Romano Guardini und Friedrich Wilhelm Foerster
Romano Guardini und Friedrich Wilhelm Foerster: Politische Pädagogik als Selbsterziehung zum Frieden
Guardinis Auseinandersetzung mit Foerster
Wiederum von Adam Gottron wissen wir nämlich, dass sich Guardini spätestens seit seiner Freiburger Studienzeit mit dem Werk Friedrich Wilhelm Foersters (1869-1966) [mitunter von Guardini auch "Förster" geschrieben] beschäftigte. Gottron erinnerte sich, dass die Älteren der Juventus-Jugend „schon nach 1905 ... die Schriften Fr. W. Foersters“ lasen (Gottron, Juventus, a.a.O., S. 141). Für die Zeit zwischen Oktober 1908 bis zur Priesterweihe Romano Guardinis berichtete Gottron von gemeinsamen Spaziergängen in den Taunuswäldern, bei denen charakterologische Fragen besprochen worden seien. Als Begründung dafür gibt er an: „Friedrich Wilhelm Foersters Selbsterziehung wurde damals in katholischen Kreisen viel gelesen“ (Walter Heist (Red.): Ein Leben im Schatten des Domes. Zum Gedächtnis an Adam Gottron, Mainz o.J., S. 39).
Diese Weggemeinschaft führte bei Gottron, der im Juli 1908 maturierte, alsbald zur Überzeugung: „Dass aber der Beruf mit Erziehung zu tun haben müsse, das stand seit dem Studium der Foersterschen Arbeiten und dem Verkehr bei Schleußners fest“ (ebd., S. 48).
1908 empfahl Guardini auch seinem Freund Josef Weiger den „feinen“ Aufsatz „Grundfragen der Charakterbildung“ im Hochland, in dem Foerster in der Frage „männliche und weibliche Seelenart in ihren Beziehungen zur Vollkommenheit“ eine „klassische“ Position vertrete (1. Brief vom 15.-22. Mai 1908, Schmitten im Taunus, in: Briefe an Josef Weiger, a.a.O., S. 36f.).
Zwei Jahre später verwies er dabei ausdrücklich auf Foersters Jugendlehre, die diese neue Sprache „prächtig” habe und in der Verkündigung „oft direkt” verwendet werden könnte, weil sie frei von klassisch-rhetorischen Latinismen und für Jugendliche fremden Ausdrücken sei, anders als „z.B. das stereotype Gepräge der Jesuitensprache”. Es gelte in dem Sinne „wieder deutsch” zu werden, indem man „aus Leben und Zeit heraus und für sie; neu sprechen, neu denken” lerne. Nur „dann werden die ewigalten Wahrheiten interessant” und infolgedessen auch die entscheidenden „innerlichen Seiten.” Foerster beinhalte „manches” davon (4. Brief vom Juli 1910, Heppenheim, in: ebd., S. 48ff.)
Weitere drei Jahre später, am 23. Februar 1913 wird Guardini nach einem Vortrag von Foerster einen ganzen Brief an Weiger der Person, seinem Werk und seiner Wirkung widmen. Er berichtete seinem Freund: “Das Publikum war schon interessant. Bestimmt war der Vortrag in erster Linie für Studenten, aber auch andere waren da. Im Saal eine gewisse zurückhaltende, feine Ruhe. Die Leute meist über dem Durchschnitt, wenigstens nach Ausdruck und Haltung zu schließen. Es schien eine gewisse Elite von jungen Männern und Mädchen; aber auch ältere, Männer und Frauen waren da, und sehr feine Köpfe darunter. Foerster selbst begann pünktlich, ging rasch und schlicht zum Podium und begann ohne alle Einleitung und alle Umstände. Er ist mittelgroß, schmal gebaut mit hoher Stirn, zurückgestrichenem, ziemlich kurzem Haar, kurzgeschnittenem blondem Bart; ganz einfach gekleidet, dunkel, ohne Schmuck, Kette usw., aber