Romano Guardini und Friedrich Wilhelm Foerster

Aus Romano-Guardini-Handbuch

Romano Guardini und Friedrich Wilhelm Foerster: Politische Pädagogik als Selbsterziehung zum Frieden

Guardinis Auseinandersetzung mit Foerster

Wiederum von Adam Gottron wissen wir nämlich, dass sich Guardini spätestens seit seiner Freiburger Studienzeit mit dem Werk Friedrich Wilhelm Foersters (1869-1966) [mitunter von Guardini auch "Förster" geschrieben] beschäftigte. Gottron erinnerte sich, dass die Älteren der Juventus-Jugend „schon nach 1905 ... die Schriften Fr. W. Foersters“ lasen (Gottron, Juventus, a.a.O., S. 141). Für die Zeit zwischen Oktober 1908 bis zur Priesterweihe Romano Guardinis berichtete Gottron von gemeinsamen Spaziergängen in den Taunuswäldern, bei denen charakterologische Fragen besprochen worden seien. Als Begründung dafür gibt er an: „Friedrich Wilhelm Foersters Selbsterziehung wurde damals in katholischen Kreisen viel gelesen“ (Walter Heist (Red.): Ein Leben im Schatten des Domes. Zum Gedächtnis an Adam Gottron, Mainz o.J., S. 39).

Diese Weggemeinschaft führte bei Gottron, der im Juli 1908 maturierte, alsbald zur Überzeugung: „Dass aber der Beruf mit Erziehung zu tun haben müsse, das stand seit dem Studium der Foersterschen Arbeiten und dem Verkehr bei Schleußners fest“ (ebd., S. 48).

1908 empfahl Guardini auch seinem Freund Josef Weiger den „feinen“ Aufsatz „Grundfragen der Charakterbildung“ im Hochland, in dem Foerster in der Frage „männliche und weibliche Seelenart in ihren Beziehungen zur Vollkommenheit“ eine „klassische“ Position vertrete (1. Brief vom 15.-22. Mai 1908, Schmitten im Taunus, in: Briefe an Josef Weiger, a.a.O., S. 36f.).

Zwei Jahre später verwies er dabei ausdrücklich auf Foersters Jugendlehre, die diese neue Sprache „prächtig” habe und in der Verkündigung „oft direkt” verwendet werden könnte, weil sie frei von klassisch-rhetorischen Latinismen und für Jugendliche fremden Ausdrücken sei, anders als „z.B. das stereotype Gepräge der Jesuitensprache”. Es gelte in dem Sinne „wieder deutsch” zu werden, indem man „aus Leben und Zeit heraus und für sie; neu sprechen, neu denken” lerne. Nur „dann werden die ewigalten Wahrheiten interessant” und infolgedessen auch die entscheidenden „innerlichen Seiten.” Foerster beinhalte „manches” davon (4. Brief vom Juli 1910, Heppenheim, in: ebd., S. 48ff.)

Weitere drei Jahre später, am 23. Februar 1913 wird Guardini nach einem Vortrag von Foerster einen ganzen Brief an Weiger der Person, seinem Werk und seiner Wirkung widmen. Er berichtete seinem Freund: “Das Publikum war schon interessant. Bestimmt war der Vortrag in erster Linie für Studenten, aber auch andere waren da. Im Saal eine gewisse zurückhaltende, feine Ruhe. Die Leute meist über dem Durchschnitt, wenigstens nach Ausdruck und Haltung zu schließen. Es schien eine gewisse Elite von jungen Männern und Mädchen; aber auch ältere, Männer und Frauen waren da, und sehr feine Köpfe darunter. Foerster selbst begann pünktlich, ging rasch und schlicht zum Podium und begann ohne alle Einleitung und alle Umstände. Er ist mittelgroß, schmal gebaut mit hoher Stirn, zurückgestrichenem, ziemlich kurzem Haar, kurzgeschnittenem blondem Bart; ganz einfach gekleidet, dunkel, ohne Schmuck, Kette usw., aber elegant fast. Er spricht norddeutsch, aber ohne Jargon, genau und mit wenigen Gesten. Sein Gesicht und seine Haltung ganz beherrscht, in den Augen ein gewisses überlegenes, ruhiges Beobachten. Erst sprach er in mehr theoretischen Ausführungen eine Stunde, machte dann eine Pause von 5 Min, wobei er ruhig und ohne aufzuschauen am Pult blieb, und dann weitere 20 Min in praktischer Weise. Während der ganzen Zeit bliebs lautlos im Saal, auch in der Pause nur leises Flüstern. Dabei spricht er nicht laut, nur mit vollkommener Ruhe und Disziplin. Er macht keine Konzession an Stimmung, Effekt oder Sensation, moduliert den Ton fast gar nicht, spricht in gleichmäßigen ruhigen Sätzen. Wenn ich meinen Eindruck von ihm zusammenfassen soll, so kommt er mir vor wie ein Mensch von sehr feinem Empfinden, sehr differenzierter Fähigkeit des Beobachtens und Verstehens, der es versteht, alles unter einige zentrale Gedanken zu stellen; ein Mensch von durchaus nicht genialen Kräften, aber der alles, was er ist und kann, durch eine vollendete Disziplin in seine Gewalt und auf eine hohe reife Entwicklung gebracht hat. Was ihm zu fehlen scheint, ist ein gewisses Maß ganz klarer, scharfer Denkform; dann vor allem Leidenschaft. Hat er sie, dann ist sie ganz zu einer vollkommenen kühlen Ruhe gebändigt und macht sich nicht bemerkbar. Jedoch hat man den Eindruck eines tiefernsten Menschen, dem man mit Ehrfurcht zuzuhören hat.” In einer Anmerkung ergänzte Guardini: “Jemand, der ihn persönlich kennt, erzählte mir, dass er an dem Abend schlecht disponiert war. Daher vielleicht auch der Eindruck des Kühlen” (20. Brief, 1. Teil vom 23. Februar 1913, Freiburg, in: Briefe an Josef Weiger, a.a.O., S. 84 f.)

Und am 9. März 1913 führte er seine Gedanken zu Foerster weiter aus: „Zu dem was ich neulich über Foerster schrieb, noch einen seither gefundenen Gedanken. Ich sehe und fühle allmählich deutlich die Gefahr, die in den Büchern von F. (auch Saitschicks u.a.) steckt. Sie sind so vollkommen in ihrer psychologischen Beobachtung, so echt in ihren Ratschlägen, Urteilen…, auch so ruhig und abgeklärt, dass sie einen ganz in ihren Bann ziehen, einem allmählich Gott, vor allem aber sicher das eigentlich Übernatürliche entbehrlich erscheinen lassen. Man denkt nicht mehr daran. Ganz unmerklich verliert die Offenbarung und ihr Inhalt, die Gnade …ihre absolute, reale, über allem stehende Bedeutung, die Offenbarungsgedanken ihren genauen, klaren, realen Sinn, all das gewinnt bloß symbolische ethische Bedeutung. Natürlich gilt das zunächst, oder vielleicht auch nur, für einen Menschen, der nicht gewissermaßen eingewachsen ist ins Christentum und die Kirche” (20. Brief, 3. Teil vom 9. März 1913, Freiburg, in: Briefe an Josef Weiger, a.a.O., S. 84 ff.).

Und schließlich heißt es ein weiteres Jahr später, am 15. Februar 1914: “Und endlich Foersters `Lebensführung´. Über letzteres Buch hätt ich gar zu gern Dein Urteil. Du siehst an den vielen Strichen, wie energisch es mich fasste. Ich habs immer auf dem Tisch; sehr viel verdanke ich ihm. Wie oft habe ich dabei an Dich gedacht! Aber ich traue meinem Urteil in diesen Fragen nicht ganz, hätte gern das Deine dazu” (43. Brief vom 15. Februar 1914, Freiburg, in: ebd., S. 135).

