Romano Guardini und Martin Heidegger: Unterschied zwischen den Versionen

Aus Romano-Guardini-Handbuch
Zeile 860: Zeile 860:
=== Der Weg in die „blanke Diesseitigkeit“ ===  
=== Der Weg in die „blanke Diesseitigkeit“ ===  
== Heideggers Glückwünsche zum 80. Geburtstag ==  
== Heideggers Glückwünsche zum 80. Geburtstag ==  
== Die letzte Kontakte zwischen 1966 bis 1968 ==  
== Die letzte Kontakte zwischen 1966 bis 1968 ==
Die beiden letzten, bislang bekannten Kontakte zwischen Heidegger und Guardini lassen sich an zwei Postkarten Heideggers an Guardini festmachen, die vom 22. Dezember 1966 und vom 1. Januar 1968 stammen. In der letzteren bedankt sich Heidegger ausdrücklich für die vorausgegangenen Weihnachtsgrüße von Guardini. Auffallend ist, dass Heidegger 1966 kurzzeitig trotz der Anrede „Lieber Freund“ ins „Siezen“ zurückfällt, 1968 aber wieder mit „Dein Martin Heidegger“ unterschreibt. Die letzte, nicht gelaufene und wohl in ein Buchgeschenk eingelegte Postkarte erinnert ausdrücklich, wenn auch nur sehr allgemein an das „alte Freiburg“.
 
==== Q 102 ====
Postkarte Martin Heideggers an Romano Guardini vom 22. Dezember 1966 [BSB Ana 342, B 4-Sonderkonvolut, Mappe 1]
 
''Zusammenfassung wird noch erstellt.''
 
==== Q 103 ====
Postkarte von Martin Heidegger an Romano Guardini vom 1. Januar 1968 [BSB Ana 342, B 4-Sonderkonvolut, Mappe 1]
 
''Zusammenfassung wird noch erstellt.''
 
== Heidegger über Guardini im Seminar in Zähringen 1973 ==
== Heidegger über Guardini im Seminar in Zähringen 1973 ==
Heidegger hat nach Guardinis Tod – nach jetzigem Kenntnisstand – nur noch ein einziges Mal ausdrücklich auf ihn Bezug genommen: in einem Seminar in Zähringen im Jahr 1973. Aus einer Mitschrift von Heideggers Gedanken geht hervor, dass er dabei Guardinis Sichtweise kritisiert hat, das griechische Denken sei gegenüber dem neuzeitlichen Denken „objektiver“:
Heidegger hat nach Guardinis Tod – nach jetzigem Kenntnisstand – nur noch ein einziges Mal ausdrücklich auf ihn Bezug genommen: in einem Seminar in Zähringen im Jahr 1973. Aus einer Mitschrift von Heideggers Gedanken geht hervor, dass er dabei Guardinis Sichtweise kritisiert hat, das griechische Denken sei gegenüber dem neuzeitlichen Denken „objektiver“:

Version vom 21. Januar 2025, 17:09 Uhr

Von „geistigen Potenzen“ und „kaputtgehendem Denken“.
Romano Guardini (1885-1968) und Martin Heidegger (1889-1976).
Historische Dokumentation einer langwährenden Beziehung (1912-1968)
zusammengestellt und erläutert von Helmut Zenz
Datei in Übertragung (Stand: 73/292 Seiten = 25,0 %)

Vorbemerkungen

Anlass

Nachfolgende Historische Dokumentation wurde im Vorfeld eines Vortrags "Heidegger-Guardini - ein währendes Gespräch? Neue Dokumente zur Forschungslage" im Rahmen der gemeinsamen Tagung "`Sehr bedeutungsvoll scheint mir diese Gedankenwelt.´ Neues zum Gespräch zwischen Romano Guardini & Martin Heidegger" des Freundeskreises Mooshausen e.V. und der Martin-Heidegger-Gesellschaft e.V. vom 9. bis 11. Juli 2021 im Schloss zu Meßkirch erstellt und im Anschluss daran fortlaufend ergänzt. Ursprünglich war eine Buchveröffentlichung unter Abdruck des Briefwechsels und zahlreicher bislang noch unpublizierter Archivalien und weitgehend unbekannter Texte geplant, die sich aber nicht realisieren hat lassen. Um die Ergebnisse möglichst breit der nationalen und internationalen Guardini- und Heidegger-Forschung noch zeitnah zur Verfügung zu stellen, nehme ich die Dokumenation hier in das Romano-Guardini-Handbuch auf.

Liste der ausgewerteten neu- oder wiederabgedruckten Quelltexte

  • Q 1: Widmung Heideggers an Guardini (um 1915) [Guardini-Bibliothek gb 4039]
  • Q 2: Brief von Romano Guardini an Martin Heidegger (10. April 1916) [Deutschen Literaturarchiv Marbach Nr. 75.6840/1, erstmals in: Heidegger-Jahrbuch I, 2004]
  • Q 3: Brief von Romano Guardini an Martin Heidegger (20. April 1916) [Deutschen Literaturarchiv Marbach Nr. 75.6840/2, erstmals in: Heidegger-Jahrbuch I, 2004]
  • Q 4: Widmung Heideggers an Guardini (1930) [Guardini-Bibliothek gb 4050]
  • Q 5: Widmung Heideggers an Guardini (1930) [Archiv Burg Rothenfels]
  • Q 6: Postkarte von Romano Guardini an Fanny Kempner (27. Juni 1931) [Privat-Archiv Gerl-Falkovitz]
  • Q 7: Auszug aus dem Brief von Romano Guardini an Johannes Spörl vom 26. Januar 1933 [Guardini-Archiv der Katholischen Akademie in Bayern Nr. 1240]
  • Q 8: Postkarte von Romano Guardini an Fanny Kempner vom 2. Februar 1933 [Pri-vat-Archiv Gerl-Falkovitz]
  • Q 9: Auszug aus dem Tagebuch Romano Guardinis (Eintrag vom 12. Juni 1932) [Guardini-Archiv der Katholischen Akademie in Bayern Nr. …???]
  • Q 10: Romano Guardini: Typoskript „Der Zustand des Gefallen-Seins“ [Guardini-Archiv der Katholischen Akademie in Bayern Nr. 86]
  • Q 11: Briefauszug von Romano Guardini an Johannes Spörl (13. Mai 1933) [Guardini-Archiv der Katholischen Akademie in Bayern Nr. 1240]
  • Q 12: Widmung Heideggers an Guardini (vor 1941) [Guardini-Bibliothek gb 4053]
  • Q 13: Widmung Heideggers an Guardini (1941) [Guardini-Bibliothek gb 4048]
  • Q 14: Gleichlautende Widmungen Heideggers an Guardini (1943) [Guardini-Bibliothek gb 4041, gb 4046 und gb 4047]
  • Q 15: Auszug aus dem Brief von Johannes Spörl an Romano Guardini vom 28. September 1944 [Guardini-Archiv der Katholischen Akademie in Bayern Nr. 1239]
  • Q 16: Brief von Martin Heidegger an Romano Guardini vom 6. August 1945 [Guardini-Archiv der Katholischen Akademie in Bayern Nr. 875]
  • Q 17: Auszug aus Brief von Romano Guardini an Johannes Spörl vom 6. Januar 1946 [Guardini-Archiv der Katholischen Akademie in Bayern Nr. 1239]
  • Q 18: Briefdurchschlag von Romano Guardini an Martin Heidegger vom 14. Januar 1946 [BSB Ana 342, B 12/007, auszugsweise bereits publiziert in: Hugo Ott, 1985]
  • Q 19: Briefentwurf von Johannes Spörl an Romano Guardini vom 27. März 1946 (Guardini-Archiv der Katholischen Akademie in Bayern Nr. 1240]
  • Q 20: Auszug aus einem Brief von Romano Guardini an Johannes Spörl vom 4. April 1946 [Guardini-Archiv der Katholischen Akademie in Bayern Nr. 1241]
  • Q 21: Briefdurchschlag von Romano Guardini an Johannes Spörl vom 4. April 1946 [BSB, B 13/069, auszugsweise zitiert bei Gerl, 1985, S. 331; Originalbrief]
  • Q 22: Brief von Franz Büchner an Romano Guardini vom 3. Mai 1946 [BSB Ana 342, C 112-6]
  • Q 23: Brief von Romano Guardini an Franz Büchner vom 20. Mai 1946 [Entwurf BSB, C 112-6 sowie Guardini-Archiv der Katholischen Akademie in Bayern Nr. 1197; Abschrift an Dekan Robert Heiß in Universitätsarchiv Freiburg B 3 77]
  • Q 24: Auszug aus einem Briefdurchschlag von Romano Guardini an Johannes Spörl vom 20. Mai 1946 [BSB Ana 342, B 13/069, auszugsweise schon zitiert bei Gerl, 1985, S. 331]
  • Q 25: Auszug aus einem Brief von Martin Heidegger an Viktor E. von Gebsattel vom 25. Januar 1973 (DLA Marbach)
  • Q 26: Widmung Heideggers an Gebsattel in „Hölderlins Hymne: `Wie wenn am Feiertage …´ vom Mai 1946 (DLA Marbach)
  • Q 27: Brief von Franz Büchner an Romano Guardini vom 3. August 1946 [BSB Ana 342, C 112-6]
  • Q 28: Brief von Romano Guardini an Franz Büchner vom 4. September 1946 [Entwurf BSB C 1/12-6; Original in Universitätsarchiv Freiburg i. Br., E 23-176]
  • Q 29: Brief von Franz Büchner an Romano Guardini vom 21. September 1946 [Original BSB C 112-6; Entwurf im Universitätsarchiv Freiburg i. Br., E 23-176]
  • Q 30: Offizielle Anfrage von Franz Büchner an Romano Guardini vom 21. September 1946 [BSB Ana 342, C 112-6 in doppelter Ausführung]
  • Q 31: Brief von Romano Guardini an Franz Büchner vom 27. September 1946 [BSB Ana 342, C 112-6]
  • Q 32: Briefdurchschlag von Romano Guardini an Franz Büchner vom 9. bzw. 19. Oktober 1946 [BSB Ana 342, C 112-6]
  • Q 33: Briefdurchschlag von Romano Guardini an Theodor Steinbüchel vom 9. bzw. 19. Oktober 1946 [BSB Ana 342, C 107-13]
  • Q 34: Brief von Romano Guardini an Johannes Spörl vom 19. Oktober 1946 [Guardini-Archiv der Katholischen Akademie in Bayern, Nr. 1197]
  • Q 35: Brief von Johannes Spörl an Romano Guardini vom 24. Oktober 1946 [BSB Ana 342, B 4/3-171]
  • Q 36: Brief von Hans-Georg Gadamer an Romano Guardini vom 13. Mai 1949 [BSB, B 11/119]
  • Q 37: Beigelegter Brief von Kurt Riezler an Hans-Georg Gadamer (Abschrift) [BSB B 11/119, ohne Datum]
  • Q 38: Beigelegter Brief von Werner Gottfried Brock an Hans-Georg Gadamer (Abschrift) vom 28. April 1949 [BSB, B 11/119]
  • Q 39: Brief von Gerhard Krüger an Romano Guardini vom 18. Mai 1959 [BSB Ana 342, B 4-Sonderkonvolut, Mappe 3]
  • Q 40: Brief von Hans-Georg Gadamer an Romano Guardini vom 21. Mai 1949 [BSB Ana 342, B 11/119]
  • Q 41: Brief von Gerhard Krüger an Romano Guardini vom 26. Mai 1949 [BSB Ana 342, B 4 – Sonderkonvolut]
  • Q 42: Briefdurchschlag von Romano Guardini an Hans-Georg Gadamer vom 30. Mai 1949 [BSB Ana 342, B 11/119]
  • Q 43: Brief von Hans-Georg Gadamer an Romano Guardini vom Juni 1949 [BSB Ana 342, B 22/02-24]
  • Q 44: Briefdurchschlag von Romano Guardini an Hans-Georg Gadamer vom 28. Dezember 1949 [BSB Ana 342, B 22/02-24]
  • Q 45: Briefdurchschlag von Hans-Georg Gadamer an Romano Guardini vom 20. Januar 1950 [BSB Ana 342, B 22/02-24]
  • Q 46: Briefdurchschlag von Romano Guardini an Hans-Georg Gadamer vom 23. Februar 1950 [BSB Ana 342, B 22/02-24, Original in Krüger-Nachlass, Archiv der Universitätsbibliothek Tübingen]
  • Q 47: Brief von Gerhard Krüger an Romano Guardini vom 27. Februar 1950 [BSB Ana 342, B 22/02-24]
  • Q 48: Briefauszug von Romano Guardini an Gerhard Krüger vom 28. Februar 1950 [Archiv der Universitätsbibliothek Tübingen Mn 13-908]
  • Q 49: Briefdurchschlag von Romano Guardini an Hans-Georg Gadamer vom 28. Februar 1950 [BSB Ana 342, B 22/02-24]
  • Q 50: Brief von Max Müller an Romano Guardini vom 11. Juni 1949 [BSB Ana 342, B 12/138]
  • Q 51: Briefentwurf von Romano Guardini an Max Müller (nach dem 11. Juni 1949) [BSB Ana 342, B 4- Sonderkonvolut, Mappe 1]
  • Q 52: Briefentwurf von Romano Guardini an Max Müller vom 18. Juni 1949 [BSB Ana 342, B 4-Sonderkonvolut, Mappe 1]
  • Q 53: Briefdurchschlag von Romano Guardini an Max Müller vom 1. Juli 1949 [Guardini-Archiv der Katholischen Akademie in Bayern Nr. 1246; auszugsweise veröffentlicht bei Hugo Ott, 1985, jetzt vollständig in: Heidegger-Jahrbuch, Band 4: Heidegger und der Nationalsozialismus I, 2009 - dort ist auch die Korrespondenz zwischen Max Müller und den entsprechenden Universitätsgremien abgedruckt - und bei Gerl-Falkovitz, 2019]
  • Q 54: Brief von Max Müller an Romano Guardini vom 4. Juli 1949 [BSB Ana 342, B 4- Sonderkonvolut, Mappe 1]
  • Q 55: Brief von Max Müller an Guardini vom 13. Juli 1949 [BSB Ana 342, B 4-Sonderkonvolut, Mappe 1; Abschrift in Guardini-Archiv der Katholischen Akademie in Bayern Nr. 1246, veröffentlicht bei Gerl-Falkovitz, 2019]
  • Q 56: Abschrift eines Briefes von Romano Guardini an Max Müller vom 26. Juli 1949 [Guardini-Archiv der Katholischen Akademie in Bayern Nr. 1246, bereits veröffentlicht in: Gerl-Falkovitz, 2019]
  • Q 57: Auszug aus einem Brief von Romano Guardini an Johannes Spörl vom 30. Juli 1949 [Guardini-Archiv der Katholischen Akademie in Bayern Nr. 1246]
  • Q 58: Widmung Heideggers an Guardini (1949) [Guardini-Bibliothek gb 4043]
  • Q 59: Brief von Romano Guardini an Martin Heidegger vom 10. September 1950 [Nachlass Martin Heidegger Bitte noch genauen Fundort angeben???]
  • Q 60: Brief von Martin Heidegger an Romano Guardini vom 18. Dezember 1950 [Guardini-Archiv der Katholischen Akademie in Bayern, Nr. 878]
  • Q 61: Karte von Romano Guardini an Martin Heidegger aus Isola Vicentina vom 30. März 1951 [Nachlass Martin Heidegger Bitte noch genauen Fundort angeben ???]
  • Q 62: Karte von Martin Heidegger an Romano Guardini vom 19. Mai 1951 [Guardini-Archiv der Katholischen Akademie in Bayern, Nr. 882]
  • Q 63: Widmung Heideggers an Guardini (1951) [Guardini-Bibliothek gb 4049]
  • Q 64: Brief von Martin Heidegger an Romano Guardini vom 19. Januar 1952 [Guardini-Archiv der Katholischen Akademie in Bayern, Nr. 879]
  • Q 65: Widmung Heideggers an Guardini (8. Juli 1952) [Guardini-Bibliothek gb 4052]
  • Q 66: Brief von Romano Guardini an Martin Heidegger vom 26. September 1953 [Deutsches Literaturarchiv Marbach, A: Heidegger, Martin 1/Schuber/B 75]
  • Q 67: Brief von Martin Heidegger an Romano Guardini vom 23. Oktober 1953 [Guardini-Archiv der Katholischen Akademie in Bayern, Nr. 880]
  • Q 68: Romano Guardini: Zur Absicht der Tagungen der Akademie (1954) [BSB Ana 342, B 23/1-3]
  • Q 69: Brief von Max Müller an Romano Guardini vom 19. Januar 1954 [BSB Ana 342, C 2/08-03]
  • Q 70: Brief von Romano Guardini an Max Müller vom 27. Januar 1954 [BSB Ana 342, C 2/08-07]
  • Q 71: Briefdurchschlag von Romano Guardini an Max Müller vom 20. Februar 1954 [BSB Ana 342, C 2/08-27]
  • Q 72: Brief von Max Müller an Romano Guardini vom 28. Februar 1954 [BSB Ana 342, B 4-Sonderkonvolut, Mappe 3]
  • Q 73: Widmung Heideggers an Guardini 22. Juni 1954 [Guardini-Bibliothek gb 4044]
  • Q 74: Brief von Martin Heidegger an Romano Guardini vom 15. Februar 1955 [(Guardini-Archiv der Katholischen Akademie in Bayern, Nr. 875]
  • Q 75: Widmung Heideggers an Guardini zum 70. Geburtstag (1955) [Guardini-Bibliothek gb 4056]
  • Q 76: Widmung Heideggers an Guardini (1956) [Guardini-Bibliothek gb 4054]
  • Q 77: Widmung Heideggers an Guardini (1957) [Guardini-Bibliothek gb 4059]
  • Q 78: Brief von Romano Guardini an Martin Buber vom 11. März 1958 [BSB Ana 342, B 23/01-03-17]
  • Q 79: Briefauszug von Clemens Graf Podewils an Romano Guardini vom 8. Oktober 1958 [BSB Ana 342, B 23/01-03]
  • Q 80: Postkarte von Martin Heidegger an Romano Guardini vom 23. Dezember 1958 [BSB Ana 342, B 4-Sonderkonvolut, Mappe 1]
  • Q 81: Brief von Romano Guardini an den Präsidenten der Akademie der Schönen Künste Herrn Prof. Dr. Emil Preetorius vom 24. Januar 1959 [BSB Ana 342, B 23/01-03-25]
  • Q 82: Romano Guardini: Typoskript „Über die neue Aufgabe der Akademie“ (16. März 1959) [Guardini-Archiv der Katholischen Akademie in Bayern, Nr. 806]
  • Q 83: Widmung Heideggers an Guardini (wohl 1959) [Guardini-Bibliothek gb 4058]
  • Q 84: Widmung Heideggers an Guardini (November 1959) [Guardini-Bibliothek gb 4057)
  • Q 85: Widmung Heideggers an Guardini (1959/60) [Guardini-Bibliothek gb 4055a]
  • Q 86: Zweitexemplar mit Widmung von Max Müller (1960) [Guardini-Bibliothek gb 4055b]
  • Q 87: Widmung Heideggers an Guardini (um 1960) [Guardini-Bibliothek gb 4060]
  • Q 88: Begleitbrief von Clemens Graf Podewils an Romano Guardini vom 6. Februar 1961 [BSB Ana 342, B 23/01-03]
  • Q 89: Kalendereintrag Guardinis vom 8. Februar 1961 [BSB C 115-1
  • Q 90: Romano Guardini: Vorschlag für die Zuwahl, datiert vom 8. Februar 1961 [BSB Ana 342, B 23/01-03; Auszug bereits veröffentlicht bei Gerl-Falkovitz, 1985 und 2019]
  • Q 91: Romano Guardini: Entwurf zur Sitzung der literarischen Abteilung (April 1961) [ BSB Ana 342, B 23/01-03-37]
  • Q 92: Zusammenfassung über Angaben von Fritz Heidegger (1961) [BSB Ana 342, B 23/01-03-36]
  • Q 93: Briefentwurf Guardinis vom 18. Mai 1961 [BSB Ana 342, B 23/01-03-40]
  • Q 94: Briefdurchschlag von Karl Forster an Martin Heidegger vom 12. Dezember 1963 [Archiv der Katholischen Akademie in Bayern – Ordner: Festschrift für Romano Guardini]
  • Q 95: Brief von Martin Heidegger an Karl Forster vom 15. Dezember 1963 [Archiv der Katholischen Akademie in Bayern – Ordner: Festschrift für Romano Guardini]
  • Q 96: Brief von Romano Guardini an Percy Ernst Schramm vom 27.02.1964 [BSB Ana 342, B 23/06-3]
  • [[Romano_Guardini_und_Martin_Heidegger#Q097|Q 97: Brief von Romano Guardini an Percy Ernst Schramm vom 14.03.1964 [BSB Ana 342, B 23/06-3]
  • Q 98: Widmung Heideggers an Guardini wohl Weihnachten 1963 [Guardini-Bibliothek Nr. 4061]
  • Q 99: Widmung Heideggers an Guardini (Weihnachten 1964) [Guardini-Bibliothek gb 4042]
  • Q 100: Gesprächsnotiz von Werner Dettloff (Juli 1964) [Privat-Nachlass]
  • Q 101: Brief von Martin Heidegger an Romano Guardini vom 13. Februar 1965 [Guardini-Archiv der Katholischen Akademie in Bayern Nr. 881]
  • Q 102: Postkarte Martin Heideggers an Romano Guardini vom 22. Dezember 1966 [BSB Ana 342, B 4-Sonderkonvolut, Mappe 1]
  • Q 103: Postkarte von Martin Heidegger an Romano Guardini vom 1. Januar 1968 [BSB Ana 342, B 4-Sonderkonvolut, Mappe 1]

Zum Stand der Guardini- und der Heidegger-Forschung

Die Beziehung zwischen Romano Guardini und Martin Heidegger wurde insbesondere in den achtziger Jahren von beiden Forschungsseiten her erstmals intensiver unter historischen Gesichtspunkten betrachtet.

Von Seiten der Guardini-Forschung geschah dies insbesondere durch die Biographie von Hanna-Barbara Gerl (dann Gerl-Falkovitz) aus dem Jahre 1985 [Gerl, Romano Guardini 1885-1968. Leben und Werk, Mainz 1985 und öfters], später ergänzt durch weitere Funde, unter anderem aus dem Mooshausener Pfarrhaus. [Dort wohnte der langjährige Guardini-Freund Josef Weiger, von Herbst 1943 bis Herbst 1945 auch Romano Guardini, der dorthin auch seine Berliner Bibliothek evakuiert und bis 1954 dort auch seine Berliner Bibliothek aufgestellt. Vgl. „Ich fühle, daß Großes im Kommen ist.“ Romano Guardinis Briefe an Josef Weiger 1908-1962, hrsg. durch Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz, Ostfildern 2008 - ab jetzt: Guardini, Briefe an Josef Weiger; dazu Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz (Hg.), Lauterkeit des Blicks. Unbekannte Materialien zu Guardini, Heiligenkreuz 2013.]

Von Seiten der Heidegger-Forschung ist hier insbesondere zu verweisen auf:

  • Bernhard Casper [Martin Heidegger und die Theologische Fakultät Freiburg 1909-1923, in: Freiburger Diözesan-Archiv, 100, 1980, S. 534-541],
  • Hugo Ott [Hugo Ott, Martin Heidegger und die Universität Freiburg nach 1945. Ein Beispiel für die Auseinandersetzung mit der politischen Vergangenheit, in: Historisches Jahrbuch, 105, 1985, S. 95-128; ders., Martin Heidegger. Unterwegs zu einer Biographie, Frankfurt/New York 1988; ders., Um die Nachfolge Martin Heideggers nach 1945, in: Annemarie Gethmann-Siefert (Hg.), Philosophie und Poesie. Festschrift für Otto Pöggeler, Band 2, Stuttgart 1988, S. 37 ff.] sowie
  • Alfred Denker.

Zu deren Studien kam 2004 die Veröffentlichung der ersten beiden Briefe Guardinis an Martin Heidegger aus dem Jahr 1916 hinzu [Briefe Romano Guardinis an Martin Heidegger (1916), in: Heidegger-Jahrbuch, Band I: Heidegger und die Anfänge seines Denkens, Freiburg/München 2004, S. 69-71].

Von beiden Seiten – aber in der Summe eher unabhängig voneinander und bei weitem auch nicht vollständig – wurden insbesondere die Konstellationen zwischen 1945 und 1961 besprochen, vor allem im Blick auf den Umgang mit Martin Heideggers nationalsozialistischer Vergangenheit und auf seine Pensionierung mit Lehrverbot, dann auf die Emeritierung, auf die unterschiedlichen Berufungsanfragen an Guardini aus Freiburg, auf die Zusammenarbeit Guardinis mit Heidegger im Rahmen der „Akademie der Schönen Künste“ in Bayern und nicht zuletzt auf den Vorschlag Guardinis, Heidegger in diese Akademie zuzuwählen [Martin Heidegger, Briefe an Max Müller und andere Dokumente, hrsg. von ‎Holger Zaborowski und Anton Bösl, Freiburg i. Br./München 2003; Heidegger-Jahrbuch, Band 4: Heidegger und der Nationalsozialismus, hrsg. von Alfred Denker und Holger Zaborowski, Freiburg/München 2009; Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz: Geheimnis des Lebendigen. Versuche zu Romano Guardini, Heiligenkreuz 2019]. Weder durch die beteiligten Forschergruppen selbst noch durch weitere Kreise wurden diese Funde aber abgeglichen, systematisch überprüft oder durch zum Teil schon länger vorliegende, zum Teil aber auch neuere und neueste Memoiren, Korrespondenzen und unveröffentlichte Archivalien ergänzt.

Erschwert wurde die Forschungslage auch dadurch, dass es zwar im März 1993 eine Anfrage von Franz Henrich, Direktor der Katholischen Akademie in Bayern und Vorsitzender des von Guardini testamentarisch eingesetzten Sachverständigengremiums für seinen Nachlass*, an Curd Ochwadt (1923-2012) bezüglich eventuell vorhandener Briefe von Guardini an Heidegger im Heidegger-Nachlass gab und dass Henrich dazu auch die Kopien der im Guardini-Archiv der Katholischen Akademie in Bayern liegenden sieben Heidegger-Briefe an Ochwadt weitergab; dass Ochwadt aber damals nur auf jene zwei Briefe von 1916 verweisen konnte, die ihm bis dahin bekannt waren, und diese in Kopie an Henrich weiterleitete. Am Ende stand Ochwadts ernüchternde Feststellung, dass „sich kein Briefwechsel ergibt“ [Siehe Guardini-Archiv der Katholischen Akademie in Bayern, Nr. 1921. 1999 hat Henrich im Vorfeld der Herausgabe der zwei Guardini-Briefe an Heidegger aus dem Jahr 1916 gegenüber Alfred Denker auf die Existenz der sieben weiteren Briefe hingewiesen (vgl. Guardini-Archiv ebd., Nr. 1922)]. Die von Henrich wohl schon intendierte Veröffentlichung eines solchen Briefwechsels wurde somit wieder „auf Eis“ gelegt. Die sieben Briefe in der Katholischen Akademie in Bayern sind dadurch selbst für die Guardini-Forschung wieder „in Vergessenheit“ geraten.

[* Dem Sachverständigengremium für Guardinis Nachlass gehörten ursprünglich Johannes Spörl (1904-1977), Bernhardine Sugg-Bellini (gestorben 1979), Werner Dettloff (1919-2016) und Felix Messerschmid (1904-1981) an, der zugleich als Testamentsvollstrecker fungierte. Felix Messerschmid hat dann Ende der siebziger Jahre den Vorsitz des Sachverständigengremiums an den für Johannes Spörl nachgerückten Direktor der Katholischen Akademie, Franz Henrich (* 1931), abgegeben. Für ihn selbst und Frau Sugg-Bellini rückten Eugen Biser (1918-2014) und Richard Heinzmann (* 1933) nach. Beratend fungierten Giuliano Guardini und Hans Mercker (vgl. dazu Romano Guardini, Berichte über mein Leben. Autobiographische Aufzeichnungen, hrsg. durch Franz Henrich, 1985, S. 9).]

Darüber hinaus kannte Henrich damals wohl auch selbst nicht den genauen Inhalt jenes Sonderkonvoluts, das Felix Messerschmid der Bayerischen Staatsbibliothek mit einem Sperrvermerk übergeben hatte, in dem sich – neben Entwürfen Guardinis für seinen Brief an Max Müller – drei weitere Heidegger-Briefe bzw. -Postkarten an Guardini befanden. Diese Mappe hat Henrich schließlich – zusammen mit einer großen Zahl von aus dem Nachlass Felix Messerschmids hinzu gekommener „privater Briefe“ von und an Guardini – Mitte der achtziger Jahre ohne Sperrfrist versiegeln lassen.

[Zur ursprünglichen „Heidegger-Mappe“ hinzugekommen waren rund 220 Briefe in zwei Mappen, darunter eine Mappe mit Briefen von Guardini an Felix Messerschmid persönlich sowie eine zweite umfangreichere mit Briefen und Briefwechseln ganz unterschiedlicher Art. Letztere Mappe konnte Hanna-Barbara Gerl für ihre Guardini-Biographie noch kursorisch, aber zeitlich sehr eingeengt auswerten. Dies erklärt nunmehr auch, warum sie Briefe zitieren konnte, die den nachfolgenden Nutzern des Guardini-Nachlasses in der Bayerischen Staatsbibliothek nicht mehr zugänglich waren, darunter zum Beispiel der Brief Max Schelers an Romano Guardini vom 4. Juli 1919 (Gerl, Romano Guardini, 1985, a.a.O., S. 108 f.).]

Aus diesem nun durch das Sachverständigengremium für den Nachlass Guardinis wieder geöffneten Sonderkonvolut werden im Folgenden insgesamt acht Archivalien aufgenommen. Es sollte daher weitere Jahrzehnte dauern, bis diese weitestgehend noch unbekannte Korrespondenz nun gesammelt veröffentlicht wird. Auch zu den bereits bekannten und ganz oder auszugsweise veröffentlichten drei Briefen Guardinis an Heidegger kommen hier aktuell zwei weitere Funde aus dem Nachlass Heideggers hinzu [Arnulf Heidegger hat sie kürzlich aufgefunden und uns dankenswerterweise noch zur Verfügung gestellt (siehe Q 58 und Q 60)].

Schließlich gibt es eine Vielzahl handschriftlicher Buchwidmungen Heideggers für Guardini, die sich in München in der Guardini-Bibliothek im Schloss Suresnes der Katholischen Akademie in Bayern befinden und die hier erstmals aufgeführt werden [Siehe zu weiteren Beständen Helmut Zenz: Romano Guardini im Spiegel seiner Bibliothek. Eine historische Spurensuche im Rahmen eines Seligsprechungsverfahrens, in: Beiträge zur altbayerischen Kirchengeschichte, 61, 2021 (erschienen 2022), S. 211-330, dort zu Martin Heidegger S. 260 f.].

Es handelt sich in dieser Dokumentation also vor allem auch um eine Auseinandersetzung und Zusammenschau mit insgesamt 103 neu- oder wiederedierte Quelltexte, die im Folgenden daher mit Q gekennzeichnet werden. Zusammen mit noch nicht oder erst jüngst veröffentlichten wechselseitigen Äußerungen in Schriften und Briefen über den jeweils anderen oder sein Werk ergibt sich ein sehr dichtes Bild eines langjährigen freundschaftlich-kritischen, „latenten“, aber auch – mehr als bisher bekannt – „offenen“ Gesprächs.

Dieses gesammelte Material soll hier in einem ersten Zwischenstand dargeboten werden – Zwischenstand deshalb, weil es sicherlich noch zu viel unbearbeitetes Quellenmaterial in Nachlässen und Korrespondenzen von anderen „Beteiligten“ dieses Gespräches gibt; weil allein die Zusammenstellung hier mit Sicherheit weitere Überprüfungen und Ergänzungen nach sich ziehen wird; und weil die folgende Zusammenstellung natürlich noch keinerlei Anspruch auf Vollständigkeit erheben kann. Vielmehr werden im Laufe der folgenden Darlegungen sogar einige bereits jetzt bekannte „Lücken“ benannt werden müssen. Offenbleiben muss vorerst zum Beispiel auch, inwieweit es in den Heidegger-Bibliotheken bzw. -Archiven ebenfalls Widmungen Guardinis an Heidegger gibt bzw. ob nicht doch auch noch der ein oder andere Brief von Guardini an Heidegger oder dergleichen auftauchen könnte, was dann diese langjährige Beziehung noch transparenter und verständlicher machen würde.

