kirche“ (ebd., S. 184).
Im Kontext argumentierte Landsberg also „im Interesse sowohl der Wahrheit wie der beteiligten Personen“ gegen Busse: "[…] Als mir der Aufsatz in Händen kam, war mein erster Gedanke: meine Erinnerung täusche mich über den Verlauf der Tagung, von der E. Busse-Wilson berichtet. Da aber alle anderen Teilnehmer der Tagung, die ich erreichen konnte, mit meinem Bilde übereinstimmten und über das von Frau Busse-Wilson gleich erstaunt waren, so wird die Erinnerungstäuschung wohl bei ihr liegen. Unser Gemüt hat ja eine unermeßliche Kraft, Erlebnisse und Erfahrungen schon in sehr kurzer Zeit bis zur Unkenntlichkeit umzuformen. – Und nun zur Sache! Zunächst ist der Standpunkt Schelers bis zur Zerstörung seines Sinnzusammenhanges verzerrt. Scheler vertritt zwar, wenn man durchaus so will, eine Renaissance des Katholizismus, aber durchaus keine Renaissance des Mittelalters, so sicher er meint, daß wir auch von diesem als Strukturvorbild viel lernen können. Im Gegenteil will er gerade einen Katholizismus, in den das Berechtigte der Neuzeit eingegangen ist. Nach meiner Ansicht geht er in diesem Punkte sogar zu weit. Es ist auch nicht wahr, wenn es dann weiter heißt: „Sehr im Gegensatz zu M. Weber geht Scheler der Anerkennung der großartigen, positiven, moralischen Qualitäten dieses `homo capitalisticus´ aus dem Wege.“ Auch davon kann gar keine Rede sein. Der `homo capitalisticus´ ist für Scheler keine wertlose, sondern eine tragische Figur. Daß Scheler endlich die Neuzeit mit den Mitteln der materialistischen Geschichtsansicht zu erklären suche, ist die falscheste all dieser falschen Behauptungen. Man versteht kaum, wie E. Busse-Wilson darauf verfällt. Der materialistischen Geschichtsauffassung billigt Scheler ein gewisses Recht zu, auch nur mit weitläufigen Modifikationen, zur Erklärung von Phänomenen innerhalb des Kapitalismus, nicht aber zur Erklärung des Kapitalismus selbst, oder gar der gesamten Neuzeit. Deren Gesamtzustand führt er in erster Linie auf religiöse und überhaupt geistige, dann auf biologische Faktoren zurück. Damit wird die Polemik Seite 181, die etwa gegen Kautsky am Platze sein mag, durchaus gegenstandslos. Das Resultat all dieser einzelnen Täuschungen ist dann, daß die Verfasserin in Schelers Lehre einen endgültigen `Riß´ findet und sein Wesen nur als `interessante Mischung´ verstehen kann. Scheler ist eben durchaus kein mittelalterlicher Mensch, aber auch kein `Kryptokapitalist und Protestant´. Er ist ein Drittes, das man noch nicht aussagen mag. Man kann neue Erscheinungen eben nicht immer mit den Kategorien der Mädchenschule begreifen. Noch weit schlimmer als Scheler spielt E. Busse-Wilson Guardini mit. Versteht sie denn nicht, daß ihr unziemliches Lob Guardini tief verletzen muß. An die Stelle des solidarischen Miteinander, welches die Tagung beherrschte, setzt sie ein Gegeneinander, das Gott sei Dank nicht vorhanden war. Die tiefe Einheit, die Scheler und Guardini – trotz der Meinungsverschiedenheiten – verband, scheint sie nicht bemerkt zu haben. Den anwesenden Schülern Schelers streitet sie gar (S. 180) mit journalistischer Leichtfertigkeit die Sachlichkeit ab. Guardini wird dafür danken, als „Heiliger ohne Intellektscheu des Gläubigen“ eingeführt zu werden. Mag es so sein oder nicht so sein; jedenfalls ist es ebenso unerlaubt als grotesk, bei der öffentlichen Beurteilung eines Menschen solche Maßstäbe und Worte zu profanieren. Es bleibt die Annahme, daß sie sich der Tragweite ihrer Worte nicht ganz bewußt war, ein Opfer der seelenverheerenden Wortentwertung unserer Tage. Daß sie einige Zeilen weiter der Jugendbewegung als „germanischen Barbarenhorden“ Guardinis „romanische Kultur“ gegenüberstellt, mutet wie ein schlechter Scherz an. Ich mußte an einen Franzosen denken, der da sagte: in Ostpreußen herrschten noch „lex vieux dieux“ und damit Wodan und Freya meinte. Immerhin ist seit Teuts Zeiten mit den Deutschen doch einiges geschehen. Glaubt sie denn wirklich, daß die Quickborner aus dem Rheinland, aus Schwaben und Bayern, die Wandervögel und Freideutschen aus Berlin, Norddeutschland und dem Osten „germanische Barbarenhorden“ sind? „Das deutsche Wesen und die Form“, das ist ein langes und schwieriges Kapitel, das sich so leichtfertig nicht erledigen läßt“ (Paul L. Landsberg: Zu „Max Scheler und der homo capitalisticus“, in: Die Tat, 14/I, 1923, S. 468 f.)
Es folgt noch das eingangs bereits wiedergegebene Schlussurteil.
Busse reagierte sehr apodiktisch, aber sehr entschieden auf die Kritik Landsbergs, wobei sie sich darin nicht mehr direkt auf Guardini bezieht: „Immer ist der Zuschauer im Vorteil vor dem Mitspieler. Er sieht bei weitem mehr als jener, und wenn er gar den Vorzug genießt, geistreich und gebildet genannt zu werden, so ist er einfach schon durch die Distanz überlegen. Wieviel größer wird aber seine kritische Fähigkeit zur Synopsis der verschiedensten Köpfe und Temperamente sein können, wenn er außerdem noch frei ist von jeder sektiererhaften Verfallenheit. Die Führerhysterie, diese Epidemie der Jugendbewegung verschont auch die Besten nicht. Sie erzeugt einmal ein merkwürdiges Bedürfnis nach Selbstaufgabe oder eine gereizte Aggressivität. [Das sind die mildernden Umstände, die man dem blutigen Ausfall zubilligen muß, mit dem ein treuer Diener seinen Meister rächen zu müssen glaubt. Man erlebte schon, wie Wyneken kühn und kindlich von seinen Anhängern gedeckt wurde. Aber hier war, weil der Gegner schon überhaupt nicht nach Recht und Unrecht frug, der Verteidigungsfall gegeben. In unserem Falle aber, gibt ein Schildknappe vor, seinen verwundeten Herrn zu verteidigen, während er in Wahrheit sich hinter ihm verschanzt, weil er sich selbst angegriffen fühlt. Es scheint, daß er sich durch eine Stelle meines Aufsatzes getroffen fühlt, die er aber nicht anführt: „Scheler war gleichsam von einer Prätorianergarde von Schülern umgeben, die den Meister vor dem Ansturm der kantisch verdächtigen Eindringlinge schützen sollten.“ – Er entwertet durch seine Affektäußerungen nur seine Argumente, und das Prädikat, das er mannesstolz beliebt, fällt dabei auf ihn selbst zurück, wie auch jene Hörigkeit sonst ja als typisch weibliche Eigenschaft gilt.] Aber wie nun Dante und Goethe durch die Anerkennung überzeugungstreuer Gymnasiasten und Lehrer nicht gehoben und nicht geschmälert werden, so wird die wirkliche Bedeutung Schelers durch die Ergebenheit frommer Jünger weder bewiesen noch überhaupt erreicht. Das Geniale dieses Mannes ist in dem Beisammensein der ganzen Last des entwicklungsgeschichtlichen „wissenschaftlichen“ Zeitalters und der zeitlosen philosophischen Umschau Zeugungskraft. Es schien sonst nur zwei Auswege aus der geistigen Not, aus dem Getriebe der entgötterten und entzauberten Welt zu geben: die Verfluchung der grauenhaften Nüchternheit des kapitalistischen Zeitalters oder aber die Flucht. Darin sehen z.B. alle die ihr Heil, denen der Dichter George Prophet und Vorbild ist. Scheler aber bejaht ungeschönt diese kapitalistische Welt, als deren Repräsentant er sich fühlt. Er handhabt die Wertungen dieses seelenlosen Zeitalters, ihre Wissenschaften als glänzender Meister und bezweifelt sie bereits schon wieder, weil er vielmehr noch Metaphysiker ist. Dies gilt um so mehr, als er trotzdem immer die psycho-materiellen Motive bei der Erklärung scheinbar unauflösbarer geistiger Umstände heranzieht (z.B. erweist er die ungemeine Wirkung des Spenglerschen Untergangswerks aus der Gemütslage der deutschen als besiegter Nation – eine sehr naheliegende materialistische Interpretation). Die „gemeine Natur“ des Menschen, die Triebgrundlagen unserer Existenz, die andere Denker und Propheten verachten oder verdrängen, die proletarischen Philosophen aber nicht nur theoretisieren, sondern auch mit einer gewissen trotzigen Überbetonung hervorkehren – und die gesamte Wissenschaft, die sich auf diesen Seiten der Natur gründet -, diese verwirft er nicht, sondern er ist mit diesem Wissen dennoch gleichzeitig religiöser Denker. Und damit hat er die kapitalistische, entgötterte Welt erlöst, wie sie sonst nur der Prophet, der Dichter erlösen kann. Und trotzdem ist er gegebenenfalls, wie gesagt, reiner Marxist, d. h. Mathematiker der Wirklichkeiten, wenn es sich um die Interpretation des bürgerlich-kapitalistischen Zeitalters handelt, arbeitet er vorwiegend mit psycho- und sozio-ökonomischen Komponenten. Und eben diese schwer erkennbare, unbewußte Wertbetonung macht ihn angreifbar und zugleich unangreifbar, was allerdings nicht leicht zu beweisen war. Denn jene scheinbar materialistische Analyse bleibt dadurch letztlich eine idealistische (wenn auch eine mehr oder weniger negativ wertende). Alle die rationalen Begründungen durch anthropologische Blutmischung, soziologischen Schichtenwechsel usw. sind so erst die Folge jenes schon vorher gefällten, aber unausgesprochenen Werturteiles. Daß Scheler dem großartigen Phänomen des Kapitalismus dabei keineswegs einseitig gegenübersteht, sondern als „heimlich Verliebter“, wie ich es nannte, oder auch als Bewunderer seiner latenten Tragik – das wurde keineswegs verschwiegen. Diese Art notwendigen Subjektivismus in der Wertauslese errichtet nun aber bestimmte Erkenntnisgrenzen: man unterbreite einem Konservativen die Machtgrund. lagen, Werke und Ziele von Sowjetrußland – so wird er sie intellektuell vollkommen verstehen, kann aber trotz einer gewissen Seelenverwandtschaft den geistigen Gehalt dieses Staatswesens nicht assimilieren -, er kann ihn nicht brauchen. Und wenn man einen Hellenen oder einen antik empfindenden Menschen der Moderne in das patristische oder mittelalterliche Christentum versetzte, so kann er die Substanz dieser geistigen Welt, trotz ehrlicher und respektvoller Würdigung sich nicht aneignen. So muß auch Scheler, der die protestantische Geisteshaltung besser als irgendeiner kennt, das gesamte bürgerlich kapitalistische Zeitalter subordinieren und nicht koordinieren. Mag nun meine eingehende Kritik der materialistischen Geschichts- und Gesellschaftsauffassung nur zum kleinsten Teile auf Scheler selbst angewandt werden können, so sagt das nichts gegen die Allgemeingültigkeit und die Bedeutung einer solchen Kritik in einem Zeitpunkte, wo führende sozialistische Theoretiker sich sowohl von der religiösen wie von der philosophischen Seite her dem Standorte Schelers annähern, während er selber von oben her jene moderne Gesellschaftstheorie in ihrem Bereiche anerkennt und mehr noch sie anwendet. Unsere Abhandlung stützte sich hierbei keineswegs nur auf das, was Scheler ausgesagt hat, sondern auch auf seine Werke, wie sie schon ihrem Titel nach sich keineswegs auf einen Tagungsbericht beschränkte. Was nun diesen selbst anbetrifft, so durften wir das Urteil von Schülern gegenüber ihrem Meister als befangen ablehnen. Ihr Erstaunen über die erlittene Darstellung ist ebenso berechtigt, als sie natürlich und einfach ist. Unbequem mag es auch sein, sich einordnen und interpretieren zu lassen und gar sich loben lassen zu müssen. Viel lieber hätte man einen richtigen, d.h. einen ungerechten Gegner gehabt. Unabhängigen Teilnehmern ist es auch nicht überraschend, wenn andere, z.B. die Katholiken, erstaunt und betroffen sind, daß ihre Weltanschauung sich so in dem Kopfe eines Außenstehenden spiegelt. – Wird je ein Protestant sein Reformationszeitalter bei einem englischen Historiker wiedererkennen? Oder: man unterbreite einem Anhänger der monumentalen Geschichtsauffassung eine sozialwissenschaftliche Studie über die Zeit des Siebenjährigen Krieges, und er wird erstaunt und empört sein, was aus dem Helden Fritz unter den Augen eines modernen Sozialpsychologen geworden ist. Und noch ein Fall: die berühmte Bekanntmachung von der Niederlage bei Jena 1806, wie wird sie interpretiert werden von einem Treitschke, von einem Lamprecht, von einem Franz Mehring? Je nach der Gruppenzugehörigkeit verschieben sich die Ereignisse und Ideen und deren Sinngebung. Es gibt aber dennoch ein Unableitbares, Irrationales im Wandel der Geschichte, etwas, das nicht mehr der Relativität unterworfen ist; um dieses freilich zu erkennen, muß man den mühseligen Weg der Wissenschaft gehen. Schelers Schöpfung ist da. Er wird erst Jünger haben, wenn er keine Schüler mehr hat. Es mutet daher auch ein wenig allzu eifrig geschäftig an, wenn Rechtgläubige um seine Geltung besorgt sind. Auch die Jugendbewegung braucht man nicht in Schutz zu nehmen. Denn auch ich bin in Arkadien geboren. – Daß diese nun einen ganz bestimmten Menschentypus repräsentiert, nicht nur im geistigen und ethischen Sinne, sondern auch im sozialen und beinahe im anthropologischen Sinne, kann nur der ermessen, der 15 Jahre zugleich in und über ihr gestanden hat. Diese Menschen, die ihrer Wesensart nach hoffnungsvoller und sieghafter sind, als sie es selber ahnen oder je zugeben würden, stellen gleichzeitig jene Jünglinge mit „den tiefernsten Gesichtern und den schlechten Manieren“, wie sie Verfasserin an anderen Orten charakterisiert hat – eine schwer beschreibbare Ausgeprägtheit deutsch-teutonischen Wesens. Sieht man dann noch die Versammlungen dieser Menschen, wie sie häufig übernationalen oder antinationalen Zielen hingegeben sind, so verschärft sich der Zug, den wir ohne historische Spielerei als germanisch bezeichneten. Nur ein ausgedörrter Intellektualist wird diese eigentümliche körperlich-geistige Mischung nicht bemerken. Es gibt eine klassische Schilderung „jener schweren philosophischen Naturen, die sich bei der kleinsten Frage stracks in eine muskelstarke Position werfen, wie ein starker Mann, der mit Eisenkugeln spielt, und die nicht die leiseste Andeutung eines Gespräches an sich vorbeihuschen lassen können.“ Sie findet sich bei einem dänischen Dichter J. P. Jacobsen in der Gestalt des Hauslehrers Bigum. Aber nun gleich eine Abwickelung jenes großen Problems zu verlangen, das seit 400 Jahren den deutschen Geist quält — vom deutschen Wesen und der Form – eben das wäre eine typisch hochnäsige Pedanterie gewesen“ (Elisabeth Busse-Wilson: Scheler und seine Schüler, in: Die Tat, 14/I, 1923, S. 469 ff., dann auch in: dies.: Stufen der Jugendbewegung: ein Abschnitt aus der ungeschriebenen …, 1925, S. 64 ff.).