1916 wird sich dann auch Karl Neundörfer in seinem Aufsatz "Befehlen und Gehorchen nach der Regel des hl. Benedikt" (in: Pharus, 7. Jg., 1916, Heft 1, S. 18-33; Heft 2, S. 137-154) auf Foerster berufen. Er begann seinen Aufsatz mit einer Würdigung Foersters in Bezug auf dessen sozialpädagogische Leistungen (Ebd., S. 18). Namentlich verweist er auf Foersters „Jugendlehre” (Berlin 1909) und auf sein Buch über „Staatsbürgerliche Erziehung” (Leipzig (2)1914). Schon 1909 habe Foerster die Notwendigkeit betont, “DEN SINN DES GEHORCHENS ... so zu erläutern und darzustellen, dass der Gegensatz zwischen dem Verlangen nach starker Persönlichkeit und der Forderung des Gehorsams verschwindet” (Friedrich Wilhelm Foerster: Jugendlehre, a.a.O., S. 489). Später zitierte Neundörfer abermals Foerster: “Der Gehorsam ist eine Elementarschule für jede opferwillige Unterordnung des natürlichen Menschen unter höhere Forderungen, eine Befreiung von der Starrheit des Eigenwillens, die uns so oft im Leben hindert, unserem besseren Selbst treu zu bleiben.” Selbstüberwindung in demütigem Gehorsam ist „eine höhere Stufe des Heroismus, als die bloß nach außen gewendete Tapferkeit, ja sie ist allein das eigentliche Fundament aller rechten Tapferkeit. Gibt es doch viele Menschen, die nach außen sehr heroisch sein können, sich aber bei den intimsten Erprobungen des Charakters als Feiglinge erweisen, weil sie die nach innen gewandte Tapferkeit nie geübt haben. Für diese Tapferkeit aber ist der freiwillige Gehorsam eine unentbehrliche Schule” (Neundörfer, a.a.O., S. 149f. in Bezug auf Foerster, Staatsbürgerliche Erziehung, a.a.O., S. 133 f.) Und er schloss seine Überlegungen auch mit einem Zitat Foersters, einem der besten Vertreter der Sozialpädagogik, ab: “Ihr könnt diese Welt nicht allein mit den Mitteln dieser Welt organisieren. Ihr braucht die Wahrheit des Jenseits, um das Diesseits zu beherrschen” (Neundörfer, a.a.O., S. 154 in Bezug auf Foerster, Staatsbürgerliche Erziehung, a.a.O., S. 200).

Guardini verwies auf ihn in seinem „Brief über Selbstbildung“ zum Thema „Vom ritterlichen Manne“: „Fr. W. Förster hat gesagt, Anfang und Ende aller staatsbürgerlichen Erziehung besteht darin, die selbstverständliche und doch so schwere Wahrheit zu begreifen: `Ich bin nicht allein da; andere sind auch noch da.´ Nun, rechte Mannesart ist es, keine Angst zu bekommen, weil „andere da sind". Sich nicht aufzuregen, wenn einer die Sache anders sieht. Nicht alle über einen Kamm zu scheren und zu meinen, sie müssten so denken wie man selbst“ (Briefe über Selbstbildung: Vom ritterlichen Manne, 1921, S. 93).

In einer der wenigen Fußnoten seiner Gegensatzlehre von 1925 mutmaßte Guardini, dass “eine ruhiger denkende Zeit” seine Forderung, dass die Religion die Rechte Gottes an die Seele den Rechten des Caesars gegenüber zu Geltung bringen müsse, „zu den besonderen Verdiensten Friedrich Wilhelm Foersters rechnen” werde, zum Foerster dies auch „in konkreter Weise pädagogisch gestaltet und durchgeführt” habe. Auch in seinem Vortrag über „Politische Bildung“ von 1926 wies Guardini auf Foersters Bedeutung hin, der die „unmittelbar politische Bedeutung der sittlichen bzw. unsittlichen Verhaltensweisen deutlich” gemacht habe. Die Einschränkung, dass diese wertvolle Arbeit vom Erzieher nicht unberücksichtigt bleiben darf, selbst wenn er „Foersters praktische Politik” ablehne, lässt erahnen, wie klar Guardini die Frontlinien einschätzen konnte. 1920 hatte Foerster immerhin seine Professur in München nach politischen Auseinandersetzungen um seinen ethischen Pazifismus niedergelegt (Vgl. dazu Friedrich Wilhelm Foerster: Schriften zur politischen Bildung, besorgt von K.G. Fischer, Paderborn 1964). Guardinis doch deutliche Parteinahme für Foerster, was seinen Ansatz politisch-ethischer Bildung betrifft, ist daher zu dieser Zeit alles andere als selbstverständlich.

Fünfundzwanzig Jahre später in seiner Schrift „Die Macht“ von 1951 wird Guardini über Foerster dann noch eindeutiger schreiben: „Wer sehen kann, sieht, wie überall die Katastrophe der falsch gehandhabten Wirklichkeit im Gange ist. Also müssen wir wieder an das Wesen des Seienden herankommen. ... Eine Hilfe dazu leisten die ... immer noch nicht übertroffenen Schriften von F. W. Foerster, „Lebenskunde“ und „Lebensführung“.“ (Guardini, Die Macht, a.a.O.) Bei der Neuauflage dieses Foerster-Buches im 102.-104. Tausend durch den Matthias-Grünewald-Verlag im Jahr 1953 wird dann auch just mit jener Einschätzung für das Buch auf dem Einband geworben (Friedrich Wilhelm Foerster: Lebenskunde. Ein Buch für Knaben und Mädchen, Würzburg/Mainz (102.-104. Tausend)1953, Einband).

Rückblickend notierte Guardini am 9. März 1954 in sein Tagebuch über einen Brief von Foerster, in dem „er sehr Freundliches über meine Arbeit” sage und „insbesondere meiner Schrift `Verantwortung´” zustimme: “Foerster ist derjenige, von dem ich am meisten pädagogisch gelernt habe. Eigentlich, wenn ich Strehler hinzunehme, dessen Konvikt in Neisse mich für immer beeindruckt hat, der Einzige. Von ihm habe ich gelernt, den Weg zu sehen - und zu gehen, der beständig zwischen Idee und konkreter Wirklichkeit gegangen werden muss” (Guardini, Stationen und Rückblicke/Berichte über mein Leben, a.a.O., S. 227).

1956 verwies er in einem Vortrag über den „Dienst am Nächsten“ auf Foerster, der „darauf aufmerksam gemacht“ habe, „dass der Leidende im Zusammenhang des Daseins eine wichtige Aufgabe hat: den Nicht-Leidenden - Gesunden, Kraftvollen, Wohlstehenden - vor den Gefahren der Selbstsucht, Gedankenlosigkeit, Härte, ja Grausamkeit zu schützen, die in seinem Zustande liegen“ ((Guardini, Der Dienst am Nächsten in Gefahr, in: ders.: Der Weg zum Mensch-Werden, 1975, S. 104; auch in: ders.: Sorge um den Menschen, Bd. 2, 1966; (2)1989, S. 77).

Außerdem habe er „auf die Gefahr hingewiesen …, die in der Gesundheit selbst liegt. Sie kann den Menschen roh und, in einem tiefen Sinn, dumm machen“ (Guardini, Romano: Gläubiges Dasein/Die Annahme seiner Selbst, S. 168 f.).

Und in seinen Ethik-Vorlesungen konnte er Foerster schließlich auch unter „die großen ethischen Entdecker und Erneuerer“ einreihen, „dem hier seinerzeit großes Unrecht geschehen ist“ (Guardini, Ethik, a.a.O., S. 373 f.).

Foerster Auseinandersetzung mit Guardini

Insgesamt stimmte Foerster mit seiner Kritik an den modernen Säkularisierungstendenzen, einer gewissen Idealisierung der mittelalterlichen Synthese von Gesellschaft, Staat und Kirche sowie seiner gegen die Nietzsche-Begeisterung seiner Zeit gerichtete Vermittlung von Augustinus und Kant mit der Jugendbewegung um Romano Guardini überein (Foerster, Erlebte Weltgeschichte 1869-1953. Memoiren, Nürnberg 1953, S. 162-164).

Noch 1961 in Foersters Buch „Deutsche Geschichte und politische Ethik“ hieß es zum Beispiel: „Gewiss musste alles, was danach kam, so kommen, wie es gekommen ist, aber dies dictum de omni et nullo, da sich ja alles historisch Geschehene kausalnotwendig so vollziehen musste, wie es sich vollzogen hat, darf nie die eigene Verfehlung entschuldigen sollen. Sonst ist sie, sagt Guardini (Hochland 1948, S. 108) Lüge und Feigheit: `In Wahrheit ist es so gekommen, weil es gewollt wurde´“ (Friedrich Wilhelm Foerster: Deutsche Geschichte und politische Ethik, Nürnberg 1961, S. 55).

Jugendseele, Jugendbewegung, Jugendziel

So steht Foersters Idee der "Selbsterziehung" im Hintergrund von Guardinis eigener Idee der "Selbstbildung". Foersters Einfluss auf Guardini darf dabei nicht unterschätzt werden. Diese Einflussnahme ist aber bereits früh wechselseitig, denn auch Foerster stützte sich immer wieder auf Gedankengänge Guardinis. In der katholischen Jugendbewegung wurde mit großer Aufmerksamkeit vor allem Foersters Schrift „Jugendseele, Jugendbewegung, Jugendziel” (Erlenbach-Zürich, München, Leipzig 1923 u.ö.) wahrgenommen, worin er festhält, dass „Quickborn ... sozusagen der katholische Wandervogel“ sei (ebd., S. 255).

Der bündische Gedanke sehe das Einzelinteresse wesentlich stärker als die demokratische Idee mit dem Gesamtinteresse verknüpft und spreche dem einzelnen Recht und Wert in der Gemeinschaft nur in dem Maße zu, in dem er sich dem Ganzen verpflichtet fühlte. Es war eine eigenartige Synthese von aristokratischen und demokratischen Tendenzen, die dieser Haltung zugrunde liege. Sie käme dem von Carlyle erstrebten Zustand sehr nahe, den er mit den Worten umschrieb: „Wir müssen die unvermeidliche Demokratie mit der ebenso unvermeidlichen Aristokratie vereinigen“ (ebd., S. 170).

