Menschenrechte

Aus Romano-Guardini-Handbuch
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Menschenrechte sind für Guardini unlösbar mit dem Christentum und dem Offenbarungsglauben verbunden. Die Idee "säkularer" Menschenrechte, die auf dieser Basis "universalisierbar" seien, lehnt Guardini als unmöglich ab.

Der Begriff der Menschenrechte im Werk Guardini

  • Ethik, S. 557 f.: "Die heute lebende ältere Generation trägt in etwa noch den Affekt der Freiheit in sich. Er wurzelt im Willen des Einzelnen, sich sein Leben so zu bauen, wie er es als ihm gemäß empfindet. Dieser Wille hat seine großen geschichtlichen Ausbruchsformen in der französischen Revolution, in den Befreiungskriegen, in den achtundvierziger Jahren gehabt. Der Staat wird als Gegenpol dieser Freiheit verstanden; als die aus der sittlichen Wurzel heraus aufgebaute objektive Ordnung, welche dem Volk die gleiche Freiheit sichert, die der Einzelne für sein Leben verlangt. (Nationalismus) Dieser Freiheitsaffekt verschwindet. Es gibt ihn noch; er drückt sich etwa in der Verkündung der Menschenrechte aus, die vor nicht langem erfolgt ist; in den verschiedenen Kulturvereinigungen, die ihn dem Totalitarismus gegenüber betonen - nicht zu vergessen die vielen Einzelnen, die sich dem totalitären Regime nicht ergeben haben. Er nimmt aber (überall) ab, und es wäre wichtig, zu fragen, wie weit er in der jungen Generation überhaupt noch wirksam ist."
  • Ende der Neuzeit/Die Macht, S. 85: "Dann aber sei die personale Autonomie ins Bewußtsein getreten und zu einer vom Christentum unabhängigen, natürlichen Errungenschaft geworden. Diese Ansicht findet vielfachen Ausdruck; einen besonders repräsentativen in den Menschenrechten der französischen Revolution. In Wahrheit sind diese Werte und Haltungen an die Offenbarung gebunden. Letztere steht nämlich zum Unmittelbar-Menschlichen in einem eigentümlichen Verhältnis. Sie kommt aus der Gnadenfreiheit Gottes, zieht aber das Menschliche in ihren Zusammenhang, und es entsteht die christliche Lebensordnung. Dadurch werden im Menschen Kräfte frei, die an sich »natürlich« sind, sich aber außerhalb jenes Zusammenhanges nicht entwickeln würden. Werte treten ins Bewußtsein, die an sich evident sind, aber nur unter jener Überwölbung sichtbar werden. Die Meinung, diese Werte und Haltungen gehörten einfachhin der sich entwickelnden Menschennatur an, verkennt also den wirklichen Sinnverhalt; ja sie führt - man muß es geradeheraus sagen dürfen - zu einer Unredlichkeit, die denn auch für den genauer Blickenden zum Bilde der Neuzeit gehört."

Kritik von Heinz Guaradze und Heiner Bielefeldt

In ausschließlich "säkularen" Ohren klang dieser Anspruch aber natürlich als Vereinnahmung, die postwendend zurückgewiesen wurde. So nahm 1956 der Völkerrechtler Heinz Guradze (1898-1976) eine klare Gegenposition ein. In seinem Buch „Der Stand der Menschenrechte im Völkerrecht“ wies er den von Guardini erhobenen Anspruch, dass die Menschenrechte unlösbar mit dem Christentum und dem Offenbarungsglauben verbunden seien, gerade im Blick auf ihre Universalisierbarkeit zurück. „Träfe das zu, so wäre es um ihre Universalität geschehen. In den Beratungen der Ausschüsse der VN haben nicht-christliche Staaten und solche mit großen nicht-christlichen Minderheiten wie Indien und Libanon eine hervorragende Rolle gespielt, während Staaten mit alter christlicher Tradition kläglich versagt haben.“

Auch Heiner Bielefeldt steht jeglicher „kulturgenetischen Vereinnahmung“ der Menschenrechtsidee ablehnend gegenüber und kritisiert dabei auch Guardinis angeblich "christliche Vereinnahmung" (Heiner Bielefeldt: Menschenrechtlicher Universalismus ohne eurozentrische Verkürzung, in: Günter Nooke/Georg Lohmann/Gerhard Wahlers (Hrsg.): Gelten Menschenrechte universal? Begründungen und Infragestellungen, Freiburg 2008, S. 98-141, hier S. 122).

Missverständnis

Dieser Abwehr liegt aber im Blick auf Guardini ein Missverständnis zugrunde, da er diese unlösbare Bindung nicht vom „Ethos“, sondern vom „Logos“ her formuliert. Über die reale Praxis der christlichen Kirchen gegenüber den Menschenrechten oder ihre Einflussnahme auf den Entwicklungsprozess der Menschenrechte sagt Guardini überhaupt nichts aus, sondern über die Möglichkeit diese religiös zu begründen. Eine personale Begründung der Menschenrechte setzt im Religiösen ein relational-personalen Gottesverständnis voraus. Und diesen sieht er eben nur im christologisch-trinitarischen Gottesverständnis verwirklicht und verwirklichbar. Dies sagt nichts darüber hinaus, ob auch im außerchristlichen Bereich, Menschenrechte verwirklicht werden können, und ebensowenig darüber, warum auch in Ländern mit christlicher Tradition Menschenrechte nur zögerlich politisch umgesetzt wurden und werden.

