Romano Guardini und die Familie Kuhn: Unterschied zwischen den Versionen

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* „Der unmittelbarste und wichtigste Einfluss auf das Leben unserer Familie war die Einziehung meines Bruders Helmut, der zunächst in die nahe Garnison zur Ausbildung und nicht lange danach zum Kriegsdienst an die Westfront versetzt wurde, wo er bald Leutnant eines Infanterie-Regiments wurde. Von da an sah ich ihn nur gelegentlich für kurze Zeit. In recht häufigen Briefen an mich, abgesehen von Briefen an die Eltern, versuchte er, mit mir den Kontakt zu halten. In diesen Briefen an mich sagte er natürlich sehr wenig über die Realität des Krieges, aber er hielt den Kontakt."  
* „Der unmittelbarste und wichtigste Einfluss auf das Leben unserer Familie war die Einziehung meines Bruders Helmut, der zunächst in die nahe Garnison zur Ausbildung und nicht lange danach zum Kriegsdienst an die Westfront versetzt wurde, wo er bald Leutnant eines Infanterie-Regiments wurde. Von da an sah ich ihn nur gelegentlich für kurze Zeit. In recht häufigen Briefen an mich, abgesehen von Briefen an die Eltern, versuchte er, mit mir den Kontakt zu halten. In diesen Briefen an mich sagte er natürlich sehr wenig über die Realität des Krieges, aber er hielt den Kontakt."  
* "Bald nach dem Ende des Krieges, kam er zurück nach Lüben, um seine Schullaufbahn zu beenden. Ich glaube allerdings nicht, dass er tatsächlich Kurse in der Schule besuchte, sondern dass er selbst lernte, was er für sein Studium benötigte. Was er vor allem brauchte, waren klassischen Sprachen, insbesondere Griechisch, das die Schule in Lüben nicht lehrte."
* "Bald nach dem Ende des Krieges, kam er zurück nach Lüben, um seine Schullaufbahn zu beenden. Ich glaube allerdings nicht, dass er tatsächlich Kurse in der Schule besuchte, sondern dass er selbst lernte, was er für sein Studium benötigte. Was er vor allem brauchte, waren klassischen Sprachen, insbesondere Griechisch, das die Schule in Lüben nicht lehrte."
* "Bis zum März 1922, als ich meine Reifeprüfung, das Abitur, ablegte, lebte ich natürlich ganz in Lüben.  
* "Bis zum März 1922, als ich meine Reifeprüfung, das Abitur, ablegte, lebte ich natürlich ganz in Lüben. Während dieser Zeit waren mein Bruder und ich oft zusammen, bevor er sich an der Universität Breslau einschrieb, später während seiner Semesterferien. Obwohl unsere Interessen in verschiedene Richtungen gingen, seine in Richtung Philosophie und alte Sprachen, meine in Richtung Chemie, Physik und Mathematik, wollten wir beide auch unsere Kenntnisse in Englisch und Französisch verbessern. Deshalb erinnere ich mich noch, dass wir einige englische Bücher zusammen lasen, wie Der Pfarrer von Wakefield und Dickens Geschichten, und wir haben auch viele andere Themen diskutiert, wobei ich mehr als mein Bruder davon profitiert haben muss."
Während dieser Zeit waren mein Bruder und ich oft zusammen, bevor er sich an der Universität Breslau einschrieb, später während seiner Semesterferien. Obwohl unsere Interessen in verschiedene Richtungen gingen, seine in Richtung Philosophie und alte Sprachen, meine in Richtung Chemie, Physik und Mathematik, wollten wir beide auch unsere Kenntnisse in Englisch und Französisch verbessern. Deshalb erinnere ich mich noch, dass wir einige englische Bücher zusammen lasen, wie Der Pfarrer von Wakefield und Dickens Geschichten, und wir haben auch viele andere Themen diskutiert, wobei ich mehr als mein Bruder davon profitiert haben muss."
* "Er beendete sein Studium mit dem Doktortitel (magna cum laude) im Dezember 1923 und auch die Staatsexamen mit Auszeichnung im Mai 1924. Diese Prüfung entspricht der Abschlussprüfung an einer britischen Universität. Es ist eine Qualifikation für jede Art von Unterricht auf High School Ebene in Deutschland und bildet dabei eine Art Versicherung für den Eintritt in eine akademische Laufbahn, die zu diesem Zeitpunkt als schlecht bezahlte Position unter dem Status einer vollen Professur angeboten wurde. Mein Bruder ging dann von Breslau an die Universität Berlin, wo er im Februar 1930 Privatdozent in einer unbezahlten Position wurde."
* "Er beendete sein Studium mit dem Doktortitel (magna cum laude) im Dezember 1923 und auch die Staatsexamen mit Auszeichnung im Mai 1924. Diese Prüfung entspricht der Abschlussprüfung an einer britischen Universität. Es ist eine Qualifikation für jede Art von Unterricht auf High School Ebene in Deutschland und bildet dabei eine Art Versicherung für den Eintritt in eine akademische Laufbahn, die zu diesem Zeitpunkt als schlecht bezahlte Position unter dem Status einer vollen Professur angeboten wurde. Mein Bruder ging dann von Breslau an die Universität Berlin, wo er im Februar 1930 Privatdozent in einer unbezahlten Position wurde."


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* Die Gegenwärtigkeit der Kunst nach Hegels Vorlesungen über Ästhetik, in: Hegel-Studien, Beiheft 11, Bonn 1974. S. 251-269
* Die Gegenwärtigkeit der Kunst nach Hegels Vorlesungen über Ästhetik, in: Hegel-Studien, Beiheft 11, Bonn 1974. S. 251-269


Henning Ottmann wird später über diese Auseinandersetzung Kuhns mit Hegel schreiben: ''„Helmut Kuhn legt Hegel im Stile von Litt, Cassirer und Meinecke aus. Er plaziert ihn an den Umschlagspunkt in der …“ (Hegel im Spiegel der Interpretationen, 1977, S. 335). Und Balduin Schwarz formuliert: „Hegel war der Begründer der Denkweise, die Helmut Kuhn „Revolutionismus“ benannt und als die „übergeordnete und als die „übergeordnete Kategorie der Hegelschen Geschichtsphilosophie“ herausgearbeitet hat. …“'' (in: Rupert Hofmann/Jörg Jantzen/Henning Ottmann (Hrsg.): Anodos. Festschrift für Helmut Kuhn, München/Weinheim 1989, S. 284)
Henning Ottmann wird später über diese Auseinandersetzung Kuhns mit Hegel schreiben: ''„Helmut Kuhn legt Hegel im Stile von Litt, Cassirer und Meinecke aus. Er plaziert ihn an den Umschlagspunkt in der Geschichte des Geistes, an dem die "göttliche Vorsehung" sich so in "menschliche Wissenschaft" verwandelt, daß die alte Tradition des Aufstiegsgedankens dem Historismus verfällt und die Philosophie als Erkenntnis des Guten als Guten sich in Ideologie zu verwandeln beginnt. Hegels Philosophie, welche die Theorie als Gedanken der Zeit bestimmt, hat "indirekt" "der Verfälschungsform des praktisch-philosophischen Wissens eine unerhörte Chance eröffnet". [...]Indem Hegel die "Zeit" in die Philosophie einläßt, wird seine Theorie der zweideutige Anfang der historistischen Effekte: des "Verschmelzungseffekts" (Verschmelzung von politischer Leidenschaft und geschichtsphilosophischer Idee), des "Ideologisierungseffektes" (historische Funktionalisierung des Gedankens) und des "Totalisierungseffekts" (Integration der Bildungswelt in die politische Sphäre. [...] Indem Hegel das "philosophische Geschehen des Aufstiegs ... analogisch gleichsetzt mit der realen Geschichte der Menschheit" [...], kann er zum Ausgangspunkt der mit Heidegger endenden Paradoxie werden, in der das Sein als "Sein ist Zeit" uns mitspielt, statt mit uns zu spielen. Helmut Kuhn formuliert quasi platonisch die Kritik am Historizismus der Marionettentheorie."'' (Ottmann, Hegel im Spiegel der Interpretationen, 1977, S. 335 in Bezug auf Kuhn, Der Ursprung der Ideologie aus dem Geist der Philosophie Hegels; Kuhn, Der Staat). Und Balduin Schwarz formuliert: „Hegel war der Begründer der Denkweise, die Helmut Kuhn „Revolutionismus“ benannt und als die „übergeordnete und als die „übergeordnete Kategorie der Hegelschen Geschichtsphilosophie“ herausgearbeitet hat. "Revolutionismus" kennzeichnet "die universale Ereignishaftigkeit der Geschichte überhaupt"" (Schwarz, Sören Kierkegaards Begriff "Christliches Erkennen", in: Rupert Hofmann/Jörg Jantzen/Henning Ottmann (Hrsg.): Anodos. Festschrift für Helmut Kuhn, München/Weinheim 1989, S. 284 in Bezug auf Kuhn, Die Kirche im Zeitalter der Kulturrevolution).


1931 erscheint ein umfangreicherer Literaturbericht von Kuhn im "Archiv für Geschichte und Philosophie" (Bericht über die deutschen Schriften des Jahres 1930 zur Geschichte der Philosophie von Kant bis zur Gegenwart (Fortsetzung), in: Archiv für Geschichte der Philosophie, 40, 1931, S. 551-565).
1931 erscheint ein umfangreicherer Literaturbericht von Kuhn im "Archiv für Geschichte und Philosophie" (Bericht über die deutschen Schriften des Jahres 1930 zur Geschichte der Philosophie von Kant bis zur Gegenwart (Fortsetzung), in: Archiv für Geschichte der Philosophie, 40, 1931, S. 551-565).
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==== 1933 bis 1936 ====
==== 1933 bis 1936 ====
Anders als Liebert, der 1933 nach Belgrad ins Exil ging und von dort aus 1939 nach England, und auch als sein Bruder, der Physiker Heinrich Kuhn, der ja noch im August 1933 nach Oxford ausgewandert war, blieb Helmut Kuhn, obwohl als „Halbjude“ mit einer „Volljüdin“ verheiratet, noch in Deutschland und übte seine Funktion ab 1934 sogar mit dem Titel „Sekretär der Kant-Gesellschaft“ weiter aus. Der gebürtige Schlesier hatte vom September 1914 bis 1919 als Kriegsfreiwilliger gedient. Als Träger des eisernen Kreuzes entschied er sich nun für den Weg des Bittstellers [Vgl. dazu auch die Wertung seiner Tochter, Kuhn, Annette: Ich trage einen goldenen Stern, a.a.O., S. 12].  
Anders als Liebert, der 1933 nach Belgrad ins Exil ging und von dort aus 1939 nach England, und auch als sein Bruder, der Physiker Heinrich Kuhn, der ja noch im August 1933 nach Oxford ausgewandert war, blieb Helmut Kuhn, obwohl als „Halbjude“ mit einer „Volljüdin“ verheiratet, noch in Deutschland und übte seine Funktion ab 1934 sogar mit dem Titel „Sekretär der Kant-Gesellschaft“ weiter aus. Der gebürtige Schlesier hatte vom September 1914 bis 1919 als Kriegsfreiwilliger gedient. Als Träger des eisernen Kreuzes entschied er sich nun für den Weg des Bittstellers [Vgl. dazu auch die Wertung seiner Tochter Annette Kuhn: Ich trage einen goldenen Stern, a.a.O., S. 12].  


Im Sommersemester 1933 leitete Kuhn innerhalb der sogenannten „Arbeitsgemeinschaft“ der Ortsgruppe Berlin der Kant-Gesellschaft einen Lektürekreis zu Platons Dialogen (laut: Kant-Studien, 39, 1934, S. 245).
Im Sommersemester 1933 leitete Kuhn innerhalb der sogenannten „Arbeitsgemeinschaft“ der Ortsgruppe Berlin der Kant-Gesellschaft einen Lektürekreis zu Platons Dialogen (laut: Kant-Studien, 39, 1934, S. 245).
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== Guardinis Rosenkranzsammlung ==
== Guardinis Rosenkranzsammlung ==
siehe [[Guardinis Rosenkranzsammlung]]
siehe [[Guardinis Rosenkranzsammlung]]
[[Kategorie:Helmut Zenz]]
[[Kategorie:Helmut Kuhn]]

Aktuelle Version vom 6. März 2025, 22:57 Uhr

Die Familie Kuhn und Romano Guardini
Von Helmut Zenz - Valentine Rothe gewidmet zum Dank für zahlreiche Hinweise

Familienhintergrund der Kuhns

Ein Großteil der biographischen Informationen zu Familie und Herkunft stammen aus den Erinnerungen von Heinrich Gerhard Kuhn und sind im Internet unter http://www.lueben-damals.de/erinnerungen/kuhn.html veröffentlicht.

