Vorlage:1952 Rezensionen Hölderlin

Aus Romano-Guardini-Handbuch
  • [1952-330] Meta Corssen: Rezension zu: Wilhelm Michel, Das Leben Friedrich Hölderlins, in: Bücherei und Bildung/Buch und Bibliothek, 4, 1952, 5/6, S. 608 [neu aufgenommen] – [Rezension] - https://books.google.de/books?id=BNFcj1CRdcsC oder https://books.google.de/books?id=pVYuAQAAIAAJ:
    • S. 608: „Das Hauptgewicht liegt dabei auf der Herausarbeitung des philosophisch-religiösen Weltbildes Hölderlins, das der Verfasser geistesgeschichtlich in seinem Hinausgehen über den Idealismus einordnet und dessen Entwicklung er in engem Zusammenhang mit dem Leben zeichnet, indem er es in seiner Grundtendenz aus dem, was er Hölderlins Lebensmangel nennt, ableitet: die fehlende Fülle des Menschlichen, die versagende Kraft der Daseinsbewältigung bedingt das Angewiesensein auf die Sphäre der Götter. Für die Charakterisierung des Hölderlinschen Weltbildes ist die Auffassung bestimmend, mit der Michel schon in der 1922 erschienenen Studie „Hölderlins abendländische Wendung“ eine eigene Stellung in der Hölderlinforschung einnahm. Gegenüber der damals herrschenden Deutung der George-Schule, die in Hölderlin den Verkünder und Vorläufer einer neu-antiken, auf die Einheit von Geist und Leib, von Gott und Natur gegründeten Religion sieht eine Deutung, der, wenngleich mit anderer Wertung, auch Guardini in seinem sehr schönen, tief in die Religiosität Hölderlins eindringenden Buch »Hölderlin, Weltbild und Frömmigkeit« folgt -, wird hier die Offenheit seines Denkens und Fühlens für die gesamte Wirklichkeit hervorgehoben und die Erweiterung seines Weltbildes über die Sicht des wiedererstehenden Griechentums hinaus, seine Wendung zum Abendländischen, Deutschen und Christlichen einleuchtend gemacht - in der jedoch, wie der Verfasser einsichtig betont, »in allen Verlusten nichts verloren geht«. So bedeutet die Wendung zum Abendländisch-Christlichen kein Aufgeben der griechischen Götter, und der Verfasser läßt im Gegensatz zu manchen neueren Deutungen, die, unter Nichtbeachtung oder Vergewaltigung der dichterischen und philosophischen Aussagen Hölderlins in ihrer Gesamtheit, ihn schlechthin zu einem christlichen Dichter machen wollen – stets die Grenze sichtbar werden, die Hölderlin vom Christentum trennt. Aber er sieht im Gegensatz zu Guardini – nicht eine Stufe des Abfalls, sondern eine Stufe der Wiederbegegnung.“
  • [1952-331] Clemens Hesselhaus: Hölderlins idea vitae, in: Hölderlin-Jahrbuch, Tübingen, 6, 1952, S. 17-50, zu Romano Guardini S. 19 [Gerner 173] - [Artikel] - https://books.google.de/books?id=OD9cAAAAMAAJ
  • [1952-332] Karl Kerényi: Martin Buber als Klassiker, in: Neue Schweizer Rundschau, 20/1, 1952, 2 (Juni 1952) S. 89-95, zu Romano Guardini S. 92 [neu aufgenommen] - [Artikel] - https://books.google.de/books?id?I80PAAAAIAAJ oder https://books.google.de/books?id=ZW4oAQAAMAAJ; auch in: Paul Arthur Schilpp/Maurice Friedman: Martin Buber, Stuttgart 1963, S. 538-547 [neu aufgenommen] - [Artikel] - [noch nicht online]; auch in ders.: Tessiner Schreibtisch: Mythologisches, Unmythologisches, 1963 [neu aufgenommen] - [Artikel] - https://books.google.de/books?id=7A9KAAAAMAAJ;, zu Romano Guardini:
