Volk und Europa
Aus Romano-Guardini-Handbuch
Version vom 16. August 2022, 16:47 Uhr von Helmut Zenz (Diskussion | Beiträge)
Volk und Europa. Ad-hoc-Rede auf der Grüssauer Quickborn-Tagung an Pfingsten 1923
Inhaltsangabe
- In: Quickborn, 12, 1923, S. 36-38: Zunächst leitet er die innerste sittliche Pflicht, zu seinem Volk zu stehen und sein Werk mitzutragen aus dem 4. Gebot ab, das die Forderung aufstelle, die großen Gegebenheiten und Wirklichkeiten des Lebens zu ehren: Kirche, Volk, Eltern. Von dort aus greift Guardini auf einen übergeordneten Zusammenhang aus: Europa. So wie Politik kein eigener Bezirk sei, so gebe es "OBJEKTIV ... das Volk als 'abgeschlossene Welt' nicht mehr. Dem entspreche SUBJEKTIV, dass im Geistigen bei feinfühligen Menschen ein lebendiges Ausgreifen über die völkische Ebene hinaus geschehe. 'Es gibt Menschen mit übervölkischem Zusammenhangsgefühl. Mit dieser geistigen Ebene darf nicht der Begriff des sozialistischen Internationalismus verwechselt werden ... Wir sehen das LEBENDIGE EUROPA, das in einer Anzahl Menschen aufgetaucht ist, lebt und sich auswirkt." Was ist dabei die Aufgabe der Jugendbewegung? Ihre Aufgabe ist es eine Verknüpfung zwischen der Wirklichkeit des Volkes und der großen übergreifenden Gemeinschaft zu finden, speziell "das Faktum Europa zu sehen. Die Lösung kann nicht aus irgend einem Ressentiment gefunden werden. Wir müssen uns entscheiden, ob wir demagogisch handeln, oder ob wir wesenhaft sehen und aus der Verantwortung der neuen Entwicklung denken und handeln."
- Josef Aussem, Grüssau, in: Die Schildgenossen, 3, 1923, 5/6, S. 191 f.: Guardini sei rasch gebeten worden, "weil er die besondere Gabe hat, sich in die feinsten und verästeltsten Wesensbeziehungen unserer Bewegung einzufühlen und sie in Ausdruck und Begriff zu prägen. [...]" Als Rechtfertigung, warum er als gebürtiger Italiener über ein "deutsches Thema" spreche, schickte er voraus: "Sein geistiges Wesen wurzele in der deutschen Kultur. Er habe als Soldat im Heer gestanden und der Krieg und der Zusammenbruch hätten ihn aufs Neue vor die Entscheidung gestellt, zu welchem Volk er gehöre. Er habe sich für Deutschland entschieden ... Zu seinem Volk stehen und sein Werk mitzutragen, ist innerste sittliche Pflicht. Das ergibt sich aus dem 4. Gebot, das die Forderung aufstellt, die großen Gegebenheiten und Wirklichkeiten des Lebens zu ehren: Kirche, Volk, Eltern. Diese Pflicht besteht für normale, erst recht in außerordentlichen Zeiten, wenn das Volk in Not gerät; dann muß die Treue doppelt tief und die Einheit doppelt groß sein." [...] "Bei dem Zusammenbruch hatten wir das Gefühl eines Ertrinkenden, dem es um Ehre und Sein geht. Jedem, der im besetzen Gebiet wohnt, war das Hellste dunkel, wenn er die fremden Uniformen sah." Dann greift Guardini unerwartet auf "Europa" aus, das als "Neuheit der Formulierung" empfunden wurde. Im Vorausblick formuliert er, dass es das Volk als "abgeschlossene Welt" OBJEKTIV gar nicht mehr gebe. Verkehr und Wirtschaft, materielle und kulturelle Abhängigkeit ließen ein Volk mit dem anderen wachsen und fallen: all das in besonderem Maß für Europa gültig. Dem entspreche SUBJEKTIV, daß im Geistigen bei feinfühligen Menschen ein lebendiges Ausgreifen über die völkische Ebene hinaus geschehe: "Wir meinen nicht die Verärgerten, die sich aus einem Ressentiment dahin abwenden und ablenken. Es gibt Menschen mit übervölkischem Zusammenhangsgefühl. Mit dieser geistigen Ebene darf nicht der Begriff des sozialistischen Internationalismus verwechselt werden ... Wir sehen das LEBENDIGE Europa, das in einer Anzahl Menschen aufgetaucht ist, lebt und sich auswirkt." [...] "Wer ist jugendbewegt? Es ist der, der innerlich aufgerissen, von diesen Fragen beunruhigt ist, dem sie zum Schicksal werden. Wir müssen uns entscheiden, ob wir demagogisch handeln, oder ob wir wesenhaft sehen und aus der Verantwortung der neuen Entwicklung denken und handeln."
- Großquickbornerin aus Hessen, in: Die Schildgenossen, 3, 1923, 5/6, S. 200 f.: "Was Guardini über `Volk und Europa´ sagte, war für mich persönlich, nachdem ich die anfängliche Befremdung über den Ausdruck `Europa´ überwunden hatte, einfach erlösend, weil es eine Reihe von Sorgen, die mich schon die ganze Zeit gequält hatte, zusammenfaßt und das einheitliche Problem aufzeigte, das dahinter steht."