elegant fast. Er spricht norddeutsch, aber ohne Jargon, genau und mit wenigen Gesten. Sein Gesicht und seine Haltung ganz beherrscht, in den Augen ein gewisses überlegenes, ruhiges Beobachten. Erst sprach er in mehr theoretischen Ausführungen eine Stunde, machte dann eine Pause von 5 Min, wobei er ruhig und ohne aufzuschauen am Pult blieb, und dann weitere 20 Min in praktischer Weise. Während der ganzen Zeit bliebs lautlos im Saal, auch in der Pause nur leises Flüstern. Dabei spricht er nicht laut, nur mit vollkommener Ruhe und Disziplin. Er macht keine Konzession an Stimmung, Effekt oder Sensation, moduliert den Ton fast gar nicht, spricht in gleichmäßigen ruhigen Sätzen. Wenn ich meinen Eindruck von ihm zusammenfassen soll, so kommt er mir vor wie ein Mensch von sehr feinem Empfinden, sehr differenzierter Fähigkeit des Beobachtens und Verstehens, der es versteht, alles unter einige zentrale Gedanken zu stellen; ein Mensch von durchaus nicht genialen Kräften, aber der alles, was er ist und kann, durch eine vollendete Disziplin in seine Gewalt und auf eine hohe reife Entwicklung gebracht hat. Was ihm zu fehlen scheint, ist ein gewisses Maß ganz klarer, scharfer Denkform; dann vor allem Leidenschaft. Hat er sie, dann ist sie ganz zu einer vollkommenen kühlen Ruhe gebändigt und macht sich nicht bemerkbar. Jedoch hat man den Eindruck eines tiefernsten Menschen, dem man mit Ehrfurcht zuzuhören hat.” In einer Anmerkung ergänzte Guardini: “Jemand, der ihn persönlich kennt, erzählte mir, dass er an dem Abend schlecht disponiert war. Daher vielleicht auch der Eindruck des Kühlen” (20. Brief, 1. Teil vom 23. Februar 1913, Freiburg, in: Briefe an Josef Weiger, a.a.O., S. 84 f.)
Und am 9. März 1913 führte er seine Gedanken zu Foerster weiter aus: „Zu dem was ich neulich über Foerster schrieb, noch einen seither gefundenen Gedanken. Ich sehe und fühle allmählich deutlich die Gefahr, die in den Büchern von F. (auch Saitschicks u.a.) steckt. Sie sind so vollkommen in ihrer psychologischen Beobachtung, so echt in ihren Ratschlägen, Urteilen…, auch so ruhig und abgeklärt, dass sie einen ganz in ihren Bann ziehen, einem allmählich Gott, vor allem aber sicher das eigentlich Übernatürliche entbehrlich erscheinen lassen. Man denkt nicht mehr daran. Ganz unmerklich verliert die Offenbarung und ihr Inhalt, die Gnade …ihre absolute, reale, über allem stehende Bedeutung, die Offenbarungsgedanken ihren genauen, klaren, realen Sinn, all das gewinnt bloß symbolische ethische Bedeutung. Natürlich gilt das zunächst, oder vielleicht auch nur, für einen Menschen, der nicht gewissermaßen eingewachsen ist ins Christentum und die Kirche” (20. Brief, 3. Teil vom 9. März 1913, Freiburg, in: Briefe an Josef Weiger, a.a.O., S. 84 ff.).
Und schließlich heißt es ein weiteres Jahr später, am 15. Februar 1914: “Und endlich Foersters `Lebensführung´. Über letzteres Buch hätt ich gar zu gern Dein Urteil. Du siehst an den vielen Strichen, wie energisch es mich fasste. Ich habs immer auf dem Tisch; sehr viel verdanke ich ihm. Wie oft habe ich dabei an Dich gedacht! Aber ich traue meinem Urteil in diesen Fragen nicht ganz, hätte gern das Deine dazu” (43. Brief vom 15. Februar 1914, Freiburg, in: ebd., S. 135).
