Politik: Unterschied zwischen den Versionen

Aus Romano-Guardini-Handbuch
Zeile 22: Zeile 22:


Schwans Rezension wird zwar den Ergebnissen von Watzal nicht annähernd gerecht, was aber mit an der rein systematischen Konzeption der Arbeit liegt. Watzal glaubte nämlich, auf eine bio-bibliographische Analyse des politischen Denkens Guardinis verzichten zu können. Dadurch konnten aber – wie Haubenthaler zu recht kritisierte - „die politischen Implikationen von Guardinis Denken ... bei weitem nicht ausgelotet” werden ([[Reinhard Haubenthaler]]: Askese und Freiheit bei Romano Guardini, Paderborn u.a. 1995, S. 247) und Guardini blieb – wie Michael Kessler betonte - als „homo politicus“ „ein `bekannter´ Unbekannter” ([[Michael Kessler]]: Europa ist eine Gesinnung. Pluralität, Multikulturalität und europäische Identität bei Romano Guardini (1885-1968), in: ders./Jürgen Wertheimer (Hrsg.): Multikulturalität. Tendenzen, Probleme, Perspektiven im europäischen und internationalen Horizont, Tübingen 1995, S. 31).
Schwans Rezension wird zwar den Ergebnissen von Watzal nicht annähernd gerecht, was aber mit an der rein systematischen Konzeption der Arbeit liegt. Watzal glaubte nämlich, auf eine bio-bibliographische Analyse des politischen Denkens Guardinis verzichten zu können. Dadurch konnten aber – wie Haubenthaler zu recht kritisierte - „die politischen Implikationen von Guardinis Denken ... bei weitem nicht ausgelotet” werden ([[Reinhard Haubenthaler]]: Askese und Freiheit bei Romano Guardini, Paderborn u.a. 1995, S. 247) und Guardini blieb – wie Michael Kessler betonte - als „homo politicus“ „ein `bekannter´ Unbekannter” ([[Michael Kessler]]: Europa ist eine Gesinnung. Pluralität, Multikulturalität und europäische Identität bei Romano Guardini (1885-1968), in: ders./Jürgen Wertheimer (Hrsg.): Multikulturalität. Tendenzen, Probleme, Perspektiven im europäischen und internationalen Horizont, Tübingen 1995, S. 31).
=== Watzals Korrekturen ===
Immerhin fasste Watzal in einem Aufsatz von 1992 noch einmal seine Ergebnisse zusammen. Es stoße oft auf Unverständnis, Guardini der „grün-bunten“ Ahnengalerie der Kultur- und Fortschrittskritik „oder überhaupt dem Bereich des Politischen zuzuordnen“:
„Allgemeinhin galt er als ein unpolitischer Mensch, der er aber nicht war: Er war ein Gesellschafts- und Kulturkritiker, der zwar zu konkreten politischen Vorgängen nichts Erhellendes beigetragen, implizit sich aber als ein durchaus politisch bewusster Mensch erwiesen hat, wenn es um die Anliegen des Menschen ging. Für Guardini ist das Humanum das Politikum schlechthin. Es hat im Mittelpunkt allen Handelns zu stehen.“
Guardini habe dazu bei aller Neuzeitkritik nicht „für einen Ausstieg aus dieser Zeit“ plädiert, „sondern sah die Aufgabe des politisch Verantwortlichen darin, in widrigen Verhältnissen auszuharren und dem Druck standzuhalten.“ (Ludwig Watzal: Romano Guardini und die Moderne, in: IBW Journal, 30, Nov./Dez. 1992, S. 14-17, hier S. 14). Daher brauche es auch laut Guardini „`nicht weniger Technik, sondern mehr. Richtig gesagt: eine stärkere, besonnenere, menschlichere Technik. Mehr Wissenschaft, aber geistigere, geformtere. Mehr wirtschaftliche und politische Energie, aber erwachsenere, reifere, verantwortungsbewusstere, die das einzelne in den Zusammenhängen sieht, denen es zugehört.´“ Nach der durchaus treffenden Zusammenfassung der Neuzeit-, Fortschritts- und Machtkritik Guardinis kommt dann allerdings eine Aussage zur Einordnung von Guardinis Kritik der Moderne, die das ganze erneut relativiert.
„Guardini lässt sich eher dem romantischen Konservatismus zurechnen, der den Prozess der Modernisierung kritisiert. Das Dilemma konservativer Technikkritik besteht darin, dass man die halbe Moderne (technischen Fortschritt) befürwortet und den gesellschaftlichen Fortschritt (Autonomie) ablehnt. Dann wäre die Alternative westlich parlamentarische Demokratie à la Habermas oder aber romantisierender autoritärer technokratischer Staat à la Schelsky. Guardini ging es um die Aufrechterhaltung einer `katholischen Welt´, die eingebettet war in ein Normengefüge einer traditionellen Gesellschaft, die gegen die Aufklärung, Industrialisierung und letztendlich gegen Demokratie war. Er wollte die Moderne `taufen´. Mit der sich nach 1945 durchsetzenden technokratischen Herrschaftselite, die die Umwälzung aller Lebensbereiche betrieb und auch die Werte zerstörte, die sie für ihr Funktionieren brauchte, konnte Guardini nichts anfangen" (ebd., S. 17).
Weder diese Zurechnung noch die gezogenen Schlussfolgerungen sind wirklich aus dem Werk Guardinis herausgearbeitet. Dass sich für Guardini die Alternative zwischen den Modellen von Habermas und Schelsky wirklich stellte, ist eine unbelegte Behauptung, die der von Guardini vertretenen Gegensatzlehre, wie wir sehen werden, entgegensteht. Immerhin wird aber durch diesen Aufsatz deutlich, dass Watzal einer pauschalen Erklärung Guardinis zum „Unpolitischen“ klar widerspricht, gleichzeitig aber nochmals betont, dass Guardini die „katholische Welt“ und zusammen mit ihr die letztendlich gegen Demokratie eingestellte traditionelle Gesellschaft aufrecht erhalten wollte. Das ist aber, wie nachgewiesen werden wird, falsch.