Foerster lehnte es infolgedessen ab, die Haltung der Jugendbewegung zur Politik, die ganz wesentlich auf psychologischen, im Jugendalter wirksamen Tendenzen beruhte, summarisch als antidemokratisch zu bezeichnen (ebd., S. 171).

Demokratie und Führung seien dann kein Widerspruch, wenn beide Auffassungen sittlich-religiös vertieft werden: „Die Überwindung der Kinderkrankheiten und Illusionen der demokratischen Bewegung ... und die erneute Ausgestaltung des Führerwesens hängt vor allem von der sittlich-religiösen Vertiefung der Führerauffassung ab, so wie er sich gerade so erfreulich in der Jugendbewegung ankündigt“ (ebd., S. 371).

Nur diese sittlich-religiöse Vertiefung der Politik könne auch vor übertriebener Machtpolitik bewahren: „Gibt es doch nichts, was so sehr `das Fleisch berauscht´, als die sich selbst überlassenen Interessen- und Selbstgefühlskonflikte zwischen den Einzelnen, den Klassen und den Völkern“ (ebd., S. 252).

Vor allem von der katholischen Jugendbewegung erhoffte er sich eine Abwehr „des heidnischen und undeutschen Nationalismus“ und eine Stärkung föderalistischer und pazifistischer Kräfte (ebd., S. 306).

Die Jugendbewegung insgesamt sei „ein wahrer Trost für jeden Deutschen, der schon daran verzweifeln wollte, dass sich die deutsche Seele jemals wieder aus der Verzauberung lösen werde, in die sie durch ihre Hinwendung zur Machtpolitik unwiederbringlich verstrickt schien“ (ebd., S. 7).

Gerade im Abschnitt über „Katholische Autorität und freideutsches Suchen” verwies Foerster häufig auf Guardini und kritisierte mit ihm den „vitalistischen Lebensbegriff” der Freideutschen Jugendbewegung (ebd., S. 285).

Politisch-pädagogische und politisch-theologische Positionen Foersters

Friedrich Wilhelm Foerster selbst berichtete davon, dass seine Freiburger Studienzeit ihn aus der seinem Elternahaus als „Kultstätte der naturwissenschaftlichen Weltanschauung“ in das „Deutschland der katholischen Kirche“ katapultierten, was ihm zunächst eine „gänzlich fremde Welt“ war, aber wesentlich mit dazu beigetragen hat, sich langsam zum Christentum zu bekehren (Foerster, Erlebte Weltgeschichte, a.a.O., 1953, S. 73 und S. 155 ff.).

Christentum und ethische Kultur (1897)

In einem Aufsatz in der Zeitschrift „Ethische Kultur“ schrieb Foerster bereits 1897 ein Plädoyer für den Erhalt des Christentums innerhalb der ethischen Kultur: „Das Christentum braucht nicht unterzugehen, damit die ethische Kultur siegt. Seine Verkünder müssen nur die Anmaßung aufgeben, dass das Evangelium die einzige Lebensquelle der Menschlichkeit und Charaktergröße sei“ (Friedrich Wilhelm Foerster: Christentum und ethische Kultur, in: Ethische Kultur. Wochenschrift für sozialethische Reformen, 5,1897, S. 121f., S. 131-133 und S. 148-151, hier S. 148). Denn die Feststellung, dass Religion „Privatsache“ sei, sei nicht gleichbedeutend mit der Erklärung zur „Nebensache“: „Wenn wir die Religion nicht als öffentliche Veranstaltung, sondern als Heiligtum des Individuums behandelt sehen wollen, sprechen wir damit ein Urteil aus über die Bedeutung, welche ihr im Leben des Einzelnen zukommt? Vertieft sich nicht das religiöse Leben in dem Maße, als es individuell wird?“ (ebd., S. 149 f.). Zu diesem Zeitpunkt war Foerster aber noch der Auffassung, dass Ethik keine religiöse Begründung brauche: „Man kann die Religion deshalb nicht zur Grundlegung des ethischen Lebens verwerten, weil die echte, tiefe, persönliche Religion, auf die es doch auch dem ernsthaften Seelsorger allein ankommt, im jugendlichen Gemüte überhaupt gar nicht vorhanden sein kann, weil die erst eine Frucht der in Schicksalskämpfen und inneren Erlebnissen gereiften Seele ist“ (ebd., S. 151). Die ethische Erziehung sei vorrangig eine religionslose Charakterbildung, die aber für die Erziehung zur wahren Religion jene moralischen Gefühle erweitere, die für eine Erziehung zur wahren Religion Propädeutik seien: „Mit einem Wort: Die Erziehung zur wahren Religion führt nur durch eine religionslose Charakterbildung. Religiöse Hingebung erwächst erst aus der Erweiterung der moralischen Gefühle“ (ebd.).

Versuche in Moralunterricht (1900)

Schon früh vertrat er dabei für die Moralpädagogik eine induktive Methode. Es sei nicht wirkungsvoll, Kindern Moral direkt zu predigen, da das die Kinder nur sofort verstimme: "Vielmehr soll man das Kind einfach einführen in die konkreten Beziehungen des Lebens selber, ihnen ihre Mitmenschen verständlicher machen, ihnen helfen, sich in die Seele der Anderen hineinzuversetzen und Ursache und Wirkung in menschlicher Wechselwirkung richtig zu beobachten. Oeffnet man auf solche Weise den Kindern die Augen, so entwickelt sich ihre „moralische Anpassung“ an das Leben ganz von selbst“ (Friedrich Wilhelm Foerster: Versuche in Moralunterricht, in: Ethische Kultur. Wochenschrift für sozialethische Reformen, 8, 1900, S. 306).

Religiöse Bekehrung

In die Jahrhundertwende fällt seine eigentliche religiöse Bekehrung, die von der Außenwelt als „katholisierende Tendenzen“ wahrgenommen werden sollten. Er selbst beschrieb den Vorgang im Rückblick: „Die Entwicklung war durch sehr verschiedene Einflüsse bestimmt, die aber nicht ausreichten es zu klären, dass ich beinahe plötzlich aus dem schweren Morgentraum des modernen Menschen als gläubiger Christ erwachte – etwa im Alter von 30 Jahren. Da glaubte ich sofort an den ‚Gottmenschen‘ und konnte es nicht mehr begreifen, dass man an Gott glauben und Golgatha geistig erleben und noch daran zweifeln könnte, dass hier das Licht vom ewigen Lichte durch die irdische Finsternis durchgebrochen sei“ (Foerster, Erlebte Weltgeschichte, a.a.O., S. 156).

Jugendlehre (1904)

In seiner vielbeachteten Jugendlehre (Friedrich Wilhelm Foerster: Jugendlehre. Ein Buch für Eltern, Lehrer und Geistliche, Berlin 1904; u.ö. Hier zitiert nach der Auflage von 1910) geht Foerster zunächst kritisch auf die moderne Kultur und Technik sowie die voranschreitende Säkularisierung ein. In der modernen Zeit sei nur mehr das „Streben des Menschen nach Ergründung und Bändigung der äußeren Natur“ wichtig, während die Sorge um die innere Natur des Menschen in den Hintergrund gerückt sei (ebd., 1910, S. 1): „Darum kann heute für Gläubige und Ungläubige die nächste und dringendste Aufgabe nur die sein, den Menschen wieder das Heil ihrer Seele teuer zu machen, sie aus den tausend Überflüssigkeiten und Nebensächlichkeiten zum Wichtigsten zurückzuführen: zur Liebe, zur Demut, zur Selbstüberwindung. Nur in deren Dienste macht der Mensch die inneren Erfahrungen, die ihn Religion verstehen lassen und zur Religion führen“ (ebd., S. 5).

Echte Bildung sei daher nicht nur Wissens- und Technikvermittlung, sondern vor allem Sinnstiftung: „Nicht dass man etwas weiß, sondern wozu man etwas weiß und in welchem Zusammenhang mit dem Allerhöchsten und Allerwichtigsten – das macht echte Bildung aus. Und nicht dass man lesen und schreiben kann, sondern was man liest und was man schreibt, darauf kommt es an. Und die Schule, die lesen und schreiben lehrt, die muss darum auch für die rechte Pflege des inneren Menschen sorgen“ (ebd., S. 7).

Er spricht sich daher für eine Moralpädagogik als Erlebnispädagogik aus: „Man kann das Kind nicht durch moralische Deduktionen zur moralischen Erfahrung leiten, sondern umgekehrt: zunächst muss das Moralische auf dem Wege natürlicher Kraftentfaltung ein Erlebnis werden, erst dann kann man damit wie mit einem bekannten Begriff operieren und weitere Lebensgedanken – ja, Gedanken, die über das Leben hinausgehen – daran knüpfen“ (ebd., S. 14).