Weiteres Treffen zwischen Guardini und Scheler im Garten der Landsbergs (Frühjahr 1923)
Ein weiteres Zusammentreffen zwischen Guardini und Scheler fand im Frühjahr 1923 im Garten des Elternhauses von Landsberg statt (Gerl, Romano Guardini, 1985, S. 130ff, S. 142). Diese Begegnung hat einem Bericht Heinrich Lützelers zufolge beide Seiten tief beeindruckt, obwohl dabei nicht nur die Übereinstimmung, sondern auch der Gegensatz deutlich geworden sein muss. “Welch ein Gegensatz! Scheler sagte erschüttert zu uns, seinen Schülern, es bewege ihn tief, dass einer so fest in Gott stehen könne” (Briefliche Auskunft von Heinrich Lützeler vom 25.3.1984 an Hanna Gerl-Falkovitz, zitiert nach Gerl, 1985, S. 142.; aber auch schon in Heinrich Lützeler, Persönlichkeiten, a.a.O., S. 117).
Bei diesem Zusammentreffen dürfte auch das von Lützeler erwähnte Gespräch stattgefunden haben, in dem Scheler den jüngeren Kollegen fragte, “wie er denn wohl den Begriff `Weltanschauung´ interpretiere” und “ihm gleich ein halbes Dutzend Möglichkeiten” vorschlug: “Guardini, gar nicht belesen, war völlig verschüchtert. Uns Studenten schien es damals, als sei ein Menschenfresser auf den verwirrten Dozenten der Dogmatik zugegangen. Nachher aber zeigte sich Scheler bewegt davon, dass es dies noch gab: einen Menschen unserer Gegenwart, ungezwungen und weiten Herzens aus der Ordnung lebend” (Heinrich Lützeler: Persönlichkeiten, a.a.O., S. 117).
IV. „Wesen und Bedeutung der platonischen Akademie“ und der „aristotelischen Schule“ (1923/24)
Wesen und Bedeutung der platonischen Akademie
Landsbergs zweite größere Arbeit, mit der er schließlich im Februar 1923 die philosophische Doktorwürde erlangte, war die Abhandlung über „Wesen und Bedeutung der platonischen Akademie“ (Bonn, 1923). Sie behandelte also ein für Guardini hoch aktuelles Thema, war er zu dieser Zeit gerade dabei, erste Überlegungen für die Burg Rothenfels in Richtung „Akademie“ anzustellen.
Für Landsberg steht die platonische Akademie am Anfang jedes zunächst “jugendlichen und dann geistigen Reiches” (ebd., S. 88). Dies sei so zu Platons Zeit gewesen und so sei es auch heute noch. Die Akademie brauche dazu eine herrscherlich führende Gestalt, wobei nicht der Lehrer das eigentlich Bindende sein darf, sondern das Göttliche, wovon er lehrt: "Nur durch solchen Dienst an einem Wesen, das über den Individuen steht, kann es auf die Dauer menschliche Gemeinschaft geben." In einer Fußnote verweist Landsberg dabei ausdrücklich auf das Kapitel über „Liturgische Gemeinschaft“ in Guardinis „Vom Geist der Liturgie“ (Paul Ludwig Landsberg: Wesen und Bedeutung der platonischen Akademie, a.a.O., S. 92).
Das in der Guardini-Bibliothek der Katholischen Akademie in Bayern aufbewahrte Exemplar der Schrift weist eine persönliche Widmung von „P. L. L.“ auf: „Romano Guardini in Freundschaft und Sehnsucht nach baldigem Wiedersehen“. Außerdem ist dem Titel ein lateinischer Widmungsspruch zugesetzt: „Introite nam et heic Dii sunt“, was übersetzt bedeutet: „Tretet ein, denn auch hier sind [die] Götter!“, also jene Worte, die Lessing dem Drama „Nathan der Weise“ vorangestellt hat (Privatbibliothek Romano Guardinis, Schloß Suresnes der Katholischen Akademie in Bayern, Signatur: gb 3983).
„Zur Erkenntnissoziologie der aristotelischen Schule“
Sein Beitrag zum von Max Scheler herausgegebenen Sammelband „Versuche zu einer Soziologie des Wissens“ aus dem Jahr 1924 gilt als Ergänzung seiner Dissertation (vgl. dazu Verena Lenzen: Paul Ludwig Landsberg - ein Name in Vergessenheit, in: Exil, 11, 1991, Nr. 1. S. 5-22, hier S. 10). Unter dem Titel „Zur Erkenntnissoziologie der aristotelischen Schule“ schreibt er abermals in geistiger Nähe zu Guardini: „Die Akademie Platons war die soziologische Gestalt, in der ein kleiner auserwählter Freundschaftsbund durch Eros und Erkenntnis der Ideen sich vom blinden Erdenleben zu wahrer Anschauung zu erlösen strebte. Diese Seelen gehen verbunden geraden Weges nach oben, dem überhimmlischen Orte zu; alles Wissen ist ihnen nur Mittel, dorthin zu gelangen. — Ganz anders Aristoteles und seine Schule. Der in hoher Geistigkeit gesammelte Weise schaut hier um sich und herab, erfaßt die Dinge dieser Welt in ihrer Vielfalt und ihrem gestaltigen Gesamt, sucht die Vielfalt zu beschreiben und die Gestalten durch Begriffe abzubilden. Diese geistige Wendung muß seine Schule mitvollziehen. Der Weg von der Akademie zur peripathetischen Schule ist der Weg von der Erlösungssekte zur Universitas literarum. Diese Schule ist vielleicht die einzige „universitas", die je existiert hat. Die welthafte Einheit alles Einzelnen war hier durch die umfassende Gesamtvision des Lehrers schon vorausgegeben. Der späteren Wissenschaft ist sie als ,Synthese' ewig aufgegeben, wird von den Philosophen des aristotelisch Welt und Wissenschaft zugewandten Typs immer wieder gesucht. Einheit zu schaffen in der Vielfalt, durch deren organische Gliederung in ein geordnetes Formenreich, ist Grundzug aristotelischen Philosophierens“ (Paul Ludwig Landsberg: Zur Erkenntnissoziologie der aristotelischen Schule, in: Max Scheler (Hrsg.): Versuche zu einer Soziologie des Wissens, München und Leipzig 1924, S. 295-301, hier S. 297).
V. Weitere Studien Landsbergs 1923 bis 1928
Fortsetzung des Studiums in Berlin
In den Jahren 1923 und 1924 setzte Landsberg seine Studien in Berlin fort, unter anderem bei Sombart und Wertheimer. Es könnte jedoch durchaus sein, dass er insgeheim Guardini dorthin gefolgt ist. Denn inzwischen hat er sich – ohne Scheler aufzugeben - deutlich stärker an Guardini denn an Scheler orientiert. Die gemeinsame Liebe zu Platon und für die sokratisch-platonische Dialogik lässt eine Freundschaft wachsen, die zumindest noch bis 1929 fruchtbar ist. Von 1925 bis 1928 studierte Landsberg dann wieder teils wieder in Bonn, teils in Freiburg und teils erneut in Berlin, unterbrochen von ausgedehnten Reisen.
„Die Lehre des Novalis“ (1923)
Hatte Landsberg bereits seiner ersten Arbeit ein Novalis-Zitat vorangestellt, gibt er ebenfalls noch 1923 gemeinsam mit Lützeler die Religiösen Schriften von Novalis heraus und schreibt dafür eine Einleitung unter dem Titel „Die Lehre des Novalis“ (in: Novalis: Religiöse Schriften, hrsg. von Paul Ludwig Landsberg und Heinrich Lützeler, Köln 1923, S. 5-17). Er charakterisiert Novalis darin als Denker der Innerlichkeit und stellt dessen Wundergläubigkeit, Sehnsucht nach Vervollkommnung und Erlösung heraus (vgl. ebd., S. 14). Interessant ist, dass Landsberg auch hier bereits ausdrücklich von der „Nachneuzeit“ spricht, denn die Neuzeit könne sich „nur durch eine nachneuzeitliche Ordnung, höher als die des Mittelalters (…) rechtfertigen“: „Die Neuzeit ist entweder die schlimmste Zeit des Verfalls und die letzte Zeit vor dem Gerichte oder sie ist eine notwendige Übergangszeit zwischen zwei Ordnungen“ (ebd., S. 17).
Bereits Novalis hatte in seinem 1799 verfaßten Aufsatz „Die Christentheit oder Europa“ die Hoffnung, dass durch den Universalismus der mittelalterlichen Kirche und Frömmigkeit das durch die Reformation und Rationalismus gespaltene Abendland wiedergeboren und geeinigt werde (vgl. dazu Verena Lenzen: Paul Ludwig Landsberg - ein Name in Vergessenheit, in: Exil, 11, 1991, Nr. 1. S. 5-22, hier S. 9).