Helmut Kuhn

Die Genealogie

  • Görlitzer Anwaltsfamilie
    • Max Kuhn, Kaufmann in Waldenburg (heute: Wałbrzych), verheiratet mit Charlotte Kuhn geb. Henschel, Halbschwester des Musikers Isidor George Henschel; nachgewiesen ab 1866; 1883 handelte er z.B. mit Weißwaaren und Band; 1883 Mitbegründer der Waldenburger Synagoge
      • Wilhelm Felix Kuhn (1868-1927), Rechtsanwalt, 1898 konvertiert und verheiratet mit Martha Hoppe (1868-1946 in Göttingen), evangelisch-lutherische Bauerstochter und Diakonisse
        • Helmut Kuhn (1899-1991), 1925 verheiratet mit Käthe Levy (1896-1971), zuletzt Deutschland
          • Reinhard Kuhn (1930-1980), verheiratet mit Elisabeth von Rittberg sowie Ira Ameriks; wohnhaft in den Vereinigten Staaten; zwei Kinder
          • Annette Kuhn (1934-2019), zuletzt Deutschland
        • Heinrich Gerhard Kuhn (1904-1994), Chemiker, 1931 verheiratet mit Marie Bertha, genannt „Mariele“ Nohl (1909-2008), Tochter von Herman Nohl, lutherisch, von Beruf Erzieherin; Großbritannien
          • Anselm Thomas Kuhn (* 1936), Großbritannien; ein Kind
          • Nicholas John Kuhn (* 1938), Großbritannien
      • Georg Albert Kuhn (1869-1942), Justizrat in Görlitz, Moltkestraße 53, verheiratet mit der Sängerin Johanna van Linden van den Heuvell (1872-1939), Künstlername „Tilia Hill“. Georg Kuhn beging zusammen mit seiner Schwägerin Trui van Linden van den Heuvell angesichts der drohenden Deportation in Amsterdam Selbstmord.
      • Thekla [oder Hedwig (Hedi)???] Kuhn, Sprachlehrerin, unverheiratet, Görlitz, starb an Krebs [irrtümlicher Namenswechsel innerhalb der Erinnerung von Heinrich Kuhn, vermutlich eher Thekla als Hedwig, da eine Hedwig (Hedi) auch als Schwester von Charlotte Henschel genannt]
      • Dr. med. Fritz Kuhn, praktizierenden Arzt, später (1920) Spezialarzt für Harn- und Hauterkrankungen sowie (1930) für Hypnose, seelische Leiden und Organstörungen in Berlin (Landsbergerstraße 45 bzw. später 66/67), nicht verheiratet [Erinnerung von Heinrich Kuhn, nicht näher ermittelt]
    • Dr. med. (David?) Kuhn, Breslau („anderer Zweig der Familie Kuhn“) =??? Dr. Kuhn, Onkel von Wilhelm Kuhn [ein David Kuhn praktizierte um die Jahrhundertwende den Sommer über in Kudowa, im Winter in Breslau]
      • ??? Grete Kuhn, Tochter von Dr. Kuhn, Schwester von Georg???
      • ??? Georg Kuhn, später Direktor des Schlesischen Bankvereins und Direktor der Breslauer Filiale der Deutschen Bank und Disconto-Gesellschaft, verheiratet mit Marta, nach 1945 Flucht aus Schlesien nach Murnau/Bayern. Ist wohl „Vetter Georg“

Herkunft

Helmut Kuhn wurde am 22. März 1899 als Sohn des Lübener Rechtsanwalts und Stadtverordneten Wilhelm Kuhn (1868-1927) und dessen Frau Martha, einer evangelischen Diakonisse, geboren. Sein Vater hatte vor der Ehe den Glauben seiner Frau angenommen und der im Jahr nach der Heirat geborene Helmut Kuhn wurde evangelisch getauft. Sein Vater, der aus einer alteingesessenen, angesehenen jüdischen Görlitzer Anwaltsfamilie abstammte, war seit 1897 in Lüben tätig, wohnte in der Faulhaberstr. 4 im sogenannten „Bürgermeisterhaus“, einem ansehnlichen villenartigen Anwesen, in dem sich seine Kanzlei befand. Die Familie Kuhn war mit den Familien des Lübener Bürgermeisters Hugo Feige und des Arztes Dr. Paul Hübner sowie dem Ehepaar des Direktors des Gymnasiums Erich Tscharntke befreundet.

Kindheit und Schulzeit

Auch von der gemeinsamen Kindheit und Schulzeit berichtet sein jüngerer Bruder Heinrich Gerhard Kuhn (1904-1994). Dieser war in seiner Jugendzeit Mitglied der Lübener Wandervögel unter Leitung des Lehrers Dr. Martin Treblin, zusammen mit Günther Kienast, Walter Lange, Dr. Martin Treblin, Wende und Herbert Baumgärtner. Außerdem gibt es Erinnerungen von Ingeburg Feige, die Tochter des ehemaligen Lübener Bürgermeisters Hugo Feige, an Helmut und Heinrich Kuhn, an die Zeit, da die Familien Kuhn und Feige miteinander benachbart und befreundet waren. Zum Beispiel kann sich Frau Dr. Feige noch gut an eine gemeinsame Silvesterfeier im Bürgermeisterhaus erinnern, auf der es unter der ebenfalls anwesenden Jugend recht turbulent zuging und die auch fotografisch dokumentiert ist. Auch ihr Bruder Konrad Feige erwähnte in seinen Erinnerungen mehrfach die Familie Kuhn [Vgl. dazu: Hans Werner Jänsch: Helmut Kuhn (1899-1991) - Ein großer Sohn unserer Stadt, in Lübener Heimatblatt 6/1991 und 3/1992; auch abgedruckt in: http://www.lueben-damals.de/erinnerungen/kuhn.html]

Helmut Kuhn besuchte in Lüben das Realgymnasium. In den Jahresberichten der Schule von 1911 bis 1914 wird er jedes Jahr mehrfach erwähnt, weil er bei vielen Schulfeiern Gedichte rezitierte und für verschiedene Leistungen ausgezeichnet wurde, u.a. erhielt er 1912 zu Kaisers Geburtstag als „Kaiserprämie“ das Buch „Aus dem Leben Friedrichs des Großen“ überreicht. Seine geistigen Anlagen und sein rhetorisches Talent kündigten sich also bereits in früher Jugend an.

Zuletzt wird er in den Jahresberichten 1914 als mit 15 Jahren jüngster Kriegsfreiwilliger des Lübener Gymnasiums erwähnt. Zum Leidwesen seiner Eltern legte Helmut Kuhn sein Abitur nach den damals geltenden kriegsbedingten Sonderbestimmungen vorzeitig ab („Notabitur“), um sich anschließend sofort freiwillig zum Kriegsdienst zu melden. Die mitunter zu findende Aussage, er habe im September 1914 das Realgymnasium ohne Abschluss verlassen, ist so also nicht korrekt.

Nach vier Jahren Kriegsdienst hatte sich Helmut Kuhn schließlich noch „an der ergebnislosen Operation einer Freiwilligen Brigade an der Ostgrenze Schlesiens“ beteiligt.

Studium und Promotion

Kuhn hatte ab 1919 an der Universität in Breslau Philosophie studiert. Ein Semester hat er von seiner Studienzeit in Innsbruck verbracht. Im Dezember 1923 schloss er seine Studien mit der 1924 erschienen Dissertation „Der Begriff des Symbolischen in der deutschen Ästhetik bis Schiller“ bei Eugen Kühnemann an der Universität Breslau mit dem Doktortitel („magna cum laude“) ab. Die Arbeit wurde noch 1924 in den Schlesischen Jahrbüchern für Natur- und Geisteswissenschaften veröffentlicht (Schlesische Jahrbücher für Natur- und Geisteswissenschaften, II, 1924, 3, S. 168-178). Es folgte im Mai 1924 noch das Staatsexamen.

Auch Hans-Georg Gadamer (1900-2002) hatte in Breslau nach dem Ersten Weltkrieg bei Kühnemann zu studieren begonnen, der zudem ein Hausfreund seines Vaters war. Gadamer ging dann aber bald nach Marburg und München, wurde 1922 bei Natorp und Hartmann in Marburg promoviert, studierte dann in Freiburg und ging dann mit Heidegger zur Habilitation (1929) nach Marburg zurück. Dies erklärt, dass Gadamer und Kuhn sich erst 1930 persönlich begegnet sind (vgl. Roswith Grassl. Breslauer Studienjahre. Hans-Georg Gadamer im Gspräch, Mannheim 1996).

Kuhns Kriegs- und Nachkriegserfahrungen hatten nach eigener rückwirkender Einschätzung zu seiner Haltung in der Weimarer Republik geführt: „So war ich für die intellektuellen Straßenschlachten der Weimarer Republik verloren, ohne ein ernsthaftes affirmatives Verhältnis zu ihr zu gewinnen – ein widerspruchvoller und unbefriedigender Zustand, nicht gebessert dadurch, daß er damals von vielen geteilt wurde. Die deutsche Intellektualität, weitgehend von Nietzsche bestimmt, war kein Pfeiler der aus der Niederlage hervorgegangenen Demokratie. Nietzsche selbst wurde weniger gelesen und erörtert als seine zeitgenössischen Wortführer. Der geist- und kenntnisreiche Nihilismus und die Maskulinität von Oswald Spenglers `Untergang des Abendlandes´ paßten in die düstere Landschaft der Nachkriegsjahre, in einem subtileren Sinn aber auch Thomas Manns `Betrachtungen eines Unpolitischen´ (1918)“ (vgl. Helmut Kuhn, in: Philosophie in Selbstdarstellungen, hrsg. von Ludwig J. Pongratz, Bd. III, Hamburg 1977, S. 239).

Exkurs: Heinrich Gerhard Kuhns „Erinnerungen aus meinem Leben“

Heinrich, der jüngere Bruder von Helmut Kuhn, begleitete seine Mutter nach Göttingen und lernte dort die Tochter des an der Göttinger Universität lehrenden Philosophen und Pädagogen Herman Nohl kennen und heiratete sie 1931. Helmut Kuhn kritisierte später die Reformpädagogik des Vaters seiner Schwägerin als zu „progressiv“.

Heinrich Kuhn hatte zuvor ebenfalls das Lübener Gymnasium besucht. In den Schuljahresberichten von 1914 und 1915 wird erwähnt, dass bei der Feier zum Kaisergeburtstag 1914 "Sextaner Kuhn das Gedicht 'Der Kaiser am Rhein' von Ute Muellenbach deklamierte". Am 27. Januar 1915 - der erste Weltkrieg war im Gange - feierte die Schule des Kaisers Geburtstag durch den Vortrag "guter neuerer Kriegsgedichte". Der Quintaner Heinrich Kuhn und andere deklamierten gemeinsam "Der weiße Goeben" von Ludwig Ganghofer. Heinrich Kuhn ist der Vater von Anselm Kuhn, in dessen Besitz sich die Lebenserinnerungen seines Vaters befinden, aus denen Hans Werner Jänsch auszugsweise die Abschnitte online wiedergeben durfte und die sich vorrangig mit seinem Leben in der Lübener Zeit befassen.

