Houston Stewart Chamberlain

Aus Romano-Guardini-Handbuch

Houston Stewart Chamberlain (1855-1927)

Biographie

Biographie bis 1905

  • Nach dem frühen Tod seiner Mutter wuchs der Sohn des britischen Generals William Charles Chamberlain von 1856 bis 1866 bei der Großmutter in Paris auf.
  • Nach dem Besuch einer englischen Privatschule und Privatunterricht bei einem deutschen Theologen unternahm Chamberlain zunächst zahlreiche Auslandsreisen, bevor er 1879 in Genf naturwissenschaftliche Studien aufnahm. In dieser Zeit wird er zum großen Bewunderer Richard Wagners, obgleich er ihn nie persönlich kennenlernen sollte.
  • Von 1884 bis 1889 hielt sich Chamberlain in Dresden auf. Dabei forschte er im Bereich der Botanik. Gleichzeitig beschäftigt er sich intensiv mit der deutschen Klassik und dem deutschen Idealismus.
  • 1889 siedelte er nach Wien über, betätigte sich dort als freier Schriftsteller und veröffentlichte unter anderem seine zweibändige Monographie zu Richard Wagner.
  • 1899 erschienen die besagten zwei kulturhistorischen Bände über „Die Grundlagen des 19. Jahrhunderts“. Im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts war sie das meistverkaufte Werk dieser Art im deutschen Sprachgebiet.
  • Zu Chamberlains größten Bewunderern gehörte Kaiser Wilhelm II., der bei Hof Exemplare dieses Buchs verteilte und der Chamberlain ab Oktober 1901 wiederholt trifft (am ersten Treffen hatte auch Adolf von Harnack teilgenommen) und im Briefwechsel mit ihm steht (Der Briefwechsel mit Kaiser Wilhelm II. wird posthum bereits 1928 publiziert; auch Harnack stand im Briefwechsel mit Chamberlain; siehe: Wolfram Kinzig: Harnack, Marcion und das Judentum. Nebst einer Edition des Briefwechsels zwischen Adolf von Harnack und Houston Stewart Chamberlain, Leipzig 2004).
  • Bereits 1903 hatte er unter dem Titel „Dilettantismus, Rasse, Monotheismus, Rom“ (München, 1903) über das Thema der Rasse geschrieben.

Biographie nach 1905

  • Von Cosma Wagner in Bayreuth eingeführt, heiratete er 1908 (1909?) Richard Wagners Tochter Eva von Bülow und lebte seither in Bayreuth im Kreise der Wagner-Familie.
  • Mit Beginn des Ersten Weltkriegs richtete er sich chauvinistisch vor allem gegen sein Mutterland England, dessen Kriegseintritt er als Verrat an der gemeinsamen Rasse charakterisiert.
  • Er nahm 1916 die deutsche Staatsbürgerschaft an und veröffentlichte seine rassistische Schrift „Arische Weltanschauung“, 1918 gefolgt von „Rasse und Nation“ und 1925 von „Rasse und Persönlichkeit“.
  • 1922 erschien sein autobiographisches Werk „Lebenswege meines Denkens“. Bezüglich der Wechselwirkung der Rassenlehre, siehe David Clay Large: Ein Spiegelbild des Meisters? Die Rassenlehre von Houston Stewart Chamberlain, in: Dieter Borchmeyer/Ami Maayani/Susanne Vill (Hrsg.): Richard Wagner und die Juden. Stuttgart, Weimar: Metzler, 2000, S. 144-159.
  • Adolf Hitler war Bewunderer seiner Werke und traf sich Ende September 1923 erstmals mit Chamberlain in Bayreuth. Nach der Begegnung rühmte Chamberlain den nationalsozialistischen Politiker und hielt ihn für den Erlöser.
  • Chamberlain starb 1927 „mit der sicheren Gewissheit, den Propheten entdeckt zu haben, der die Arier zum Sieg führen werde“ (Mosse 1990, S. 130).

