Franz Xaver Kraus
Aus Romano-Guardini-Handbuch
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Franz Xaver Kraus (1840-1901) war katholische Kirchenhistoriker und Archäologe und Freiburger Hochschullehrer
Biographie
Franz Xaver Kraus und Chamberlains Dante-Kritik
- Der mehrfach von Chamberlain angeführte und mit Dante selbst verworfene Kraus war 1897 einer der ersten, die Dantes Verhältnis zur Politik herausgearbeitet hatten. Tatsächlich stand seine Dante-Interpretation der von Chamberlain diametral entgegen und lohnt hier als Kontrast dargestellt zu werden.
- Ob Guardini eine der Dante-Arbeiten des zu diesem Zeitpunkt schon verstorbenen Franz Xaver Kraus schon kannte, bevor er 1905 die „Grundlagen des 19. Jahrhunderts” von Houston Stewart Chamberlain las, ist eher unwahrscheinlich, aber auch nicht unmöglich. Den dahinterstehenden „Geist” lernte Guardini spätestens in Freiburg kennen, da Kraus in einer freundschaftlichen Beziehung zu Carl Braig, dem Freiburger Dogmatiker und Lehrer Guardinis, stand. Vgl. Carl Braig: Zur Erinnerung an Franz Xaver Kraus: Mit dem Verzeichnis seiner Schriften, bearbeitet von K. Künstle, Freiburg 1902; ders.: Franz Xaver Kraus, in: Wissenschaftliche Belage zur Germania (1902), Nr. 8 und 9; ders.: Franz Xaver Kraus und die „Krausgesellschaft“, in: Allgemeine Rundschau, 2, 1905, S. 49 f.; ders.: Nochmals Kraus und die Krausgesellschaft, in: Allgemeine Rundschau, 2, 1905, S. 78 f..
- Kraus war außerdem ein großer Newman-Kenner, was Guardini nicht entgangen sein dürfte. Vgl. Franz-Xaver Kraus: John Henry Newman. In memoriam, in: Deutsche Rundschau 17, Bd. 66 (1891), S. 40-56 und 190-203; ders.: Newman, in: Werckmeister, Karl (Hrsg.): Das 19. Jahrhundert in Bildnissen, Berlin 1899; vgl. dazu Fries, Heinrich: Franz Xaver Kraus und John Henry Newman, in: Behn, S. (Hrsg.): Der beständige Aufbruch. Festschrift für E. Przywara, Nürnberg 1959, 139-154 (auch in: Die Besinnung, H. 3/4, 1959).
- Und so verwundert es auch nicht, wenn Hans Urs von Balthasar wie selbstverständlich davon berichtete, dass Guardini später „gern auf Kraus“ zurückverwiesen habe und nicht anders gedacht und geredet habe wie Newman und Kraus (Hans Urs von Balthasar: Der antirömische Affekt. Wie lässt sich das Papsttum in der Gesamtkirche integrieren, Freiburg im Breisgau 1974, S. 66).
- Kraus betonte in seinen Studien und seinen „Spektatorbriefen” (Beilage zur Augsburger, später „Münchner Allgemeinen Zeitung”, 1895ff.) stets den Vorrang des „religiösen Katholizismus” vor dem „politischen Katholizismus” (Zentrum, Ultramontanismus) und erstrebte als Kirchenpolitiker die Aussöhnung zwischen Katholizismus und moderner Kultur und wollte zu einem Geist erziehen, „der den Frieden zwischen Staat und Kirche sucht und liebt” (Clemens Bauer: Die Selbstbildnisse des Franz Xaver Kraus, in: Hochland, 52, 1959/1960, S. 117; ders.: Deutscher Katholizismus. Entwicklungslinien und Profile, Frankfurt 1964): „1. Ultramontan ist, wer den Begriff der Kirche über den der Religion setzt. 2. Ultramontan ist, wer den Papst mit der Kirche verwechselt. 3. Ultramontan ist, er da glaubt, das Reich Gottes sei von dieser Welt, und es sei, wie das der mittelalterliche Kurialismus behauptet, in der Schlüsselgewalt Petri auch die weltliche Jurisdiktion über Fürsten und Völker eingeschlossen. 4 Ultramontan ist, wer da meint, religiöse Überzeugung könne durch materielle Gewalt erzwungen oder dürfe durch solche gebrochen werden. 5. Ultramontan ist, wer immer sich bereit findet, ein klares Gebot des eigenen Gewissens dem Ausspruch einer fremden Autorität zu opfern“ (Franz Xaver Kraus: Tagebücher, hrsg. von H. Schiel, Köln 1957, S. XVIII).