Nicht abstrakte Moralgesetze oder „trockene Pflichtenlehre“ dürften daher im Zentrum stehen, „sondern Einführung in die soziale Wirklichkeit“ und die „Enthüllung des realen Lebens“ (ebd., S. 30).

Die in der Erziehung gewählten Besprechungen und Geschichten dürften deshalb ebenfalls nicht nur bloße Ermahnungen oder Belehrungen sein, sondern ausgehend von der Erfahrung der jungen Menschen sollten die „unerbittlichen Verkettungen des realen Lebens“ aufgedeckt werden, um dann „die nötigen Hilfsmittel der Selbsterziehung vorzuschlagen, mittels derer man sich durch Übungen im Kleinsten einen Einfluss auf das eigene Geschick im Großen sichern kann“ (ebd., 1910, S. 41). Im zweiten Teil gibt Foerster dazu ein Beispiel: „‚Habt ihr einmal beobachtet, wie die Menschen in eine Tram aus- und einsteigen? – Wieviel man dabei beobachten kann? Wie verschieden sich die Menschen dabei benehmen?‘ … Eine ganze Ethik lässt sich da anknüpfen. Nicht: ‚Du sollst anständig in die Tram einsteigen.‘ Sondern: Wie man den feinen und wirklich gebildeten Menschen bei solchem Einsteigen erkennt. Dann sagt sich das Kind: ‚Ich will anständig einsteigen‘“ (ebd., S. 216).

Foerster beruft sich in seinem Primat der Charakterbildung vor der Wissensüberlieferung auf den amerikanischen Pädagogen Colonel Parker, indem er ihn zitiert: „Der Lehrer, der nur Wissen überliefert, ist nichts als ein Handwerker – der Lehrer, der den Charakter bildet, ist ein Künstler“ (ebd., S. 83).

Er verweist außerdem auf Felix Adler, den Gründer der New Yorker Gesellschaft für ethische Kultur, der sich stark für einen nicht konfessionellen Moralunterricht einsetzte. Dieser hatte betont: „Die Aufgabe des Moralunterrichts ist, die Gewohnheiten zu befestigen und in klarer, leichtfasslicher Darstellung die Gesetze der Pflichten zu erklären, welche den Gewohnheiten zugrunde liegen. Der Wert solcher intellektueller Darlegungen besteht darin, dass sie dem moralischen Verhalten eine Grundlage in der Vernunft geben und ferner, dass sie es ermöglichen, die moralischen Regeln auf ganz neue Fälle anzuwenden, auf welche die Gewöhnung sich noch nicht erstreckt hat“ (ebd., S. 155).

Außerdem führt er John Dewey als Gewährsmann für seine eigenen pädagogischen Sichtweisen an. Auch ihn zitiert er mit den Worten: „Das Studium der Ethik, das Studium der ethischen Beziehungen und Verhältnisse ist das Studium der komplizierten Wirklichkeit, deren Glieder wir sind. Wenn es einen Grund gibt für den Heranwachsenden, sich mit Geometrie, Physik, Latein und Griechisch vertraut zu machen, so gibt es zwanzig für die Notwendigkeit, einzudringen in das Wesen und den Sinn derjenigen realen Beziehungen, auf deren Verständnis sein tiefstes Wohl und Wehe ruht. […] Ethik, richtig verstanden, ist die Wissenschaft von lebendigen menschlichen Wechselbeziehungen. Der richtige ethische Unterricht gibt dem Schüler daher auch nicht starre und harte Regeln für seine Führung, sondern er zeigt ihm die realen Wechselwirkungen zwischen Mensch und Mensch und die Art der gegenseitigen Abhängigkeit in den komplizierten Beziehungen menschlichen Verkehrs und Zusammenwirkens“ (ebd., S. 162 f.).

Lebenskunde (1904)

Imselben Jahr hat er sich in einer „Lebenskunde“ direkt an die Knaben und Mädchen gewandt (Friedrich Wilhelm Foerster: Lebenskunde. Ein Buch für Knaben und Mädchen. Berlin 1904 u.ö.). Er selbst ordnete diese Schrift im Rückblick ein. Ihr Sinn und Ziel sei, dass sie eben „kein Handbuch der Morallehre“ sei, „sondern ein Versuch, die Aufmerksamkeit der Jugend auf die Folgen der Dinge, auf die Ursachen der menschlichen Konflikte, auf die praktischen Möglichkeiten der Lösung verschiedenster Schwierigkeiten im menschlichen Zusammenleben zu lenken. Die Folgerungen, die aus alledem gezogen werden, sind dann Folgerungen aus der Lebenswirklichkeit und nicht aus abstrakten Prinzipien. Dies soll den Leser überhaupt von der Vorliebe für Abstraktionen abwenden, die ein ganz besonderes Symptom eines intellektualistischen Zeitalters ist“ (Friedrich Wilhelm Foerster: Zur Unterrichtung über Sinn und Ziel meines Schrifttums. Vorwort für meine sämtlichen Bücher (New York im Mai 1951), S. 1-7, hier S. 2. Das Vorwort ist datiert mit New York im Mai 1951).

Schule und Charakter (1907)

In diesem Kontext steht auch sein Buch „Schule und Charakter“ (1907), eine Sammlung von Beiträgen zu moralpädagogischen Problemen des Schullebens, speziell zur „Pädagogik des Gehorsams“ und zur „Reform der Schuldisziplin“ (Friedrich Wilhelm Foerster: Schule und Charakter, Zürich 1907 u.ö. Hier zitiert aus der neubearbeiteten und erweiterten Auflage (15)1953).

Zunächst definierte Foerster den Charakter als die „eigentliche Zentralkraft des ganzen Menschen, die für seine gesamte Lebensleistung ausschlaggebend und ein fundamentaler Faktor seiner physischen Gesundheit ist“ (ebd., S. 5). Bereits hier betonte er selbst den wechselseitigen Zusammenhang zwischen Pädagogik und Politik in alle seinem Werk: „Es gibt keines meiner Bücher, selbst unter denjenigen, die den sozialen, politischen oder religiösen Fragen gewidmet sind, die nicht voll von pädagogischen Anwendungen und Schlussfolgerungen wären. Und wiederum gibt es keines meiner pädagogischen Bücher, das nicht irgendwie politische Konsequenzen aus pädagogischen Erkenntnissen zöge“ (ebd., S. 15).

Inhaltlich wurde in diesem Buch bereits deutlich das Verhältnis von Autorität und Gehorsam auf der einen Seite, Selbstregierung und Selbsterziehung auf der anderen Seite angesprochen. Für Foerster ist zunächst „wahre Bildung … die Fähigkeit, Hauptsache und Nebensache im Leben zu unterscheiden, und Charakter ist die Kraft, diese Unterscheidung auch in der Lebensführung zum Ausdruck zu bringen“ (ebd., S. 46).

In einem kleinen Kapitel über die „Ethik der Freundschaft“ schrieb er zur Wahl der Freunde: „Es ist gerade in der Jugend förderlich, dass man sich zum Umgang nicht bloß gleichgestimmte Seelen, sondern auch ganz entgegengesetzte Naturen [als Freunde] wähle. Selbst wenn man mit solchen Naturen nie wahrhaft intim werden kann, ist doch ein derartiger Umgang eine höchst wichtige Korrektur für die eigene Einseitigkeit und eine unentbehrliche Schulung für das spätere Leben, da wir uns ja nicht immer diejenigen aussuchen können, mit denen wir täglich zusammenleben und zusammenarbeiten müssen. Man muss lernen, sich anzupassen, mit entgegengesetzten Temperamenten in Frieden zu leben, anders gerichtete Interessen und Ansichten, lästige Gewohnheiten und irritierende Eigenheiten mit Liebe und gutem Humor zu ertragen – wobei man sich immer auch fragen sollte: Wieviel Nachsicht brauche ich selber von Seiten der andern?“ (ebd., S. 147).

Zum Verhältnis von Autorität bzw. Gehorsam auf der einen und Freiheit bzw. Selbstverantwortlichkeit auf der anderen Seite stellte er drei Thesen für eine gute Erziehung auf: „1. Die Autorität muss ihren Eingriff auf das unbedingt Notwendige und Wesentliche beschränken und im Übrigen einen möglichst großen Spielraum für die Freiheit und Selbstverantwortlichkeit gewähren. 2. Das Ehrgefühl und das Selbstgefühl des Zöglings zu schonen verstehen. 3. Alles muss daran gesetzt werden, die Ordnung nicht bloß von außen aufzupressen, sondern die ordnenden Kräfte im Charakter des Zöglings selber zur Mitarbeit zu gewinnen und die gewünschte Leistung des Gehorsams oder der Arbeit in die Sprache der stärksten Interessen des Jugendalters zu übersetzen“ (ebd., S. 190).