„Kirche und Heidentum“ (1923/24)
In den frühen zwanziger Jahren gewann Karl Muth einige neue Theologen und Philosophen als Autoren gewinnen, darunter neben Romano Guardini und Karl Neundörfer waren dies Karl Adam, Karl Eschweiler, Paul Simon, Joseph Wittig, Peter Wust, Theodor Haecker und wenig später auch Theodor Steinbüchel auch Landsberg. In seinem Beitrag zum Jahrgang 1923/24 konstatierte Landsberg unter dem Titel “Kirche und Heidentum“ bereits ganz im Duktus Guardinis: “IN ALLEN religiösen Gemeinschaften eine Neudurchseelung der erstarrten Körper, eine Neudurchblutung der blutleeren Organisationen mit Menschenseele und mit Menschenblut, mit eigentlicher, ernster religiöser Leidenschaft. ... Im Versuch der `Verwirklichung´ liegt für die Glauben ein scheidendes Prinzip. Subjektive Wahrhaftigkeit und objektive Wahrheit sind wesentlich aufeinander angelegt und können nicht anders als sich stets suchen. Am Ernst zerbricht der Wahn, und es siegt der wahre Glaube. Solange der Protestant nicht ernsthaft Protestant, der Jude nicht ernsthaft religiöser Jude, der Heide gar kein richtiger Heide ist, können sie sich in ihrem `Glauben´ ... durchaus geborgen fühlen” (Paul Ludwig Landsberg: Kirche und Heidentum, in: Hochland 21, 1923/24, Bd. I, S. 53-63, hier S. 53).
Auch wenn der Weg der radikalen Verwirklichung und damit auch des Ernstnehmens des Wahns meist tragisch sei, führt nur er “zur Wahrheit, von der nur die Lauen stets unwegsam getrennt sind” (ebd., S. 53). Dies gelte gerade auch für die Heiden. Für die lauen Heiden hatte Landsberg nur Verachtung übrig. Diese “moderne Erbärmlichkeit” sei ”Dingdienst und Geldienst” und habe ”mit dem echten Heidentum nur ein negatives Merkmal, den Mangel an der Beziehung des Lebens zu einem transzendenten Richtpunkt” gemeinsam. Wenn jedoch Heidentum “Lebensdienst und Menschen-Götterdienst”, also “frommes Heidentum” sei, wie bei Nietzsche, George, Gundolf oder Klages, werde davon “die christliche Haltung als solche und ganze existentiell in Frage” gestellt und lasse keine falschen “Kompromisse” oder eine falsche “Toleranz” “in der Weise der unbeteiligten Feigheit” zu. Im Gegenzug spricht er von der „modernen Erbärmlichkeit“ (ebd., S. 53 f.).
Landsberg beschreibt den heidnischen “Geisthaß” am Beispiel von Klages “kosmogonischen Eros”, der darauf sinnt den Geist durch Ekstase im Leben immer wieder untergehen zu lassen. Während Klages also die heraklitische Grundrichtung einer “Rücktauchung in das ewige, schöpferische Fluten selbst” vornehme, gingen George und Gundolf - Landsberg erwähnt auf Seiten der “Eleaten” neben George und Gundolf auch noch Friedemann und Salin - unter Bekämpfung von Klages in die dazu polare eleatische Grundrichtung der “Verehrung” der von der ewigen, schöpferischen Flut “hervorgebrachten, schönen und individuellen Gestalten.” Diese “polaren Gegensätze”, die in der Antike noch vom Mythos zusammengehalten sind, werden durch den ihnen gemeinsamen “Geisthass” in der Moderne nun zu unüberbrückbaren Widersprüchen, die nur noch in ihrer Kampfesrichtung “gegen die Geistreligion: das Christentum” einig sind: “Für beide hat ... der Geist als ein Prinzip übernatürlichen Ursprungs keine Stelle im Sein, und wo er gefühlt wird, keine Heiligkeit. Er wird dann als bloße Unnatur, ja als Widernatur empfunden. Man wendet sich gegen den Platonismus, durch Umdeutung in das nur Apollinische ... oder durch offene Bekämpfung” (ebd., S. 55). Denn das Christentum opfere aus der Sicht der Heiden “den wirklichen Eros” einem “Phantom von geistiger Gottes- und Nächstenliebe”. Weniger konsequente Heiden versuchten schließlich "Christus vom Christentum zu trennen und etwa den heiligen Paulus in um so höherem Grade für das, was sie dem historischen Christentume vorwerfen, verantwortlich zu machen”, nicht zuletzt für den Frühkapitalismus und Kapitalismus, die Kolonisation und Weltkrieg. Der Grundvorwurf lautete: “Das indirekte aber notwendige Produkt des Christentums ist der Zynismus, da man im Menschen das Bewusstsein seiner Göttlichkeit als Gestalt des Lebens gebrochen, ihn mit dem unerreichbaren Vorbilde eines nur geistigen Gottes genarrt hat.”
Daher müsse die Metaphysik wieder naturalisiert werden und die Transzendenz das Blut der Immanenz einsaugen (vgl. ebd., S. 56). Dabei nehme dieser moderne “heidnische Realismus” wie auch der “humanistische Spiritualismus” in Kauf, dass dies zu einer Entpersonalisierung auch des Menschen führt: “Im Kern des Christentums liegt der Glaube, dass das erste und tiefste Seiende und zugleich das Heiligste das Reich der Personen sei, geordnet um die Person der Personen, den geistigen, überweltlichen Gott” (ebd., S. 57).
Daher müsse auch die christliche Antwort auf die modernen Heiden die Betonung des Menschen als lebendiges Geistwesen stehen, “als dem Mischwesen schlechthin, dem Vernietungspunkt der kosmischen Grundgegensätzlichkeit”, dem “die volle Ekstasis nach beiden Richtungen hin versagt” sei: “Das menschliche Leben liegt wesensgemäß zwischen dem dunklen und dem hellen Pol. Dadurch hat es seine Spannung und seine Doppelheit” (ebd., S. 59).
Die Person müsse daher als lebendiger Geist sowohl gegen eine „Vampyrisierung“ des Geistes als auch des Lebens, gegen Panvitalismus ebenso wie gegen „Übergeistigung“ geschützt werden (vgl. ebd., S. 61). Man könne daher vom Heidentum nicht in der Wertung des Geistes lernen, wohl aber von der Bewertung der “Lebensheiligung”. Ohne Frage sei diese in der Auseinandersetzung von Reformation und Gegenreformation im Christentum aus dem Blick geraten und dadurch der reine Geist verunreinigt worden: "Das Leben ist nur gar zu gründlich tyrannisiert, statt beherrscht worden ... WER HEUTE DEN GEIST HEILEN WILL, MUSS AUCH VOM LEBEN HER BEGINNEN" (ebd., S. 62).
Nachdem also Landsberg in der Auseinandersetzung mit dem Heidentum den Glaubensbegriff und die “Ekklesiologie” seiner geschichtsphilosophischen Sicht entwickelt, kann er darin am Ende der katholischen Jugendbewegung eine große Aufgabe zuschreiben: “Die Aufgabe der christlichen Jugendbewegung ist: die wiederbewegte Lebensfülle zu bewahren und der Herrschaft des Geistes zuzuführen. Sie bleibt vitale Bewegung, aber geistig gestaltet. Das Leben erwacht und ordnet sich spontan dem Geist unter, der von den christlichen Gemeinschaften, insbesondere von der katholischen Kirche in den Zeiten des Verfalls gerettet worden ist. Das ist das Phänomen der christlichen, der katholischen Jugendbewegung. Sie ist der Beginn einer neuen lebensgerechten christlichen Haltung, die in den besten Traditionen des Katholizismus angelegt ist, der Beginn einer Reallösung unseres Problems” (ebd., S. 63).
Das es sich bei diesen Aussagen um eine zeitgeschichtliche Überbewertung der Jugendbewegung handelt, wie Markus Zimmermann mutmaßt (Zimmermann, Die Nachfolge, S. 67, FN 190) ist nicht nachzuvollziehen, da es Landsberg ja nicht um eine Zustandsbeschreibung, sondern um eine Aufgabenbeschreibung der christlichen Jugendbewegung im Gesamt der Jugendbewegung geht.
„Probleme des Kultus“ (1924/25)
Sowohl von der Scheler- und Guardini-Forschung, aber auch von der Landsberg-Forschung selbst sehr häufig völlig ausgeblendet bleibt ein Aufsatz Landsbergs für die „Kölner Vierteljahreshefte für Soziologie“ aus dem Jahr 1925, der ebenfalls noch im thematischen Kreis von Guardinis „Vom Geist der Liturgie“ und seinen Maria Laacher Eindrücken steht (Paul Ludwig Landsberg: Probleme des Kultus, in: Kölner Vierteljahreshefte für Soziologie, 4, 1924/25, H. 3/4 (1925), S. 154-173).
Zeitgenössisch konnte neben einer ungarischen Rezension lediglich eine Besprechung in der evangelischen „Theologischen Literaturzeitung“ gefunden werden, in der Otto Lerche die starken „soziologischen Bindungen Landsbergs im katholischen Kultus“ kritisch herausstellt (Theologische Literaturzeitung, 1926, 10, S. 278 f.). 1989 erwähnt Eduard Zwierlein in seinem Artikel „Konservative Revolution und Engagement. Paul Ludwig Landsbergs Weg vom Ideal der konservativen Revolution zur Wirklichkeit des engagierten Humanismus. Klaus Oehler zum 60. Geburtstag“ (in: Zeitschrift für Politik, 36, 1989, S. 88ff.) beiläufig in einer Fußnote diesen Aufsatz im Zusammenhang mit Schelers „Soziologie der Erkenntnis“. Die Nähe zu Guardini stellt bislang ebenfalls beiläufig Giovanni Magri in seiner Studie „Dal volto alla maschera. Rappresentazione politica e immagini dell'uomo nel dialogo tra Guardini e Schmitt“ (S. 132) heraus. Die scheint mir eine grobe Unterschätzung der Bedeutung dieses Artikels darzustellen.
Auf 19 Seiten beschäftigt Landsberg sich nämlich mit „Problemen des Kultus“ als „sozialem Gottesdienst“. Er weist in einer „Vorbemerkung“ ausdrücklich darauf hin, dass es sich bei derartigen Fragestellungen um „noch wenig geförderte Probleme der `philosophischen Anthropologie´“ handele und zu der von Scheler geförderten „Soziologie der Erkenntnis“ gehöre (ebd., S. 154). Dann beginnt Landsberg den ersten Abschnitt mit der Feststellung: „I. Das älteste Subjekt der Religion ist nicht der einzelne, sondern das Volk. Als Glied seines Volkes hat der primitive Mensch ontische Beziehung zu dem Gott oder den Göttern, zu denen dieses gehört. Ob `Polytheismus´ oder sogenannter `Monotheismus´ den für unser Wissen ursprünglichen Zuständen des Menschen zugeordnet sind, ist noch nicht entschieden. Die Vorstellung von einem einheitlichen Ausgangspunkt der Geistesentwicklung, einem gemeinsamen Urbesitz der Menschheit, ist in der neueren Ethnologie besonders durch Levy-Brühls positivistisch-soziologische Kritik weitgehender Zersetzung zerfallen.“
Daran anschließend entwickelt er in diesem ersten Abschnitt die Stellung der „Alten“ und später der „Priester“ innerhalb des Volkes vor allem als „Hüter der Tradition“ und daher auch „Hüter des Kultes“ (vgl. ebd., S. 156).
Im zweiten Abschnitt stellt er dem „primitiven Kult auf dem Marktplatz“ dem „individuellen Gebet im `stillen Kämmerlein´“ gegenüber: „Die Individualisierung von Gebetsvollzug und Gebetsziel ist der Anfang der Individualisierung überhaupt, für jede andere Freiheitsforderung und Freiheitsentwicklung bereits Voraussetzung.“
Landsberg macht dafür drei Ursachen aus: die erste im individuellen Sondergebet des Priesters, der damit seine Sonderstellung als Angehöriger einer ausgesonderten Menschengruppe „universalisieren“ will: „Um sich zu begründen, bedarf der Priester einer ausgezeichneten, individuellen Stellung zur Gottheit“; die zweite in der Vergottungslehre der Mysterienkulte, in denen „der Versuch des einzelnen“ vorliege, „einen besonderen Weg zur Gottheit zu finden. Dieser primäre religiöse Egoismus kann aber auch durch die Erzeugung intensiver religiöser Schwingung der Einzelseele zu den schönsten Gestaltungen einer verfeinerten Religiosität führen. Der Gegensatz ist dabei nicht der Kult des Volkes, vielmehr der Staatskult, den der Staat, der sich aus kriegerischen Verhältnissen mehrerer Völker gebildet hat, durch seine Funktionäre vollziehen läßt.“ Das dritte Moment sieht Landsberg in der Philosophie als Vertreterin von individualistischen Selbstvergottungslehren, die „dem einzelnen den Weg der Vergeistigung und Vergottung zeigen“ will (vgl. ebd., S. 157): „Durch das Zusammenwirken dieser drei Faktoren kommt es schließlich zur Inanspruchnahme individueller Frömmigkeit für jeden, oder, was in charakteristischer Form dasselbe besagt – zur Idee des allgemeinen Priestertums“ (ebd., S. 158).
