Ende der Neuzeit

Aus Romano-Guardini-Handbuch

Das Theorem vom Ende der Neuzeit und damit verbunden von der Nach-Neuzeit gehört mit zu den bekanntesten Theoremen Guardinis.

Ende oder Vollendung der Neuzeit? (Einordnung von Helmut Zenz)

Heidegger liest Guardinis „Ende der Neuzeit“ (1951/52)

Aus einer Erinnerung von Ernst Vogt für das Wintersemester 1951/52 geht hervor, dass Heidegger Guardinis „Das Ende der Neuzeit“ selbst gelesen hat:

„So beschlossen einige Freunde und ich, ihn [Heidegger] zu einem Vortrag nach Tübingen einzuladen. Wir fuhren also nach Freiburg … und begaben uns zum Zähringer Rötebuckweg 47 … An der Haustüre wurde uns bedeutet, Heidegger sei an einer Bronchitis erkrankt und könne uns nicht empfangen. Aber die gütige, mütterlich wirkende Elfride Heidegger hatte Mitleid mit den aus Tübingen unerwartet hereingeschneiten Besuchern, die ihre Mission so dringlich machten, und ließ uns zu ihrem Manne vor. Heidegger empfing uns, mit roter Zipfelmütze zu Bette liegend (Assoziationen an den kranken Hölderlin und an Mörikes ‚Feuerreiter’ stellten sich ein), auf dem Nachttisch Romano Guardinis kürzlich erschienene Schrift ‚Das Ende der Neuzeit’, mit größter Freundlichkeit, stellte jedoch, als wir unser Anliegen vorgetragen hatten, die mehr als berechtigte Frage, ob unser Plan denn mit Schadewaldt abgesprochen sei. Wir sahen uns betreten an und mußten gestehen, daß wir daran überhaupt nicht gedacht hatten. Das holten wir jedoch sogleich nach unserer Rückkehr nach, und ein oder zwei Semester später … hat Heidegger tatsächlich auf Einladung von Schadewaldt in Tübingen gesprochen“[Ernst Vogt, Studium in Tübingen 1951/52, in: Erich Lamberz (Hrsg.), Literatur der Antike und Philologie der Neuzeit, 2013, S. 572. Ernst Vogt (1930-2017) hat von 1950 bis 1956 Klassische Philologie, Philosophie, Archäologie, Alte Geschichte, Papyrologie und Sprachwissenschaft an den Universitäten Bonn, Tübingen und Athen studiert, in diesem Wintersemester aber in Tübingen. Ab 1967 wirkte er als Professor für klassische Philologie in Mannheim und ab 1975 bis 1999 in München.].

In dem Teil der Heidegger-Bibliothek, der m Deutschen Literaturarchiv in Marburg, befindet sich dieses Studienexemplar mit zahlreichen Anstreichungen und Eintragungen.

„Vollendung der Neuzeit“ versus „Ende der Neuzeit“

Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass Heidegger just in diesem Wintersemester 1951/52 das Thema „Ende der Neuzeit“ in seinen Vorlesungen „Was heißt denken?“ mehrfach aufgreift und dabei Guardinis Rede vom „Ende der Neuzeit“ explizit ablehnt:

„Nietzsches Denken enthält doch nicht nur die übertriebenen Ansichten eines Ausnahmemenschen. In diesem Denken kommt das zu seiner Sprache, was ist, genauer das, was erst noch sein wird. Denn die „Neuzeit“ ist noch keineswegs zu Ende. Sie tritt vielmehr gerade erst in den Beginn ihrer vermutlich langwierigen Vollendung. Und Nietzsches Denken? Es gehört zum Bedenklichen, daß es noch nicht gefunden ist. Es gehört zum Bedenklichsten, daß wir nicht im geringsten vorbereitet sind, das Gefundene wahrhaft zu verlieren, statt es nur zu übergehen und zu umgehen. Dieses Umgehen vollzieht sich oft in einer harmlosen Form, nämlich dadurch, daß man eine Gesamtdarstellung der Philosophie Nietzsches vorlegt. Als ob es eine Darstellung gäbe, die nicht notwendig bis in den hintersten Winkel schon Auslegung sein müßte. Als ob es eine Auslegung geben könnte, die daran vorbeikäme, eine Stellungnahme zu sein oder gar durch den Ansatz bereits eine unausgesprochene Ablehnung und Widerlegung. Aber ein Denker läßt sich niemals dadurch überwinden, daß man ihn widerlegt und eine Widerlegungsliteratur um ihn aufstapelt“[Martin Heidegger, Was heißt denken?, 1971, S. 23].