1916 wird sich dann auch Karl Neundörfer in seinem Aufsatz "Befehlen und Gehorchen nach der Regel des hl. Benedikt" (in: Pharus, 7. Jg., 1916, Heft 1, S. 18-33; Heft 2, S. 137-154) auf Foerster berufen. Er begann seinen Aufsatz mit einer Würdigung Foersters in Bezug auf dessen sozialpädagogische Leistungen (Ebd., S. 18). Namentlich verweist er auf Foersters „Jugendlehre” (Berlin 1909) und auf sein Buch über „Staatsbürgerliche Erziehung” (Leipzig (2)1914). Schon 1909 habe Foerster die Notwendigkeit betont, “DEN SINN DES GEHORCHENS ... so zu erläutern und darzustellen, dass der Gegensatz zwischen dem Verlangen nach starker Persönlichkeit und der Forderung des Gehorsams verschwindet” (Friedrich Wilhelm Foerster: Jugendlehre, a.a.O., S. 489). Später zitierte Neundörfer abermals Foerster: “Der Gehorsam ist eine Elementarschule für jede opferwillige Unterordnung des natürlichen Menschen unter höhere Forderungen, eine Befreiung von der Starrheit des Eigenwillens, die uns so oft im Leben hindert, unserem besseren Selbst treu zu bleiben.” Selbstüberwindung in demütigem Gehorsam ist „eine höhere Stufe des Heroismus, als die bloß nach außen gewendete Tapferkeit, ja sie ist allein das eigentliche Fundament aller rechten Tapferkeit. Gibt es doch viele Menschen, die nach außen sehr heroisch sein können, sich aber bei den intimsten Erprobungen des Charakters als Feiglinge erweisen, weil sie die nach innen gewandte Tapferkeit nie geübt haben. Für diese Tapferkeit aber ist der freiwillige Gehorsam eine unentbehrliche Schule” (Neundörfer, a.a.O., S. 149f. in Bezug auf Foerster, Staatsbürgerliche Erziehung, a.a.O., S. 133 f.) Und er schloss seine Überlegungen auch mit einem Zitat Foersters, einem der besten Vertreter der Sozialpädagogik, ab: “Ihr könnt diese Welt nicht allein mit den Mitteln dieser Welt organisieren. Ihr braucht die Wahrheit des Jenseits, um das Diesseits zu beherrschen” (Neundörfer, a.a.O., S. 154 in Bezug auf Foerster, Staatsbürgerliche Erziehung, a.a.O., S. 200).
Guardini verwies auf ihn in seinem „Brief über Selbstbildung“ zum Thema „Vom ritterlichen Manne“: „Fr. W. Förster hat gesagt, Anfang und Ende aller staatsbürgerlichen Erziehung besteht darin, die selbstverständliche und doch so schwere Wahrheit zu begreifen: `Ich bin nicht allein da; andere sind auch noch da.´ Nun, rechte Mannesart ist es, keine Angst zu bekommen, weil „andere da sind". Sich nicht aufzuregen, wenn einer die Sache anders sieht. Nicht alle über einen Kamm zu scheren und zu meinen, sie müssten so denken wie man selbst“ (Briefe über Selbstbildung: Vom ritterlichen Manne, 1921, S. 93).
In einer der wenigen Fußnoten seiner Gegensatzlehre von 1925 mutmaßte Guardini, dass “eine ruhiger denkende Zeit” seine Forderung, dass die Religion die Rechte Gottes an die Seele den Rechten des Caesars gegenüber zu Geltung bringen müsse, „zu den besonderen Verdiensten Friedrich Wilhelm Foersters rechnen” werde, zum Foerster dies auch „in konkreter Weise pädagogisch gestaltet und durchgeführt” habe. Auch in seinem Vortrag über „Politische Bildung“ von 1926 wies Guardini auf Foersters Bedeutung hin, der die „unmittelbar politische Bedeutung der sittlichen bzw. unsittlichen Verhaltensweisen deutlich” gemacht habe. Die Einschränkung, dass diese wertvolle Arbeit vom Erzieher nicht unberücksichtigt bleiben darf, selbst wenn er „Foersters praktische Politik” ablehne, lässt erahnen, wie klar Guardini die Frontlinien einschätzen konnte. 1920 hatte Foerster immerhin seine Professur in München nach politischen Auseinandersetzungen um seinen ethischen Pazifismus niedergelegt (Vgl. dazu Friedrich Wilhelm Foerster: Schriften zur politischen Bildung, besorgt von K.G. Fischer, Paderborn 1964). Guardinis doch deutliche Parteinahme für Foerster, was seinen Ansatz politisch-ethischer Bildung betrifft, ist daher zu dieser Zeit alles andere als selbstverständlich.
Fünfundzwanzig Jahre später in seiner Schrift „Die Macht“ von 1951 wird Guardini über Foerster dann noch eindeutiger schreiben: „Wer sehen kann, sieht, wie überall die Katastrophe der falsch gehandhabten Wirklichkeit im Gange ist. Also müssen wir wieder an das Wesen des Seienden herankommen. ... Eine Hilfe dazu leisten die ... immer noch nicht übertroffenen Schriften von F. W. Foerster, „Lebenskunde“ und „Lebensführung“.“ (Guardini, Die Macht, a.a.O.) Bei der Neuauflage dieses Foerster-Buches im 102.-104. Tausend durch den Matthias-Grünewald-Verlag im Jahr 1953 wird dann auch just mit jener Einschätzung für das Buch auf dem Einband geworben (Friedrich Wilhelm Foerster: Lebenskunde. Ein Buch für Knaben und Mädchen, Würzburg/Mainz (102.-104. Tausend)1953, Einband).
