Katholikentag 1922

Aus Romano-Guardini-Handbuch

Der 63. Deutsche Katholikentag 1922, auch "Generalversammlung der deutschen Katholiken 1922" genannt, fand am 27. bis 30. August 1922 in München statt.

Innerkirchliche und politische Schwer- und Streitpunkte

  • Einer der Schwer- und Streitpunkte des Katholikentags war das Verhältnis der katholischen Kirche zur Weimarer Republik.
  • Michael Kardinal Faulhaber positionierte sich in seiner Eröffnungsrede gegen die Novemberrevolution von 1918 und die darauf folgende Gründung der Weimarer Republik: Doch Faulhaber bezeichnete nicht nur die Revolution als Meineid und Hochverrat, er brachte auch die Weimarer Reichsverfassung, wenn auch nur implizit, in Verbindung mit diesen Vorwürfen: "Wehe dem Staate, der seine Rechtsordnung und Gesetzgebung nicht auf den Boden der zehn Gebote Gottes stellt, der eine Verfassung schafft ohne den Namen Gottes […]. Wo die Gesetze eines Staates mit den Geboten Gottes in Widerspruch stehen, da gilt der Satz: Gottesrecht bricht Staatsrecht." (Faulhaber, S. 3) "Kompromisse sind unvermeidlich zum Ausgleich der Gegensätze und Interessen. Ueber allen Kompromissen aber stehen wie die ewigen Sterne die Grundsätze, und es kann eine Grenze kommen, wo es heißt: Bis hierher und nicht weiter! Die Revolution war Meineid und Hochverrat und bleibt in der Geschichte erblich belastet und mit dem Kainsmal gezeichnet. Auch wenn der Umsturz ein paar Erfolge brachte, wenn er den Bekennern des katholischen Glaubens den Weg zu den höheren Aemtern weit mehr als früher erschloß, – ein sittlicher Charakter wertet nicht nach den Erfolgen, eine Untat darf der Erfolge wegen nicht heilig gesprochen werden." (Faulhaber, S. 4)
  • Der amtierende Katholikentagspräsident und Kölner Oberbürgermeister Konrad Adenauer entgegnete in seiner Schlussansprache dem Kardinal: Wo viel Licht, da ist auch viel Schatten. Auch von diesem Schatten zu sprechen, ist meine Pflicht. Es sind hie und da Äußerungen gefallen, die man sich aus Verhältnissen örtlicher Natur erklären kann, hinter denen aber die Gesamtheit der deutschen Katholiken nicht steht. Unsere Einigkeit in der Einschätzung und Bewertung mancher Dinge leidet unter der Verschiedenheit unserer Beurteilung der gegenwärtigen staatlichen Verhältnisse. […] Ich erblicke in dieser Verschiedenheit der Beurteilung eine nicht zu unterschätzende Gefahr für die Aktionsfähigkeit der deutschen Katholiken […]. Manche katholischen Kreise müssen ihr Gefühl etwas zurücktreten lassen. […] Nötig ist auch die kühle und klare Erkenntnis der Dinge und der Möglichkeiten. Es verrät Mangel an historischem Blick, die heutige Verfassung verantwortlich zu machen für die heutigen Zustände." (Adenauer, S. 204 f.) Indem er auf den "kristallklaren Vortrag" des Moraltheologen und Zentrumspolitikers Joseph Mausbachs verwies, der die Kirchenartikel der Weimarer Reichsverfassung maßgeblich beeinflusst hatte, stellte sich Adenauer unmissverständlich auf die Seite der "Vernunftrepublikaner", die die Weimarer Reichsverfassung ohne Gottesbezug und die Republik befürworteten. Außerdem betonte er: "Soweit wir das irgendwie können, müssen wir mit Bestrebungen Gleichgesinnter im evangelischen Lager Hand in Hand gehen und suchen, uns gegenseitig zu unterstützen und zu fördern. Wir brauchen dabei keine Befürchtungen zu haben, unsere besonderen katholischen Grundsätze litten Schaden. Sie sollen und werden davon vollständig unberührt bleiben. Aber, von einem getrennten »Schlagen«, sicher erst von einem gegenseitigen Befehden der katholischen und evangelischen Christengläubigen hat nur der gemeinsame Feind, der nichtchristliche Geist, Nutzen."
  • Der Quickborner Robert Steidle (1896-1979) trug am 28. August 1927 bei diesem Katholikentag die von Münchner Quickbornern vorbereite, am 27. August 1922 beschlossene „Münchner Formel“ vor: “Wir jungen Christen aller Stände bekennen und freudig zur heiligen katholischen Kirche, der wir in Gehorsam, treuer Liebe und in Gemeinschaft mit dem ganzen deutschen Volke dienen wollen. Durch ungebrochene Wahrhaftigkeit, opferfreudige Einfachheit und liebevolle Gemeinschaft wollen wir tätig mitwirken am geistigen und sittlichen Wiederaufbau unseres Volkes. Helft uns alle, soweit ihr nicht in unseren Reihen steht, durch tätige Mitarbeit an unseren Bestrebungen in euren Lebenskreisen.” (Alfred Müller: Katholikentag und Jugend, in: Quickborn, 10, 1922/23, S. 194.)