Weiter philosophiert Heidegger:

„Es ist jenes Vor-Stellen, das den metaphysischen Grund des Weltalters ausmacht, das man die Neuzeit nennt, die jetzt nicht zu Ende geht, sondern gerade erst beginnt, in insofern das in ihr waltende Sein erst jetzt in das vorgesehene Ganze des Seienden sich entfaltet“[Ebd., S. 31].

Dass es sich in dieser Frage für Heidegger nicht nur um einen „äußerlichen“ Bezeichnungsunterschied, sondern um eine wesentliche Differenz zu Guardinis „Ende der Neuzeit“ als Kennzeichnung des jetzigen Zeitalters:

„Das Denken ist das Vorläufigste alles vorläufigen Tuns des Menschen in der Epoche, da die europäische Neuzeit allererst beginnt, sich auf dem Erdball zu entfallen und zu vollenden. Im übrigen ist es keine bloß äußerliche Frage der Bezeichnung, ob man das jetzige Zeitalter als das Ende der Neuzeit ansieht oder ob man erkennt, daß heute der vielleicht langwierige Prozeß der Vollendung der Neuzeit erst einsetzt“ [Ebd., S. 161].

Auch in seinem Buch „Der Satz vom Grund“ (1957) schreibt Heidegger klar und deutlich: „Die Neuzeit ist nicht zu Ende“:

„Daß in einem solchen Zeitalter die Kunst zur gegenstandslosen wird, bezeugt ihre geschichtliche Rechtmäßigkeit und dies vor allem dann, wenn die gegenstandslose Kunst selber begreift, daß ihre Hervorbringungen keine Werke mehr sein können, sondern etwas, wofür noch das gemäße Wort fehlt. Daß es die Kunstausstellungen modernen Stils gibt, hat mehr mit dem großmächtigen Satz vom Grund, vom zuzustellenden Grund zu tun, als wir zunächst meinen. Die Neuzeit ist nicht zu Ende. Sie beginnt erst ihre Vollendung, insofern sie sich auf die vollständige Zustellbarkeit vor allem, was ist und sein kann, einrichtet“[Martin Heidegger, Der Satz vom Grund, 1957, S. 41; Ausgabe 1971, S. 66.].

Und in den als „Anhang“ 1990 publizierten handschriftlichen Überlegungen Heideggers zu den Nietzsche-Vorlesungen, steht in der überarbeiteten „zweiten Fassung der Wiederholung“ des Abschnitts „Nietzsche. Zum Verhältnis von Denken und Dichten“ aus der Vorlesung „Denken und Dichten“ im Rahmen seiner „Einleitung in die Philosophie“. Diese Vorlesung hatte Heidegger für das Wintersemester 1944/45 angekündigt und begonnen, musste aber aufgrund einer Weisung der NSDAP Mitte November 1944 nach der zweiten Stunde abgebrochen werden. Wann Heidegger die Überarbeitung vorgenommen hat, konnte von mir noch nicht ermittelt werden. Ich gehe aber davon aus, dass sie erst Anfang/Mitte der fünfziger Jahre erfolgte:

„Das 20. Jahrhundert, in dem sich vermutlich das Zeitalter der Neuzeit vollendet, nicht etwa endet, kann nur, ja muß sogar deshalb das Zeitalter der Technik sein, weil diese das anfängliche und daher lang verhüllte Geschick der Neuzeit überhaupt ist“[Martin Heidegger, Nietzsches Metaphysik. Einleitung in die Philosophie. Denken und Dichten, Gesamtausgabe Band 50, 1990, Teil 2, S. 149].

