Guardini-Rezeption

Aus Romano-Guardini-Handbuch

Die Guardini-Rezeption kennt mehrere Phasen und Bereiche. Die Guardini-Wirkungsforschung ist noch sehr wenig ausgeprägt, was insbesondere aufgrund der starken Netzwerke, die Guardini um sich gebildet hat, verwundert. Am weitesten ausgeprägt sind folgende elf Gebiete. In jedem dieser Bereiche hat Guardini mehrere Generationen von Theologen, Philosophen, Pädagogiken, Literatur- und Kunstwissenschaftlern geprägt, inklusive mehrere "Renaissancen":

Guardinis Einfluss auf die liturgische Erneuerung

Das Wesen, der Sinn, der Geist der Liturgie, die Liturgische Bildung und die liturgische Praxis und ihr Verhältnis zur Volksfrömmigkeit und zum persönlichen Gebet sind für Guardini seit seiner Schulzeit, besonders aber seit seiner intensiveren Begegnung mit der Liturgie im Kloster Beuron ein zentrales Thema seines Forschens, Anschauens und Erkennens. Ein Hauptteil seiner Schriften beschäftigt sich mit diesem Gebiet. Da ihn die Beschäftigung mit der Liturgie und insbesondere seine Schrift "Vom Geist der Liturgie" (1918) schon früh und vor seiner akademischen Lehrtätigkeit bekannt machte, ist auch sein Einfluss auf die Liturgische Bewegung in Deutschland und auf liturgiebewegte Katholiken seit der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg sehr hoch. Bald geht dieser Einfluss aber weit über Deutschlands Grenzen hinaus und auch über die konfessionellen Grenzen hinweg. Guardini wirkte an zahlreichen vorkonziliaren Arbeitsgruppen, Kommissionen und Projekten mit und sein Werk beeinflußte nachweislich auch die Konzilsväter. Er selbst wurde zum Peritus ernannt, konnte aber aus gesundheitlichen Gründen nicht direkt am Konzil teilnehmen. Bis heute hat sein liturgiewissenschaftlicher Ansatz in der Fachdisziplin, wenn auch unterschiedlich intensiv relevant. Die aktuelle Rezeption reicht von der Wiedergabe einer zentraler Formeln bis hin zu einer Wiederentdeckung seiner eigenständigen Konzeption. Seit in Maria Laach die zahlreichen Briefe Romano Guardini an seinen Freund Cunibert Mohlberg wahrgenommen und seit einigen Jahren intensiv von Stefan Langenbahn ausgewertet werden, kommt auch noch einmal seine historische Bedeutung für die Anfänge der Liturgischen Bewegung und der Liturgiewissenschaft neu ins Blickfeld der Guardini-Forschung und infolgedessen auch der Guardini-Rezeption.

Guardinis Einfluß auf die Jugendbewegung

Guardinis Einfluß auf den katholischen Expressionismus und die christliche Kunst und Architektur

== Der Einfluß von Guardinis phänomenologischer Ekklesiologie ("Vom Sinn der Kirche" und "Die Kirche des Herrn")

Der Einfluß von Guardinis Weltanschauungs- und Gegensatzlehre

Der Einfluß von Guardinis Bildungslehre

Der Einfluß von Guardinis Literaturinterpretationen

Der Einfluß von Guardinis Werk "Der Herr" und Guardinis Einfluß auf die Exegese

Der Einfluß von Guardinis christlicher Anthropologie und Ethik

Der Einfluß von Guardinis Werken "Das Ende der Neuzeit" und "Die Macht

Fazit

Am Ende kann zur Rezeption folgendes Fazit gezogen werden:

  • Der eigenständige Ansatz seines Gegensatzdenkens hat Guardini Kritik von stark entgegengesetzten Seiten eingebracht. Sein origineller und interdisziplinärer Ansatz stellte ihn zwischen die jeweiligen ideologischen Fronten und akademischen Fakultäten. Und bis heute wird immer wieder versucht, ihn und seine Ideen entweder zu vereinnahmen oder aber auszugrenzen.
  • Hans Urs von Balthasar begründete diesen problematischen Umgang mit der Schlichtheit, Klarheit und Einheitlichkeit von Guardinis Denken, so dass ihm gegenüber die Entscheidung leicht werde: „Zu distinguieren ist wenig; man stimmt ihm zu oder lehnt ihn ab.“ (Hans Urs von Balthasar: Romano Guardini. Reform aus dem Ursprung, München 1970, S. 13)
  • Wenn Schlette „ein hermeneutisch sorgfältiges Mit- und Weiterdenken, wenn nötig auch über Guardini hinaus“ fordert, um „seinen Gedanken, Hinweisen, Urteilen, Versuchen, Befürchtungen, Vorblicken eher gerecht“ zu werden, als ihn undistanziert und unkritisch zu rezipieren und applizieren und dabei „zudem zahlreiche philosophische und theologische Konzeptionen und Bemühungen schlicht“ auszublenden, ist dies so lange berechtigt, als die unhegelianische Grundposition seiner Gegensatzlehre davon nicht beeinträchtigt wird. Dies ist bei Schlette selbst durchaus in Frage zu stellen, weil er sich in seinem eigenen politisch-theologischen Denken stärker an der hegelschen Dialektik als an Guardinis Dialogik orientiert.
  • Wer dagegen aus Guardinis Werk wie aus einem Steinbruch axiomatische Sätze auswählt, um ein bereits feststehendes „Bild“ zu bestätigen:
    • Die einen werden mit den ausgewählten Sätzen die Unvereinbarkeit des Katholischen mit den “Prinzipien der Mündigkeit und Autonomie” sowie mit einer “auf Selbstbestimmung und Selbstorganisation beruhenden Gesellschaft libertär-sozialistischer Prägung” erklären und umgekehrt das eigentlich Katholische im Sinne des Allgemeinen mit dieser Gesellschaft identifizieren. Für solche Rezeptoren bleibt Guardini nur ein Teil dieses auf den Totalitarismus zustrebenden “katholischen Systems”. So wird er zum Beispiel interpretiert durch Richard Faber (Katholisch/Katholizismus II, a.a.O., S. 341-344. Vgl. dazu auch ders.: Politischer Katholizismus. Die Bewegung von Maria Laach, in: Hubert Cancik (Hrsg.): Religions- und Geistesgeschichte der Weimarer Republik, Düsseldorf 1982, S. 136-158).
    • Den anderen wird er – unter Berufung auf andere Versatzstücke - wiederum zum Teil bzw. Förderer eines modernistischen, reformkatholischen bzw. linkskatholischen „Projekts“. Aus dem - aus persönlicher Betroffenheit heraus formulierten - Vorwurf Ernst Michels, Guardini sei Opportunist gewesen, wird dann ein apodiktisches Vorurteil. Er wird zum verkappten hegelianischen oder aber anti-hegelianischen Dialektiker, den man soweit bruchstückhaft aufnimmt, wie er in die eigene hegelianische oder anti-hegelianische Position integrierbar ist.
    • Ohne Frage kann man im Werk Guardinis auch Sätze isolieren, die in seinem Gehorsamsverständnis „romantische ... Züge“ zu belegen scheinen - so bei Clemens Vollnhals (Guardini, Romano, in: Biographisches Lexikon zur Weimarer Republik, München 1988, a.a.O., S. 116).
    • Auch wird er für all jene zu einem - im Vergleich zum gesamten zeitgenössischen Spektrum immerhin “gemäßigten” - “Apologeten von Führerprinzip und autoritär-ständischer Ordnung” (so zu lesen bei Ulrich Bröckling: Katholische Intellektuelle in der Weimarer Republik. Zeitkritik und Gesellschaftstheorie bei Walter Dirks, Romano Guardini, Carl Schmitt, Ernst Michel und Heinrich Mertens, München 1993, S. 51), denen Guardinis Position eines schöpferischen Gehorsams und Ungehorsams nur als “Betriebsunfall” einer ansonsten den Subjektivismus bekämpfenden Lehre gilt, die den “Ungehorsam als Gehorsam im höheren Sinn begreift, sofern er, statt nur niederzureißen, eine höhere, von Gott `eigentlich´ gewollte Ordnung aufbauen” wolle (ebd., S. 52). Für jene Interpreten hat Guardini grundsätzlich einen “radikalisierten Katholizismus oder katholischen Radikalismus” vertreten (ebd., S. 42), und dabei die Autorität über die Gemeinschaft und die Gemeinschaft über die individuelle Freiheit gestellt (ebd., S. 51 f.). Guardini sei demnach bei der Übertragung seines Modells von Autorität und Freiheit, das für kleine Gruppen konzipiert war, auf die ganze Gesellschaft gescheitert, weil “mit der Kategorie der `personalen Beziehung´ die soziale Synthesis moderner Gesellschaften nicht zu fassen war” (ebd., S. 55).