Die Grundlagen des 19. Jahrhunderts

  • In den „Grundlagen des 19. Jahrhunderts“ schilderte Chamberlain die abendländische Geschichte als einen Kampf der Rassen. Er beschrieb dabei - als Weiterentwicklung von Gobineaus rassistischem Weltbild - die „Arier” als die einzige kultur-schöpferische Rasse, die nach den vielen "Vermischungen mit Juden" ihre "Reinheit" unbedingt wiedererlangen müsse. Er setzte die Rasse als Lebensfrage, sah die Juden als Vampir am Leibe der Menschheit und die Germanen als Spitze der Arier an. Die "Arier", und vor allem die Deutschen hätten die christliche Kultur gegenüber den Einflüssen des Judentums aufrechterhalten und wären jetzt dazu berufen, die westliche Kultur überhaupt zu retten. Die Juden erscheinen so als die Antithese zu den "Ariern", die besiegt werden müssten. Der „Kampf der Rassen” wird als apokalyptischen Phantasie und Imagination gestaltet. Kritisiert werden auch die freisinnigen Parteien, die sich aus liberaler Überzeugung für die Gleichstellung der Juden einsetzten und somit zur "Juden-Schutztruppe" würden.
  • Schon in den „Grundlagen des 19. Jahrhunderts” führte die Berufung auf Kant über Nietzsche direkt in den arischen und nationalsozialistischen Finitismus. Chamberlain schrieb, erst Kant habe „das Truggebäude der römischen Theologie endgültig zertrümmert, er `der Alleszermalmer´, wie ihn Moses Mendelssohn treffend nennt” (Chamberlain, Grundlagen, S. 871). Er stilisierte Kant zu einem zweiten „Johannes, `der vor dem Herrn hergeht und seinen Weg bereitet´. Dahin — zu einem geläuterten Christentum — drängte die neue germanische Weltanschauung alle größten Geister am Schlusse des 18. Jahrhunderts” (Chamberlain, Grundlagen, S. 943f.). Außerdem sei Kant „der wahre Fortsetzer Luther‘s; was dieser begonnen, hat Kant weiter ausgebaut” (Chamberlain, Grundlagen, S. 946). Im Kapitel „Völkerchaos” zitierte er einleitend Kants Wahrscheinlichkeitsurteil, „dass die Vermischung der Stämme, welche nach und nach die Charaktere auslöscht, dem Menschengeschlecht, alles vorgeblichen Philanthropismus ungeachtet, nicht zuträglich sei” (Chamberlain, Grundlagen, S. 308).
  • Diese Andeutungen führte Chamberlain in seiner 1905 veröffentlichten Kant-Studie dann noch konkreter aus (Chamberlain, Immanuel Kant. München, 1905 u.ö.).
  • Für beide Werke gilt, was der Philosoph und Pädagoge August Messer, der schon 1905 im Zuge des Modernismus-Streites aus der römisch-katholische Kirche ausgetreten war, in seiner Besprechung im katholischen „Hochland“ von 1906/07 zu „Chamberlains Kant“ geschrieben und Guardini durchaus gelesen haben könnte: „KRITIK an KANT wird nicht geübt; Kant hat immer recht. Und dass dies noch nicht allgemein anerkannt ist, das beruht nach Chamberlain hauptsächlich da-rauf, dass seine bisherigen Interpreten zu der bornierten Zunft der Fachphilosophen gehört haben. … VIELLEICHT HAT ER KANT GAR NICHT RECHT VERSTANDEN. Dieser Verdacht aber wird zur Gewissheit, wenn man im Einzelnen prüft, wie er sich über einige der grundlegenden Begriffe Kants (z.B. transzendental, a priori, Idee usw.) auslässt“ (August Messer: Chamberlains Kant, in: Hochland, 4, 1906/07, Bd. 1, H. 6, S. 752-754).

"Die arische Weltanschauung" und "Rasse und Persönlichkeit"

Die Nachfolgewerke „Die arische Weltanschauung” (1916) und „Rasse und Persönlichkeit” (1925) schließlich beeinflussten Hitler und seine Ideologen unmittelbar (Vgl. Alfred Rosenberg: Houston Stewart Chamberlain als Verkünder und Begründer einer deutschen Zukunft. München 1927). Juden bzw. Nicht-Arier und Deutsche bzw. Arier werden darin von Chamberlain immer stärker als Paradigma sich ausschließender Gegensätze vorgestellt. Chamberlain versteht sich in diesen Werken ausdrücklich als einer, der mit seinen Theorien die Kantische Dialektik zur Vollendung bringt (Vgl. Hans Vaihinger: Houston Stewart Chamberlain – ein Jünger Kants, in: Kant-Studien 7, 1902, 432–439).