Ausgehend von jenem „tiefverborgenen Verlangen jedes Menschen nach Herrschaft seiner geistigen Kräfte über Körper und Sinne“ zog Foerster den Schluss: „In jedem besseren Menschen, ja selbst in vielen scheinbar Verlorenen trifft der Appell an heroische Selbstüberwindung auf eine tiefe Empfänglichkeit. […] Es ist, als wenn sich der Mensch erst dann wahrhaftig persönlich angeredet und geehrt fühlt, wenn man dieses Verlangen in ihm voraussetzt und in Wirksamkeit ruft“ (ebd., S. 255). Auf dieser Basis erklärte er dann auch noch einmal sein Verständnis des Christentums im Verhältnis zur Pädagogik: „Das Christentum ist das größte Ereignis in der Pädagogik, weil es zuerst in ganzem Umfange allen Dienst, alle Arbeit, alle Disziplin des Menschen mit dem innersten Leben der Persönlichkeit in Beziehung gesetzt und als das Mittel zur Erhöhung der Freiheit gefeiert hat, was sonst nur Knechtschaft und Unterdrückung zu sein schien. So hat es den Gehorsam als Befreiung vom Eigenwillen, die niederste und reizloseste Arbeit als Übung zur Selbstüberwindung, zur Geduld und zur Treue zu enthüllen gewusst. […] Erst das Christentum lehrte die „Menschwerdung des Geistes, vertrat die tiefere Hygiene des Geistes, wusste, dass der Geist erst durch die Beherrschung und Durchdringung der Materie zur höchsten Kraftentfaltung gelangen kann“ (ebd., S. 255 f.).

Lebensführung (1909)

So wie Foerster seine „Jugendlehre“ durch seinen Sammelband „Schule und Charakter“ ergänzt hat, stellte er 1909 seiner „Lebenskunde“ die „Lebensführung“ für junge Menschen an die Seite (Friedrich Wilhelm Foerster: Lebensführung. Ein Buch für junge Menschen. Berlin 1909 u.ö. Hier zitiert in der Auflage von Mainz 1954).

In dieser Schrift nahm Foerster klar Stellung zum Verhältnis des familiären mit dem Frieden in Gesellschaft und Politik: „Was nützt es, Glückwünsche über herrliche Friedensreden zu empfangen, wenn die Nachbarn lauten Streit in einer Familie hören […]? Die Familie ist die Zelle der menschlichen Gesellschaft auch in dem Sinne, dass das eigentliche Problem der Friedenswahrung und Friedensstiftung zwischen vielfältigen Gegensätzen gerade hier in seiner ganzen Schwierigkeit erlebt und erprobt wird. Wer hier im Militarismus stecken bleibt, der rede sich nicht ein, dass er irgendwo in der Welt ‚Pazifismus‘ ausstrahlen könnte“ (Ebd., S. 101 f.)

Insofern benannte er auch erstmal sechs Grundsätze, mit Hilfe derer der familiäre Friede gestärkt werden könne: 1) Jeder soll die eigenen Grenzen und das Reich des anderen respektieren. 2) Wer andere kritisiert oder von ihnen etwas fordert, soll er deren Selbstgefühl schonen und in der Lage sein, auch eigene Schwächen/Fehler zugeben zu können. 3) Nach einem Konflikt sollte man für eine Aussprache einen Zeitpunkt wählen, zu dem keiner der Beteiligten mehr sonderlich verärgert ist. 4) Man darf „in der Liebe nicht schweigen“, sondern sollte „den anderen immer wieder unsere Gründe der Hochachtung, des Vertrauens und der Bevorzugung wissen lassen.“ 5) Es gilt kreative Lösungen zu suchen und zu finden, bei denen beide Konfliktparteien zu ihren Rechten kommen. 6) Es hilft nichts, in gewissen Dingen/Situationen einfach nur nachzugeben. Denn „nur das bewahrt den Frieden – wenn nämlich da 1-5 vorangeht.“ Foerster beendete dieses Kapitel mit den Worten: „Das Friedensproblem scheint immer denen langweilig, die nur abstrakt über Institutionen theoretisieren. Im wirklichen Leben zwischen lebendigen Temperamenten, Erbschaften, Interessen, Rechten und Ansichten Frieden schaffen, und zwar nicht nur einen faulen Frieden um jeden Preis, sondern einen Frieden, der der wirklichen Rangordnung der Güter und Ansprüche gerecht wird – das ist das umfassendste und reichste Problem des ganzen Menschendaseins“ (ebd., 102 f.).

Im Kapitel „Krieg und Frieden“ wandte sich Foerster gegen die irrige Vorstellung, dass der Krieg nicht in uns selbst seine Ursache hat, sondern von „außen“ auf uns kommt und über uns verhängt wird, und man deshalb auch „den Krieg durch Pakt, Schiedsgericht und internationale Organisationen“ wieder vernichten oder zumindest überwinden könnten. Dem sei aber nicht so: "Alles, was heute gegen den Krieg geredet, geschrieben und getan wird, ist ohnmächtig, weil es den Krieg nicht in seinem notwendigen inneren Zusammenhang mit dem ganzen Sein der gegenwärtigen Menschheit sieht.“ Denn gemäß der hinter allem stehenden Ordnung gilt: „Der Krieg, das sind wir selber.“ Da der Mensch von Natur aus gleichermaßen gut und böse sei, folge der Krieg logischerweise aus der menschlichen Bösartigkeit: „Der Krieg enthüllt unser wesentliches Wollen und Treiben und alle Konsequenzen, die logisch daraus folgen; der Frieden ist ein künstlicher Zustand, in dem uns eine Zeitlang die Folgen unseres friedlosen Redens und Tuns erspart werden, so dass wir in schwere Illusion über uns selbst fallen, und nicht sehen, dass er unser legitimstes Kind ist, das wir vergeblich vor uns und anderen verleugnen“ (ebd., S. 257).

Für Foerster war der Krieg des Menschen gegen den Menschen die „größte und alles beherrschende Tatsache des Menschenlebens auf Erden“. Diese „Tatsache“ der Feindschaft könne nur dann verschwinden, wenn der „alte“ Mensch wie er verschwindet und der „neue“ Mensch durch eine Erneuerung im Glauben an Christus ersteht, ganz im Sinne von Thomas a Kempis, den Foerster hierzu zitierte: „Bringe dich zuerst selber in den Stand des Friedens – dann wirst du ihn auch anderen geben können.“ Die Herausforderung bestehe darin, Frieden mit Menschen zu halten, die man nicht mag: „In Frieden leben mit Starrsinnigen, Verkehrten, Ungeordneten und Widerspenstigen, das ist eine große Gnade, ist ein tapferes Werk und hoher Ehren würdig.“ So hätten die Worte des Thomas a Kempis nicht nur für religiöse Menschen Bedeutung, sondern „sie haben mit der eigentlichen Begründung der menschlichen Gesellschaft, mit der konkretesten staatsbürgerlichen Erziehung, mit der wichtigsten Sozialisierung der antisozialen Menschennatur zu tun. Friedfertigkeit ist nicht eine beliebige Teilarbeit des menschlichen Kulturwerkes, nein, es handelt sich hier um das Fundament aller Fundamente, ohne das alles andere Schein oder Lüge bleibt“ (ebd., S. 262).

So wie sich letztlich Geschlechter gegenseitig erziehen können, sei dies auch Völkern und Kulturen möglich, setze aber Bescheidenheit voraus: „Die Bescheidenheit ist nicht nur das Fundament aller echten Kultur, sondern auch aller geistigen und moralischen Gesundheit, alles wirklichen Fortschritts.“ In diesem Zusammenhang kritisierte Foerster bereits deutlich die Bemühungen, die arische Rasse „als die alleinige Quelle jeder höheren Kultur und allen semitischen Einfluss als Verfälschung und als Vorbereitung zum Niedergang hinzustellen.“ (ebd., S. 265 f.)

Der Zusammenhang von Verständigung und Abrüstung gelte daher im Familiären, im Kulturellen und auch im Politischen: „Niemals kann die Verwirklichung des Weltfriedens einfach nur mit der Abrüstung beginnen. Zuerst muss die totale Verständigung da sein, dann folgt die allgemeine Abrüstung automatisch.“ Foerster schloss diesen Abschnitt mit seiner Überzeugung, dass alles darauf ankomme, „dass unter dem überwältigenden Eindruck der modernsten Vernichtungstechnik die geistigen und religiösen Führer der Menschheit eine ganz neue Erziehung der Jugend und Erwachsenen durchsetzen, deren Ziel sein müsste, das ‚Pax vobiscum‘ der Religionen genau so in die Technik der Konfliktlösungen zu übersetzen, wie die Zerstörungstechnik den Soldaten beibringt, den Gegner in fliegende Fleischfetzen zu verwandeln. Es wird uns leider nicht konkret genug gelehrt, dass unsere Erlösung nicht nur von oben her zu erwarten ist, sondern zuerst durch unsere aufrichtige Hingebung an die Wirklichkeit des Bruders, des Nachbarn, des Mitbewerbers und des Gegners, und dass die Ausgleichung der menschlichen Gegensätze die wichtigste Technik und Wissenschaft auf der Welt sein sollte“ (ebd., S. 285).