Unter Berufung auf Odo Casels „Die Liturgie der Mysterienfeier“ betont Landsberg aber, dass eine theistische Offenbarungsreligion keinen Weg gehen könne, „der von allen Kultus sich entfernt, nur das innerliche Seelenleben, das noch keinen Ausdrucksleib gefunden hat, als echtes religiöses Leben gelten läßt“ (vgl. ebd., S. 159).
Am Ende dieses Abschnitts steht ein klares Bekenntnis zu einem Mittelweg zwischen „Liturgismus“ und „Individualismus“: „Ein einseitiger „Liturgismus", wie wir ihn in manchen Formen der „liturgischen Bewegung" drohend finden, wäre ebenso wesenhaft falsch, wie z. B. Luthers Herabwürdigung der Liturgie zur bloßen Dienerin der individuellen Frömmigkeit.“
Aus den längeren Ausführungen über den „Kultus der Kirche“ bzw. „kirchlichen Gottesdienst“ kommt er auf das Mönchtum und die „gottesdienstliche Ordnung eines Benediktinerklosters“ zu sprechen (vgl. ebd., S. 165 f.). An den Abschluß seiner Überlegungen stellt er nun „wenigstens einige Gedanken über den Sozialgeist der Liturgie“: „Unübertreffliches hat vor allem Guardini in seinen beiden Liturgiebüchern uns darüber gesagt. Alles ernsthafte Nachdenken über das emotionale Wesen des Christentum berührt aber unser Problem. Wie nämlich eine Soziologie der hellenischen Kunst und Philosophie in eine Phänomenologie und Metaphysik des `EROS´ (griechische Buchstaben) ihre Grundlagen legen muß. So eine Soziologie des christlichen Gottesdienstes in eine Phänomenologie, Metaphysik und Theologie der `AGAPE´ (griechische Buchstaben). Gerade aus der Betrachtung der Liturgie läßt sich ja entnehmen, wie falsch die Vorstellungen sind, die heutige Gewohnheit mit verbindet, was Christus und das alte Christentum Liebe genannt haben. Schon dem Worte `caritas´ legt sein römischer Charakter auch eine einseitige Betonung des praktischen Wirkens bei“ (ebd., S. 168 f.). - „Die Verbindung und Gleichartigkeit von Gottes- und Nächstenliebe im Christentum ist für eine solche Betrachtung auffallend. Die einheitliche Seele der Liturgie stellt sich zugleich als Gottesliebe und als Liebe des Nächsten in und mit Gott dar. Das ist die Verleiblichung des in der römischen Kirche dauernd herrschend gewordenen Kernes der augustinischen Theoanthropologie, wie Troeltsch und Scheler ihn zuletzt wieder erklärt haben. Die Liturgie verwirklicht: „Die Auffassung des Doppelgebotes der Gottes- und Nächstenliebe“ (Matth. 22) als eines dynamischen Aktes", in der Augustin nach Scheler: „die Seele der westlichen Christlichkeit, ja die Seele der echten, evangelischen Christlichkeit überhaupt in klassischer Weise formuliert hat". Weil alle Menschen einen Gott haben — in dem Sinne, daß er für sie alle da ist, auf sie alle wartet, weil dieser Gott sie alle liebt und ihre Gegenliebe als eine gemeinsame verursacht, sollen sie und können idealiter sich untereinander als freie, geistige Personen lieben und verbinden" (ebd., S. 171). - „Hat sich in jenen primitiven Kulten das Individuum noch nicht entdeckt, so sind es hier mündige, selbstinnige Personen, die zur Gottheit und durch sie zum Nächsten in die der objektiven Heilsgemeinschaft, nicht Blutsgemeinschaft, entsprechende freie Liebesgemeinschaft treten. Der „mystische Leib der Kirche" hat als geistiges Individuum auch lauter geistige Individuen zu Gliedern. Das Paulinische Bild des "Corpus Christi" darf nicht übersteigert werden. Von ihren sozialen Bedingungen und Strukturen haben wir versucht zum Herzen der Liturgie zu gelangen. Wir ahnen nun auch über alle Soziologie hinaus, was ihr letztes religiöses Ziel ist die Ehre Gottes und die Heiligung des Menschen. Aus dieser ihrer religiösen Zielsetzung geht ihre soziale Wirkung lebendig hervor" (ebd. 172).
Habilitation über „Augustinus“ (1928) und weitere Arbeiten über Augustinus
Am 14. November 1928 habilitierte er sich schließlich mit Studien zur Geschichte der Philosophie von „Augustinus“ habilitiert (Paul Ludwig Landsberg: Augustinus. Studien zur Geschichte seiner Philosophie, Bonn 1928, unveröffentlichte Habilitationsschrift). Gutachter waren unter anderem von Harnack und Carl Schmitt. Da sie bis heute unveröffentlicht ist und offensichtlich auch von der Scheler- und Landsberg-Forschung nicht mehr eingesehen wurde, wurde sie bislang inhaltlich nicht rezipiert.
Später 1936 und 1939 hatte Landsberg sich in zwei Aufsätzen unter dem Titel „La conversion de Saint Augustin“ und "La confession de Saint Augustin" erneut Augustinus zugewandt. Im ersten versuchte er die drei Hauptteile der Confessiones unter die aus 11, 20, 26 gewonnenen Aspekte von memoria, contuitus und expectatio zu stellen (Paul Ludwig Landsberg: La conversion de Saint Augustin, in: La vie spirituelle, 48, 1936, Supplément, p. 31-56). Im zweiten (Paul Ludwig Landsberg: La confession de Saint Augustin, in: La vie spirituelle, 60, 1939, S. 1-22). Zwar während des Kriegs verfasst, erscheinen erst posthum 1948 und 1950 die Texte "Les sens spirituels chez Saint Augustin" (in: Dieu Vivant, 11 (2. Quartal), S. 87-105, mit einer Einleitung von Pierre Klossowski) und "Verité chez Saint Augustin" (in: Deucalion, 3, 1950, S. 45-64). Im Grunde gehen auch schon die "Bemerkungen zur Erkenntnistheorie der Innenwelt" wesentlich zu Augustinus (in: Tijdschrift voor philosophie, 1, 1939, S. 363-376).
Guardini dürfte 1948 durchaus erfreut gewesen sein, als in der N° 11 der Zeitschrift "Dieu vivant" sein Beitrag "Le serieux de l´amour divin" (in: Dieu vivant. Perspectives religieues et philosophiques, N° 11, Seuil, Paris 1948) neben dem posthumen von Paul Ludwig Landsberg "Le sens spirituels chez saint Augustin" zu lesen war.
Antrittsvorlesung über „Pascals Berufung“
Am 1. Dezember 1928 hielt er seine Antrittsvorlesung mit dem Titel „Pascals religionsphilosophische Berufung“, die er im Jahr darauf erweitert unter dem Titel “Pascals Berufung” als Buch veröffentlicht (Paul Ludwig Landsberg: Pascals Berufung, Bonn 1929). Hierin wird noch einmal eine gemeinsame Linie Guardinis und Landsberg zurück in die Bonner Zeit sichtbar, nämlich zu Wilhelm Worringer. Dieser hatte in seiner zwei Jahre zuvor erschienenen Schrift „Griechentum und Gotik“ (München 1927) versucht, „den Gegensatz zwischen hellenistischem und römischem Wesen mit hellster Wachheit durch die gesamte Geschichte der europäischen Kunst aufzuspüren.“ Mit den darin enthaltenen „Interpretationen der französischen Kultur gegenüber dem latinistischen Vorurteil“ überzeugte er offensichtlich auch Paul Ludwig Landsberg (Pascals Berufung, Bonn 1929 (die erweiterte Wiedergabe der Bonner Antrittsvorlesung), S. 45 FN 21). In dieser Antrittsvorlesung würdigt Pascal, der „nicht den Weg der Durchschnittstheologen seiner Zeit“ gegangen sei, die versucht hätten, sich und die christliche Lehre dem veränderten Weltbild anzupassen: „Kein zweiter hat sich jedem solchen Versuch so bewußt und radikal entgegengesetzt, als eben Pascal. Er war der Hüter des Heiligtums. … Den Geist der Ewigkeit in den gegensätzlichen Sprachgeist seiner Zeit herabgerissen zu haben, ohne dessen Lauterkeit preiszugeben, ist Pascals Tat: so unbegreiflich und unableitbar wie alle echten Taten wahrhaft schöpferischen Menschengeistes“ (ebd., S. 9).
Und Landsberg beschreibt schließlich geradezu den Typus des „Augustinischen Denkens“: „So dachte Augustin, so Pascal nicht mit dem Verstand oder mit dem herzen allein, sondern immer als ganzer Mensch unter der Bestimmung der Gottverbundenheit. Denn der letzte Grund ihres Ernstes liegt in dem Verkehr, den sie als Denkende und Schreibende mit Gott haben: ihr Denken ist Denken des ganzen Menschen in der Gegenwart Gottes“ (ebd., S. 19).
Die Platz-Schülerin Paula Hey verweist in ihrer Bonner Dissertation über „Chateaubriand und Pascal“ von 1937 auf den verwandten Gedanken bei Romano Guardini, der in "Christliches Bewußtsein" schreibt: „Erkenntnis setzt Liebe voraus. In dem Maße wird man die Wahrheit erkennen, - wirklich erkennen, im tiefsten Sinne, mit der Leidenschaft der Aneignung -, wie man liebend ist. Wiederum erhebt sich hinter Pascal Dante, und noch einmal Augustinus, und am Anfang steht Platon“ (Guardini, Christliches Bewußtsein, 1935, S. 181).
VI. Landsberg als Bonner Privatdozent (1929-1933)
Nach der Habilitation arbeitete Landsberg in Bonn bis 1933 als Privatdozent für Philosophie und hatte während der ganzen Zeit regen Anteil am unruhigen politischen Geschehen der ausgehenden Weimarer Republik genommen.
Landsberg in den Schildgenossen: „Philosophie und Kulturkrise“ (1930)
Für 1929 ist ein sogenanntes “Bonner Heft” im Rahmen der “Schildgenossen” mit einem Beitrag Landsbergs vorgesehen. Dazu schreibt Werner Becker an Rudolf Schwarz: “Romano meint man könnte daran illustrieren, was er neuplatonisches Denken nennt” (Brief von Werner Becker an Rudolf Schwarz vom 21.7.1929, Archiv Burg Rothenfels, zitiert nach Gerl, a.a.O., S. 131, Anm. 29).