Zu Helmut Kuhn schreibt er explizit:

  • "Mein Bruder Helmut, 5 Jahre älter als ich, stellte ein wichtiges Mitglied unserer Familie dar, ebenso die Pensionsgäste. Im September 1914 trat er als Freiwilliger (im Alter von 15 ½) in das Deutsche Heer ein, und bald danach mussten auch unsere Pensionsgäste uns für den Kriegsdienst verlassen."
  • "So kam es, dass mein Bruder Helmut eines Tages in Uniform erschien, auf dem Foto sieht er aus wie ein Schuljunge in einer schlecht sitzenden Uniform. Es gab natürlich einen verzweifelten Mangel an Offizieren, um sie auf jedwede Verwendung im Krieg vorzubereiten. Einige von ihnen wurden bald an die Ostfront geschickt, und es gab schreckliche Geschichten über viele dieser unausgebildeten Soldaten, die sinnlos starben. Meine Eltern müssen sehr unglücklich und besorgt darüber gewesen sein, und ich möchte über das, was dann passiert ist, sagen, dass es sehr typisch für meine Mutter war."
  • „Der unmittelbarste und wichtigste Einfluss auf das Leben unserer Familie war die Einziehung meines Bruders Helmut, der zunächst in die nahe Garnison zur Ausbildung und nicht lange danach zum Kriegsdienst an die Westfront versetzt wurde, wo er bald Leutnant eines Infanterie-Regiments wurde. Von da an sah ich ihn nur gelegentlich für kurze Zeit. In recht häufigen Briefen an mich, abgesehen von Briefen an die Eltern, versuchte er, mit mir den Kontakt zu halten. In diesen Briefen an mich sagte er natürlich sehr wenig über die Realität des Krieges, aber er hielt den Kontakt."
  • "Bald nach dem Ende des Krieges, kam er zurück nach Lüben, um seine Schullaufbahn zu beenden. Ich glaube allerdings nicht, dass er tatsächlich Kurse in der Schule besuchte, sondern dass er selbst lernte, was er für sein Studium benötigte. Was er vor allem brauchte, waren klassischen Sprachen, insbesondere Griechisch, das die Schule in Lüben nicht lehrte."
  • "Bis zum März 1922, als ich meine Reifeprüfung, das Abitur, ablegte, lebte ich natürlich ganz in Lüben. Während dieser Zeit waren mein Bruder und ich oft zusammen, bevor er sich an der Universität Breslau einschrieb, später während seiner Semesterferien. Obwohl unsere Interessen in verschiedene Richtungen gingen, seine in Richtung Philosophie und alte Sprachen, meine in Richtung Chemie, Physik und Mathematik, wollten wir beide auch unsere Kenntnisse in Englisch und Französisch verbessern. Deshalb erinnere ich mich noch, dass wir einige englische Bücher zusammen lasen, wie Der Pfarrer von Wakefield und Dickens Geschichten, und wir haben auch viele andere Themen diskutiert, wobei ich mehr als mein Bruder davon profitiert haben muss."
  • "Er beendete sein Studium mit dem Doktortitel (magna cum laude) im Dezember 1923 und auch die Staatsexamen mit Auszeichnung im Mai 1924. Diese Prüfung entspricht der Abschlussprüfung an einer britischen Universität. Es ist eine Qualifikation für jede Art von Unterricht auf High School Ebene in Deutschland und bildet dabei eine Art Versicherung für den Eintritt in eine akademische Laufbahn, die zu diesem Zeitpunkt als schlecht bezahlte Position unter dem Status einer vollen Professur angeboten wurde. Mein Bruder ging dann von Breslau an die Universität Berlin, wo er im Februar 1930 Privatdozent in einer unbezahlten Position wurde."

Helmut Kuhns Wechsel nach Berlin

Nach seiner Promotion 1923 wechselte Helmut Kuhn von Breslau nach Berlin, zunächst noch ohne konkretes Ziel, dann aber um dort Klassische Philologie bei Werner Jaeger weiter zu studieren, auf den er durch Julius Stenzel aufmerksam gemacht worden ist [Helmut Kuhn: Curriculum vitae meae, in: Ludwig J. Pongratz (Hrsg.): Philosophie in Selbstdarstellungen, Hamburg 1977, Bd. III, S. 244]. Es existiert im Kuhn-Nachlass in der Bayerischen Staatsbibliothek noch eine Teil der Korrespondenz mit Werner Jaeger zwischen 1927 und 1935 (Berlin1 eKU, 2 eBU, 1 BU1927-1935, 1 B o.D.)

Heirat mit Käthe Lanke (Lewy)

Am 1. Oktober 1925 vermählten sich Helmut Kuhn und mit Käthe Lanke (Lewy bzw. Levy).

Der Name „Lanke“

Sie unterschrieb mit Lanke auch auf dem Trauschein, nachdem ihre verwitwete Mutter bereits den Namen Lanke angenommen hatte und als Trauzeugin ebenfalls so unterschrieben hatte. Goldenstedt weist darauf hin, dass laut Emory University Archiv, 17.2.1947, Atlanta, Georgia USA Lanke als Geburtsname ausgewiesen ist.

Der andere Berliner gleichaltrige „Käthe Lewy“

Aufgrund der Verwechslungsgefahr sei auf eine andere „Käthe Lewy“ in Berlin hingewiesen. Sie hatte 1923 die Dissertation „Die Problemwelt in Ludwig Tiecks Novellen aus den Jahren 1820-1830“ im Maschinendruck veröffentlicht Es handelt sich um eine weitere Käthe Lewy (1896, geboren in Frankfurt/Oder-1942), die zufällig im gleichen Jahr geboren wurde wie Käthe Kuhn, aber unverheiratet blieb. Sie war ebenfalls Lehrerin, wohnte in Berlin-Tiergarten, Brückenallee 6, und wurde am 13. Juni 1942 nach Sobibor deportiert. Dort starb sie. Für sie gibt es einen Stolperstein für den „Hanseatenweg 10“ im Hansaviertel. Vgl. dazu auch die Suchanzeige von 2011: „Elli Abrahamsohn und Dr. Käthe Lewy im Hansaviertel in Berlin-Tiergarten. Der Bürgerverein Hansaviertel e.V. plant erneut die Verlegung von Stolpersteinen. Elli Abrahamsohn (*17.06.1879) und Dr. Käthe Lewy (*31.08.1896) wohnten in der Brückenallee 6. Frau Lewy war Lehrerin und arbeitete im Kindertagesheim Marburger Str. 5. „Tatjana Ruge Chiffre 112341“ (https://www.berlin.de/aktuell/ausgaben/2011/dezember/suchanzeigen/“

Genealogische Zusammenhänge

Käthe Lewy, die Frau von Helmut Kuhn wurde am 30.1.1896 geboren und zwar als Tochter von Max („Meier“/“Meir“) Lewy (1860-1903) und Margarete Löwenstädt (1872-1925). Mitunter findet sich auch die Schreibweise "Levy". Sie stammt somit aus einer wohlhabenden Kaufmannsfamilie aus Breslau. Ihr Bruder Otto (1892-1916) ist im Ersten Weltkrieg in Verdun gefallen. Er hat im Breslauer Friedhof Cosel ein Ehrengrab. Im Internet findet sich die Eheurkunde von Max Lewy und Margarete Löwenstädt (http://gen.scatteredmind.co.uk/images/certs/m/m_6699_6698.png)

Käthe Kuhns Großvater war der Breslauer Kaufmann Jacob Loewy=Lewy (1829-1898) verheiratet mit Jullie=Julie Bielschowsky (1839-1906) Lewy. Sie hatten insgesamt zehn Kinder:

  1. Anna Lewy (1859-1884);
  2. Max Meier Lewy (1860-1903) war der älteste Sohn;
  3. Albert Lewy (Lanke) (* 1861-nach 1935/39, genaues Sterbedatum nicht ermittelt);
  4. Hugo Lewy (1862, + Florenz/in der Toskana, Sterbedatum nicht ermittelt);
  5. Paula Frankfurther (1863-1938), verheiratet mit Oskar Frankfurther;
  6. Fritz Lewy (1868-1933 in Leipzig), verheiratet mit Lina Kuhfuss;
  7. Gertrud Priebatsch (1871, + in Israel, Sterbedatum nicht ermittelt, vermutlich bei ihrem Sohn Hans Priebatsch, der 1934 nach Israel ausgewandert ist), verheiratet mit Felix Priebatsch (1867-1926);
  8. Carl Lewy (* 1872; Sterbedatum nicht ermittelt);
  9. der Sprachwissenschaftler Ernst Lewy (1881-1966 in Dublin, 1925 Professor am Ungarischen Institut in Berlin, dann 1933 Entlassung, 1935 Wiedereinstellung, im selben Jahr Versetzung in den Ruhestand; 1937 Emigration nach Irland auf Vermittlung von Sir Alan Gardiner, ab 1947 irischer Staatsbürger) verheiratet mit Hedwig Ludwig;
  10. Georg Lewy (unbekannte Lebensdaten)

Der zweite „Lanke“ in der Lewy-Familie

Max Lewys Bruder, der Arzt Albert Lewy hatte bereits Anfang des Jahrhunderts in Marokko den Namen Lanke angenommen. Der Grund dafür ist unbekannt. Er war zunächst von 1887 bis 1890 in Venezuela, dann Assistent an einer Klinik in Breslau, im Oktober 1891 ging er nach Mogador. 1895 heiratete er in Berlin Marie Elise Anna Landsberg (* 1869). Ihr Verbleib ist unklar. Bei seiner zweiten Heirat 1901 in Marokko mit der Schweizerin Jeanne Challandes (1874-1953) hieß er noch Lewy, hat dann aber in Marokko den Namen in Lanke gewechselt. 1905 findet er sich als „Albert Lanke“ im „Renseignements coloniaux et documents. Bulletin des Comité de l´ Afrique française“ (Bd. 15, 1905, S. 263). Ab April 1906 ist er als Arzt und Apotheker in Mogador mit diesem Namen geführt. Bislang war nicht klar, wann und wo die Namensänderung erfolgt. Aufgrund einer aufgetauchten Berliner Liste kann dies aber bestimmt werden. Offiziell wurde der Name mit Erlaß vom 18. August 1902 in Berlin geändert, denn Albert Lewy, neuer Name: Lanke steht als Nr. 17 auf der „Liste der Berliner Juden, denen vom 18. Mai 1913[irrtümlich: muss heißen 26. August 1900] bis zum 20. Oktober 1913 [irrtümlich, da letzte Erlasse am 21. Oktober 1913] der Name geändert worden ist“. (Vgl. Bering, Dietz: Die Erfüllung meines sehnlichsten Wunsches. Namensänderungen Berliner Juden, in: Berlin in Geschichte und Gegenwart, 1990, S. 178)

Von 1911 bis 1925 arbeitete er in einer eigenen Praxis in Wermsdorf bei Oschatz/Sachsen. 1925 ging er in Leibrente, wohnte ab 1933 aber in Leipzig als Privatmann, wohl in der Wohnung seines 1933 verstorbenen Bruders Fritz Lewy. Er ist dort über medizinische Fachzeitschriften von 1933 bis 1935 nachweisbar, danach verlieren sich die Spuren. Laut myheritage lebte er noch 1939 (Quelle nicht ersichtlich). (Zur Biographie siehe: Mai, Gunther: Die Marokko-Deutschen 1873-1918, 2014, Kurzbiographien S. 61 - https://www.db-thueringen.de/servlets/MCRFileNodeServlet/dbt_derivate_00030520/Mai_Die_Marokko-Deutschen_Kurzbiographien.pdf)

Sollte Käthe Kuhn, wie anzunehmen, keine „geborene“ Lanke sein, ist daher nur eine “Anleihe“ beim Bruder ihrer Mutter denkbar, wenn auch Motiv und Ursache unklar bleiben. In keinem Fall ist „Lanke“ aber ein von Käthe Kuhn frei erfundener Tarnname, den Käthe Kuhn nachträglich 1933 bzw. 1925 angenommen hätte, wie die Tochter Annette Kuhn noch 2003 annahm (vgl. Annette Kuhn: Heimat – the treasured word, in: Franz-Josef Jelich/Stefan Goch (Hrsg.): Geschichte als Last und Chance: Festschrift für Bernd Faulenbach, 2003, S. 177 ff., hier S. 187). Leider standen Annette Kuhn damals noch nicht die heutigen Möglichkeiten der genealogischen Forschung via Internet zur Verfügung, sonst hätte sie schon damals die Hintergründe verdachtsfreier kennenlernen können. Die Frage, ob ihre Mutter selbst wusste, „dass ihre Großmutter 1943 in Lodz, zwei ihrer Tanten in Theresienstadt ums Leben kamen. … Wo lagen die Gräber der Toten der Familie Lewy und der Familie Löwenstedt, der Mutter und der Großmutter meiner Mutter?“

Die Urgroßmutter Fanny Löwenstädt und die Opfer des Nationalsozialismus

Annette Kuhn berichtet in diesem Aufsatz auch irrtümlich von ihrer Urgroßmutter Fanny Löwenstädt, die fünf Schwestern gehabt habe, allesamt Tanten ihrer Großmutter Margarete. Sie führt dann aber die Schwestern ihrer Großmutter Margarete auf. Diese war aber eine Tochter von Paul Löwenstädt (1838-1911) und seiner Frau Jenni geb. Stoller. Diese wiederum hatten neben Margarete (* 1872) noch sieben Töchter:

  1. Agnes (1871-17.10.1942, gestorben im Ghetto Theresienstadt), verheiratete Krebs
  2. Gertrud (1874-20.9.1942 [1943???] in Theresienstadt), verheiratete Tockuss;
  3. Fanny (1875-1942 ermordet im Ghetto von Lodz), verheiratete Mokrauer;
  4. Else Malwine (1876-1931), verheiratete Landsberger;
  5. Magda Margarete (1879-1935), verheiratete Buchholz;
  6. Marie (1883-1944, gestorben im Ghetto Theresienstadt), verheiratete Thilo;
  7. Käthe (1888-1894)

Über die von ihr genannten Schwestern hinaus starb also Käthe im Kindesalter und Else noch vor Beginn des Dritten Reiches. Tatsächlich starben Marie 1944 im Ghetto von Theresienstadt und Fanny 1942 im Ghetto von Lodz. Diese Großtante verwechselte Annette Kuhn wohl mit ihrer Urgroßmutter.