    • 1952, S. 92 f.; Tessiner Schreibtisch, S. 39 f.: „Es war ein von anderswoher kommender Besucher des religiös-schöpferischen Bereiches als Martin Buber, aber in der Empfänglichkeit und der Meisterschaft des richtigen Wortes mit ihm vergleichbar, Romano Guardini, der die Ueberzeugung mit aller Entschiedenheit aussprach, Hölderlins Dichtung sei anderer Art als jene, die sich in der Neuzeit herausgebildet hat: ein Urteil das nicht nur das seinige war, doch in dieser klaren Fassung kaum noch vorgetragen wurde. Guardini wollte mit dem Abtrennen Hölderlins nicht sagen wir folgen nun seinen Ausführungen (Hölderlin, Verlag Jakob Hegner, Leipzig 1939, 11) – „die neuzeitliche Dichtung entspringe aus dem Belieben des Verstandes oder des Willens. Auch in ihr waltet das Erlebnis, welches nicht erzwungen werden kann; aber das unmittelbare der in sich selbst stehenden Persönlichkeit. Auch in ihr vollzieht sich das Werden der Gestalt, welches Geist und Gemüt des Dichters in Anspruch nimmt, so daß er nicht mehr sich selbst zu gehören scheint; aber was da vor sich geht, ist, wenn auch noch so heftig erfahren , doch nichts anderes als der Vorgang der Werkentstehung überhaupt. Jener Ursprung hingegen, aus welchem Hölderlins Dichtung kommt, liegt um eine ganze Ordnung weiter nach innen oder nach oben, je nachdem man die Richtung einer Entlegenheit bezeichnen will, die nicht mehr dem Subjektsbereich angehört. Sein Schaffen steht im Dienst eines Anrufs, dem sich entziehen nicht etwa nur bedeuten würde, das eigene Werk zu versäumen, sondern einer das individuelle Sein und Wollen überschreitenden Macht zu widerstehen – womit über die Art dieser Macht selbst und den Sinn ihres Anrufs noch nichts gesagt ist. Was hier waltet, beansprucht Auge und Mund des Dichters in einer anderen Weise, als es der künstlerische Antrieb tut. Nicht nur stärker oder erregender oder tiefer vom Unbewußten her, sondern wesentlich anders; so daß als verpflichtendes Maßbild nicht der autonome Künstler-Dichter, sondern der zu religiösem Dienst gerufene Seher erscheint, in dessen Innerem die Berührung geschieht, die Vision aufsteigt, und der Auftrag zur Botschaft gegeben wird. Hölderlin gehört in eine Reihe, welche durch Namen eines Dante, Aeschylos und Pindar gebildet wird.““
  • [1952-332] Helmut Läubin: Hölderlin und das Christentum, in: Symposion: Jahrbuch für Philosophie, 3, 1952, S. 237-402 [neu aufgenommen] – [Artikel] - https://books.google.de/books?id=-9QBAAAAMAAJ; zu Romano Guardini:
    • S. 279: „Innerhalb der Hölderlin-Forschung hat insbesondere R. Guardini (in „Hölderlin“, Leipzig 1939) dargetan, daß im Übergang zur Schizophrenie ein längst versunkenes Weltbild, das mythische, bei Hölderlin heraufkomme und Gestalt gewinne. Dem Krankheitsprozeß ist es also zu verdanken, daß wir in neuerer Zeit nicht nur Lehren über das Mythische und, wie etwa bei Schelling, vertieftes Verständnis des Mythischen, sondern in Hölderlin, zumal dem der Spätperiode, einen schicksalhaften Mythiker, sozusagen ein mythisches Objekt haben.“
    • S. 376 f.: [1 Unübertrefflich ist das Wesen des Mythischen gekennzeichnet durch R. Guardini („Hölderlin. Weltbild und Frömmigkeit“, 1939); etwa in der folgenden beispielhaften Stelle: „Wenn der frühe Mensch es mit dem Strom zu tun bekam, dann sah er zunächst das wirkliche Wasser: Quelle, Lauf, Zufluß und Ausmündung in die See. Dieses Ganze aber war mehr, als wir unter dem geographischen Begriff verstehen; es war ein Wesen. Damit ist kein „Anthropomorphismus“ gemeint, der aus Mangel an wissenschaftlicher Erkenntnis hervorginge und saubere Begriffe ersetzte; auch keine Personifikation eines an sich abstrakten Gegenstandes durch ein noch phantasiemäßiges Denken, sondern, was sich hier vollzog, war echte Anschauung. Sie meinte Das, was da strömte, im Winter erstarrte und im Frühling wieder in Bewegung kam, über die Ufer trat und gefährlich werden konnte, aber auch Fahrt und Fischfang gewährte. Eben das war ein Wesen; eine geheimnisvolle schreckende und zugleich lockende Wirklichkeit; ein