Guardini auf dem Katholikentag 1922

Bislang konnte eine aktive Teilnahme Guardinis am Katholikentag 1922 in München nicht nachgewiesen werden, es gibt lediglich zwei Indizien, also Hinweise von dritter Seite, die zumindest auf seine Anwesenheit im Rahmen der Versammlung der katholischen Jugendbewegungen schließen lassen.

Äußerungen über Max Scheler

  • Giancarlo Caronello (Max Scheler und Carl Schmitt, zwei Positionen des katholischen Renouveau in Deutschland. Eine Fallstudie über die Summa (1917/1918), in: Christian Bermes/Wolfhart Henckmann/Heinz Leonardy (Hrsg.): Vernunft und Gefühl. Schelers Phänomenologie des emotionalen Lebens, 2003, S. 229) behauptet: "Vom Münchener Katholikentag (1922) wird Schmitt, der für einen Vortrag vorgesehen war, ausgeladen. Scheler wird von Romano Guardini offen des theologischen Machiavellismus bezichtigt." Diese Verbindung legt einerseits nahe, aber keineswegs zwingend, dass diese Äußerung Guardinis auf dem Münchener Katholikentag stattfand.

Begegnung mit Paul Doncœur SJ (1880-1961)

  • Vgl. Marie-Emmanuelle Reytier: "Frankreich irrt". Die deutschen Katholikentage 1921 und 1922 als politische Tribüne gegen die Politik Frankreichs, in: Historisches Jahrbuch, 127, 2007, S. 331-352, zu Doncœur S. 343: "Als Doncœur während des Katholikentages 1922 der Versammlung der neuen Jugendbewegungen beiwohnte, bat man ihn, ein paar Worte zu sagen. So war er der erste französische Katholik, der nach dem Ende des Krieges auf einem Katholikentag das Wort ergriff. Er rief die Jugend auf der Grundlage ihres gemeinsamen Glaubens an Jesus zu Versöhnung und Vergebung auf, um "dem Heidentum, das in jedem unserer Länder existiert", entgegenzuwirken.[55 Paul Doncœur, "Wotan ou Jésus?". Le conflit entre le nationalisme paien et le catholicisme loyaliste en Allemagne, in: Etudes, 179, 1924, 20. April, S. 156-173; ders.: "Wotan ou Jésus?". Le conflit entre le nationalisme paien et le catholicisme loayliste en Allemagne. II - Les Eglises néogermaniques, in: Etudes, 179, 1924, 5. Mai, S. 283-300, hier S. 299] Nach seiner Rückkehr aus München setzte Paul Doncœur in seiner Hoffnung auf Versöhnung weiterhin auf die neuen Jugendbewegungen, die er den französischen Jugendlichen in den "Etudes" als Modell präsentierte.[56 Vgl. Paul Doncœur, Aux écoutes de l´ALlemagne qui vient. II - La nouvelle jeunesse catholiqeus allemande, in: Etudes, 174, 1922, 20 Dezember, S. 662-683, hier S. 662ff., 673-683; ders.: "In viam pacis ..." I - Le IIIe Congrés international de la Jeunesse catholique. Innsbruck (août 1923), in: Etudes, 177, 1923, 5. Mai, S. 67-78; ders.: "In viam pacis ...". II - A travers la jeune Allemagne catholique, in: Ethudes, 177, 1923, 5. Dezember, S. 571-593] Unter dem starken Eindruck seiner Begegnung mit Romano Guardini[57 Vgl. Walter Ferber, Romano Guardini (1885-1968), in: Morsey, Zeitgeschichte in Lebensbildern, Bd. I, Mainz 1973, S. 287-295) auf dem Katholikentag in München gründete er außerdem die "Cadets" nach dem Beispiel von "Quickborn".
  • "Me trouvant, il y a deux ans au congrès de Münich, j'avais été prié de parler à la grande réunion de jeunes gens où toutes les associations catholiques du pays étaient représentées. (...)." (Etudes, 1924, S. 300)
  • Da Doncoeur auch sehr ausführlich von Burg Rothenfels berichtet, scheint er auch dort gewesen zu sein, vermutlich auf dem 4. Quickborntag, der Mitte August dem Katholikentag vorausging. Ob Doncoeur dort Guardini getroffen hat oder Guardini Teil der Quickborn-Delegation auf dem Müchener Katholikentag war, ist noch unklar.