Papst Franziskus

Aus Romano-Guardini-Handbuch

Biographie

Bibliographie zu Guardini

Englisch-deutscher Vergleich von den Guardini-Stellen in Let Us Dream/Wage es zu träumen

Wage zu träumen! Mit Zuversicht aus der Krise, 2020 Let Us Dream. The Path to a Better Future, New York, 2020
"Diese Weise des Denkens habe ich von Romano Guardini gelernt. Es war sein Stil, der mich gefesselt hat, vor allem in seinem Buch Der Herr. Guardini hat mir den Wert des unfertigen Denkens gezeigt. Er entwickelt einen Gedanken, aber dann begleitet er dich nur bis zu einem Punkt, bevor er dich innehalten lässt, um dir Raum zum Nachdenken zu geben. Er schafft einen Raum, in dem du der Wahrheit begegnen kannst. Ein fruchtbarer Gedanke sollte immer unfertig sein, um einer weiteren Entwicklung Raum zu geben. Von Guardini habe ich gelernt, nicht absolute Sicherheiten zu suchen, denn die sind nur ein Zeichen eines ängstlichen Geistes. Seine Weisheit hat mir erlaubt, komplexe Probleme anzugehen, die nicht einfach durch die Anwendung von Regeln gelöst werden können, und stattdessen eine Denkweise zu verwenden, die es einem erlaubt, Konflikte zu steuern, ohne in ihnen gefangen zu sein. Die von ihm angeregte Denkweise öffnet uns für den Geist und für die Unterscheidung der Geister. Wenn du dich nicht öffnest, kannst du nicht unterscheiden. Daher rührt meine Allergie gegen Moralismus und andere -ismen, die alle Probleme nur mit Vorschriften, Gleichungen und Regeln zu lösen suchen. Wie Guardini auch glaube ich an objektive Wahrheiten und feste Prinzipien." (Hier wechselt Papst Franziskus zu Gedanken von Kardinal Newman) S. 55-56: "I learned this way of thinking from Romano Guardini. It was his style that captivated me, first of all in his book Il Signore (The Lord). Guardini showed me the importance of incomplete thought. He develops a thought to a certain point, but then invites you to stop to gain space in order to contemplate. He creates room for you to encounter the truth. A fruitful thought should always be unfinished in order to allow space for subsequent development. With Guardini I learned not to expect absolute certainties about everything, which is a symptom of an anxious spirit. His wisdom has allowed me to confront complex problems that cannot be resolved simply following norms, but using instead a kind of thinking that allows you to navigate conflicts without being trapped in them. The way of thinking that he proposes opens us to the Spirit and to the discernment of spirits. If you don´t open up, you can´t discern. Hence my allergy to moralisms and other -isms that try to resolve all problems with prescriptions, equations, and rules. Like Guardini, I believe in objective truths and solid principles."
"Guardini gab mir eine verblüffende Einsicht beim Umgang mit Konflikten, indem er ihre Komplexität analysierte und dabei jeglichen vereinfachenden Reduktionismus vermied: Es gibt Unterschiede, die in Spannung zueinander stehen, und diese ziehen auseinander, aber alles koexistiert innerhalb einer größeren Einheit. Zu verstehen, wie offenbare Widersprüche metaphysisch durch Unterscheidung zu lösen sind, war das Thema meiner Doktorarbeit über Guardini, für die ich 1986 zu Forschungszwecken nach Deutschland ging. Ich habe einige Jahre daran gearbeitet, sie aber nie beendet. Aber die Arbeit hat mir sehr geholfen, besonders beim Umgang mit Spannungen und Konflikten. (Mehr als zwanzig Jahre später, 2012, nachdem ich das 75. Lebensjahr vollendet hatte und dachte, Papst Benedikt würde meinen rücktritt als Erzbischof von Buenos Aires annehmen, habe ich überlegt, die Arbeit doch noch zu beenden. Aber im März 2013 wurde ich dann in ein anderes Bistum versetzt. Und schließlich habe ich alles, was ich geschrieben hatte, einem Priester gegeben, der Guardini studierte. Eine der Auswirkungen von Konflikten ist, als Widerspruch zu sehen, was in Wirklichkeit ein Gegensatz ist. Ein Gegensatz bringt zwei sich gegenseitig abstoßende Pole in Spannung zueinander: Horizont/Begrenzung, lokal/global, das Ganze/ein Teil, und so weiter. Es sind Gegensätze, die trotz allem in fruchtbarer, kreativer Spannung zueinander stehen. Wie Guardini es mich gelehrt hat, ist die Schöpfung voller lebendiger Gegensätze, sie lassen uns lebendig und dynamisch sein. Widersprüche auf der anderen Seite verlangen unsere Entscheidung zwischen Richtig und Falsch (Gut und Böse hingegen können nie ein Gegensatz sein, weil