Brief von Max Scheler an Guardini vom 04. Juli 1919
Aus Romano-Guardini-Handbuch
Brief von Max Scheler an Guardini vom 04. Juli 1919
Beschreibung
- Urheberrechtliche Schutzfrist abgelaufen: 1998
- Archiv: Bayerische Staatsbibliothek Ana 342 - B-4-3-139
- Handschriftlicher Brief mit Bezugnahme auf Vom Geist der Liturgie, Gegensatzlehre usw.
- Bereits zitiert bei Gerl, 1985, S. 109 und 120
Text
- /1/ "Sehr verehrter Herr Guardini! Ein seltsames Mißgeschick hat es verschuldet, daß Sie bisher auf Ihre freundlichen Zeilen, die mir nun ganz besondere Freude bereitet haben, immer noch keine Antwort haben. Ihr Brief ist nämlich nicht mehr aufzufinden – trotz meines und meiner Frau Suchens – und obzwar ich ihn mehrfach gelesen hatte, wollte ich ihn vor der Antwort nochmals lesen. So verschob ich die Antwort immer hoffend, der Brief werde wieder auftauchen. – Lassen Sie vor allem Ihnen sagen, wie sehr mich (auch meine Frau) Ihre Schrift über die Liturgie in Ecclesia orans bereichert hat. Ich finde Ihre kleine Arbeit geradezu klassisch vollkommen für ihren Zweck und freue mich auch besonders, daß sie so viel gelesen wird. Der Geist dieser Schrift ist mir so nahe, wie (ich muß es leider sagen) das Meiste unserer deutschen religiösen Literatur der Gegenwart fremd. Das Kapitel über „Logos und Ethos“ ist ganz besonders notwendig gewesen – gerade in einer Zeit, in der der Johannestext gegenüber dem
- /2/ falschen und durch unsere Niederlage in einem Riesenexperiment als falsch auch erwiesenen „Am Anfang war die Tat“ wiederherzustellen ist. Nehmen Sie auch schönsten Dank für Ihre Arbeit über die Ehre Gottes, die ich schon gelesen hatte, jetzt aber umso lieber von Ihrer Hand besitze. Es ist schon lange mein Wunsch, Sie kennen zu lernen. Ich hoffe anfangs August auf ein paar Tage nach Mainz zu kommen und werde Sie dann aufsuchen. Solle Sie Ihr Weg hierher führen, so bitte ich um Ihren Besuch. Vielleicht sehen wir uns auch einmal in Maria Laach; ich habe mit Herrn Abt Ildefons viel über Ihr Werkchen gesprochen. Vor allem aber bitte ich Sie, mir Ihre Arbeit über Lebensgegensätzlichkeiten, die Sie H. Rickert schon vorgelegt, bald zur Lectüre zu übersenden; dann haben wir reichen Stoff für unsere hoffentlich baldige mündliche Unterhaltung. Ich sehe in Manchem, daß Sie durch Windelband und Rickert in Ihrem Denken vielfach bestimmt wurden – und würde Ihnen gern über meinen inneren Gegensatz zu dieser Schule nur meine eigenen positiven Ansichten (Sie finden; was die Ethik betrifft, in meinem Formalismus in der Eth. u. die materiale Werteethik“, Niemeyer) über dieselben Fragen Einiges
- /3/ sagen. Ich habe ein freundliches Geschick darin, Ihnen jetzt (durch meinen Wohnort) näher zu sein. Apropos! Haben Sie nie daran gedacht, sich zu habilitieren? Einstweilen nehmen Sie nochmals herzlichen Dank für reiche Anregung von Ihrem hochachtungsvollst ergebenem Max Scheler. Da ich Ihre Adresse nicht mehr habe, die auch auf dem Briefe stand, sende ich den Brief über Maria Laach. Mauritiuswall 15/7."