Chamberlains Dante-Kritik

  • Bei der Lektüre der „Grundlagen des 19. Jahrhunderts“ dürfte dem zu diesem Zeitpunkt zumindest als Dante-Bewunderer ausgewiesenen Guardini die vernichtende Kritik Chamberlains an dessen politischen Vorstellungen aufgestoßen sein. Chamberlain warf Dante nämlich vor: “Wie konnte ein Mann von Dante‘s Geistesschärfe sich als orthodoxer römischer Katholik betrachten und dennoch die Scheidung der weltlichen und der geistlichen Gewalt, sowie die Unterordnung dieser unter jene verlangen? Rom IST ja gerade der Erbe der höchsten weltlichen Gewalt; nur als seine mandatarii führen die Fürsten das Schwert, und Bonifaz VIII. erstaunte die Welt nur durch seine Unumwundenheit, nicht durch die Neuheit seines Standpunktes, als er ausrief: ego sum Caesar! ego sum Imperator! Sobald Rom diesen Anspruch aufgäbe (und sei er den tatsächlichen Verhältnissen gegenüber noch so theoretisch), so hätte es sich den Todesstoß versetzt. Man vergesse nie, dass die Kirche ihre ganze Autorität aus der Annahme schöpft, sie sei die Vertreterin Gottes...”
  • Dante sei in Bezug auf seine Anschauungen über das Verhältnis zwischen Staat und Kirche „ganz und gar in karlinisch-ottonischen Anschauungen und Träumereien befangen und bleibt eigentümlich blind für die große politische Umwälzung Europa‘s, die um ihn herum so stürmisch sich ankündet.” Er stehe damit am Ende dieser Epoche. Da „Katholische Reformation” eine „contradictio in adjecto“ sei, konnten seine weitgreifenden Reformideen auf die Kirche „nicht den geringsten Einfluss” ausüben, „weder im Leben noch im Tode”. Gerade weil er, wie sein „neuester und verdienter römisch-katholischer Biograph” Franz-Xaver Kraus ihn rühme, „nicht nach Art der Häresie eine Reform GEGEN die Kirche, sondern DURCH die Kirche ins Auge gefasst” hatte , sei er mit seiner Kritik am Papst, an der römischen Priesterschaft und am Ablasswesen gescheitert. „Dante‘s Ansichten über das rein geistige, der weltlichen Macht untergeordnete Amt der Kirche” seien „durch die Absätze 75 und 76 des Syllabus vom Jahre 1864 einem zweifachen Anathema verfallen.“ Chamberlain sieht in Dante daher auch einen, der „er zu der gefährlichsten Klasse der echten Protestler gehörte” und unterstellt den Verteidigern „eine lendenlahme, einsichtslose Orthodoxie, welche Dante heute weißzuwaschen sucht.“ Dante sei weiter gegangen als Karl der Große mit seiner cäsaropapistischen Idee, dass der Kaiser „die doppelte Gewalt besitzen sollte, im Gegensatz zur Papocäsarie, die der römische pontifex rnaximus erstrebte.” Während also Karl der Große „wenigstens innerhalb des echten römischen Weltherrschaftsgedankens” geblieben sei, habe Dante „die gänzliche Trennung von Kirche und Staat” gefordert. „Dante schilt Konstantin die Ursache alles Übels, weil er den Kirchenstaat gegründet habe... weil er die Kirche auf Irrwege geleitet, sodann weil er sein eigenes Reich geschwächt habe. Im 55. Vers des 20. Gesanges des Paradiso sagt er, Konstantin habe, indem er der Kirche Macht verlieh, `die Welt vernichtet´.” Dante vertrete damit „eine durchaus heidnisch-historische Lehre“: „Die Vorstellung, dass die Weltherrschaft das rechtmäßige Erbe des römischen Reiches sei!... Wie ist es möglich, so nahe an der Grundidee von Rom‘s Kirchenmacht vorbeizustreifen und sie doch nicht zu fassen? Denn gerade die Kirche ist ja die Erbin jener Weltmacht. Durch ihre Besitzergreifung entstand erst die civitas Dei. Schon längst hatte Augustinus mit einer Gewalt der Logik, die man Dante und seinen Apologeten wünschen möchte, dargetan, die Macht des Staates beruhe auf der Macht der Sünde; nunmehr, da durch Christi Tod die Macht der Sünde gebrochen sei, habe der Staat sich der Kirche zu unterwerfen, mit anderen Worten, die Kirche stehe fortan an der Spitze des staatlichen Regimentes. Der Papst ist nach der orthodoxen Lehre der Vertreter Gottes, vicarius Dei in terris...; wäre er bloß der „Vertreter Christi“ oder der „Nachfolger Petri“, so ließe sich allenfalls das Amt als ein ausschließlich seelsorgerisches auffassen, denn Christus sprach: Mein Reich ist NICHT von dieser Welt; doch wer sollte sich über den Vertreter der allmächtigen Gottheit auf Erden irgend eine Autorität anmaßen? Wer dürfte leugnen, dass das Zeitliche Gott ebenso untersteht, wie das Ewige? Wer es wagen, ihm in irgend einer Beziehung die Suprematie zu verweigern?... Durch die Reformation erstarkte später die katholische Kirche; denn durch sie schieden unassimilierbare Elemente aus ihrer Mitte aus, die ihr in der Gestalt unterwürfiger und dennoch aufrührerischer Söhne — nach Art Karl‘s des Großen und Dante‘s — weit mehr Gefahr brachten, als wären sie Feinde gewesen, Elemente, welche innerlich die logische Entwicklung des römischen Ideals hemmten und äußerlich sie wenig oder gar nicht fördern konnten. Ein Karl der Große mit einem Dante als Reichskanzler hätte die römische Kirche in den Grund gebohrt; ein Luther dagegen klärt sie dermaßen über sich selbst auf, dass das Konzil von Trient den Morgen eines neuen Tages für sie bedeutet hat.”
  • Chamberlain äußerte sich schließlich in Bezug auf Dante auch noch über die „Theorie der duplex potestas, der zweiköpfigen Gewalt“: „Den meisten Gebildeten ist sie hauptsächlich aus Dante‘s De Monarchia bekannt, wenngleich sie früher und gleichzeitig und auch später von Anderen vorgetragen wurde. Bei aller Verehrung für den gewaltigen Dichter glaube ich kaum, dass ein politisch urteilsfähiger und nicht von Parteileidenschaft geblendeter Mensch diese Schrift aufmerksam lesen kann, ohne sie einfach ungeheuerlich zu finden. Großartig wirkt allerdings die Konsequenz und der Mut, womit Dante dem Papste jede Spur von weltlicher Gewalt und weltlichem Besitz abspricht; doch, indem er die Fülle dieser Gewalt einem Anderen überträgt, indem er der Macht dieses Anderen die rein theokratische Quelle unmittelbar göttlicher Einsetzung vindiziert, hat er nur einen Tyrannen an die Stelle eines Anderen gesetzt. Von den Kurfürsten meint er, man dürfe sie nicht „Wähler“ nennen, sondern vielmehr „Verkündiger der göttlichen Vorsehung“ (III, 16); das ist ja die ungeschminkte papale Theorie! Dann aber kommt erst die Ungeheuerlichkeit: neben diesem unumschränkten, von Gott selbst „ohne irgend einen Vermittler“ eingesetzten Alleinherrscher gibt es noch einen, ebenfalls von Gott selbst eingesetzten, ebenfalls unumschränkten Alleinherrscher, den Papst! Denn „des Menschen Natur ist eine doppelte und bedarf darum einer doppelten Leitung“, nämlich „des Papstes, der in Gemäßheit der Offenbarung das Menschengeschlecht zum ewigen Leben führt, und des Kaisers, der im Anschluss an die Lehren der