Jemand, der einen Willen hatte. Diesem Jemand konnte man plötzlich begegnen, in der Gestalt des Stieres etwa, oder eines Mannes, oder Weibes. Diese Gestalten waren keine „Allegorie“ des Stromes, auch nicht seine `Seele´, sondern der Strom selbst: religiös geheimnishafte und zugleich empirische Wirklichkeit. Der wirkliche Strom hatte diese Gestalt und jene – und vielleicht noch andere. Aus dieser Anschauung entsprangen zuerst Mythos und Kult. Von da aus lief das Erlebnis, sich verdeckend, verdünnend, verändernd, durch Sagen und Märchen weiter, um aber in ihnen noch heute vom Empfänglichen durchgefühlt zu werden." - Hölderlin habe vom Strom (und den andern elementischen Naturgebilden und -vorgängen) noch die alte numinose Erfahrung. Damit stimmt ganz überein, daß er, wie wir fanden, nach Hegels und Schellings religionsphilosophischen Bestimmungen den Zeiten der Naturreligion, des „mythologischen Prozesses" zuzuordnen ist. Wesentlich für die religiöse Wertigkeit von Hölderlins mythischen Mächten und Göttern ist, daß sie real, als wirkliche Wesen genommen werden in dem Sinn, wie es Guardini umschreibt. Hierzu gehört auch, daß man das Fernsein der Götter, von dem Hölderlins Dichtung spricht (z. B. in der 7. Srophe von „Brot und Wein“) ganz ernst nimmt, d. h. als Geferntsein in eine „Sphäre der Entrückung“. H. O. Burger in seinem Literaturbericht (Deutsche Vierteljahresschrift 1940) nennt dies kritisch eine „massiv-realistische Vorstellung" Guardinis. „Massiv" wäre die Vorstellung aber doch nur, wenn der „Raum der Entrückung" als physikalischer Dingraum verstanden wäre; so aber dürfte es von Guardini (der a. a. O. allerdings nicht auf eine Metaphysik des Raumes eingeht) nicht gemeint sein, sondern als Wesenssphäre der Numina, die unserem empirischen Erfassen gemeinhin entzogen und entrückt ist.“
  • [1952-333] Alfred Romain: Ganymed, in: Hölderlin-Jahrbuch, Tübingen, 6, 1952, S. 51-84, zu Romano Guardini S. 62 und 64 [Gerner 176] - [Artikel] - https://books.google.de/books?id=OD9cAAAAMAAJ
  • [1952-334] Robert Thomas Stoll: Hölderlins Christushymnen: Grundlagen und Deutung, 1952 [neu aufgenommen] – [Monographie] - https://books.google.de/books?id=T88RAAAAMAAJ; zu Romano Gurdini
    • S. 144 mit Anmerkung S. 268: „Der Abend ist die Zeit am Ende einer Entwicklung, wenn der Ausgleich und die Vollendung, die Erfüllung des Erwarteten eintritt. Abend weiter sich aus zur Vorstellung vom „Abend der Zeit“*[144 Abend der Zeit: Guardini, dessen Hölderlinbuch mit seinen Einzelinterpretationen noch nicht genügend – in seiner Eigenart – geschätzt wird, mißversteht dieses Bild, wenn er schreibt, S. 510, Christi „Sendung war, den Abend des großen ersten Weltentages anzuzeigen und auf Späteres zu trösten … Christus wird der ,Abend der Zeit' zugesprochen. Nicht die ,Fülle der Zeit', wie das Neue Testament tut (Mk. 1, 15), sondern die Stundes des Absinkens“. Das ist deshalb unrichtig, weil der `Abend der Zeit´ das Ende der Nacht ist, die Christus eingeleitet hat, und weil mit dem Abend der Zeit dieses `Spätere´ beginnt: die Zeitenfülle mit der durch Christus vollzogenen Versöhnung und Vereinigung aller.“]