[[Kategorie:Politik|!]]
[[Kategorie:Politik|!]]

Version vom 15. November 2022, 08:38 Uhr

Das Themenfeld Politik ist trotz der hohen und einschlägigen Bedeutung im Gesamtwerk Guardinis das wohl am wenigsten gründlich erforschte Gebiet.


Guardini-Rezeption und -Forschung

Guardini als homo politicus

Äußerungen im Blick auf sein Dasein als „homo politicus" fielen dagegen in den vergangenen Jahrzehnten eher kritisch aus (Ausnahmen bilden zum Beispiel Alfred Kumpf: Romano Guardini. Diener des Herrn, Regensburg 1970, S. 60f., der Guardini schon 1970 dezidiert als antifaschistischen Zeitkritiker sieht) und reichten von

  • „unpolitisch" bis hin zu „unkritisch“ (Walter Dirks kritisierte zum Beispiel im Kontext seiner eigenen linkskatholischen Position, dass Guardini „die bürgerliche empirische Soziologie nicht zur Kenntnis” genommen habe; ebenso wenig habe er sich „auf die kritische Theorie ... eingelassen” (???); daraus haben dann nicht wenige aufgrund ihres eigenen wissenschaftstheoretischen Standpunktes im Bereich der Kritischen Theorie oder des Kritischen Rationalismus eine generelle Blindheit und Fremdheit Guardinis den Sozialwissenschaften gegenüber abgeleitet. Vgl. zu diesem Missverständnis bereits Hermanns, Manfred: Guardinis soziologisches Denken im Berlin der Vorkriegszeit, in: Hermann Josef Schuster (Hrsg.): Guardini Weiterdenken, Berlin 1993, S. 179).
  • „antipluralistisch“, „antidemokratisch" und „antiliberal";
  • ja sogar „präfaschistisch” (Unter anderem Richard Faber bezeichnet die gesamte von Maria Laach ausgehende Liturgische Bewegung als „präfaschistisch“ - unter Berufung auf Abt Ildefons Herwegens Aussage: „Was auf religiösen Gebiet die Liturgische Bewegung ist, ist auf politischem Gebiet der Faschismus". In Romano Guardini sieht er indessen einen katholischen Ideologen der völkisch-kritischen Lebensreform- und Jugendbewegung, der neben Peter Wust die Brücke zwischen „archaischer Traditions-pflege“ des „liturgischen Organizismus“ der katholischen Liturgiebewegung und der „Reichstheologie“ geschlagen habe; nach dieser Auffassung war die katholische Liturgische Bewegung geradezu der katholische Teil der Konservativen Revolution. Faber zählt somit Guardini neben Peter Wust zu einem herausragenden Vertreter des Klerikalfaschismus. (Richard Faber: Politischer Katholizismus. Die Bewegung von Maria Laach, in: Hubert Cancik (Hrsg.): Religions- und Geistesgeschichte der Weimarer Republik, Düsseldorf 1982, S. 136-158).