Zur Genese von Guardinis Theorem vom „Ende der Neuzeit“ (1911-1948)

Guardini spricht schon lange vor 1950 von „nach-neuzeitlichen“ Phänomenen, die er schließlich in seinen Büchern „Das Ende der Neuzeit“ (1950) und „Die Macht“ (1951) lediglich umfassender beschreibt. Erstmals 1911 zieht er in seinem anonym erschienenen Rezensionsaufsatz „Das Interesse der deutschen Bildung an der Kultur der Renaissance“ zum Beispiel den Vergleich zwischen dem bevorstehenden „neuen“ Mittelalter zu den Übergangsepochen der „Renaissance“ und des „Hellenismus und des römischen Kaisertums oder der Renaissance“:

„Es gibt aber eine andere Zeit, die uns wirklich verwandt ist, die des Hellenismus und des römischen Kaisertums. Auch sie hatte ein Freiwerden aller individuellen Kräfte und Momente, eine Einstellung der Aufmerksamkeit auf das Ich erlebt. Auch sie war zersplittert, skeptisch und gefangen in dies Ich. Auf sie aber folgte nach langem Ringen eine Periode, die in ihrer Art das hatte, was wir heute suchen, das Mittelalter, jene Jahrhunderte gewaltiger Leistungen, gewaltiger Einheiten. Das Mittelalter ist die modernste Zeit, mehr, es ist unsere Zukunft. Wie aus der zersetzten hellenistisch-römischen Kultur, durch den Eintritt des Christentums und Germanentums das Mittelalter wurde, das Schauspiel, scheint mir, könnte uns Weisheit lehren, denn unsere Aufgabe ist, ein neues ‚Mittelalter’ zu schaffen. Das braucht niemanden zu erschrecken; nicht zurück zum vergangenen, sondern vorwärts zu ‚unserem Mittelalter’ Solls gehen. Vom Entstehen des ersten aber können wir lernen, die Welt wieder nicht mit den kleinen, verschleierten Augen unserer Subjektivität, sondern mit dem Blick der Dinge selbst, Gottes, zu sehen. Könnten uns wieder nach der Enge und Ängstlichkeit der ‚kritischen’ Zeit die große, so tiefschauende Naivität des objektiven Auges, die Kraft der großen ungebrochenen Bejahung erringen, sie für viele verlorenen Ideale der Heiligkeit, der Wahrheit, der Herrlichkeit des Reiches Gottes wiederfinden“[Romano Guardini, Das Interesse der deutschen Bildung an der Kultur der Renaissance, in: ders., Wurzeln eines großen Lebenswerks, Band 1, 2000, S. 18].

In seinem Brief an Heinrich Kahlefeld, den Herausgeber der Sammlung „Unterscheidung des Christlichen“ von 1935, schreibt Guardini mehr als deutlich von der „endenden Neuzeit“:

„Auf jeden Fall hoffe ich, daß der Titel, den das Buch trägt, zu Recht besteht. Es handelt sich hier wirklich um die „Unterscheidung des Christlichen". Um einen Beitrag also zu jener Arbeit, die uns die endende Neuzeit hinterlassen hat und die Gegenwart mit immer größerer Gewalt aufzwingt: die christlichen Begriffe von all den An-Ähnlichungen, Abschwächungen und Überdeckungen, Fehlleitungen und Verzerrungen zu befreien, die sie seit dem Beginn der Neuzeit erfahren haben. Jene christliche Kultur, die im Mittelalter grundgelegt wurde, löst sich erst heute endgültig auf. Der Wille zu nicht-christlichem Dasein und Werk, der im Lauf der letzten Jahrhunderte immer wieder durchgedrungen ist, wird erst jetzt zu einer offenen Macht im europäischen Gesamtdasein. Geistige Entscheidungen, die schon im fünfzehnten und sechzehnten Jahrhundert dem Anspruch der Offenbarung gegenüber gefallen sind, kommen nun voll zu Wort und Tat. So beginnt im christlichen Bewußtsein eine doppelte Bewegung: Es sucht die Wurzeln, um sich des Eigentlichen und Echten zu vergewissern; andererseits beginnt es die umgehenden Worte und Gestalten zu prüfen, und all den Zerstörungen entgegenzutreten, die aus der Säkularisation des abendländischen Daseins entspringen“[Romano Guardini, Vorwort (1935), in: ders., Unterscheidung des Christlichen, Band 1: Aus dem Bereich der Philosophie, Mainz (3)1994, S. 13 f.].