das Böse nicht gegen das Gute steht, sondern es negiert.) Gegensätze als Widersprüche zu sehen ist Ergebnis mittelmäßigen Denkens, das uns von der Wirklichkeit entfernt. Der böse Geist - der Geistes des Konflikt, der Dialog und Geschwisterlichkeit schwächt - macht aus Gegensätzen Widersprüche und verlangt so unsere Entscheidung. Er reduziert Wirklichkeit auf eine binäre Lösung. Das tun Ideologien und skrupellose Politiker. Wenn wir also auf einen Widerspruch stoßen, der uns nicht erlaubt, uns in Richtung einer echten Lösung zu bewegen, dann wissen wir, dass wir es mit einem reduktiven, einseitigen geistigen Schema zu tun haben, das wir versuchen müssen, zu überwinden. Aber der böse Geist kann auch die Spannung zwischen zwei ..." S. 78: "Guardini gave me a startling insight to deal with conflicts, analyzing their complexity while avoiding any simplifying reductionism: there exist differences in tension, pulling apart, but all coexist within a larger unity. Understanding how apparent contradictions could be resolved metaphysically, through discernment, was the topic of my thesis on Guardini, which I went to Germany to research. I worked on it for some ydears but never finished writing it up. But the thesis has helped me a lot, especially in managing tensions and conflicts. (Twenty years later, in 2012, after I turned seventy-five, when I thought Pope Benedict might accept my resignation as Archbishop of Buenos Aires, it occurred to me for a time that I might, after all, finsish the theseis. But in March 2013 I was transferred to another diocese. Inthe end I gave what I had written to a priest who was studying Guardini.) One of the effects of conflict is to see as contraditctions whtat are in fact contrapositions, as I like to call them. A contraposition involves two poles in tension, pulling away from each other: horizon/limit, local/global, whole/part, and so son. These are contrapositions because they are opposites that nonetheles interact in a fruitful, creative tension. As Guardini taught me, creation is full of these living polarities, or Gegensätze; they are what make us alive and dynamic. Contradictions (Widersprüche) on the other hand demand that we choose, between right and wrong. (Good and evil can never be an contraposition, because evil is not the counterpart of good but its negation.) To see contrapositions as contradictions is the result of mediocre thinking that takes us away from reality. The bad spirit - the spirit of conflict, which undermines dialogue and fraternity - turns contrapositions into contradictions, demanding we choose, and reducing reality to simple binaries. This is what ideologies and unscrupulous politicians do. So when we run up against a contradiction that does not allow us to advance to a real solution, we know we are faced with a reductive, partial mental scheme that we must try to move beyond. But the bad spirit can also deny the tension between two poles in contraposition, opting instead for a kind of static coexistence. This is the danger of relativism or false irenicism, an attitude of "peace at any price" in which the goal is to avoid conflict altogether. In this case, there can be no solution, because the tension has been denied, and abandoned. This is also a refusal to accept reality. So we have two temptations: on the one hand, to wrap ourselves in the banner of one side or the other, exacerbating the conflict; on the other, to avoid engaging in conflict altogether, denying the tension involved and washing our hands of it. The task of the reconciler is instead to "endure" the conflict, facing it head-on, and by discerning see beyond the surface reasons for disagreement, opening those involved to the possibility of a new synthesis, ohne that does not destroy either pole, but preserves what is good and valid in both in a new perspective."

Kritik an der deutschen Übersetzung: Papst Franziskus setzt hier im Englischen bewußt die Unterschiede von opposites, oppositions, contrapositions und counterparts im Vergleich zu contradictions ein. Diese Differenzierungen werden im Deutschen mit "Gegensätze" nivelliert oder in Sätze hinein aufgelöst. Indem er contraposition versus contradiction als Gegenposition versus Gegenspruch (Widerspruch) setzt, unterstreicht er noch einmal die leichte Verwechselbarkeit, die von Ideologien (-ismen) bewußt ausgenutzt wird.

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