Vorgeschichten

Die gemeinsame Verbindung zur Erzabtei Beuron

Grundsätzlich bekannt war seit längerem, dass sowohl Heidegger als auch Guardini eine langjährige und intensive Beziehung zur benediktinischen Erzabtei Beuron pflegten. Heidegger hatte bereits als Kind mit seiner Mutter Wallfahrten nach Beuron gemacht. Außerdem hatten die Eltern Kontakte zu Beuroner Künstlermönchen, die in Meßkirch arbeiteten. Noch während der Gymnasialzeit (1903-1909) besuchte Heidegger die Beuroner Bibliothek und lernte darüber vor allem Pater Anselm Manser kennen und schätzen. [Zu Heidegger und Beuron erstmals Hugo Ott, Martin Heidegger. Unterwegs zu einer Biographie, a.a.O., S. 15, S. 23 f., S. 46-49 und S. 284-286; Alfred Denker, „Ein Samenkorn für etwas Wesentliches“. Martin Heidegger und die Erzabtei Beuron, in: Erbe und Auftrag, 79, 2003, S. 91-106; Johannes Schaber, Phänomenologie und Mönchtum. Max Scheler, Martin Heidegger, Edith Stein und Beuron, in: Stefan Loos/Holger Zaborowski (Hgg.), Leben, Tod und Entscheidung. Studien zur Geistesgeschichte der Weimarer Republik, Berlin 2003, S. 73-103; zuletzt: Beatrix Kersten, Heilig und bergend zugleich? Romano Guardini und Martin Heidegger im Kloster Beuron, in: Beate Beckmann-Zöller/René Kaufmann (Hgg.), Heimat und Fremde. Präsenz im Entzug. Festschrift für Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz, Dresden 2015; (2., überarbeitete)2016, S. 387 ff.]

Bei Guardini wusste man bisher, dass er im Wintersemester 1906/07, angeregt durch Josef Weigers Erzählungen, sich intensiver mit Beuron auseinandersetzte. In Guardini-Kreisen kursierte die Anekdote, dass Guardini bereits früh durch Pater Anselm Manser in Beuron auf Max Scheler aufmerksam gemacht worden sei [aufgenommen bei Gerl, Romano Guardini, 1985, a.a.O., S. 64, unter Berufung auf eine mündliche Mittei-lung durch Hans Ruess, einer der Sekretäre Guardinis aus Berliner Zeiten], also etwa um die Zeit, als er im Mai 1907 zusammen mit Karl Neundörfer den ersten eigenen Besuch dort machte. Man nahm zur Kenntnis, dass er gemeinsam mit Karl Neundörfer am 15. März 1908 sein Aufnahmejahr als Oblate des hl. Benedikt – bei Guardini verbunden mit der Annahme des zusätzlichen Namens „Odilo“ – begann und die Oblation im Jahr darauf am 21. April 1909 wiederum zusammen mit Neundörfer ablegte. Auch war bereits bekannt, dass das Mainzer Ehepaar Wilhelm und Josephine Schleußner, zu deren Kreis die Studenten Guardini und Neundörfer gehörten, Bezug zu Beuron hatte und dort ebenfalls Oblaten geworden waren. Übersehen wurde allerdings bei der bisherigen Durchsicht des Gästebuches der Erzabtei, dass darin für das gleiche Wochenende, an dem Guardini zusammen mit Karl Neundörfer seinen ersten Besuch in Beuron machte, tatsächlich auch der Münchner Privatdozent Max F. Scheler für den 21. Mai 1907 als Gast eingetragen ist [Gästebuch im Archiv der Erzabtei Beuron]. Angesichts der „Regeln“ benediktinischer Gastfreundschaft im Speisesaal ist es daher mehr als wahrscheinlich, dass die jungen Tübinger Theologiestudenten den Privatdozenten Scheler wahrgenommen haben, vielleicht auch mit ihm bekannt gemacht wurden; eher unwahrscheinlich ist dagegen, dass sie sich mit ihm bereits ausgiebiger unterhalten haben. Aber die Erzählung Guardinis gegenüber seinem Berliner Sekretär Hans Ruess erhält dadurch eine neue Evidenz.

Aus dem Gästebuch geht darüber hinaus hervor, dass es – neben den Erzählungen Weigers aus seiner Noviziatszeit im Wintersemester 1906/07 in Tübingen – in der Familie des Freundes Karl Neundörfer eine weitere eigenständige „Quelle“ für Guardinis Begeisterung für Beuron gegeben haben wird. Denn im Gästebuch sind bereits Besuche von Karl Neundörfer von dessen eigenen Freiburger Studiensemestern an belegbar, also ab dem Wintersemester 1903/04; darüber hinaus auch Aufenthalte von seinem Vater und seinen Brüdern.

Berücksichtigt werden muss außerdem, dass jeder Oblation ein einjähriges Vorbereitungsjahr vorausgeht, so dass das Ehepaar Schleußner infolgedessen bereits im April 1907, also ebenfalls noch vor dem ersten Besuch Guardinis in Begleitung von Karl Neundörfer im Mai, ihre Vorbereitung auf die Oblation begannen. Dies dürfte Guardini aufgrund seiner engen Zugehörigkeit zum Schleußner-Kreis und seiner besonderen Nähe zu Frau Schleußner wohl kaum entgangen sein [Vgl. Romano Guardini, Stationen und Rückblicke/Berichte über mein Leben, Mainz 1995, S. 66]. Kurz nachdem am 15. März 1908 das eigene Vorbereitungsjahr von Guardini und Neundörfer begonnen hatte, legten die Schleußners am 23. April 1908 ihre Oblation ab. Im Archiv der Erzabtei befinden sich auch noch alle Oblaten-Urkunden aus dieser Zeit, sowohl die der Schleußners (Nr. 350 und 351) als auch die von Guardini (Nr. 373) und Neundörfer (Nr. 374), darüber hinaus die von den Mainzer Freunden Adam Gottron (Nr. 441 – Pfingsten 1912) und Erwin Eckert (Nr. 504 – 3. Juni 1914). [Zu Erwin Eckert vgl. Guardinis Besprechung der Aufführung von dessen Weihnachtsmysterium in Mainz, die er unter dem Pseudonym A. Wächter in der „Allgemeinen Rundschau“ veröffentlicht hatte: A. Wächter, Ein deutsches Weihnachtsmysterium, in: Allgemeine Rundschau, München, 1916, 2, 15. Januar 1916, S. 33-34. An dieser Stelle sei auch vermerkt, dass sich Guardinis Bemerkung in seinem Brief an Josef Weiger vom 6. August 1916 („Eckert wollten wir angehen um eine Arbeit über die Bedeutung des religiösen Dramas, bes. des Mysterienspiels für die Volksreligiosität.“) ebenfalls auf Erwin Eckert bezieht und es sich nicht, wie noch von Gerl-Falkovitz vermutet, „vielleicht … um Alois Eckert (1890, Hochheim/Main, bis 1969, Frankfurt)“ handelt (Guardini, Briefe an Josef Weiger, 2008, S. 416).]

Persönliche Begegnungen zwischen Heidegger und Guardini in Beuron in dieser frühen Zeit hat es hingegen mit großer Wahrscheinlichkeit keine gegeben, obwohl Heidegger während seines Studiums und bis zu seiner Habilitation Beuron noch mehrfach besucht haben soll. Das gleiche gilt für Guardini, der ebenfalls nach seiner Oblation am 21. April 1909 noch mehrere Male in Beuron in wechselnder Begleitung zu Besuch oder auf Exerzitien war. So eine frühe Begegnung hätte in den wechselseitigen Erinnerungen sicher einen Niederschlag gefunden.

Dennoch wird diese gemeinsame „Vorgeschichte“ durch die neuen Funde für Guardinis Biographie transparenter und wirkungsgeschichtlich klarer fassbar. Und weitere Funde im Archiv der Erzabtei Beuron oder in den Nachlässen anderer Beuroner Mönche, Oblaten und Freunde auch in Bezug auf Guardini und Heidegger bleiben zu erwarten.

Als ein Beispiel mag noch der Beuroner Malermönch Willibrord Verkade angeführt werden, von dem es schon bei Alfred Denker heißt, dass ihn der dänische Dichter Johannes Jörgensen in Kopenhagen kennengelernt habe. Durch diese Begegnung habe Beuron in Jörgensens Bekehrungsgeschichte eine große Rolle gespielt, so dass er „1895 mit 28 Jahren zum Katholizismus konvertierte und auch als katholischer Schriftsteller beliebt war und viel gelesen wurde“[Denker, Martin Heidegger und die Erzabtei Beuron, a.a.O., S. 94]. Jan Verkade hatte sich selbst erst kurz zuvor – ursprünglich aus einer mennonitischen Familie stammend – 1892 katholisch taufen lassen, war 1894 als Novize in Beuron eingetreten und hatte den Ordensnamen „Willibrord“ angenommen. Verkade wiederum gehörte zu jenen Beuroner Künstlermönchen, die – ähnlich wie Guardini mit den „Weißen Reitern“ um Karl Gabriel Pfeill [Karl Gabriel Pfeill (Hrsg.), Der weiße Reiter. Das erste Sammelbuch, Düsseldorf 1920, darin: Romano Guardini, Die Liturgie als Spiel, S. 70-78] – nach einer katholischen Antwort auf den „Expressionismus“ der „Blauen Reiter“ um Franz Marc suchten. Außerdem war Verkade 1921 Teilnehmer der Älteren-Tagung der Quickbornjugend auf Burg Rothenfels und berichtete in der „Benediktinischen Monatsschrift“ sichtlich beeindruckt von den „Vorträgen des Meisters Guardini“ [Willibrord Verkade, Eindrücke von der Älteren-Tagung der Quickbornjugend auf Burg Rothenfels am Main, in: Benediktinische Monatsschrift, Beuron, 3, 1921, 11/12, S. 472-474, zu Romano Guardini siehe S. 478].

[Zu denken wäre aber zum Beispiel auch an P. Daniel Feuling OSB, der Heidegger 1930 auf der Todtnauer Berghütte besuchte und anschließend Edith Stein davon erzählte (vgl. Johannes Schaber, Zwischen Theologie und Seelsorge. Der Beuroner Benediktinerphilosoph Daniel Feuling (1882-1947), in: Erbe und Auf-trag, 79, 2003, S. 206-223, hier S. 215); an den in Salzburg wirkenden Philosophen P. Alois Mager OSB und an P. Placidus Pflumm, den „besten Freund von P. Anselm“, den Heidegger bei seinem Beuron-Besuch am 10. November 1954 als einzigen von den alten Patres antraf und mit ihm „ins Gespräch über die gute alte Zeit“ kam (Alfred Denker/Elsbeth Büchin, Martin Heidegger und seine Heimat, 2005, S. 33). Alle drei gingen auch im Pfarrhaus Mooshausen von Josef Weiger aus und ein und waren mit Romano Guardini befreundet.]

Heidegger wiederum hat bereits früh zwei Bücher des besagten dänischen Dichters Jörgensen rezensiert. Alfred Denker weist zu Recht auf die Bedeutung hin, wenn Heidegger in seiner Rezension über das Buch „Lebenslüge und Lebenswahrheit“ in diesem Dichter-Vorbild einen modernen Augustinus und einen großen Gottsuchenden sieht. Heidegger kannte nun aber nachweislich auch Pater Verkade schon aus seiner ersten Beuroner Zeit. Denn von seinem Besuch in Beuron im Oktober 1930 schrieb er am 19. Oktober an seine Frau: „Pater Anselm ist rührend u. besorgt; er hatte mir zum Empfang – schon allerlei philosophische Bücher auf die Zelle gestellt; dazu Mörike – der Umgang mit ihm ist mir ein großer Gewinn u. ich habe Vertrauen zu ihm gefaßt. Von den älteren Mönchen, die ich kenne, ist nur der Holländer Verkade da u. der ist sehr herzkrank“[„Mein liebes Seelchen!“. Briefe Martin Heideggers an seine Frau Elfride 1915-1970, herausgegeben, ausgewählt und kommentiert von Gertrud Heidegger, München 2005, S. 167].

Die gemeinsame Autorenschaft in der Zeitschrift „Der Akademiker“

Die besagte Heidegger-Rezension über Jörgensens „Lebenslüge und Lebenswahrheit“ wurde in der Zeitschrift „Der Akademiker“ veröffentlicht. 1988 hat Hugo Ott erstmals auf Heideggers Aufsätze in dieser Zeitschrift hingewiesen sowie auf weitere Autoren aufmerksam gemacht, darunter: R. A. Guardini und Oswald von Nell-Breuning [Hugo Ott, Martin Heidegger. Unterwegs zu einer Biographie, a.a.O., S. 62 f. und 71]. In der Guardini-Forschung wurden die beiden Texte Guardinis, eine Rezension und eine Kunstbetrachtung, aber erst viel später durch Berthold Gerner und Gunda Brüske wahrgenommen [Romano Guardini, Rezension zu: P. Sebastian von Oer, Unsere Tugenden, Plaudereien, 3. Aufl. Freiburg 1908, in: Der Akademiker, 2, 1910, 5 (März 1910), S. 79-82; ders., Beuroner Madonnen, in: Der Akademiker, 2, 1910, 7 (Mai 1910), S. 104-105]. Sie waren daher weder in die Mercker-Bibliographie (1978) noch in deren Ergänzung durch Berthold Gerner (1987) eingegangen.

In keinem der beiden Forschungsbereiche war aber in der Folgezeit der Frage nachgegangen worden, um was für eine Zeitschrift genau es sich dabei handelt. Es gab also keine historische Einordnung des Engagements der beiden Studenten. Aber auch die Frage, ob sich aus der Abfolge der Artikel irgendwelche Schlussfolgerungen ziehen lassen, wurde nicht gestellt. Dabei beginnt die Geschichte dieser Zeitschrift interessanterweise mit der Bildung von akademischen Studentenvereinen bzw. Dozenten, Absolventen und Studenten übergreifenden Akademikerverbänden ab Ende des 19. Jahrhunderts. 1901 hatten sich der „Akademische Görres-Verein“ von München und die „Akademischen Leovereine“ von Innsbruck und Wien zusammengeschlossen; 1905 kam die „Akademische Vereinigung ‚Renaissance’“ in Zürich hinzu. Der Zusammenschluss hatte den Namen „Verband katholischer Studentenvereine zur Pflege der Wissenschaft“ und bestand bis 1914. Die zugehörige Verbandszeitschrift waren die „Akademischen Monatsblätter der katholischen Studentenvereine Deutschlands“, die im ersten Jahrgang bereits 1888/89 erschienen sind und 1916/17 mit dem 29. Jahrgang eingestellt wurden [Vgl. zur Entstehungsgeschichte u. a. Eintrag in: Kirchliches Handbuch für das katholische Deutschland, 1908, S. 261; Christoph Baumer, Die „Renaissance“. Verband Schweizerischer Katholischer Akademiker-Gesellschaften, 1904-1996, 1998].

Dieser bereits aus mehreren Komponenten gebildete Verband schloss sich dann 1907 mit den schon älteren Piusvereinen sowie mit den von Carl Sonnenschein ab 1903 gegründeten Sozial-caritativen Vereinigungen zum „Katholischen Akademikerverband“ zusammen – und zwar mit Sitz in München.

[Dieser „Katholische Akademikerverband“ ist zu unterscheiden von dem wenige Jahre später 1913 ins Leben gerufenen Zusammenschluss von katholischen Akademikervereinen als „Verband der Vereine zur Pflege der katholischen Weltanschauungen“ bzw. „Verband der Vereine katholischer Akademiker“, der später schließlich auch als „Katholischer Akademikerverband“ bezeichnet wurde. Die im Umfeld der zur Beuroner Kongregation gehörenden Abtei Maria Laach mit ihrem Abt Ildefons Herwegen protegierte „Katholische Akademikerbewegung“, zu der auch später mit Guardini befreundete Persönlichkeiten wie Hermann Platz, Theodor Abele, Paul Simon gehörten – veranstaltete liturgische Wochen und akademische Tagungen vor Ort, aber auch regionale und nationale Veranstaltungen. Nach dem Ersten Weltkrieg engagierte sich Guardini bis zu seinem Wechsel nach Berlin gemeinsam mit Arnold Rademacher in der Bonner Ortsgruppe dieses Katholischen Akademikerverbandes und hielt auf mehreren regionalen und nationalen Tagungen Vorträge, darunter die besonders bekannt gewordenen über den „Sinn der Kirche“ (1921 in Bonn) und über „Liturgische Bildung“ (1923 in Ulm).]

Unter der Redaktion des Münchner Assyriologen und Orientalisten Ernest Lindl erschien als dessen Organ von November 1908 bis zum 9. Jahrgang 1916/17 eben jene Zeitschrift „Der Akademiker. Monatsschrift des Katholischen Akademikerverbandes“, in der eben auch Guardini und Heidegger veröffentlichten.

Nicht unerwähnt bleiben darf, dass Guardini nach eigenem Bekunden in Tübingen geholfen hatte, Carl Sonnenscheins sozial-caritative Vereinigung aufzubauen [Romano Guardini, Stationen und Rückblicke/Berichte über mein Leben, a.a.O., S. 107 f.]; und auch dass mittlerweile herausgefunden werden konnte, dass Guardini in Mainz zum Wintersemester 1908/09 Mitglied des Mainzer Piusvereins wurde und in ihm im Dezember 1908 einen Vortrag „Über das Wesen des Kunstwerks“ gehalten hat, der wohl nicht nur dem Titel nach als erste Vorarbeit für den 1947 in Tübingen gehaltenen Vortrag gelten kann. Ihm folgten noch weitere Referate.

Interessant wird die Einordnung dieses „studentischen“ Katholischen Akademikerverbandes und seiner Zeitschrift „Der Akademiker“ für die Vorgeschichte der Beziehung zwischen Guardini und Heidegger, wenn man sich die Abfolgen einiger Aufsätze in dieser Zeitschrift chronologisch vor Augen führt:

  • Im Dezember 1908 stellte Heinrich Auer die sozial-caritativen Vereinigungen katholischer Studenten Deutschlands vor.
  • Im Januar 1909 rezensierte Carl Sonnenschein F. W. Foersters „Christentum und Klassenkampf“.
  • Im November 1909 rezensierte Karl Neundörfer „Über staatsbürgerliche Bildung“. In diesem Heft ist auch Hertlings „Über alte und neue Philosophie“ abgedruckt.
  • Im Januar 1910 machte sich der Mainzer Freund Adam Gottron „Gedanken zur Wiederbelebung des deutschen Volksliedes“. Gottron, ebenfalls Mitglied des Schleußner-Kreises und Beuroner Oblate, schrieb weitere Beiträge bis Mai 1911.
  • Im März 1910 folgte nun im selben Heft einerseits Guardinis Rezension über das Buch des Beuroner Paters Sebastian von Oer: „Unsere Tugenden“ sowie andererseits Heideggers schon genannte Rezension über Jörgensens „Lebenslüge und Lebenswahrheit“. In diesem Heft wurden außerdem Passagen aus Foersters „Autorität und Freiheit“ abgedruckt.
  • Im Mai 1910 erschienen - wiederum im selben Heft - Guardinis Kunstbetrachtung „Beuroner Madonnen“ und Heideggers Rezension zu Foersters „Autorität und Freiheit“.
  • Heidegger publizierte noch weitere Rezensionen und Aufsätze bis Januar 1913.

Nun ist es nahezu ausgeschlossen, dass man nicht über den Namen des jeweils anderen Autors „stolpert“, der zweimal hintereinander jeweils im gleichen Heft über einem selbst nahestehende Themen wie Beuron, Friedrich Wilhelm Foerster oder zeitgenössische katholische Literatur schreibt.

Die gemeinsamen Freiburger Bezugspersonen

Angesichts dieser Zusammenhänge wird auch zukünftig zu prüfen sein, inwieweit nicht auch einige in diesen Kontext involvierte Professoren und Freunde in das in Freiburg beginnende Gespräch zwischen Heidegger und Guardini eingebunden sind. Dafür lohnt es sich, sich noch einmal intensiver über die Vorlesungen und Seminare, die Guardini und Heidegger in Freiburg besucht haben, zu erkundigen. Einige neue Erkenntnisse sollen hier vorgestellt werden:

Die Freiburger Lehrer Guardinis und Heideggers im Überblick

Für Guardini hat Freiburg bekanntlich eine Vorgeschichte durch sein erstes Theologiesemester im Sommer 1906 [Interessanterweise „verlegt“ Guardini selbst dieses eine Semester in einem Brief 1954 an Max Müller gerichteten Brief (siehe Q 69) irrtümlich in das Jahr 1907]. In der Bayerischen Staatsbibliothek liegt dafür das Studien- und Sittenzeugnis vom 14. November 1906 [BSB Ana 342, C. Lebensdokumente, Schachtel 1, Mappe 4.]. Auf der Rückseite des Zeugnisses sind die offiziell belegten Veranstaltungen aufgeführt: Bei Prof. Hoberg belegte er Themen „Einleitung in die Hl. Schriften d. Neuen Testaments“, „Bibel und Wissenschaft“, „Erklärung der Psalmen der Vulgata“ und „Messianische Weissagungen in Verbindung mit den Hauptregeln der Hermeneutik“, bei Prof. Pfeilschifter das Thema „Allg. Kirchengeschichte II“ und bei Prof. Sauer die Themen „Die Anfänge des Christentums u. der Kirche in Deutschland“ und „Die christliche Kunst im 19. Jahrhundert“. Hingewiesen werden muss darauf, dass keineswegs alle Vorlesungen und Seminare, die man belegt hat, von einem solchen Zeugnis erfasst werden, sondern nur diejenigen, bei denen man sich vom Lehrenden auch ein Zeugnis ausstellen hat lassen. So erwähnt Guardini in seinen eigenen Erinnerungen, dass er den Dogmatiker Carl Braig gehört habe, der aber nicht im Studien- und Sittenzeugnis auftaucht, fasst den stark belegten Alttestamentler Hoberg aber unter „andere“, wenn er in seinen Erinnerungen schreibt: „Das Studium machte mir Freude. Ich hörte den Dogmatiker Carl Braig, den Kirchenhistoriker Franz Pfeilschifter, den Archäologen August Sauer und andere“[Guardini, Stationen und Rückblicke/Berichte über mein Leben, a.a.O., S. 76]. Bei Vornamen zeigt sich Guardini mehrfach in seinen Erinnerungen nicht treffsicher, denn beim Kirchengeschichtler handelt es sich natürlich um Georg Pfeilschifter und beim Archäologen um Joseph Sauer.

Nun hat auch Heidegger 1909/10 noch bei den Professoren Gottfried Hoberg, Georg Pfeilschifter und Joseph Sauer gehört [Vgl. dazu Bernhard Casper, Martin Heidegger und die Theologische Fakultät Freiburg 1909-1923, in: Freiburger Diözesan-Archiv, 100, 1980, S. 536].

Hoberg und Pfeilschifter haben aber weder bei Guardini noch bei Heidegger einen größeren autobiographischen Nachhall erfahren, daher seien sie hier nur kurz vorgestellt:

Prof. Gottfried Hoberg (1857-1924) hatte nach dem Dr. phil. und Dr. theol. zunächst ab 1886 als Privatdozent der Universität Bonn gewirkt. 1887 wurde er Professor für das Alte Testament in Paderborn. Ab 1890 hatte er an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg zunächst die Professur für das Neue Testament und ab 1893 auch für Altes Testament inne. Das Fach Neues Testament übernahm 1895 Prof. Karl Theodor Rückert, der allerdings 1907 verstarb, ihm folgte von 1907/08 bis 1916 Prof. Simon Weber, bis er 1915 zum Domkapitular berufen worden war. Diese Fach-Aufteilung wird aufgeführt, um Bernhard Caspers Darstellung von 1980 zu stützen, nachdem Hoberg in anderer Heidegger-Sekundärliteratur als Heideggers Professor für „Neues Testament“ vorgestellt wird, zum Beispiel bei Johannes Schaber (Heideggers frühes Bemühen um eine „Flüssigmachung der Scholastik“ und seine Zuwendung zu Johannes Duns Scotus, in: Norbert Fischer/Friedrich W. von Herrmann, Heidegger und die christliche Tradition, 2007, S. 91-128, hier S. 102): „Im zweiten Semester konzentrierte sich seine theologische Arbeit auf die neutestamentliche Exegese und Patristik bei Professor Hoberg“[vgl. dagegen richtig ders., Martin Heideggers „Herkunft“ im Spiegel der Theologie- und Kirchengeschichte des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts, in: Heidegger-Jahrbuch, Band 1, a.a.O., 2004, S. 159-184, hier S. 174 und die ebenfalls im Jahrbuch abgedruckte Vorlesungs- und Seminartabelle auf S. 13 f.].

Prof. Georg Pfeilschifter (1870-1936) war nach seiner Habilitation zunächst im Jahr 1900 Privatdozent für Kirchengeschichte in München, erhielt aber im gleichen Jahr die außerordentliche Professur für Kirchengeschichte und Patrologie an der Philosophisch-theologischen Hochschule in Freising. 1903 wechselte er dann auf die Professur für Kirchengeschichte an die Universität Freiburg.

Im Folgenden können wir uns daher auf Joseph Sauer konzentrieren.

Aber auch das „Studien- und Sittenzeugnis” der Universität Freiburg vom 15. Juni 1914 für das Promotionsstudium Guardinis liegt noch vor [BSB Ana 342, C. Lebensdokumente, Schachtel 1, Mappe 4.]. Besonders aufschlussreich ist der Passus über die Fachabfolge: zunächst Theologie, im Sommersemester 1913 und Wintersemester 1913/14 Philologie und seit Ostern 1914 wiederum Theologie. Dieser Studienfachwechsel von der Theologie in die Philologie und wieder zurück, wurde bislang in der Guardini-Forschung nicht wahrgenommen. Aus dem rückseitigen Belegverzeichnis geht hervor, dass Guardini im Wintersemester 1912/13 erneut Kirchengeschichte bei Prof. Pfeilschifter sowie Kirchenrecht bei Prof. Göller hörte, im Sommersemester 1914 schließlich die „Erklärung der Genesis“ bei Prof. Hoberg. Außerdem belegte er im Wintersemester 1912/13 bei Dr. Krebs die Themen „Bonaventura u. seine Schule“ und „Thomas von Aquin, de vita e passione Christi“ und im Sommersemester 1914 das „Dogmatische Seminar“ bei Prof. Braig. Die beiden philologischen Semester weisen jeweils nur eine Veranstaltung aus. Während er im Sommersemester 1913 tatsächlich „Hebräische Laut- und Formenlehre“ bei Prof. Reckendorf belegte, steht für das Wintersemester 1913/14 allein das Thema „Die deutsche Philosophie von Kant bis Nietzsche“ bei Prof. Rickert zu Buche, so dass der Eindruck entsteht, dass diese philosophische Veranstaltung quasi als „philologische“ Belegung gewertet wurde. Diese vierstündige Rickert-Vorlesung hatte auch Heidegger besucht [Siehe Heidegger-Jahrbuch, Band 1, 2004, S. 16]. Es handelt sich um jene Vorlesung, die in einem der beiden Guardini-Briefe an Heidegger aus dem Jahr 1916 erwähnt wird [Siehe unten Q 3].

Für Guardinis Promotionsstudium in Freiburg stehen also auch die Professoren Göller und Reckendorf zu Buche. Göller hat von Guardini immerhin eine Reminiszenz in der Danksagung seiner Promotion über Bonaventura erhalten [Romano Guardini, Die Lehre des heiligen Bonaventura von der Erlösung, Düsseldorf 1921, S. VII].

Prof. Emil Göller (1874-1933) hatte in Freiburg 1900 den Dr. phil., 1907 den Dr. theol. erworben, erhielt dort 1908 den Ruf an die Theologische Fakultät und war ab 1909 Professor für Kirchenrecht. Erst ab 1917 vertrat er dort das Fach Kirchengeschichte. Für Guardini und Heidegger war Göller daher vor allem für das Fach Kirchenrecht relevant.

Reckendorf dagegen blieb bislang ohne weitere Erwähnung.

Prof. Hermann Reckendorf (1863-1924), ursprünglich Samuel Reckendorf, war Orientalist, Arabist und Literaturwissenschaftler, der sich 1888 an der Universität Freiburg habilitiert hatte, war ebendort zunächst als Privatdozent, dann seit 1893 als außerordentlicher, seit 1899 als etatmäßiger außerordentlicher Professor für semitisch-orientalische Philologie und seit 1908 als ordentlicher Professor für Orientalische Sprachen tätig.

Die philosophischen Lehrer Carl Braig, Engelbert Krebs und Heinrich Rickert

Auf die gesamte Studienzeit gesehen werden bei Guardini für das Theologiestudium in Freiburg im Sommer 1906 die Namen Joseph Sauer und Carl Braig, dann für das Promotionsstudium vor allem Engelbert Krebs relevant.

Einflussreich blieb aber auch und zwar durchgängig Herman Schell durch sein Werk: In der Guardini-Bibliothek in München befinden sich Schells „Der Katholizismus als Prinzip des Fort-schritts“ (1897, gb 3401) mit Lesedatum „17.10.-11.11.05“ sowie mit zahlreichen handschriftlichen Eintragungen sowie – ebenfalls mit handschriftlichen Anstreichungen – die Bücher „Das Wirken des dreieinigen Gottes“ (1885, Guardini-Bibliothek gb 3392) und „Die neue Zeit und der alte Glaube“ (1898, Guardini-Bibliothek gb 3403).

Großen Einfluss übte auch Wilhelm Koch in Tübingen aus, nicht nur als Dogmatiker, sondern auch als Beichtvater [Romano Guardini, Stationen und Rückblicke/Berichte über mein Leben, a.a.O., S. 79 f.]. Auf philosophischem Gebiet wurde Guardini nachweislich von Georg Simmel, Heinrich Rickert und Max Scheler geprägt.

Auch Heidegger berichtet für den Beginn seines Theologiestudiums eine große Wertschätzung Herman Schells, nachdem ihm die „damals vorgeschriebenen Vorlesungen“ nur „wenig“ befriedigten, er sich daher „auf das Selbststudium der scholastischen Lehrbücher“ verlegt hatte: Diese Lehrbücher verschafften ihm zwar „eine gewisse formale logische Schulung“, gaben ihm „aber in philosophischer Hinsicht nicht das, was“ er „suchte, und auf apologetischem Gebiete durch die Werke von Herman Schell gefunden hatte. Neben der kleinen Summa des Thomas von Aquin und einzelnen Werken von Bonaventura waren es die logischen Untersuchungen von Edmund Husserl“, die für seinen „wissenschaftlichen Entwicklungsgang“ entscheidend wurden [Martin Heidegger, Lebenslauf (Zur Habilitation 1915), in: ders., Reden und andere Zeugnisse eines Lebensweges. 1910-1976, Gesamtausgabe (GA) Band 16, Frankfurt am Main 2000, S. 37-39, hier S. 37].

Bei Heidegger kommt zusätzlich zu den Genannten noch der Einfluss durch den Leiter des Knabenkonvikts in Konstanz, das Heidegger besuchte, hinzu: der Meßkirchner Konrad Gröber, der spätere Erzbischof von Freiburg. Er war mit den Heideggers entfernt verwandt und schenkte ihm 1907 bekanntlich die Aristoteles-Dissertation von Franz Brentano [Heidegger berichtet von diesem Geschenk im Sommer 1907 in: Martin Heidegger, „Aus einem Gespräch von der Sprache. Zwischen einem Japaner und einem Fragenden …“ (1953/54), erstmals gedruckt in: ders., Unterwegs zur Sprache, Pfullingen 1959, S. 83-155, hier S. 134]. Da Gröber aber für Guardini selbst erst im Zusammenhang mit seiner Tätigkeit für die Liturgische Bewegung in den dreißiger Jahren relevant wird, muss er an dieser Stelle nicht weiter berücksichtigt werden.

Hier interessieren nun also vor allem Carl Braig, Engelbert Krebs und Heinrich Rickert. Die Unkenntnis von der gemeinsamen Studienzeit in Freiburg und der gemeinsamen „Schülerschaft“ führte wohl auch zu einer lang fehlenden Sensibilität für eine mögliche Beeinflussung Guardinis und Heideggers durch diese Lehrer.