Philosophen die Menschen zur irdischen Glückseligkeit leiten soll“. Schon philosophisch ist dieser Gedanke eine Ungeheuerlichkeit; denn nach ihm soll das Streben nach einem diesseitigen, rein irdischen Glück Hand in Hand mit der Erlangung eines jenseitigen ewigen Glückes gehen; praktisch bedeutet er die unhaltbarste Wahnvorstellung, die jemals ein Dichterhirn ausbrütete. Wir dürfen als ursätzliche Wahrheit annehmen, dass Universalismus Absolutismus mit sich führt, d. h. Unbedingtheit; wie könnten denn ZWEI unbedingte Herrscher nebeneinander stehen? Nicht einen Schritt kann der Eine machen, ohne den Anderen zu „bedingen“. Wo soll man eine Grenze zwischen der Jurisdiktion des „philosophischen“ Kaisers, des unmittelbaren Vertreters Gottes als Weltweisen, und der Jurisdiktion des theologischen Kaisers, des Vermittlers des ewigen Lebens ziehen? Bildet jene „Doppelnatur“ des Menschen, von der Dante viel spricht, nicht dennoch eine Einheit? Vermag sie es, sich fein säuberlich in zwei zu teilen und — im Widerspruch mit dem Worte Christi — zwei Herren zu dienen? Schon das Wort MONARCHIE bedeutet die Regierung durch einen Einzigen, und jetzt soll die Monarchie zwei Alleinherrscher besitzen? Die Praxis kennt eine derartige zwiespältige Idee gar nicht.“
  • Aufgrund endloser politischer Wirren sei es damals zu manch unklaren Ideen gekommen. Dazu zählte Chamberlain auch jenen „Satz des alten Kirchenrechtes von den BEIDEN SCHWERTERN des Staates, de duobus universis monarchiae gladiis; doch hat, wie obiger Satz mit seinem Genitiv der Einzahl beweist, der praktische Politiker sich die Sache nie so ungeheuerlich vorgestellt wie der Dichter; für ihn gab es doch nur EINE Monarchie, und ihr dienen BEIDE Schwerter. Diese eine Monarchie ist die Kirche: ein weltliches und zugleich überweltliches Imperium. Und weil die Idee dieses Imperiums eine so durch und durch theokratische ist, kann es uns nicht wundern, wenn die höchste Gewalt allmählich vom König auf den pontifex übergeht. Dass beide gleich hoch stehen sollten, ist durch die Natur des Menschen völlig ausgeschlossen; selbst Dante sagt am Schlusse seiner Schrift, der Kaiser solle „dem Petrus Ehrerbietung bezeigen“ und sich von dessen Licht `bestrahlen lassen´; er gibt also implicite zu, der Papst stehe über dem Kaiser. Endlich hellte ein starker, klarer Geist, politisch und juristisch hochgebildet, diese Wirrnis geschichtlicher Trugschlüsse und abstrakter Hirngespinste auf.”
  • Abschließend kam Chamberlain dann zu einem geradezu vernichtenden Urteil über Dante: “Man denke doch, in welcher machtvollen Unabhängigkeit ein Dante vor uns stünde, wenn er seine Hölle nicht bei Virgil erborgt und seine Staatsideale nicht aus konstantinopolitanischem Afterrecht und der Civitas Dei des Augustinus zusammengeschweißt hätte! Und warum wurde diese Berührung mit den vergangenen Kulturen, welche ungeteilten Segen hätte bringen sollen, vielfach zum Fluch? Das geschah lediglich, weil wir die INDIVIDUALITÄT einer jeden Kulturerscheinung nicht begriffen - heute noch, den Göttern sei es geklagt! nicht begreifen.”
  • Außer Dante, Vergil und Augustinus traf letztlich auch noch Aristoteles das Verdikt Chamberlains. Bei Dante handle es sich nämlich um „ein aristotelisches, aus lauter abstraktem Spinngewebe errichtetes Vernunftgerüst..., in dessen Credo die einzige sichere Grundlage aller uns Germanen in Wahrheit möglichen Religion — die Erfahrung — vollständig fehlt und der Name Christi konsequenterweise gar nicht einmal genannt wird.”
  • Der reformkatholische Kirchenhistoriker Albert Ehrhard nahm in seinem 1901 publizierten, in Wien bei der akademischen „Leo-Gesellschaft“ gehaltenen Vortrag „H. Stewart Chamberlain´s `Grundlagen des 19. Jahrhunderts´“ und 1902 in seiner Studie „Der Katholizismus und das zwanzigste Jahrhundert im Lichte der kirchlichen Entwicklung der Neuzeit“ (Stuttgart 1902) ausdrücklich gegen Chamberlains Werk Stellung. Erhard wandte sich dort sowohl gegen eine Mittelalterverherrlichung, versuchte sowohl das Mittelalter als auch die Neuzeit differenziert darzustellen und auch die Kultur schaffende Bedeutung des Katholizismus ins rechte Licht zu rücken.
  • Auch der Münchner Bruckmann Verlag gab 1901 „Kritische Urteile“ zu „Houston Stewart Chamberlain: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts“ heraus. Es handelte sich um eine Zusammenfassung mehrerer Rezensionen, so unter anderem von Oscar Bulle, Hans F. Helmolt, Albert Ehrhard, Wolfgang Golther, Arthur Drews, Ferdinand Hueppe , Max Koch, Richard Batka, Gustav Schönaich, Karl Joel, Karl Krumbacher, Gustav Krüger, Ernst Storch und Ernst Freiherr von Wolzogen.
  • Der mehrfach von Chamberlain angeführte und mit Dante selbst verworfene Freiburger katholische Kirchenhistoriker und Archäologen Franz Xaver Kraus (1840-1901) war 1897 einer der ersten, die Dantes Verhältnis zur Politik herausgearbeitet hatten. Tatsächlich stand seine Dante-Interpretation der von Chamberlain diametral entgegen und lohnt hier als Kontrast dargestellt zu werden. Ob Guardini eine der Dante-Arbeiten des zu diesem Zeitpunkt schon verstorbenen Franz Xaver Kraus schon kannte, bevor er 1905 die „Grundlagen des 19. Jahrhunderts” von Houston Stewart Chamberlain las, ist eher unwahrscheinlich, aber auch nicht unmöglich. Den dahinterstehenden „Geist” lernte Guardini spätestens in Freiburg kennen, da Kraus in einer freundschaftlichen Beziehung zu Carl Braig , dem Freiburger Dogmatiker und Lehrer Guardinis, stand. Kraus war außerdem ein großer Newman-Kenner , was Guardini nicht entgangen sein dürfte. Und so verwundert es auch nicht, wenn Hans Urs von Balthasar wie selbstverständlich davon berichtete, dass Guardini später „gern auf Kraus“ zurückverwiesen habe und nicht anders gedacht und geredet habe wie Newman und Kraus. Kraus betonte in seinen Studien und seinen „Spektatorbriefen” stets den Vorrang des „religiösen Katholizismus” vor dem „politischen Katholizismus” (Zentrum, Ultramontanismus) und erstrebte als Kirchenpolitiker die Aussöhnung zwischen Katholizismus und moderner Kultur und wollte zu einem Geist erziehen, „der den Frieden zwischen Staat und Kirche sucht und liebt”. „1. Ultramontan ist, wer den Begriff der Kirche über den der Religion setzt. 2. Ultramontan ist, wer den Papst mit der Kirche verwechselt. 3. Ultramontan ist, er da glaubt, das Reich Gottes sei von dieser Welt, und es sei, wie das der mittelalterliche Kurialismus behauptet, in der Schlüsselgewalt Petri auch die weltliche Jurisdiktion über Fürsten und Völker eingeschlossen. 4 Ultramontan ist, wer da meint, religiöse Überzeugung könne durch materielle Gewalt erzwungen oder dürfe durch solche gebrochen werden. 