    • Wer selbst von einer vorher so festgelegten, einseitigen Vorstellung von Freiheit und Autonomie ausgeht, wird Guardinis Gegensatzdenken zwischen Autorität und Gehorsam einerseits, Freiheit und Autonomie (Widerstand) andererseits gar nicht anders deuten und verorten können. Seine personale Dialogik als politisch-theologische Grundlage gerade für die Zusammenschau all jener Faktoren, die moderne Gesellschaften sozialethisch verantwortlich und soziologisch nachhaltig ausmachen, gerät dann ins Abseits und wird vorschnell als „untauglich“ eingestuft.
    • Nur passiert dies eben oft genug und ebenso unverhohlen auch von Seiten derer, die in Guardini keinen konservativen, restaurativen und regressiven Bewahrer, sondern einen reformierenden, renovativen und progressiven Neuerer, und zwar keineswegs nur auf dem Gebiet der Liturgie, sehen.
  • Das einzige was langfristig von solcher Rezeption übrig bleibt, ist aufgrund der völlig konträren Richtungen theologischer Schulen, (kirchen-)politischer Anschauungen oder ideologisierter "Geschichtsschreibung", aus der sowohl die Vereinnahmung als auch die Kritik an Guardini kommt, dass Guardini wohl selbst einen mittlerwen Weg (via media) gefunden hat, die er an seinen eigenen "Vorbildern" so geschätzt hat und die auch seinem eigenen Konzept der katholischen, im Sinne einer die Gegensätze der Welt umspannenden Welt-Anschauung und der in seiner Gegensatzlehre beschriebenen Methode einer dreifachen Erkenntnis der polyphonen Wahrheit entspricht.
  • Erst wer mit dem Konzept und de Methode Guardinis ihn selbst dreifach als Gestalt erfasst, wird im liebevollen, lauteren Blick Christi auf das Ganze sein Wesen, seinen Sinn, seinen Geist, seine Ausprägung des ihm innewohnenden Spurbilds und der in ihm aufscheinenden Verheißung erkennen. Dazu gehört es auch, die Ergebnisse der unterschiedlichen Disziplinen aus den theoretischen Wissenschaften (Metaphysiken) und aus den Erfahrungswissenschaften sowie den Geschichtswissenschaften im Sinne einer transdisziplinären Phänomenologie und Phänomenik zu berücksichtigen, darüber hinaus aber als Spannungseinheit und in Eigenständigkeit den mental-kontemplativen Erkenntnisweg über Guardini zu vertiefen und durch die Anschauung des "Fragments" Guardini die Welt anzuschauen.
  • Guardini als sich selbst verwirklichende, gestaltende Gestalt, als "Kunstwerk" in der Welt zu sehen, bedeutet ihn sowohl als Gesamt-Phänomen als auch als Ebenbild Gottes zu sehen. Dieser letzte, weitere Blick ist nach Guardini ausdrücklich nicht wissenschaftlich, aber notwendig um den "ganzen" Guardini in den Blick zu bekommen, so wie er versucht hat die "ganzen" Gestalten Michelangelo, Dostojewski, Hölderlin, Rilke, Kierkegaard, Augustinus, Franziskus, Pascal, Lucie Christine und Madeleine Sémer in den Blick zu bekommen und sich dabei im Welt-Anschauen an die Seite Christi zu stellen, den Blick Christi einzunehmen. In diesem Sinne kann Guardini so betrachtet werden, wie er es bei menschlichen "Kunstwerken" getan hat, nämlich in der anschauend-betrachtenden, der kontemplativen Begegnung in ihn als Raum der Erkenntnis einzutreten, um als Betrachter ihn als Kunstwerk nach- und neuzuschaffen. Das geht weit über eine historische Biographie, die weitgehend aussteht und nur für die Münchner Zeit durch Berthold Gerner vorliegt, oder auch nur phänomenologische Biographie, wie Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz sie 1985 geschaffen hat, hinaus. Ohne diesen kontemplativen Schritt ist aber nach Guardinis eigener Überzeugung die Erkenntnis seines Wesens, seines Sinnes, seines Geistes nicht in der Gänze und Tiefe möglich, wie es notwendig wäre, aus seinem Leben und Werk das Spurbild, die Verheißung, die Wahrheit zu erkennen, um sie für die eigene "Actio", für die eigene Gestaltung der Welt, des eigenen Selbst und des eigenen Gottes-Kindschaft neu "realisieren", also verwirklichend gestalten zu können.

wird fortgesetzt