- Diese scharfe Polemik brachte natürlich in Gegensatz zur Zentrumspartei und den Ultramontanisten und damit in große kirchenpolitische Schwierigkeiten. Die kirchen- und geistesgeschichtlich bedeutsamen Tagebücher von Kraus, die erst 50 Jahre nach dessen Tod geöffnet werden durften, waren 1957 noch so brisant, dass die Ausgabe auf kirchlichen Druck hin vom Bachem-Verlag in Köln zurückgezogen wurde: Franz-Xaver Kraus: Liberaler Katholizismus. Biographische und kirchenhistorische Essays, komm. und hrsg. von Christoph Weber, Tübingen: Niemeyer, 1983.
- Seine eigene liberale und nationale, keineswegs schon demokratische, sondern kaisertreue Position entspricht der historischen Rolle Dantes durchaus und dürfte Guardinis und Neundörfers damaligen Vorstellungen grundsätzlich entgegengekommen sein, wenn dieser eben die „Concordia Sacerdotii et Imperii” proklamierte (Kraus, a.a.O., S. 677. Als Beispiel einer solchen Deutung führt er Rossetti an).
- Kraus lehnt ausdrücklich eine Interpretation ab, die von einer „spezifisch-politischen Absicht des Dichters” und einem „sozusagen ausschließlich politischen Charakter der dantesken Allegorie” ausgeht. “Gleichwohl würden das Werk und die Mission Dante´s nicht verstanden werden, wollte man neben dem Dichter nicht auch dem Politiker sein Recht angedeihen lassen, wollte man namentlich darauf verzichten, in das Verständnis seiner Kirchenpolitik einzudringen und diese in den richtigen Zusammenhang mit seiner sittlich-religiösen Weltanschauung zu bringen.” Dante ist nach Kraus wohl der „Erste..., welcher die IDEEN DES MODERNEN CULTURSTAATES erkannt und ausgesprochen hat“: „Dieses Prinzip... hat sich beim Einzelnen, wie beim Ganzen zu bewähren, und bewährt sich unter Zuhilfenahme der subsidiären Ideen der Gerechtigkeit, der Freiheit und der Liebe: alle diese Gesichtspunkte drängen auf die Personifikation des Staatswesens in Einem Princeps. In dem menschlichen Organismus ist die Idee der Einheit gegeben; ebenso in dem gesellschaftlichen... Was der Gerechtigkeit am meisten entgegensteht, ist die Begehrlichkeit, welche die Grenzen ihres Rechts und ihrer Ansprüche überschreitet.... Der Hauptgrund der gesellschaftlichen Verwirrung liegt in der von dieser Begehrlichkeit angerichteten Schädigung. Begehrlichkeit herrscht aber bloß, wo etwas zu begehren ist" (ebd., S. 689 im Blick auf De Monarchia I c. 3-14). Daher sei „der (Universal-)Monarch... der zuverlässigste Schutzherr der Gerechtigkeit auf Erden.“ „Neben der Gerechtigkeit ist es die Freiheit, welche hier in Betracht kommt. Das menschliche Geschlecht kann ohne Freiheit nicht glücklich sein... Die politische Freiheit aber ist zunächst begründet auf die Freiheit des Urteils, die Viele auf den Lippen, Wenige im Herzen haben.... Der Mensch ist nur frei, wenn die Begierde durch das Urteil geregelt wird... Dass auch der aus diesem Leben Abgeschiedene diese Freiheit des Willens bewahrt, ist der beste Beweis dafür, dass die Freiheit des Menschen höchstes Gut ist: sie ist: Sie ist das größte Geschenk Gottes... in den Demokratien, Oligarchien und den Tyranneien, d.i. also in den `schief´... regierten Staatswesen ist das Gebot der Selbstsucht maßgebend, welches eine Klasse der Bürger gegen die andere in Bewegung setzt. In der Monarchie dagegen nimmt der Monarch eine Stellung ein, welche ihm gestattet, ausgleichend zwischen die Interessen der einzelnen Klassen, Kategorien und Individuen zu treten und der die Schranken des Rechtes durchbrechenden Selbstsucht Grenzen zu setzen. Nur in einem solchen Staatswesen, fährt Dante fort, gelangt Jeder an seinen richtigen Platz, und bewährt es sich, dass das Volk nicht für den König, sondern der König für das Volk da ist... Der Monarch ist demnach der erste Diener des Gemeinwesens...: wie man sieht, spricht hier Dante zuerst ein Axiom aus, welches viele Jahrhunderte später von keinem Geringeren als Friedrich dem Großen aufgenommen worden ist" (ebd., S. 690).