5. Ultramontan ist, wer immer sich bereit findet, ein klares Gebot des eigenen Gewissens dem Ausspruch einer fremden Autorität zu opfern.“ Diese scharfe Polemik brachte natürlich in Gegensatz zur Zentrumspartei und den Ultramontanisten und damit in große kirchenpolitische Schwierigkeiten. Seine eigene liberale und nationale, keineswegs schon demokratische, sondern kaisertreue Position entspricht der historischen Rolle Dantes durchaus und dürfte Guardinis und Neundörfers damaligen Vorstellungen grundsätzlich entgegengekommen sein, wenn dieser eben die „Concordia Sacerdotii et Imperii” proklamierte. Kraus lehnt ausdrücklich eine Interpretation ab, die von einer „spezifisch-politischen Absicht des Dichters” und einem „sozusagen ausschließlich politischen Charakter der dantesken Allegorie” ausgeht. “Gleichwohl würden das Werk und die Mission Dante´s nicht verstanden werden, wollte man neben dem Dichter nicht auch dem Politiker sein Recht angedeihen lassen, wollte man namentlich darauf verzichten, in das Verständnis seiner Kirchenpolitik einzudringen und diese in den richtigen Zusammenhang mit seiner sittlich-religiösen Weltanschauung zu bringen.” Dante ist nach Kraus wohl der „Erste..., welcher die IDEEN DES MODERNEN CULTURSTAATES erkannt und ausgesprochen hat“: „Dieses Prinzip... hat sich beim Einzelnen, wie beim Ganzen zu bewähren, und bewährt sich unter Zuhilfenahme der subsidiären Ideen der Gerechtigkeit, der Freiheit und der Liebe: alle diese Gesichtspunkte drängen auf die Personifikation des Staatswesens in Einem Princeps. In dem menschlichen Organismus ist die Idee der Einheit gegeben; ebenso in dem gesellschaftlichen... Was der Gerechtigkeit am meisten entgegensteht, ist die Begehrlichkeit, welche die Grenzen ihres Rechts und ihrer Ansprüche überschreitet.... Der Hauptgrund der gesellschaftlichen Verwirrung liegt in der von dieser Begehrlichkeit angerichteten Schädigung. Begehrlichkeit herrscht aber bloß, wo etwas zu begehren ist.” Daher sei „der (Universal-)Monarch... der zuverlässigste Schutzherr der Gerechtigkeit auf Erden.“ „Neben der Gerechtigkeit ist es die Freiheit, welche hier in Betracht kommt. Das menschliche Geschlecht kann ohne Freiheit nicht glücklich sein... Die politische Freiheit aber ist zunächst begründet auf die Freiheit des Urteils, die Viele auf den Lippen, Wenige im Herzen haben.... Der Mensch ist nur frei, wenn die Begierde durch das Urteil geregelt wird... Dass auch der aus diesem Leben Abgeschiedene diese Freiheit des Willens bewahrt, ist der beste Beweis dafür, dass die Freiheit des Menschen höchstes Gut ist: sie ist: Sie ist das größte Geschenk Gottes... in den Demokratien, Oligarchien und den Tyranneien, d.i. also in den `schief´... regierten Staatswesen ist das Gebot der Selbstsucht maßgebend, welches eine Klasse der Bürger gegen die andere in Bewegung setzt. In der Monarchie dagegen nimmt der Monarch eine Stellung ein, welche ihm gestattet, ausgleichend zwischen die Interessen der einzelnen Klassen, Kategorien und Individuen zu treten und der die Schranken des Rechtes durchbrechenden Selbstsucht Grenzen zu setzen. Nur in einem solchen Staatswesen, fährt Dante fort, gelangt Jeder an seinen richtigen Platz, und bewährt es sich, dass das Volk nicht für den König, sondern der König für das Volk da ist... Der Monarch ist demnach der erste Diener des Gemeinwesens...: wie man sieht, spricht hier Dante zuerst ein Axiom aus, welches viele Jahrhunderte später von keinem Geringeren als Friedrich dem Großen aufgenommen worden ist.“ Kraus betonte und belegte außerdem, dass Monarchie und Reich für Dante identische Begriffe und Vorstellungen waren und der dahinterstehende Wille die Überwindung des mittelalterlichen Parteikampfes gewesen sei, was schließlich auch seine Kirchenpolitik bestimmt habe. Dante bekämpft daher „die durch die Constantinische Schenkung angeblich oder vermeintlich herbeigeführte Scission des Imperiums und die Übertragung eines Teils der kaiserlichen Gewalt auf den Papst.” Dagegen drängte er zu einer „Selbständigkeit und Unabhängigkeit des Imperiums vom Sacerdotium” , zu einem „idealen” Verständnis der katholischen Kirche und eine Kirchenreform in einem Sinne, der der franziskanischen Idee der Armut ähnlich ist. Mitnichten sei Dante daher ein „Gegner des Papsttums und des Katholizismus” gewesen, wie ihm Gegner unterstellten. Schließlich fasst Kraus noch einmal zusammen: Der Kulturstaat Dantes „hat nicht den Leidenschaften und Begierden der Fürsten und Völker zu dienen, sondern es geht seine Absicht auf die geistige und sittliche Bildung des Menschengeschlechtes (CIVILITAS), als die Vorbedingungen der Glückseligkeit, welches dieses Geschlecht auf Erden erstrebt und die es nicht erreichen kann ohne den allgemeinen FRIEDEN.“: „Diesen Absichten des Friedens und der Zivilisation kann der Staat nicht dienen, ohne dass ihm seine SOUVERÄNETÄT und UNABHÄNGIGKEIT zuerkannt wird. Und wiederum dient er ihr am besten und vollkommensten, wenn er monarchisch regiert wird... Er hat für Italien DEN NATIONALEN GEDANKEN zuerst erfasst und damit der ganzen nationalen Entwicklung die Wege gezeigt. Er hat, in dem Augenblick, wo die Völker Europa´s sich entschlossen zeigten die bei ihrem Eintritt in die Kirche und in die Reihe der zivilisierten Nationen willig übernommene und durch die geschichtliche Entwicklung einst gerechtfertigte, jetzt durch den Fortgang derselben geschichtlichen Entwicklung hinfällig gewordene Führung des Klerus in politischen und bürgerlichen Angelegenheiten künftighin abzulehnen, er hat da klarer und eindringlicher, als ein Anderer es je getan, darauf hingewiesen, dass das Reich Gottes nicht von dieser Welt sei. Er hat damit seiner Zeit und allen späteren Jahrhunderten den Weg gezeigt, auf welchem die REFORM DER KIRCHE an Haupt und Gliedern zu erreichen wäre und wie zugleich der fortschreitenden Entchristlichung der Gesellschaft hätte vorgebeugt werden können. Er hat damit das Banner des IDEALEN UND RELIGIÖSEN KATHOLICISMUS entfaltet, im Gegensatz zu dem politischen Katholizismus, welcher (in seinen bessern Vertretern gewiss in reiner Absicht) die Herrschaft über die Geister durch die Herrschaft über die Leiber erzwingen will und die weltliche Gewalt der geistlichen völlig unterordnet. Indem Dante beiden Gewalten ihre Sphäre zuwies, hat er, wenigstens ideell, die Harmonie derselben wieder hergestellt und tatsächlich die Grundlage herausgestellt, auf welcher sich jede ehrliche CONCORDIA SACERDOTII ET IMPERII aufbauen muss. Er hat sich damit an der Lösung eines Problems beteiligt, das auch heute noch für Staat und Kirche eine Lebensfrage ist.”