    • S. 175 f.: "Dieser Glaube prägt Hölderlins ganzes Werk und Leben; Hyperion verlangt nach der «ewigeinigen Welt», und Empedokles drängt darnach, ins allumfassende Göttliche einzugehen. Der Ruf nach Versöhnung aller Gegensätze, der in der Spätzeit so laut ertönt, steigt aus der Tiefe dieser Vorstellung, die für ihn noch immer gilt, auch wenn er inzwischen erkannt hat, daß das Göttliche nicht im Menschen selbst liegt, wie es der „Hyperion“ aussprach, sondern einer Sphäre angehört, „die höher ist als die des Menschen“ und sich „treppenweise“ stuft. Aber nach jedem Scheitern und Rückfall der Vereinzelung verlangt es Hölderlin neu und noch brennender als vorher nach der Bestätigung seines Glaubens an die Ganzheit der Welt. Gerade er als Dichter hat in seinem Gesang alles, was er je lebendig erfährt, gültig einzuordnen, indem er jedes Einzelne an seinem ihm zukommenden Platz innerhalb des Ganzen nennt. Die wahre Einheit ist aber nicht Gleichheit, sondern sie enthält eine solche Fülle der Möglichkeiten, daß sie der Dichter gar nicht alle fassen kann. Hölderlin hat es selbst erlebt, als er die Götter in ihrem richtigen Verhältnis zueinander nennen wollte, daß «ein Großer nicht zusammenzutaugen scheint» zu andern Großen. Zwar „scheint“ es nur, denn der Dichter weiß, daß sie im tiefsten Grunde in der Einheit alles Lebendigen verbunden sind. Aber sie stehen „als an einem Abgrund, einer neben dem andern“. Die Götter sind durch ihren jeweiligen Auftrag voneinander geschieden, und nun droht auch ihnen die Gefahr, daß die Unterscheidung der Sendung zur unüberbrückbaren Scheidung, zum „Abgrund“ wird. «Jene drei» aber, die Hölderlin «ein Kleeblatt» genannt hat, «taugen zusammen».85 „Jene drei sind aber/Das, daß sie unter der Sonne/Wie Jäger der Jagd sind, oder/Ein Ackermann, der atmend von der Arbeit/Sein Haupt entblößet, oder Bettler./Nicht so sind andere Helden.“ Die Deutung dieser Verse ist schwierig. Guardini nimmt an, daß je alle drei Jäger, Ackersmann und Bettler genannt werden. Obwohl die Frage nicht eindeutig zu entscheiden ist, möchte ich mich doch Böckmann anschließen, der jedem Gott eine Grundhaltung zuweist.“
    • S. 186 f. mit Anmerkung S. 272: „Und die Liebsten nahe wohnen, ermattend auf/Getrenntesten Bergen,/So gib unschuldig Wasser,/O Fittige gib uns, treuesten Sinns/Hinüberzugehn und wiederzukehren.“ Hölderlins- Zeit und Geschichtsvorstellung hat in diesem Bild von den Gipfeln unmittelbaren Ausdruck gewonnen. Obwohl es kein Vergleich mit irgendeiner tatsächlichen Landschaft ist, ja obwohl diese mythische Landschaft kein wirklich räumliches Dasein besitzt, ist sie doch von großer Anschaulichkeit. […] [187 Unschuldig Wasser: vgl. Guardini a. a. O. 524]“
    • S. 191 mit Anmerkung S. 272: „Aber die Patmos-Landschaft ist doch nicht mehr die griechische Landschaft des „Hyperion“. Hölderlin spricht, indem er über seine früheren Vorstellungen von Griechenland hinausgeht, nur noch von „Asia“, weil ihm jetzt immer mehr „das Feuer“ von Osten, wie er sich im Dezember 1801 Böhlendorf gegenüber geäußert hatte, für den griechischen Bereich wichtig geworden ist. Diese Landschaft um Sardes scheint ihm das Westliche und Östliche am reinsten zu verbinden. Mit der Zusammenfassung aller Elemente im Bild von „Asia“ ist auch eine Verdichtung der Bildvorstellung erreicht; die ionische Küstenlandschaft ist mythischer Landschaftsraum geworden. … [191 Böhlendorf: Brief vom 4. Dezember 1801, H V/ 314 ff. Goldhaltiger Pactol: vgl. «Der Neckar» H IV/59. Garten der Liebe: «Hyperion» H II/129. Seliges Griechenland: H IV/121. Nach Fertigstellung meines Manuskriptes erhielt ich noch die kleine Schrift von Romano Guardini: «Hölderlin und die Landschaft», Tübingen 1946. Sie ist aus einem Vortrag, den Guardini in der Stuttgarter Hölderlin-Gesellschaft gehalten hat, hervorgegangen und charakterisiert in kurzen Zügen einige Landschaftstypen in Hölderlins Dichtung. In feinfühliger Weise vermag sie verschiedene neue Einsichten zu geben, die nur noch in manchen Punkten erweitert werden könnten. Diese Patmosverse deuten wir zum Teil mit gleichen Worten.]“