Carl Braig (1852-1923)

In der Guardini-Bibliothek in München befindet sich ein mit handschriftlicher Datumsangabe „17.05.06“ und zahlreichen handschriftlichen Eintragungen versehenes Exemplar von gesammelten Aufsätzen Carl Braigs, die 1896 unter dem Titel „Vom Denken. Abriß der Logik“ erschienen waren. Es gehört daher zu den frühen Studienbüchern Guardinis [gb 4252]. Guardini hatte auch bei seinem ersten theologischen Studiensemester in Freiburg, bevor er nach Tübingen wechselte, bei Braig gehört und in seinen Erinnerungen „Berichte über mein Leben“ auch auf dieses Buch und auf die Persönlichkeit seines Lehrers Braigs verwiesen:

„Ich hatte schon früher seinen ‚Abriß der Philosophie’ studiert und von manchen Teilen – genauer muß ich wohl sagen: Sätzen – einen starken Eindruck gewonnen. Ein philosophischer Urlaut war darin. Man schätzte ihn nicht sehr. Er war von Tübingen gekommen. Von Hause Philosoph, hatte er dann eine theologische Professur übernommen. Seine Vorlesungen waren zu schwer. Er war ein Grübler. Ich sehe ihn noch, wie er, mit einem kleinen Bleistift in der Hand, auf die Spitze dieses Bleistiftes schaut und ganz versunken redet“[Romano Guardini, Stationen und Rückblicke/Berichte über mein Leben, a.a.O., S. 25].

Eine tiefergehende Beeinflussung scheiterte bei Guardini also an Sprache und Persönlichkeit Braigs, die später auch dazu führte, dass er die zunächst von Braig gestellte Doktoraufgabe nicht verstand:

„Also ging ich zu Prof. Carl Braig. […] ... Als ich bei meinem Besuch auf ihn zutrat, machte er eine kleine Bewegung des Zurückweichens. Später erfuhr ich, daß er immer so tue; es war für ihn charakteristisch. Ich sagte ihm, welchen Eindruck sein ‚Abriß’ auf mich gemacht hätte; da erwiderte er in seinem schwäbischen Tonfall: ‚Ich weiß gar net mehr, was ich g’schrieben hab.’ Auch das war charakteristisch: er hatte aufgeben müssen, was ihm eigentlich wichtig gewesen war. Dann erzählte ich ihm, woher ich komme, was man mit mir vorhabe und fragte ihn wegen eines Themas. Er riet mir zu einem Vergleich zwischen Thomas von Aquin und Wilhelm Wundt. Ich erinnere mich nicht mehr, wo der Vergleichspunkt liegen sollte; jedenfalls wundere ich mich heute noch, wie ein akademischer Lehrer ein solches Thema geben konnte. Natürlich ging es auch damit schief. Ich konnte mit ihm nichts anfangen und stand nach kurzer Zeit wieder vor dem Nichts“[Ebd., S. 25 f.].

Bei Heidegger wissen wir, dass er Braigs Werke „Vom Sein. Abriß der Ontologie“ (1896) und „Vom Erkennen. Abriß der Noetik“ (1897) durchgearbeitet hat. Er hatte während seines Theologiestudiums viel bei Carl Braig gehört und dessen theologische Vorlesungen sogar noch in den Jahren nach Abbruch des Theologiestudiums weiter besucht. Braigs Sichtweise war, wie Heidegger erwähnte, nicht auf die Untersuchung des Problems des Seins in einem aristotelisch-thomistischen Sinn beschränkt. Durch Braig wurde er sich der Bedeutung moderner Ideen von Metaphysik außerhalb des Rahmens der Kirche bewusst, insbesondere jener Hegels und Schellings – oder mit seinen eigenen Worten ausgedrückt:

„Eine theologische Vorlesung hörte ich auch noch in den Jahren nach 1911, diejenige über Dogmatik bei Carl Braig. Dazu bestimmte mich das Interesse an der spekulativen Theologie, vor allem die eindringlichste Art des Denkens, die der genannte Lehrer in jeder Vorlesungsstunde Gegenwart werden ließ. Durch ihn hörte ich zum ersten Mal auf wenigen Spaziergängen, bei denen ich ihn begleiten durfte, von der Bedeutung Schellings und Hegels für die spekulative Theologie im Unterschied zum Lehrsystem der Scholastik. So trat die Spannung zwischen Ontologie und spekulativer Theologie als das Baugefüge der Metaphysik in den Gesichtskreis meines Suchens“[Martin Heidegger, Mein Weg in die Phänomenologie (1963), in: Martin Heidegger in Selbstzeugnissen und Bilddokumenten, dargestellt von Walter Biemel, Reinbek 1973, S. 21; dann in: ders., Zur Sache des Den-kens, Tübingen 1976, S. 81-90, hier S. 81 f., jetzt auch in: ders., Zur Sache des Denkens, Gesamtausgabe, Bd. 14, 2007, hier S. 94. Vgl. hierzu: Hugo Ott, Zu den katholischen Wurzeln im Denken Martin Heideggers. Der Theologische Philosoph, in: Christoph Jamme/Karsten Harries, Martin Heidegger. Kunst, Politik, Technik, München 1992, S. 225 ff., zu Braig S. 228-230 und 236]

Bezüglich Carl Braig hat erst die 2004 publizierte Doktorarbeit von Daniel Esch das Forschungsdefizit über den Lehrer Guardinis und Heideggers behoben, der die beiden darin ausführlich als „bekannteste Schüler“ Braigs beschreibt [Daniel Esch, Apostolat der Dialektik. Leben und Werk des Freiburger Theologen und Philosophen Carl Braig (1853-1923), 2004]. Bei Esch wird auch deutlich, dass Braig eine „Brücke“ von Heidegger und Guardini zu Engelbert Krebs darstellt, der ebenfalls ein Schüler Braigs war. Johannes Schaber weist in seinem Aufsatz „Der Theologiestudent Martin Heidegger und der Dogmatikprofessor Carl Braig“ darauf hin, dass Heidegger auch noch fünfzig Jahre nach seinem Studium bei Braig die Lektüre der Schriften des Dogmatikers und Philosophen empfahl [Johannes Schaber, Der Theologiestudent Martin Heidegger und sein Dogmatikprofessor Carl Braig, in: Freiburger Diözesan-Archiv, 125, 2005, S. 332-347, hier S. 332]. Vor diesen Arbeiten von Esch und Schaber hatte immerhin Franco Volpi in seinen Beiträgen zur italienischen Heidegger-Forschung den Einfluss von Braigs Buch „Vom Sein“ auf Heideggers eigenes Verständnis herausgearbeitet [Franco Volpi, Heidegger e Brentano. L´ aristotelismo e il problema dell´ univocità dell´ essere nella formazione filosofica del giovane Martin Heidegger, 1976; (2)1984; dann ders., Alle origini della concezione Heideggeriana dell’Essere. Il Trattato Vom Sein di Carl Braig, in: Rivista critica di storia della filosofia, 2, 1980, S. 183-194; ders., Le fonti del problema dell'essere nel giovane Heidegger. Franz Brentano e Carl Braig, in: C. Esposito/P. Porro (Hgg.), Heidegger e i medievali. Atti del Colloquio Internazionale Cassino 10/13 maggio 2000), Quaestio I, Turnhout-Bari 2001, S. 39-52]. Die Studien Volpis fanden lange Zeit aber nur spärlich und meist auch nur kursorisch erwähnend Eingang in die deutsche Heidegger-Forschung [Rezension zu: Volpi, Heidegger e Brentano, in: Theologie und Philosophie, 62, 1987, S. 116: „Ziemlich unbeachtet von den deutschen Heidegger-Interessenten hat sich in Italien eine ernst zu nehmende, nicht zuletzt historisch angelegte Rezeption des Freiburger Meisters vollzogen.“].

Die „Doktorväter“ Romano Guardinis

Engelbert Krebs (1881-1950)

Heinrich Rickert (1863-1936)

Wohl überhaupt erst nach dem Zweiten Weltkrieg erscheinen Rickert, Heidegger und Guardini „nebeneinandergestellt“ in einem philosophischen Werk, nämlich in der 1947 erschienenen Arbeit von Otto Veit „Die Flucht vor der Freiheit. Versuch zur geschichtsphilosophischen Erhellung der Kulturkrise“: Darin verweist er innerhalb der Anmerkungen zu seinem 4. Kapitel „Symptomatik des Wandels“ (S. 265) sowohl auf Heinrich Rickerts „Die Philosophie des Lebens“ als auch auf Martin Heideggers „Sein und Zeit“ und „Was ist Metaphysik?“. Schließlich führt er Guardini neben Theodor Haecker als katholischen Vertreter einer Religionsphilosophie auf, bei denen „Spuren der existentiellen Denkweise“ nachweisbar seien. Veit sieht in Rickerts „scharfsinniger Kritik“ „alle Schwächepunkte des Lebensphilosophie – freilich mit einer gewissen Einseitigkeit – bloß gelegt“, nimmt aber Husserls Phänomenologie vor Rickerts Zuordnung zum Vitalismus in Schutz, da dessen Postulat der „Wesensanschauung“ eine viel breitere erkenntnistheoretische Basis habe. Neben Jaspers „Philosophie“ und „Vernunft und Existenz“ sowie „Die geistige Situation der Zeit“ zählt Veit Heideggers Werke zu den „repräsentativsten Werken“ der Existenzphilosophie.

Aber bei dieser vereinzelten Wahrnehmung ist es auch weitestgehend geblieben, was umso mehr verwundert, als Guardini sich selbst in einem der beiden 1916 an Heidegger geschriebenen Briefen ausdrücklich auf Rickert bezieht, sich aber von dessen Neukantianismus abgrenzt [siehe unten Q 4], andererseits aber just Max Scheler den jungen Theologen Guardini von Heinrich Rickert „vielfach bestimmt“ sieht. Denn Scheler antwortet Guardini 1919 in einem Brief:

„Vor allem aber bitte ich Sie, mir Ihre Arbeit über Lebensgegensätzlichkeiten, die Sie H. Rickert schon vorgelegt, bald zur Lectüre zu übersenden; dann haben wir reichen Stoff für unsere hoffentlich baldige mündliche Unterhaltung. Ich sehe in Manchem, daß Sie durch Windelband und Rickert in Ihrem Denken vielfach bestimmt wurden – und würde Ihnen gern über meinen inneren Gegensatz zu dieser Schule nur meine eigenen positiven Ansichten (Sie finden, was die Ethik betrifft, in meinem ‚Formalismus in der Eth. u. die materiale Werteethik’, Niemeyer) über dieselben Fragen Einiges sagen" [Siehe Gerl, Romano Guardini, 1985, a.a.O., S. 109].

Auch das Interesse am Einfluss von Rickert auf Heidegger wurde erst gehoben durch die Ausführungen Hugo Otts in seiner Heidegger-Biographie im Jahr 1988 [Hugo Ott, Martin Heidegger. Unterwegs zu einer Biographie, 1988, hier S. 74, 82-90, 98, 116. Guardini kommt in dieser Biographie allerdings nicht im Zusammenhang mit Rickert vor.] und schließlich mit der Veröffentlichung des Briefwechsels zwischen Heidegger und Rickert durch Alfred Denker im Jahr 2002 [Martin Heidegger/Heinrich Rickert, Briefe 1912 bis 1933 und andere Dokumente, hrsg. von Alfred Denker, Frankfurt am Main 2002].

Dass Guardini nicht Thema des Briefwechsels war, leuchtet ein, aber es scheint auch keine Veranlassung für die Herausgeber bestanden zu haben, Guardini als nahestehenden Studienkollegen herauszustellen, obwohl zu diesem Zeitpunkt schon, nämlich seit 1983, die weiter unten ausführlicher besprochene, gegenüber Petzet geäußerte Erinnerung Heideggers an das gemeinsam besuchte Seminar bei Rickert vorlag [Heinrich Wiegand Petzet, Auf einen Stern zugehen. Begegnungen und Gespräche mit Martin Heidegger. 1929-1976, 1983, S. 75]. Immerhin wird das inhaltliche Verhältnis Heideggers zu Rickert mittlerweile ausführlicher betrachtet, so unter anderem bei Konrad Hobe in Abgrenzung zum Denken Emil Lasks [Konrad Hobe, Zwischen Rickert und Heidegger. Versuch über eine Perspektive des Denkens von Emil Lask, in: Philosophisches Jahrbuch, 78, 1971, S. 360-376] sowie bei Claudius Strube im Blick auf das Verhältnis von Heidegger zum Neukantianismus [Claudius Strube, Heidegger und der Neukantianismus, Würzburg 2009].

Die „übersehenen“ Bezugspersonen Joseph Sauer, Heinrich Auer und Heinrich Ochsner

Während die gemeinsamen Bezüge zu Braig, Krebs und Rickert also mittlerweile etwas besser bekannt geworden sind, blieben andere relevante Namen weiter außen vor, allen voran der Freiburger Professor Joseph Sauer:

Joseph Sauer (1872-1949)

Heinrich Auer (1884-1951)

Heinrich Ochsner (1891-1970)

Die gemeinsame Freiburger Studienzeit (1912-1915)

Die Personalverzeichnisse der Universität Freiburg (1912-1915)

Zur Datierung der ersten Begegnung

Erste Widmung Heideggers an Guardini

Q001

Widmung Heideggers an Guardini (um 1915) [Guardini-Bibliothek gb 4039]

Q002

Brief von Romano Guardini an Martin Heidegger (10. April 1916) [Deutschen Literaturarchiv Marbach Nr. 75.6840/1, erstmals in: Heidegger-Jahrbuch I, 2004]

Arbeit für die Quickborn-nahestehende Zeitschrift „Heliand“

1915 und 1916 erscheinen in der Quickborn-nahestehenden, von Bernhard Strehler und Hermann Hoffmann herausgegebenen Zeitschrift „Heliand. Monatsschrift zur Pflege religiösen Lebens für gebildete Katholiken“ die Gedichte Trost (Heliand, 6, 1915, S. 161) und „Einsamkeit“ (Heliand, 7, 1916, S. 309). Heidegger erhält dabei das Pseudonym „Martin Heide“. Diese Zeitschrift löste 1909 die Zeitschrift „Friedensblätter. Monatsschrift zur Pflege des religiösen Lebens und Friedens“ ab. Der Vermittler des Gedichts an Hoffmann war der Freiburger Mitstudent und Freund Ernst Laslowski, der am 13. März 1915 an Heidegger schrieb: "[…] Ich habe ein Gedichtlein von Dir im Heliand abdrucken lassen, unter Pseudonym. Der Herausgeber, ein feiner, kluger junger Priester war so dankbar dafür. Du erhältst Belegexemplare. Der Heliand soll durchgehalten werden, er hat seinen Zweck als religiöse Zeitschrift. Ist doch jetzt sehr wertvoll. […]“[9. Brief von Ernst Laslowski an Martin Heidegger vom 13. März 1915 aus Breslau, in: Heidegger-Jahrbuch, Band I: Heidegger und die Anfänge seines Denkens, Freiburg/München 2004, S. 41-45, hier S. 43].

Ernst Laslowski (1889-1961) hatte ab 1910 in Breslau und dann in Freiburg im Breisgau Geschichte studiert. Unterbrochen vom Ersten Weltkrieg schloss er diese Studien 1920 mit einer Promotion in Freiburg ab. Von 1920 bis 1934 war er Leiter der politisch-kulturellen Wochenzeitung „Der Oberschlesier“, von 1923 bis 1930 Leiter des Volksbildungshauses „Heimgarten“ in Neisse-Neuland, 1930 bis 1934 wissenschaftlicher Referent beim Oberpräsidium Oppeln und von 1935 bis 1945 Leiter der Graf von Ballestremschen Archive in Gleiwitz. Nach dem Zweiten Weltkrieg übernahm er von 1946 bis 1960 das Amt des Direktors des Zentralarchivar des Deutschen Caritas-Verbandes. 1951 trat er zudem die Nachfolge Heinrich Auers als Bibliotheksdirektor an.

Guardini wiederum veröffentlichte im „Heliand“ wohl erstmals 1918, und zwar unter dem Pseudonym Dr. Anton Wächter seine Texte über „Sagen“ (Heliand, 9, 1918, 5, S. 151-156) und über „Märchen“ (ebd., 6-7, S. 195-202) sowie unter seinem eigenen Namen: „O beata Trinitas“ (ebd., 10-11, S. 265-271). 1920 folgt als Originalbeitrag noch in der Rubrik „Nova et vetera“ eine phänomenologische Betrachtung „Vom Gespräch“ (Heliand, 10, 1920, 5, S. 153-158). Danach folgen noch einige weitere, meist kleinere Auszüge und Nachdrucke in den Jahren zwischen 1920 und 1935.

Über den Kontakt Guardinis zu Strehler nach Neisse sowie zum Quickborn seit dem August 1913 wissen wir aus dem brieflichen Bericht an Josef Weiger. Ob daraus auch schon sein Kontakt zur Zeitschrift „Heliand“ erwachsen ist oder erst später anzusetzen ist, ist schwer zu klären. Auszuschließen ist es nämlich auch nicht, dass Guardini – ähnlich wie Heidegger – die Zeitschrift „Heliand“ schon über die Freiburger Caritas, also durch Ernst Laslowski oder durch den gemeinsamen Freund Heinrich Auer kennengelernt hat [Vgl. dazu auch Ernst Laslowski: Heinrich Auer, der Freund, in: Heinrich Auer zum Gedenken, im Auftrag des Deutschen Caritasverbandes zusammengestellt von Karl Borgmann, Freiburg 1952, S. 31-35]. Immerhin veröffentlichte auch Guardinis Freund Josef Weiger bereits 1916 in dieser Zeitschrift einen Aufsatz „Über die Pietà von Casper in der Stuttgarter Gemäldegalerie“ (Heliand, 7, 1916, 4, S. 104-107). Karl Caspar war ein mit Weiger und Guardini befreundeter expressionistischer Maler. Für 1918 bereitete Weiger für den Heliand auch einen Aufsatz über das Herz Jesu Büchlein des Beuroner Benediktinerpaters Sebastian von Oer vor, der dann aber nicht erschienen ist [77. Brief an Josef Weiger vom 31.07.1918 „Der Aufsatz über das Herz Jesu Büchlein geht mit zurück. Ich habe ihn noch einmal gelesen; er ist sehr gut. Von seinem Inhalt, auch der Kritik, möchte ich nichts missen. Etwas weiter ausführen, und die Gedanken manchmal etwas schärfer von einander abheben; auch besser Absätze machen. Schicke ihn also nur bald. Er wird sicher genommen. Hat Kühnel geschrieben? Vielleicht tust Du es selbst: Kaplan Josef Kühnel, Glogau in Schlesien, kath. Pfarrhaus.“ Kaplan Josef Kühnel war von 1917 an stellvertretender Herausgeber und Schriftleiter von Hermann Hoffmann bei der Zeitschrift „Heliand“].

Im Herbst 1915 sollte Martin Heidegger im Übrigen – auf Vermittlung von Engelbert Krebs und Heinrich Finke – zunächst eine Mitarbeiterstelle im Freiburger Caritas-Bureau übernehmen, dann wurde er allerdings mit Gestellungsbefehl vom 16. August 1915 als Musketier nach Müllheim einberufen, so dass er die Stelle bei der Caritas nicht mehr antreten konnte [Hugo Ott: Engelbert Krebs und Martin Heidegger 1915, in: Freiburger Diözesan-Archiv, 113, 1993, hier S. 244-246].

Aufgrund dieser wechselseitigen Beziehungen Heideggers und Guardinis zur Freiburger Caritaszentrale ist vielleicht doch auch noch aus den dortigen Archiven und Nachlässen der ein oder andere Fund zu erwarten.

Die zwei frühen Briefe Guardinis an Heidegger

Die zwei Briefe und ihre historische Einordnung

Nach Abschluss seiner eigenen Promotion wurde Guardini zum 20. Mai 1915 wieder als Kaplan nach St. Ignaz in Mainz versetzt. Es folgte eine Weiterversetzung nach St. Peter zum 25. November 1915, dann zum 1. Februar 1916 nach St. Emmeran und schließlich zum 21. August 1916 wieder zurück nach St. Peter. Die beiden Briefe wurden infolgedessen aus Mainz, St. Emmeran geschrieben, was im ersten Brief auch vermerkt ist, für den zweiten somit ebenfalls vorausgesetzt werden kann. Obwohl die Briefe bereits im ersten Heidegger-Jahrbuch abgedruckt sind, sollen Sie hier noch einmal in groben Zügen wiedergegeben und eingeordnet werden, auch mit einigen kleineren Korrekturen bezüglich der Transkription.

Q003

Brief von Romano Guardini an Martin Heidegger (20. April 1916) [Deutschen Literaturarchiv Marbach Nr. 75.6840/2, erstmals in: Heidegger-Jahrbuch I, 2004]

Brief an Josef Weiger über den polaren Gegensatz von Idee und Ich

Kurz darauf hat Guardini am 26. Mai 1916 in einem Brief an Josef Weiger über seine Versuche berichtet, eine Phänomenologie der Idee und des Ichs im Sinne des Gegensatzgedankens durchzuführen:

„Es handelt sich darum, für die zwei letzten data des menschlichen Daseins, für die Idee (das Objektiv-Letzte) und das Ich (das Subjektiv-Letzte) eine Phaenomenologie aufzustellen. D. h. den Gegensatzgedanken durchzuführen. Dann zu zeigen, wie die beiden Seiten der Idee (Typus des Seins <-> Richtung des Willens, der Tat, der Gesinnung) und des Ichs (Strukturzentrum <-> Richtungskonstante) zueinanderstehen: Primat des Statischen (Wahrheit, Sein, platonische Idee bzw. ruhendes, kontemplatives Ich) oder des Dynamischen (Gutheit, Tat, moderne Wertidee bzw. aktives schöpferisches Ich)? Daraus eine aus dem Innersten heraus arbeitende Analyse des ‚katholischen Geistes’: Primat des Statischen (wie oben.), des ‚Logos’, für gewisse Gebiete; anderseits des Dynamischen, des ‚Ethos’, für andere. Trotzdem aber, und endgültig, einen organischen Primat des Logos über den Ethos, der Kontemplation über die Aktion, des Seins über die Gesinnung. Siehst Du, ich habe hier das Gefühl, wirklich an die letzten Fragen zu rühren, und es ist eine tief beunruhigende Situation, nichts ausdenken zu können. Damit Du die Konsequenzen besser siehst: Die Diskussion von Idee und Ich führt auf die Phaenomenologie des Geistes – und Gottes. Nun denke Dir: Gott ist das absolute, echte Sein – und: Gott ist die absolute ‚Gesinnung’. Was das bedeutet für die Grundlegung des christlichen ‚kontemplativen’ und ‚aktiven’ Lebens! - Ich merke auch allmählich, worauf die Gegensatzlehre im Grund hinauswill. Sie ist das Handwerkzeug für eine ‚Philosophie des Konkreten’; im letzten: für eine ‚Philosophie des Geistes’. - Der Artikel von Simmel s. Z. hat auf mich einen sehr nachhaltigen Eindruck gemacht. Seine Formel ist mir fest geblieben (sie ist übrigens ein Stück aus der Gegensatzlehre)“ (Briefe an Josef Weiger 1908-1962, 2008, S. 183)

Es konnte bislang noch nicht herausgefunden werden, auf welchen Artikel Simmels Guardini sich hier genau bezieht. Gerl-Falkovitz verweist als eine Möglichkeit auf Simmels Text „Die Gegensätze des Lebens und der Religion“ (1904). Dies würde der Formulierung „seiner Zeit“ Rechnung tragen, die nahelegt, dass sie auf das Berliner Studiensemester bei Simmel bezogen ist. Dieser Bezug ist aber nicht zwingend, so dass zum Beispiel auch an etwas später, aber deutlich vor 1916 erschienene Aufsätze zu denken wäre, zum Beispiel an den 1910 in der Zeitschrift „Logos“ publizierten Aufsatz über „Michelangelo. Ein Kapitel zur Metaphysik der Kultur“, in der Simmel seine Gegensatzlehre auf die Kunstanschauung anwendet; zumal dieser Michelangelo-Aufsatz sich an die eigene, von ihm während seiner Berliner Studentenzeit 1905/06 vorbereitete und 1907 erschienene Michelangelo-Sammlung anschließen würde.

Guardini spricht in diesem Brief an Weiger sowohl von einer Phänomenologie der Idee und des Ichs, von einer Phänomenologie des Geistes als auch von einer Phänomenologie Gottes und bindet sie in seine Gegensatzlehre ein, die er als Handwerkszeug für eine „Philosophie des Konkreten“ bzw. eine „Philosophie des Geistes“ sieht. Die im Brief an Heidegger gewählte Formulierung „Phänomenologie der Idee“ ist dabei allem Anschein nach eine originäre Schöpfung Guardinis, sie kommt so bei anderen Denkern nicht vor und wird später sogar von einem Denker wie Jacques Derrida als „Unmöglichkeit“ angesehen [„Daß es keine Phänomenologie der Idee gibt, ist kein Zufall. Sie kann sich nicht leibhaftig geben, sie kann in keiner Evidenz bestimmt werden, denn sie ist die Möglichkeit der Evidenz und die Eröffnung des Sehens selber sie ist nichts anderes als die Bestimmbarkeit als Horizont jeder Anschauung überhaupt, das unsichtbare Medium des Sehens, analog zur Durchsichtigkeit des aristotelischen Diaphanen, elementares Drittes, aber gemeinsame Herkunft des Sehens und des Sichtbaren.“ (Jacques Derrida, Husserls Weg in die Geschichte am Leitfaden der Geometrie. Ein Kommentar zur Beilage III der „Krisis“. Mit einem Vorwort von Rudolf Bernet, München 1987, S. 183 f.)]. Auch Guardini selbst hat die Formulierung später nicht weiterverwendet.

Ein wesentliches „Kapitel“ dieser Vor-Arbeiten ist dann wohl unter dem Titel „Der Primat des Logos über das Ethos“ eingegangen in Guardinis Schrift „Vom Geist der Liturgie“. Da Heidegger in seinem eigenen Werk weder auf irgendwelche frühen Aufsätze Guardinis noch auf „Gegensatz und Gegensätze“ (1914) bzw. „Der Gegensatz“ (1925), und auch nicht auf „Vom Geist der Liturgie“ (1918) und die darin enthaltene Formel vom „Primat des Logos über das Ethos“ eingeht, kann man die Suche nach Vergleichspunkten an dieser Stelle beenden.

Überlegungen zu den nicht erhaltenen Beilagen

Allerdings bedarf es noch einiger weiterer Überlegungen zu den in den Briefen an Heidegger erwähnten und mitgeschickten Manuskripten. Seit der Veröffentlichung der beiden Briefe an Heidegger, die von Gerl-Falkovitz bei der Herausgabe der Briefe Guardinis an Josef Weiger folgerichtig mit dem angeführten Brief an Josef Weiger kombiniert wurden, gibt es verschiedene Mutmaßungen.

Die Herausgeber der Briefe im Heidegger-Jahrbuch vermuteten hinter der religions-kritischen Studie die erste Fassung der Gegensatzlehre von 1914 und in der speziellen Anwendung des „lebendigen Subjekts“ den noch 1916 im Pharus erschienen Aufsatz „Der religiöse Gehorsam“ [in: Pharus. Katholische Monatsschrift für Orientierung in der gesamten Pädagogik, Donauwörth, 7, 1916, Bd. 2, Heft 9 (September 1916), S. 737-744; auch in: Auf dem Wege, 1923; schließlich eingegangen in: Wurzeln eines großen Lebenswerks. Romano Guardini (1885-1968). Aufsätze und kleinere Schriften, Bd. I, 2000], vielleicht zusammen mit „Zum Begriff des Befehls und des Gehorsams“ [in: Pharus. Katholische Monatsschrift für Orientierung in der gesamten Pädagogik, Donauwörth, 7, 1916, Bd. 2, Heft 10 (Oktober 1916), S. 834-843; eingegangen in: Wurzeln eines großen Lebenswerks, Bd. I, a.a.O.] und „Zum Begriff der sittlichen Freiheit“ [in: Pharus. Katholische Monatsschrift für Orientierung in der gesamten Pädagogik, Donauwörth, 7, 1916, Bd. 2, Heft 12 (Dezember 1916), S. 977-989; eingegangen in: Wurzeln eines großen Lebenswerks, Bd. I, a.a.O.]. Das erstere ist nicht (mehr) nachvollziehbar, da Heidegger, wie die oben genannte Widmung zeigt, Guardinis Gegensatzlehre wohl schon in Freiburg kennenlernte, weil diese ja zu diesem Zeitpunkt bereits gedruckt erschienen war und daher weder erst in „Ferienstunden“ entstanden sein konnte noch im eigentlichen Sinne einer ruhigen tiefen Ausarbeitung ermangelte. Das letztere, der Bezug zu den Pharus-Aufsätzen, ist zwar grundsätzlich denkbar, aber eher unwahrscheinlich. Angesichts der im Ersten Weltkrieg erheblich längeren Vorlaufzeiten halte ich die Zeitspanne zwischen April 1916 und dem Erscheinen der Aufsätze im September, Oktober und Dezember 1916 für zu gering; außer man geht davon aus, dass es sich bei Guardinis Formulierung „Aufsatz“ um bereits „gedruckte Aufsätze“ handelt, was aber nicht erklärt, warum Guardini die Rücksendung des einen Aufsatzes an ihn selbst und die Weiterleitung des anderen an Roloff möchte. Eher ist daher von noch nicht veröffentlichten Aufsatz-Typoskripten auszugehen.

Gerl-Falkovitz stellt – in der Edition der Briefe an Josef Weiger (2008) [Guardini, Briefe an Josef Weiger, a.a.O., 2008, S. 182 f., Fußnote 516] - für das zweite eine Nähe zu „Vom Geist der Liturgie“ fest. Das würde dazu passen, dass er kurz darauf in dem oben angeführten Weiger-Brief die Idee des „Primats des Logos über den Ethos“ entwickelte. Allerdings wäre „Vom Geist der Liturgie“ nur in einzelnen Abschnitten als spezielle Anwendung des „lebendigen Subjekts“ anzusehen und geht weit darüber hinaus. Eher schon könnte es sich daher bei der „religions-kritischen Studie“ um eine Vorform des philosophischen Abschnitts „Primat des Logos über den Ethos“ aus „Vom Geist der Liturgie“ handeln, in dem es schließlich gerade auch um den geheimnisvollen „Geist des Katholizismus“ geht.

Dagegen möchte ich in der religions-kritische Studie, wenn es sich also nicht tatsächlich um einen frühen Entwurf des Kapitels „Der Primat des Logos über den Ethos“ handeln sollte, eher den 1918 erschienenen Artikel „Zum Begriff der Ehre Gottes“ [in: Philosophisches Jahrbuch der Görresgesellschaft, Bd. 31, 1918, 4, S. 321-332; auch in: Auf dem Wege, 1923; schließlich eingegangen in: Wurzeln eines großen Lebenswerks, Bd. I, 2000] sehen, dessen religionskritischer Ansatz durchaus erkennbar ist. Und in der speziellen Anwendung des „lebendigen Subjekts“ vermute ich den 1919 erschienenen Artikel „Zum Begriff des Berufes“ [in: Akademische Bonifatius-Korrespondenz, 35, 1919/20, 1 (1. Dezember 1919), S. 29-41; eingegangen in: Wurzeln eines großen Lebenswerks, Bd. I, 2000], in dem Guardini tatsächlich vorrangig der Frage nachgeht, wie das lebendige Subjekt zu dem ihm zugehörigen „Beruf“ kommt und dabei gleichzeitig seiner „Berufung“ von Gott her gerecht wird.

Denkbar sind aber, wie immer, auch verschollene Skripte wie jene der ebenfalls seit 1906 parallel zur Gegensatzlehre entstandenen und auf sie aufbauenden „Charakterlehre“ [Vgl. zur Charakterlehre: Guardini, Stationen und Rückblicke/Berichte über mein Leben, a.a.O., S. 26. Guardini, Briefe an Josef Weiger, a.a.O., S. 38, 65, 67, 91. Guardini, Gegensatz und Gegensätze, a.a.O., S. 3, 4, 19 sowie Bericht über mein Leben „Geistige Entwicklung und schriftstellerische Arbeit“ (1943) [Guardini Archiv der Katholischen Akademie in Bayern, Nr. 152].