Kraus hat nun versucht das Erbe Dantes im 19. Jahrhundert anzutreten. Er ließ sich weder von den Vertretern des politischen noch des unpolitischen Katholizismus vereinnahmen, hielt ein Plädoyer für einen eigenständigen religiösen Katholizismus gegen die gängigen Säkularisierungs- und Integralisierungstendenzen. Ebensowenig ließ er sich von den Modernisten und Antimodernisten festlegen, sondern unterhielt zu beiden Seiten gute Kontakte. Gerade auch in politischer Hinsicht widersprach er den Chauvinisten und rassistischen Antisemiten, ebenso wie den „Weltbürgern“. Ein latenter, zum Teil sogar offener Antisemitismus im Sinne einer Warnung vor dem „jüdischen Typ“ des neuzeitlichen Denk- und Lebensstils, findet sich aber ganz seiner Zeit angepasst. Letztlich rief er aber kirchenpolitisch sowohl die Integralisten als auch die Separatisten auf den Plan. Insbesondere die Integralisten katholischerseits legten seine Kontakte mit Henry Bremond, Albert Ehrhard, Friedrich von Hügel, Alfred Loisy, Georg Tyrrell und anderen einseitig aus und brachten ihn immer wieder zur Anzeige. Der Quickborner und Kirchenhistoriker Hubert Schiel hat die diesbezüglich aufschlussreichen Briefwechsel und Verbindungen Freiburger und Tübinger Theologen, insbesondere aber Joseph Sauers zu Kraus und dokumentiert und ihn zu Recht „im Spannungsfeld von Kirche und Politik“ gestellt. Natürlich sind auch hier die Forschungen und Äußerungen von Guardini-Freund wie Philipp Funk und später auch von Heinrich Fries hoch interessant, letzte insbesondere im Verhältnis von Kraus zu Newman. Aufgrund seines frühen Todes und seiner innerkirchlichen Umstrittenheit, konnte sein Dante-Bild nicht gegen Chamberlains Dante-Verschnitt mithalten.