Rückblickend notierte Guardini am 9. März 1954 in sein Tagebuch über einen Brief von Foerster, in dem „er sehr Freundliches über meine Arbeit” sage und „insbesondere meiner Schrift `Verantwortung´” zustimme: “Foerster ist derjenige, von dem ich am meisten pädagogisch gelernt habe. Eigentlich, wenn ich Strehler hinzunehme, dessen Konvikt in Neisse mich für immer beeindruckt hat, der Einzige. Von ihm habe ich gelernt, den Weg zu sehen - und zu gehen, der beständig zwischen Idee und konkreter Wirklichkeit gegangen werden muss” (Guardini, Stationen und Rückblicke/Berichte über mein Leben, a.a.O., S. 227).
1956 verwies er in einem Vortrag über den „Dienst am Nächsten“ auf Foerster, der „darauf aufmerksam gemacht“ habe, „dass der Leidende im Zusammenhang des Daseins eine wichtige Aufgabe hat: den Nicht-Leidenden - Gesunden, Kraftvollen, Wohlstehenden - vor den Gefahren der Selbstsucht, Gedankenlosigkeit, Härte, ja Grausamkeit zu schützen, die in seinem Zustande liegen“ ((Guardini, Der Dienst am Nächsten in Gefahr, in: ders.: Der Weg zum Mensch-Werden, 1975, S. 104; auch in: ders.: Sorge um den Menschen, Bd. 2, 1966; (2)1989, S. 77).
Außerdem habe er „auf die Gefahr hingewiesen …, die in der Gesundheit selbst liegt. Sie kann den Menschen roh und, in einem tiefen Sinn, dumm machen“ (Guardini, Romano: Gläubiges Dasein/Die Annahme seiner Selbst, S. 168 f.).
Und in seinen Ethik-Vorlesungen konnte er Foerster schließlich auch unter „die großen ethischen Entdecker und Erneuerer“ einreihen, „dem hier seinerzeit großes Unrecht geschehen ist“ (Guardini, Ethik, a.a.O., S. 373 f.).
Jugendseele, Jugendbewegung, Jugendziel
So steht Foersters Idee der "Selbsterziehung" im Hintergrund von Guardinis eigener Idee der "Selbstbildung". Foersters Einfluss auf Guardini darf dabei nicht unterschätzt werden. Diese Einflussnahme ist aber bereits früh wechselseitig, denn auch Foerster stützte sich immer wieder auf Gedankengänge Guardinis. In der katholischen Jugendbewegung wurde mit großer Aufmerksamkeit vor allem Foersters Schrift „Jugendseele, Jugendbewegung, Jugendziel” (Erlenbach-Zürich, München, Leipzig 1923 u.ö.) wahrgenommen, worin er festhält, dass „Quickborn ... sozusagen der katholische Wandervogel“ sei (ebd., S. 255).
Der bündische Gedanke sehe das Einzelinteresse wesentlich stärker als die demokratische Idee mit dem Gesamtinteresse verknüpft und spreche dem einzelnen Recht und Wert in der Gemeinschaft nur in dem Maße zu, in dem er sich dem Ganzen verpflichtet fühlte. Es war eine eigenartige Synthese von aristokratischen und demokratischen Tendenzen, die dieser Haltung zugrunde liege. Sie käme dem von Carlyle erstrebten Zustand sehr nahe, den er mit den Worten umschrieb: „Wir müssen die unvermeidliche Demokratie mit der ebenso unvermeidlichen Aristokratie vereinigen“ (ebd., S. 170).
Foerster lehnte es infolgedessen ab, die Haltung der Jugendbewegung zur Politik, die ganz wesentlich auf psychologischen, im Jugendalter wirksamen Tendenzen beruhte, summarisch als antidemokratisch zu bezeichnen (ebd., S. 171).
Demokratie und Führung seien dann kein Widerspruch, wenn beide Auffassungen sittlich-religiös vertieft werden: „Die Überwindung der Kinderkrankheiten und Illusionen der demokratischen Bewegung ... und die erneute Ausgestaltung des Führerwesens hängt vor allem von der sittlich-religiösen Vertiefung der Führerauffassung ab, so wie er sich gerade so erfreulich in der Jugendbewegung ankündigt“ (ebd., S. 371).