Aufgrund des Umstandes, dass aber die Charakterlehre gerade auch in der frühen Freiburger Zeit noch in Bearbeitung stand, ist sie für das frühe Gespräch mit Heidegger, aber eben auch für die frühen Briefe an Heidegger mit heranzuziehen.

Wenn Heidegger den einen Aufsatz, wie im Brief von Guardini gewollt, an Roloff weitergeschickt hat, könnte man Näheres über diesen Text nur über einen mir bislang unbekannten Nachlass von Roloff herausfinden. Der andere Text könnte sich rein theoretisch noch irgendwo unerkannt im Nachlass Heideggers verbergen.

Die räumliche Trennung (1915-1930)

Nun folgte eine erste längere „Pause“ in der Begegnung der beiden jungen Wissenschaftler, aus der bislang auch keinerlei Korrespondenzen oder Bezugnahmen auf den anderen in Briefen oder Typoskripten vorliegen. Dies liegt aber durchaus nachvollziehbar vor allem daran, dass es nach 1915 zu einer ständigen räumlichen Trennung kam. Während Heidegger den Ersten Weltkrieg in Freiburg bei der „Post- und Wetterbeobachtung“ (1915-1918) verbrachte, begann für Guardini in Mainz die Zeit als Militärkrankenwärter (1915-1918) und als Kaplan, zuständig vor allem für die katholische Jugendorganisation „Juventus“ (1915-1920). Während Heidegger dann von 1919 bis 1923 Assistent von Husserl in Freiburg wurde, ging Guardini 1920 zur Habilitation nach Bonn und wirkte dort nach deren Abschluss noch kurze Zeit bis 1923 als Privatdozent für Dogmatik.

Während Heidegger schließlich 1923 als außerordentlicher Professor nach Marburg ging und dort auch blieb, bis er 1928 zum Nachfolger Edmund Husserls nach Freiburg zurückberufen wurde, nahm Guardini 1923 den Ruf als Professor für katholische Weltanschauung nach Breslau mit ständigem Sitz in Berlin an. Er blieb dies bis 1939, als ihm seine Professur für katholische Weltanschauung weggenommen wurde. Das Angebot einer theologischen Professur für Dogmatik oder Fundamentaltheologie an einer noch bestehenden Theologischen Fakultät in Bonn, Breslau oder andernorts lehnte Guardini ab, äußerte stattdessen den Wunsch zukünftig als Privatgelehrter zu wirken und fragte deshalb um eine vorzeitige Emeritierung nach, die ihm als Versetzung in den Ruhestand schließlich mit würdigender Versetzungsurkunde auch gewährt wurde [Vgl. dazu meine Ausführung in: Zenz, Romano Guardini. Von der „fama mortalis“ zur Gewissheit einer historischen Ausnahmegestalt, in: Modesto/Seitschek (Hgg.), Helfen durch die Wahrheit, a.a.O., S. 81-96, hier S. 93 f.].

Nach einem nicht verwirklichten Plan, Berlin bereits 1942 in Richtung Süden Deutschlands zu verlassen, blieb Guardini nach einem Ferienaufenthalt in Grendach im Jahr darauf – nach einem Evakuierungsaufruf für Zivilisten von Herbst 1943 – im Süden und zog bis Kriegsende 1945 zu seinem Freund Josef Weiger in das Pfarrhaus von Mooshausen.

Dagegen kehrte Heidegger zum Wintersemester 1928/29 von Marburg nach Freiburg zurück, nahm im Juli 1929 Wohnung in Zähringen und hielt am 24. Juli 1929 seine Freiburger Antrittsvorlesung „Was ist Metaphysik?“. Nachdem er 1930 eine Berufung nach Berlin abgelehnt hatte, blieb er bis 1945 ordentlicher Professor in Freiburg. Seine Rektoratszeit 1933/34 wird eigens behandelt. Für den Zeitraum von 1915 bis 1923 sind außerdem keine weiteren Aufenthalte Guardinis in Freiburg noch von Heidegger in Mainz oder Bonn belegt, anlässlich derer die beiden Studienkollegen sich hätten wiedersehen können. Das Gleiche gilt für den Zeitraum von 1923 bis 1930, in dem weder Aufenthalte von Guardini in Marburg noch Vortrags- oder sonstige Aufenthalte Heideggers in Berlin bekannt sind.

Erste eigene Auseinandersetzung und zwei persönliche Begegnungen 1930/31

Erste eigene Auseinandersetzung Guardinis mit der Philosophie Heideggers zum Jahreswechsel 1929/30

Seit der Guardini-Biographie von Hanna-Barbara Gerl aus dem Jahr 1985 wissen wir, dass in einem kleinen philosophischen Kreis an Silvester 1929/30 auf „Einladung“ Guardinis Heideggers „Sein und Zeit“ [Martin Heidegger, Sein und Zeit (Jahrbuch für Philosophie und phänomenologische Forschung; Band VIII), Halle 1927] – neben Martin Bubers „Ich und Du“, Kierkegaards „Philosophischen Brocken“, Karl Mannheims „Ideologie und Utopie“ sowie Fritz Heinemanns „Neue Wege der Philosophie“ – besprochen wurden [Vgl. undatierte Einladung als Typoskript im Archiv Burg Rothenfels erhalten laut Gerl-Falkovitz, Geheimnis des Lebendigen, a.a.O., 2019, S. 204, siehe dazu Bericht in Elisabeth Wilmes-Merz, Jahre auf Burg Rothenfels. Chronik 1926-1937, Teil I, im Auftrag der Vereinigung der Freunde von Burg Rothenfels hrsg. vom Theatinerkreis im Quickborn, Typoskriptdruck o.J. (1983), S. 15]. Da sich Heinemann später zwar mit Heidegger [Fritz Heinemann, Jenseits des Existentialismus. Studien zum Gestaltwandel der gegenwärtigen Philosophie, 1957, S. 23-31], aber nicht mit Guardini auseinandersetzt, wird er hier nicht weiter besprochen.

An der Tagung nahmen 15 Gäste teil, darunter der Verfasser eines der Bücher, Fritz Heinemann , und Gustav Siewerth. Zu Siewerth wird später noch einiges zu sagen sein. Im Brief vom 6. Januar 1930 an Weiger berichtete Guardini von dieser dreitägigen philosophischen Tagung auf Burg Rothenfels über die Existenzphilosophie. Vor allem habe man sich mit Martin Heideggers Variante auseinandergesetzt. Guardinis Urteil darüber lautete: „Sehr bedeutungsvoll scheint mir diese Gedankenwelt!“[Guardini, Briefe an Josef Weiger, a.a.O., S. 308 f.]

Bislang nur ins Niederländische übersetzt publiziert, aber in der deutschen Guardini-Forschung noch nicht wirklich beachtet, wurde ein Brief Guardinis vom 11. Januar 1930 an den Philosophen und Soziologen F. F. J. Buytendijk, der ebenfalls in den dreißiger Jahren beginnt, Heidegger stärker zu rezipieren [Vgl. dazu Ralf Becker, Der Sinn des Lebens. Helmuth Plessner und F. F. J. Buytendijk lesen im Buch der Natur, in: Kristian Köchy/Francesa Michelini (Hrsg.), Zwischen den Kulturen. Plessners „Stufen des Organischen“ im zeithistorischen Kontext, Freiburg i. Br./München 2015, S. 65-90, hier S. 65 f.] und gegenüber dem Guardini bekennt:

„Ich lese über Montaigne und den Sinn der Skepsis … Und komme allmählich tief in Dostojewski hinein. Auch an Heidegger fühle ich mich langsam heran“[Im Holländischen veröffentlicht in: De rede van het hart. Correspondentie van F. J. J. Buytendijk met Romano Guardini, hrsg. von Henk Struyker Boudier, Zeist 1986, S. 85; hier zitiert nach der Kopie des deutschen Originalbriefes im Guardini-Archiv der Katholischen Akademie in Bayern Nr. 1927].

Durch letzteren Hinweis wird deutlich, dass Guardini sich gleichzeitig zur Heidegger-Lektüre auch intensiver mit Dostojewskij zu beschäftigen beginnt. Dies kann gleich auch verständlicher machen, warum die Auseinandersetzung mit Heidegger ihren ersten Niederschlag in seinem Buch zu Dostojewskij finden wird.

Die Wieder-Begegnung in der Pfingstwoche 1930 auf Burg Rothenfels

Q004

Widmung Heideggers an Guardini (1930) [Guardini-Bibliothek gb 4050]

Q005

Widmung Heideggers an Guardini (1930) [Archiv Burg Rothenfels]

Der Besuch in Zähringen (wohl 1931)

Q006

Postkarte von Romano Guardini an Fanny Kempner (27. Juni 1931) [Privat-Archiv Gerl-Falkovitz]

Q007

Auszug aus dem Brief von Romano Guardini an Johannes Spörl vom 26. Januar 1933 [Guardini-Archiv der Katholischen Akademie in Bayern Nr. 1240]

Q008

Postkarte von Romano Guardini an Fanny Kempner vom 2. Februar 1933 [Pri-vat-Archiv Gerl-Falkovitz]

Zu Heideggers Freiburger Vortrag „Vom Wesen der Wahrheit“ (Dezember 1930)

In jedem Fall hat sich im zeitlichen Umfeld des Besuch Heideggers auf Burg Rothenfels an Pfingsten 1930 und des nachfolgenden Guardinis in Zähringen einiges an Funden für die Auseinandersetzungen Guardinis mit der Philosophie Heideggers in der Zeit vor 1933 aufgetan.

Gustav Siewerths Bericht als Druckfahne in der Guardini-Bibliothek

Besondere Aufmerksamkeit verdient dabei eine Auseinandersetzung Siewerths mit Heideggers „Vom Wesen der Wahrheit“, die sich als Einlage in Heideggers Doktorarbeit in der Guardini-Bibliothek in München erhalten hat[gb 4039] und der Umstand, dass es sich dabei offensichtlich um eine mit handschriftlichen Eintragungen Guardinis versehene Korrekturfahne von einem am 23. und 27. Dezember 1930 in der „Freiburger Tagespost“ erschienenen Artikel Siewerths zu Martin Heideggers Vortrag „Vom Wesen der Wahrheit“ in der Akademisch-literarischen Gesellschaft in Freiburg handelt [Gustav Siewerth, „Vom Wesen der Wahrheit“. Zu Martin Heideggers Vortrag in der Akademisch-liter. Gesellschaft, Freiburg, Teil I und II, in: Freiburger Tagespost, 23./27. Dezember 1930]. Dieser zweiteilige Artikel ist zwar in der Freiburger Siewerth-Bibliographie enthalten, aber irrtümlich auf den „6./7. Januar 1930“ datiert, was chronologisch nicht zum erst am 11. Dezember 1930 gehaltenen Vortrag passt.

Dazu muss man wissen, dass Heidegger sich unter dem Titel „Vom Wesen der Wahrheit“ bereits seit 1926 mit dieser Frage auseinandersetzt. Als Vor-Version gilt ein Vortrag 1926 in Marburg. 1930 hat er mit diesem Titel insgesamt drei Vortragsversionen gehalten, nämlich am 14. Juli 1930 in Karlsruhe, am 8. Oktober 1930 in Bremen und schließlich eine dritte Version am 5. Dezember 1930 in Marburg und dann eben am 11. Dezember 1930 in Freiburg. Nach dem Freiburger Vortrag hielt er unter dem gleichen Titel noch im Herbst 1931 in Beuron und 1932 in Dresden weitere Vorträge. 1931/32 und 1933/34 bot Heidegger außerdem Vorlesungen zum Thema „Vom Wesen der Wahrheit“ an. Bei Siewerths Vortragsbericht geht es aber eindeutig um den Vortrag vom 11. Dezember 1930 in Freiburg.

Nicht in der Siewerth-Bibliographie enthalten, aber ebenfalls als Zeitungsausschnitt in der Heidegger-Doktorarbeit in der Guardini-Bibliothek erhalten ist seine Erwiderung Siewerths an Erich Przywara, der auf Siewerths Vortragsbericht mit einem eigenen Artikel reagiert hatte. Der Zeitungsausschnitt stammt daher wohl von Ende Januar 1931, da Przywaras Artikel „Vom Wesen der Wahrheit“ in der Ausgabe vom 17. Januar 1931 in der Freiburger Tagespost erschienen war. Da nun weder in Siewerths noch in Przywaras Artikel auf Guardini Bezug genommen wurde, sich die Korrekturen an der Druckfahne nur auf orthographische und sinnentstellende Druckfehler beziehen, die Texte also nur die Sichtweisen Siewerths und Przywaras auf Heidegger wiedergeben, kann hier auf ein ausführliches Referat dieser Beiträge verzichtet werden.

Allerdings sind die beiden Funde Beleg dafür, dass Guardini zur Jahreswende 1930/31 – wenn auch nicht persönlich, sondern durch die Berichterstattung Siewerths – Heideggers Auseinandersetzung mit dem „Wesen der Wahrheit“ kennengelernt hat. Bislang ist aber kein direkter Verweis bei Guardini auf diesen Vortrag bekannt geworden. Auch die Formulierung „Wesen der Wahrheit“ kommt in Guardinis eigenen Schriften nicht vor.

Der Kontrahent Erich Przywara

Exkurs: Die „katholischen“ Schüler und Hörer Martin Heideggers mit Verbindung zu Romano Guardini

Der Berichterstatter Gustav Siewerth

Guardinis vertiefte Einarbeitung in Heideggers Philosophie

Ein weiterer Brief an Buytendijk (1931)

Aufgrund dieser Funde in der Guardini-Bibliothek wird nun aber die ergänzende Äußerung zu Heidegger in Guardinis Brief an Buytendijk vom 11. März 1931 nicht mehr nur als „zukünftiger Plan“, sondern als „begleitende Beschreibung“ zu lesen sein:

„[…] Ich möchte nun versuchen, mich in die Philosophie Heideggers einzuarbeiten – der ja von anderer Seite, das heraufhebt, was auch bei Nietzsche das Entscheidende ist: die bloße, mit sich allein seiende Endlichkeit. Ein schweres Problem, mit dem ganzen Kämpfen und Leiden und Sündigen des Abendlandes beladen. Aber hier wird sich die Kraft des Christlichen zu bewähren haben. Ich meine so: Es wird zu sehen sein, was die blosse Endlichkeit bedeutet, und inwiefern wirklich die „absoluten Positionen“ destruiert sind. Dieses Ganze als „Existenz“, d.h. als konkretes, mit dem Accent des persönlichen Heilsschicksals und der persönlichen Entscheidungsnotwendigkeit des Denkenden belastetes Wirklichkeitsgewebe (nicht als blosse Idee, oder Struktur, oder System) zu nehmen sein. Dann gilt es, zu sehen, was das ganz rein und ungebrochen genommene Christentum, die christliche Wirklichkeit dazu zu sagen haben hat. Und da scheinen in einer sehr tief liegenden z. T. verborgen laufenden Tradition des Abendlandes (der Philosophia und Theologia cordis) und im Osten sehr bedeutsame Ansätze zu liegen, die voranführen können. […]“ [Im Holländischen veröffentlicht in: De rede van het hart. Correspondentie van F. J. J. Buytendijk met Romano Guardini, hrsg. von Henk Struyker Boudier, Zeist 1986, S. 87 f.; hier zitiert nach der Kopie des deutschen Originalbriefes im Guardini-Archiv der Katholischen Akademie in Bayern Nr. 1927].

Ein Tagebucheintrag vom Juni 1932

Q009

Auszug aus dem Tagebuch Romano Guardinis (Eintrag vom 12. Juni 1932) [Guardini-Archiv der Katholischen Akademie in Bayern Nr. …???]

Die „bloße Endlichkeit“ – Guardinis Exzerpt aus Heideggers „Was ist Metaphysik?“

Gerl-Falkovitz weist seit 2004 auf einen „sechsseitigen maschinenschriftlichen Teilentwurf zur noch ungedruckten ‚Anthropologie’ oder – später teiledierten – ‚Existenz des Christen’, welcher Entwurf sich in den sonstigen Typoskripten zur Anthropologie nicht findet“ hin. Er trägt den Titel „Der Zustand des Gefallen-seins. 1. Die bloße Endlichkeit“ und liegt als Typoskript Nr. 86 mit der Seitennummerierung 46 bis 51 im Guardini-Archiv der Katholischen Akademie in Bayern. Darin geht Guardini ausführlich auf Heideggers Freiburger Antrittsvorlesung „Was ist Metaphysik?“ vom 24. Juli 1929 ein. In ihrem Buch von 2019 wird der Text von Gerl-Falkovitz erstmals veröffentlicht. Der Text ist mittlerweile auch in der italienischen Gesamtausgabe und befindet sich auch für die deutsche Werkausgabe zur Anthropologie, herausgegeben durch Alfons Knoll in Vorbereitung. Die Seitenzahlen im Text von Guardini beziehen sich auf die Erstausgabe: Was ist Metaphysik? (Frankfurt 1929).

Q010

Romano Guardini: Typoskript „Der Zustand des Gefallen-Seins“ [Guardini-Archiv der Katholischen Akademie in Bayern Nr. 86]

Zusammenfassung wird noch erstellt

Auch an einigen weiteren Stellen der Typoskripte aus dem Umfeld von Guardinis Anthropologie-Kolleg (1932/39) finden sich noch einzelne Bezugnahmen auf Heidegger, so auf seine Rede von der „Grenze“ und Guardinis Rede vom „tragischen Heroismus“ bei Heidegger und Jaspers und vom „unmittelbaren Eschatologismus" bei Hölderlin, Rilke, Kierkegaard, Nietzche und Heidegger. Diese Verweise sind über die italienische Übersetzung seit 2009 bereits zugänglich[Romano Guardini, L´ uomo. Fondamenti di una antropologia cristiana, Brescia 2009 (Opera omnia, Band III/1.), S. 109, 216 und öfters].

Die „bloße Endlichkeit“ in Guardinis Dostojewskij-Buch „Der Mensch und der Glaube“ (1932)

Heideggers Philosophie in der „Religiösen Offenheit der Gegenwart“ (1932/34)

In dem erst 2008 aus Guardinis Nachlass zugänglich gemachten, von Guardini selbst als „Aufsatz“ bezeichneten Text über „Die Religiöse Offenheit der Gegenwart“ bildet in einer Passage erneut Heideggers Philosophie den Hintergrund für Guardinis Auseinandersetzung mit dem Charakter des christlichen Existierens. Dieser Text ruht wohl auf Vorarbeiten des Jahres 1932, wurde nach Guardinis eigenen Angaben dann größtenteils im Januar 1933 noch vor der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten zu Papier gebracht und dann bis Ostern 1934 fertigstellt:

„Heideggers Philosophie ist eine Herausforderung an den Christen und erinnert ihn an ein langes Versäumnis. Der Charakter des christlichen Existierens muss herausgearbeitet werden, ganz aus dem Eigenen, aus dem ersten Anfang, ‚in Zuversicht“. Was heißt für ihn ‚Sein’? Was ‚Nichts’? Was ‚Selbst’? Was ‚der Andere’? ‚Absolutheit’ und ‚Endlichkeit“? ‚Geburt, Leben, Tod“? Was ist für ihn ‚Angst’? ‚Sünde’, ‚Offenheit“ und ‚Verschlossenheit’? Seit dem ausgehenden Mittelalter scheint ein eigentliches christliches Existentialbewusstsein verloren zu gehen. […] In Wirklichkeit erfolgt seit der Renaissance die christliche Antwort auf die gegnerischen Positionen immer mehr in Form von Verteidigungen, Einschränkungen, Korrekturen, Zugeständnissen und Zurücknahmen. Und zwar weder aus intellektueller Unzulänglichkeit noch aus menschlichen Mängeln; die Gründe für ihr Versagen liegen viel tiefer: darin, dass ein originäres christliches Existenzbewusstsein als Allgemeinhaltung, die der Einzelne sich wohl in Entscheidung aneignen muss, die ihm aber doch als Möglichkeit entgegengetragen, lebendig in ihm gezeugt und herangebildet wird, in der Neuzeit verloren zu gehen scheint. Nur von hieraus ist zu verstehen, daß z. B. auf die tief erregende Frage eines Heidegger eine christliche Antwort noch nicht erfolgt ist. Entweder kapituliert das christliche Denken vor ihm, oder aber es arbeitet mit summarischen Ablehnungen, die auf die Sache selbst im Grunde gar nicht eingehen. Heidegger geht von der neuzeitlichen Existenzerfahrung aus, in welcher sich die Probleme der Endlichkeit und Unendlichkeit, des Etwas und des Nichts, des Absoluten und des Faktischen in einer anderen Form anmelden, als es noch im 15. Jahrhundert geschah. Soll ihm geantwortet werden können, so muss, auf gleicher menschlicher, kultureller und geschichtlicher Ebene, eine originäre christliche Existenzerfahrung da sein, von welcher aus jene Phänomene wirklich christlich gesehen werden“[Romano Guardini, Die Religiöse Offenheit der Gegenwart, 2008, S. 90-92].

Bislang ist der konkrete „Sitz im Leben“ dieses erst 2008 veröffentlichten „Aufsatzes“, dem aber mit ziemlicher Sicherheit eine Vorlesung oder ein Vortrag vorausgegangen ist, nicht eindeutig festzulegen. Allerdings scheint mir ein Zusammenhang mit einer Erinnerung von August Berning anlässlich des 75. Geburtstages Guardinis 1960 plausibel. Demnach ließ Guardini durch Frau Dr. Schlüter-Hermkes eine Reihe von katholischen Abgeordneten und Politikern zusammenkommen und machte dabei „auf das unterirdisch grollende Erdbeben aufmerksam“ [August Heinrich Berning, Romano Guardini 75 Jahre, in: Schwäbische Zeitung, 1960, 17. Februar, Feuilleton (1 S.); ders., Romano Guardini zum 75. Geburtstag, in: Kirchenzeitung für das Bistum Aachen, 15, 1960, 13. März, S. 5 f.]. Dieses „unterirdisch grollende Erdbeben“ käme in diesem Text Guardinis eindrucksvoll zum Ausdruck. Diese späte „Verortung“ würde auch erklären können, warum der von Guardini wohl zum Druck vorgesehene Vortragstext bzw. „Aufsatz“ dann 1933 nicht mehr in den Schildgenossen oder auch anderen Zeitschriften des politischen bzw. religiösen Katholizismus erschienen ist, weil die darin enthaltene offene Kritik am Nationalsozialismus für die in Frage kommenden Zeitschriften doch zu riskant war.

Heideggers Philosophie in „Welt und Person“ (1939)

Auch wenn der Abschnitt „Welt und Person“ aus dem Anthropologie-Kolleg erst 1939 als eigenständige Schrift erschienen ist, gehört der folgende Passus zeitlich von der Entstehung her gesehen noch in den Kontext von Guardinis Auseinandersetzung mit der Endlichkeit, dem Nichts und der Angst bei Heidegger. So lesen wir in Guardinis Phänomenologie der „Grenze“:

„Diese Grenze wird von der Macht gesetzt, welche ‚höher’ ist als die Welt, weil sie die Welt geschaffen hat ... Ebenso undeutlich ist die andere Grenze, welche innen liegt. Und zwar deshalb, weil dieses Innere einfachhin als Mitte empfunden wird. Erst allmählich dringt das Bewußtsein durch, daß es auch nach innen hinein immer weitergeht ebenso wie nach Oben immer weiter hinauf -, die praktische Unmöglichkeit aber, nach Innen an ein Ende zu kommen, ebensowenig reale Unendlichkeit bedeutet wie nach Oben, und daher auch nach Innen hin Grenze ist. Diese Grenze hat, sobald sie entdeckt wird, sogar eine besondere Eindringlichkeit, weil sie mit der [82] inneren Grenze des Daseinsganzen zusammenfällt. ‚Innen’ ist also auch ‚Mitte’, aber keine absolute, in sich selbst ruhende, sondern endliche, bedingte. Sie ist sozusagen durchlöchert; sie hat eine Transzendenz nach Innen, und da steht, angrenzend, die Macht, die alles trägt, Gott ... ‚Zwischen’ Gott und der Welt aber, oben sowohl wie innen, ist das Nichts. Die Welt ist vom Nichts eingefaßt, übergriffen und durchmittet. Wir gelangen nur dadurch zu einer Vorstellung von der Welt, daß uns das Nichts über ihr und in ihr zu Bewußtsein kommt. Indem die Grenze zur Macht wird, wird das von ihr Umfaßte durchfühlt. Wir bekommen die Mächtigkeit des Daseins ins Bewußtsein, indem wir dessen Krise erfahren. Heidegger hat das am Erlebnis der Angst gezeigt. Im Unterschied zur Furcht, welche immer Furcht vor diesem oder jenem, das heißt also ein Unterscheidungsgefühl innerhalb der Welt bedeutet, bezieht sich die Angst nicht auf etwas Bestimmtes, sondern auf das Sein überhaupt. In ihr enthüllt sich das Nichts als Macht, die Endlichkeit als Bedrohung. Darin kommt aber zugleich das Ganze zum Vorschein, und – wäre der Gedanke fortzuführen – erwacht das Gegengefühl: der Mächtigkeit und Wirklichkeit der Welt. Das echte ‚Nicht’ und ‚Nichts’ kommt von der Wirklichkeit Gottes. Er ‚weist die Welt in ihre Grenzen’, indem er deutlich macht, daß sie nicht er; daß er über ihr und innert ihrer; daß er der aus sich selbst und eigentlich Seiende, ‚der Herr’ im ontologischen Sinne, sie aber das Geschaffene und nur ‚vor ihm’ seiend, ontologisch im Gehorsam Bestehende ist. Ebendarin ist die Welt aber sie selbst und als Welt wirklich ... Gott ist der wirklich Ganz-Andere, der fähig ist, zu schaffen und ebendamit die wirkliche Grenze zwischen sich und dem Geschaffenen zu setzen. Das eigentliche ‚Nicht’ und ‚Nichts’ ist jenes, welches der Satz meint, die Welt sei ‚aus Nichts geschaffen’; und ebenso der andere, die Welt bestehe immer als geschaffene, das heißt, sie sei ‚nicht [83] Gott’. Erst von Gott her kann wirklich Welt erfahren werden“[Romano Guardini, Welt und Person (1939), Mainz (6)1988, S. 81-83].

Der Zusammenhang von existentieller „Umdrohtheit, „Grenze“ und „Tod“ beschäftigt Guardini bereits in seiner Gegensatzlehre von 1925, wenn er über die von der Gegensatzlehre her geformte Haltung schreibt:

„Sie weiß um die von endlichem Leben untrennbare Grenze: um den Tod. Vom Leben weiß nur, wer vom Tode weiß - wenigstens gilt das von jenem besonderen Wissen, das Verantwortung tragen kann -; wer das Leben sieht und spürt, wesenhaft umdroht vom Tode. Denn das ist es, umfaßt durch ihn »von beiden Seiten«, von den Todesbereichen her, vom Übermaß, von der spannungsbrechenden Selbstbehauptung. Und bedroht durch ihn von innen her; von dort, wo das Leben sich ausgleichen und in sich selbst ruhen möchte, vom lähmenden Gleichgewicht“[Romano Guardini, Der Gegensatz, (4)1998, a.a.O., S. 181].

Und den im Jahr darauf erschienenen Aufsatz über „Die Gefährdung der lebendigen Persönlichkeit“, der auf Vorträgen von Februar 1925 in Düsseldorf basiert, leitet Guardini ein mit den Worten:

„Es ist, ich weiß nicht, von wem, das Wort von der Umdrohtheit unseres heutigen Daseins geprägt worden. Das Empfinden, irgendwie gefährdet zu sein, gehört zu unserem Menschlichen Eigenbewußtsein überhaupt. Wenn wir uns aber heute tiefer selbst besinnen; wenn wir aufsteigen lassen, was tief drinnen liegt; wenn wir jene Stimmen herangelangen lassen, die aus unserer Umgebung, aus dem Geschehen unserer Zeit hertönen, und die wir meist, unwillkürlich uns selbst schützend, fernhalten - so kommt das Bewußtsein über uns, daß wir heute in besonderem Maß gefährdet sind. Es mag oft durch die Anspannung des Augenblickes zurückgedrängt werden; aber es ist da und wartet immer nur darauf, durchzudringen“[Romano Guardini, Die Gefährdung der lebedigen Persönlichkeit, in: Die Schildgenossen, 6, 1926, S. 33-52; eingegangen in: Wurzeln eines großen Lebenswerks. Romano Guardini (1885-1968). Aufsätze und kleinere Schriften, Bd. II, 2001, hier S. 258].

Guardini sieht – insbesondere in der Jugendbewegung - einen „eigentümlichen Wirklichkeitshunger“ am Werk, ein Drängen aus dem Abstrakten ins Konkrete, eine „neue Haltung“:

„Es bildet sich ein Standort, ein Maßstab, ein Hebelpunkt, von wo aus ein Mensch an sein Werk gehen kann: in seinem gottverpflichteten Innen“[Ebd., S. 280].

Auch hier ist es mehr als wahrscheinlich, dass er auf die von Heidegger auch später immer wieder aufgeworfene Frage der „Umdrohtheit“ – nicht zuletzt in seiner Auseinandersetzung mit Rilke – antwortet, auch wenn Heidegger aufgrund seines neuen Standpunktes diese „katholische“, die Gegensätze in Spannungseinheit umfassende Antwort Guardinis zurückweisen muss. Während sich Guardini also Heidegger zuwendet, wendet sich dieser zunehmend vom Katholizismus ab, selbst in der Gestalt, wie Guardini ihn vertreten hat.

Heideggers Abkehr vom Katholizismus

Heideggers Rückzug von Beuron (1931/32)

Martin Heidegger und Engelbert Krebs 1933

Heidegger und das Konkordat

Vorgänge während und unmittelbar nach Heideggers Rektoratszeit

Unbekanntes Begleitschreiben zu einem Abzug an Heidegger (1933)

Q011

Briefauszug von Romano Guardini an Johannes Spörl (13. Mai 1933) [Guardini-Archiv der Katholischen Akademie in Bayern Nr. 1240]

Rücktritt als Rektor „wegen Guardini“?

Nach eigenem Bekunden und auch der gängigen Lesart der Quellen nach hatte Heidegger Ende Februar 1934 bereits mündlich in Karlsruhe seinen Rücktritt vom Rektorat zwar wohl nicht „erklärt“, aber doch angeboten, als das Karlsruher Ministerium ihn nach Karlsruhe zitiert und von ihm in Anwesenheit des Gaustudentenführers verlangt hatte, die von ihm im Oktober 1933 ernannten Dekane der juristischen Fakultät (Erik Wolf) und medizinischen Fakultät (Wilhelm von Möllendorf) abzulösen und durch die Partei annehmbare Kollegen zu ersetzen. Er habe dieses Ansinnen deutlich zurückgewiesen [So z.B. bei Istvan M. Fehér, Heideggers politisches Intermezzo. Rektor der Universität Freiburg, in: Annales Universitatis Scientiarum Budapestinensis de Rolando Eötvös Nominatae, XIX, 1985, S. 123-148, hier S. 143 f.].

Als dann der Kultusminister Otto Wacker am 12. April 1934 schriftlich erneut den Rücktritt Erik Wolfs verlangte, antwortete Heidegger am 14. April 1934 mit der erneuten Ankündigung, er wolle sein Amt als Rektor zur Verfügung stellen und sich wieder der „unmittelbaren Erziehungsarbeit“ widmen. Um Wacker Zeit für die Suche nach einem Nachfolger zu geben, ordnete Heidegger intern an, die Entscheidung vorerst auch dem Kanzler und den Dekanen gegenüber noch geheim zu halten. Diese Mitteilung erfolgte dann aber am 23. April, worauf auch der Kanzler und die Dekane der Verfassung einer „Führer-Universität“ gemäß, ebenfalls ihre Ämter zur Verfügung stellten. Das Ministerium nahm alle Rücktritte am 27. April an.

Die Freiburger Presse übernahm wohl bei der Bekanntgabe und Berichterstattung über die Amtsübernahme die Vorlage der nationalsozialistischen Blätter wie „Der Alemanne“, dass es sich bei Heideggers Nachfolger, dem nationalsozialistischen Juristen Eduard Kern (1887-1972), um den „ersten nationalsozialistischen Rektor der Universität Freiburg“ handelte. Heidegger lehnte es schließlich ab, an der Rektoratsübergabe an seinen Nachfolger teilzunehmen, zumal eine Rektoratsübergabe in der neuen Führerverfassung nicht mehr vorgesehen sei [Ott, Martin Heidegger. Unterwegs zu seiner Biographie, 1988, S. 238].