Insofern verwundert es auch nicht mehr, wenn er in seinem anthropologischen Buch „Welt und Person“ – erarbeitet Anfang der dreißiger Jahre, veröffentlicht 1939 – dies noch deutlicher ausführt:

„In den Begriffen der Natur, des Subjekts und der Kultur drückt sich jene Verpflichtung aus, welche die Neuzeit entdeckt und auf sich genommen hat: zur Redlichkeit und Sachgerechtigkeit. Sie entschloß sich, die Welt als Wirklichkeit zu nehmen und sie nicht durch den unmittelbaren Übergang ins Absolute zu verdünnen. Sie wurde inne, daß diese Welt dem Menschen in einer zugleich großen und erschreckenden Weise in die Hand gegeben ist, und machte sich bereit, den Sinn dieser Verantwortung nicht durch den Rückgriff auf das Religiöse abzuschwächen, sondern sie selbst als religiöse Aufgabe zu verstehen. Die neuzeitliche Wissenschaft mit ihrer Unerbittlichkeit; die Technik mit ihrer Genauigkeit und Kühnheit; der spezifisch neuzeitliche Geist der Welteroberung, Planung und Gestaltung sind echte Fortschritte. Nicht in dem oberflächlichen Sinn, daß die durch sie charakterisierte Geschichtsepoche ohne weiteres besser wäre als die voraufgehende. Hier von ‚Besser’ oder ‚Schlechter’ zu reden, ist ein zweifelhaftes Ding – ganz abgesehen davon, daß jeder Gewinn an einer Stelle mit Verlust an einer anderen bezahlt wird und wir heute, da die Neuzeit zu Ende geht, immer schärfer sehen, wieviel der Übergang zu ihr gekostet hat. Was eine Epoche der Geschichte gegenüber der anderen rechtfertigt, ist nicht, daß sie besser, sondern daß sie an der Zeit ist. Insofern ist sie auch gut und ein Fortschritt. Die in Rede stehenden Begriffe drücken dieses an der Zeit gewesene Neue aus. Vielleicht muß man sogar sagen, auch noch das Falsche an ihnen hänge irgendwie mit der neuzeitlichen Lebens- und Werkleistung zusammen. Wenn ein solches Werk der Erkenntnis, Beherrschung und Gestaltung vollbracht werden sollte, wie es tatsächlich vollbracht worden ist, mußte vielleicht wirklich in irgend einer Weise eine derart leidenschaftliche Hinwendung zur Welt vollzogen werden“[Guardini, Welt und Person, a.a.O., S. 26].

In seiner berühmten Pariser Rede „Auf der Suche nach dem Frieden“ ist sich Guardini 1948 schließlich voll bewusst, welche Rolle die Entstehung der „Masse“ in der Nach-Neuzeit haben wird:

„Ganz deutlich treten die Phänomene erst in dem Maße hervor, wie die Masse entsteht. Aus dem gegliederten Volke wird nun eine Vielzahl von Menschenatomen; aus dem Staat eine Apparatur, in welcher diese Masse von Atomen zur Aktion gelangt. Nun können die dargelegten Tendenzen ihre ganze Wirkung tun: es entsteht der nach-neuzeitliche totale Staat und mit ihm der nach-neuzeitliche Krieg – jener, mit dem wir Heutigen es zu tun haben“[Romano Guardini, Auf der Suche nach dem Frieden, zuerst in: Hochland, 41, 1948; in: ders., Sorge um den Menschen, Band 2, Mainz (2)1989, S. 7-28, hier S. 12].

Im Zusammenhang mit derartigen „nach-neuzeitlichen“ Fragen um Krieg und Frieden kommt Guardini nun direkt auf die Angst des nach-neuzeitlichen Menschen zu sprechen und steht damit mitten in den „Gedanken der Existentialphilosophie“:

„Es würde tief in das Wesen der geschichtlichen Epochen einführen, wenn man fragte, worin die Angst des primitiven Menschen bestand, von ihr unterschieden die des antiken, des mittelalterlichen, des neuzeitlichen. Die des nach-neuzeitlichen Menschen entspringt daraus, daß die ungeheuerliche Macht, welche er in Händen hält, sich aus der Ordnung gelöst hat; daß sie, im Letzten und Ganzen, weder verantwortet noch gelenkt ist. Der moderne Krieg aber bildet die heftigste Vergegenwärtigung der drohenden Gefahr. Diese Tatsache empfindet nicht bloß der Philosoph, sondern er sieht nur klarer und spricht deutlicher aus, was die Zeit überhaupt fühlt. Darum reagieren so viele Menschen auf die Gedanken der Existentialphilosophie, auch solche, die gar nicht in der Lage sind, sie intellektuell zu verstehen: ihr Daseinsgefühl antwortet auf die Erfahrung, die ihr zugrunde liegt“[Ebd., S. 22].

