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Aktuelle Version vom 24. November 2022, 23:47 Uhr

Recha Rothschild (1880-1964)

Biographie

Die in Frankfurt aufgewachsene Recha Rothschild, die später als expressionistische Schriftstellerin bekannt wurde.

  • Rothschild erhielt eine Lehrerinnenausbildung und arbeitete als Jugendpflegerin.
  • Sie studierte Nationalökonomie in München, Heidelberg und Berlin. In München war sie Mitglied bei den Münchener Finken. Viele freistudentische Organisationen hatten von Anfang an auch weibliche Mitglieder und eine große Bandbreite an Richtungen und Gesinnungen, was immer wieder zu größeren inneren Spannungen führte. Sie engagierte sich in der Frauenbewegung, gemeinsam mit den Mitstudenten Guardini und Rudolf Frank, mit denen sie laut Frank auch freundschaftlich verbunden nationalökonomische Wälzer durcharbeitete, wurde sie Mitglied im Münchener Verein für Fraueninteressen (siehe: Rothschild, Verschlungene Wege sowie Mitgliederliste des Vereins von 1905)
  • Ab 1916 arbeitete sie am Institut für Seeverkehr und Weltwirtschaft in Kiel.
  • Von 1917 bis März 1918 bei einer privaten Jugendfürsorge in Dresden und war Mitglied der "Expressionistischen Arbeitsgemeinschaft Dresden. Gruppe 1917." Beiträge von ihr erschienen in der Zeitschrift Menschen und in der Zeitschrift „Der Weg“.
  • 1918 wurde sie USPD-Mitglied, im Jahr darauf KPD-Mitglied.
  • 1919 lebte sie in Frankfurt am Main. Sie wirkte als Instrukteurin und Redakteurin der kommunistischen Presse;
  • 1929 wurde sie Sekretärin der kommunistischen Fraktion im Schutzverband der deutschen Schriftsteller, im Sommer 1930 Fraktionssekretärin der KPD-Schriftsteller im „Bund proletarisch-revolutionärer Schriftsteller Deutschlands“ (BPRS). Johannes R. Becher stand der Fraktion der kommunistischen Mitglieder im BPRS vor, Recha Rothschild übernahm diese Aufgabe im Schutzverband deutscher Schriftsteller. Die Reichsfraktion wurde zur Koordinierung der Arbeit gebildet. Rothschild wurde laut ihrem Nachfolger Georg Lukács im Sommer 1931 ihres Postens enthoben, weil sie zu große „Konzessionen an die linksbürgerliche Vertreter im SDS“ gemacht habe.
  • Nach 1933 ging sie in den Untergrund, wurde im März 1934 festgenommen und vom Sondergericht Berlin zu einer Zuchthausstrafe verurteilt. Sie saß bis März 1936 in Jauer ein.
  • Im August 1936 emigrierte sie nach Frankreich, wurde auch dort 1940 einige Wochen interniert. Danach konnte sie untertauchen und lebte bis Kriegsende illegal.
  • Von 1946 bis 1948 lebte sie in Paris.
  • Sie kehrte im August 1948 aber nach Deutschland zurück und lebte in Berlin, im Ostteil der Stadt, also in der DDR, und arbeitete dort zunächst im Dietz-Verlag als Lektorin. Dort wehrte sie gegen jegliche ideologische Fesselung, was dazu führte, dass sie als Lektorin „kaltgestellt” wurde.

Bibliographie in Auswahl

  1. Die Anstellungs- und Ausbildungsverhältnisse der Kommunalbeamtinnen, in: Jahrbuch des Bundes Deutscher Frauenvereine. Handbuch der kommunal-sozialen Frauenarbeit; Leipzig und Berlin 1919
posthum
  1. Sehnsucht nach einem dogmatischen Prinzip. Recha Rothschild in Selbstzeugnissen, hrsg. von Karin Hartewig, in: Jahrbuch für Historische Kommunismusforschung, 3, 1995, S. 262-274.
  2. Verschlungene Wege: Identitätssuche einer deutschen Jüdin, hrsg. von Karin Hartewig, Frankfurt am Main 1994;
    1. Lehrjahre einer Kommunistin, in: Elif Pracht-Jörns (Hrsg.): Frankfurter jüdische Erinnerungen. Ein Lesebuch zur Sozialgeschichte. 1864-1951, 1997, S. 100-114, hier S. 104-108;

Guardini-Bezug

Recha Rothschild berichtete in ihrer in Paris zwischen 1946 und 1948 niedergeschriebenen autobiographischen Lebensschilderung „Verschlungene Wege“ auch über ihre Münchner Studienzeit. Sie gab sich dabei selbst den Namen Mirjam Wolf.

„Eine Gruppe links gerichteter Studenten, die »Freie Studentenschaft« oder die »Finken«, kam allwöchentlich zusammen. Der eine oder andere hielt einen Vortrag über wissenschaftliche oder kulturelle Fragen. Mirjam schloss sich diesem Kreis an und nahm gelegentlich an der Diskussion teil. Einer der Studenten, er hatte ein fein geschnittenes Gesicht und war Italiener von Geburt, setzte die Diskussion mit Mirjam auf der Straße fort. Er begleitete sie bis zu ihrer Wohnung in Schwabing, eine halbe Stunde von der Universität und seiner eigenen Bude. Und nun erschien Romano jeden Nachmittag um ½ 3 Uhr vor Mirjams Haus, und gemeinsam stapften sie durch den hohen Schnee bis zur Ludwigstraße. Wie ein dürstender Schwamm saugte Mirjam all die auf sie einstürmenden Eindrücke auf. Es war ihr, als ob ihre Glieder sich dehnten und ihre Brust sich weitete. Ein nie gekanntes Wohlbehagen erfüllte sie, aber sie gab sich keinerlei Rechenschaft über die Quelle dieses inneren (und vielleicht auch äußeren) Aufblühens.“ (Rothschild, Verschlungene Wege, a.a.O., S. 43 f.)

Sekundärliteratur

  • Artikel "Rothschild, Recha", in: Hermann Weber/Andreas Herbst (Hrsg.): Deutsche Kommunisten. Biographisches Handbuch 1918 bis 1945, Berlin 2008, S. 751f., online: https://www.bundesstiftung-aufarbeitung.de/de/recherche/kataloge-datenbanken/biographische-datenbanken/recha-rothschild
  • Petra Tallafuss: Begradigung eines „verschlungenen Weges“. Zwei Autobiographieversionen Recha Rothschilds im Vergleich, in: Bios, 2005, S. 105-123.
  • Norbert Weiss/Jens Wonneberger: Dichter Denker Literaten aus sechs Jahrhunderten in Dresden, Dresden 1997.
  • Christoph M. Hein: Der Der "Bund proletarisch-revolutionärer Schriftsteller Deutschlands", 1991.
  • Ernst Fischer: Der „Schutzverband deutscher Schriftsteller 1909-1933. Buchhändler-Vereinigung, Frankfurt am Main 1980.
  • Helga Gallas: Die Linkskurve (1929-1932). Ausarbeitung einer proletarisch-revolutionären Literaturtheorie in Deutschland, Berlin 1969, S. 193.

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