Annette Kuhns Urgroßmutter Fanny Loewenstaedt, geb. Berliner (1811-1875) als Tochter von Ernestine Berliner geb. Horowitz (1788-1843), hatte 1836 den Breslauer Rum-, Sprit- und Likörfabriksbesitzer Jonas Mendel Loewenstaedt (1799-1852) geheiratet. Ihre Tochter Ernestine heiratete Marcus Lichtenstein. Außer Ernestine und Paul Loewenstaedt sind bislang keine weiteren Kinder bekannt. Nach dem Tod ihres Mannes hat Fanny Lowenstadt die Firma auf ihren Sohn Paul Löwenstädt überschrieben. Vgl. zu den genealogischen Angaben https://wc.rootsweb.com/trees/237197/I144236/paul-loewenstaedt/individual

Die zwanziger Jahre des Ehepaars Kuhn

Käthe Lanke, ab 1925 Kuhn, studierte also in Berlin Altphilologie (ab wann genau???). Sie gehörte zur ersten Studentinnengeneration, die ohne eine Sondergenehmigung studieren konnte.

Käthe Lewys Mutter starb noch im Jahr der Hochzeit am 23. November 1925 in Breslau. Ihre Beerdigung ist unter dem ursprünglichen Namen „Margarethe Lewy geb. Lowenstaedt, Höschenplatz 6“, also im Krankenhaus der Landesversicherungsanstalt Schlesien, im „Breslauer Jüdischen Gemeindeblatt“ (2, 1925, Nr. 12 (15. Dezember 1925 - http://www.bibliotekacyfrowa.pl/Content/55804/PDF/directory.pdf) für den 26. November 1925 für den Friedhof Cosel in Breslau verzeichnet. Dort beerdigt liegt auch ihre am 31. Oktober 1927 Mutter Jenni Loewenstaedt.

Helmut Kuhns Vater starb 1927, worauf seine Mutter ihren Wohnsitz nach Göttingen verlegte. Bei der Auflösung des Lübener Haushalts übernahm die Familie Feige den Kuhn'schen Seiler-Flügel. Der Kontakt zwischen der Mutter von Frau Dr. Feige und Frau Kuhn riss bis zu deren Tod nicht ab. Das Kuhnsche Anwesen erwarb der aus Lüben stammende Fleischermeister Otto Hoffmann.

Als 1931 der Sohn Reinhard zur Welt kam, gab Käthe Kuhn die geplante eigene Dissertation „Kinderspielzeug im alten Rom“ beim berühmten Altphilologen Wilamowitz auf (Ich trage einen goldenen Stern: ein Frauenleben in Deutschland, 2003, S. 13; Goldenstedt, a.a.O., S. 15).

Helmut Kuhn, Romano Guardini und die Berliner Kant-Gesellschaft

Helmut Kuhns Beziehung zu Guardini bis zur Emigration

Hugo Herrera schreibt über Helmut Kuhn: „Er hatte keine Lehrer im eigentlichen Sinn, stand aber Hönigswald, Jaeger und Guardini nahe […]. Bestimmend für Kuhns Denken waren – neben Hönigswald, Jaeger und Guardini – Platon und Husserl. Im Vorwort von Das Sein und das Gute schreibt er: „Nun ist der Gedanke, von dessen Wichtigkeit der Autor gern andere überzeugen möchte und dem er seine eigene Autorenschaft von der ersten bis zur letzten Zeile verdankt, nicht einmal sein eigener. Die Natur dieses Gedankens schließt jeglichen Anspruch auf Originalität, so wie das Wort heute verstanden wird, aus. Es geht einfach um den Begriff der Philosophie, wie ihn Platon zuerst gedacht und in seinem schriftstellerischen Werk zum Ausdruck gebracht hat“(17: SuG, S. 11) Und weiter schreibt Kuhn in diesem Vorwort: „Die Phänomenologie Edmund Husserls half zur Emanzipation von den konstruktiven Denkgewohnheiten der neukantischen Schule und gab Mut und Freiheit zum eigenen Sehen“ (SuG, S. 12). […] Andere Philosophen, die das Denken Kuhns beeinflussten, sind Thomas von Aquin, Aristoteles, Kant und latent-kritisch Martin Heidegger und Carl Schmitt. Kuhn stand – trotz seiner Nähe zur Phänomenologie und zu in Deutschland bekannten Professoren wie R. Guardini, L. Strauss, E. Voegelin und anderen – philosophisch eher isoliert da“ [Hugo Herrera: Sein und Staat. Die ontologische Begründung der politischen Praxis bei Helmut Kuhn, 2005, siehe insbesondere S. 11-13; unter Verweis auf Curriculum, S. 240 ff., 252 f., 279; vgl. H. Kuhn, Romano Guardini – Philosoph der Sorge, St. Ottilien; Romano Guardini, Der Mensch und das Werk, München 1961)].

Trotz mittlerweile vorliegender autobiographischer und biographischer Darstellungen [Christiane Goldenstedt, "Du hast mich heimgesucht bei Nacht." - Die Familie Kuhn im Exil, 2013; Annette Kuhn, Ich trage einen goldenen Stern: ein Frauenleben in Deutschland, 2003, insbesondere Abschnitt zu Romano Guardini S. 100-105] - ist noch nicht endgültig geklärt, wann und wo genau Kuhn und Guardini sich persönlich kennengelernt haben. Er selbst schreibt dazu im Vorwort seiner zweiten Guardini-Studie „Romano Guardini – Philosoph der Sorge“ von 1987, er habe 1925 erstmals eine philosophische Vorlesung Guardinis besucht: „Wir schreiben das Jahr 1925. Guardini, Professor an der Universität Berlin (formaliter Mitglied der Universität Breslau) hält eine philosophische Vorlesung. Unter den Hörern findet sich der Verfasser dieses Buches, der nach geglückter Promotion an der Universität Breslau zu weiteren Studien an die Universität der Hauptstadt gekommen ist. Guardini spricht unbeschadet der Eigentümlichkeit seiner italienischen Herkunft als ein typischer Vertreter der deutschen geistesgeschichtlichen Philosophie. Was ihn aber von seinen deutschen Kollegen unterscheidet, ist das Erfülltsein von einer doppelten Überzeugung. Die Philosophie griechischen Ursprungs und die christliche Botschaft – das sind für ihn das Fundament, auf dem unsere Zivilisation beruht und von dem unsere Zukunft abhängt. Gewiß wurde diese Überzeugung von vielen Vertretern der geisteswissenschaftlichen Philosophen geteilt. Für Guardini aber war sie mehr als ein Glaubensartikel unter anderen. Für den Hörer kam also alles darauf an, von diesem Lichtpunkt ergriffen zu sein. Der Verfasser dieses Buches glaubt, daß auch er getroffen war“ (Helmut Kuhn, Romano Guardini – Philosoph der Sorge, 1987, S. 9).

Dabei grenzte Helmut Kuhn sich von der Jugendbewegung und bestimmten Guardini-Kreisen ab, die sich aus dem Gemeinschaftsbewusstsein mit ihm, zu ihm hingezogen fühlten. Für ihn dagegen war es „der gleiche Drang, der die jungen Männer von einst sich um Sokrates scharen ließ“ (ebd., S. 22).

Helmut Kuhn berichtete im Zusammenhang mit Guardini außerdem über eine Begebenheit aus den Jahren 1932/33, in der Guardini selbst nur eine indirekte Rolle spielt, in der Kuhn aber Guardinis Geschichtsdenken als Antipoden zur Geschichtsphilosophie Stefan George und seine Anhänger nachzeichnet. „Ich erinnere mich eines Vorfalls aus dem Jahre 1932. Ein älterer und berühmter Kollege hatte mich zu sich gebeten, um mich mit L.F. bekannt zu machen, einem jungen Mann, der sich damals als einer der geistigen Führer der Jugendbewegung einen Namen gemacht hatte und der mit dem Kreis um Stefan George in Verbindung stand. Ein am Tag zuvor aus dem Munde von Romano Guardini vernommenes Wort wollte mich nicht loslassen: `Das Wissen um den Sinn unserer Gegenwart ist uns verschlossen. Nur prophetische Einsicht vermag dieses Dunkel zu durchdringen.´ So oder so ähnlich hatte der Ausspruch gelautet, den ich viele Jahrzehnte später von dem gleichen Sprecher noch einmal gehört habe. Seine Wahrheit hatte mir sofort eingeleuchtet, wenn mir auch seine Bedeutungsfülle erst später zum Bewusstsein kommen sollte. L.F., beredt und leuchtend, war der Wortführer bei dem Gespräch zu dritt. Er sprach davon, wie die brüchig gewordene Kruste der bürgerlich-liberalen Gesellschaft, gleichsam unter dem Druck aufwärts drängenden flüssigen Feuers aus der Erdmitte, zu bersten beginnt, wie ein neues Zeitalter ... Es war eine im Nietzsche-Stil poetisierte Wiedergabe der landläufigen Geschichtsphilosophie, die in eine Apotheose der nationalsozialistischen Bewegung auslief. Der Redner gefiel mir ebenso, wie mir die Rede missfiel, und ich dachte an das Wort Guardinis. Wenige Monate danach ereignete sich die „Machtergreifung“, und L.F. war dazu ausersehen, bei einer Veranstaltung im Harnack-Haus das Ereignis zu feiern. Er lobte die Bewegung, tadelte ihren Antisemitismus – und musste noch am nächsten Tage Sicherheit in der Schweiz suchen. Er ging später nach Holland und hat dort in den Kriegsjahren in Zusammenarbeit mit dem holländischen Widerstand sein Leben für die Rettung deutsch-jüdischer Kinder eingesetzt. Es ist mehr Weisheit im Gewissen als in der Geschichtsphilosophie, die in der meist uneingestandenen Nachfolge Hegels die Vorsehung in Wissenschaft verwandeln oder das Schicksal lenken möchte“ (Helmut Kuhn: Das Sein und das Gute, München 1962, Vorwort, Oktober 1961, S. 14).

Die Identität von „L. F.“ konnte bislang noch nicht ausgemacht werden. Auch der Guardini sinngemäß zugeschriebe Aphorismus konnte noch keinem später veröffentlichten Werk zugeordnet werden.

In den dreißiger Jahren hörte Kuhn bei Guardini dann auf jeden Fall noch über Hölderlin (wohl in den Wintern 34/35 und 35/36) und Dostojewski (möglich ab Sommer 1930) [Helmut Kuhn, in: Ludwig J. Pongratz (Hrsg.): Philosophie in Selbstdarstellung, Bd. III, 1977, S. 236-283, hier S. 255]. Zu Hölderlins Verhältnis zur Romantik hatte er sich selbst schon 1926 Gedanken gemacht [Helmut Kuhn: Hölderlin und die Romantik, in: Die Zeitenwende, II, 1926, 10, S. 398-420]. Außerdem erinnert sich Kuhn für die dreißiger Jahre an „abendliche Zirkeln wechselnder Zusammensetzung“, von „Konventikeln der Dissidenten“, bei denen er immer wieder auch Guardini begegnete [Pongratz, a.a.O., S. 265].