  • Die Auseinandersetzung der katholischen „Studien zum Mythus des XX. Jahrhunderts” mit Rosenbergs Pamphlet, zeigt den großen Einfluss auf den Nationalsozialisten und die Schwierigkeiten, den Fehldeutungen standzuhalten. Denn obwohl Rosenberg selbst Dante als „großen nordischen Italiener“ mit „germanisch bedingtem“ Schönheitsideal sieht, schließt er sich nun größtenteils im Mythus des XX. Jahrhunderts Chamberlains Deutung an. Bereits 1927 hatte Alfred Rosenberg aber „Houston Stewart Chamberlain als Verkünder und Begründer einer deutschen Zukunft“ stilisiert. In der Kritik an Rosenberg hieß es daher aber zu Recht: “Endlich zu R.s Angaben bez. der neuesten Geschichte der Kirche. DANTE ist keineswegs i.J. 1864 verdammt worden. Im Gegenteil ist er von den Päpsten trotz seiner scharfen Sprache gegen Bonifaz VIII. und gegen Missbräuche, die er an einzelnen Stellen seiner Divina Commedia der Kurie vorhält, hoch geehrt worden. Leo XIII. hat eine eigene Professur für Dantestudien in Rom errichtet. Wie R. zu seinem Irrtum gekommen ist, wird einem sofort klar, wenn man bei Chamberlain, Grundlagen II, S. 621, liest, dass die von Dante in seiner Schrift `De Monarchia´ vertretenen Grundsätze über das Verhältnis von Staat und Kirche durch die Sätze 75 und 76 des Syllabus Pius´ IX. v. J. 1864 getroffen seien oder, wie sich Chamberlain für R. missverständlich ausgedrückt hat, `einem zweifachen Anathema verfallen sind´. R. hat das wohl allzu eilig gelesen und den Syllabus, der mit Dante natürlich überhaupt nichts zu tun hat, zu einer ausdrücklichen Verdammung Dantes gemacht und aus seinen Erinnerungen dann das von der Kloake hinzugesetzt.”
  • Auch Karl Muth hatte 1903 im Hochland ausdrücklich die Position von Hermann Grauert gegen Chamberlain eingenommen: „War Dante christusgläubig? Aber eine solche Frage! Nein, das ist ja lächerlich. Ist aber der Frager einer von den aufsässigen Denkern, die hinter allen Dingen und Erscheinungen die Gründe suchen, so wird er auch hier weiterforschen und sich nicht mit dem Hinweis auf Dantes Ruf und Ruhm als eines der größten religiösen Dichter des katholischen Mittelalters zufrieden geben; er wird sich dann allerdings davon überzeugen, dass die große Mehrzahl derer, die seine Frage sachlich mit Recht, aber persönlich wegen ihrer sachlichen Unwissenheit mit Unrecht in Erstaunen versetzt hat, von Dante nicht viel mehr kennt als den Namen. Und damit ist klar, was geschieht, wenn der Erreger dieses Seelenzwiespaltes die Frage verneint und – Houston Stewart Chamberlain heißt: auf eine solche Autorität hin schweigt das ohnehin mit Selbstvertrauen kärglich versehene Urteil, und es gilt bei der breiten Masse der Halbgebildeten fortan der pikante Satz: Dante war nicht christusgläubig. Darum ist es nicht nur gerechtfertigt, sondern geradezu ein Verdienst, dass der bekannte Münchener Historiker Prof. Hermann Grauert in seiner jetzt in zweiter, vermehrter Auflage erschienenen Schrift: „Dante und Houston Stewart Chamberlain“ u.a. diese Behauptung des von ihm selbst hochgeschätzten Verfassers der „Grundlagen des 19. Jahrhunderts“ einer Nachprüfung unterzieht. Das Resultat ist nur für den befremdlich, der die Eigenart dieses Werkes nicht kennt; denn seine Bedeutung besteht in der geistvollen, konsequent von einem großen Gesichtspunkt geleiteten historischen Betrachtung, nicht aber in wissenschaftlicher Zuverlässigkeit. Seiner ganzen Art nach gilt Dante dem Chamberlain als Germane; nur das germanischer Erleben des Christentums vermisst er bei ihm und findet es so natürlich, dass `der Name Christi konsequenterweise gar nicht einmal genannt wird´ (Grdlgn. II, 952). Prof. Grauert hebt nun nicht nur hervor, dass der Name Christi in der göttlichen Komödie 43mal, in der Monarchia 53mal und im Convivio und der Vita nuova öfter genannt wird, sondern dass auch die Idee des Gottmenschen unzweifelhaft klar im tiefsten Gehalte und Geist der Dichtung liegt. Dass gerade im sogenannten Credo im 24. Gesang des Paradiso das Wort Christus nicht vorkommt, hat nicht die geringste Bedeutung neben den darin enthaltenen Versen: `Dann glaub´ ich an drei ewige Personen in einer Wesenheit so eng vereint, dass Drei in Einem hier im Himmel thronen!´”