Nur diese sittlich-religiöse Vertiefung der Politik könne auch vor übertriebener Machtpolitik bewahren: „Gibt es doch nichts, was so sehr `das Fleisch berauscht´, als die sich selbst überlassenen Interessen- und Selbstgefühlskonflikte zwischen den Einzelnen, den Klassen und den Völkern“ (ebd., S. 252).
Vor allem von der katholischen Jugendbewegung erhoffte er sich eine Abwehr „des heidnischen und undeutschen Nationalismus“ und eine Stärkung föderalistischer und pazifistischer Kräfte (ebd., S. 306).
Die Jugendbewegung insgesamt sei „ein wahrer Trost für jeden Deutschen, der schon daran verzweifeln wollte, dass sich die deutsche Seele jemals wieder aus der Verzauberung lösen werde, in die sie durch ihre Hinwendung zur Machtpolitik unwiederbringlich verstrickt schien“ (ebd., S. 7).
Gerade im Abschnitt über „Katholische Autorität und freideutsches Suchen” verwies Foerster häufig auf Guardini und kritisierte mit ihm den „vitalistischen Lebensbegriff” der Freideutschen Jugendbewegung (ebd., S. 285).
Politisch-pädagogische und politisch-theologische Positionen Foersters
Förster betont: „Die Religion ist die eigentliche Lebenssphäre des Charakters; ohne ihre Einwirkung vermag derselbe auf die Dauer das Absolute gar nicht festzuhalten, sondern ergibt sich haltlos dem Relativen und Hypothetischen“ (Foerster, Friedrich Wilhelm: Moderne Jugend und christliche Religion. Psychologische und pädagogische Gesichtspunkte, Freiburg/Basel/Wien 1960, S. 69).
Auch die Anerkennung der Erbsünde spielt für Foersters religiöse Erziehung eine große Rolle, denn sie ist für ihn Teil und Wahrheit des großen christlichen Ordnungssystems. Außerdem ist die Erbsünde für Foerster auch ein fundamentales Problem der Charakterbildung: „Der Stand der Erbsünde mit all ihren Folgen ist der Stand der Charakterlosigkeit. Dies müssen wir mit größter Klarheit vor Augen haben. Denn Charakter ist Entschiedenheit. Die wirkliche Entschiedenheit für das Höhere aber entsteht nur durch ein fundamentales, unbedingtes ‚Ja‘ zu einer, das ganze Leben umspannenden Wahrheit“ (ebd., S. 104)
wird noch weiter ausgeführt
Rezeption in der katholischen und ökumenischen Friedensbewegung
Aus der katholischen Welt hatte Foerster zahlreiche Freunde und Anhänger, darunter auch Joseph Mausbach, der gemeinsam mit Friedrich Heer, Reinhold Schneider, Erich Przywara, Fritz Leist, Willi Hammelrath und Josef Mühlberger zum sogenannten „Kreis der Besinnung“ gehörte (Friedrich Heer: Sprechen wir von der Wirklichkeit, Nürnberg 1955, S. 293).
Joseph Matthias Görgen nimmt bereits 1954 zu Foersters Memoiren Stellung (Joseph Matthias Görgen: Die Wahrheit über Friedrich Wilhelm Foersters Memoiren „Erlebte Weltgeschichte“, Nürnberg 1954). Und auch Joseph Antz setzt sich früh mit Foersters Biographie auseinander (vgl. Antz, Der Fall Foerster, Frankfurter Hefte, August 1954, S. 573ff.). In der von ihm und Franz Pöggeler herausgegebenen Festschrift zum 85. Geburtstag finden sich in diesem Zusammenhang zahlreiche wichtige Beiträge, gerade auch zur Rezeption im katholischen und ökumenischen Sektor der Friedensbewegung (Joseph Antz/Franz Pöggeler (Hrsg.): Friedrich Wilhelm Foerster und seine Bedeutung für die Pädagogik der Gegenwart. Festschrift zur Vollendung des 85. Lebensjahres von Professor Dr. phil. Dr. theol. h.c. Friedrich Wilhelm Foerster am 2. Juni 1954 im Auftrage der Friedrich-Wilhelm-Foerster-Gesellschaft, Ratingen 1955).
Hans Meyer schreibt in dieser Festschrift "Zur Charakteristik Fr. W. Foersters" (S. 9 ff.) und Alfred Dedo Müller über "Das Problem der Wirklichkeit Gottes bei Fr. W. Foerster" (S. 16 ff.). Johannes Messner betonte Foersters „lebensnahe Persönlichkeitsethik“ (Johannes Messner: Lebensnahe Persönlichkeitsethik bei Fr. W. Foerster, in: ebd., S. 38 ff.). Adalbert B. Ekowski analysiert in seinem Beitrag über "Staatsautorität und Staatsbürgerfreiheit" ein Motiv aus Foersters „Politischer Ethik und politischer Pädagogik)“ (S. 43 ff.).
