Demokratie im Zwielicht
Aus Romano-Guardini-Handbuch
Heinrich Lutz: Demokratie im Zwielicht. Der Weg der deutschen Katholiken aus dem Kaiserreich in die Republik, 1914-1925, München 1963
Zitate
V. Religiöse Erneuerung und politisches Suchen (1920-1925)
- S. 93 f.: "Inmitten dieses Extremismus und seiner Frustrationen gelang es an einigen Stellen des katholischen Milieus, das Suchen und Drängen in produktive Bahnen zu leiten. Hier entstanden unmittelbar nach dem Krieg Ideen und Zentren katholischer Erneuerung, deren Wirken bis heute fruchtbar geblieben ist. Die Gruppen der katholischen Jugendbewegung - ich nenne hier nur als Beispiel den `Quickborn um Romano Guardini - entwickelten trotz mancher romantischen Verkleidung die Grundzüge eines neuen, von großem Ernst erfüllten christlichen Bewußtseins in der modernen Welt. ..."
- S. 111 f.: "Nun müßte man, ausgehend von einer solchen Erlebnis- und Vitalsphäre, des näheren untersuchen, wie Guardinis Anthropologie sich in wachsenden Ringen entwickelt, wie er gegen die autonome Jugendformel des Hohen Meißner die Neuentdeckung des `gläubigen Vertrauens´ setzt: `Wir lernen wieder die königliche Haltung des Sichschenkens, Sichwagens und vertrauen, daß jene, denen wir solchen Gehorsam schenken, ihre Gewalt in dem Geiste erfassen und üben werden, der dieser neuen Willigkeit entspricht: als ehrfürchtiges Befehlen und schöpferische Führung.´ (Vom Sinne des Gehorchens, in: Die Schildgenossen, 1920/21, S. 33ff.) Man müßte weiter verfolgen, wie aus dieser lebendigen und dialogischen Grundstimmung ein neues Bewußtsein des Glaubens und des kirchlichen Seins entsteht (`das Erwachen der Kirche in den Seelen´) und wie die Schaffung eines anlogen Neubezugs zu den Ordnungen der Welt - Familie, Beruf, Staat - nun gerade beim Staat nicht recht gelingen will. Es wäre sodann den Gründen für dieses Nicht-recht-gelingen-wollen nachzugehen: den inneren und äußeren Gründen, der Problematik von Guardinis Begriff der `Ordnung unter Personen´, der Ambivalenz seiner Vorstellung von politischer Autorität, etwa wenn er 1925 sagt, daß der Versuch, `Amt´ durch `Führerschaft´ zu ersetzen, erst eine Vorform der Lösung sei: `Ordnung, mithin auch Autorität, kann in ihrer Gültigkeit nicht an die konkreten Qualitäten des Trägers gebunden sein, sondern entstammt eigenem Bereich. Sie ist immer irgendwie `von Gottes Gnaden´.´(Über Sozialwissenschaften und Ordnung unter Personen, in: Schildgenossen 6 (1925/26), S. 125 ff, hier S. 149. Vgl. auch Guardinis scharfe Betonung des Analogie-Begriffes gegen Kierkegaard, z.B. ebd. 6, 294, Anm. 13)"
- S. 113: "führte der Weg der sich an Guardini bildenden jungen Katholiken zu einer Bejahung oder zu einer Verneinung der deutschen Republik? ... Man wehrte sich gegen einen taktischen Verschleiß, wollte kein `propagandistischer Stoßtrupp´ sein, wollte in Ruhe die eigene Gemeinschaftsstruktur ausreifen lassen, als neuformenden und selbständigen Beitrag zur Res publica. Aber zu gleicher Zeit wurden auch schärfere Stimmen laut, die sich bis zur grundsätzlichen Absage steigerten: ..."
- S. 114 f.: "`... Wir glauben nicht an die völkische Heilkraft des vom liberalen Westen geerbten Parlamentarismus, selbst dann nicht, wenn er sich in den Flittermantel einer formal sauberen Demokratie hüllt.´ (W. Engel: GOdesberger Merkwürdigkeiten, ebd. 367 f.) Das war 1922; wohin sollte das weiterführen? Es ist ganz eindeutig, daß Guardini und sein engerer Kreis weiterhin mit Sorge und Anstrengung um das politische Problem rangen. Aber es ist ebenso eindeutig, daß alle sachlich-kritischen Beiträge, die von Männern wie Karl Neundörfer, Bernhard Pfister, Waldemar Gurian usw. in diese Bemühungen miteingebracht wurden, das Nichtgelingen einer tragfähigen eigenen politischen Konzeption nur desto deutlicher aufweisen. So bildete sich mit 1924, als Guardini die `Schildgenossen´ aus dem Organ des Quickborn in `Blätter aus der katholischen Lebensbewegung´ umbildete, zunehmend ein Zustand des politischen Eklektizismus heraus. Die Schildgenossen öffneten ihre Spalten den Vertretern verschiedener politischer Richtungen: es kamen entschiedene Linksrepublikaner, etwa aus dem Kreise der Rhein-Mainischen Volkszeitung, zu Worte und ebenso die Verfechter der sogenannten konservativen Revolution. Überblickt man heute die Auswahl der politischen Stimmen, die hier im Kreise überaus ernsthafter junger Menschen laut wurden, so fällt eines auf: unter den von außen in Guardinis politisches Gespräch hineinwirkenden Stimmen war der antiparlamentarische und antiliberale Akzent stark bemerkbar. Dabei war es weniger die etwas altmodisch wirkende Stimme Martin Spahns, auch wenn dieser in den Schildgenossen sich für seine zentrumsfeindliche Politik ausdrücklich auf Guardini berief: `Das Zentrum hat also den Ausgangpunkt seiner Verfassungspolitik, seiner staatsordnenden Politik mit dem Liberalismus und der Demokratie gemeinsam. Daher erklärt sich auch, daß es kein Gehör für den Aufschrei Guardinis nach dem Staate hat, `in dem das Volk, nein, dieses Volk und wie es jetzt ist, heute leben kann, wirken, sich offenbaren. In dem es nicht nur drinnensteckt wie in einem Gehäuse, sondern sein Wesen darin auswirken kann.´ Mir bedeutet der Schrei alles ... für die verfassungspolitischen Bestrebungen des Zentrums bedeutet er umgekehrt nachweislich nichts.´ (Spahn, Konservative Staatsauffassung, in: Schildgenossen 4 (1923/24), S. 454 ff, hier S. 456)"