Gemeinhin wird also angenommen, dass Heidegger zurücktrat, weil seine Hochschulpolitik – Stichwort „Führerrektor“ und „Philosophische Dozentenakademie“ zur Erlangung der Lehrerlaubnis – weder an der Universität (Streit um Dekan Erik Wolf in der causa „Adolf Lampe“) noch bei der Partei (Gutachten von Ernst Krieck) genügend Unterstützung fand. Aus dem familiären Umfeld wird später ein „Streit mit dem Gauleiter“, ab Mai dem Reichstatthalter für Baden Robert Wagner (1895-1946) angegeben, dessen Beteiligung an den anderen benannten Konflikten noch nicht näher überprüft wurde. Daher muss offenbleiben, ob sich dieser Streit ebenfalls auf diese universitätsinternen bzw. hochschulpolitischen Konflikte bezogen hat.

Der mit Heidegger ab 1934 befreundete Medizinprofessor Immo von Hattingberg erinnerte sich etwa 1978 aber in eine völlig andere, überraschende Richtung. Dieser war zwar erst vom 1. Juli 1934 an bis 31. Juli 1940 Professor in Freiburg, hatte Heidegger aber noch vor seiner eigenen Augenerkrankung im Jahr 1934 aufgesucht, also als Heidegger noch Rektor der Freiburger Universität war, um ihn kennenzulernen und ihn zu bitten, seine Vorlesungen hören zu dürfen. Hattingbergs 2018 veröffentlichte Erinnerungen besagen nun:

„Heidegger war 1934 als Rektor kurze Zeit für Hitler. Er hat aber das Amt des Rektors aus Protest niedergelegt, als ihm die Berufung des Jesuitenpaters und Philosophen Romano Guardini abgelehnt worden war. Damals schon begann gegen ihn eine heimliche, aber allgemein bekannte Hetze von Seiten der N.S. Studentenführung. Das N.S. Theater mit entsprechendem Bonzentum und Parteiengerangel konnte an der Freiburger Universität keine Macht gewinnen“ [Monika von Hattingberg, Aus den Aufzeichnungen meines Vaters Immo von Hattingberg. Über seine Begegnung mit Martin Heidegger und seiner Philosophie und deren Bedeutung für sein Leben, in: Heidegger Studien, 34, 2018, S. 9-14, hier S. 11.]

Die irrtümliche Kennzeichung Guardinis als „Jesuitenpater“ macht das Zeugnis schwierig. Dennoch muss diese Erinnerung bei zukünftigen Recherchen mit überprüft werden und wäre, wenn es zuträfe, geradezu eine Sensation.

Dass Heidegger unter anderem auch wegen „Querelen bei Berufungen“ zurückgetreten war, wurde bislang – vor allem durch Ott – auf die Streitigkeiten um die Nachfolge Karl Diehls bzw. eine mögliche Lehrstuhlvertretung durch Adolf Lampe bezogen, die Heidegger und Dekan Wolf in jedem Falle zu verhindern suchten [Vgl. insgesamt zu möglichen Bezugspunkten vor allem Bernd Martin, Die Universität Freiburg im Breisgau im Jahre 1933. Eine Nachlese zu Heideggers Rektorat, in: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins, 136, 1988, S. 445-477, hier unter Berufung auf Ott, S. 475]. Ob alle archivalischen Quellen im Universitätsarchiv schon soweit ausgewertet sind, dass auch mögliche Einflussnahmen Heideggers auf andere Berufungsverfahren auszuschließen wären, ist mir nicht bekannt.

Theoretisch wäre Guardini aufgrund seiner Berliner „Themen“ durchaus für die Nachfolge des vertriebenen Jonas Cohn als Professor für philosophische Pädagogik bzw. „Pädagogik und Philosophie“ in Frage gekommen. Faktisch kam es dann im Sommer 1934 mit Georg Stieler zu einer Hausberufung. Obwohl Stieler fachlich gesehen Heideggers engster Kollege in der Freiburger Philosophie gewesen wäre, ist über einen Austausch mit ihm nichts bekannt. Christa Kersting [Pädagogik im Nachkriegsdeutschland. Wissenschaftspolitik und Disziplinentwicklung 1945 bis 1955, Bad Heilbrunn 2008, S. 286ff und S. 307ff.] dokumentiert sowohl die kurzzeitige Beurlaubung Cohns vom 1. bis 28. April 1933, dann die Entlassung von Jonas Cohn durch Heidegger im Oktober 1933 als auch die Initiative und Unterstützung eines Berufungsverfahrens für die Nachfolge. Nachdem Wolfgang Schadewaldt kurz nach der Ernennung mit dem Rektor Heidegger im April 1934 demissionierte, wurde Hans Dragendorf Dekan der Philosophischen Fakultät. Heidegger hat sich – gemeinsam mit Martin Honecker – am 4. Juni 1934 für eine Umwidmung in eine Professur für „politische Pädagogik“ ausgesprochen [Reinhard Mehring, Heideggers „große Politik“. Die semantische Revolution der Gesamtausgabe, 2016, S. 119 und 195].

Schließlich schlug der Dekan am 18. Juni 1934 Georg Stieler offiziell für „Neugestaltung und Besetzung“ des außerordentlichen Lehrstuhls vor. Infolgedessen hat er - wohl noch im Juni - ohne Dreierliste, aber mit Empfehlung der Philosophischen Fakultät den Ruf erhalten. Über die Diskussionen zwischen Oktober 1933 bis zum Rücktritt Heideggers vom Rektorat ist bislang nur wenig bekannt. Stieler hat schließlich am 1. Oktober 1934 die Stelle angetreten. Auf seine Initiative hin wurde das Ordinariat dann auch in „Philosophie und Erziehungswissenschaft“ umbenannt.

Auch wenn also die Berufung und Ernennung erst nach Heideggers Rektorat vom Nachfolger Eduard Kern zu Gunsten Stielers durchgeführt wurde, geht Kersting davon aus, dass Heidegger selbst noch während seines Rektorats die Weichen für eine Berufung Stielers gestellt habe. Dies ist jedoch nicht zwingend aus den genannten Quellen ableitbar; auch nicht ob Heidegger vor seinem Rücktritt nicht doch andere Namen als Alternativen ins Spiel gebracht haben könnte. Umgekehrt bleibt aber bei der Erinnerung Hattingbergs offen, wer genau und von welcher Stelle aus eine Berufung Guardinis auf diesen oder einen anderen Lehrstuhl verhindert haben sollte. Von außerhalb der Universität kämen natürlich die erklärten Guardini-Kritiker Jaensch (siehe oben in Bezug auf Vortrag in Marburg), Krieck und Baeumler in Frage. Aber dies bleibt alles noch im Bereich der Spekulation, ebenso wie die Frage, ob Guardini ein solches Angebot überhaupt in Erwägung gezogen oder angenommen hätte. Aufschluss könnte hier vielleicht das oben erwähnte, aber eben noch nicht aufgefundene Begleitschreiben Guardinis an Heidegger im Mai 1933 geben.

Guardini im Juni 1934: Heidegger als „kaputtgehender“ Denker

Nicht völlig unabhängig von Heideggers Rektoratsübernahme und Rücktritt dürfte schließlich jenes Gespräch im Rahmen eines gemeinsamen Abendessens sein, das Guardini mit seinem Sekretär Erich Görner am 19. Juni 1934 geführt hat. Angesichts der vielfältigen Beziehungen Guardinis nach Freiburg, zu diesem frühen Zeitpunkt vor allem zu seinem Studienfreund Philipp Funk und zum Quickborner Johannes Spörl, sowie des oben genannten Briefs an Heidegger im Mai 1933 hat Guardini mit Sicherheit nicht nur die Übernahme des Rektorats, sondern auch den späteren Rücktritt „registriert“.

Guardini sagte in dem Gespräch mit Görner dabei zunächst von sich selbst, er sei kein großer Denker. Auf die Nachfrage Görners, ob denn heute ein Mensch lebe, den man wirklich einen „großen Denker“ nennen könne, habe Guardini geantwortet:

„‚Nein, einen wirklich großen Denker haben wir nicht. Solche sind z.B. Platon und Kant und in einer dritten Reihe vielleicht Denker wie Scheler. Heute ist wohl der größte Denker, der den Namen Denker verdient, Heidegger.’ Aber er (G.) würde sich selber nicht neben diese beiden letzteren stellen. – ‚Ein Denker lebt durch und mit seinen Gedanken, und wenn die ihm kaputt gehen, dann geht er auch menschlich kaputt.’ Das sagte er in Bezug auf Heidegger, der vom Dritten Reich in Beschlag genommen worden ist. Auch auf Hauer trifft das zu, dem die Rolle eines Propheten gar nicht liegt“[Romano Guardini im Gespräch mit Erich Görner 1933/34, hrsg. im Auftrag der Vereinigung der Freunde von Burg Rothenfels bzw. vom Theatinerkreis im Quickborn Rothenfels o.J. (ca. 1983), S. 22].

[Der evangelische Theologe Jacob Wilhelm Hauer (1881-1962) hatte 1920 den zunächst evangelisch-pietistischen, später freiprotestantischen Jugendbund „Bund der Köngener“, den er bis 1934 leitete. Von 1920 bis 1927 gab er für diesen Bund die Zeitschrift „Unser Weg“ heraus, von 1928 bis 1933 die Zeitschrift „Die kommende Gemeinde“. Schließlich wurde der Bund zum „Freundeskreis der kommenden Gemeinde“ erweitert. 1921 hatte er sich in Tübingen für Religionswissenschaften und Indologie habilitiert, war ab 1925 außerordentlicher Professor in Marburg, kehre aber 1927 auf den Lehrstuhl für Religionswissenschaften und Indologie nach Tübingen zurück. Diesen Lehrstuhl hatte er bis 1945 inne. In diesem Jahr wurde er Nachfolger Rudolf Ottos im von diesem gegründeten „Religiösen Menschheitsbund“. Der er davon ausging, dass die jüdisch-christliche Religion letztlich dem germanischen Volk übergestülpt wurde, versuchte er zu den „Wurzeln“ zurückzukehren, die seiner Ansicht nach in der indischen Religion noch zum Teil vorfindbar seien. Im Mai 1933 trat Hauer zunächst Alfred Rosenbergs völkisch gesinntem, antisemitischen Kampfbund für deutsche Kultur bei und arbeitete im Rassenpolitischen Amt der NSDAP und in der SS-Forschungsgemeinschaft Deutsches Ahnenerbe mit. Am 30. Juli 1933 führte Hauer in Eisenach eine Reihe freireligiöser und „völkisch-deutschgläubiger“ Gruppen zur Deutschen Glaubensbewegung zusammen, die er gemeinsam mit Ernst Graf zu Reventlow leitete. Im Dezember 1933 wurde er förderndes Mitglied der Hitlerjugend, im Sommer 1934 trat er der SS und SD bei. Nach 1945 wird Hauer bei Guardini um ein Gutachten für seine religionswissenschaftlichen und gegen die Anthroposophie gerichteten Werke bitten, was Guardini aber nachdrücklich ablehnte. Vgl. BSB Ana 342, B 4-Sonderkonvolut, Mappe 3: Briefe Hauers vom 3. und 23. November sowie Antwort Guardinis vom 29. November 1948.]

Diese Gesprächsaufzeichnungen Görners sind Anfang der achtziger Jahre veröffentlicht worden. Gerl-Falkovitz hat seit 2004 auf diesen nicht unwichtigen Ausschnitt hingewiesen [Gerl-Falkovitz, „Ich will nichts anderes, als die Kirche interpretieren”. Romano Guardini und Martin Heidegger – Anmerkungen zu einem latenten Gespräch, in: Die Tagespost, Würzburg, 57, 2004, 19. Juni; dies., Geheimnis des Lebendigen, a.a.O., S. 205].

Einträge in „Überlegungen V“ (1937/38)

Guardini als ernstester und geschicktester katholischer „Verführer des Geistes“

Seit 2014 sind Heideggers „Überlegungen II-VI“ oder auch „Schwarze Hefte“ genannt, in der Gesamtausgabe veröffentlicht. Der anglikanische Theologe George Pattison gibt nun in seinem Aufsatz „Why Heidegger didn’ t like Catholic Theology: The Case of Romano Guardini“ (2017), in dem er erstmals auf die auf Guardini bezogene Stelle hinweist und sie einzuordnen versucht, irrtümlich als Eintragsjahr an: „1932 entry“[George Pattison, Why Heidegger didn´t like Catholic Theology: The Case of Romano Guardini, in: Marten Björk/Jayne Svenungsson (Hgg.), Heidegger’s Black Notebooks and the Future of Theology, 2017, S. 77-98, hier S. 78]; irrtümlich, da im Unterschied zu den vorausgehenden „Überlegungen II-IV“ die Schwarzen Hefte V und VI zwar nicht direkt datiert, die „Überlegungen V“ aber aufgrund von Zeitangaben im Text eindeutig auf das Wintersemester 1937/38 eingegrenzt werden können. In diesen „Überlegungen V“ heißt es nun im Abschnitt 58 über Guardini:

„Große Verführer des Geistes fehlen – umso zahlreicher sind die mittelmäßigen. Der ernstesten und vor allem geschicktesten Einer ist z.B. der Theologe Guardini. Er spielt alle Möglichkeiten des Geistes an großen Gestalten der Dichter und Denker durch, nie platt und nie grobschlächtig katholisch – immer im Anschein des ‚modernen’ ‚Ringens’ um die Wahrheit und mit allen Mitteln heutigen Denkens und Sagens. Aber nirgends ist eine wesentliche Frage gewagt und gar eine bislang nicht gestellte Frage errungen -; es wird immer nur der schon feste Besitz an Antworten für die, die aus allem Fragen fliehen wollen, neu zurechtgemacht. Das gibt sogar beim Durchschnitt der Denkfaulen und Müden den Anschein des ‚Schöpferischen’, und doch ist alles nur ein sehr geschicktes Nachmachen dessen, was in ihrer Art schon die Kirchenväter und Apologeten der ersten christlichen Jahrhunderte ‚praktizierten’. Das jetzige ‚Geistesleben’ ist aber so richtungs- und maßstablos, daß es in solcher Schriftstellerei nicht nur sein Genüge findet, sondern sich sogar gegenüber Früherem für überlegen hält“[Heidegger, Überlegungen V, Abschnitt 58, in ders., Überlegungen II-VI, Gesamtausgabe, Bd. 94, a.a.O., S. 345].

Guardini als „ernstester und geschicktester“, „nie platter oder grobschlächtiger“ unter all den „mittelmäßigen“, weil bloß „apologetischen“ und die Tradition „nachmachenden“ „Verführern des Geistes“ – das ist eine sehr eindrucksvolle Zusammenstellung von Wertungen für den ehemaligen Studienkollegen, dessen Gegensatzlehre er doch als „vielversprechend“ charakterisierte. Offensichtlich war Heidegger auch von Guardinis Art zu „Denken“ und „Sagen“ enttäuscht. Ob er dabei Guardinis einzigen zu diesem Zeitpunkt veröffentlichten, unmittelbaren Bezug auf ihn in den Dostojewskij-Gestaltdeutungen kannte oder ihm Guardinis Stellungnahmen in den Vorlesungen, Vorträgen oder Gesprächen im Freundeskreis oder auf Burg Rothenfels zugetragen worden sind, muss dabei offenbleiben.

Unmöglichkeit und Überflüssigkeit nationalsozialistischer Philosophie

Dass Heideggers Einschätzung gegenüber der „Unmöglichkeit“ und „Überflüssigkeit“ konfessioneller oder ideologischer Philosophien sich keineswegs nur auf die katholischen Versuche erstreckte, sondern genereller Natur waren, zeigt dagegen die im zeitlich nahen Zusammenhang (Abschnitt 61) stehende Feststellung:

„Sobald eine Philosophie die Frage nach der Wesung des Seyns erreicht hat – und erst dann ist sie künftig rechtmäßige Trägerin dieses Namens – muß sie notwendig gegen ihr Zeitalter denken. Und wenn Philosophie etwas nicht ist und niemals sein kann, dann dieses: der ‚Ausdruck’ ihrer Zeit in Gedanken gefaßt. Aber jene notwendige Gegnerschaft gegen ihre Zeit kann auch niemals zur Zuflucht für jene werden, die zu ihrer Zeit nur am Vorherigen und Bisherigen haften und den Willen zur Gestaltung der Zukunft verwirren und lähmen, indem sie ihm die Last einer unschöpferisch gewordenen Überlieferung als Maßstab anhängen. Jene Gegnerschaft der Philosophie gegen ihre Zeit entspringt nicht irgendwelchen Mängeln und Mißständen des Zeitalters, sondern kommt aus dem Wesen der Philosophie und dies umso genötigter, je mehr gerade und je echter das Wollen ins Künftige Gestalt und Richtung in der Zeit gewinnt. Denn immer noch ist auch dann und zwar wesenhaft das Erdenken der Wahrheit des Seyns aller Einrichtung, Rettung und Wiederbringung des Seienden – allem unmittelbaren Schaffen und Werken – vorausgesprungen. Deshalb kann auch die Philosophie – gesetzt, daß sie solche ist – nie ‚politisch’ abgeschätzt werden, weder in einem bejahenden noch in einem verneinenden Sinne. Eine nationalsozialistische Philosophie’ ist weder eine ‚Philosophie’ noch dient sie dem ‚Nationalsozialismus’ – sondern läuft lediglich als lästige Besserwisserei | hinter ihm her – aus welcher Haltung schon zur Genüge das Unvermögen zur Philosophie erwiesen ist. Sagen, eine Philosophie sei ‚nationalsozialistisch’ bzw. sei dies nicht, bedeutet ebensoviel wie die Aussage: ein Dreieck ist mutig bzw. ist es nicht – also feig“[Heidegger, Überlegungen V, Abschnitt 61, in ders., Überlegungen II-VI, Gesamtausgabe, Bd. 94, a.a.O., S. 348].

Geradezu als Ergänzung steht hierzu in den „Überlegungen VI“ über die Unmöglichkeit nationalsozialistischer und katholischer Philosophie:

„Wer heute die Überflüssigkeit und Unmöglichkeit der Philosophie verkündet, hat den Vorzug der Ehrlichkeit vor allen jenen, die eine ‚nationalsozialistische Philosophie’ betreiben. Dergleichen ist noch unmöglicher und zugleich weit überflüssiger als eine ‚katholische Philosophie’“[Heidegger, Überlegungen VI, Abschnitt 154, in ders., Überlegungen II-VI, Gesamtausgabe, Bd. 94, a.a.O., S. 509].

Bemerkenswert ist dabei, dass bei Heidegger dieser „Affekt“ gegen die „katholische Philosophie“ so tief sitzt, dass er auch noch nach 1945, wie aus seinen jüngst veröffentlichten „Anmerkungen II“ (1946) hervorgeht, schreibt:

„“Katholische Philosophie“, dieses Gebilde, und eher noch sein Aushängeschild, wagt sich jetzt aufdringlicher hervor. Daß sich schon im bloßen Titel die bare Unmöglichkeit kundtut, scheinen die noch nicht zu merken, die meinen, es sei nötig, mit dieser Form von Spiegelfechterei sich einzulassen. „Katholische Philosophie“ – das ist nicht viel anders als „nationalsozialistische Wissenschaft“ – ein viereckiger Kreis, ein hölzernes Eisen, das, wenn es ins Feuer kommt, zur Asche zerfällt, statt gehärtet zu werden. Aber es geht nicht einmal ins Feuer. Es erhebt nur ein großes Geschwätz nach dem Vorbild des modernen Journalismus – auch vor der „Aneignung“ dieser Erscheinung schreckt man nicht zurück. „Katholische Philosophie“ – dieser Titel erklärt schon, falls man ihn denkt, die unbedingte Bereitschaft zum – Verzicht auf das Denken, aber hinter der Fassade und mit dem Aufwand der Terminologie des jeweils gerade gängigen „Philosophierens“, das auch nicht immer schon Denken ist.“

Es folgen Gedankenspiele zur „antifaschistischen Zusammenarbeit“ als „reizvolles“ Experiment, das aber „ein elendes Gezappel“ und eine „unter christlichen Phrasen verdeckte Irreführung“ und „geschichtliche Falschmünzerei“ sei, „die nur noch raffinierter wiederholt, was soeben war.“

„Ob nun gar bei diesem Geschwätz, das sich „katholische Philosophie“ nennt, auch jemals nur eine Spur von einem Kern einer wirklichen Einsicht, ja auch nur einer echten Frage ans Licht kommt oder nicht, darnach fragt niemand, weil niemand so zu fragen vermag; für das Blühen dieses Unvermögens wird gesorgt – und das ist allerdings eine eigenständige Aufgabe und bewußte Absicht dieser Art „Philosophie“. Doch es ist nur ein klägliches Zeichen mehr, daß alles zu Ende gegangen“[Heidegger, Anmerkungen II, in: ders., Anmerkungen I-V, Gesamtausgabe, Bd. 97, Frankfurt am Main 2015, S. 158].

Wer mit dem „Aushängeschild“ der „Katholischen Philosophie“ gemeint ist, erschließt sich nicht, Guardini dürfte an dieser Stelle aber wohl kaum gemeint sein. Eine Grammatik des griechischen Begriffs „katholisch“, wie wir ihn bei Guardini finden, der sehr differenziert von „katholischer Religionsphilosophie“, „katholischer Weltanschauung“ und „katholischer Demokratie“ spricht, während er gleichzeitig von vorschnellen, unbedachten Verknüpfungen wie einer „christlichen“ wie „katholischen“ „Kultur“, „Politik“ oder „Gesellschaft“, sogar einem „christlichen“ oder „katholischen“ „Mittelalter“ warnt , ist für Heidegger offenbar nicht möglich bzw. nachvollziehbar.

Gemeinsames Thema „Hölderlin“

Q012

Widmung Heideggers an Guardini (vor 1941) [Guardini-Bibliothek gb 4053]

Q013

Widmung Heideggers an Guardini (1941) [Guardini-Bibliothek gb 4048]

Guardini, die Hölderlin-Gedenkschrift und die Hölderlin-Gesellschaft

Aus einem Brief von Heidegger an Rudolf Stadelmann vom 30. November 1945 (siehe unten) wissen wir, dass Heidegger „bei der Vorbereitung der Hölderlin-Gedenkschrift damals Herrn Kluckhohn auch die Mitarbeit Guardinis vorgeschlagen“ hatte. Dass dies unterblieben sei, kommentierte Heidegger Stadelmann gegenüber mit der Bemerkung:

„Er war aber offensichtlich nicht tragbar“[Brief von Heidegger an Stadelmann vom 30. November 1945, in: Heidegger, Reden und andere Zeugnisse eines Lebensweges, Gesamtausgabe, Bd. 16, a.a.O., S. 405 ff.].

Gemeint ist die Hölderlin-Gedenkschrift zu dessen 100. Todestag 1943. Hölderlin war am 7. Juni 1843 in Tübingen gestorben. Die Vorbereitungen zu dieser im Auftrag der Stadt und der Universität Tübingen herausgegebenen Festschrift hatten bereits Ende 1940 begonnen. Denn Max Kommerell begründet bereits in einem Brief vom 8. November 1940 an den Herausgeber Paul Kluckhohn seine Verweigerung eines Beitrags (vgl. Nils Kahlefendt, „Im vaterländischen Geiste …“ Stuttgarter Hölderlin-Ausgabe und Hölderlin-Gesellschaft (1938-1946), in: ders./Werner Volke/Bruno Pieger/Dieter Burdorf, Hölderlin entdecken. Lesarten 1826-1993, Tübingen 1993, S. 115-163, hier S. 148; außerdem Christian Weber, Max Kommerell. Eine intellektuelle Biographie, 2011, S. 462]. Demnach wusste Kommerell schon vor dem 7. Oktober 1942, dass Gadamer für die Festschrift einen Beitrag übernommen hat.

[Kommerell hat im Übrigen Heidegger in einem Brief an Karl Reinhardt vom 19. Januar 1942 ausdrücklich mit Walter Friedrich Otto und Romano Guardini verglichen: „Heidegger: ich beschränke mich aufs Zusehen, da ich gar nicht tangiert bin und als Literaturhistoriker sehr viel lerne… Daß er seine philosophische Situation nicht aushält, könnte verstimmen; daß er wiederum dies Factum verschleiert durch das befremdende Ausdrucksmittel einer Dichter-Interpretation, allerdings noch mehr; und daß er den Dichter, der ihm Götter erlaubt, mit hinlänglicher Scholastik nach Heideggerscher Esoterik tönen läßt, ist am wenigsten fein. Aber mich beschäftigt die Frage: wie sieht diese Schrift aus als Übergang, wenn man das Ganze seiner Entwicklung überblicken wird – kurzum, wie Sie selbst sagten: Was geht hier vor?, – zu sehr und ich empfinde auch die ẟυναμις in allem zu deutlich um nicht in andern Augenblicken neugierig, ja fast fasciniert hinzuhören. Und es ist ihm nicht so gemütlich dabei wie Otto und Guardini, deren geistige Situation viel molliger ist – sondern er erfriert oder verbrennt sich, wie es sich gehört“(Max Kommerell, Briefe und Aufzeichnungen 1919-1944, aus dem Nachlass hrsg. von ‎Inge Jens, 1967, S. 388).]

Daher gehört wohl auch der Vorschlag Heideggers an den Anfang der vierziger Jahre. Die Gedenkschrift enthielt schließlich Beiträge von Josef Weinheber, Paul Kluckhohn, Paul Böckmann, Hans-Georg Gadamer, Walther Rehm, Kurt Hildebrandt, Theodor Haering; W. F. Otto, Wilhelm Böhm, Friedrich Beissner und Martin Heidegger, letzterer mit seinem Text über die Hymne „Andenken“. Die Mutmaßung Heideggers, dass Guardini 1943 für die Festschrift „nicht tragbar“ gewesen sei, muss dahingehend eingeschränkt werden, dass man Guardini dann – siehe auch den eigenen Angaben in seinen „Berichten über mein Leben“ zufolge – 1944 nach Stuttgart eingeladen hat, um vor der ebenfalls anlässlich des Gedenkjahres in Tübingen gegründeten „Hölderlin-Gesellschaft“ zu sprechen:

„Ich bin nun seit eineinhalb Jahren hier, in Mooshausen, einem kleinen Dorfe im schwäbischen Allgäu. In dieser Zeit ist das Heimweh nach der akademischen Lehrtätigkeit, mit der ich abgeschlossen zu haben glaubte, wieder sehr gewachsen. Im Frühjahr 1939 wurde der Lehrstuhl aufgehoben – vor etwa einem halben Jahre habe ich in Stuttgart, eingeladen von der dortigen Hölderlin-Gesellschaft, in einem Hörsaal der technischen Hochschule einen Vortrag über ‚Die Landschaft in Hölderlins Dichtung’ gehalten. Eigentlich war es das einzige Mal, daß ich mich seitdem ganz an meinem Platz gefühlt habe. Niemand weiß, was die Zukunft bringt: wer weiß, vielleicht werde ich doch noch einmal gerufen ...“[Guardini, Stationen und Rückblicke/Berichte über mein Leben, a.a.O., S. 21].

Maßgeblich beteiligt war Guardini dann auch an der Neugründung der „Friedrich-Hölderlin-Gesellschaft“ nach dem Zweiten Weltkrieg. So berichtet das Hölderlin-Jahrbuch von 1947:

„Die 1943 gegründete Hölderlin-Gesellschaft war durch den Zusammenbruch des nationalsozialistischen Staates von den Mächten befreit worden, die schon vor ihrer Gründung sich ihr aufgedrängt und die Verwirklichung ihrer Absichten außerordentlich erschwert hatten. Im Juni 1945 hatte eine innere Umbildung erfolgen können, die der ursprünglich geplant gewesenen Gestalt der Gesellschaft entsprach. Aus grundsätzlichen Erwägungen war aber die formelle Auflösung der Gesellschaft nötig, die in einer Sitzung des Beirats am 14. März 1946 erfolgte. Damit wurde der Weg für eine Neugründung frei, die von den Herren Professor Guardini, Oberbürgermeister Hartmeyer , Professor Kluckhohn, Staatsrat Professor Karl Schmid und der Rektor der Tübinger Universität Professor Steinbüchel beantragt wurde und die Zustimmung der Französischen Militärregierung fand. Am 21. Oktober 1946 hat die Gründungsversammlung der Friedrich Hölderlin Gesellschaft in der Universität Tübingen stattgefunden, […]“[Bericht über die Gründung der „Friedrich Hölderlin Gesellschaft“, in: Hölderlin-Jahrbuch, 1947, S. 240. Der SPD-Politiker Adolf Hartmeyer (1886-1953) war von 1946 bis 1948 Oberbürgermeister von Tübingen. Mit "Karl Schmid" ist Carlo Schmid gemeint].

Guardini übernahm in der Gesellschaft bis 1950 das Amt des Vizepräsidenten. Nachdem er nicht mehr die Möglichkeit sah, dieses Amt altersbedingt und aufgrund seiner vielfältigen Beanspruchungen sinngemäß auszufüllen, erklärte er seinen Rücktritt und Austritt, bekam im Gegenzug dafür aber die Ehrenmitgliedschaft angetragen, die Guardini auch dankbar angenommen hat [Vgl. weitere Geschichte in BSB Ana 342, vor allem B 2 Sachakten/Schriftwechsel, Schachtel 3, Mappe 2 bzgl. Austritt und Ehrenmitgliedschaft].

Heidegger wurde erst 1955 Mitglied der „neuen“ Friedrich-Hölderlin-Gesellschaft, hielt 1959 bei der Jahresversammlung seinen vielbeachteten Vortrag „Erde und Himmel bei Hölderlin“. Nach fortgesetzter Kritik an ihm persönlich, seiner „Sprache von Meßkirch“ und an seiner Hölderlin-Deutung, vor allem durch Adorno und Minder, die dies sowohl mit Heideggers Vergangenheit als auch mit seiner zunehmend schärfer werdenden Polemik gegenüber von seiner Deutung abweichenden Autoren begründeten, trat er aber 1968 als Mitglied aus. Er kehrte aufgrund einer Einladung 1974 wohl nur noch einmal für einen Vortrag zurück [Vgl. dazu Theodor Pfizer, Die Ausnahme, in: Günther Neske (Hg.), Erinnerung an Martin Heidegger, Pfullingen 1977, S. 191-196].

In den letzten Kriegsjahren

Heideggers Kritik an Guardinis Rilke-Interpretation

Drei Widmungen an Guardini im Dezember 1943

Q014

Gleichlautende Widmungen Heideggers an Guardini (1943) [Guardini-Bibliothek gb 4041, gb 4046 und gb 4047]

Johannes Spörls Vergleich der Antike-Deutung Guardinis und Heideggers im Jahr 1944

Q015

Auszug aus dem Brief von Johannes Spörl an Romano Guardini vom 28. September 1944 [Guardini-Archiv der Katholischen Akademie in Bayern Nr. 1239]

Zur Person Johannes Spörls

Berufungsfragen in Tübingen und Freiburg in der Nachkriegszeit 1945/46

Möglicher Wechsel Heideggers nach Tübingen mit Unterstützung Guardinis

Zur Person Rudolf Stadelmanns

Heideggers erste Antwort

Briefe Heideggers an Guardini von Mitte Juli und vom 6. August 1945

Q016

Brief von Martin Heidegger an Romano Guardini vom 6. August 1945 [Guardini-Archiv der Katholischen Akademie in Bayern Nr. 875]

Zwei Briefe von Martin Heidegger an Rudolf Stadelmann (September und November 1945)

Das Berufungsverfahren in Tübingen und das Bereinigungsverfahren in Freiburg im November und Dezember 1945

Maurice de Gandillacs Bericht von einem Besuch bei Heidegger (Dezember 1945)

Im Januar 1946 erscheint in der Zeitschrift „Les temps modernes“ der Bericht über den Aufenthalt des französischen Philosophen Maurice de Gandillacs (1906-2006), damals als Repräsentant der Besatzungsmacht Frankreich, bei Martin Heidegger in Zähringen. Interessant ist dabei, dass Heidegger dabei auch seine Freundschaft mit Guardini zum Thema macht:

„Son cabinet de travail est d'une nudité presque monacale. (Heidegger nous rappelle avec un sourire ambigu qu'il fut d'abord „théologien“ et qu'il est resté dans les meilleurs termes avec Romano Guardini.)“[Maurice de Gandillac: Entretien avec Martin Heidegger, in: Les temps modernes, 1, 1945/46, 4 (Januar 1946), S. 713-716, hier S. 714. Meine Übersetzung: „Sein Arbeitszimmer wirkt in seiner Nacktheit fast klösterlich. (Heidegger erinnert uns mit einem zweideutigen Lächeln daran, dass er zunächst „Theologe“ war und mit Romano Guardini weiterhin gute Beziehungen pflegte.)“]

Gemäß einer späteren Datierung des Besuchs mit „1945“ ist der Besuch wohl auf Ende Dezember 1945 zu legen [Vgl. dazu sein Interview „Je n´envisage pas la possibilité d'un socialisme réussi“ mit der Zeitschrift „Le Figaro Magazine“: „Juste après la guerre, vous avez rencontré Heidegger… M. G. – C´était en 1945, à Fribourg-en-Brisgau. J´ai vu Martin Heidegger provisoirement suspendu d´enseignement. Sans nouvelles de ses deux fils prisonniers des Russes, dans son bureau à la nudité monacale, il donnait l'impression d'un homme accablé.“ (Le Figaro Magazine, 945-948???, 1998, S. 45)].