Ein Kreis, dem Helmut Kuhn angehörte, könnte zum Beispiel in anderen Kontexten zu Begegnungen mit Guardini geführt haben. Helmut Kuhn war 1937 der erste von vier Emigranten eines Berliner Gesprächskreises, der sich ab Mitte der dreißiger Jahre dort gebildet hatte. Zu ihm gehörten Fritz Kaufmann, Richard Kroner und Kurt Riezler, die alle drei 1938 emigrierten. Kurt Riezler war nach dem Entzug der Lehrbefugnis in Frankfurt am Main 1934 nach Berlin gezogen, Kroner war 1935 zu seiner Schwägerin Cläre Kauffmann nach Berlin gegangen und hatte dort eine Forschungsstelle zugewiesen bekommen, der Freiburger Phänomenologe und Husserl-Schüler Fritz Kaufmann kam von Freiburg aus nach Berlin und lehrte ab 1936 als Gastprofessor an der Hochschule für die Wissenschaft des Judentums in Berlin. Fritz Kaufmann lehrte in den USA als Dozent in Chicago und in Buffalo. Kroner war zunächst drei Jahre in Oxford in England tätig und siedelte 1940 in die USA über, wo er am Union Theological Seminary in New York von 1941 bis zu seiner Emeritierung 1952 Religionsphilosophie lehrte. Riezler bekam in den USA zunächst eine Professur an der New School for Social Research in New York City, daneben war er Gastprofessor an der University of Chicago und an der Columbia University. Er kehrte 1954 nach Europa (Rom) zurück, starb aber bereits 1955 bei einem Aufenthalt in München. Inwieweit die Berliner Kontakte auch in den USA weitergepflegt wurde, ist noch nicht erforscht.

Richard Kroner und Kurt Riezler gehörten zusammen mit Romano Guardini und neben Konrat Ziegler, Ernesto Grassi, Richard Müller-Freienfels, Hans Rothfels, Carl Friedrich von Weizsäcker zu den „Katakombenkreisen des Philosophierens“ um den Medizinhistoriker Leibbrand. Daher ist es nicht unwahrscheinlich, dass auch Helmut Kuhn bei dem ein oder anderen Treffen dieses Kreises dabei gewesen sein könnte.

1937 verließ der „Schüler“ Helmut Kuhn - so sah er sich [Helmut Kuhn: Romano Guardini – Philosoph der Sorge, 1987, S. 10] - also bei seiner Flucht und Emigration auch seinen „sokratischen“ Lehrer Guardini, nimmt in die neue Welt aber ein ihm unvergessliches Wort Guardinis mit: „Er sprach von dem „tragischen Finitismus“ Nietzsches, der das Sandkorn der Endlichkeit mit Gewalt habe sprengen wollen, dann von der im Glauben erschauten endlichen Welt, die nicht im Nichts verloren bleibt, sondern die Gott wie einen Ball mit seinen Händen umschließt“ (Helmut Kuhn: Gespräch in Erwartung. Zu Martin Bubers 80. Geburtstag, in: Merkur, 12, 1958, S. 101-124, hier S. 114).

Helmut Kuhns Werk zwischen 1926 und 1936

1926 bis 1932

In Berlin übernahm Helmut Kuhn in der Kant-Gesellschaft - wann genau konnte ich noch nicht klären - die Stelle des wissenschaftlichen Assistenten von Arthur Liebert, dem Geschäftsführer der Kant-Gesellschaft und dem Herausgeber der Kant-Studien zur Seite. Nach dem Tode von Rudolf Eisler 1926 übernahm er die Vollendung und Herausgabe des Kant-Lexikons. In dieser Zeit kam er nicht nur mit Guardini, sondern auch mit Berliner Kreisen in Kontakt, die von Guardini bzw. auch von Martin Heidegger beeinflusst waren (vgl. Henckmann „Erkenntnis und Entscheidung“, Philosophisches Jahrbuch, 75, 2019, S. 430-437 - https://philosophisches-jahrbuch.de/wp-content/uploads/2019/03/PJ75_S430-437_Henckmann_Erkenntnis-und-Entscheidung.pdf).

Außer seiner Hauptarbeit – der redaktionellen Vollendung von Rudolf Eislers „Kant-Lexikon“, die er 1929 abschließen konnte [Helmut Kuhn (Hrsg.): Rudolf Eislers Kant-Lexikon, Berlin 1929; Hildesheim (Neudruck)1961)], stehen vor dem Dritten Reich nur wenige Aufsätze zu Buche, bis zur Habilitation im Grunde nur zwei Aufsätze und einige Rezensionen.

Ein wichtiges Thema ist die Entwicklung einer Weltanschauung unter dem Einfluss Werner Jaegers:

  • 1926 erschien der Aufsatz „Das Altertum und die Moderne Geschichtsphilosophie“ (in: Die Antike, II, 1926, S. 190-204). Dieser enthält bereits, beeinflusst von seinem Lehrer Jaeger, alle bestimmenden weltanschaulichen Elemente seiner Arbeiten bis 1936 (so Tilitzki, S. 322: „Im Zentrum steht das Ethos des humanistischen Menschenbildes mit seiner „rein irdisch gedachten Entfaltung aller menschlichen Werte in der Gemeinschaft“, das den „gebildeten Menschen“ als „letzten Sinn und Maßstab der Kultur“ fordere. Die politische Gemeinschaft kann daher nur Zwischenstation auf dem Weg zur „Kulturgemeinschaft“ sein. Im Widerspruch zum romantischen Volksgeist, zu Ideen, Organismus-Analogien, „naturalistisch-ästhetischen“ Entwürfen der modernen „Kulturbiologie“ und zu „quietistisch-konservativen Wachstumsbegriffen“, macht Kuhn den Bestand einer lebendigen Gemeinschaft allein davon abhängig, daß der einzelne dem Ganzen zustimme“ (Zitate aus S. 200)
  • Sein früher, 1931 in einer Sammlung von Jaeger erschienener Rekurs auf die Antike richtete sich gegen die Berliner Antwort auf das „Historismusproblem“, somit aber auch gegen Werner Jaegers „dritten Humanismus“ selbst und ebenso gegen Spranger. Und das obwohl viele Kuhn mit Jaeger als Vertreter dieses „dritten Humanismus“ sehen.
  • In seiner Rezension zu Karl Jaspers „Die geistige Situation der Zeit“ (Kant-Studien, 1932, S. 279-281) spricht Kuhn in diesem Sinne davon, dass er gerne die bürgerliche, „maßvolle Verbindung von Europäertum und nationaler Gesinnung“ zum politischen Imperativ erheben wollte, wäre da nicht die unaufhaltsame „Mechanisierung der Welt“, die vielleicht noch unnachgiebiger als „Faschismus und Bolschewismus“ die besten Traditionen des deutschen Bürgertums bedrohe und jedes Eintreten für sie sinnlos erscheinen lasse.

In den Kant-Studien von 1934 geht eine weitere Besprechung Kuhns zu Werner Jaegers „Paideia“ . Er begrüßte dabei Jaegers „Paidaia“, distanziert sich aber erneut leicht, weil die „Existenzfrage“ nicht von einem „noch so groß geschauten Griechenbild“ her zu lösen sei (S. 338). Nach eigenem Bekunden Kuhns habe die Berliner Zeit unter dem Einfluss Jaegers eine Akzentverschiebung von der Paideia zur Polis und von der ästhetischen zur politischen Bildung bedeutet, „beseelt vom humanistischen Ethos“, der im wiedererstandenem Idealismus und seiner praktischen Philosophie angesiedelt war. Er war damals freundschaftlich verbunden mit den Jaeger-Schülern Harder, Schadewaldt, Kristeller, Walzer und Solmsen (vgl. Tilitzki, a.a.O., S. 321)

Ein weiteres wichtiges Feld ist die Literaturgeschichte und Ästhetik:

  • Helmut Kuhns erste Rezension in den Kant-Studien erschien 1927 zu Herbert Cysarz´ „Literaturgeschichte als Geisteswissenschaft. Kritik und System“ (Kant-Studien, 32, 1927, S. 402-404). Es folgten zahlreiche weitere bis zur Einstellung seiner Tätigkeit für die Kant-Studien 1934/35.
  • Am 15. Juni 1927 bei der 336. Sitzung der Berliner Gesellschaft für deutsche Literatur hält er den Vortrag über „Literaturhistorische Probleme in der gegenwärtigen Ästhetik“.

[Ebenfalls noch zwischen 1927 und 1930 hielt er dort den Vortrag: „Über Ursprung und Bedeutung des Psychologischen in der modernen Literatur“, vgl. Wissenschaft ohne Universität, Forschung ohne Staat. Die Berliner Gesellschaft für deutsche Literatur 1888-1938, S. 211]

  • 1928 veröffentlichte er den Aufsatz „Die ästhetische Autonomie als Problem der Philosophie der Gegenwart“ in der Zeitschrift „Logos“ (in: Logos, XVII, 1928, 3, S. 301-322).

Am 3. Mai 1929 beantragte Helmut Kuhn schließlich die Habilitation, die er am 25. Februar 1930 erfolgreich absolvierte.

  • Seine Habilitationsschrift ist sein zweibändiges Werk „Die Kulturfunktion der Kunst“ Darin verrechnet er Hegel unter den Klassizismus (siehe Hegel-Studien 36, 1996, S. 64). Die Gutachten stammen von Dessoir, sein „Habilitationsvater“, und Spranger sowie von Maier. Die Beurteilungen fielen eher kritisch aus. Maier tadelte die „unbefriedigenden Ergebnisse“ und die einseitig phänomenologische Einstellung, Spranger hielt die Arbeit zwar methodisch ausgezeichnet „durchgeführt“, monierte aber, Kuhn berühre den religiösen Untergrund der Kunst nur flüchtig, weshalb die Untersuchung keine greifbaren Ergebnisse zeitige. Und Dessoir vermisste die „Ursprünglichkeit des Denkens“, die man für eine Lehrkraft für die Geschichte der Ästhetik benötige (Tilitzki, S. 322 unter Berufung auf UA-HUB, Phil. Fak. Nr. 1244, Bl. 168-183; Habil. Kuhn 1929/30; Voten von Dessoir, Spranger, Maier).
  • Im Band I, S. 208 ff. registrierte er als Ästhetiker, daß das „ökonomische Individual-Interesse“ jeden Versuch, ein „umfassendes Ordnungsganzes“ zu bewahren, negiere, daß daher das „Leben“ verarme und der „künstlerische Geist“ erstickt werde, durch das „Übergewicht der ökonomischen Apparate“ die „teilhaften Bestrebungen“ begünstigt würden und damit letztlich Kultur in Zivilisation aufgelöst werde.
  • Trotz der Bedenken ließ man Kuhn zu Colloquium und Probevorlesung („Das Problem des Standpunkts und die geschichtliche Erkenntnis“, publiziert in: Kant-Studien, 35, 1930, S. 496-510) zu.
  • Am 2. Mai 1930 erhält er die Venia legendi. Er wirkte fortan in Berlin als unbezahlter Privatdozent. [Laut seinem Bruder Heinrich wurde er im Februar 1930 „Privatdozent in einer unbezahlten Position“.]
  • Von seiner Korrespondenz mit Eduard Spranger sind im Kuhn-Nachlass der Bayerischen Staatsbibliothek noch einiges vorhanden (2 eKU, 2 eBU, 3 BU 1931-1957)
  • Im Kontext seiner Habilitation steht 1930 wohl auch der Aufsatz „Die Entstehung der deutschen Ästhetik aus dem Geiste des Humanismus“ (in: Die Antike, V, 1930, S. 128-160).
  • Im Oktober 1930 nimmt Kuhn schließlich am „Vierten Kongress für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft in Hamburg vom 7. bis 9. Oktober 1930 (vgl. Bericht in: Kant-Studien, 35, 1930, S. 575)

1930: Das persönliche Zusammentreffen mit Hans-Georg Gadamer:

  • In einem bei Jean Grondins Gadamer-Biographie angeführten Brief von Gadamer an Kuhn vom 13. Februar 1960 heißt es über das erste Kennenlernen der beiden Philosophen im Rahmen der Naumburger Pfingsttagung 1930 mit Werner Jaeger (mitunter datiert Gadamer selbst irrtümlich auf 1929 und in der Sekundärliteratur findet sich „Juli 1930“, Pfingstsonntag war aber der 8. Juni 1930): „Als wir uns erstmals in Naumburg 1930 begegneten und ein eingehendes Gespräch über Heidegger hatten, habe ich sogleich – und ich erinnere mich dessen noch sehr genau - eine fast bestürzende Überraschung empfunden, daß die phänomenologische Arbeitsweise (wie wir uns damals noch ganz auffaßten) doch nicht das esoterische Werkstattgeheimnis und Privileg war, als das es im Freiburger Phänomenologenkreis beansprucht wurde.“
  • Gadamer ergänzt am 25. Februar 1962: „Erinnern Sie sich unseres ersten Gesprächs (in Naumburg 1930), als ich Ihrer Darlegung betreffs Sein und Zeit entgegenhielt, die Gegenposition zu Aristoteles sei nicht die `Geschichtlichkeit´, sondern der `Augenblick´ Kierkegaards? Unsere Differenz scheint sich in 30 Jahren nicht wesentlich verwandelt zu haben.“

1931: Seine Antrittsrede als Privatdozent hält Helmut Kuhn über „Die Geschichtlichkeit der Kunst“, die er als Zugang zur „Geschichtlichkeit des Daseins“ begreift. (Die Geschichtlichkeit der Kunst, in: Zeitschrift für Ästhetik und Kunstwissenschaft, 25, 1931, S. 209-225). Im gleichen Jahr erscheint in der Zeitschrift „Vorstoß“ sein Aufsatz „Lebensbedingungen heutiger Kunst“ (in: Vorstoß, I, 1931, 46, S. 1815-1821). Fortan sollte ihn diese kunstwissenschaftliche Thematik weiter begleiten. In deutscher Sprache erscheinen:

  • Rezension zu Franz Josef Böhms Dissertation „Die Logik der Ästhetik“ (1928 bei Rickert), 1932. Kuhn urteilt, dass diese als Theorie des Atheoretischen mißlungen sei und weder dem Künstler noch dem Liebhaber der Kunst etwas zu sagen habe.
  • Das Problem der Interpretation von Kunstwerken. Bemerkungen zu Fritz Saxls Buch über Mithras, in: Zeitschrift für Ästhetik u.a. K., XXVII, 1933, S. 52-58 (einleitender Bezug zu Aby Warburg)
  • Rezensionen, in: Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft, Bände 29-30, 1935???, Zu: Alfred Baeumler, Ästhetik, S. 76-80; Zu: Ferdinand Lion, Das Geheimnis des Kunstwerks, S. 171-172
  • Kairos und Mnemosyne - Zwei Phasen im Leben eines Kunstwerks, in: Neue Deutsche Hefte, Bertelsmann, 1959, Heft 61
  • Wesen und Wirken des Kunstwerks. München 1960; Mittenwald 1979; 1980; Essenza e vita dell´ opera d´arte, Torino 1970 [Kuhn nimmt auf Guardinis “Über das Wesen des Kunstwerks” keinen Bezug, hat er es nicht gekannt???]
  • Die Festlichkeit des Kunstwerks, in: Hochland, München, 1961, S. 343-348
  • Das ästhetische Urteil im Leben und Nachleben des Kunstwerks, in: L. Pareyson (Hrsg.): Il Giudizio Estetico. Atti del Simposio di Estetica, Venezia 1958, Padova 1961, S. 60-70

Insbesondere zu Hegels Ästhetik hält Kuhn mehrere Vorlesungen und verfasst mehrere Aufsätze:

  • Die Gegenwärtigkeit der Kunst nach Hegels Vorlesungen über Ästhetik“
  • Hegels Ästhetik als System des Klassizismus, in: Archiv für Geschichte der Philosophie 40, 1931, S. 90-105

Später auch noch:

  • Der Ursprung der Ideologie aus dem Geist der Philosophie Hegels, in: Hegel-Studien, 6, 1971, S. 189-209
  • Die Gegenwärtigkeit der Kunst nach Hegels Vorlesungen über Ästhetik, in: Hegel-Studien, Beiheft 11, Bonn 1974. S. 251-269

Henning Ottmann wird später über diese Auseinandersetzung Kuhns mit Hegel schreiben: „Helmut Kuhn legt Hegel im Stile von Litt, Cassirer und Meinecke aus. Er plaziert ihn an den Umschlagspunkt in der Geschichte des Geistes, an dem die "göttliche Vorsehung" sich so in "menschliche Wissenschaft" verwandelt, daß die alte Tradition des Aufstiegsgedankens dem Historismus verfällt und die Philosophie als Erkenntnis des Guten als Guten sich in Ideologie zu verwandeln beginnt. Hegels Philosophie, welche die Theorie als Gedanken der Zeit bestimmt, hat "indirekt" "der Verfälschungsform des praktisch-philosophischen Wissens eine unerhörte Chance eröffnet". [...]Indem Hegel die "Zeit" in die Philosophie einläßt, wird seine Theorie der zweideutige Anfang der historistischen Effekte: des "Verschmelzungseffekts" (Verschmelzung von politischer Leidenschaft und geschichtsphilosophischer Idee), des "Ideologisierungseffektes" (historische Funktionalisierung des Gedankens) und des "Totalisierungseffekts" (Integration der Bildungswelt in die politische Sphäre. [...] Indem Hegel das "philosophische Geschehen des Aufstiegs ... analogisch gleichsetzt mit der realen Geschichte der Menschheit" [...], kann er zum Ausgangspunkt der mit Heidegger endenden Paradoxie werden, in der das Sein als "Sein ist Zeit" uns mitspielt, statt mit uns zu spielen. Helmut Kuhn formuliert quasi platonisch die Kritik am Historizismus der Marionettentheorie." (Ottmann, Hegel im Spiegel der Interpretationen, 1977, S. 335 in Bezug auf Kuhn, Der Ursprung der Ideologie aus dem Geist der Philosophie Hegels; Kuhn, Der Staat). Und Balduin Schwarz formuliert: „Hegel war der Begründer der Denkweise, die Helmut Kuhn „Revolutionismus“ benannt und als die „übergeordnete und als die „übergeordnete Kategorie der Hegelschen Geschichtsphilosophie“ herausgearbeitet hat. "Revolutionismus" kennzeichnet "die universale Ereignishaftigkeit der Geschichte überhaupt"" (Schwarz, Sören Kierkegaards Begriff "Christliches Erkennen", in: Rupert Hofmann/Jörg Jantzen/Henning Ottmann (Hrsg.): Anodos. Festschrift für Helmut Kuhn, München/Weinheim 1989, S. 284 in Bezug auf Kuhn, Die Kirche im Zeitalter der Kulturrevolution).

1931 erscheint ein umfangreicherer Literaturbericht von Kuhn im "Archiv für Geschichte und Philosophie" (Bericht über die deutschen Schriften des Jahres 1930 zur Geschichte der Philosophie von Kant bis zur Gegenwart (Fortsetzung), in: Archiv für Geschichte der Philosophie, 40, 1931, S. 551-565).

Im Mai 1931: Generalversammlung der Kant-Gesellschaft in Halle mit dem Thema "Wendung zu Ontologie und Realismus". Kuhn veröffentlicht dazu eine "Betrachtung" [Wendung zu Ontologie und Realismus. Betrachtung zum Thema der Generalversammlung der Kant-Gesellschaft 1931, in: Kreis von Halle, 1931, Heft 6-7, S. 1-5 (l.c., S. 184–187)].

1932 hielt Kuhn laut Kant-Studien (S. 322) am 22. Juni in der Ortsgruppe Berlin den Vortrag „Zum Problem der Selbsterkenntnis“. Und in den Kant-Studien schreibt er einen Geburtstagsartikel für Georg Lasson (Georg Lasson zum 70. Geburtstag, in: Kant-Studien, 1932, S. 314 f.).

1933 bis 1936

Anders als Liebert, der 1933 nach Belgrad ins Exil ging und von dort aus 1939 nach England, und auch als sein Bruder, der Physiker Heinrich Kuhn, der ja noch im August 1933 nach Oxford ausgewandert war, blieb Helmut Kuhn, obwohl als „Halbjude“ mit einer „Volljüdin“ verheiratet, noch in Deutschland und übte seine Funktion ab 1934 sogar mit dem Titel „Sekretär der Kant-Gesellschaft“ weiter aus. Der gebürtige Schlesier hatte vom September 1914 bis 1919 als Kriegsfreiwilliger gedient. Als Träger des eisernen Kreuzes entschied er sich nun für den Weg des Bittstellers [Vgl. dazu auch die Wertung seiner Tochter Annette Kuhn: Ich trage einen goldenen Stern, a.a.O., S. 12].

Im Sommersemester 1933 leitete Kuhn innerhalb der sogenannten „Arbeitsgemeinschaft“ der Ortsgruppe Berlin der Kant-Gesellschaft einen Lektürekreis zu Platons Dialogen (laut: Kant-Studien, 39, 1934, S. 245).

In den Kant-Studien fallen für 1933 zwei Beiträge ins Gewicht. Einmal eine Rezension zu Carl Schmitts „Der Begriff des Politischen“ (Helmut Kuhn: Politik, existenzphilosophisch verstanden. Eine Auseinandersetzung mit Carl Schmitts „Der Begriff des Politischen“, in: ders.: Der Staat. Eine philosophische Darstellung, München 1967, S. 447-460; zuerst in Kant-Studien, Bd. 38, 1933, S. 190-196. Darin schreibt Kuhn unmissverständlich: „Alle politischen Begriffe sind nach Sch. gebunden an eine konkrete Situation, und das muß im Zusammenhang seiner Theorie bedeuten, an eine konkrete Gegensätzlichkeit. Von diesem Boden abgelöst, verlieren sie den ihnen ursprünglichen `polemischen Sinn´ und werden zu `leeren und gespenstischen Abstraktionen´“ (18) Alle echten politischen Theorien setzen den Menschen als böse voraus (51). Existenzphilosophisch!“ (S. 450).

Carl Schmitt war alles andere als begeistert von dieser Kritik. Denn in diesem Artikel legt er Carl Schmitts Schrift als Manifest einer von Nietzsche geprägten Avantgarde aus. Schmitt sah dies als „dumme Artikel eines Juden, frech und unverschämt. In einem Begleitbrief war sogar von „verborgenem Nihilismus“ die Rede. Er, Schmitt, habe den Eindruck gewonnen, der Rezensent, ein gewisser Dr. Helmut Kuhn, habe ihn mit Ernst Jünger verwechselt, als er behauptete, Schmitt könne den wahren Ernst einer politischen Existenz nur im Ernstfall, der Todesbereitschaft fordert, erkennen. So weit, so gut. Dieser Kuhn habe recht, wenn er schreibe, dass man erschreckende Sachverhalte unerschrocken ins Auge fassen müsse, auch wenn sicherheitsbedürftige Gemüter darüber vielleicht entsetzt seien. Todesbereitschaft und Tötungsbereitschaft stellten nicht nur Proben, sondern auch Garanten des Ernstes im politischen Kampf dar. Insofern stimme er, Schmitt, mit Jüngers Haltung in dessen Kriegstagebuch „In Stahlgewittern“ überein. Aber, jetzt wieder mit gehobener Stimme: Die Freund-Feind-Formel steht nicht in der Tradition des Immoralismus dekadenter Literatur, wie Privatdozent Kuhn vermutet. „Der Begriff des Politischen“ ist kein Manifest des Politischen Existentialismus! Ein typisches Feindbild aus dem Dunstkreis liberaler Denker. Karl Löwith habe die Formel vom „Politischen Existenzialismus“ geprägt, und der abtrünnige Heidegger-Schüler Herbert Marcuse habe in die gleiche Kerbe geschlagen.“ (so übernommen von Helmut Lethen, Die Staatsräte. Elite im Dritten Reich, 2018, S. XXVI.; vgl. auch: Reinhard Mehring: Don Capisco und sein Soldat: Carl Schmitt und Ernst Jünger … „Schmitt beobachtete Heidegger, seitdem dessen „jüdische“ Schüler (Helmut Kuhn, Karl Löwith, Herbert Marcuse) seinen BEGRIFF DES POLITISCHEN als politischer Auslegung von Heideggers existentialistischen Defiziten kritisierten. [...]“

Allerdings geht Carl Schmitt bei der Einordnung Kuhns ebenfalls fehl, wenn er ihn zu Löwith und Marcuse stellt, denn gerade zu diesen Heidegger-Schülern hatte Kuhn selbst ein distanziertes Verhältnis: "Feinhörige [Nietzsche-]Leser, an ihrer Spitze der Heidegger-Schüler Karl Löwith, bemerkten dann, daß, allem offensichtlichen Widerspruch zum Trotz, eine gewisse Entsprechung festzustellen sei zwischen dem Existenzdrama des christlich bemühten Kierkegaard auf der einen und andererseits dem griechisch-heidnisch inspirierten Nietzsche, der die mit dem philosophischen Hammer zerschlagene Denk- und Glaubenswelt durch neue, aus des Willen zur Macht geschaffene Werte ersetzen wollte und der in Verzweiflung über die sprachlos gewordenen Weltlinge mit titanischem „Dennoch!“ ihre ewige Wiederkehr deklarierte. So konnte sich neben den weichen, durch idealistische Hoffnungen gemilderten Humanismus der kalte und ästhetisch gehärtete Nietzsche-Humanismus Ernst Jüngers und seines Kreises stellen – auch er wie der Existentialismus als Herausforderung bürgerlich-akademischer Humanität gedacht" [Helmut Kuhn, in: Pongratz (Hrsg.): Philosophie in Selbstdarstellungen, a.a.O., S. 249 f.]