Autorität und Freiheit (1909)

Ab Oktober 1909 erschienen im „Hochland“ die Aufsätze über „Autorität und Freiheit“ (Friedrich Wilhelm Foerster: Autorität und Freiheit, in: Hochland, 7, 1909/10, H. 1 (Oktober 1909), S. 20-30, S. 186-206, S. 314-323), die Foerster dann stark erweitert 1910 als Buch veröffentlichte (Autorität und Freiheit. Betrachtungen zum Kulturproblem der Kirche, Kempten/München 1910 u.ö.).

Im Vorwort zu diesem Buch schrieb Foerster über seine Motivation, dass er sich, „im naturwissenschaftlich-materialistischen Zeitalter und im Angesichte der Scheinerfolge der Realpolitik aufgewachsen“, gedrängt fühlte, „an der Wiederherstellung und Vertiefung der geistigen Grundlagen des Lebens mitzuarbeiten, und zwar NICHT VON OBEN HER, DEDUKTIV, sondern von unten herauf, INDUKTIV, ALSO MIT BENUTZUNG DER EMPIRISCHEN METHODEN SELBER. ... Ich wollte gleichsam die Wirklichkeit selber zwingen, Zeugnis abzulegen dafür, dass das Leben tiefere Bedingungen hat, als es die greifbaren Realitäten sind. Alle meine ethischen Schriften waren eine Vorarbeit zu diesen Nachweisen; die innere Entwicklung, die mich zur christlichen Religion führte, bedeutete nur eine weitere Konsequenz jener ganzen Abwendung von dem modernen Kultus des Sichtbaren, von dem beschränkten Kausalitätsprinzip der mechanischen Weltauffassung und von dem beherrschenden Naturalismus des Denkens auch in sittlichen Fragen.“ (ebd., S. VII f.).

Dabei vertrat Foerster selbst explizit eine Gegensatzlehre, die stark an Guardinis Konzeption erinnern wird: „Sozialismus und Individualismus, Autorität und Freiheit, Tradition und Selbstständigkeit, Nationalismus und Internationalismus, Intellektualismus und Mystik, Gehorsam und Selbstverantwortlichkeit, charaktervolle Strenge und verzeihende Humanität – alle diese Gegensätze, die sich in einer gesunden Ordnung nicht bekämpfen, sondern eng gegenseitig ergänzen, sind heute mehr als je auseinandergefallen, und der Kampf, den die verschiedenen Elemente in der Seele des Menschen gegeneinanderführen, ist auch die letzte Ursache des Völkermordens und des Hasserfüllten Auseinanderfliehens aller Lebenstypen auf der großen Bühne der Welt.“ Gerade weil eine Sache immer „zwei verschiedene Seiten“ habe, sei ihm die religiöse Begründung als unausweichlich erschienen: „das Zurückgehen auf die tiefsten geistigen Bedingungen aller menschlichen Kultur“ und „die Überwindung der Einseitigkeiten, in denen sich das ganze Denken des modernen Menschen bewegt.“ Es war ihm gewiss, dass „der durch die ganze Not der Spaltung zerquälte und verkrüppelte Mensch der Gegenwart“ sich „eben aus seinem Elend heraus mit ganz neuem Verstehen dem universellen Christus öffnen“ wird, „in dem alle Gegensätze in ausgewachsener Größe lebendig und doch miteinander versöhnt sind. ... Gott ist Mittelpunkt und Einheit aller Lebenskräfte, der Gottmensch ist die lebendige Darstellung dieser Einheit auf Erden, und Nachfolge Christi ist die Übertragung dieses Vorbildes auf die ganze Welt der auseinander und gegeneinander strebenden Kräfte hienieden“ (S. X f.)

Im Buch selbst schrieb Foerster - Guardinis Gedankengänge teilweise vorwegnehmend: „Wir leben in einer Zeit der merkwürdigsten Widersprüche. Noch niemals wurde die Notwendigkeit autoritativer Führung in ethisch-religiösen Grundfragen so radikal bestritten und mit solcher Selbstgewissheit als überwundene Phase einer unmündigen Vergangenheit bezeichnet, wie gerade in unseren Tagen. Zugleich aber beginnen weite Kreise schon zu spüren, was eigentlich diese Selbstherrlichkeit des individuellen Urteils bedeutet, wenn man sie aus der Theorie ins Leben überträgt und alle Konsequenzen aus ihr zieht. Da wird erschreckend klar, auf was für kurzsichtige und einseitige Gedanken man den einzelnen beschränkt” (ebd., S. 3).

Foerster wies eindringlich darauf hin, dass der „AUTONOMIE des Individuums“ auch „seine KOMPETENZ“ entsprechen müsse, vor allem in Bezug auf „seine Erkenntnismittel“, die „der ungeheuren Aufgabe gewachsen“ sein müssten, „das, was das Leben der Gesellschaft und des einzelnen in der Tiefe zusammenhält, selbständig zu erforschen und ohne höhere Führung und Erleuchtung bis auf den Grund zu verstehen“ (ebd., S. 5) „Der Anspruch der individuellen Vernunft und des individuellen Gewissens auf absolute Autonomie“ sei deshalb unhaltbar, weil „Wesen und Inhalt“ der „sittlich religiösen Grundfragen“ „der Erkenntnis gewisse Bedingungen stellen, die nur von auserwählten Persönlichkeiten erfüllt werden“ (ebd., S. 6). Die Entwicklung zu einem Zustand, „in dem der Mensch in den entscheidenden Grundfragen seines Daseins ganz von der Hand in den Mund lebt“, wie sie in der Entwicklung zu einem autonomen Individualismus gegeben sei, führe zu einer „inneren Verwilderung“ der Menschen (ebd., S. 8).

Prophetische Seher seien daher auch auf sittlichem Gebiet bedeutender als bloße Denker, denn „von jeher waren es die `Seher´, die uns auf sittlichem Gebiete die tiefere Erkenntnis vermittelten.“ (Foerster, Autorität und Freiheit, 1922, S. 17).

Als komplementäre Gegenstrategie zu eine "Pädagogik der Freiheit" empfahl Foerster eine „Pädagogik der Autorität“: “Unsere Zeit braucht mehr als je eine Pädagogik der Autorität, die sich bis zum intimsten Widerstand der individuellen Seele herablässt und den Gehorsam in der Sprache der Freiheit und des persönlichen Lebens zu verkündigen weiß” (ebd., S. 51 f.).

Die Überwindung der Einseitigkeit des „impressionistischen“ Individualismus sah Foerster allein in dem wehenden und ordnenden Einfluss der religiösen Autorität, in der Nachfolge Christi und der Unterordnung unter die institutionelle Autorität der Kirche, die der Gefahr willkürlicher Ausdeutung und subjektiver Lehren vorbeuge (Vgl. Riesenberger, Dieter: Die katholische Friedensbewegung in der Weimarer Republik, a.a.O., S. 194). Analog gilt dies natürlich auch für die politisch-institutionelle Autorität des Staates.

Daher lehnte Foerster auch die Loslösung der Politik von der christlichen Ethik ab, wie Machiavelli dies in seinem Konzept einer autonomen Politik versucht habe. Dieser habe die Auffassung vertreten, der Staatsmann „dürfe sein Handeln nicht nach höheren Normen, sondern nur nach der Beobachtung der wirklichen Folgen der Dinge richten.“ Umgekehrt dazu betont Foerster, dass „tiefere Einsicht in die wahren Bedingungen der staatlichen Lebensenergie und in die letzten Folgen jeder Politik der entfesselten Instinkte“ dazu führen müsse, „die echte Realpolitik nur in der Unterordnung der Staatskunst unter das Sittengesetz zu erkennen“ (ebd., S. 115). Dieser Machiavellismus in der Politik korrespondiere mit einem zunehmenden Götzendienst im modernen Leben: „Wir alle sind täglich und stündlich in Gefahr, die Götzen unserer Nachbarschaft in den Tempel des alleinigen Gottes hineinzunehmen und so lange anbetend vor ihnen stehen zu bleiben, bis uns die Sammlung in dem Einen verlorengegangen ist. Zuerst werden die Götter NEBEN dem Gott angebetet – zum Schlusse stehen sie an Gottes Stelle: Geld, Freundschaft, Vaterland, Ruhm oder Wissenschaft, Liebe oder Mitleid.“ Foerster sah in dieser Entwicklung auch ein Versagen der christlichen Kreise. Im Blick auf den wieder zunehmenden Machiavellismus in der Politik kritisierte er insbesondere deren Versagen in der „Arbeit am Weltfrieden und am Volksfrieden“, deren Laxheit „im Streben nach christlicher Friedfertigkeit“: „Wir nehmen diese Aufgabe nirgends ernst, sind uns ihrer metaphysischen Bedeutung gar nicht voll bewusst, pflegen nicht die Gewissenserforschung, die dazu nötig ist.... Jeder lässt sich in hochgeschwollenem Selbstgefühl, in Nervosität und Leidenschaft gehen, sieht stets nur sein eigenes Recht und die Bosheit und Rücksichtslosigkeit der anderen;... die Einzelnen wie die Völker stecken in einem wahren Kampf der Selbstverteidigung und Selbstverherrlichung, von dem aus überhaupt keine Verbindung des Ich mit dem Nicht-Ich mehr zu knüpfen ist“ (ebd., S. 260 f.).