Doch erscheint ein Aufsatz Landsbergs erst 1930 unter dem Titel „Philosophie und Kulturkrise“ (Lin: Die Schildgenossen, 10, 1930, S. 308-319. Vgl. dazu Zwierlein, Eduard: Selbstauffassung und Selbstgestaltung. Die Idee einer philosophischen Anthropologie bei Paul Ludwig Landsberg, Hamburg Diss. 1987). Landsberg sprach darin vom der Bedrohung und dem Abbau des Menschlichen, das sich durch die Einordnung des Menschen in „Sachwelten“ vollziehe. Die hypertrophierte „Zweckmittelkategorie“ stelle den Menschen unter das Diktat der „Tauglichkeit zum Lebensmittel“. Gegen den diktatorischen Schein praktischer und naturalistischer Sicherheiten müsse die Philosophie alle Anstrengung unternehmen, hier eine sekundäre Verunsicherung zu erreichen, indem sie an die prinzipielle Unsicherheit des Menschen erinnere und aus ihr heraus eine qualitative geistige Sinngebung mitgestalte. Landsberg wies dabei besonders auf das „Wachhalten vor allem auch des Todesbewusstseins“ und das „Gegenwärtighalten der Abgründigkeit des Daseins“ hin (Paul Ludwig Landsberg, Philosophie und Kulturkrise, a.a.O., S. 311). Wenn die Philosophie in ihren beiden repräsentativen Grundformen, dem platonischen Philosophietypus, der Philosophie als „vita“ und Lebensform, und dem aristotelischen, der Philosophie als „Wissenschaft“ begreift, den beiden Zerrformen des Nur-Individuell-Subjektiven der Philosophie und der verfälschten Rückübertragung neuzeitlich-wissenschaftlicher Methoden und Prinzipien auf sie widerstehe, werde sie sich am ehesten von der Einbindung in Sachzusammenhänge befreien. Dann könne das philosophische Individuum als kulturgefährlicher „Außenseiter der Kultur“ dieser selbst hilfreich werden und ihre Leitbildlosigkeit und Renaturalisierung überwinden helfen (vgl. ebd., S. 316). Wenn Philosophie die Not des gegenwärtigen Zeitalters als Entsicherung und seine Gefährdung als Naturalismus und Szientismus versteht, sollte sie ihrerseits keine Beruhigung der Not kennen, da es ihr nicht um eine künstliche Beruhigung und scheinhafte Lösung gehe, sondern um die klärende Vertiefung der Frage, die der Mensch ist: „Lieber das Gesicht des Menschen in der Not, als das Gesicht eines beglückten Tieres“ (ebd., S. 319).
„Probleme der Gnadenlehre“ (1930)
1930 behandelt Landsberg in seinem Aufsatz „Probleme der Gnadenlehre“ Augustinus, Thomas von Aquin und Luther (Paul Ludwig Landsberg: Probleme der Gnadenlehre, in: Deutsche Vierteljahresschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte, 8, 1930, S. 373-401). Dabei siedelt er das Grundproblem der von ihm festgestellten „Antinomie der Gnadenlehre“ in der „christlichen Verbindung des jüdischen Schöpfer- und Macht-Gottes mit dem in Christo offenbarten Liebesgott" an. Dadurch dass das „Gnadenangebot an alle“ an die Zustimmung des Menschen gebunden sei, werde der Souveränitätscharakter Gottes und seines irrestiblen Gnadenerweises eingeschränkt (vgl. ebd., S. 388). Aufgrund der weitgehenden Nichtbeachtung dieses Aufsatzes in der Guardini-Forschung wurde auch hier die Anführung von Guardinis „Die Lehre des heiligen Bonaventura von der Erlösung“ durch Landsberg übersehen. In Bezug auf Luther konstatiert Landsberg, dass Bei Luther falle „die altkirchliche Beziehung des Glaubens wie des Gnadenbegriffes auf die – von GUARDINI so genannte – physisch-mystische Auffassung der Erlösung und des Sakramentes und damit die prinzipielle Bindung der Gnade an die sakramentenspendende Kirche“ fort: „Die Annahme des Sakramentes, meint Luther, wird von der Kirche zum guten Werk gemacht und kann als solches nichts für die Begnadung bedeuten. In Wahrheit freilich sei die Messe ihrem Einsetzungssinn nach nicht Opferwerk, sondern einzig Glaubensstärkung. Es fällt ferner fort die Lehre vom Ineinander der christlichen Tugenden und der Primat der Liebe: sie werden in den Glauben aufgenommen. Nicht mehr, wer liebt, der glaubt und hofft auch richtig, heißt es nun, sondern: wer glaubt, bedarf der Liebe und Hoffnung nicht, hat sie freilich als notwendige Früchte seines Glaubens“ (ebd., S. 398).
„Zur Soziologie der Erkenntnistheorie“ (1931)
1931 veröffentlichte Landsberg seinen Aufsatz „Zur Soziologie der Erkenntnistheorie“ (in: Schmollers Jahrbuch 55, 1931, 2. Hbd., S. 1 ff.=769 ff.). Darin übte er heftige Kritik am sozialistischen, marxistischen bzw. „submarxistischen Soziologismus, der an Verkleidungen so reich ist und doch immer auf denselben Grundirrtümern“ beruhe. Er sprach in diesem Zusammenhang auch von einer Verflechtung des deutschen Judentums mit diesem Soziologismus als „soziologischem Tatbestand von erheblicher Bedeutung“. Er bestimmte hingegen die Leistung der „Soziologie als Erforschung der Zusammenhänge der anderen historischen Sinngebiete mit dem sozialen Sein des jeweiligen Menschen.“ Dann leiste Soziologie „einen Teil der Aufgaben eines anthropologisch fundierten Geschichtsverständnisses, das uns die Ergebnisse der reichen historischen Spezialforschung unserer Zeit erst innerlich aufschließen und zu eigen geben kann“ (ebd., S. 21f.=789f.)
Briefkontakt zwischen Guardini und Landsberg noch im Sommer 1932
Aus einem noch unveröffentlichten Tagebuch Romano Guardinis vom Sommer 1932 (Guardini-Archiv der Katholischen Akademie in Bayern, Nr. 812) geht hervor, dass er Anfang Juni 1932 von Isola Vicentina aus einen Brief an Landsberg verfasst hat, in dem es ebenfalls um die Frage des Erkennens gegangen ist. Da dieser Brief selbst nicht erhalten ist, bleibt unklar auf welche vorherigen Schriften Landsbergs Guardini damit reagiert hat.
VII. Auf der Flucht (ab März 1933)
Flucht und Heirat
Nun musste Landsberg als Prophet das Umschlagen der Negativität der Neuzeit in ein totalitaristisches Regime als jüdischstämmiger Protestant am eigenen Leib erfahren. Damit hatte ein sozialistischer Soziologismus gesiegt, der in Verbindung mit einem nationalistischen Militarismus sich gerade gegen das Judentum richtete. Von einem seiner Schüler gewarnt, konnte er sich am 1. März 1933 gerade noch rechtzeitig der drohenden Liquidierung durch eine Flucht in die Schweiz entziehen. Im Juli 1933 hatte er dort seine mit ihm geflohene Verlobte, die katholische Philosophin Magdalena Hoffmann geheiratet. Sie hatte selbst in Bonn noch mit einer Arbeit „Der Humanitätsbegriff J. J. Rousseau“ promoviert.
Mitarbeit an Horkheimers „Zeitschrift für Sozialforschung“ (1933-1936)
In einem Beitrag für die "Zeitschrift für Sozialforschung" übt Landsberg Kritik an Wieses „System der allgemeinen Soziologie“: “v. W. gibt in dieser wesentlich erweiterten Neuauflage seiner Soziologie von 1924 nunmehr einen Gesamtüberblick über sein wissenschaftliches Lebenswerk. Die Soziologie als Fachwissenschaft endgültig methodisch zu sichern und den Umriss ihrer Arbeit festzulegen, ist sein Ziel. Der Geist des Buches ist unbedingter Glaube daran, dass sich das wissenschaftliche Denken und Forschen von allen Bindungen der sozialen Situation befreien und in vollendeter Objektivität die soziale Welt an sich im Geiste wiederentwerfen kann. Dabei ist das Interesse wesentlich auf das Allgemeine gerichtet: „Das wahre `quale´ des sozialen Prozesses steckt in der allgemeinen Kategorie (z.B. in der Kategorie `Herrschaft´). Die der Kasuistik nahekommenden Unterkategorien historischen Charakters fügen mehr das Nebensächliche, Beiläufige hinzu, das auch als Erlebnis mehr oder weniger belanglos ist.“ Hier scheidet sich der Weg des Rezensenten von dem des Autors. Mir will das Ziel der Erkenntnis auch hier gerade in einem Herankommen an die Einzigartigkeit des jeweils faktischen Phänomens bestehen. Ein allgemeiner Begriff von Herrschaft überhaupt besagt garnichts für die konkrete Analyse etwa des fascistischen oder des kommunistischen Staates. Es ist schwer, über solche Unterschiede des Erkenntniszieles zu diskutieren, die mit philosophischen Überzeugungen grundsätzlicher Art untrennbar verbunden sind. Der Wert des W.schen Buches wird von unserem Standpunkt aus gesehen also weniger in der umfassenden begrifflichen Konstruktion einer Lehre von den Beziehungen überhaupt liegen als in einer Fülle von gelegentlichen Analysen und Bemerkungen, die von dem Geist und der Gelehrsamkeit des Verfassers reiches Zeugnis geben. Auch die historischen Analysen sind stets lehrreich. Trotz der grössten Achtung vor der wissenschaftlichen Ehrlichkeit des Verf. vermögen wir aber an sein Unternehmen, ein gleichsam zeitloses System der Soziologie zu gründen und ihre Wege ein für allemal methodisch zu sichern, keineswegs glauben. Ausserordentlich wertvoll ist die Art, in der W. den unmittelbaren Zusammenhang zwischen Soziologie und Anthropologie würdigt. Gerade aber weil der Mensch und seine Selbstauffassung in einem ständigen Wandel allein existieren, wird auch die Soziologie diesem Wandel des Menschenbildes und der menschlichen Realität in ihrer Entwicklung nachfolgen. Vor dem Sturm der Zeiten wird sie sich nicht auf eine akademische Insel retten können“ (Paul Ludwig Landsberg: Rezension zu: Wiese, Leopold von: System der allgemeinen Soziologie als Lehre von den sozialen Prozessen und den sozialen Gebilden der Menschen (Beziehungslehre), 1933, in: Zeitschrift für Sozialforschung, 2, 1933/34, S. 277).
Rassenhygiene als kritische Rassenwissenschaft (1933/36)
Umstritten ist die Einordnung von zwei Texten über das Thema “Rasse” von 1933 und 1936 in Horkheimers seit 1933 in Paris erscheinender “Zeitschrift für Sozialforschung”. In seinem Aufsatz „Rassenideologie und Rassenwirtschaft“ (in: Zeitschrift für Sozialforschung, 2, 1933/34, S. 388-406) verteidigte Landsberg die Rassenhygiene in der Form einer kritischen Rassenwissenschaft gegen die pure Ideologie, wie sie die biologistischen Rassenlehren seiner Meinung nach darstellten (vgl. dazu: Bayertz/Kroll/Weingart: Rasse, Blut und Gene. Geschichte der Eugenik und Rassenhygiene in Deutschland, Frankfurt am Main 1988; (Taschenbuchauflage)1992, V. Die Realisierung des Utopischen - Rassenhygiene und Erbpflege im nationalsozialistischen Staat S. 376f.; sowie Alexander Bogner: Im Auftrag des „Lebenswerts“. Linke Irrwege zwischen Eugenik und Euthanasie, in: Weg und Ziel, 57, 1999, S. 46ff., hier S. 47). Bis heute geben auch seine Rezensionen 1934 zu Theodor Geigers Buch „Erbpflege“, Eugen Fischers Buch „Der völkische Staat“, Oswald Menghins Buch „Geist und Blut“, Otto Steches Buch „Gesundes Volk, gesunde Rasse“, Konrad Dürres Buch „Erbbiologischer und rassenhygienischer Wegweiser für Jedermann“, Bruno K. Schultz´ Buch „Erbkunde, Rassenkunde, Rassenpflege“, zu Martin Stemmlers Buch „Rassenpflege im völkischen Staat“ , Helmut Nicolais Buch „Rasse und Recht“ und Wilhelm Erbts Buch „Weltgeschichte auf rassischer Grundlage“ und 1936 zu Erich Voegelins Buch „Die Rassenidee in der Geistesgeschichte von Ray bis Carus“ Rätsel auf (Paul Ludwig Landsberg: Rezension zu: Geiger, Theodor: Erbpflege; Fischer, Eugen: Der völkische Staat; Menghin, Oswald: Geist und Blut; Steche, Otto: Gesundes Volk, gesunde Rasse; Dürre, Konrad: Erbbiologischer und rassenhygienischer Wegweiser für Jedermann; Schultz, Bruno K.: Erbkunde, Rassenkunde, Rassenpflege; Stemmler, Martin: Rassenpflege im völkischen Staat; Nicolai, Helmut: Rasse und Recht; Erbt, Wilhelm, Weltgeschichte auf rassischer Grundlage, in: Zeitschrift für Sozialforschung , 3/4, 1934/35???, S. 143-148; sowie ders.: Rezension zu: Voegelin, Erich: Die Rassenidee in der Geistesgeschichte von Ray bis Carus, in: Zeitschrift für Sozialforschung, 5, 1936, S. 153).