Und Joseph Matthias Görgen schreibt ebenfalls über "Fr. W. Foersters politisches Denken" (ebd., S. 79-108). Er kommt dabei zum Schluss: „Foerster, dessen Ausgangspunkt in seinen sämtlichen Untersuchungen stets die Lebenswirklichkeiten sind, um diese auf das Evangelium Christi pädago-gisch anzuwenden, huldigte keinem Pazifismus, der aus einer Stimmung greisenhafter Lebensmüdigkeit, stiller Resignation oder aber auch aus einem falschen Idealismus stammte. Foerster ist niemals Anhänger eines institutionellen, psychologischen oder idealistischen Pazifismus gewesen!“ (ebd., S. 104).
Karl Buchheim hebt seine Bedeutung für die politische Erziehung in Deutschland hervor (Karl Buchheim: Fr. W. Foersters Bedeutung für die politische Erziehung in Deutschland, in: ebd., S. 109-127). Franz Pöggeler sieht ihn als Vertreter des thomistischen Ordo-Gedankens: „Wenn Foerster seither die Wirklichkeit der Dinge beim Beweis christlicher Glaubenswahrheiten zum Zeugen ruft, so tut er damit nichts anderes, als das, was seither Vertreter des thomistischen Ordo-Gedankens tun; Foerster selbst beruft sich hierbei immer wieder auf die Denkweise des hl. Augustinus wie auch die des hl. Thomas von Aquin.“ (Pöggeler, S. 138f.). Antz selbst setzt sich abschließend mit dem Verhältnis von "Fr. W. Foerster, die Widerstandskämpfer und wir Pädagogen" auseinander (Joseph Antz: Fr. W. Foerster, die Widerstandskämpfer und wir Pädagogen, in: ebd., um S. 217???).
Franz Pöggeler betont in seiner 1957 erschienen Arbeit über Foersters Pädagogik darüber hinaus: Das Bild einer „geordneten und in sich zur Ordnung veranlagten Wirklichkeit ist es also, zu dem er den christusfremden Menschen hinführen will“ (Pöggeler, Franz: Die Pädagogik Friedrich Wilhelm Foersters: eine systematische Darstellung. Freiburg i. Br.: 1957, S. 17). „Im Grunde ist Foerster ein meisterhafter Phänomenologe, und seine Untersuchungsweise sollte phänomenologisch genannt werden, wenngleich er sie – aus der Absicht seiner Schriften heraus – nicht mit jener philosophischen Tiefe und Gründlichkeit anwendet wie die großen philosophischen Phänomenologen unseres Jahrhunderts“ (ebd., S. 18). Pöggeler zieht ausdrücklich den Vergleich zu Guardinis Vorstellung vom „Staat in uns“: „Das schrankenlose Regeln- und Bestimmenwollen darf man in Konsequenz Foersterscher Gedankengänge als Ausdruck übertriebener Vermännlichung der politischen Sichtweise ansehen: Insofern die Politik dringend der VERINNERLICHUNG bedarf, ist gerade der Frau eine besonders große Aufgabe gestellt. Sie `muss sich der intimsten Zellen des Staatsorganismus annehmen, sie baut den STAAT IN DER SEELE, durch den im stillen errungenen Sieg des Opfersinns und des Friedenswillens über den starren Egoismus und über die vordringliche Selbstbehauptung, sie begründet überhaupt erst ein höheres politisches Leben, indem sie den Geist des Heims, den Geist der Fürsorge, der Verantwortlichkeit von Seele zu Seele ... zu einer ins ganze Leben dringenden Macht erhebt.´ (E. u. Se, S. 172)“ (Franz Pöggeler: Die Pädagogik Friedrich Wilhelm Foersters, Freiburg i.Br. 1957, S. 260).