Interessant ist in diesem Kontext, dass später wohl auch Guardini gegenüber Max Scheler den nämlichen Machiavellismus-Vorwurf erhebt (vgl. Giancarlo Caronello: Max Scheler und Carl Schmitt, zwei Positionen des katholischen Renouveau in Deutschland. Eine Fallstudie über die Summa (1917/18), in: Christian Bermes u.a. (Hrsg.): Vernunft und Gefühl. Schelers Phänomenologie des emotionalen Lebens, Würzburg 2003, S. 225-254, hier S. 229, allerdings ohne Angabe der Quelle).

Vgl. auch: „Autorität und Selbstregierung in der Leitung der Jugendlichen” (1915)

Erziehung und Selbsterziehung (1917)

In seiner ergänzenden Schrift „Erziehung und Selbsterziehung. Hauptgesichtspunkte für Eltern und Lehrer, Seelsorger und Jugendpfleger" (Zürich 1917, hier zitiert nach der Auflage Zürich 1921) wandte Foerster seine bisherigen Erkenntnisse noch einmal auf soziale und politische Erziehung an.

wird noch weiter ergänzt

Moderne Jugend und christliche Religion

Förster betont: „Die Religion ist die eigentliche Lebenssphäre des Charakters; ohne ihre Einwirkung vermag derselbe auf die Dauer das Absolute gar nicht festzuhalten, sondern ergibt sich haltlos dem Relativen und Hypothetischen“ (Foerster, Friedrich Wilhelm: Moderne Jugend und christliche Religion. Psychologische und pädagogische Gesichtspunkte, Freiburg/Basel/Wien 1960, S. 69).

Auch die Anerkennung der Erbsünde spielt für Foersters religiöse Erziehung eine große Rolle, denn sie ist für ihn Teil und Wahrheit des großen christlichen Ordnungssystems. Außerdem ist die Erbsünde für Foerster auch ein fundamentales Problem der Charakterbildung: „Der Stand der Erbsünde mit all ihren Folgen ist der Stand der Charakterlosigkeit. Dies müssen wir mit größter Klarheit vor Augen haben. Denn Charakter ist Entschiedenheit. Die wirkliche Entschiedenheit für das Höhere aber entsteht nur durch ein fundamentales, unbedingtes ‚Ja‘ zu einer, das ganze Leben umspannenden Wahrheit“ (ebd., S. 104)

wird noch weiter ausgeführt

Rezeption in der katholischen und ökumenischen Friedensbewegung

Aus der katholischen Welt hatte Foerster zahlreiche Freunde und Anhänger, darunter auch Joseph Mausbach, der gemeinsam mit Friedrich Heer, Reinhold Schneider, Erich Przywara, Fritz Leist, Willi Hammelrath und Josef Mühlberger zum sogenannten „Kreis der Besinnung“ gehörte (Friedrich Heer: Sprechen wir von der Wirklichkeit, Nürnberg 1955, S. 293).

Joseph Matthias Görgen nimmt bereits 1954 zu Foersters Memoiren Stellung (Joseph Matthias Görgen: Die Wahrheit über Friedrich Wilhelm Foersters Memoiren „Erlebte Weltgeschichte“, Nürnberg 1954). Und auch Joseph Antz setzt sich früh mit Foersters Biographie auseinander (vgl. Antz, Der Fall Foerster, Frankfurter Hefte, August 1954, S. 573ff.). In der von ihm und Franz Pöggeler herausgegebenen Festschrift zum 85. Geburtstag finden sich in diesem Zusammenhang zahlreiche wichtige Beiträge, gerade auch zur Rezeption im katholischen und ökumenischen Sektor der Friedensbewegung (Joseph Antz/Franz Pöggeler (Hrsg.): Friedrich Wilhelm Foerster und seine Bedeutung für die Pädagogik der Gegenwart. Festschrift zur Vollendung des 85. Lebensjahres von Professor Dr. phil. Dr. theol. h.c. Friedrich Wilhelm Foerster am 2. Juni 1954 im Auftrage der Friedrich-Wilhelm-Foerster-Gesellschaft, Ratingen 1955).

Hans Meyer schreibt in dieser Festschrift "Zur Charakteristik Fr. W. Foersters" (S. 9 ff.) und Alfred Dedo Müller über "Das Problem der Wirklichkeit Gottes bei Fr. W. Foerster" (S. 16 ff.). Johannes Messner betonte Foersters „lebensnahe Persönlichkeitsethik“ (Johannes Messner: Lebensnahe Persönlichkeitsethik bei Fr. W. Foerster, in: ebd., S. 38 ff.). Adalbert B. Ekowski analysiert in seinem Beitrag über "Staatsautorität und Staatsbürgerfreiheit" ein Motiv aus Foersters „Politischer Ethik und politischer Pädagogik)“ (S. 43 ff.).

Und Joseph Matthias Görgen schreibt ebenfalls über "Fr. W. Foersters politisches Denken" (ebd., S. 79-108). Er kommt dabei zum Schluss: „Foerster, dessen Ausgangspunkt in seinen sämtlichen Untersuchungen stets die Lebenswirklichkeiten sind, um diese auf das Evangelium Christi pädago-gisch anzuwenden, huldigte keinem Pazifismus, der aus einer Stimmung greisenhafter Lebensmüdigkeit, stiller Resignation oder aber auch aus einem falschen Idealismus stammte. Foerster ist niemals Anhänger eines institutionellen, psychologischen oder idealistischen Pazifismus gewesen!“ (ebd., S. 104).

Karl Buchheim hebt seine Bedeutung für die politische Erziehung in Deutschland hervor (Karl Buchheim: Fr. W. Foersters Bedeutung für die politische Erziehung in Deutschland, in: ebd., S. 109-127). Franz Pöggeler sieht ihn als Vertreter des thomistischen Ordo-Gedankens: „Wenn Foerster seither die Wirklichkeit der Dinge beim Beweis christlicher Glaubenswahrheiten zum Zeugen ruft, so tut er damit nichts anderes, als das, was seither Vertreter des thomistischen Ordo-Gedankens tun; Foerster selbst beruft sich hierbei immer wieder auf die Denkweise des hl. Augustinus wie auch die des hl. Thomas von Aquin.“ (Pöggeler, S. 138f.). Antz selbst setzt sich abschließend mit dem Verhältnis von "Fr. W. Foerster, die Widerstandskämpfer und wir Pädagogen" auseinander (Joseph Antz: Fr. W. Foerster, die Widerstandskämpfer und wir Pädagogen, in: ebd., um S. 217???).

Franz Pöggeler betont in seiner 1957 erschienen Arbeit über Foersters Pädagogik darüber hinaus: Das Bild einer „geordneten und in sich zur Ordnung veranlagten Wirklichkeit ist es also, zu dem er den christusfremden Menschen hinführen will“ (Pöggeler, Franz: Die Pädagogik Friedrich Wilhelm Foersters: eine systematische Darstellung. Freiburg i. Br.: 1957, S. 17). „Im Grunde ist Foerster ein meisterhafter Phänomenologe, und seine Untersuchungsweise sollte phänomenologisch genannt werden, wenngleich er sie – aus der Absicht seiner Schriften heraus – nicht mit jener philosophischen Tiefe und Gründlichkeit anwendet wie die großen philosophischen Phänomenologen unseres Jahrhunderts“ (ebd., S. 18). Pöggeler zieht ausdrücklich den Vergleich zu Guardinis Vorstellung vom „Staat in uns“: „Das schrankenlose Regeln- und Bestimmenwollen darf man in Konsequenz Foersterscher Gedankengänge als Ausdruck übertriebener Vermännlichung der politischen Sichtweise ansehen: Insofern die Politik dringend der VERINNERLICHUNG bedarf, ist gerade der Frau eine besonders große Aufgabe gestellt. Sie `muss sich der intimsten Zellen des Staatsorganismus annehmen, sie baut den STAAT IN DER SEELE, durch den im stillen errungenen Sieg des Opfersinns und des Friedenswillens über den starren Egoismus und über die vordringliche Selbstbehauptung, sie begründet überhaupt erst ein höheres politisches Leben, indem sie den Geist des Heims, den Geist der Fürsorge, der Verantwortlichkeit von Seele zu Seele ... zu einer ins ganze Leben dringenden Macht erhebt.´ (E. u. Se, S. 172)“ (Franz Pöggeler: Die Pädagogik Friedrich Wilhelm Foersters, Freiburg i.Br. 1957, S. 260).