Dabei kommen solche generalisierenden Qualifizierungen keineswegs nur aus dem Bereich seiner philosophischen oder persönlichen Gegner, sondern tendenziell durchaus auch von Anhängern und Freunden (Vgl. Alexander Schwan: Ethos der Demokratie. Normative Grundlagen des freiheitlichen Pluralismus, Paderborn u.a. 1992; Hanna-Renate Laurien: Guardini sprengt die Klassenzimmer, in: Hermann Josef Schuster (Hrsg. im Auftrag der Guardini-Stiftung): Guardini weiterdenken. Aktuelle Ansätze zur Politik aus dem Geist des Personalen, Berlin 1993, S. 113-125; aber auch Hans Maier (Hrsg.): Totalitarismus und Politische Religionen. Konzepte des Diktaturvergleichs, Paderborn u.a. 1996, S. 186f.

[Zum Begriff „homo politicus” vgl. Norden, Günther van: Die Weltverantwortung der Christen neu begreifen: Karl Barth als homo politicus, Gütersloh 1997. Der Begriff wird hier also sowohl im Unter-schied zum „homo privatus”, dem ins Private zurückgezogenen Menschen, als auch zum „homo oeconomicus”, dem aufs Konsumieren und Produzieren konzentrierten Menschen, gebraucht. Der „homo privatus“ und der „homo oeconomicus“ verfolgt seine jeweiligen Interessen, während der „homo politicus“ ähnlich dem „zoon politikon“ von Aristoteles am Gemeinwohl, an der freiheitlichen Verfassung und an der politischen Handlungs- und Urteilsgemeinschaft orientiert ist. Er ist innerweltlich das Pendant zum „homo religiosus“.]

Die Studie Ludwig Watzal und das Urteil Alexander Schwans

An diesen Urteilen konnte auch die bislang einzige monographische Studie zu Guardinis politischem Denken von Ludwig Watzal (Das Politische bei Romano Guardini, Percha/Kempfenhausen 1987) kaum etwas ändern, obwohl er eindeutig feststellte, „dass Guardini `politisch´ ist. Er versteht diesen Begriff dahingehend, dass ein philosophischer Analytiker die bestehenden gesellschaftlichen Verhältnisse einer sittlich-ethischen Kritik unterwirft. In diesem Sinne ist Guardini ein politischer Mensch. Die Ausrichtung des politischen Handelns an Normen und Werten ist ihm ein großes Anliegen“ (Ebd., S. 185).

Im Gegenteil: Der deutsche Politikwissenschaftler Alexander Schwan (1931-1990) fühlte sich in seinem Urteil,

  • dass Guardini „mit der freiheitlichen Gesellschaft und mit der pluralistischen Demokratie nicht viel Positives im Sinn” gehabt habe, durch die Studie von Watzal sogar bestätigt (Alexander Schwan: Der Christ und die freiheitliche Gesellschaft, in: Ludger Honnefelder/Matthias Lutz-Bachmann (Hrsg.): Auslegungen des Glaubens. Zur Hermeneutik christlicher Existenz, Berlin/Hildesheim 1987, S. 227-244, S. 231: „Sie waren für ihn zu sehr Folgeerscheinungen der kritisierten neuzeitlichen Subjektivität, der `Persönlichkeitskultur´, die es im Namen einer sich auf die Substanz ihrer Endlichkeit und Gottbezogenheit besinnendes und darin ihre Würde entdeckenden `Person´ zu überwinden galt” - unter Verweis auf Romano Guardini: Ende der Neuzeit, Würzburg 1951, S. 78 ff.
  • dass Guardini eben „kein liberaler Demokrat" gewesen sei (Alexander Schwan: Kein liberaler Demokrat. Über Romano Guardinis Begriff des Politischen, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 1. Dezember 1988), was im politischen Kontext der Kritik nur heißen konnte, weder liberal noch Demokrat.