Und Pöggeler schreibt zu Foersters friedenserzieherischen Absichten in einem Nachwort dessen „Politischen Erziehung“: „Man macht sich die Sache zu einfach, wenn man ihn als den Wahrer des Pazifismus im Bereich politische Erziehung zu klassifizieren sucht. ‚Friede‘ ist in Foersters Theorie der politischen Erziehung nicht der ambivalente Pol zu ‚Krieg‘, sondern die einzig menschenwürdige Verkehrsform der Politik. Geboren in einer Zeit, die weithin Frieden für politische Schwäche und für einen Wartezustand zwischen zwei Kriegen hielt, hat Foerster schon früh erkannt, dass das Friedenhalten und die Erziehung zum Friedenhalten mehr Schwierigkeiten, Energie und Opfer, auch mehr menschliche Stärke fordert als die Abrichtung zum Krieg. Politik soll nicht kriegerische Auseinandersetzung, sondern friedliche Verbindung sein. Sittliche Kraft muss dem Menschen mehr gelten als physische Gewalt“ (Pöggeler, Nachwort, in: Foerster, Politische Erziehung, 1964, S. 181).
Eine erste Promotion spezieller zur Frage der "politischen Ethik" bei Foerster verfasste Herbert Burger (Politik und politische Ethik bei Friedrich Wilhelm Foerster, Bonn 1969). Kurz darauf promovierte Hans-Hennig von der Burg über "Sittengesetz und Sozialorganisation: Wege zur civitas humana. Friedrich Wilhelm Foerster und seine politische Ethik" (Freiburg Diss. 1971).
Herwig Blankertz beschreibt dabei besonders den Zusammenhang des Ordogedankens mit der Friedensidee bei Foerster: „Foerster lebte aus religiöser Überzeugung, entwickelte ein dem katholischen Ordo-Gedanken angelehntes System der ethischen Kultur und der Pädagogik, welches in der Friedenssicherung gipfelte – Frieden bezogen auf die innere Ordnung der Gesellschaft, auf das Zusammenleben der Völker, nicht aber auf die zerstörerische Gewalt des Bösen, der mutig und wenn nötig auch mit der Waffe entgegentreten werden müsse“ (Herwig Blankertz: Die Geschichte der Pädagogik. Von der Aufklärung bis zur Gegenwart, Wetzlar 1982, S. 227-229).
Foerster wusste die totalitäre Gefahren und Strukturen bereits in ihren kleinsten Anfängen aufzuzeigen, wie Hans Kühner herausarbeitet. Dies war ihm möglich, weil ihm „die menschliche Würde alles bedeutete, unabhängig von der nationalen Zugehörigkeit.“ „Friedrich Wilhelm Foerster war der Prophet, der im Vaterlande nichts gegolten hat. Das war gestern, das ist heute. Vielleicht begreift ihn die Generation von übermorgen“ (Hans Kühner: Friedrich Wilhelm Foerster. Ein Lebensweg gegen den preußischen Militarismus“, in: Fried Esterbauer u.a. (Hrsg.): Von der freien Gemeinde zum föderalistischen Europa. Festschrift für Adolf Gasser zum 80. Geburtstag, Berlin 1983, S. 169-186, hier S. 185 f.).
Dennoch gilt gleichermaßen, was Helmut Donat betont: „Foerster war kein Anhänger des bloßen Nein-Sagens, das sich im ‚Nie wieder Krieg‘ erschöpft und den Blick verstellt für die ‚rücksichtslose Feststellung der Ursachen der Katastrophe, die Kennzeichnung des fundamentalen Friedenstörers‘. Den idealistischen, institutionellen und rationellen Pazifismus lehnte er als einen gefährlichen ‚praktischen-politischen Spezialismus‘ ab, der ‚sich von einer religiösen und ethischen Gesamtdeutung der menschlichen Gesellschaftsentwicklung‘ getrennt und das ‚Friedensproblem vom Ganzen der moralischen und rechtlichen Ordnung dieser Welt und von der Erfüllung der geistigen Voraussetzungen des Völkerfriedens‘ losgelöst habe.“ (Helmut Donat: Friedrich Wilhelm Foerster (1869-1966). Friedenssicherung als religiös-sittliches und ethisch-politisches Programm, in: Christiane Rajewsky/Dieter Riesenberger (Hrsg.): Wider den Krieg. Große Pazifisten von Immanuel Kant bis Heinrich Böll, München 1987, S. 167-183, hier S. 168).