Die erste Vermittlungstätigkeit durch Johannes Spörl (Dezember 1945)

Q017

Auszug aus Brief von Romano Guardini an Johannes Spörl vom 6. Januar 1946 [Guardini-Archiv der Katholischen Akademie in Bayern Nr. 1239]

Die Entscheidung in Tübingen für Gerhard Krüger (Januar 1946)

Die „verspätete“ Antwort Guardinis an Heidegger im Januar 1946

Q018

Briefdurchschlag von Romano Guardini an Martin Heidegger vom 14. Januar 1946 [BSB Ana 342, B 12/007, auszugsweise bereits publiziert in: Hugo Ott, 1985]

Heideggers Lage in Freiburg (Januar 1946)

Ein erster „Wink nach Tübingen“

Die zweite Vermittlung durch Johannes Spörl (Ende März/Anfang April 1946)

Briefwechsel zwischen Franz Büchner und Romano Guardini (Mai 1946)

Heideggers Kuraufenthalt in Hausbaden von Februar bis Mai 1946 und die Rolle Viktor E. von Gebsattels bei den Berufungsanfragen an Guardini

Die weiteren Anfragen Franz Büchners für die Nachfolge Martin Heideggers (ab August 1946)

Die endgültige Absage Romano Guardinis (19. Oktober 1946)

Der abschließende Briefwechsel mit Johannes Spörl

Eine Nachbetrachtung: Vicente Marreros Besuche bei Guardini und Heidegger

Vicente Marrero Suárez (1922-2000) war im Rahmen des „Deutsches Studienwerk für Ausländer/Alexander-von-Humboldt-Stiftung“ von 1943 bis 1949 Lektor für Spanisch an der Freiburger Universität mit der gleichzeitigen Möglichkeit des Weiterstudiums. Er hörte dabei vor allem Martin Heidegger, Walter Eucken und Hugo Friedrich. 1951 kehrte er nach Spanien zurück und veröffentlichte dort 1952 seine Berichte über die „Besuche“ bei Heidegger und – von Freiburg aus – bei Guardini in Tübingen. Interessanterweise wusste er damals schon von der Anfrage und auch vom richtigen Grund der Ablehnung Guardinis, nach Freiburg zu wechseln und scheint daher mit einem Mitglied des „Professorenkomitees“ darüber gesprochen zu haben:

„Er ist kein Philosoph. Trotzdem wurde er kurz nach dem Ende des letzten Krieges aufgefordert, einen Lehrstuhl zu besetzen: den, der gerade eben von seinem alten Studienkameraden Martin Heidegger geräumt wurde – den Stuhl von Husserl, den der Phänomenologie, den des „Existentialismus", den philosophisch gesehen Wertvollsten in diesem Jahrhundert. An das Professorenkomitee der Universität Freiburg i. Br., das ihn mit allen Ehren besuchte, auch mit der Zustimmung von Heidegger selbst, antwortete: „Er sei kein Philosoph." Er kannte seine eigenen Grenzen und war seiner Meinung nach nicht vorbereitet, Seminare und Unterrichtsstunden zu Hegel, Fichte, Schelling ... mit der Entschlossenheit und Ausdauer zu entwickeln, die ein deutsches Hochschulsemester erfordert. Er lehnte das Angebot ab, erhielt aber von der offiziellen Philosophie diese Ehre, die viele Fachleute der Philosophie so weit entfernt sehen“ [Vicente Marrero Suárez, Figura de Romano Guardini, in: Ateneo, 1952, 4 (15. März), S. 12-13; aufgenommen in: ders., Guardini, Picasso, Heidegger. Tres visitas, Madrid 1959 (Ensayos 8), hier S. 9-20; wohl nachgedruckt unter dem Titel „Visita a Guardini“, in: Indice de artes y letras, Madrid, 12, 1961, Nr. 144 (Januar 1961), S. 7, hier die Einleitung zum Bericht über Guardini, übersetzt durch Helmut Zenz. Siehe dazu auch Franz Niedermayer, Die Unterscheidung des Christlichen. Vicente Marrero, Guardinis spanischer Besucher in Tübingen, in: Deutsche Tagespost, Würzburg, 38, 1985, 21 (15./16. Februar), S. 14].

Auch Guardini selbst hat dies so gesehen, wie seine Antwort auf seine Ehrenpromotion an Dekan Max Müller im Jahr 1954 noch zeigen wird.

Da der durch diese Briefe dokumentierte Vorgang weitestgehend auch schon von Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz und Hugo Ott kommentiert worden ist, genügt eine Einordnung in die Universitätsgeschichte Freiburgs an dieser Stelle der Verweis auf ihn [Gerl, Romano Guardini, 1985, a.a.O., S. 330 f.; dies., Geheimnis des Lebendigen, a.a.O., S. 206 f.; Ott, Martin Heidegger und die Universität Freiburg nach 1945, in: Historisches Jahrbuch, 105, 1985, S. 95-128; ders., Martin Heidegger. Unterwegs zu seiner Biographie, Frankfurt am Main/New York 1988, Abschnitt „Um die Nachfolge Heideggers“, S. 328-333; ders., Um die Nachfolge Martin Heideggers nach 1945, in: Annemarie Gethmann-Siefert (Hg.), Philosophie und Poesie. Otto Pöggeler zum 60. Geburtstag, 1988, S. 37 ff., besonders S. 45-48].

Allein der persönlichere Duktus im Briefwechsel mit Johannes Spörl und die durch den gesamten Text noch eindrücklichere Hartnäckigkeit Franz Büchners mit Berufung auf Clemens Bauer und Oehlkers eröffnen noch einige neue Akzente. Gleichzeitig wird die Intensität des Nebenargumentes – Hauptargument war, dass er Tübingen nach so kurzer Zeit den Kollegen und den Studierenden wegen nicht schon wieder verlassen könne -, dass er kein Fachphilosoph, sondern ein weltanschaulicher Interpret sei, noch weitere Male unterstrichen.

Aus der gesamten Entwicklung bis zu diesem Zeitpunkt wird deutlich, dass Guardini, wenn ihn wohl schon ähnlich früh aus Freiburg ein ähnliches, an Berlin anknüpfendes Angebot erreicht hätte, wie kurz nach Kriegsende über Carlo Schmid aus Tübingen, sich nur sehr schwer zwischen Tübingen und Freiburg entscheiden hätte können. Letztlich hätte er aber aufgrund der größeren Freundeszahl voraussichtlich wohl eher zu Freiburg tendiert. So hatte er sich aber, als ihn im August der Brief Heideggers und dann von Weihnachten an die Anfragen aus der Freiburger Philosophischen Fakultät erreichten, schon früh auf Tübingen festgelegt und stattdessen schon insgeheim auf einen Ruf aus München gewartet.

Dennoch ist es Guardini nicht zu verdenken, dass er allerdings den Abwerbeversuch aus Freiburg auch dazu nutzte, seine wirtschaftliche und wissenschaftliche Situation in Tübingen zu verbessern und sei es nur in der Form einer Schreibmaschine.

Internationale „Württembergische Universitätswochen“ August/September 1947

Bislang unbekannt war die zumindest geplante Beteiligung Guardinis an den von der französischen Militärregierung in Zusammenarbeit mit der Universität Tübingen veranstalteten „Internationalen Universitätswochen“ im Spätsommer 1947. Die Ankündigung weist folgendes aus:

„Die französische Militärregierung veranstaltet in der Zeit vom 6. August bis 9. September unter Mitwirkung der Universität internationale Universitätswochen, zu de 150 französische Studenten, 150 deutsche Studenten und 100 ausländische Studenten eingeladen werden. … Liste der geplanten Vorlesungen … IV. Die moderne Philosophie, besonders der französische und der deutsche Existentialismus, Sartre, Heidegger, Jaspers: Prof. Guardini V. Ethische Grundfragen: Prof. Guardini … X. Interpretation Hölderlin’scher Dichtung in Beziehung zu religionswissenschaftlichen Grundphänomenen, z.B. Erfahrung, Mythos: Prof. Guardini …“[Tübingen: Internationale Universitätswoche, in: Universitas, Stuttgart, 2/II, 1947, S. 748].

Als weitere Mitwirkende wurden angekündigt: Spranger, Schrey, Krüger, Schneider, Weise/Herding, Butenandt.

Diese „Württembergischen Universitätswochen“ haben auch nachweislich stattgefunden. Ob dabei Guardini aber auch diese drei Vorlesungen gehalten hat, ist bislang nicht gesichert. Im Guardini-Archiv sind dazu keine einschlägigen Typoskripte bekannt, die im Falle der Ethik und Hölderlins über das schon Publizierte oder die Vorlesungen hinausgeht. Von seiner Auseinandersetzung mit dem französischen und deutschen Existentialismus – namentlich Sartre, Heidegger, Jaspers – existiert in dieser Konstellation wohl auch kein Entwurf mehr, so dass überhaupt fraglich ist, ob er diese Vorlesung so gehalten hat. Dennoch ist allein schon der Umstand interessant, dass er mit diesem Thema angekündigt wurde. Die Universitätsarchive könnten dazu sicher noch weiteren Aufschluss geben.

Der Briefwechsel bezüglich der Heidegger-Festschrift (1949)

Die Anfrage (Mai 1949)

Der „Moderator“ der Festschrift: Hans-Georg Gadamer

Ein wichtiger Gesprächspartner Guardinis: Gerhard Krüger

Der briefliche Austausch zwischen Krüger, Gadamer und Guardini (Mai/Juni 1949)

Die Abgabe des Beitrags (Dezember 1949)

Die Titelfrage (Januar/Februar 1950)

Das Ergebnis und die zwei weiteren Festschriften

Am Ende umfasste die von Gadamer moderierte Festschrift insgesamt zehn Beiträge: Von Kollegen und Freunden:

  1. Walter F. Otto (* 1874): Die Zeit und das Sein. Unphilosophische Betrachtungen, S. 7-28;
  2. Romano Guardini (* 1885): Leib und Leiblichkeit in Dantes „Göttlicher Komödie“, S. 154-177;
  3. Ernst Jünger (* 1895): Über die Linie, S. 245-284;
  4. Friedrich Georg Jünger (* 1898): Die Wildnis, S. 235-244;
  5. Erik Wolf (* 1902): ΑΝΗΡΔΙΚΑΙΟΣ, S. 80-105;

Von Schülern und Schüler-Schülern:

  1. Karl Löwith (* 1897), Habilitation bei Martin Heidegger 1928 in Marburg: Weltgeschich-te und Heilsgeschehen, S. 106-153;
  2. Hans-Georg Gadamer (* 1900), Habilitation bei Martin Heidegger 1929 in Marburg: Zur Vorgeschichte der Metaphysik, S. 51-79;
  3. Walter Bröcker (* 1902), Heidegger-Assistent (1933-1940): Der Mythos vom Baum der Erkenntnis, S. 29-50;
  4. Gerhard Krüger (* 1902), Schüler Heideggers: Über Kants Lehre von der Zeit, S. 154-177;
  5. Karl Heinz Volkmann-Schluck (* 1914), Schüler Gadamers: Zur Gottesfrage bei Nietzsche, S. 212-234;

Neu gegenüber der Liste vom Juni 1949 war Friedrich Georg Jünger. Zurückgezogen hatten hingegen: Fritz Schalk (* 1902) und Wilhelm Szilasi. Letzterer wollte sich ursprünglich an beiden Festschriften beteiligen, dieses Vorhaben dann aber wohl aufgegeben. Das parallele Unternehmen erschien rechtzeitig zum Geburtstag unter dem Titel „Martin Heideggers Einfluß auf die Wissenschaften. Aus Anlaß seines 60. Geburtstages verfaßt“ (Bern 1949).

Beim Herausgeber der zweiten Festschrift handelt es sich um Wilhelm Szilasi (1889-1966), der zunächst 1918/19 Professor in Budapest war, dann zu Edmund Husserl nach Freiburg wechselte und dort auch bei Heidegger hörte [Zoltán Szalai, Im Schatten Heideggers. Einführung zu Leben und Werk von Wilhelm Szilasi, Freiburg i. Br./München 2016] . Nach einem – aufgrund seiner jüdischen Abstammung notwendigen – Aufenthalt in der Schweiz während des Dritten Reiches, kam er nach 1945 wieder nach Freiburg zurück und übernahm 1947 die Vertretung des suspendierten Martin Heidegger.

Im Jahr nach der Übergabe der Festschrift 1949 kam es im Frühjahr zu einem so starken Zerwürfnis zwischen Szilasi und Heidegger, dass sogar universitäre Vermittlung notwendig wurde [Ott, 1985, a.a.O., S. 121].

Dies mag zum einen noch mit dem von Max Müller beschriebenen Bericht Eugen Finks vor dem Senat über Szilasis Verhalten auf dem ersten Internationalen Philosophenkongress im argentinischen Mendoza vom 30. März bis 9. April 1949 zu tun haben, wo sich Szilasi selbst bereits zu einem Zeitpunkt als Nachfolger Heideggers präsentiert hatte, als er noch temporärer Vertreter ohne Recht, die Bezeichnung „Professor“ führen zu dürfen, gewesen sei [Müller/Vossenkuhl, Auseinandersetzung als Versöhnung, a.a.O., S. 258].

Heidegger und seine Frau hatten aus Sicht Szilasis „bei Kollegen und außerhalb Bemerkungen über das Verhalten und die Bedeutung von Herrn Szilasi in seiner „Heideggers Sache““ verbreitet, „die den Tatsachen widersprächen“[Ott, 1985, a.a.O., S. 121.. Dabei ging es wesentlich auch um die Gerüchte in der Professorenschaft, Szilasi strebe Heideggers Nachfolge an. Man fand im Frühjahr eine Art Kompromiß, Heidegger begegnete Szilasi aber weiterhin ablehnend, was bereits im Juli 1950 zum neuerlichen Eklat führte. Der damalige Leiter des „Studium Generale“, Guy van Kerckhoven, berichtete dazu: „Am 3. Juli 1950 veranstaltete das Studium Generale, das damals unter meiner Leitung stand, erstmals ein Colloquium mit Heidegger in Todtnauberg. Dies war überhaupt die erste, offizielle wissenschaftliche mit Heidegger geführte Universitätsveranstaltung. […] Die drei Oberseminare von Eugen Fink, Max Müller und Bernhard Welte veranstalteten sie. Da auf ausdrücklichen Wunsch Heideggers Prof. Wilhelm Szilasi und sein Seminar nicht dazu gebeten worden war, wollte die Universität dieses 1. Treffen offizieller Art verbieten.“ Daraufhin hatte sich der Leiter des Studium Generale mit Heidegger geeinigt, das Ansinnen des Rektors und Dekans zurückzuweisen, da eine andere Stelle der Universität dem Leiter des Studium Generale nicht weisungsbefugt sei [Guy van Kerckhoven, Nachwort des Herausgebers, in: Martin Heidegger, Colloquium über Dialektik, in: Hegel-Studien, 25, 90, S. 34-40, hier S. 37 f.].

Die Beiträger der zweiten Festschrift waren:

  1. Ludwig Binswanger (* 1881): Die Bedeutung der Daseinsanalytik Martin Heideggers für das Selbstverständnis der Psychiatrie, S. 58-72;
  2. Wilhelm Szilasi (* 1889), Lehrstuhlvertreter Heideggers: Interpretation und Geschichte der Philosophie, S. 73-87;
  3. Carlos Astrada (* 1894), argentinischer Heidegger-Schüler: Über die Möglichkeit einer existenzial – geschichtlichen Praxis, S. 165-171;
  4. Kurt Bauch (* 1897): Die Kunstgeschichte und die heutige Philosophie, S. 88-93;
  5. Wolfgang Schadewaldt (* 1900): Odysseus – Abenteuer. Aus einer gesprächsweisen homerischen Improvisation über Irrfahrer – Angelegenheiten, S. 94-121;
  6. Robert Heiß (* 1903), Freiburg: Psychologismus, Psychologie und Hermeneutik, S. 22-36;
  7. Hans Kunz (* 1904): Die Bedeutung der Daseinsanalytik Martin Heideggers für die Psychologie und die philosophische Anthropologie, S. 37-57;
  8. Erich Ruprecht (*1906): Heideggers Bedeutung für die Literaturwissenschaft, S. 122-144;
  9. Emil Staiger (* 1908), Zürich: Zu Klopstock „Der Zürchersee“, S. 145-164;
  10. Heinz-Horst Schrey (* 1911), Professor für Systematische Theologie in Tübingen: Die Bedeutung der Philosophie Martin Heideggers für die Theologie, S. 9-21;
  11. Carl Friedrich von Weizsäcker (* 1912): Beziehungen der theoretischen Physik zum Denken Heideggers, 172-174.

Wenn man beide Festschriften zusammenschaut, fällt auf, dass die „katholischen“ Heidegger-Schüler und Freunden fehlen: Heinrich Ochsner (* 1891), Heinrich Auer (* 1894), Johannes Baptist Lotz SJ (* 1903), Eugen Seiterich (* 1903), Gustav Siewerth (* 1903), Karl Rahner SJ (* 1904), Eugen Fink (* 1905), Wilhelm Weischedel (* 1905), Max Müller (* 1906), Bernard Welte (* 1906), von den anderen Schülern und Kollegen neben den bekannten Absagen von Werner Gottfried Brock (* 1901), Heidegger-Assistent (1931-1933), Karl Jaspers (* 1883) und Kurt Riezler (* 1882) noch Rudolf Bultmann (* 1884), Rudolf Stadelmann (* 1902) und Ernesto Grassi (* 1902). Für die katholischen Freunde und Schüler muss allerdings berücksichtigt werden, dass Max Müller den ersten Band „Symposion. Jahrbuch für Philosophie“ von 1948 ausdrücklich Martin Heidegger zum 60. Geburtstag widmete. Max Müller selbst war „Leiter“ dieser Ausgabe, die 1949 erschien und nahm im Vorwort „die Widmung dieses Jahrbuches zu Martin Heideggers 60. Geburtstag“ vor und inhaltlich Bezug auf Heideggers Wort „Anwesung“ [Max Müller, Vorwort, in: Symposion. Jahrbuch für Philosophie, Bd. 1, 1948 (erschienen 1949), S. 3 und S. 8]. Das Herausgebergremium bestand aus Hedwig Conrad-Martius, Eugen Fink, Viktor E. von Gebsattel, Johannes Baptist Lotz, Simon Moser, Max Müller, Heinrich Ochsner, Gustav Siewerth, Theodor Steinbüchel +, Bernhard Welte und Erik Wolf. Darin erschienen folgende Beiträge:

  1. Gustav Siewerth: Die Apriorität der menschlichen Erkenntnis nach Thomas von Aquin“;
  2. Erik Wolf: Der Ursprung des abendländischen Rechtsgedankens bei Anaximander und Heraklit;
  3. Willi Stadler: Was ist Friede?;
  4. Robert Heiß: Hegel und Marx;
  5. Wolfgang Struve: Die neuzeitliche Metaphysik der Subjektivität. Interpretationen zu Kierkegaard und Nietzsche;
  6. Walter Rehm: Rilke und die Duse.

Rudolf Bultmann war hingegen von Gadamer angefragt worden, hatte aber in einem Brief vom 18. Juni 1948 mit folgender Begründung abgesagt:

„Ich fühle mich soweit solidarisch mit meinen jüdischen Freunden, daß ich mich kaum entschließen kann, an einer öffentlichen Ehrung für H. teilzunehmen, bevor er in irgend einer Form zum Ausdruck gebracht hat, daß er sich von seinem früheren Verhalten distanziert, gerade sofern es die Juden angeht“[Brief in DLA Marbach, zitiert nach: Konrad Hammann, Rudolf Bultmann und seine Zeit. Biographische und theologische Konstellationen, 2016, S. 56, Fußnote 84].

Bultmann hatte bereits 1933 nach der Rektoratsrede brieflich bei Heidegger protestiert, ihm allerdings die Freundschaft nicht aufgekündigt [Vgl. Brief vom 27. Januar 1935: „Lieber Freund!“, in: Bultmann/Heidegger, Briefwechsel. 1925-1975, a.a.O., S. 197].

Briefwechsel bezüglich Heideggers Emeritierung (1949)

Romano Guardini, die Bayerische Akademie der Schönen Künste und Heideggers Vortrag „Das Ding“ in München

Guardinis Aufnahme in die Bayerische Akademie der Schönen Künste (1948) und seine ersten Kontakte zu Graf Podewils

Exkurs: Clemens und Sophie Dorothee von Podewils

Weitere Widmung (1949): Meister Eckhart und die Dinge

Das Vorfeld des Münchner Vortrags über „Das Ding“

Wann aus diesen ersten, informellen Akademie-Treffen heraus die Idee geboren wurde, Martin Heidegger in der Akademie über „Das Ding“ einen Vortrag halten zu lassen, ist noch nicht ganz rekonstruiert, lediglich dass Podewils Heidegger spätestens Mitte April 1950 für einen Vortrag Anfang Juni gewonnen hatte, wissen wir durch Petzet:

„[…], in der zweiten Aprilhälfte, erreichte mich in Icking ein Anruf des Grafen Clemens Podewils, des Generalsekretärs der nach dem Kriege in München gegründeten Bayerischen Akademie der Schönen Künste, deren Präsident Emil Preetorius war. Podewils teilte mir mit, daß man Heidegger für einen Vortrag vor der Akademie Anfang Juni gewonnen habe; nun würde er gern wegen der Einzelheiten sich mit mir besprechen, da ich – wie er erfahren habe – Heidegger so gut kenne“[Petzet/Heidegger, Auf einen Stern zugehen, a.a.O., S. 74. Zu diesem Zeitpunkt war aber noch Wilhelm Hausenstein Präsident].

Den Vortrag selbst hatte Heidegger bereits als Teil eines Vortragszyklus in Bremen (Dezember 1949) und auf der Bühlerhöhe (März 1950) gehalten.

Nachdem kurz vor der Tagung von Seiten ein Telegramm des Direktoriums der Akademie an Heidegger ging, in dem es um einen Vortragsstil – im Nachhinein stellte sich heraus, dass es sich hier um einen Übertragungsfehler handelte und es „Vortragstitel“ heißen sollte – und einen zur Akademie passenden, also auf die „Schönen Künste“ Bezug nehmenden Untertitel ging. Der aufgrund zeitgleicher Schwierigkeiten hochsensibilisierte Heidegger hörte aus dem missverständlichen Telegramm sofort Maßregelungen heraus, die ihn zusätzlich zu der sich ankündigenden, politischen und publizistischen Aufregung – angefangen vom Kultusminister Alois Hundhammer, der Heidegger innerhalb einer Landtagsdebatte als „als einstigen Steigbügelhalter des Naziregimes“ betitelte und seinerseits die Akademie maßregelte, Heidegger sprechen zu lassen, bis hin zu einschlägigen Presseartikeln. So schrieb Heidegger am 24. Mai 1950 an Petzet:

„Das Maß wird nun langsam voll. Am 24. V. bekam ich nach Meßkirch ein Telegramm, das Direktorium der Akademie wünsche einen Vortragsstil und außerdem einen Untertitel zum Thema, der der Akademie entspreche. Ich habe jetzt den Vortrag unwiderruflich abgesagt. Ich glaube nicht, daß Graf P. mit der Sache zu tun hat. Aber ich habe vor einem Vierteljahr unter Verzicht auf Honorar den Vortrag genau formuliert „Über das Ding“ zugesagt. Jetzt wünscht man vierzehn Tage vor dem Vortrag noch Besonderes. Man traut mir, von allem Übrigen dieses Gebarens abgesehen, es nicht einmal zu, etwas für diese Akademie vielleicht sehr Wesentliches vorzutragen. So etwas ist mir während der ganzen Hitler-Zeit nicht vorgekommen. Ich bedauere das Ganze tief; all dieses, was zum übrigen hier kommt, schmerzt sehr“[Petzet/Heidegger, Auf einen Stern zugehen, a.a.O., S. 77. Mit Direktorium dürfte der damalige Direktor der literarischen Abteilung Wilhelm Dieß gemeint sein. Der Präsident war damals Wilhelm Hausenstein und nicht, wie Petzet sich abermals vertut, Preetorius].

Allerdings konnten ihn die eigentlichen Freunde – und in diesem Fall vor allem die Gräfin von Podewils – umstimmen:

„Es war vor allem der Freundeskreis des Hauses Podewils, wo er ein lebendiges Echo fand. Da war der Graf selbst, mit dem Heidegger bald Freundschaft schloss, waren die Mitglieder der Akademie, Dichter, Künstler, Schriftsteller, Musiker und Sprachforscher, darunter Carl Orff, Ernst Jünger, Friedrich Georg Jünger, Richard Harder, Ilse Aichinger, Günther Eich, Preetorius, Guardini, Georgiades, von Weizsäcker und Heisenberg. Der Fernsehdirektor Clemens Münster verschaffte Heidegger nähere Einsicht in die Bereiche von Rundfunk und Fernsehen, die ihn im Zusammenhang mit der Erhellung der Technik interessierten“[Ebd., S. 79].

Heideggers eigener Bericht an Hannah Arendt (1950)

Der Vortrag selbst verlief dann den Berichten zufolge erstaunlich ruhig ab. Heidegger schrieb am 27. Juni 1950 an Hannah Arendt von seinem Münchner Vortrag über das Ding sowie über die folgenden Gespräche und erwähnt dabei auch Guardini:

„Freiburg i.B., 27. Juni 50. Hannah, Dein lieber Brief blieb lange ohne Antwort, wenigstens die geschriebene. Der Vortrag über das Ding war am 6. Juni in München; ich bin da etwas in die Höhle des bayerischen Löwen geraten, der im Unterschied zu den sonstigen Löwen ein schwarzes und außerdem ein sehr dickes Fell hat. Mit den überzähligen Sinnen spür-te ich so-gleich das Uneinheitliche und Beleidigte der Atmosphäre; zum Glück war auf meine besondere Bitte die Jugend mit da. Am Abend war im kleinsten Kreis ein gutes Gespräch; ich saß zwischen Guardini und Orff, gegenüber Max Pulver, der sich noch lebhaft an ein Gespräch in Zürich 1935 erinnerte. Man verursacht einige Wir-bel, weckt diesen und jenen. Aber das Bedrückendste ist, daß nur wenige davon etwas ahnen, daß das Denken ein sehr strenges Handwerk ist, auch dann, wenn man die Werkstatthände und was dazu gehört nicht mit vorzeigt“[Hannah Arendt/Martin Heidegger, Briefe 1925 bis 1975 und andere Zeugnisse, hrsg. von Ursula Ludz, 1998, S. 111].

Exkurs: Hannah Arendt (1906-1975) als frühe und späte „Hörerin“ von Guardini und Heidegger

Weitere Erinnerungen an Heideggers Vortrag über „Das Ding“

Der Jesuit Johannes B. Lotz erinnerte sich 1977 mehr an das nachfolgende Gespräch im Hause Mangoldts als an den Vortrag selbst:

„In München bin ich Heidegger begegnet, als er 1950 seinen Vortrag über ‚Das Ding’ hielt; der Saal des Prinz-Carl-Palais konnte die aufmerksamen Zuhörer kaum fassen. Damals lernte ich den Grafen Clemens Podewils kennen, der mir seitdem freundschaftlich verbunden blieb. Nach dem Vortrag fand sich ein kleiner Kreis von etwa ein Dutzend Personen bei Frau Ulla von Mangoldt in der Kaulbachstraße zu einem Gespräch mit Heidegger zusammen, das sich meiner Erinnerung nach hauptsächlich um „das Geviert“* drehte und bei dem Romano Guardini eine hervorragende Rolle spielte“ [*also über die Gestaltung der logischen Struktur nach Heidegger][Johannes B. Lotz, Im Gespräch, in: Günter Neske (Hg.), Erinnerung an Heidegger, 1977, S. 159].

Und von Georg Britting wissen wir aus einem Brief an seinen Freund Georg Jung vom 13. Juni 1950, dass er sowohl beim Vortrag Heideggers über „Das Ding“ als auch beim nachfolgenden Treffen dabei war:

„hier ist unsrer akademie wegen ein sturm im wasserglas, oder, besser, ein pechkessel läuft über. wir liessen martin heidegger lesen. ich war in der vorlesung. gar nicht so schwer und schwierig wie ich dachte. er sprach „über das ding“, er geht vom wort aus, vom wörterbuch sagen seine gegner, deren er viele hat, besonders unter den „soliden“ philosophieprofessoren. es war eine erregende stunde. hernach trafen sich ein paar leute mit ihm, guardini, ein jesuit, orff, der komponist, ich sollte dringend dabei sein, ging aber nicht, weil ich den abend schon wetzlar versprochen hatte. bei heidegger mischen sich, in seiner vorlesung wenigstens, der dichter und der philosoph, wie bei den alten. der schluss seines vortrags war fast eine ode. die herren der universität schäumten, und heissen ihn einen scharlatan. die lesung war überfüllt, bis von wien kamen leute. aber nun gehts los, in der presse, er sei ein alter nazi (ist er), heut noch verboten (ist er), jugendverführer, der die studenten zu nazis machte, und in der tonart. im stadtrat interpellierte ein stadtvater zornig, wieso so ein mann konnte ans pult gerufen werden. gleichzeitig hier in der „neuen zeitung“ ein scharfer angriff auf friedrich georg jünger, der ein nazi sei; und ausgerechnet der habe einen preis der akademie bekommen! der sturm wird noch stärker werden, nehme ich an. wir akademiker treffen uns morgen, was zu tun. vielleicht fängt auch das kultusministerium zu toben an. wiederkehr der nazis, lautet die formel der entrüstung. es ist ein affentheater. in seinen wirkungen aber vielleicht nicht zu unterschätzen“[Briefe von Georg Britting an Georg Jung 1943 bis 1963, 2005, S. 143, Brief Nr. 115 vom 13. Juni 1950].

Der „Wortcharakter der Dinge“ bei Guardini

Von Guardini selbst kennen wir bislang keine direkte Bezugnahme auf diesen Vortrag, allerdings sind Guardinis Briefe aus diesem Jahr noch nicht vollständig ausgewertet. Höchstens der nachfolgende Briefwechsel von 1950/51 zwischen Guardini und Heidegger selbst kann als indirekte Bezugnahme gesehen werden. Allerdings beschäftigt sich Guardini selbst schon länger mit dem „Wortcharakter der Dinge“. Diesen Titel trägt bereits 1939 im „Person“-Teil des Buches „Welt und Person“ der vierte Abschnitt des Kapitels „Der personale Bezug“.

Aber auch in seinen 1998 posthum veröffentlichten Vorlesungen zu „Dantes Göttlicher Komödie“ schreibt Guardini:

„Der Mensch, der in dieser Welt steht, hat ein Auge für diesen Charakter der Welt. ER vermag Symbol zu sehen und Epiphanie zu erfahren. Er hat ein Ohr für den Wortcharakter der Dinge. Die Kontemplation aber, deren Bedeutung als Element des mittelalterlichen Daseins gar nicht hoch genug veranschlagt werden kann, enthält als wichtiges Moment die Realisation der objektiven Hinführung, welche von der Welt zu Gott geht. […] Das ist Mittelalter: Ergriffenwerden des lebendigen Menschen – nicht nur des Verstandes – durch die religiöse Sinnfülle und Bewegungsmacht der Welt“[Romano Guardini, Dantes Göttliche Komödie, Mainz 1998, S. 382].