Schwans Rezension wird zwar den Ergebnissen von Watzal nicht annähernd gerecht, was aber mit an der rein systematischen Konzeption der Arbeit liegt. Watzal glaubte nämlich, auf eine bio-bibliographische Analyse des politischen Denkens Guardinis verzichten zu können. Dadurch konnten aber – wie Haubenthaler zu recht kritisierte - „die politischen Implikationen von Guardinis Denken ... bei weitem nicht ausgelotet” werden (Reinhard Haubenthaler: Askese und Freiheit bei Romano Guardini, Paderborn u.a. 1995, S. 247) und Guardini blieb – wie Michael Kessler betonte - als „homo politicus“ „ein `bekannter´ Unbekannter” (Michael Kessler: Europa ist eine Gesinnung. Pluralität, Multikulturalität und europäische Identität bei Romano Guardini (1885-1968), in: ders./Jürgen Wertheimer (Hrsg.): Multikulturalität. Tendenzen, Probleme, Perspektiven im europäischen und internationalen Horizont, Tübingen 1995, S. 31).

Watzals Korrekturen

Immerhin fasste Watzal in einem Aufsatz von 1992 noch einmal seine Ergebnisse zusammen. Es stoße oft auf Unverständnis, Guardini der „grün-bunten“ Ahnengalerie der Kultur- und Fortschrittskritik „oder überhaupt dem Bereich des Politischen zuzuordnen“:

„Allgemeinhin galt er als ein unpolitischer Mensch, der er aber nicht war: Er war ein Gesellschafts- und Kulturkritiker, der zwar zu konkreten politischen Vorgängen nichts Erhellendes beigetragen, implizit sich aber als ein durchaus politisch bewusster Mensch erwiesen hat, wenn es um die Anliegen des Menschen ging. Für Guardini ist das Humanum das Politikum schlechthin. Es hat im Mittelpunkt allen Handelns zu stehen.“

Guardini habe dazu bei aller Neuzeitkritik nicht „für einen Ausstieg aus dieser Zeit“ plädiert, „sondern sah die Aufgabe des politisch Verantwortlichen darin, in widrigen Verhältnissen auszuharren und dem Druck standzuhalten.“ (Ludwig Watzal: Romano Guardini und die Moderne, in: IBW Journal, 30, Nov./Dez. 1992, S. 14-17, hier S. 14). Daher brauche es auch laut Guardini „`nicht weniger Technik, sondern mehr. Richtig gesagt: eine stärkere, besonnenere, menschlichere Technik. Mehr Wissenschaft, aber geistigere, geformtere. Mehr wirtschaftliche und politische Energie, aber erwachsenere, reifere, verantwortungsbewusstere, die das einzelne in den Zusammenhängen sieht, denen es zugehört.´“ Nach der durchaus treffenden Zusammenfassung der Neuzeit-, Fortschritts- und Machtkritik Guardinis kommt dann allerdings eine Aussage zur Einordnung von Guardinis Kritik der Moderne, die das ganze erneut relativiert.

„Guardini lässt sich eher dem romantischen Konservatismus zurechnen, der den Prozess der Modernisierung kritisiert. Das Dilemma konservativer Technikkritik besteht darin, dass man die halbe Moderne (technischen Fortschritt) befürwortet und den gesellschaftlichen Fortschritt (Autonomie) ablehnt. Dann wäre die Alternative westlich parlamentarische Demokratie à la Habermas oder aber romantisierender autoritärer technokratischer Staat à la Schelsky. Guardini ging es um die Aufrechterhaltung einer `katholischen Welt´, die eingebettet war in ein Normengefüge einer traditionellen Gesellschaft, die gegen die Aufklärung, Industrialisierung und letztendlich gegen Demokratie war. Er wollte die Moderne `taufen´. Mit der sich nach 1945 durchsetzenden technokratischen Herrschaftselite, die die Umwälzung aller Lebensbereiche betrieb und auch die Werte zerstörte, die sie für ihr Funktionieren brauchte, konnte Guardini nichts anfangen" (ebd., S. 17).

Weder diese Zurechnung noch die gezogenen Schlussfolgerungen sind wirklich aus dem Werk Guardinis herausgearbeitet. Dass sich für Guardini die Alternative zwischen den Modellen von Habermas und Schelsky wirklich stellte, ist eine unbelegte Behauptung, die der von Guardini vertretenen Gegensatzlehre, wie wir sehen werden, entgegensteht. Immerhin wird aber durch diesen Aufsatz deutlich, dass Watzal einer pauschalen Erklärung Guardinis zum „Unpolitischen“ klar widerspricht, gleichzeitig aber nochmals betont, dass Guardini die „katholische Welt“ und zusammen mit ihr die letztendlich gegen Demokratie eingestellte traditionelle Gesellschaft aufrecht erhalten wollte. Das ist aber, wie nachgewiesen werden wird, falsch.