Wieder ist es Pöggeler der diesbezüglich zu Recht betont: „Foerster hat Friedenspädagogik nie als einen relativ abgesonderten Sektor der Pädagogik aufgefasst, sondern als Motiv jeder realistischen, auf Menschenkenntnis basierenden Pädagogik.“ (Franz Pöggeler: Geleitwort, in: Bruno Hipler (Hrsg.): Friedrich Wilhelm Foerster. Manifest für den Frieden: eine Auswahl aus seinen Schriften (1893-1933), Paderborn 1988, S. 9-12, hier S. 9)
Für Bruno Hipler sieht in Foerster daher den „Inspirator der katholischen Friedensbewegung in Deutschland“ (Bruno Hipler: Friedrich Wilhelm Foerster (1869-1966). Ein Inspirator der katholischen Friedensbewegung in Deutschland, in: Stimmen der Zeit, 115, 1990, Bd. 208, Nr. 2, S. 113-124, hier S. 113).
Mathias Iven kennzeichnete Foerster als „Antipode des Zeitgeistes“ (Mathias Iven: Antipode des Zeitgeistes, in: Edition querformat, 1999, n. 5, S. 25-27).
Ähnlich sieht dies Maria Hoschek in ihrer Dissertation zu Friedrich Wilhelm Foerster (Maria Hoschek: Friedrich Wilhelm Foerster. Frankfurt am Main u.a. 2002; Diss. 1999).
Peter Lorson SJ kritisierte lediglich Foersters Versuch, die „Kriegsschuld des Pazifismus“ zu beweisen, auch wenn er dessen „scharfe Zeilen über die `Illusionen des modernen Pazifismus´“ ausdrücklich teile (zitiert nach Peter Lorson: Pater Lorson. Grenzländer, Domprediger, Europäer. Vortrag vom 26. Oktober 2004, vgl. http://files.melusine-literatur.org/digitales-kolloquium/Lorson_Peter_Pater_Lorson.pdf; abgerufen am 30. Dezember 2013)
Klaus Kürzdörfer stellt den „Pädagogen des Gewissens“ schließlich in die Polarität von „Friedenspädagoge und provokativer Störenfried“ (Klaus Kürzdörfer: Pädagogik des Gewissens, Bad Heilbrunn 1982; ders.: Friedrich Wilhelm Foerster (1869- 1966), in: Große bayerische Pädagogen, hrsg. v. Winfried Böhm u. Walter Eykmann, Bad Heilbrunn 1991, S. 183-201; ders.: Friedrich Wilhelm Foerster – Friedenspädagoge und provokativer Störenfried, in: Ammermann, Norbert (Hrsg.): Frieden als Gabe und Aufgabe, 2005, S. 129-146).
Nipkow fasst weitere christliche Elemente in Foersters Friedenspädagogik so zusammen: „In seinen Schriften findet sich kein stringenter Entwurf einer christlichen Friedenserziehung, wohl aber sind Eckpfeiler zu erkennen. Der schlechthin erste ist die Beziehung zu Gott in allem Denken, Tun und Handeln. Der Zweite betrifft die Umpolung der säkularen Moralpädagogik, auch seiner eigenen: Die Gottesbeziehung allein trägt und misst alle Moralpädagogik, auch die beste ‚Moralität‘, mit Kants Begriff gesprochen. Drittens beeindruckt Foerster, dass der Freidenker August Comte jeden Abend in dem Büchlein von der Nachfolge von Thomas a Kempis las, aus dem Foerster das Kapitel `de bono homine pacifico´ in dem Abschnitt mit der Überschrift `Die Fundamente des Friedens´ zitiert. Der erste Satz lautet: ‚Bringe dich zuerst selber in den Stand des Friedens, dann wirst du ihn auch Andern geben können´“ (Karl Ernst Nipkow: Der schwere Weg zum Frieden. Geschichte und Theorie der Friedenspädagogik von Erasmus bis zur Gegenwart, Gütersloh: 2007, S. 264f. bezogen auf Foerster, Lebensführung, S. 262)
Bernhard Josef Stalla sieht in Foerster daher durchaus zurecht den „Begründer der politischen Bildung Deutschlands im 20. Jahrhundert“, der „als erster den Gedanken freiheitlicher politischer Bildung“ vertrat, „zu deren Konsequenz demokratische politische Bildung und Demokratisierung durch politische Bildung gehörte“ (Bernhard Josef Stalla: Friedrich Wilhelm Foerster, in: BBKL, Bd. XXVII, 2007, Sp. 445-451).
Dass Foerster sich daher in vielen Ansichten mit Romano Guardini in einer Weggefährtenschaft weiß und dies auf Gegenseitigkeit beruht, sollte daher zukünftig auch in der Bewertung von Guardinis pädagogischen Konzepten der Selbstbildung als Demokratie-, Freiheits- und Friedens-Bildung stärkere Berücksichtigung finden.