Briefwechsel zwischen Guardini und Heidegger nach dem Erscheinen der Heidegger-Festschrift (1950)

Ende oder Vollendung der Neuzeit?

Heidegger liest Guardinis „Ende der Neuzeit“ (1951/52)

Aus einer Erinnerung von Ernst Vogt für das Wintersemester 1951/52 geht hervor, dass Heidegger Guardinis „Das Ende der Neuzeit“ selbst gelesen hat:

„So beschlossen einige Freunde und ich, ihn [Heidegger] zu einem Vortrag nach Tübingen einzuladen. Wir fuhren also nach Freiburg … und begaben uns zum Zähringer Rötebuckweg 47 … An der Haustüre wurde uns bedeutet, Heidegger sei an einer Bronchitis erkrankt und könne uns nicht empfangen. Aber die gütige, mütterlich wirkende Elfride Heidegger hatte Mitleid mit den aus Tübingen unerwartet hereingeschneiten Besuchern, die ihre Mission so dringlich machten, und ließ uns zu ihrem Manne vor. Heidegger empfing uns, mit roter Zipfelmütze zu Bette liegend (Assoziationen an den kranken Hölderlin und an Mörikes ‚Feuerreiter’ stellten sich ein), auf dem Nachttisch Romano Guardinis kürzlich erschienene Schrift ‚Das Ende der Neuzeit’, mit größter Freundlichkeit, stellte jedoch, als wir unser Anliegen vorgetragen hatten, die mehr als berechtigte Frage, ob unser Plan denn mit Schadewaldt abgesprochen sei. Wir sahen uns betreten an und mußten gestehen, daß wir daran überhaupt nicht gedacht hatten. Das holten wir jedoch sogleich nach unserer Rückkehr nach, und ein oder zwei Semester später … hat Heidegger tatsächlich auf Einladung von Schadewaldt in Tübingen gesprochen“[Ernst Vogt, Studium in Tübingen 1951/52, in: Erich Lamberz (Hrsg.), Literatur der Antike und Philologie der Neuzeit, 2013, S. 572. Ernst Vogt (1930-2017) hat von 1950 bis 1956 Klassische Philologie, Philosophie, Archäologie, Alte Geschichte, Papyrologie und Sprachwissenschaft an den Universitäten Bonn, Tübingen und Athen studiert, in diesem Wintersemester aber in Tübingen. Ab 1967 wirkte er als Professor für klassische Philologie in Mannheim und ab 1975 bis 1999 in München.].

In dem Teil der Heidegger-Bibliothek, der m Deutschen Literaturarchiv in Marburg, befindet sich dieses Studienexemplar mit zahlreichen Anstreichungen und Eintragungen.

„Vollendung der Neuzeit“ versus „Ende der Neuzeit“

Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass Heidegger just in diesem Wintersemester 1951/52 das Thema „Ende der Neuzeit“ in seinen Vorlesungen „Was heißt denken?“ mehrfach aufgreift und dabei Guardinis Rede vom „Ende der Neuzeit“ explizit ablehnt:

„Nietzsches Denken enthält doch nicht nur die übertriebenen Ansichten eines Ausnahmemenschen. In diesem Denken kommt das zu seiner Sprache, was ist, genauer das, was erst noch sein wird. Denn die „Neuzeit“ ist noch keineswegs zu Ende. Sie tritt vielmehr gerade erst in den Beginn ihrer vermutlich langwierigen Vollendung. Und Nietzsches Denken? Es gehört zum Bedenklichen, daß es noch nicht gefunden ist. Es gehört zum Bedenklichsten, daß wir nicht im geringsten vorbereitet sind, das Gefundene wahrhaft zu verlieren, statt es nur zu übergehen und zu umgehen. Dieses Umgehen vollzieht sich oft in einer harmlosen Form, nämlich dadurch, daß man eine Gesamtdarstellung der Philosophie Nietzsches vorlegt. Als ob es eine Darstellung gäbe, die nicht notwendig bis in den hintersten Winkel schon Auslegung sein müßte. Als ob es eine Auslegung geben könnte, die daran vorbeikäme, eine Stellungnahme zu sein oder gar durch den Ansatz bereits eine unausgesprochene Ablehnung und Widerlegung. Aber ein Denker läßt sich niemals dadurch überwinden, daß man ihn widerlegt und eine Widerlegungsliteratur um ihn aufstapelt“[Martin Heidegger, Was heißt denken?, 1971, S. 23].

Weiter philosophiert Heidegger:

„Es ist jenes Vor-Stellen, das den metaphysischen Grund des Weltalters ausmacht, das man die Neuzeit nennt, die jetzt nicht zu Ende geht, sondern gerade erst beginnt, in insofern das in ihr waltende Sein erst jetzt in das vorgesehene Ganze des Seienden sich entfaltet“[Ebd., S. 31].

Dass es sich in dieser Frage für Heidegger nicht nur um einen „äußerlichen“ Bezeichnungsunterschied, sondern um eine wesentliche Differenz zu Guardinis „Ende der Neuzeit“ als Kennzeichnung des jetzigen Zeitalters:

„Das Denken ist das Vorläufigste alles vorläufigen Tuns des Menschen in der Epoche, da die europäische Neuzeit allererst beginnt, sich auf dem Erdball zu entfallen und zu vollenden. Im übrigen ist es keine bloß äußerliche Frage der Bezeichnung, ob man das jetzige Zeitalter als das Ende der Neuzeit ansieht oder ob man erkennt, daß heute der vielleicht langwierige Prozeß der Vollendung der Neuzeit erst einsetzt“ [Ebd., S. 161].

Auch in seinem Buch „Der Satz vom Grund“ (1957) schreibt Heidegger klar und deutlich: „Die Neuzeit ist nicht zu Ende“:

„Daß in einem solchen Zeitalter die Kunst zur gegenstandslosen wird, bezeugt ihre geschichtliche Rechtmäßigkeit und dies vor allem dann, wenn die gegenstandslose Kunst selber begreift, daß ihre Hervorbringungen keine Werke mehr sein können, sondern etwas, wofür noch das gemäße Wort fehlt. Daß es die Kunstausstellungen modernen Stils gibt, hat mehr mit dem großmächtigen Satz vom Grund, vom zuzustellenden Grund zu tun, als wir zunächst meinen. Die Neuzeit ist nicht zu Ende. Sie beginnt erst ihre Vollendung, insofern sie sich auf die vollständige Zustellbarkeit vor allem, was ist und sein kann, einrichtet“[Martin Heidegger, Der Satz vom Grund, 1957, S. 41; Ausgabe 1971, S. 66.].

Und in den als „Anhang“ 1990 publizierten handschriftlichen Überlegungen Heideggers zu den Nietzsche-Vorlesungen, steht in der überarbeiteten „zweiten Fassung der Wiederholung“ des Abschnitts „Nietzsche. Zum Verhältnis von Denken und Dichten“ aus der Vorlesung „Denken und Dichten“ im Rahmen seiner „Einleitung in die Philosophie“. Diese Vorlesung hatte Heidegger für das Wintersemester 1944/45 angekündigt und begonnen, musste aber aufgrund einer Weisung der NSDAP Mitte November 1944 nach der zweiten Stunde abgebrochen werden. Wann Heidegger die Überarbeitung vorgenommen hat, konnte von mir noch nicht ermittelt werden. Ich gehe aber davon aus, dass sie erst Anfang/Mitte der fünfziger Jahre erfolgte:

„Das 20. Jahrhundert, in dem sich vermutlich das Zeitalter der Neuzeit vollendet, nicht etwa endet, kann nur, ja muß sogar deshalb das Zeitalter der Technik sein, weil diese das anfängliche und daher lang verhüllte Geschick der Neuzeit überhaupt ist“[Martin Heidegger, Nietzsches Metaphysik. Einleitung in die Philosophie. Denken und Dichten, Gesamtausgabe Band 50, 1990, Teil 2, S. 149].

Zur Genese von Guardinis Theorem vom „Ende der Neuzeit“ (1911-1948)

Guardini spricht schon lange vor 1950 von „nach-neuzeitlichen“ Phänomenen, die er schließlich in seinen Büchern „Das Ende der Neuzeit“ (1950) und „Die Macht“ (1951) lediglich umfassender beschreibt. Erstmals 1911 zieht er in seinem anonym erschienenen Rezensionsaufsatz „Das Interesse der deutschen Bildung an der Kultur der Renaissance“ zum Beispiel den Vergleich zwischen dem bevorstehenden „neuen“ Mittelalter zu den Übergangsepochen der „Renaissance“ und des „Hellenismus und des römischen Kaisertums oder der Renaissance“:

„Es gibt aber eine andere Zeit, die uns wirklich verwandt ist, die des Hellenismus und des römischen Kaisertums. Auch sie hatte ein Freiwerden aller individuellen Kräfte und Momente, eine Einstellung der Aufmerksamkeit auf das Ich erlebt. Auch sie war zersplittert, skeptisch und gefangen in dies Ich. Auf sie aber folgte nach langem Ringen eine Periode, die in ihrer Art das hatte, was wir heute suchen, das Mittelalter, jene Jahrhunderte gewaltiger Leistungen, gewaltiger Einheiten. Das Mittelalter ist die modernste Zeit, mehr, es ist unsere Zukunft. Wie aus der zersetzten hellenistisch-römischen Kultur, durch den Eintritt des Christentums und Germanentums das Mittelalter wurde, das Schauspiel, scheint mir, könnte uns Weisheit lehren, denn unsere Aufgabe ist, ein neues ‚Mittelalter’ zu schaffen. Das braucht niemanden zu erschrecken; nicht zurück zum vergangenen, sondern vorwärts zu ‚unserem Mittelalter’ Solls gehen. Vom Entstehen des ersten aber können wir lernen, die Welt wieder nicht mit den kleinen, verschleierten Augen unserer Subjektivität, sondern mit dem Blick der Dinge selbst, Gottes, zu sehen. Könnten uns wieder nach der Enge und Ängstlichkeit der ‚kritischen’ Zeit die große, so tiefschauende Naivität des objektiven Auges, die Kraft der großen ungebrochenen Bejahung erringen, sie für viele verlorenen Ideale der Heiligkeit, der Wahrheit, der Herrlichkeit des Reiches Gottes wiederfinden“[Romano Guardini, Das Interesse der deutschen Bildung an der Kultur der Renaissance, in: ders., Wurzeln eines großen Lebenswerks, Band 1, 2000, S. 18].

In seinem Brief an Heinrich Kahlefeld, den Herausgeber der Sammlung „Unterscheidung des Christlichen“ von 1935, schreibt Guardini mehr als deutlich von der „endenden Neuzeit“:

„Auf jeden Fall hoffe ich, daß der Titel, den das Buch trägt, zu Recht besteht. Es handelt sich hier wirklich um die „Unterscheidung des Christlichen". Um einen Beitrag also zu jener Arbeit, die uns die endende Neuzeit hinterlassen hat und die Gegenwart mit immer größerer Gewalt aufzwingt: die christlichen Begriffe von all den An-Ähnlichungen, Abschwächungen und Überdeckungen, Fehlleitungen und Verzerrungen zu befreien, die sie seit dem Beginn der Neuzeit erfahren haben. Jene christliche Kultur, die im Mittelalter grundgelegt wurde, löst sich erst heute endgültig auf. Der Wille zu nicht-christlichem Dasein und Werk, der im Lauf der letzten Jahrhunderte immer wieder durchgedrungen ist, wird erst jetzt zu einer offenen Macht im europäischen Gesamtdasein. Geistige Entscheidungen, die schon im fünfzehnten und sechzehnten Jahrhundert dem Anspruch der Offenbarung gegenüber gefallen sind, kommen nun voll zu Wort und Tat. So beginnt im christlichen Bewußtsein eine doppelte Bewegung: Es sucht die Wurzeln, um sich des Eigentlichen und Echten zu vergewissern; andererseits beginnt es die umgehenden Worte und Gestalten zu prüfen, und all den Zerstörungen entgegenzutreten, die aus der Säkularisation des abendländischen Daseins entspringen“[Romano Guardini, Vorwort (1935), in: ders., Unterscheidung des Christlichen, Band 1: Aus dem Bereich der Philosophie, Mainz (3)1994, S. 13 f.].

Insofern verwundert es auch nicht mehr, wenn er in seinem anthropologischen Buch „Welt und Person“ – erarbeitet Anfang der dreißiger Jahre, veröffentlicht 1939 – dies noch deutlicher ausführt:

„In den Begriffen der Natur, des Subjekts und der Kultur drückt sich jene Verpflichtung aus, welche die Neuzeit entdeckt und auf sich genommen hat: zur Redlichkeit und Sachgerechtigkeit. Sie entschloß sich, die Welt als Wirklichkeit zu nehmen und sie nicht durch den unmittelbaren Übergang ins Absolute zu verdünnen. Sie wurde inne, daß diese Welt dem Menschen in einer zugleich großen und erschreckenden Weise in die Hand gegeben ist, und machte sich bereit, den Sinn dieser Verantwortung nicht durch den Rückgriff auf das Religiöse abzuschwächen, sondern sie selbst als religiöse Aufgabe zu verstehen. Die neuzeitliche Wissenschaft mit ihrer Unerbittlichkeit; die Technik mit ihrer Genauigkeit und Kühnheit; der spezifisch neuzeitliche Geist der Welteroberung, Planung und Gestaltung sind echte Fortschritte. Nicht in dem oberflächlichen Sinn, daß die durch sie charakterisierte Geschichtsepoche ohne weiteres besser wäre als die voraufgehende. Hier von ‚Besser’ oder ‚Schlechter’ zu reden, ist ein zweifelhaftes Ding – ganz abgesehen davon, daß jeder Gewinn an einer Stelle mit Verlust an einer anderen bezahlt wird und wir heute, da die Neuzeit zu Ende geht, immer schärfer sehen, wieviel der Übergang zu ihr gekostet hat. Was eine Epoche der Geschichte gegenüber der anderen rechtfertigt, ist nicht, daß sie besser, sondern daß sie an der Zeit ist. Insofern ist sie auch gut und ein Fortschritt. Die in Rede stehenden Begriffe drücken dieses an der Zeit gewesene Neue aus. Vielleicht muß man sogar sagen, auch noch das Falsche an ihnen hänge irgendwie mit der neuzeitlichen Lebens- und Werkleistung zusammen. Wenn ein solches Werk der Erkenntnis, Beherrschung und Gestaltung vollbracht werden sollte, wie es tatsächlich vollbracht worden ist, mußte vielleicht wirklich in irgend einer Weise eine derart leidenschaftliche Hinwendung zur Welt vollzogen werden“[Guardini, Welt und Person, a.a.O., S. 26].

In seiner berühmten Pariser Rede „Auf der Suche nach dem Frieden“ ist sich Guardini 1948 schließlich voll bewusst, welche Rolle die Entstehung der „Masse“ in der Nach-Neuzeit haben wird:

„Ganz deutlich treten die Phänomene erst in dem Maße hervor, wie die Masse entsteht. Aus dem gegliederten Volke wird nun eine Vielzahl von Menschenatomen; aus dem Staat eine Apparatur, in welcher diese Masse von Atomen zur Aktion gelangt. Nun können die dargelegten Tendenzen ihre ganze Wirkung tun: es entsteht der nach-neuzeitliche totale Staat und mit ihm der nach-neuzeitliche Krieg – jener, mit dem wir Heutigen es zu tun haben“[Romano Guardini, Auf der Suche nach dem Frieden, zuerst in: Hochland, 41, 1948; in: ders., Sorge um den Menschen, Band 2, Mainz (2)1989, S. 7-28, hier S. 12].

Im Zusammenhang mit derartigen „nach-neuzeitlichen“ Fragen um Krieg und Frieden kommt Guardini nun direkt auf die Angst des nach-neuzeitlichen Menschen zu sprechen und steht damit mitten in den „Gedanken der Existentialphilosophie“:

„Es würde tief in das Wesen der geschichtlichen Epochen einführen, wenn man fragte, worin die Angst des primitiven Menschen bestand, von ihr unterschieden die des antiken, des mittelalterlichen, des neuzeitlichen. Die des nach-neuzeitlichen Menschen entspringt daraus, daß die ungeheuerliche Macht, welche er in Händen hält, sich aus der Ordnung gelöst hat; daß sie, im Letzten und Ganzen, weder verantwortet noch gelenkt ist. Der moderne Krieg aber bildet die heftigste Vergegenwärtigung der drohenden Gefahr. Diese Tatsache empfindet nicht bloß der Philosoph, sondern er sieht nur klarer und spricht deutlicher aus, was die Zeit überhaupt fühlt. Darum reagieren so viele Menschen auf die Gedanken der Existentialphilosophie, auch solche, die gar nicht in der Lage sind, sie intellektuell zu verstehen: ihr Daseinsgefühl antwortet auf die Erfahrung, die ihr zugrunde liegt“[Ebd., S. 22].

Heideggers eigene Rede vom „Ende der Neuzeit“ (1938-1940)

Nun ist aber Guardini keineswegs der Einzige, der vor 1950 die Rede vom „Ende der Neuzeit“ führt. Denn ausgerechnet Heidegger selbst spricht ab Mitte der dreißiger Jahre immer wieder von einem „Ende der Neuzeit“. In den sogenannten „Schwarzen Heften“, genauer in den „Überlegungen IV“, die mit 1934/35 datiert sind, heißt es im 23. Abschnitt:

„Diese zerstörende Verwandlung („Destruktion“) muß aller anderen Auseinandersetzung mit dem Christlichen und Neuzeitlichen und mit dem ersten „Ende“, aber auch mit dem großen Zwischenspiel (Kierkegaard – Nietzsche) voraufgehen – weil hier alles verwurzelt ist“[Martin Heidegger, Überlegungen IV, in: ders., Überlegungen II-VI, Gesamtausgabe, Bd. 94, a.a.O., S. 213].

In seinem zwischen 1938 und 1940 entstandenen Skript „Geschichte des Seyns“, das 1998 in zwei Teilen „1. Die Geschichte des Seyns (1938/40)“ und „2. Koinon aus der Geschichte des Seyns (1939/40)“ herausgebracht wurde[Martin Heidegger, Die Geschichte des Seyns 1. Die Geschichte des Seyns (1938/40) 2. Koinon aus der Geschichte des Seyns (1939/40), Gesamtausgabe, Bd. 69, hrsg. von Peter Trawny, Frankfurt am Main 1998], steht im ersten Teil der 36. Abschnitt direkt unter dem Titel „Das Ende der Neuzeit in der Geschichte des Seyns“:

„36. Das Ende der Neuzeit in der Geschichte des Seyns Das metaphysische Ereignis der Vollendung der Neuzeit ist die Ermächtigung des ‚Kommunismus’ zur geschichtlichen Verfassung des Zeitalters der vollendeten Sinnlosigkeit. Nach dem in ‚Sein und Zeit’ gedachten Begriff des Sinnes meint dieses Wort den Entwurfsbereich der Entwerfung des Seins auf seine Wahrheit. Und ‚Wahrheit’ bedeutet die entbergende Freigabe des Seins in das Gelichtete seiner Wesung. Sinn-losigkeit meint daher die Wahrheitslosigkeit: das Ausbleiben der Lichtung des Seins. Sobald dies sich ereignet und das ‚Sein’ gleichwohl wie sonst genannt wird, übernimmt es die Rolle des fraglosen allgemeinsten Wortes für das Allgemeinste und Leerste, das an die unanschauliche äußerste Grenze des Verstellbaren hinausgeschoben ist. Das Sein des Seienden, in jeglichem Verhalten, Sagen und Schweigen des Menschen zwar ständig gemeint, hat auf eine Lichtung und Bestimmung seiner selbst verzichtet“[Ebd., S. 37].

Auch in den „Beilagen zu: Koinon“ – aus den Aufzeichnungen „Die Geschichte des Seyns“ kommt dieses Theorem vor, wobei Heidegger es hier allerdings äußerst problematisch mit der „Rassenpflege“ als „notwendiger Maßnahme“ verknüpft:

„Die Rassenpflege ist eine notwendige Maßnahme, zu der das Ende der Neuzeit drängt. Ihr entspricht die schon im Wesen der ‚Kultur‘ vorgezeichnete Einspannung dieser in eine ‚Kulturpolitik‘, die selbst nur Mittel der Machtermächtigung bleibt“[Ebd., S. 223].

In den „Überlegungen VI“, die in das Jahr 1938 datiert werden, stellt er sich im 93. Abschnitt erstmals die Frage, wie ein „neuzeitliches Mittelalter“ aussehen müsste:

„Wie müsste ein neuzeitliches Mittelalter aussehen? Welche Form hätte seine „Scholastik“? In welcher Weise vollzögen sich die konziliarischen-dogmatischen Verdammungen der Sätze | von Denkern, falls es diese gäbe? Welche Gestalt hätten die neuzeitlichen Prälaten und Abbés dieses Mittelalters?“[Martin Heidegger, Überlegungen VI, in: ders., Überlegungen II-VI, Gesamtausgabe, Bd. 94, a.a.O., S. 477].

Irgendwann zwischen 1938 und 1939 geht Heidegger dann von den Formeln „Ende der Neuzeit“ und „neuzeitliches Mittelalter“ ab und verwendet stattdessen die Rede von der „Vollendung der Neuzeit“. Dabei versucht Heidegger Antworten zu finden, was diese „Vollendung der Neuzeit“ kennzeichnet. Dabei kommt er im 115. Abschnitt auf das „Riesige“ als das Hauptkennzeichen dieser Vollendung zu sprechen:

„Das Riesige als das Kennzeichen der „Vollendung“ der Neuzeit. Das Riesige aber ist nichts „Quantitatives“, sondern die Qualität, die das Quantitative als solches, d. h. in seiner End- und Maßlosigkeit schlechthin zum „Quale“ „qualifiziert“. Erst jetzt erreicht alles Zahlenhafte seine Unheimlichkeit, nämlich die des Leeren und Entscheidungslosen. Das Riesige ist der echte Widergott des Großen (vgl. S. 99). Deshalb ist auch das Riesige eine einzigartige Form der geschichtlichen „Größe““[Ebd., S. 487 f.]

Schon am 9. Juni 1938 hatte Heidegger in Freiburg bei seinem Vortrag „Die Zeit des Weltbildes“ von dieser „Vollendung der Neuzeit“ gesprochen. Diesen Vortrag nahm Heidegger dann 1950 mit in die „Holzwege“ auf.

„(11) Denn jetzt vollzieht sich die Einschmelzung des sich vollendenden neuzeitlichen Wesens in das Selbstverständliche. Erst wenn dieses weltanschaulich gesichert ist, wächst der mögliche Nährboden für eine ursprüngliche Fragwürdigkeit des Seins, die den Spielraum der Entscheidung darüber öffnet, ob das Sein noch einmal eines Gottes fähig wird, ob das Wesen der Wahrheit des Seins das Wesen des Menschen anfänglicher in den Anspruch nimmt. Dort, wo die Vollendung der Neuzeit die Rücksichtslosigkeit der ihre eigenen Grösse erlangt, wird allein die zukünftige Geschichte vorbereitet“[Martin Heidegger, Holzwege, Tübingen 1950, hier nach 1977, S. 112: „Die Zeit des Weltbildes“ hier zitiert nach (4)1963 (ursprünglich als Vortrag gehalten in Freiburg am 9. Juni 1938 mit dem Titel „Die Begründung des neuzeitlichen Weltbildes durch die Metaphysik“)]

Ebenfalls aus der Zeit von 1938/39 stammt das posthum veröffentlichte Manuskript „Besinnung“, das im Anschluss an die „Beiträge zur Philosophie (Vom Ereignis) entstanden und seit 1997 über die Gesamtausgabe zugänglich ist [Martin Heidegger, Besinnung, Gesamtausgabe, Bd. 66, Teil 3, 1997]. Auch darin finden sich Abschnittsbezeichnungen wie „10. Die Vollendung der Neuzeit“ und „11. Die Kunst im Zeitalter der Vollendung der Neuzeit“. In diesem 10. Abschnitt heißt es:

„Die Vollendung der Neuzeit ist zugleich die Vollendung der metaphysischen – von der unausgesprochenen und ausgesprochenen Metaphysik getragenen – Geschichte des Abendlandes. Genauer: Die Vollendung der Metaphysik bestimmt und trägt den Beginn der Vollendung der Neuzeit. Vollendung besagt hier die uneingeschränkte und daher unverwickelte einfache Ermächtigung des Wesens des Zeitalters. Die Vollendung ist daher nicht die bloße Anstückelung eines noch [26] fehlenden Abschnittes und deshalb auch nicht der Auslauf des im Grunde schon Bekannten. Die Vollendung bringt vielmehr das letzte und höchste BEFREMDLICHE innerhalb des Zeitalters, das mit ihr nicht aufhört, sondern die Wesensherrschaft BEGINNT“[Ebd., S. 25].

Im darauffolgenden Kapitel (11. Abschnitt) führt Heidegger dies im Blick auf die Kunst näher aus:

„Die Kunst vollendet in diesem Zeitalter ihr bisheriges metaphysisches Wesen. Das Zeichen dafür ist das Verschwinden des KunstWERKES, wenngleich nicht der Kunst … Das Geschaffene stellt sich, anders als bisher, ganz in das „Seiende“ – die „Natur“ und die öffentliche „Welt“ – zurück; und dies nicht als Bestandstück, sondern als eine wesentliche Erwirkungsform seiner Machenschaft“[Ebd., S. 30].

In den „Überlegungen XI“ (1938/39), die ordnet Heidegger erneut die „Rassenpflege“ in die Rede von der „Vollendung der Neuzeit“ ein. Im Abschnitt 47 heißt es:

„Warum sollte nicht die Reinigung und Sicherung der Rasse dazu bestimmt sein, einmal eine große Mischung zur Folge zu haben: die mit dem Slaventum (dem Russischen – dem ja der Bolschewismus nur aufgedrängt und nichts Wurzelhaftes ist)? Müßte da nicht der deutsche Geist in seiner höchsten Kühle und Strenge ein echtes Dunkel meistern und zugleich als seinen Wurzelgrund anerkennen? Vermöchte so erst ein Menschentum geschichtlich werden, das einer Gründung der Wahrheit des Seins gewachsen wäre und zu einer Gottfähigkeit berufen? Wie, wenn die politische Vollendung der Neuzeit diese Einigung vorbereiten müßte, zunächst auf vielen Umwegen und in scheinbar äußersten Gegensätzen. Und wie sollte diese Zukunft des Abendlandes – die Allein dem Asiatischen noch einmal gewachsen wäre – nicht am Rande ihrer größten Gefahr entlangschreiten – daß jene Einigung zwischen Germanentum und Russentum nur noch zu einer alleräußersten Steigerung der Vollendung der Neuzeit hinreichte – daß die Unerschöpflichkeit der russischen Erde in die Unwiderstehlichkeit des deutschen Planens und Ordnens aufgenommen und beide einander durch ihre Unübertreffbarkeit in der Schwebe halten müßten und solche Schwebe zum Selbstzweck einer Vollendung des Riesenhaften in der Machenschaft würde. Fälschlicherweise und nur aus dem zurückgebliebenen Standort der Demokratien nennt man die Vollstrecker der Vollendung der Neuzeit zu ihrem höchsten Wesen „Diktatoren“ -; ihre Größe aber besteht darin, daß sie „diktativ“ zu sein vermögen – daß sie die verborgene Notwendigkeit der Machenschaft des Seins erspüren und durch keine Verführung sich aus der Bahn drängen lassen. (Vgl. S. 109)“[Martin Heidegger, Überlegungen VII-XI (Schwarze Hefte 1938/39), Gesamtausgabe, Bd. 95, hrsg. von Peter Trawny, Frankfurt am Main 2014, S. 402-404].

In den „Überlegungen XII“ von 1939 heißt es schließlich im Abschnitt 26:

„Das Äußerste an Verwüstung ist dann vorbereitet, wenn auch dem Nihilismus im wesentlichen Sinne als der dunkelhaften Ahnung des Geheimnisses des Seyns aus der weitesten Entfernung zu ihm, die Möglichkeit eines Durchgangs versagt wird und er nicht in seinem metaphysischen Wesen zum Austrag kommt. Die gleiche Wesensform trennt den Bolschewismus vom russisch-slavischen Volkstum. Dieselbe Wurzel liegt im neuzeitlichen Geschichtswesen der losgelassenen Machenschaft. Die unbedingten Ansprüche dieser erzwingen sich jedesmal die entsprechende Gegnerschaft und steigern die Verkennung der ursprünglichen Zugehörigkeit der Volkstümer. Alles Rassedenken ist neuzeitlich, bewegt sich in der Bahn der Auffassung des Menschen als Subjektum. Im Rassedenken wird der Subjektivismus der Neuzeit durch Einbeziehung der Leiblichkeit in das Subjektum und die vollständige Fassung des Subjektums als Menschentum der Menschenmasse vollendet. Gleichzeitig mit dieser Vollendung, und sie in ihren Dienst zwingend, vollzieht sich die Ermächtigung der Machenschaft in die Unbedingtheit. „Volkstümer“ sind nur Vorbehalte und Machtmittel und Machtzwecke – aber nicht mehr und überhaupt noch nicht Ursprung und Anfang – will sagen: wesend aus der Zugewiesenheit in eine Gründung der Wahrheit des Seyns. Das unerschlossene Geheimnis des Russentums (nicht des Bolschewismus) kann nur als ein solches gewährt und gegründet werden durch ein entsprechend ursprüngliches – alle Metaphysik und Alles christliche Kulturgetriebe hinter sich bringendes – denkerisches Ersagen des Abgrunds des Seyns (Hölderlin, der Vorstifter der Entscheidungen)“[Martin Heidegger, Überlegungen XII-XV (Schwarze Hefte 1939-1941), Gesamtausgabe, Bd. 96, hrsg. von Peter Trawny, Frankfurt am Main 2014, S. 47f, hier S. 48].

Bemerkenswerterweise vollzieht sich nun in diesen Jahren der Wechsel in der Benennung im Gefolge Nietzsches als „letzten Metaphysikers des Abendlandes“[Martin Heidegger, Nietzsches Lehre vom Willen zur Macht als Erkenntnis – Vorlesung SS 1939, Gesamtausgabe, Bd. 47, Frankfurt am Main 1989, S. 8] auch für die (abendländische) Metaphysik und den Nihilismus, wo Heidegger zunächst eher vom „Ende“, dann gleichermaßen von „Ende“ und „Vollendung“ und schließlich fast nur noch von der „Vollendung der Metaphysik“ und von der „Vollendung des Nihilismus“ spricht.

Soweit ich sehe, lehnt Heidegger die Rede vom „Ende“ allerdings erst nach dem Erscheinen von Guardinis Buch „Das Ende der Neuzeit“ ausdrücklich ab. 1939 sah Heidegger dagegen in Nietzsche denjenigen, der das Denken durch die konsequente Vollendung der Metaphysik „in die härteste Schärfe der Entscheidung“[Ebd., S. 5] zwinge, „ob diese Endzeit der Abschluss der abendländischen Geschichte sei oder das Gegenspiel zu einem anderen Anfang“[Ebd., S. 8], obwohl Nietzsche diesen anderen Anfang selbst aber noch nicht eröffnet habe. Zu dieser Deutung von Nietzsches „metaphysischer Grundstellung“ am „Ende“ bzw. in der „Vollendung der Neuzeit“ sind dann im Jahr darauf die Vorlesungen über „Nietzsches Metaphysik“[Vgl. Martin Heidegger, Vorlesung über „Nietzsches Metaphysik“, in: ders., Nietzsches Metaphysik. Einleitung in die Philosophie, Denken und Dichten, Gesamtausgabe, Bd. 50, Frankfurt am Main 1990, S. 3-87] und „Nietzsche. Der europäische Nihilismus“[Martin Heidegger, Nietzsche. Der europäische Nihilismus (Vorlesung II. Trimester 1940), Gesamtausgabe, Bd. 48, Frankfurt am Main 1986] maßgeblich. 1943 folgt schließlich noch sein Text „Nietzsches Wort ‚Gott ist tot’“, die er dann wiederum 1950 in die „Holzwege“ mit aufnimmt und die für Guardini zum Auslöser werden, auch selbst noch einmal intensiver über Existenzialismus und Nihilismus nachzudenken [Heidegger, Nietzsches Wort „Gott ist tot“, 1943, in: ders., Holzwege, Frankfurt 1950; (4)1963, S. 193-246].