Chamberlains Renaissance-Kritik

  • Im Blick auf Guardinis erste Aufsatzveröffentlichung im Jahr 1911 ist auch noch Chamberlains radikale Ablehnung der „Renaissance” zugunsten der romanisch-römischen Klassik von Interesse. Chamberlain sah allein schon im Begriff „Renaissance” eine verderbliche Sache und sprach daher immer nur von der „angeblichen” Renaissance: “Denn hiermit verband man den Wahn einer Wiedergeburt lateinischer und griechischer Kultur, ein Gedanke, würdig der Mestizenseelen des entarteten Südeuropa, denen „Kultur“ etwas war, was der Mensch sich äußerlich aneignen kann. Zu einer Wiedergeburt hellenischer Kultur würde nichts weniger gehören als die Wiedergeburt der Hellenen; alles Andere ist Mummenschanz. Nicht allein der Begriff der Renaissance war verderblich, sondern zum sehr großen Teil auch die Taten, die aus dieser Auffassung entsprangen. Denn anstatt bloß Anregung zu empfangen, empfingen wir nunmehr Gesetze, Gesetze, welche unserer Eigenart Fesseln anlegten, welche sie auf Schritt und Tritt hemmten und uns den kostbarsten Besitz, die Originalität — d. h. die Wahrhaftigkeit der eigenen Natur — zu schmälern bestrebt waren. Auf dem Gebiete des öffentlichen Lebens ward das als klassisches Dogma verkündete römische Recht die Quelle unerhörter Gewalttätigkeit und Freiheitsentziehung; nicht etwa, als sei dieses Recht nicht auch heute noch ein Muster juristischer Technik, die ewige hohe Schule der Jurisprudenz; dass es aber uns Germanen als ein Dogma aufgezwungen wurde, war offenbar ein schweres Unglück für unsere geschichtliche Entwicklung; denn es passte nicht für unsere Verhältnisse; es war ein Totes, Missverstandenes, ein Organismus, dessen frühere lebendige Bedeutung erst nach Jahrhunderten, erst in unseren Tagen, durch die genaueste Erforschung römischer Geschichte aufgedeckt wurde: ehe wir das Gebilde seines Geistes wirklich begreifen konnten, mussten wir den Römer selber aus dem Grabe hervorrufen. So ging es auf allen Gebieten. Nicht allein in der Philosophie sollten wir „Mägde“ (ancillae), nämlich die des Aristoteles, sein, sondern in unser ganzes Denken und Schaffen wurde das Gesetz der Sklaverei eingeführt.”
  • Für Chamberlain stand fest, dass “nur das bewusste, freie Individuum … sich zum Verständnis der Unvergleichlichkeit anderer Individualitäten“ erhebe: „Der Stümper glaubt, Jeder könne Alles; er begreift nicht, dass Nachahmung dümmste Unverschämtheit ist. Aus dieser elend stümperhaften Gesinnung und Anschauung war der Gedanke einer Anknüpfung an Griechenland und Rom, einer Fortsetzung ihres Werkes entsprungen, worin sich — das merke man wohl — eine fast lächerliche Unterschätzung der Leistungen jener großen Völker zugleich mit einem völligen Verkennen unserer germanischen Kraft und Eigentümlichkeit ausspricht.”