Von der Schweiz über Frankreich und Spanien (1934)
Nachdem ihm die Schweiz keine Möglichkeit bot, als Universitätslehrer tätig zu sein, ging er am 20. April 1934 zunächst nach Frankreich ins Exil, folgte er im Mai 1934 einem Ruf an die Universität von Barcelona und später (1936) an die Universität Santander. Sowohl von Barcelona als auch von Santander aus pendelte Landsberg bereits wohl auch nach Paris.
Einführung in die philosophische Anthropologie (1934)
Im gleichen Jahr konnte in Frankfurt noch seine „Einführung in die philosophische Anthropologie“ erscheinen (Paul Ludwig Landsberg: Einführung in die philosophische Anthropologie. Frankfurt a.M., 1934; (2)1960; vgl. dazu Eduard Zwierlein: Die Idee einer philosophischen Anthropologie bei Paul Ludwig Landsberg: zur Frage nach dem Wesen des Menschen zwischen Selbstauffassung und Selbstgestaltung, Würzburg 1989 (Hamburg Univ. Diss. 1987/1988? unter dem Titel Selbstauffassung und Selbstgestaltung: die Idee einer philosophischen Anthropologie bei Paul Ludwig Landsberg); Andreas Lischewski: Person und Bildung. Überlegungen im Grenzgebiet von philosophischer Anthropologie und Bildungstheorie im Anschluß an Paul Ludwig Landsberg, Würzburg 1996 (Phil. Diss.); Dettelbach o.J.; Amsterdam/Atlanta, GA, 1998)
Zu Beginn definiert Landsberg „Philosophische Anthropologie“ wiefolgt: „Philosophische Anthropologie ist die begrifflich klärende Entfaltung einer Idee vom Menschen aus seiner Selbstauffassung auf einer bestimmten Stufe seiner Menschlichkeit, und der Versuch, ihm den weiteren Weg seiner Bestimmung zu zeigen“ (ebd., S. 9).
Im Gegensatz zu den merkmalhaft definierenden Additions- und Substraktionsanthropologien definierte Landsberg dabei den Begriff „Wesen“ als „Intensivum von Sein in seiner jeweiligen qualitativen Konkretheit, im Gegensatz zum Begriff des Seins überhaupt - `Existentia´, der das Sein in abstracto unkonkret, weil qualitätslos, bezeichnet. Demgemäß bedeutet Wesensanthropologie für uns eine Anthropologie, deren Frage NACH DER BESONDEREN SEINSWEISE DES MENSCHEN IM GANZEN geht. Diese Frage richtet sich an die Selbstauffassung des Menschen und befragt sie auf ihre letzten fundierenden Inhalte“ (ebd., S. 22).
Grundsätzlich hält Landsberg darin bezüglich einer christlichen Anthropologie fest: „Es geht nicht um die Höherentwicklung der Gattung Mensch, sondern um das Erscheinen eines Prinzips, das höher als die Humanisierung sein soll. Eine solche Lehre ist vor allem, richtig verstanden, die christliche Lehre von der Heiligkeit durch die übernatürliche Gnade als dem höchsten und letzten Ziel des menschlichen Individuums“ (ebd., S. 90).
Weiter macht er sich vor allem auch Gedanken über die Funktion des Mythos. So wie die „träumende Phantasie“ nach wie vor die Rätselhaftigkeit des Menschen in einer bildhaften und vieldeutigen Erzählung beruhige (vgl. ebd., S. 98), könne auch die besondere „Wahrheit“ des Mythos dem modernen Menschen nicht prinzipiell fremd sein, „weil wir ja zweifellos immer auch den mythischen Menschen noch in uns tragen“ (ebd., S. 101). Da der Mythos „das Fragen der Menschheit nicht“ klärt, sondern heilt, ist er „eher eine Funktion der Seele, als eine Tat der Vernunft“ (ebd., S. 103). Während der mythische Mensch das Rätsel also zu ertragen und der „reine Lyriker“ als „eine Art von Mystiker des Daseinsrätsels“ (ebd., S. 105 f.) zu erfahren versuche, wolle der Philosoph es in „kämpfender Selbstgestaltung“ das Rätsel bezwingen (ebd., S. 105). Philosophie sei daher dem Philosophen „Kampf mit dem Unaussprechlichen und der Versuch, das innere Rätsel des Menschen von immer neuen Seiten her mit der Klarheit des Begriffes anzugreifen; mag auch die Würde solchen Versuches gerade da liegen, wo er scheitern muss“ (ebd., S. 106). „Ehrliche Philosophie“ werde sich daher als Vertiefung des menschlichen Daseinsrätsels verstehen, während die Theologie für sich beanspruche, in gewisser Weise von Gott her das „Lösungswort“ bereits zu kennen (vgl. ebd., S. 111-115). Landsberg warnte dabei ebenso vor einer „bloß subjektivistischen Lebens- und Erlebnisphilosophie“ (ebd., S. 122) als auch vor einem Verständnis des Lebens als Prozess der „reinen Freiheit“. Vielmehr sei es ein „Gestaltungsprozess“ (ebd., S. 194). Dennoch war es für Landsberg unverzichtbar, dass Verstehen ohne Erleben und Erleben ohne Leben nicht möglich sei: „Verstehen im echten geisteswissenschaftlich-historischen Sinn, bewegt sich in der schon prinzipiell erschlossenen Welt innerer Erfahrung, analog wie etwa das Beobachten in der schon prinzipiell erschlossenen Welt der äußeren Erfahrung geschieht. Erleben baut sich auf Leben, Verstehen auf Erleben auf“ (ebd., S. 198).
Aus der Privatbibliothek Romano Guardinis wissen wir, dass Guardini das Werk besessen und gelesen, und wohl auch für seine eigenen Anthropologie-Vorlesungen herangezogen hat. Das in der Guardini-Bibliothek der Katholischen Akademie in Bayern aufbewahrte, von Guardini benutzte Exemplar der „Einführung in die philosophische Anthropologie“ enthält auf S. 93 folgende handschriftlichen Eintragungen im Schriftzug Guardinis: Nach einer Markierung des Satzes „Es ist möglich, die Sonderart des Menschen als seine Vorherbestimmung zum Ort für das Einbrechen eines übermenschlichen Prinzips zu interpretieren.“ Dem Satz „Über die Geltung und Bedeutung der christlichen Idealität steht uns hier als Philosophen kein Urteil zu“ fügt Guardini eine Fußnote hinzu in der er die Frage aufwirft, ob es eine autonome philos. Anthropologie gebe? Oder ob es nicht Ergebnis, eine autonome philosophische Anthropologie zu versuchen, sei, die Undeutbarkeit des "bloßen Menschen" einzusehen.
Treffen in der Emigranten-Kolonie Tossa de Mar (1934/36)
1934 bis 1936 bildet sich im katalanischen Fischerort Tossa de Mar eine kleine Kolonie von deutschen Emigranten. Hier trifft das Philosophen-Ehepaar Landsberg mit den Malern Oscar Zügel, Eugen Spiro, André Masson, Pierre Klossowski und Jean Metzinger sowie dem Schriftsteller-Philosophen Georges Bataille zusammen (Vgl. Thomas Keller: Verkörperungen des Dritten im Deutsch-Französischen Verhältnis, 2018, S. 517). Mit Bataille scheint Madeleine Landsberg wohl im Mai 1935 eine Affäre gehabt zu haben (siehe Georges Bataille: chronologie 1923 1939, in: http://lesoleilenface.blogspot.com/2013/04/chronologie-1923-1939.html; siehe auch Thomas Keller: Verkörperungen des Dritten im Deutsch-Französischen Verhältnis, 2018, S. 518).
In Tossa de Mar hatte Paul Ludwig Landsberg auch Kontakt zu Picasso (Keller, a.a.O., S. 220).
Kontakt zu Lacroix und zur Zeitschrift "Esprit" (1934-1940)
Landsberg gewann auch in Paris viele Freunde, darunter den Philosophen Jean Lacroix, der mit Mounier die linksliberale katholische Zeitschrift "Esprit" herausgab, in der von Dezember 1934 bis Januar 1940 Beiträge von Landsberg erschienen sind. Der erste Aufsatz in der Zeitschrift trug den Titel "Quelques réflexions sur l´ idée chrétienne de la personne" (in: Esprit, Dezember 1934).
Die Erfahrung des Todes (1935/1937)
Seine Schrift „Die Erfahrung des Todes“ wurde im Original in deutsch verfasst, erschien aber 1935 zuerst in französischer Übersetzung in der Zeitschrift „Esprit“, bevor sie in der deutschen Fassung 1937 in Luzern veröffentlicht wurde (Paul Ludwig Landsberg: Essai sur l'expérience de la mort (suivi de le problème moral du suicide), Paris, 1936; 1951; 1993; deutsch: Die Erfahrung des Todes. Luzern, 1937; Frankfurt am Main, 1973; ders.: Der Selbstmord als moralisches Problem, o.O. 1947. Zumindest eine spätere französische Ausgabe enthält ein Vorwort von Lacroix). Darin entschlüsselte Landsberg die mystische Gotteserfahrung, die Einigung mit Gott, als „Vorwegnahme des Todes in den Verzückungen“ (Luzern 1937, S. 85; vgl. auch S. 79), in der nicht nur der Tod erfahren, sondern zugleich als „Befreiung vom Tode“ transzendiert werde (ebd., S. 73 und 89). Der Mystiker gewinne den Tod „lieb“ als „eine höchste Möglichkeit der Existenz, die durch den Tod verborgen und gleichsam im Tode enthalten ist“ (ebd., S. 88). Die mystische Verzückung verwandle den tödlichen Schmerz in das „Vorspiel einer grenzenlosen Freude“, in dem in der Liebe zu Gott „der Tod eine Stätte endgültiger Erfüllung“ der mystischen Hochzeit zwischen Gott und der Seele" werde (ebd., S. 89). Landsberg bekannte in der Schrift persönlich noch keine Erfahrungen mystischer Art zu besitzen, doch fühlte er sich zu jenen „mystisch begabten Geister(n)" hingezogen (vgl. ebd., S. 72).
Weitere Artikel in „Esprit“ (1937/40)
In „Esprit“ vom April 1937 beschäftigte Landsberg sich mit der Gottesgegnerschaft des Anarchisten (Paul Ludwig Landsberg: L´Anarchiste contre Dieu, in: Esprit, April 1937, S. 75-79). Und im November 1937 schreibt er "Réflexions sur l´ engagement personell“. Dari heißt es: “Cet intellectualisme pur, ce point de vue d'une intelligence radicalement séparée de la totalité personnelle, ne peut plus contenter les hommes à une époque de crise historique et sociale devenant tôt ou tard la crise personelle de chacun […]. Cette même intelligence est l´ adversaire commun, me paraît-il, de tous les mouvements de jeunesse en Europe” (Übersetzung bei Keller, a.a.O., 2001, S. 104: “Dieser reine Intellektualismus, diese Auffassung einer Intelligenz, die völlig von der personalen Ganzheit abgetrennt ist, kann die Menschen angesichts einer historischen und gesellschaftlichen Krise, die früher oder später die persönliche Krise aller wird, nicht befriedigen [...]. Diese Intelligenz ist, wie mir scheint, der gemeinsame Gegner aller Jugendbewegungen in Europa“.).
Es folgen 1938 die Artikel: “Introduction à un critique du mythe” (Januar 1938); gemeinsam mit Jean Lacroix: „Dialogue sur le mythe“ (Februar 1938); “Kafka et la metamorphose” (September 1938); “La Sens de l´ action” (Oktober 1938).
1939 erscheint noch vor dem Krieg der Text: “Notes sur la philosophie du marriage” (April 1939)
Artikel über Marx in der Zeitschrift "La Vie Intellectuelle" (1937)
1937 veröffentlichte Landsberg in der Zeitschrift „La Vie Intellectuelle“ in der Juli-Nummer einen Aufsatz über Marx und das Problem des Menschen (Marx et le problème de l´ homme, in: La Vie Intellectuelle, 1937, 51 vom 10. September 1937 (Juli-September), S. 72-93).
Von Spanien zurück nach Frankreich (1936-1939)
Nicht zuletzt der Ausbruch des Spanischen Bürgerkrieges (17. Juli 1936) zwang das Ehepaar Landsberg aber erneut zur Flucht, diesmal direkt nach Paris.