- Kraus betonte und belegte außerdem, dass Monarchie und Reich für Dante identische Begriffe und Vorstellungen waren und der dahinterstehende Wille die Überwindung des mittelalterlichen Parteikampfes gewesen sei, was schließlich auch seine Kirchenpolitik bestimmt habe. Dante bekämpft daher „die durch die Constantinische Schenkung angeblich oder vermeintlich herbeigeführte Scission des Imperiums und die Übertragung eines Teils der kaiserlichen Gewalt auf den Papst" (Kraus, a.a.O., S. 718). Dagegen drängte er zu einer „Selbständigkeit und Unabhängigkeit des Imperiums vom Sacerdotium” (ebd., S. 755), zu einem „idealen” Verständnis der katholischen Kirche und eine Kirchenreform in einem Sinne, der der franziskanischen Idee der Armut ähnlich ist. Mitnichten sei Dante daher ein „Gegner des Papsttums und des Katholizismus” (ebd., S. 737) gewesen, wie ihm Gegner unterstellten.
- Schließlich fasst Kraus noch einmal zusammen: Der Kulturstaat Dantes „hat nicht den Leidenschaften und Begierden der Fürsten und Völker zu dienen, sondern es geht seine Absicht auf die geistige und sittliche Bildung des Menschengeschlechtes (CIVILITAS), als die Vorbedingungen der Glückseligkeit, welches dieses Geschlecht auf Erden erstrebt und die es nicht erreichen kann ohne den allgemeinen FRIEDEN.“: „Diesen Absichten des Friedens und der Zivilisation kann der Staat nicht dienen, ohne dass ihm seine SOUVERÄNETÄT und UNABHÄNGIGKEIT zuerkannt wird. Und wiederum dient er ihr am besten und vollkommensten, wenn er monarchisch regiert wird... Er hat für Italien DEN NATIONALEN GEDANKEN zuerst erfasst und damit der ganzen nationalen Entwicklung die Wege gezeigt. Er hat, in dem Augenblick, wo die Völker Europa´s sich entschlossen zeigten die bei ihrem Eintritt in die Kirche und in die Reihe der zivilisierten Nationen willig übernommene und durch die geschichtliche Entwicklung einst gerechtfertigte, jetzt durch den Fortgang derselben geschichtlichen Entwicklung hinfällig gewordene Führung des Klerus in politischen und bürgerlichen Angelegenheiten künftighin abzulehnen, er hat da klarer und eindringlicher, als ein Anderer es je getan, darauf hingewiesen, dass das Reich Gottes nicht von dieser Welt sei. Er hat damit seiner Zeit und allen späteren Jahrhunderten den Weg gezeigt, auf welchem die REFORM DER KIRCHE an Haupt und Gliedern zu erreichen wäre und wie zugleich der fortschreitenden Entchristlichung der Gesellschaft hätte vorgebeugt werden können. Er hat damit das Banner des IDEALEN UND RELIGIÖSEN KATHOLICISMUS entfaltet, im Gegensatz zu dem politischen Katholizismus, welcher (in seinen bessern Vertretern gewiss in reiner Absicht) die Herrschaft über die Geister durch die Herrschaft über die Leiber erzwingen will und die weltliche Gewalt der geistlichen völlig unterordnet. Indem Dante beiden Gewalten ihre Sphäre zuwies, hat er, wenigstens ideell, die Harmonie derselben wieder hergestellt und tatsächlich die Grundlage herausgestellt, auf welcher sich jede ehrliche CONCORDIA SACERDOTII ET IMPERII aufbauen muss. Er hat sich damit an der Lösung eines Problems beteiligt, das auch heute noch für Staat und Kirche eine Lebensfrage ist" (ebd., S. 769f.).