Und Pöggeler schreibt zu Foersters friedenserzieherischen Absichten in einem Nachwort dessen „Politischen Erziehung“: „Man macht sich die Sache zu einfach, wenn man ihn als den Wahrer des Pazifismus im Bereich politische Erziehung zu klassifizieren sucht. ‚Friede‘ ist in Foersters Theorie der politischen Erziehung nicht der ambivalente Pol zu ‚Krieg‘, sondern die einzig menschenwürdige Verkehrsform der Politik. Geboren in einer Zeit, die weithin Frieden für politische Schwäche und für einen Wartezustand zwischen zwei Kriegen hielt, hat Foerster schon früh erkannt, dass das Friedenhalten und die Erziehung zum Friedenhalten mehr Schwierigkeiten, Energie und Opfer, auch mehr menschliche Stärke fordert als die Abrichtung zum Krieg. Politik soll nicht kriegerische Auseinandersetzung, sondern friedliche Verbindung sein. Sittliche Kraft muss dem Menschen mehr gelten als physische Gewalt“ (Pöggeler, Nachwort, in: Foerster, Politische Erziehung, 1964, S. 181).

Eine erste Promotion spezieller zur Frage der "politischen Ethik" bei Foerster verfasste Herbert Burger (Politik und politische Ethik bei Friedrich Wilhelm Foerster, Bonn 1969). Kurz darauf promovierte Hans-Hennig von der Burg über "Sittengesetz und Sozialorganisation: Wege zur civitas humana. Friedrich Wilhelm Foerster und seine politische Ethik" (Freiburg Diss. 1971).

Herwig Blankertz beschreibt dabei besonders den Zusammenhang des Ordogedankens mit der Friedensidee bei Foerster: „Foerster lebte aus religiöser Überzeugung, entwickelte ein dem katholischen Ordo-Gedanken angelehntes System der ethischen Kultur und der Pädagogik, welches in der Friedenssicherung gipfelte – Frieden bezogen auf die innere Ordnung der Gesellschaft, auf das Zusammenleben der Völker, nicht aber auf die zerstörerische Gewalt des Bösen, der mutig und wenn nötig auch mit der Waffe entgegentreten werden müsse“ (Herwig Blankertz: Die Geschichte der Pädagogik. Von der Aufklärung bis zur Gegenwart, Wetzlar 1982, S. 227-229).

Foerster wusste die totalitäre Gefahren und Strukturen bereits in ihren kleinsten Anfängen aufzuzeigen, wie Hans Kühner herausarbeitet. Dies war ihm möglich, weil ihm „die menschliche Würde alles bedeutete, unabhängig von der nationalen Zugehörigkeit.“ „Friedrich Wilhelm Foerster war der Prophet, der im Vaterlande nichts gegolten hat. Das war gestern, das ist heute. Vielleicht begreift ihn die Generation von übermorgen“ (Hans Kühner: Friedrich Wilhelm Foerster. Ein Lebensweg gegen den preußischen Militarismus“, in: Fried Esterbauer u.a. (Hrsg.): Von der freien Gemeinde zum föderalistischen Europa. Festschrift für Adolf Gasser zum 80. Geburtstag, Berlin 1983, S. 169-186, hier S. 185 f.).

Dennoch gilt gleichermaßen, was Helmut Donat betont: „Foerster war kein Anhänger des bloßen Nein-Sagens, das sich im ‚Nie wieder Krieg‘ erschöpft und den Blick verstellt für die ‚rücksichtslose Feststellung der Ursachen der Katastrophe, die Kennzeichnung des fundamentalen Friedenstörers‘. Den idealistischen, institutionellen und rationellen Pazifismus lehnte er als einen gefährlichen ‚praktischen-politischen Spezialismus‘ ab, der ‚sich von einer religiösen und ethischen Gesamtdeutung der menschlichen Gesellschaftsentwicklung‘ getrennt und das ‚Friedensproblem vom Ganzen der moralischen und rechtlichen Ordnung dieser Welt und von der Erfüllung der geistigen Voraussetzungen des Völkerfriedens‘ losgelöst habe.“ (Helmut Donat: Friedrich Wilhelm Foerster (1869-1966). Friedenssicherung als religiös-sittliches und ethisch-politisches Programm, in: Christiane Rajewsky/Dieter Riesenberger (Hrsg.): Wider den Krieg. Große Pazifisten von Immanuel Kant bis Heinrich Böll, München 1987, S. 167-183, hier S. 168).

Wieder ist es Pöggeler der diesbezüglich zu Recht betont: „Foerster hat Friedenspädagogik nie als einen relativ abgesonderten Sektor der Pädagogik aufgefasst, sondern als Motiv jeder realistischen, auf Menschenkenntnis basierenden Pädagogik.“ (Franz Pöggeler: Geleitwort, in: Bruno Hipler (Hrsg.): Friedrich Wilhelm Foerster. Manifest für den Frieden: eine Auswahl aus seinen Schriften (1893-1933), Paderborn 1988, S. 9-12, hier S. 9)

Für Bruno Hipler sieht in Foerster daher den „Inspirator der katholischen Friedensbewegung in Deutschland“ (Bruno Hipler: Friedrich Wilhelm Foerster (1869-1966). Ein Inspirator der katholischen Friedensbewegung in Deutschland, in: Stimmen der Zeit, 115, 1990, Bd. 208, Nr. 2, S. 113-124, hier S. 113).

Mathias Iven kennzeichnete Foerster als „Antipode des Zeitgeistes“ (Mathias Iven: Antipode des Zeitgeistes, in: Edition querformat, 1999, n. 5, S. 25-27).

Ähnlich sieht dies Maria Hoschek in ihrer Dissertation zu Friedrich Wilhelm Foerster (Maria Hoschek: Friedrich Wilhelm Foerster. Frankfurt am Main u.a. 2002; Diss. 1999).

Peter Lorson SJ kritisierte lediglich Foersters Versuch, die „Kriegsschuld des Pazifismus“ zu beweisen, auch wenn er dessen „scharfe Zeilen über die `Illusionen des modernen Pazifismus´“ ausdrücklich teile (zitiert nach Peter Lorson: Pater Lorson. Grenzländer, Domprediger, Europäer. Vortrag vom 26. Oktober 2004, vgl. http://files.melusine-literatur.org/digitales-kolloquium/Lorson_Peter_Pater_Lorson.pdf; abgerufen am 30. Dezember 2013)

Klaus Kürzdörfer stellt den „Pädagogen des Gewissens“ schließlich in die Polarität von „Friedenspädagoge und provokativer Störenfried“ (Klaus Kürzdörfer: Pädagogik des Gewissens, Bad Heilbrunn 1982; ders.: Friedrich Wilhelm Foerster (1869- 1966), in: Große bayerische Pädagogen, hrsg. v. Winfried Böhm u. Walter Eykmann, Bad Heilbrunn 1991, S. 183-201; ders.: Friedrich Wilhelm Foerster – Friedenspädagoge und provokativer Störenfried, in: Ammermann, Norbert (Hrsg.): Frieden als Gabe und Aufgabe, 2005, S. 129-146).

Nipkow fasst weitere christliche Elemente in Foersters Friedenspädagogik so zusammen: „In seinen Schriften findet sich kein stringenter Entwurf einer christlichen Friedenserziehung, wohl aber sind Eckpfeiler zu erkennen. Der schlechthin erste ist die Beziehung zu Gott in allem Denken, Tun und Handeln. Der Zweite betrifft die Umpolung der säkularen Moralpädagogik, auch seiner eigenen: Die Gottesbeziehung allein trägt und misst alle Moralpädagogik, auch die beste ‚Moralität‘, mit Kants Begriff gesprochen. Drittens beeindruckt Foerster, dass der Freidenker August Comte jeden Abend in dem Büchlein von der Nachfolge von Thomas a Kempis las, aus dem Foerster das Kapitel `de bono homine pacifico´ in dem Abschnitt mit der Überschrift `Die Fundamente des Friedens´ zitiert. Der erste Satz lautet: ‚Bringe dich zuerst selber in den Stand des Friedens, dann wirst du ihn auch Andern geben können´“ (Karl Ernst Nipkow: Der schwere Weg zum Frieden. Geschichte und Theorie der Friedenspädagogik von Erasmus bis zur Gegenwart, Gütersloh: 2007, S. 264f. bezogen auf Foerster, Lebensführung, S. 262)

Bernhard Josef Stalla sieht in Foerster daher durchaus zurecht den „Begründer der politischen Bildung Deutschlands im 20. Jahrhundert“, der „als erster den Gedanken freiheitlicher politischer Bildung“ vertrat, „zu deren Konsequenz demokratische politische Bildung und Demokratisierung durch politische Bildung gehörte“ (Bernhard Josef Stalla: Friedrich Wilhelm Foerster, in: BBKL, Bd. XXVII, 2007, Sp. 445-451).

Dass Foerster sich daher in vielen Ansichten mit Romano Guardini in einer Weggefährtenschaft weiß und dies auf Gegenseitigkeit beruht, sollte daher zukünftig auch in der Bewertung von Guardinis pädagogischen Konzepten der Selbstbildung als Demokratie-, Freiheits- und Friedens-Bildung stärkere Berücksichtigung finden.