Landsberg hatte zuvor schon am 2. Februar 1936 in Paris bereits an der (zweiten oder je nach Zählung) dritten Lutetia-Konferenz teilgenommen. Die erste Lutetia-Konferenz hatte am 26. September 1935 auf Einladung von Wilhelm "Willi" Münzenberg im Hotel Lutetia stattgefunden, mit dem Ziel eine einheitliche deutsche Volksfront zu bilden. Nach einer Tagung am 22. November 1935 kamen dann am 2. Februar 1936 erneut 118 Teilnehmern, darunter eben Landsberg, unter dem Präsidenten Heinrich Mann zusammen, die schließlich auch ein Manifest zur Bildung einer deutschen Volksfront verabschiedete.
In Kontext dieser Tätigkeit hatte Landsberg 1936 auch mit Prof. Lenz-Medoc ein erstes Gespräch geführt, der selbst nach einer Inhaftierung als Generalsekretär des Katholischen Friedensbundes 1934 nach Frankreich emigriert war. Später war er über die gemeinsame Tätigkeit an der Sorbonne wohl mit Lenz-Medoc befreundet. Denn 1937 hatte Landsberg selbst eine Professur an der Sorbonne erhalten.
Wie persönlich nahe ihm diese Fluchterfahrungen gingen, zeigen auch seine wissenschaftliche Veröffentlichung dieser Jahre, die wie gesehen von Tod und Freitod handeln; zumal als dann im Mai 1938 Landsbergs Mutter Selbstmord begangen hatte, nachdem ihr die deutschen Behörden einen Paß für einen Besuch bei ihren Geschwistern in der Schweiz und ihrem Sohn in Frankreich verweigert hatten.
Landsberg beteiligte sich in Paris aktiv an den gegen Hitler gerichteten Bestrebungen der deutschen Exilanten. Zum „Esprit“-Kreis von Mounier und Lacroix gehörten damals unter anderen N. Berdjajew, Merlau-Ponty und P. Ricoeur. Mounier schreibt über Landsberg im Oktober 1946: "Il nous manque notre grand ami Paul Landsberg, dont je sens chaque jour plus profondément l'absence (Œuvres, 4, 192)".
Landsberg gehörte aber auch zur sogenannten „Philosophischen Gruppe“ mit G. Marcel, J. Wahl, G. Gurvich und wiederum N. Berdjajew.
Im Herbst 1937 wurde mit Sitz in Paris der „Bund Neues Deutschland" gegründet, eine Vereinigung, die an die Aktivitäten des „Bundes Neues Vaterland“ aus der Zeit des Ersten Weltkrieges anknüpfen soll. Mitglieder sind neben anderen Thomas Mann und Karl Barth, Fritz Lieb, Paul Tillich, Erzabt Walzer, Veit Valentin, Wilhelm Uhde, René Schickele, Fritz von Unruh, Hans und Anna Siemsen. Der Gründung des Bundes stimmten Lion Feuchtwanger, Rudolf Olden, Maximilian Beck, Julius Lips und eben auch Paul Ludwig Landsberg schriftlich zu (Ursula Langkau-Axel: Deutsche Volksfront 1932 bis 1939, Bd. Geschichte des Ausschusses zur Vorbereitung einer deutschen Volksfront, 2004, S. 433).
Auch mit Jacques Maritain hat er sich in dieser Zeit wohl befreundet, da dieser nach dem Krieg schreibt: "Paul Landsberg und Edith Stein perished in German concentration camps, as did so many Jewish friends whose memories I cherish.(…)" (Vgl. Jacques Maritain in: John M. Oesterreicher: Walls are crumbling, Seven Jewish Philosophers Discover Christ, New York 1952, S. 8).
Ausbürgerung
Am 14. April 1939 wurden er und seine Frau wegen ihrer Widerstandstätigkeit ausgebürgert und beiden die akademischen Titel aberkannt (Volker Siebels: Ernst Landsberg (1860-1927), 2011, S. 208).
Beteiligung an der "Décade de la destinée" in Pontigny
Vom 26. Juli bis 5. August 1939 war Landsberg an der „Décade de la destinée“ in Pontigny beteiligt (vgl. Gabriel Marcel, Gaston Fessard: Correspondance 1934-1971, hrsg. von Henri de Lubac, 1985, S. 193).
Artikel in Münzenbergs Zeitschrift "Zukunft" (1939/40)
Landsberg arbeitete weiterhin eng mit dem kommunistischen Verleger Willi Münzenberg zusammen und wirkte 1939/40 bei der von Münzenberg herausgegebenen Zeitschrift „Zukunft“ mit, dem Organ der Deutsch-Französischen Union (Paul Ludwig Landsberg: Deutschland erwache, in: Die Zukunft, 37, 1939, S. 5; Recht ist, was dem deutschen Volke nützt, in: ebd., 38, 1939, S. 5; Sigmund Freud in: ebd., 39, 1939; Limes, in: ebd., 40, 1939; Grußbrief zu: Ein Jahr Zukunft, in: ebd., 41, 1949, S. 4; Der Gerechte Krieg, in: ebd., 42, 1939, S. 4-5; Henri Bergson, in: ebd., 43, 1939, S. 5; Feind der Menschheit, in: ebd., 43, 1939, S. 5; Hitlerrätsel, in: ebd., 44, 1939, S. 5; Grenzen der Propaganda, in ebd.; 46, 1939, S. 5; Wo wir stehen müssen, in: ebd., 48, 1939, S. 4; Unter falscher Flagge, in: ebd., 49, 1939, S. 4-5; Zu Rauschnings Gesprächen mit Hitler, in: ebd., 50, 1939, S. 4-5; Die Stimme eines freien Denkers, in: ebd., 5, 1940, S. 5; Hermann U. Kantorowitz zum Gedächtnis, in: ebd., 10, 1940, S. 4-5; Rezension zu B. Grimm: Das Ende der nationalen Front, in: ebd., 16, 1940, S. 7).
Der „Kampf gegen Hitler“ ist für Landsberg eine „allgemeine Menschenpflicht“ (Paul Ludwig Landsberg: Wo wir stehen müssen, 60, 1939, S. 4), der vor allem ein Kampf für die „Verteidigung alles sinnvollen Lebens in Europa“ und „Einsatz für die Werte der menschlichen Person, für ihre unveräußerlichen Rechte und die unbedingte Bedeutung ihrer rechtlich geordneten Freiheit im staatlichen Leben eines Kulturvolkes“ sein müsse (Paul Ludwig Landsberg: Deutschland erwache, in: a.a.O., S. 5/Grußbrief, in: a.a.O., S. 4). Engagement, Widerstand und Kampf für eine freie Existenz sei dort erforderlich, wo Hitlers Vertierung sich auf andere gefräßig und blind auszuwirken beginnt: „Höchst listig und gewaltsam ist das Unwesen, das er uns vorführt, aber bei aller Verschlagenheit letzten Endes doch nicht klug zu nennen, eine Art von Tier eben doch; wenn auch oft ein übermenschlich-unmenschlich dämonisch schlaues Tier. Ein Tier, das ehrlich nur an seine wilden Appetite glaubt, und im Mitwesen die Beute sieht, die es zu verschlingen gilt. ... Was uns heute angreift, ist schlechthin unmenschlich gewordene Gewalt“ (Paul Ludwig Landsberg: Zu Rauschnings Gesprächen, in: a.a.O., S. 4 f.).
Hier liegt für Landsberg auch die Legitimation für den „gerechten Krieg“ (Paul Ludwig Landsberg: Recht ist, was dem deutschen Volke nützt, in: a.a.O., S. 5; Der gerechte Krieg, in: a.a.O., S. 4f.; Wo wir stehen müssen, in: a.a.O., S. 4) gegen die Propaganda und geschickt inszenierten Demagogie, durch die eine Ideologie erst zur „grundlegenden Lebensbestimmung“ werden könne (vgl. Paul Ludwig Landsberg: Wo wir stehen müssen, in: a.a.O., S. 4). Auf dem politischen Felde degeneriere die Sprache dann zu einem Instrument zur Schaffung einer „Herde“ oder „Masse“. Bevor Gewalt und Terror nahezu anstandslos hingenommen oder gar begrüßt werden, muss der Propagandist die Charaktere präparieren. Bevor der ungehemmte Machtwille und räuberische Kriegsegoismus zur „natürlichen Ein-Stellung“ werden, die allmächtige Gegenwart des Staates geduldet oder ehe noch bejaht wird, muss eine propagandistische Menschenformung mitwirksam geworden sein. Private, neutrale oder oppositionelle Spielräume frei verantworteter politischer Existenz verlieren ihre Wirklichkeit, wenn sich eine politische Macht rücksichtslos kontrollierend, prägend und gleichschaltend auf alle Lebensbereiche erstreckt, indem sie die Mittel der Indoktrination, der Einschüchterung, der `Prämien´ und der Gewalt zum Einsatz bringt. Die Gleichschaltung der Lebensbereiche und die Ausschaltung der Freiräume ist dabei nicht nur von einer Ohnmacht der Massen begleitet, die keine Kontrolle mehr über die auf sie ausgeübte Herrschaft besitzen, sondern auch von einer Ohnmacht der Humanisierung. Propaganda ist ein meist entstellender und verlogener Kommentar der Wirklichkeit (vgl. Paul Ludwig Landsberg: Grenzen der Propaganda, in: a.a.O., S. 5). Wenn auch die Lügenpropaganda auf die Dauer nicht den Sieg davon tragen kann, weil sie dem „Wahnglauben an die unbegrenzte Willkürmacht der Lüge“ erliegt (Paul Ludwig Landsberg: Zu Rauschnings Gesprächen, in: a.a.O., S. 5), so kann sie doch eine lange und grauenvolle Zeit des Leidens erzeugen, die es ohne Zögern von allerwichtigster Bedeutung macht, Ansatz, Ziel und Techniken der Propaganda zu vergegenwärtigen. Propaganda ist Landsberg die Organisation des Willens durch Lüge und Drohung und setzt bei der „politischen Ahnungslosigkeit“ an (vgl. Paul Ludwig Landsberg: Deutschland erwache, in: a.a.O., S. 5). Zum Ethos jeder „Gegenpropaganda“ müsse es daher gehören, das Prinzip der sich personalisierenden Besonderung des historischen Werdeseins „Mensch“ und damit jedes „echte geistige Leben“ und die Möglichkeit „wahrer Selbstbesinnung“ als ihre Grundlage anzuerkennen und ihre Verstellungen zu analysieren (vgl. Paul Ludwig Landsberg: Grenzen der Propaganda, in: a.a.O., S. 5): „Trotz alledem vermuten wir, dass die Geschichte nicht gering anschlagen wird, was die deutschen Flüchtlinge sei 1933 in allen Erdteilen an Aufklärung über die Weltgefahr Hitler verbreitet haben. Da galt es nicht zu verleumden oder zum Kriege zu hetzen, wohl aber war es Menschenpflicht, schonungslos die Wahrheit zu sagen und den großen offenen Rachen des Wolfsmenschentums sichtbar zu machen, dessen Gefräßigkeit keine Grenzen kennen konnte“ (Paul Ludwig Landsberg: Zu Rauschnings Gesprächen mit Hitler, S. 4).
VIII. In Kriegszeiten (1939 bis 1943)
Flucht von Paris über Lyon nach Pau
Nach Kriegsbeginn arbeitete Landsberg zunächst noch als Kommentator für „German Broadcasts of Radio Paris“.
Durch die Hilfe seiner französischen Freunde wurde er 1939/40 vor der ersten Internierungsverfügung für alle deutschen Männer in Frankreich bewahrt und konnte in der Bretagne untertauchen. Dort wurde er 1940 vorübergehend interniert, floh dann aber weiter gen Süden, zunächst nach Lyon, wo er für einige Wochen bei Lacroix zu Gast war (Lacroix, Jean: Preface, in: Landsberg, Essai sur l'expérience de la mort, 1951). In Südfrankreich, im pyrenäischen Ort Pau, angekommen, lebte er dort bis Anfang 1943. Ein befreundeter Polizeipräfekt hatte ihm dafür einen französischen Pass auf den Decknamen „Paul Richert“ ausgestellt, mit Berufsangabe Arzt und Herkunftsangabe Elsass, unter dem er aber nicht mehr publizierte.