- Kraus hat nun versucht das Erbe Dantes im 19. Jahrhundert anzutreten (Hubert Schiel: Der Versuch einer Neubegründung der Dante-Gesellschaft durch F.X. Kraus und das Echo bei den Dante-Freunden, in: Deutsches Dante-Jahrbuch, 38, 1960, 135-167). Er ließ sich weder von den Vertretern des politischen noch des unpolitischen Katholizismus vereinnahmen, hielt ein Plädoyer für einen eigenständigen religiösen Katholizismus gegen die gängigen Säkularisierungs- und Integralisierungstendenzen. Ebensowenig ließ er sich von den Modernisten und Antimodernisten festlegen, sondern unterhielt zu beiden Seiten gute Kontakte. Gerade auch in politischer Hinsicht widersprach er den Chauvinisten und rassistischen Antisemiten, ebenso wie den „Weltbürgern“. Ein latenter, zum Teil sogar offener Antisemitismus im Sinne einer Warnung vor dem „jüdischen Typ“ des neuzeitlichen Denk- und Lebensstils, findet sich aber ganz seiner Zeit angepasst.
- Aufgrund seines frühen Todes von Franz Xaver Kraus und seiner eigenen innerkirchlichen Umstrittenheit, konnte sein Dante-Bild nicht gegen Chamberlains Dante-Verschnitt mithalten.
- Letztlich rief Kraus kirchenpolitisch sowohl die Integralisten als auch die Separatisten auf den Plan. Insbesondere die Integralisten katholischerseits legten seine Kontakte mit Henry Bremond, Albert Ehrhard, Friedrich von Hügel, Alfred Loisy, Georg Tyrrell und anderen einseitig aus und brachten ihn immer wieder zur Anzeige.
- Der Quickborner und Kirchenhistoriker Hubert Schiel hat die diesbezüglich aufschlussreichen Briefwechsel und Verbindungen Freiburger und Tübinger Theologen, insbesondere aber Joseph Sauers zu Kraus und dokumentiert. Vgl. Hubert Schiel: Franz Xaver Kraus, Tagebücher. Köln 1957; ders.: Tübinger Theologen in Verbindung mit Franz Xaver Kraus, in: Theologische Quartalschrift, 137, 1957, 18-57, 168-186, 289-323; ders.: Franz Xaver Kraus und die katholische Tübinger Schule. Ellwangen 1958 (erw. aus Theol. Quartalschrift 137, 1957); ders.: Joseph Sauer und Franz Xaver Kraus. Mit Briefen des Theologiestudenten Sauer an Kraus, in: Kurtrierisches Jahrbuch 6, 1966, 18-36; ders.: Briefe Joseph Sauers an Franz Xaver Kraus, in: RQ 68, 1973, 147-206; ders.: Briefe Freiburger Theologen an Franz Xaver Kraus. Ein Beitrag zur Geschichte der Freiburger Theologischen Fakultät, III. Teil, in: Freiburger Diözesan-Archiv 101, 1981, 140-230, hier: 204 f..; ders.: Liberal und integral. Der Briefwechsel zwischen Franz Xaver Kraus und Anton Stöck. Mainz 1974. Interessant ist, dass Schiel 1925 für den Quickborn Antonio Rosminis „Massime di perfezione” übersetzte und herausgab (Antonio Rosmini, Grundlehren der christlichen Vollkommenheit, Rothenfels a. M., Mainz 1925)
- Schiel stellte Kraus zu Recht „im Spannungsfeld von Kirche und Politik“ (Hubert Schiel: Im Spannungsfeld von Kirche und Politik, Franz Xaver Kraus: Gedenkschrift zum 50. Todestag auf Grund des unversiegelten Nachlasses, Trier 1951 (Trierisches Jahrbuch/Beihheft; 1) Beigefügt: Ahnentafel Franz Xaver Kraus/Heinrich Milz).
- Natürlich sind auch hier die Forschungen und Äußerungen von Guardini-Freund wie Philipp Funk (Philipp Funk: Das geistige Erbe von Franz Xaver Kraus, in: NJ 4, 1912, 1-4, 16-19, 30-34) und später auch von Heinrich Fries hoch interessant, letzte insbesondere im Verhältnis von Kraus zu Newman (Heinrich Fries: Franz Xaver Kraus und John Henry Newman, in: Der beständige Aufbruch. Festschrift für E. Przywara, hrsg. v. S. Behn, Nürnberg 1959, 139-154; auch in: Die Besinnung, H. 3/4, 1959).