Hans Küngs "Projekt Weltethos"

Dies rührt aber bereits an jene Fragen, die Hans Küng in seinem „Projekt Weltethos“ angeht (Hans Küng: Projekt Weltethos, München/Zürich 1990), und an die seit den achtziger Jahren immer stärker im Mittelpunkt stehenden Frage der „Universalität der Menschenrechte“, die in vielfältiger Weise im säkularen und interreligiösen Dialog gestellt wurde (Vgl. Klaus Dicke: Politische Aspekte der Universalität der Menschenrechte, in: Johannes Schwartländer (Hg.), Modernes Freiheitsethos und christlicher Glaube. Beiträge zur juristischen, philosophischen und theologischen Bestimmung der Menschenrechte, München-Mainz 1981, 121-137; Peter Koslowski: Die Universalität der Menschenrechte und die Einzigartigkeit der Kulturen, in: Stimmen der Zeit, 1984, S. 701-714; Ludger Kühnhardt: Die Universalität der Menschenrechte. Studie zur ideengeschichtlichen Bestimmung eines politischen Schlüsselbegriffs, München 1987, bes. 279ff.; Johannes Hoffmann (Hrsg.): Universale Menschenrechte im Widerspruch der Kulturen; Theologie und Philosophie (Band 68), 1993; Martin Kriele: Zur Universalität der Menschenrechte, in: ARSP-Beiheft, 51, 1993, S. 47-61; Hans R. Reuter: Menschenrechte zwischen Universalismus und Relativismus. Eine Problemanzeige, in: ZEE, 40, 1996, S. 135-147; Dieter Witschen: All human rights for all. Zur Unteilbarkeit der Menschenrechte, in: FZPhTh, 43, 1996, S. 350-367; Hans Maier: Wie universal sind die Menschenrechte?, Freiburg u.a. 1997; Martin Maier: Universalität der Menschenrechte, in: Stimmen der Zeit, 216, 1998 S. 793 ff.; Gerhard Luf: Universalität der Menschenrechte. Eine Herausforderung an die Theologie, in: Johann Reikersdorfer (Hrsg.): Zum gesellschaftlichen Schicksal der Theologie, Münster 1999, S. 142-151).

Guardini und die Universalisierbarkeit der Menschenrechtsidee

Guardini ist der Frage der Universalisierbarkeit gerade aufgrund seines dialogischen Personalismus sicherlich nicht ausgewichen, blieb aber der Überzeugung, dass diese von christlicher Seite nur durch ein klares Bekenntnis zum christlichen, personalen, trinitarischen Gott, der die Liebe ist, Geltung verschafft werden könne. Für Guardini hat auch der „Logos der Welt“ Vorrang vor einem „Ethos der Welt“. Und für Christen könne dieser „Logos der Welt“ nur Jesus Christus sein: „Jesus Christus ist der Logos der Welt, das Ur-Wort und Wesens-Bild alles Seienden - Er ist auch die Antwort auf das Wertverlangen und das Ziel für die Liebesbewegung der Welt. Alles Seiende kommt von Ihm, hat in Ihm sein Ur-Bild und seine Sinn-Wurzel - alles Seiende kehrt zu Ihm zurück.“

Zusammenfassung in den Ethik-Vorlesungen

In seinen etwa zeitgleich gehaltenen Ethik-Vorlesungen fasste Guardini seine Haltung noch einmal eindrücklich zusammen: „Wir haben gesehen, daß sich vom Beginn der Neuzeit an eine nicht-christliche Kultur herausarbeitet. Die Negation richtet sich lange Zeit hindurch nur auf den Offenbarungsgehalt selbst; nicht auf die ethischen, sei es individuellen, sei es sozialen Werte, die sich unter seinem Einfluß entwickelt haben. Im Gegenteil, die neuzeitliche Kultur behauptet, gerade auf diesen Werten zu ruhen. Dieser weithin von der Geschichtsbetrachtung angenommenen Ansicht nach sind z. B. die Werte der Personalität, der individuellen Freiheit, Verantwortung und Würde, der gegenseitigen Achtung und Hilfsbereitschaft im Menschen angelegte Möglichkeiten, welche von der Neuzeit entdeckt und entwickelt worden sind. Wohl habe die Menschenbildung der christlichen Frühzeit ihr Keimen gefördert, ebenso wie die religiöse Pflege des Innenlebens und der Liebestätigkeit während des Mittelalters sie weiter entwickelt habe. Dann aber sei die personale Autonomie ins Bewußtsein getreten und zu einer vom Christentum unabhängigen, natürlichen Errungenschaft geworden. Diese Ansicht findet vielfachen Ausdruck; einen besonders repräsentativen in den Menschenrechten der französischen Revolution. In Wahrheit sind diese Werte und Haltungen an die Offenbarung gebunden. Letztere steht nämlich zum Unmittelbar-Menschlichen in einem eigentümlichen Verhältnis. Sie kommt aus der Gnadenfreiheit Gottes, zieht aber das Menschliche in ihren Zusammenhang, und es entsteht die christliche Lebensordnung. Dadurch werden im Menschen Kräfte frei, die an sich »natürlich« sind, sich aber außerhalb jenes Zusammenhanges nicht entwickeln würden. Werte treten ins Bewußtsein, die an sich evident sind, aber nur unter jener Überwölbung sichtbar werden. Die Meinung, diese Werte und Haltungen gehörten einfachhin der sich entwickelnden Menschennatur an, verkennt also den wirklichen Sinnverhalt; ja sie führt - man muß es geradeheraus sagen dürfen - zu einer Unredlichkeit, die denn auch für den genauer Blickenden zum Bilde der Neuzeit gehört.“