Nach 1945 greift Heidegger sein Theorem von der „Vollendung der Neuzeit“ wieder auf und zwar zunächst in einer Weise, die in Bezug auf seine historische Einsichtsfähigkeit sehr nachdenklich macht. So heißt es in den jüngst veröffentlichten „Anmerkungen III“ (1946/47):

„Die Zerstörung Europas ist, wie immer sie verlaufen mag, ob ohne oder mit Rußland, das Werk der Amerikaner. „Hitler“ ist nur der Vorwand. Doch die Amerikaner sind ins ganze gesehen Europäer. Europa zerstört sich selbst. Das entspricht der Subjektivität, in der die Vollendung der Neuzeit metaphysisch existiert“[Martin Heidegger, Anmerkungen III, in: ders., Anmerkungen I-V (Schwarze Hefte 1942-1948), Gesamtausgabe, Bd. 97, Frankfurt am Main 2015, S. 230].

Und wenig später im Text ergänzt er:

„Der viel beredete Gegensatz zwischen Osten und Westen ist nur so lange ein solcher, als beide auf derselben Ebene verharren. Das tun sie nicht nur, sie streben ihr sogar zu. Ihr Streit mag ausgehen wie immer, er bringt keine Entscheidung, weil er aus keiner Entscheidung kommt. Alles bleibt noch im Vollzug der Vollendung der Neu-Zeit“[Ebd., S. 237].

Frühgeschichte der Rede vom „Ende der Neuzeit“

Nun ist die Rede vom „Ende der Neuzeit“ oder von der „Nachneuzeit“ selbst schon keine „Erfindung“ Guardinis oder Heideggers. Sie findet sich nachweislich bereits bei Max Stirner (1806-1856), dem wohl wichtigsten Vor-Denker Nietzsches in Deutschland. Dieser setzte sich 1845 in der Schrift „Der Einzige und sein Eigentum“ mit Bruno Bauer und Feuerbach sowie mit der „bürgerlichen Sittlichkeit“ „in diesem Ende der Neuzeit“ auseinander. Er spricht also am Beginn der Verwendungsgeschichte des Terminus „Neuzeit“, auch schon wieder von einem „Ende“:

„Dem Menschen ist erst ‚wahrhaft wohl’, wenn er auch ‚geistig frei’ ist! Denn der Mensch ist Geist, darum müssen alle Mächte, die ihm, dem Geiste, fremd sind, alle übermenschlichen, himmlischen, unmenschlichen Mächte müssen gestürzt werden, und der Name ‚Mensch’ muss über alle Namen sein. So kehrt in diesem Ende der Neuzeit (Zeit der Neuen) als Hauptsache wieder, was im Anfange derselben Hauptsache gewesen war: die „geistige Freiheit""[Max Stirner, Der Einzige und sein Eigenthum, 1845, S. 171; entspricht: Der Einzige und sein Eigentum, hrsg. von Ahlrich Meyer, Stuttgart 1972, S. 142. In der Guardini-Bibliothek in München (gb 3942) steht davon ein Exemplar mit der handschriftlichen Datumsangabe „Berlin 27.II“, allerdings ohne Jahreszahl].

Im Gefolge Nietzsches findet man zu Beginn der dreißiger Jahre schließlich das Theorem zum einen wieder bei Friedrich Würzbach (1886-1961)[Friedrich Würzbach, Zwei unveröffentlichte Manuskripte aus dem Nachlass. I. Das Bild des Menschen. II. Vom Ende der Neuzeit bis zu den Brücken der Zukunft dargestellt an Hölderlin – Nietzsche – Rilke, Essen 1984, S. 69-119], der 1919 in München Mitbegründer und erster Leiter der Nietzsche-Gesellschaft sowie und ab 1925 Mitherausgeber des „Jahrbuchs der Nietzsche-Gesellschaft“ war. Nach dem zweiten Weltkrieg setzte sich Würzbach sowohl mit Martin Heideggers „Einführung in die Metaphysik“[Friedrich Würzbach, Rezension zu: Heidegger, Einführung in die Metaphysik, in: Welt und Wort, 9, 1954, S. 282] als auch mit Guardini „Die Macht“[Friedrich Würzbach, Rezension zu: Guardini, Die Macht, in: Welt und Wort, Tübingen, 7, 1952, S. 329] auseinander.

Zum anderen wird die Formulierung auch durch den Soziologen Ernst Wilhelm Eschmann (1904-1987)[Vgl. M. Frederik Plöger, Soziologie in totalitären Zeiten. Zu Leben und Werk von Ernst Wilhelm Eschmann (1904-1987), Berlin-Hamburg-Münster 2007] verwendet, der ab 1929 einer der Redakteur der Zeitschrift „Die Tat“ war und darin vor allem unter dem Pseudonym „Leopold Dingräve“ publizierte. 1933 erschien darin ein Artikel mit dem expliziten Titel „Das Ende der Neuzeit“[Leopold Dingräve, Das Ende der Neuzeit, in: Die Tat, 24, 1933, 11, S. 960-967], in dem er den großen Umbruch mit „dem Verlust der Denksicherheit“ durch die Auflösung des Rationalismus, das er als „das letzte große Glaubenssystem Europas“ bezeichnete. Von 1933 an gab Eschmann zusammen mit Wirsing eine Zeitschrift mit dem Titel „Das XX. Jahrhundert“ heraus und war bis 1943 zudem zunächst Dozent, dann Professor für Soziologie an der Universität Berlin.

Kurz vor Herausgabe des Buches hat neben dem schon erwähnten Rudolf Stadelmann auch Herbert Cysarz vom „Ende der Neuzeit“ gesprochen [Herbert Cysarz, Am Ende der Neuzeit, in: ders., Welträtsel im Wort. Studien zur europäischen Dichtung und Philosophie, 1948, S. 311-321]. In seinem Buch „Der Untergang der Neuzeit – und der Aufgang wessen?“ (1953) schreibt er dazu:

„Ich darf noch vorausschicken, daß die Ausdrücke „Ende der Neuzeit“ und „Aufgang des Vierten Äons“ meines Wissens erstmals von mir als Titel gebraucht worden sind, seit Anfang 1948; in den letzten Jahren tauchen sie immer öfter auf, natürlich ohne daß sich allemal von einem Zusammenhang reden läßt, um so öfter von Konvergenz der Beobachtungen und Auslegungen“[Herbert Cysarz, Der Untergang der Neuzeit – und der Aufgang wessen?, 1953, S. 4].

Und 1965 meint Cysarz betonen zu müssen:

„Geschichte ist und tut immer auch das Gegenteil dessen, was nötig wäre. Das steht nicht erst bei Guardini zu lesen („Das Ende der Neuzeit“, 1950), sondern beispielshalber schon bei mir selbst („Am Ende der Neuzeit“, Schlußstück der „Welträtsel im Wort“, 1948) – und zuvor oder später bei Vielen mehr, die diesen Befund weder erstmals entdeckt noch abgeschrieben haben. Der Untergang der Neuzeit wurde manifest mit dem Kriegsbeginn 1914“[Herbert Cysarz, Deutsches Geistesleben der Gegenwart. Sumpf und Festland, 1965, S. 19].

Wie gesehen, irrt Cysarz bereits in der Frage des Titels „Ende der Neuzeit“ im Blick auf Dingräves Aufsatz aus dem Jahr 1933, der Gebrauch des Theorems selbst, ist bereits, wie er richtig anmerkt, viel älter. Allerdings weicht sein Verständnis des „Endes“ als „Untergang der Neuzeit“ diametral sowohl von Guardinis Vorstellung eines folgenden „neuen Mittelalters“ als auch von Heideggers Vorstellung einer „Vollendung der Neuzeit“ ab. Genau hier müsste aber sowohl im Blick auf Untergangsszenarien und Postmoderne-Diskurse genauer hingeschaut werden. Vermutlich gäbe es für eine Verwendung dieses Theorems „vor“ Guardini und Heidegger auch noch zahlreiche weitere Belege. Insgesamt wäre es gerade für die Guardini- und die Heidegger-Forschung eine lohnende Aufgabe, diese Abhängigkeiten, Zusammenhänge, Unterschiede und Widersprüche genauer herauszuarbeiten.

Gemeinsames Thema: Mörike

Die Bayerische Akademie der Schönen Künste über „Die Künste im technischen Zeitalter“ (1951-1954)

Die ersten Vorbereitungen (1951/52)

Exkurs: Über „Sorge“, „Seel-Sorge“ und „Sorge um den Menschen“

Weitere Vorbereitungen (1952-1953)

Die Nachwirkungen

Guardini als Leser von Heideggers „Holzwege“: Stellungnahmen zu Platon und Nietzsche

Max Müller zwischen Guardini und Heidegger – eine Positionierung im Umfeld von Guardinis Freiburger Ehrenpromotion (1954)

Die Ehrenpromotion

Max Müllers „Primat“ für Romano Guardini

Anschließende Würdigungen und gemeinsamer Fußballbesuch

Zur Person Max Müllers

Weitere Widmungen und Briefe (1954-1957)

Die Akademie-Tagung über „Die Sprache“ (1958/59)

Vorbereitungen

Tagungen über „Die Sprache“ in München und Berlin im Januar 1959

Weitere Widmungen Heideggers an Guardini (1959/60)

Zwei späte Bezugnahmen Guardinis auf Heidegger (1958 bis 1961)

Wahlvorschlag Guardinis für Akademie der Schönen Künste – Februar 1961

Zu spät veröffentlichte Erklärungen und Eingeständnisse

Festschrift für Romano Guardini zum 80. Geburtstag

Vorschlag für die Zuwahl Heideggers zum Orden „Pour le mérite“ (Frühjahr 1964)

Über das Verhältnis des „Vorlaufens zum Tod“ zur „blanken Diesseitigkeit“

Abraham a Santa Claras Anstoß für Heideggers „Vorlaufen zum Tod“

Der Weg in die „blanke Diesseitigkeit“

Heideggers Glückwünsche zum 80. Geburtstag

Die letzte Kontakte zwischen 1966 bis 1968

Die beiden letzten, bislang bekannten Kontakte zwischen Heidegger und Guardini lassen sich an zwei Postkarten Heideggers an Guardini festmachen, die vom 22. Dezember 1966 und vom 1. Januar 1968 stammen. In der letzteren bedankt sich Heidegger ausdrücklich für die vorausgegangenen Weihnachtsgrüße von Guardini. Auffallend ist, dass Heidegger 1966 kurzzeitig trotz der Anrede „Lieber Freund“ ins „Siezen“ zurückfällt, 1968 aber wieder mit „Dein Martin Heidegger“ unterschreibt. Die letzte, nicht gelaufene und wohl in ein Buchgeschenk eingelegte Postkarte erinnert ausdrücklich, wenn auch nur sehr allgemein an das „alte Freiburg“.

Q 102

Postkarte Martin Heideggers an Romano Guardini vom 22. Dezember 1966 [BSB Ana 342, B 4-Sonderkonvolut, Mappe 1]

Zusammenfassung wird noch erstellt.

Q 103

Postkarte von Martin Heidegger an Romano Guardini vom 1. Januar 1968 [BSB Ana 342, B 4-Sonderkonvolut, Mappe 1]

Zusammenfassung wird noch erstellt.

Heidegger über Guardini im Seminar in Zähringen 1973

Heidegger hat nach Guardinis Tod – nach jetzigem Kenntnisstand – nur noch ein einziges Mal ausdrücklich auf ihn Bezug genommen: in einem Seminar in Zähringen im Jahr 1973. Aus einer Mitschrift von Heideggers Gedanken geht hervor, dass er dabei Guardinis Sichtweise kritisiert hat, das griechische Denken sei gegenüber dem neuzeitlichen Denken „objektiver“:

„So sprach Romano Guardini, wie Heidegger berichtet, wo er die Besonderheit des griechischen Denkens zu sagen versucht, von einem ‚objektiveren’ Denken als es das neuzeitliche Denken ist. Der Begriff der ‚Objektivität’ kann aber das griechische Denken in keiner Weise kennzeichnen. Zunächst gibt es im Griechischen tatsächlich kein Wort, um Gegenstand – ‚Objekt’ – zu sagen. Für das griechische Denken gibt es den Gegenstand nicht, sondern: das von sich her Anwesende. Auf die Frage, ob man nicht trotz allem Gegenstand in dem letztgenannten Sinn verstehen könnte, antwortet Heidegger, daß das nicht möglich ist, denn der Gegenstand wird durch die Vorstellung konstituiert. Die Vorstellung nämlich, die in bezug auf den Gegenstand das Frühere ist, setzt den Gegenstand sich gegenüber, so daß der Gegenstand nie zuerst von sich aus anwesen kann. Demnach ist es durchaus notwendig, den Bereich des Bewußtseins und der ihm zugehörigen Vorstellung zu verlassen, will man nachdenken können, was die Griechen gedacht haben“[Martin Heidegger, Vier Seminare. Le Thor 1966, 1968, 1969, Zähringen 1973, S. 124].

Allerdings konnte eine zu dieser Aussage passende Stelle im Werk Guardinis, wo er diesen Vergleich an „Objektivität“ zwischen griechischem und neuzeitlichem Denken ausdrücklich zieht, bislang nicht identifiziert werden. Am ehesten könnte hier an Formulierungen Guardinis gedacht werden, wie er sie in „Welt und Person“ über die Sicht der Welt als objektiv Geordnetes bei den Griechen und Römern im Vergleich zur Sicht der Welt als objektiv Gestaltloses macht; allerdings nur wenn man dabei davon ausgeht, dass Guardini die Objektivität der Ordnung als „Fertig-Gegebenes“ wirklich höher einschätzt als die der Gestaltlosigkeit als „Ständig-Werdendes“ und wenn man gleichzeitig Guardinis eigene Position dabei als polare Spannungseinheit von „Immer Aufleuchten“ und „Werden“ versteht:

„Das Erlebnis der Welt-Mächtigkeit bricht in der Renaissance durch [24: Shakespeare ist der Dichter, dessen Werk die Mächtigkeit der Welt überwältigend offenbart. Bei keinem sonst ist sie so groß, so süß und so furchtbar.] und steigert sich dann immer mehr […]. Freilich darf nicht vergessen werden, daß ihm in der gleichen Neuzeit auch sein Gegenspiel erwächst: die Skepsis, die Entwirklichung, die Unfähigkeit, Unbedingtes zu erleben; alles das, was nach Nietzsche auf den Nihilismus zugeht. Die Welthaftigkeit des Seienden kann nach verschiedenem Schema gesehen werden. Die Griechen haben sie als objektiven Kosmos aufgefaßt, worin alles in sich selbst gestaltet ist: durch die Wesensformen des Seins und Wirkens, Entelechie und Telos; durch die Idee und die auf sie zustrebende Geistesbewegung, den Eros; durch die im Sein selbst waltende Vernunft und die Ordnung des Weltverlaufs, Nous und Heimarmene. Das Bewußtsein siegreicher Gestaltungskraft, das die Griechen durch Weisheit und Kunst auszudrücken suchten, haben die Römer durch Staat und Recht bezeugt. Auch für sie war die Welt ein objektiv Geordnetes, in das der Mensch sich mit seinem besonderen Wesen einfügen sollte... Die Philosophie des neunzehnten Jahrhunderts hat sie gern als etwas objektiv Gestaltloses gesehen, in das erst der Mensch Ordnung bringt: der Geist, indem er es denkend formt, wie im Idealismus Kants; der Wille, indem er es, soweit seine Macht reicht, zur Welt gestaltet, wie in der Machtphilosophie Nietzsches... Die Welt kann aber auch so erfahren werden, daß ihr Eigentliches erst in der Begegnung mit den Dingen und Menschen herauskommt. Dann ist zwar schon in den Dingen wie auch im Innern des Menschen Ordnung. Diese reicht aber nicht hin, um die Welt im eigentlichen Sinne zu begründen; die entsteht erst im Raum der Begegnung. »Welt« ist also hier kein Fertig-Gegebenes, sondern etwas, was immerfort aufleuchtet, wird. Diese Auffassung scheint uns die richtige“[Guardini, Welt und Person, a.a.O., S. 77 f.].

Heideggers Rückgriff auf die „Heimat“ als Vorgriff auf den „letzten Gott“

So erstaunt es abschließend doch etwas, dass Heidegger nach diesem lebenslangen und auch keineswegs nur „latenten“ Gespräch bis 1968 seinen „lieben Freund“ und dessen Werk in seinen eigenen letzten, fast noch acht Lebensjahren geradezu zu „vergessen“ scheint. Umso verwunderlicher ist dies, weil er in einem seiner letzten Texte unter dem Titel „Der Fehl heiliger Namen“ (1974) am Beispiel des gemeinsam so geschätzten und gedeuteten Hölderlin die grundsätzlichen Fragen nach der Dichtung in der Zeit des „Fehlens“ noch einmal aufgreift und dabei das „Erblicken des Wegcharakters des Denkens“ an den Schluss setzt:

„Gewiß – das Erblicken des Wegcharakters des Denkens fällt der heute herrschenden Gewohnheit des Vorstellens schwer. Denn der Wegcharakter des Denkens ist allzu einfach und darum unzugangbar für das herrschende, in eine Unzahl von Methoden verstrickte „Denken“. Schon allein die Herrschaft der Dialektik jeglicher Art verstellt den Weg zum Wesen des Weges. Doch solange uns der Wegblick dafür versagt ist, daß und wie auch im Entzug und im Vorenthalt eine eigene Weise des Anwesens waltet, solange bleiben wir blind und unbetroffen vom bedrängenden Anwesen, das dem Fehl eignet, der den Namen des Heiligen und mit ihm dieses selbst in sich birgt, und jedoch verbirgt. Nur ein Aufenthalt in der offenen Gegend, aus der her der Fehl anwest, gewährt die Möglichkeit eines Einblickens in das, was heute ist, indem es fehlt“ (Martin Heidegger, Der Fehl heiliger Namen, in: ders., Aus der Erfahrung des Denkens, Gesamtausgabe, Bd. 13, S. 231-235).

Hatte er nicht 1952 genau dies auch Guardini gegenüber ausgedrückt, als er in einem Brief nach einem fruchtbaren Abendgespräch von der neuerlichen „Wanderschaft eines gemeinsamen Weges der Seel-Sorge“ gesprochen hat?

Angesichts der auch in den letzten Briefen und Postkarten Heideggers an Guardini durchscheinende „Sehnsucht“ nach „Geborgenheit im Letzten“, nach dem „Ankommen“ nach langem Weg, erhält Bernhard Weltes Erinnerung an ein letztes Gespräch am 14. Januar 1976, kurz vor seinem Tod, eine neue Bestätigung und Geltung:

„Das Thema der Heimat und der heimatlichen Menschen erhob sich für ihn mit erneuter Eindringlichkeit, als der Tod neu in den Horizont seines Denkens trat. Das „Vorlaufen zum Tod“ hatte er ja schon lange geübt und auch schon lange vom Tod als dem „Gebirg des Seins“ gesprochen. Aber ungefähr um die Zeit jenes Besuches ist der Tod neu und vielleicht wieder anders in den Horizont seines Denkens getreten. Es gibt von diesem Vorgang eine Reihe unscheinbarer Zeichen. Heidegger bereitete bedächtig und planmäßig seine Beisetzung vor, als noch niemand wußte, wann sie sein werde. Diese neue Erfahrung des Todes brachte eine neue Nähe zur Heimat. Darum wollte er dort und nirgends anders begraben sein. Und in diesen Zusammenhang gehört auch, daß er mich, seinen heimatlichen Landsmann, bat, an seinem Grabe zu sprechen. Jenes Gespräch im Wink der winkenden Heimat und im Schatten des auf neue Weise sich nahenden Todes kam auch bald und wie von selbst auf die religiöse Dimension. Nicht nur, weil ich in meiner Abhandlung, die den Anlaß jenes Gespräches bildete, die religiöse Dimension im Denken Heideggers deutlich zu machen versucht habe. Auch nicht nur, weil er von mir ohnehin ein religiöses Wort an seinem Grabe erwarten konnte. Das alles kam zusammen, aber auch diese merkwürdige Stunde selber und was sie umfaßte schien das Thema nahe zu legen. Wir sprachen auch über die Vorlesung, die ich damals hielt, es war eine Vorlesung über Meister Eckart, und so wieder ein religiöser Kontext. Mit Meister Eckhart war Heidegger auch seit langem vertraut. So fragte er im Laufe jenes Gespräches mit einer bedächtigen und ihres Weges sicheren Frage nach der Abgeschiedenheit im Sinne des Meisters Eckhart. Das Thema hatte eine verborgene Aktualität in dieser merkwürdigen Stunde. Es schwebte auch der eckhartische Gedanke im Raum, daß Gott dem Nichts gleich sei. Diese eckhartischen Gedanken waren nun in den Zusammenhang des Heimatlichen der Heimat und auch in den Zusammenhang der Nähe des Todes gerückt, so bildete die Stunde den Bereich, in dem auf eine besondere Art Himmel und Erde zusammengehörten, Sterbliche und Unsterbliche. Das Gesammelte des Gevierts lebte in der abendlichen Stunde und war versammelt um den, dem der Tod schon winkte" [Bernhard Welte, Erinnerung an ein spätes Gespräch. Suchen und Finden, in: Günther Neske (Hrsg.), Erinnerung an Martin Heidegger, 1977, S. 249 ff., hier S. 251; auch aufgenommen in: Martin Heidegger/Bernhard Welte, Briefe und Begegnungen, hrsg. von Alfred Denker, 2003, S. 149; und in: Bernhard Welte, Denken in Begegnung mit den Denkern, 2007, S. 210. Ähnlich erinnert sich Bernhard Welte in seiner Vorbemerkung, in: ders., Meister Eckhart. Gedanken zu seinen Gedanken, Freiburg i. Br. 1979: „Am 14. Januar 1976 hatte ich ein längeres Gespräch mit Martin Heidegger. Es war wenige Monate vor seinem Tod am 26. Mai 1976. Der nahe Tod winkte spürbar in das Gespräch herein. Wir sprachen dabei vor allem und eindringlich über die Sache des Meister Eckhart.“].

Diese Erinnerung Weltes führte Max Müller im Jahr 1994 zu einer Deutung der Gestalt des späten Heideggers, die so prägnant ist, dass auch sie hier noch angeführt sein soll [Max Müller/Wilhelm Vossenkuhl, Auseinandersetzung als Versöhnung, 1994, S. 109 f.]:

„Martin Heidegger hat jäh und schroff bei dem, was wir „Glauben“ nannten, diesen Dialog abgebrochen. Das Warum dieses Abbruchs mag biographisch erhellbar sein, ich würde es unter den Schutz der personalen Intimität und der unantastbaren Würde stellen, die auch der Historiker achten sollte, der Journalist allerdings aber vielleicht NICHT in gleicher Weise achten muß. Der Denker erfährt im Denken auch das Göttliche und bedenkt es auch. So ist wirkliches Denken religiös und auch fromm. Dies konzediert auch Heidegger und spricht ja ausdrücklich von der Frömmigkeit des Denkens“. Aber mit“ Glauben“ hat dies für ihn direkt nichts zu tun. Dies zeigt, wie er hier das Glaubensverständnis gewollt auf der doxologischen Ebene festbindet, auf der er in Hinsicht des Glaubens verharrt, wobei dies Verharren nicht der Grund seiner Ungläubigkeit ist, sondern die Folge seiner Stellung gegen die den Glauben verkündende Kirche, die den Glauben als „ihren“ Glauben und für Heidegger auch als „ihren“ Besitz verkündet.“

Nun macht Müller den „Unterschied des frommen oder religiösen Denkens vom Glauben, wie ihn Heidegger versteht“, an Heideggers Wunsch nach einem kirchlich-katholischen Begräbnis fest, dessen Möglichkeit und Wirklichkeit er aber angesichts des „nahen Todes“ mit Bernhard Welte besprechen wollte:

„Heidegger, der „fromm“ war, aber den Glauben der Kirche nicht mehr teilte, brauchte nun die Institution, die er in ihrer Funktion als Vermittlerin des Glaubens nicht mehr anerkennen konnte. Warum brauchte er sie? Es war sicher NICHT „Folklore“, wie ein nächster Angehöriger von ihm es meint, was ihn zum Wunsch der kirchlichen Beisetzung gebracht hat. Es war der Bezug zur „Heimat“, zu dem als integrierendem Bestandteil bisher diese Religion gehört hatte. „Heimat“ beim späten Heidegger ist aber nichts [109] Gemütsmäßiges, nicht einfach vorhandenes Milieu; sie ist die stete Aufgabe, in der radikalen Ungeborgenheit des Menschen je neu Bergung zu ermöglichen. Bergung des Menschen aber geschieht im Sein; die je neue Gestalt geschichtlicher Geborgenheit im Sein: das ist „Heimat“. Sie ist also ein anderer Name für das bergende Sein. Die neue geschichtliche Bergung aber fehlt uns heutigen, modernen Menschen völlig. Der „Fehl“ des Gottes und der „Fehl“ der Heimat sind parallel und analog. Da „Heimat“ nicht mehr „west“, da sie in ihrer uns heute notwendigen Gestalt sich „entzogen“ hat, muß in diesem „Interim“, in dem wir uns befinden, Gewesenes im Rückgriff jenes ersetzen, was wir nicht entbehren können und doch nicht mehr haben. Dieser Rückgriff muß echt an die Stelle des Vorgriffs auf den „letzten Gott“ treten, dessen „Wirken“ noch keine Gestalt annehmen will.“

Heidegger wurde mit dieser Haltung – so Max Müller – weder ein „Konvertit“, der nun angesichts des nahen Todes ein vorheriges „Renegat“-Sein um-wenden will. Da Heidegger niemals ein „Renegat“ gewesen sei, gab es jetzt auch keinen Grund für ein „Konvertit“-Sein. Vielmehr gelte bei Heidegger:

„Er blieb in seiner Frömmigkeit auf der Suche nach einer Gestalt der „heutigen“ Präsenz des Göttlichen. Dabei verwarf er (manchmal sogar in Gehässigkeit) geschichtliche Gestalten („Glaubensgestalten“) kirchlicher Form und fand doch keine andere Gestalt, die diese Frömmigkeit nicht erstickt oder pervertiert hätte. Und da ohne Gestalt die Erfahrung des Göttlichen diffus wird und verfließt, so ist im „Interim“, das für ihn ein „Advent“ war, die Krise zwischen Ehrfurcht – Zuneigung und Widerwillen – Abneigung nicht lösbar. Das Resultat war (als Resultat auch des Welte-Gespräches) jener positive „Kompromiß“ des Bleibens in dem, was nicht bleiben wird, aber vorläufig, „Bleibe“ bietet in der Zeit, wo der letzte Gott noch nicht da ist; an die Stelle des „Vor-Laufs“ ist hier also die „Vorläufigkeit“ getreten als Eingeständnis, daß wir in unserer radikalen Endlichkeit nicht uns geben können, was als reine Gabe uns bestimmt sein wird, wenn es auch heute noch erst sich uns ansagt.“

Dies war zumindest für Max Müller die Erklärung für Heideggers „letzten Willen und Entschluß“. Tatsächlich ist „Heimat“ somit einer der zentralen Begriffe des späten Heidegger, ihre Gefährdung und die notwendige Besinnung auf sie sein abschließendes Thema. Sogar seine letzte schriftliche Äußerung kurz vor seinem Tod, das Grußwort zur Meßkircher Ehrenbürgerfeier 1976 von Bernhard Welte, schließt mit diesem Gedanken. Nach dem Andenken an Erzbischof Dr. Conrad Gröber, dessen Gestalt für Heidegger und Welte „je verschiedener Zeit und auf je verschiedene Weise bestimmend“ geworden und gewesen sei, lud Heidegger die Teilnehmenden zu einem einmütigen „besinnlichen Geist“ ein:

„Denn es bedarf der Besinnung, ob und wie im Zeitalter der technisierten gleichförmigen Weltzivilisation noch Heimat sein kann“[Martin Heidegger, Grußwort (1976), in: ders., Aus der Erfahrung des Denkens. 1910-1976, Gesamtausgabe, Bd. 13, Teil 1, hrsg. von Hermann Heidegger, Frankfurt am Main 2002, S. 243].

Am 28. Mai 1976 wurde dieses Grußwort bei der nach der Beerdigung Heideggers am gleichen Tag stattfindenden Verleihung der Ehrenbürgerschaft an Bernhard Welte verlesen. Wenige Stunden zuvor hatte Welte auf Wunsch Heideggers die Grabrede bei seiner Beerdigung gehalten und dabei die Frage nach dem Verhältnis des Christentums zum Denkweg Heideggers ausdrücklich thematisiert:

„Ist es der Sache angemessen, Martin Heidegger christlich zu beerdigen? Ist es der Botschaft des Christentums angemessen, ist es dem Denkweg Heideggers angemessen? Er jedenfalls hat es gewünscht. Er hat auch sonst seine Verbindung zur Gemeinschaft der Glaubenden nie unterbrochen. Er ist freilich seinen eigenen Weg gegangen, und er hat ihn wohl gehen müssen, seinem Geheiß folgend, und man wird diesen Weg nicht ohne weiteres einen christlichen im üblichen Sinn des Wortes nennen können. Aber es war der Weg des vielleicht größten Suchenden dieses Jahrhunderts. Er suchte wartend und auf die Botschaft horchend den göttlichen Gott und seinen Glanz. Er suchte ihn auch in der Predigt Jesu. So darf man wohl über dem Grab dieses großen Suchers die Worte des Trostes des Evangeliums sprechen und die Gebete des Psalms ‚De profundis’, und das größte der Gebete, jenes, das Jesus uns gelehrt hat“[Hier zitiert nach: Alfred Denker/Elsbeth Büchin (Hgg.), Martin Heidegger und seine Heimat, 2005, S. 20].

So bleibt am Ende nur Guardinis – gerade auch im Sterben und in der Trauer oft herangezogene – Zitat aus „Die letzten Dinge“ aus dem Jahr 1940:

„So ist der Tod das letzte Wagnis, an Christi Hand, in die große Verheißung hinüber. In all der Bedrängnis und Zerstörung, in all der Hilflosigkeit und Qual, die das Sterben bedeuten kann, ist das Sterben Christi enthalten – das aber ist die uns zugewendete Seite jenes Ganzen, dessen andere Seite Auferstehung heißt“[Romano Guardini, Die letzten Dinge (1940), Mainz 1989, S. 32].

Fazit

Somit kommen wir zum Ende dieser Gegenüber-Stellung. Es war letztlich nicht Aufgabe dieses Beitrags, dabei selber Stellung zu beziehen, ob und wie weit bestimmte Einschätzungen gegenüber Guardini und Heidegger bzw. ihrem gemeinsamen Weg abschließend zutreffen. Es ging lediglich darum aus vorwiegend historischer, biographischer und werkbiographischer Sicht die wichtigsten Schnittpunkte im Leben und im Werk der beiden Denker aufzuzeigen, um von dort ausgehend auch an die Punkte zu gelangen, von der aus die „Nachwelt“ sich den beiden Denkern annähern kann, ohne sie nur als „zeitlose“ „Steinbrüche“ oder „Stichwortgeber“ für die eigenen Positionen zu nehmen oder aber sie nur als „historische“, „überholte“, mehr oder weniger „erfüllte“ letztlich aber verstorbene Denker zu „behandeln“. Gleich, ob wir nun mit Guardini immer noch in der „Nach-Neuzeit“ unser „neues Mittelalter“ auf dem Weg zur „neuen Neuzeit“ suchen oder mit Heidegger über die fortdauernden Konsequenzen einer „Vollendung der Neuzeit“ nachdenken, gilt es, das verheißungsvolle „Faszinosum“, das ihrem Denken auch heute noch innewohnt, neu bewusst zu machen. Dass dabei immerhin über hundert archivalische Quellen neu oder wieder herangezogen und mit zahlreichen bereits publizierten Funden abgeglichen werden konnten, zeigt dass es sich in ihrer freundschaftlichen Beziehung keineswegs nur um ein „latentes“ Gespräch handelte, sondern die beiden Denker stärker und lebenslang aufeinander bezogen waren, als man dies bisher und gemeinhin angenommen hat.