Kuhn hat 1933 für die Kant-Studien auch noch Husserls „Méditations Cartésiennes" rezensiert (in: Kant-Studien, XXXVIII, 1933, S. 209-216).

1934 erscheint dann Helmut Kuhns Sokrates-Buch [Helmut Kuhn: Sokrates. Versuch über den Ursprung der Metaphysik, Berlin 1934; München (2)1959; italienisch: Mailand 1969.]. Kuhn unterscheidet darin die „sokratische Frage“ von ihrer „ontologischen Umbildung“ durch Platon und meint: „Sokrates stellt die Frage, auf die Platons Ontologie antwortet“ (ebd., S. 142). Anlass zur Wiedergewinnung der sokratischen Frage sei die parallele „Fragesituation“, der Verlust der Naivität des Daseins in einer Krisenlage: „Im Verfall des Lebens entspringt die sokratische Frage und fragt nach der Möglichkeit seiner Wiederherstellung“ (ebd., S. 20). Ein erfülltes Leben bestehe in der „Sorge um die Seele“, im konsequenten Vollzug der sokratischen Frage. Diese Existenz habe ein „doppeldeutiges“ Verhältnis zum Staat: „Das Bürgersein, an dem Sokrates festhält, besteht paradox genug in der Enthaltung von aller bürgerlichen Tätigkeit. Der wahre Bürger in diesem Sinn ist also nicht nur als der Gerechte immer in Gefahr, mit der Ungerechtigkeit der Polis in Konflikt zu geraten – er steht als die echte Verkörperung der Polis außerhalb der konkreten Polis. Die Polis ist durch ihn gerettet und zugleich gerichtet.“ (ebd., S. 110). Letztlich stilisiert er Sokrates zum „letzten Bürger“, der das „Schicksal des geistigen Menschen in der Geschichte Europas“ verkörpere, weil es ihm gelungen sei, seine „Innerlichkeit“ gegen eine ungerechte Staatsordnung zu behaupten (S. 117-120 und 128).

Unter anderem Husserl nimmt das Werk sehr lobend auf (vgl. Briefe an Kuhn, in: ders. -, Briefwechsel Bd. VI, Dordrecht 1994, S. 237-247). Strauss lehnt dagegen das Buch gegenüber Jacob Klein sehr deftig ab (Brief vom 8. Januar 1935 in: Gesammelte Schriften, Bd. 3, S. 535); auch Gadamer rezensiert ablehnend (vgl. in: Gesammelte Werke, Bd. IV, S. 229-233; Gesammelte Werke Bd. V, S. 322-326 und Gesammelte Werke, Bd. IV, S. 103-106). In seinem Festschriftbeitrag für Kuhns Festschrift von 1964 unter dem Titel „Platon und die Vorsokratiker“ verweist er auf diese Rezension als Beleg dafür, wie sehr ihn schon vor Jahrzehnten der methodische Grundgedanke des Kuhnschen Buches beeindruckt habe (hier nach: Gadamer, Griechische Philosophie I-III, 1985, S. 58).

An dieser Stelle sei auf die bereits veröffentlichten Briefe von Husserl an Kuhn zwischen dem 23. Februar 1934 und dem 4. Februar 1937 hingewiesen (S. 237-243: 23.II.1934, 28.XI.1934, 18.II.1935, 3.II.1937, 4.II.1937, dazu ca. 1934 ein nicht abgesandter Entwurf). Der Kuhn-Nachlass in der Bayerischen Staatsbibliothek enthält Korrespondenz mit Husserl: „Br. Beil.: 2 Kopien v. Briefen 3 eBU, 1 BU, 1 eKU, 2 Umschl.1934-1937“. Im besagten Brief vom 23. Februar 1934 (aufgrund einer falschen Zuordnung der römischen Monatszahl II zur deutschen Zahl 11 wird der Brief in der Sekundärliteratur mitunter auch auf den 23. November 1934 datiert) heißt es über das Sokrates-Buch: „Sehr herzlich danke ich Ihnen für die Zusendung Ihres schönen, höchst geistvollen und scharfsinnigen Sokratesbuches. Ich habe mich in den letzten Wochen viel damit beschäftigt. Es ist eigentlich seit Jahren das erste philosophische Buch, das ich von Anfang bis Ende gelesen und ernstlich durchdacht habe. Mich selbst beschäftigt seit langem schon das Problem, wie philosophiegeschichtliche Interpretationen für den philosophischen Selbstdenker in seinem aktuellen Philosophieren bedeutsam sind und welchen Sinn solche Interpretationen selbst, sei es einzelner Philosophen, sei es des gesamten Zuges der vergangenen Philosophie haben. Die Aufforderung des Internationalen Komitees des Prager Kongresses, mich brieflich über die gegenwärtige Aufgabe der Philosophie zu äussern, war im August dieses Jahres für mich die für mich die Anregung gewesen, eine Interpretation des Ursprungs der Idee „Philosophie“ und ihre Ausbildung bis zur Gegenwart der Beantwortung der gestellten Frage zu Grunde zu legen – und zugleich daneben über den Sinn dieser Geschichtsbetrachtung nachzudenken, die in der Tat auf sehr tiefe geschichtsphilosophische Probleme zurückführt.“

In engem Zusammenhang mit der Sokratesarbeit steht auch noch Kuhns Aufsatz „Die Sokratesforschung und ihre gegenwärtige Aufgabe“ (in: Geistige Arbeit, 1934, Nr. 21, S. 7-8).

Für 1934 findet sich im Nachlaß Kuhns ein Brief von Gerhard von Mutius (1872-1934), einem Diplomaten, der nunmehr in Berlin lebte (3 eBU, 1eKU1934). Zu Mutius hatte in dieser Zeit auch Guardini Kontakt.

Die letzten drei größeren und publizierten Texte 1935 und 36 waren hingegen:

  • Die deutsche Philosophie der Gegenwart, in: Das Evangelische Deutschland, XII, 1935, 43-44, S. 62-63; italienisch: La Filosofia Tedesca Contemporanea, in: Archivio di Storia della Filosofia, IV, 1935, 3, S. 181-196 (über Husserl, Scheler, Heidegger, Jaspers u.a.)
  • Hellas und Wir. Zur Frage der Wiedergeburt der griechischen Philosophie in Deutschland, in: Frankfurter Zeitung, 19.4.1936
  • Die Einheit der Philosophie, in: Das Deutsche Wort, XII, 1936, 20, S. 814-818 (über Husserls Phänomenologie) - das Publikationsorgan „Das Deutsche Wort“ war vormals „Die literarische Welt. Unabhängiges Organ für das deutsche Schrifttum“. In der Weimarer Republik war es eine Wochenschrift, die von Ernst Rowohlt und Willy Haas 1925 in Berlin gegründet wurde. Die Zeitschrift erschien von 1925 bis 1933 unter der Herausgeberschaft von Willy Haas in der Literarische Welt Verlagsgesellschaft, Berlin-Lichterfelde. Die Redaktion saß in der Passauer Straße. Nach Haas' Emigration wurde sie kurzzeitig als „Neue Folge“ gleichen Titels (1933–1934) fortgesetzt, nun herausgegeben von Karl Rauch. Nachdem die Zeitschrift im Sinn der nationalsozialistischen „Gleichschaltung“ dann seit 1934 "Das deutsche Wort" genannt wurde, erschien sie im Berliner Verlag Bott. Sie wurde 1941 eingestellt (Ernst Fischer, Stephan Füssel (Hrsg.): Geschichte des deutschen Buchhandels im 19. und 20. Jahrhundert, Teil 2, Berlin, Boston, 2012, S. 99).

Guardinis Aktivitäten in der Kant-Gesellschaft

Auf katholischer Seite stehen nicht viele Katholiken innerhalb der Kant-Gesellschaft, im Grunde tauchen nur die Namen Romano Guardini, Friedrich Dessauer, Johannes Hessen und Ernst Przywara SJ regelmäßig auf. Immerhin können für Guardini zwischen 1926 und 1932 sechs geplante Vorträge vor Ortsgruppen der Kant-Gesellschaft verzeichnet werden, von denen auch fünf gehalten worden sind.

Erstmals sprach Guardini wohl am 27. Januar 1926 vor der Berliner Ortsgruppe der Kant-Gesellschaft über „Die religiöse Erkenntnisbedeutung des Kultes“ (Vgl. Bericht über die Vortragveranstaltungen der Kant-Gesellschaft, Ortsgruppe Berlin, während des Jahres 1926, in: Kant-Studien, Philosophische Zeitschrift, Berlin, 32, 1927, S. 549, Nr. 110).

Vor der Kieler Ortsgruppe, auf Einladung durch Heinrich Scholz hin, sprach er am 11. Juni 1926 über „Kierkegaard“ (vgl. Bericht über die Vortragsveranstaltungen der Kant-Gesellschaft, Ortsgruppe Kiel, während der Wintersemester 1925/1926 bis Wintersemester 1926/27, in: Kant-Studien, Philosophische Zeitschrift, Berlin, 32, 1927, S. 450f.: 11. Juni 1926: Prof. Dr. Romano Guardini von der Berliner Universität: „Kierkegaard“; sowie Hans Kudszus: Der große Prozess (Rezension zu: Guardini, Der Tod des Sokrates), in: Der Tagesspiegel, Berlin, 1948, 25. April. Kudszus (1901-1977) war Assistent bei Heinrich Scholz in Kiel, als Guardini den Vortrag hielt; vgl. dazu auch Hans Kudszus: Chronik, in: Neue Deutsche Hefte, Berlin, 15, 1968, 4 (Nr. 120), S. 224-227, zu Romano Guardini S. 224: Kudszus berichtet im Zusammenhang mit dem Kieler Vortrag von einem gemeinsam mit Guardini verbrachten Tag an der Kieler Buch und Guardinis Reflexionen über den „letzten“ Tag).

Im Januar 1929 referiert Guardini vor der Ortsgruppe Erfurt über „Der Sinn der Schwermut“ [vgl. Ortsgruppe Erfurt: Vorträge in den Jahren 1929 und 1930: Januar 1929: Prof. Dr. Guardini, Berlin: „Der Sinn der Schwermut“, in: Kant-Studien, 36, 1931, S. 218].

Im März 1929 wohl vor der Kant-Gesellschaft in Köln über den „augustinischen Denktypus“, vermutlich ein Stück aus seinem Kommentar zu Madeleine Sémer??? [Vgl. Wust, Peter: Der augustinische Denktypus. Zum Vortrag Romano Guardinis in der Kantgesellschaft, in: Kölnische Volkszeitung, 9. März 1929 (Erste Morgen-Ausgabe)].

Im Dezember 1931 war vor der Ortsgruppe in Kiel ein weiterer Vortrag von Guardini über Pascal geplant, der allerdings dann ausfiel [vgl. Ortsgruppe Kiel: 1931, in: Kant-Studien, 38, 1933, S. 297 (16. Dezember: Für den ausgefallenen Vortrag Guardinis sprach Prof. Dr. Stenzel, Kiel: „Pascals Anschauungen über die Stellung des Menschen in der Wirklichkeit“)].