In seinem Glauben wirkte 1941 ein „mystisches Jesus-Erlebnis“ entscheidend, das Landsberg „in einem Zyklus von vier Christus-Gedichten und seiner gesamten Gesinnung, Lebensführung und Leidensbereitschaft zum Ausdruck brachte. Weitere aus den Jahren 1940/42 in Pau stammende - später von Albert Beguin und Bertrand d'Astorg ins Französische übersetzte und posthum in Esprit veröffentlichte - Gedichte bezeugen seine Verachtung Hitlers, seine dankbare Verehrung Frankreichs und General de Gaulles und bekunden in einer Sprache des Gebets seine politische Hoffnungslosigkeit und zugleich religiöse Hoffnung: `Herr, laß die Nacht der Welt um uns vergehn´“ (hier zitiert nach Verena Lenzen: Paul Ludwig Landsberg - ein Name in Vergessenheit, in: Exil, 11, 1991, Nr. 1., S. 16, zum einen unter Verweis auf deren englische Übersetzung bei John M. Oesterreicher: Walls are crumbling, Seven Jewish Philosophers Discover Christ, New York 1952, S. 226; zum anderen auf Paul Ludwig Landsberg: Poemes spirituels, in: Esprit, 1952, S. 49-56, hier S. 50. Lenzen verweist außerdem auf Jean Lacroix: Vorwort, in: Paul Ludwig Landsberg: Problemes du personnalisme, S. 7-11). Eines dieser spirituellen Gedichte vergegenwärtigte das Kloster Monte Cassino (Landsberg, Poemes spirituels, a.a.O., S. 50), in dem er nach dem Krieg - so seine Frau (siehe unten) getauft werden wollte.
Exkurs: Mounier und die Zeitschrift Esprit (1939-1946)
In den ersten beiden Kriegsjahren konnte die Zeitschrift noch relativ unbehellig weitererscheinen. Von Landsberg erschienen darin im Oktober 1939 noch seine “Réflexion pour une philosophie de guerre” sowie im Januar 1940 der Artikel "Les faussaires” mit dem eindrücklichen Satz: “La volonté de puissance russe ne peut plus se cacher derrière la classe ouvrière comme l'impérialisme naziste ne peut plus se cacher derrière la nation allemande.”
Am 25. August 1941 wurde die Zeitschrift „Esprit“ durch das Vichy-Regime verboten. Mounier wurde am 15. Januar 1942 auf Anordnung des Vichy-Regimes verhaftet, weil er als einer der geistigen Führer der Widerstandsgruppe Combat, die aus Linkskatholiken und Rechtssozialisten bestand, galt. Erst am 30. Oktober 1942 wurde er endgültig wieder freigelassen. Während der neun Monate schrieb er sein Buch „Traité du caractère“, das dann 1946 erschien. Nach der Freilassung zog Mounier unter dem Mädchennamen seiner Frau (Paulette Leclerq) nach Dieulefit, machte aber er sein neues Zuhause erneut zum Versammlungsort des Esprit-Kreises. 1944 kehrte Mounier nach Paris zurück und gab noch im Dezember 1944 die erste Ausgabe einer neuen Serie der Zeitschrift „Esprit“ heraus. Auch das Zentrum des Esprit-Kreises wechselt wieder in sein altes Haus. An dieser neuen Serie arbeiteteten Berdiajew, Jean Lacroix, René Biot, Jacques Maritain, Gabriel Marcel, Louis Lavelle und Louis Meylan mit.
Diese erste Ausgabe enthält auch einen letztlich posthumen Text von Paul Ludwig Landsberg (siehe oben). Und in seiner wohl letzten, ebenfalls posthum veröffentlichten Schrift notierte er: „leben heißt, ein Kreuz tragen“ (Paul Ludwig Landsberg: Das moralische Problem des Selbstmordes, in: ebd.: Die Erfahrung des Todes, S. 91-130, S. 119; übers. v. Eva Moldenhauer. Erste frz. Veröffentlichung: Le probleme moral du suicide, in: Esprit, 1946, S. 800-821; erste dt., leicht gekürzte Fassung, übers, v. Friedhelm Kemp, in: Hochland 39 (1946/47), S. 401-419).
Internierung und Trennung von seiner Frau
Die zweite Internierungswelle, die Männer und Frauen betraf, erfasste nun auch das Ehepaar Landsberg. „Durch Freunde vor der Verhaftung durch die Gestapo gewarnt, verließ er eines Abends seine Wohnung, erreichte jedoch den Zug am Bahnhof nicht mehr, kehrte nach Hause zurück und wurde dort beim Aufbruch am nächsten Morgen, dem 23. Februar 1943, von der Gestapo festgenommen“ (Verena Lenzen: Paul Ludwig Landsberg - ein Name in Vergessenheit, in: Exil 1933-1945, 1/1991, S. 5-22, hier S. 15).
Anschließend wurden sie in getrennte Lager verfrachtet, Landsberg in die Bretagne, seine Frau nach Gurs bei Pau im Süden Frankreichs. Die deutschen Truppen und mit ihnen die Gestapo drangen nach der Kapitulation Frankreichs immer weiter vor. Viele der Internierungslager wurden den Deutschen übergeben, so auch jenes bretonische Lager, in das Landsberg deportiert worden war. In buchstäblich letzter Minute gelang ihm und einigen anderen die Flucht. Mit dem Fahrrad fuhr Landsberg auf der Suche nach seiner Frau quer durch das besetzte und "freie" Frankreich. Einige Wochen blieb er in Lyon bei seinem Freund Lacroix, bevor er wieder weitersuchte. Er lehnte die Möglichkeit einer sofortigen Ausreise nach Amerika, die ihm Freunde verschafft hatten, obwohl seine Frau als "Arierin" nicht so gefährdet war wie er. Er fand sie letztendlich in Pau, doch war sie dort infolge eines Nervenzusammenbruchs im Lager Gurs so schwer erkrankt, dass sie nicht reisefähig war. Daher blieb auch Landsberg wider allen Rat dort, obwohl sich seine wahre Identität auf Dauer nicht geheim halten ließ.
Scheitern der Flucht
Als er sich schließlich - nach einer Besserung des gesundheitlichen Zustandes seiner Frau - im März 1943 doch noch dazu entschloss, die für die Ausreise nach Amerika erforderlichen Papiere zu besorgen, war es schließlich zu spät. Auch der Fluchtversuch mit dem Zug scheiterte an einer Razzia der Gestapo. Landsberg kehrte daraufhin fataler Weise in sein Hotel zurück. Inzwischen war er von einem französischen Nachbarn als deutschfeindlicher Elsässer verraten und daher am nächsten Morgen verhaftet worden.
Tod im Konzentrationslager Sachsenhausen
Er wurde in das Konzentrationslager Sachsenhausen(-Oranienburg) überführt. Gequält, gedemütigt und ohne ausreichende Nahrung erkrankte er dort an Tuberkulose. Er starb am Pfingstsonntag des Jahres 1944 an Auszehrung und Entkräftung im Krankenbereich des Konzentrationslagers. Seine letzte Gebärde, die ein Augenzeuge aus dem Konzentrationslager beschrieb, war ein Kreuzzeichen, mit dem der Sterbende stumm die Zurückbleibenden segnete (vgl. Gedächtnisschrift für Professor Doktor Ernst Landsberg (1860-1927), Frau Anna Landsberg geb. Silverberg (1878-1938), Doktor Paul Ludwig Landsberg (1901-1944), Bonn 1953, S. 7 f.).
IX. Madeleine Landsbergs Bericht über die geplante Konversion ihres Mannes
Madeleine Landsberg hatte gegen Ende des Jahres 1940 während der Internierung große psychische Probleme (vgl. Gabriele Mittag: "Es gibt Verdammte nur in Gurs": Literatur, Kultur und Alltag in einem südfranzösischen Internierungslager, 1940-1942, 1996, S. 230). Im Unterschied zu Landsberg überlebte sie aber das Dritte Reich und kehrte im Oktober 1947 nach Deutschland zurück, nachdem sie ihre geistige Gesundheit vorläufig zurückgewinnen konnte. 1948 wandte sie sich an die Stadt Bonn und den Rektor der Universität und erreichte eine Gedenkfeier mit feierlicher Enthüllung einer Gedenkplakette auf dem Familiengrab ihres Mannes in Bonn. Die Gedenkplakette für Paul Ludwig Landsberg auf dem Bonner Friedhof verschwand allerdings, als 1963 das Familiengrab in Bonn aufgelöst wurde und die Urnen der Eltern von Landsberg nach Bedburg, der Geburtsstadt seiner Mutter, überführt wurden.
Da Madeleine Landsberg ansonsten wenig Unterstützung in ihrem Anliegen erhielt, das Werk ihres Mannes hochzuhalten, kehrte nach Frankreich zurück, und lebte in Bordeaux und Paris. Ihre finanziellen Verhältnisse zwangen sie allerdings 1952 nochmals dazu, in das mittlerweile doppelt verhasste Deutschland zurückzukehren. Dort erlitt sie bereits ein Jahr später einen gesundheitlichen Rückschlag und wurde unter staatliche Pflegschaft gestellt. 1954 starb sie in einer Nervenheilanstalt an Herzversagen.
Madeleine Landsberg hat allerdings einige erinnernde Berichte über ihren Mann hinterlassen. Zur Frage, warum Landsberg nicht zu der ihm näherstehenden katholischen Kirche konvertiert sei, schreibt Verena Lenzen auf deren Grundlage: „Wer mit Landsbergs Schriften und Gedanken vertraut ist, wird zunächst einmal von dem Faktum überrascht sein, daß er kein getaufter Katholik war, sondern jüdischer Herkunft und Mitglied der Evangelischen Kirche. Schon in seinen frühen Schriften über die Welt des Mittelalters und über Augustinus, der neben Thomas von Aquin und Theresa von Avila eine Leitfigur seines Lebens, Denkens und Glaubens blieb, bewies Landsberg Nähe und Neigung zur katholischen Glaubenslehre. Lange Zeit besuchte er regelmäßig den katholischen Sonntagsgottesdienst. Er liebte die römisch-katholische Liturgie, war mit einigen Priestern gut befreundet und verehrte die Benediktinerabtei Maria Laach als seinen Lieblingsort. Wenn er in den dreißiger Jahren gefragt wurde, warum er noch nicht zum katholischen Glauben konvertiert wäre, erklärte er, der katholischen Kirche beitreten zu wollen, wenn sie ihr „Werdesein" vollendet hätte. Er selbst verstand seine geistig-religiöse Entfaltung als ein „Werdesein" in auf die Kirche.“ (Paul Ludwig Landsberg - ein Name in Vergessenheit, in: Exil, 11, 1991, Nr. 1. S. 5—22, hier S. 16)
Lenzen verweist außerdem auf den Bericht Magdalena Landsbergs, dass dieser beschlossen habe, "seine Konversion zum katholischen Glauben, die er sorgfältig und ernsthaft vorzubereiten dachte. Nach dem Krieg wollte er sich von Pere Gaston Fessard S.J. und von Romano Guardini im römischkatholischen Glauben unterweisen lassen und in der Benediktinerabtei Monte Cassino die Taufe empfangen.“ (Lenzen, a.a.O., unter Berufung auf John M. Oesterreicher: Walls are crumbling, Seven Jewish Phi-losophers Discover Christ, New York 1952, S. 229f.; auch in ders.: Five in search of wisdom, 1967, S. 223). Von Fessard (1897-1978) kannte Landsberg in jedem Fall dessen Schrift "Pax nostra. Examen de conscience international" (Paris 1936), da er darauf Bezug genommen hat (vgl. Annali (Milan. Fondazione Giangiacomo Feltrinelli, 1985, S. 86).
X. Literaturverzeichnis
- Marietta Siebeke: Paul Ludwig Landsberg - Ein Exilkrimi, Internet-Quelle: http://www.dhm.de/lemo/forum/kollektives_gedaechtnis/210/;
- Konrad Feilchenfeldt: Christliches Volksfrontverhalten. Mit einem Exkurs über Paul Ludwig Landsberg, in: Christliches Exil und christlicher Widerstand. Ein Symposium an der Katholischen Universität Eichstätt. Regensburg 1987, S. 55-69
- Verena Lenzen: Paul Ludwig Landsberg - ein Name in Vergessenheit, in: Joachim H. Koch (Hrsg.): Exil, Bad Homburg, 11, 1991, 1, S. 5-22;
- Gedächtnisschrift für Professor Doktor Ernst Landsberg (1860-1927), Frau Anna Landsberg geb. Silverberg (1878-1938), Doktor Paul Ludwig Landsberg (1901-1944), Bonn, 1953.
XI. Nachtrag: Landsberg und Guardini als Vertreter ständestaatlicher Ideen?
wird noch ergänzt