Würdigung von Guardinis Verhalten im Dritten Reich
Guardinis Verhalten im Dritten Reich wurde aus verschiedenen Perspektiven in verschiedenen Nachkriegs-Phasen unterschiedlich bewertet. Im folgenden werden verschiedene Diskussionen um sein Verhalten während des Nationalsozialismus dargestellt. Neben den vielen Zeugnissen, die von seiner Weise des Widerstands berichten, gibt es auch einige Kritiker seines Verhaltens während der nationalsozialistischen Herrschaft.
Guardini in der Kritik aktiver Widerständler
Dirk van Laak berichtet für den 1. und 18. Oktober 1946 von einem Briefwechsel zwischen Waldemar Gurian und Karl Thieme. Gurian, der bis 1934 als Schüler Carl Schmitts angesehen werden kann, aber seit 1934 aus dem Schweizer Exil heraus denselben stark angegriffen hat, erkundigte sich bei Thieme nach dem Verbleib Carl Schmitts. Die Antwort Thiemes lautete: "Finde hier Deine Frage nach C. Schmitt; wo er ist, weiß ich nicht; Hejo erzählte Pfingsten, er begreife nicht, dass Guardini den Burschen verteidige. (Ich finde nicht unbegreiflich, dass jemand, der selbst so kläglich war wie G., für klug hält, sich durch Inschutznahme eines anderen das Air des Über den Dingen Stehens zu geben.) So dürfte Hejo S. (...) am ehesten Deine Frage beantworten können" (zitiert nach Dirk van Laak: Gespräche in der Sicherheit des Schweigens: Carl Schmitt in der politischen Geistesgeschichte der frühen Bundesrepublik, Berlin1993, S. 35. Die Briefe vom 1. und 18. Oktober 1946 liegen im Institut für Zeitgeschichte, Nachlass Karl Thieme, ED 163/28. Hejo S. = Hermann Josef Schmitt)
Das Unverständnis des selbst von den Nazis verfolgten Hermann Josef Schmitts für Guardinis Verteidigung von Carl Schmitt und das harte Urteil Karl Thiemes über das angeblich “klägliche” Verhalten Guardinis mag aus dem persönlichen Widerstand und dem dabei erlittenen Leid der jeweiligen Kritiker verständlich erscheinen, entbehrt aber aus der Gesamtschau bislang jeder Grundlage. Guardini war sicherlich alles andere als ein mutiger, aktiver Widerstandskämpfer, aber eben auch alles andere als ein ängstlicher Versager. Vielmehr leistete er einen konsequenten passiven, letztlich strategisch geprägten Widerstand. Dennoch gilt es die beiden Kritiker und ihre Einschätzungen insoweit ernst zu nehmen, dass über ihre eigenen Tätigkeiten und ihre Beziehungen zu Guardini eventuell neue Erkenntnisse gewonnen werden könnten.
Hermann Josef Schmitt
Die Einschätzung von Hermann Josef Schmitt, der ihn spätestens als Berliner Hochschulseelsorger und der gemeinsamen Tätigkeit an der Sozialen Frauenschule kennenlernte, bleibt etwas unklar und ist auch nur als „Unverständnis“ der Verteidigung Carl Schmitts geäußert worden.
Karl Thieme
Bei Karl Thieme dürfte dessen deutlichere Ablehnung auch auf Guardinis skeptische bis ablehnende Reaktion auf die ökumenischen Vorstöße Thiemes in den dreißiger Jahren bezogen sein.