Schließlich spricht Guardini noch am 5. Februar 1932 vor der Ortsgruppe Basel über „Grenzen und Möglichkeiten der Gemeinschaft“ (vgl. Ortsgruppe Basel: 5. Februar 1932: R. Guardini, Berlin: „Grenzen und Möglichkeiten der Gemeinschaft“, in: Kant-Studien, 37, 1932, S. 234).

Es ist wenig wahrscheinlich, dass Helmut Kuhn als Assistent und Sekretär von Arthur Liebert von dieser Tätigkeit Guardinis nichts mitbekommen hätte. Allerdings finden sich bei Kuhn kaum Bezugnahmen

Demütigung, Flucht und Emigration

Geburt und Taufe Annette Kuhns im Mai 1934

Am 22. Mai 1934 wurde Kuhns Tochter Annette geboren. Sie wurde durch Martin Niemöller in Berlin-Dahlem getauft, die Patenschaft hatte Antonie Meinecke, die Frau von Friedrich Meinecke übernommen [Annette Kuhn, a.a.O., S. 14]. Auch wenn diese Taufe in den vollständig erhaltenen Matrikeln nicht verzeichnet ist, ist die Familientradition sehr glaubwürdig. Mit nun zwei kleinen Kindern erhöhte dies natürlich die existentiellen Sorgen der jungen Familie und die bange Frage, ob man nicht doch besser den anderen in die Emigration folgt oder den Status quo im Dritten Reich zu erhalten versuchen.

Die Krisis der Kant-Gesellschaft nach Arthur Lieberts Emigration Ende 1934

Nachdem Arthur Liebert emigriert war, fand im Mai 1934 die letzte Mitgliederversammlung der Kant-Gesellschaft in Halle an der Saale statt, die zunächst die Satzung änderte, um sodann Paul Menzer, Eduard Spranger und Ministerialrat im Reichserziehungsminiserium Martin Löpelmann zum neuen Vorstand zu bestimmen. Immerhin wurde Helmut Kuhn bei dieser Versammlung noch zum wissenschaftlichen Assistenten bestellt, der dem Erweiterten Vorstand angehört. Die Geschäfts- und Wohnadresse Kuhns lautete damals: „Berlin-Dahlem, Goßlerstraße 29“.

Löpelmann trat bereits am 10. Oktober 1934 wieder aus dem Vorstand aus. Dies führte letztlich auch dazu führte, dass Menzer seinen Rücktritt anbot. Dieser pochte dabei aber auf den Verbleib des auch von Löpelmann geduldeten, faktisch die Geschäfte führenden Kuhn und sprach sich scharf gegen Baeumler als möglichen Nachfolger aus. Dieser wünsche nämlich die Beseitigung der Kant-Gesellschaft [Christian Tilitzki Die deutsche Universitätsphilosophie in der Weimarer Republik und im Dritten Reich Teil 2, Berlin 2002, S. 1014 unter Berufung auf: Löpelmann v. 9. 10. 1934; ebd. v. 8. 10. 1934 an REM. UAH, Rep. 6/1388; Menzer an AA v. 10. 10. 1934].

Über „Auslandswirkungen" recht kurioser Art berichtete Kuhn in einem Brief vom 9. November 1934 an den Hallenser Universitätskurator Friedrich Tromp (1875-1954). Demnach berufe sich ein ausländisches Mitglied bei der Verteidigung des nationalsozialistischen Deutschland auf Spinoza! Der Kurator Tromp revanchierte sich am 20. November mit der ernstzunehmenderen Abschrift eines Spranger-Briefes. Spranger teilte Tromp mit, dass in einem Times-Artikel vom 13. November, inspiriert vermutlich von einem Insider, kritisiert werde, dass Rosenberg der Kant-Gesellschaft Schwierigkeiten bereite und ihr Ende sich deshalb wohl ankündige. Mitte Dezember erkundigte sich das Auswärtige Amt bei Rust, was man mit Rücksicht auf die erhebliche kulturpolitische Bedeutung der Gesellschaft angesichts der Berichte der Auslandspresse über die innere Krise der Gesellschaft und den Rücktritt Löpelmanns zu tun gedenke [Tilitzki, S. 1016 unter Berufung auf BAP, REM 49.01/2608, Bl. 10; AA an REM v. 14. 12. 1934.]

Nach dem Vortrag "Philosophie und Zeitgeist" von Litt in der Berliner Ortsgruppe wurde diese in der nationalsozialistischen Parteipresse angegriffen, Litt habe gegen die NS-Rassenlehre polemisiert. Darauf hin machte der geplante nächste Referent, der Kieler Neugermanist Gerhard Fricke, seinen Vortrag von einer klärenden Stellungnahme zu den „politischen Auseinandersetzungen" um Litts Auftritt abhängig. Daraufhin empfahl Kuhn dem Kurator Trump, sich auf „irreführende Berichterstattung" zu berufen. Kuhn berichtete in diesem Zusammenhang dem Kurator, das Nicolai Hartmann ihm mündlich Interesse am Weiterbestehen der Kant-Gesellschaft bekundet und auch persönliche Hilfe zugesagt habe, vor allem für den Fall dass die Deutsche Philosophische Gesellschaft sich am Treiben gegen die Kant-Gesellschaft beteilige. Wenn dies geschehe, wolle Hartmann aus der Gesellschaft austreten [Tilitzki, S. 1015 unter Berufung auf Litt 1935a; Kuhn an Kurator v. 20. 11. 1934] Dieses Angebot Hartmanns währte aber nicht lange, denn schon wenige Tage später zog dieser bei einem weiteren Gespräch mit Kuhn zurück [Tilitzki, ebd., Kuhn an Tromp v. 23. 11. 1934]. Hintergrund dafür bildete wohl das an der Universität kursierende Gerücht, Krieck solle für „politische Pädagogik" nach Berlin berufen werden. Dies könnte natürlich dann auch bedeuten, dass im nächsten Schritt das Preußischen Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung dessen Beteiligung an der Kant-Gesellschaft wünsche. Da aber Kuhns Plan, Spranger und Hartmann sowohl im Vorstand der Kant-Gesellschaft als auch der Deutschen Philosophischen Gesellschaft zu installieren, an der Weigerung Sprangers scheiterte, dem Vorstand der Gesellschaft beizutreten, sah sich auch Hartmann nicht mehr zur Hilfe für die Kant-Gesellschaft verpflichtet.

Die praktisch-organisatorischen Probleme aufgrund der Gerüchte von der Krisis in der Kant-Gesellschaft wurden so gravierend, dass Kuhn nicht einmal mehr einen Diskussionsleiter für den Vortrag des schwedischen Philosophen Liljequist Anfang Dezember fand, da Köhler abwesend war und Spranger sich bis zur Klärung der Vorstandsfrage weigerte. Wenn auch der Rechtsphilosoph Emge die Diskussionsleitung ablehne, müsse man den Vortrag absagen [Tilitzki, ebd., Kuhn an Tromp v. 23. 11.]

Am 24. November erhielt Tromp von dem Hallenser Physiologen Emil Abderhalden, der die Übernahme des Vorsitzes mit dem Hinweis, dass er Nicht-Philosoph sei, ablehnte und eine Persönlichkeit empfahl, die weltanschaulich in den Ideen der NSDAP verankert sei. Darauf bot Tromp am 27. November Emge den Vorsitz der Kant-Gesellschaft an. Gleichzeitig ersuchte er Spranger, der Kant-Gesellschaft treu zu bleiben, obwohl der Rechtsphilosoph und Leiter des Nietzsche-Archivs Emge bereits am 1. Dezember 1931 in die NSDAP eingetreten, am 29. Juli 1932 den Wahlaufruf der Jenaer Hochschullehrer für die NSDAP initiierte, Anfang 1933 die Erklärung für Adolf Hitler zur Reichstagswahl im März 1933 unterschrieben hatte und 1934 stellvertretender Vorsitzender des Ausschusses für Rechtsphilosophie innerhalb der von Hans Frank gegründeten Akademie für Deutsches Recht wurde. Emge, der 1934 an die Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin berufen wurde und ab der Jahreswende 1934/35 als einzig verbliebener Herausgeber des „Archivs für Rechts- und Sozialphilosophie“ firmierte. Allerdings trat - so Christian Tilitzki - Emge auch auch als Kritiker der nationalsozialistischen Rassenpolitik. Diese sei mit seinen auf Gott basierenden Grundeinstellungen unvereinbar.

Emge sagte zwei Tage vor der Ankunft Liljequist sowohl die Moderation des Abends als auch die Übernahme des Vorsitzes der Kant-Gesellschaft zu, letzteres allerdings nur unter der Bedingung, die Mitglieder eines neuen Vorstands selbst auswählen zu können. Dies meldete Kuhn am 3. und 5. Dezember an Tromp. [Tilitzki, S. 1014 unter Berufung auf Brief von Kuhn an Tromp]

Die Krisis der Kant-Studien Ende 1934

Neben der Kant-Gesellschaft geriet auch der Haupt-Publikation, die "Kant-Studien" endgültig in die Krise. Nach jeweils einseitiger, von der Gegenseite nicht anerkannten Kündigungen der Verlagsvertrags Ende September, erhöhte der Inhaber des PAN-Verlages und Verleger der Kant-Studien, Kurt Metzner, den Druck, indem er die Außenstände von angeblich 5000 RM reklamierte. Eigentliches Ziel war es wohl, die Urheberrechte an der renommierten Zeitschrift in die Hand zu bekommen, da er zur Sicherstellung seiner Forderung die Abtretung der Urheberrechte verlangte [Tilitzki, S. 1016 unter Berufung auf ebd.]. Tromp teilte am 4. Dezember 1934 Kuhn mit, daß Metzner bereits das nächste Heft der Kantstudien nicht drucken werde, solange die Kant-Gesellschaft ihre Verbindlichkeiten nicht begleiche. Am 7. Dezember 1934 drohte er damit, sich an den Justitiar des Deutschen Verlegervereins zu wenden. Kuhn machte am 11. Dezember 1934 Tromp darauf aufmerksam, dass nach seiner Rechnung der Schuldenstand 3000 RM und nicht die von Metzner geltend gemachten 5000 RM betrage, am Tag darauf meldete er die Mitteilung Metzners, dass dieser bei Nichtbegleichung das H. 3/4 der Kant-Studien nicht ausliefern werde. Am 14. Dezember konterte Tromp mit der Feststellung, dass die Forderungen nicht präzisiert worden sei und aufgrund der durch das Preußische Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung getroffenen Maßnahmen zur Sicherung der Kant-Gesellschaft die Dringlichkeit Metzner "schwer verständlich" machten.

Vorschläge Emges zwecks Arbeitsteilung mit Deutscher Philosophischer Gesellschaft im Januar 1935

Der designierte Vorsitzende Emge unterbreitete im Außenpolitischen Amt Rosenbergs den Vorschlag, die Kant-Gesellschaft in den Dienst der auswärtigen Kulturpolitik zu stellen, dagegen die Deutsche Philosophische Gesellschft ganz auf die "Innenpolitik" zu konzentrieren. Er sei dazu bereit, gegebenenfalls auch den Vorsitz der Kant-Gesellschaft wieder an Baeumler abzutreten [Tilitzki, S. 1016 unter Berufung auf BAK, NS 15/291; Aktennotiz Schaefer/APA v. 9. 1. 1935 über Besprechung mit Emge]

wird weiter vervollständigt

Neuanfang in den Vereinigten Staaten

wird noch ausgeführt

Neue Auseinandersetzung mit Guardini noch in Amerika

wird noch ausgeführt

Rückkehr nach Deutschland

wird noch ausgeführt

Rückkehr und Lehrstuhl in Erlangen (1948-1952)

Lehrstuhl für amerikanische Kulturgeschichte und Philosophie in München (1953-1956/59)

Wechsel zur allgemeinen Philosophie (1956/59)

Neue Beziehung zu Guardini (1948-1968)

Das Wirken und das Werk Helmut Kuhns nach Guardinis Tod

Späte Kritik an Guardini durch die eigene Stellungnahme zu "Kulturrevolution" und für eine „konservativen Wende“

Komplexe Familiengeschichte nach 1968

wird noch ausgeführt

Annette Kuhn und Romano Guardini

wird noch ausgeführt

Guardinis Rosenkranzsammlung

siehe Guardinis Rosenkranzsammlung