Heideggers eigene Rede vom „Ende der Neuzeit“ (1938-1940)

Nun ist aber Guardini keineswegs der Einzige, der vor 1950 die Rede vom „Ende der Neuzeit“ führt. Denn ausgerechnet Heidegger selbst spricht ab Mitte der dreißiger Jahre immer wieder von einem „Ende der Neuzeit“. In den sogenannten „Schwarzen Heften“, genauer in den „Überlegungen IV“, die mit 1934/35 datiert sind, heißt es im 23. Abschnitt:

„Diese zerstörende Verwandlung („Destruktion“) muß aller anderen Auseinandersetzung mit dem Christlichen und Neuzeitlichen und mit dem ersten „Ende“, aber auch mit dem großen Zwischenspiel (Kierkegaard – Nietzsche) voraufgehen – weil hier alles verwurzelt ist“[Martin Heidegger, Überlegungen IV, in: ders., Überlegungen II-VI, Gesamtausgabe, Bd. 94, a.a.O., S. 213].

In seinem zwischen 1938 und 1940 entstandenen Skript „Geschichte des Seyns“, das 1998 in zwei Teilen „1. Die Geschichte des Seyns (1938/40)“ und „2. Koinon aus der Geschichte des Seyns (1939/40)“ herausgebracht wurde[Martin Heidegger, Die Geschichte des Seyns 1. Die Geschichte des Seyns (1938/40) 2. Koinon aus der Geschichte des Seyns (1939/40), Gesamtausgabe, Bd. 69, hrsg. von Peter Trawny, Frankfurt am Main 1998], steht im ersten Teil der 36. Abschnitt direkt unter dem Titel „Das Ende der Neuzeit in der Geschichte des Seyns“:

„36. Das Ende der Neuzeit in der Geschichte des Seyns Das metaphysische Ereignis der Vollendung der Neuzeit ist die Ermächtigung des ‚Kommunismus’ zur geschichtlichen Verfassung des Zeitalters der vollendeten Sinnlosigkeit. Nach dem in ‚Sein und Zeit’ gedachten Begriff des Sinnes meint dieses Wort den Entwurfsbereich der Entwerfung des Seins auf seine Wahrheit. Und ‚Wahrheit’ bedeutet die entbergende Freigabe des Seins in das Gelichtete seiner Wesung. Sinn-losigkeit meint daher die Wahrheitslosigkeit: das Ausbleiben der Lichtung des Seins. Sobald dies sich ereignet und das ‚Sein’ gleichwohl wie sonst genannt wird, übernimmt es die Rolle des fraglosen allgemeinsten Wortes für das Allgemeinste und Leerste, das an die unanschauliche äußerste Grenze des Verstellbaren hinausgeschoben ist. Das Sein des Seienden, in jeglichem Verhalten, Sagen und Schweigen des Menschen zwar ständig gemeint, hat auf eine Lichtung und Bestimmung seiner selbst verzichtet“[Ebd., S. 37].

Auch in den „Beilagen zu: Koinon“ – aus den Aufzeichnungen „Die Geschichte des Seyns“ kommt dieses Theorem vor, wobei Heidegger es hier allerdings äußerst problematisch mit der „Rassenpflege“ als „notwendiger Maßnahme“ verknüpft:

„Die Rassenpflege ist eine notwendige Maßnahme, zu der das Ende der Neuzeit drängt. Ihr entspricht die schon im Wesen der ‚Kultur‘ vorgezeichnete Einspannung dieser in eine ‚Kulturpolitik‘, die selbst nur Mittel der Machtermächtigung bleibt“[Ebd., S. 223].

In den „Überlegungen VI“, die in das Jahr 1938 datiert werden, stellt er sich im 93. Abschnitt erstmals die Frage, wie ein „neuzeitliches Mittelalter“ aussehen müsste:

„Wie müsste ein neuzeitliches Mittelalter aussehen? Welche Form hätte seine „Scholastik“? In welcher Weise vollzögen sich die konziliarischen-dogmatischen Verdammungen der Sätze | von Denkern, falls es diese gäbe? Welche Gestalt hätten die neuzeitlichen Prälaten und Abbés dieses Mittelalters?“[Martin Heidegger, Überlegungen VI, in: ders., Überlegungen II-VI, Gesamtausgabe, Bd. 94, a.a.O., S. 477].

Irgendwann zwischen 1938 und 1939 geht Heidegger dann von den Formeln „Ende der Neuzeit“ und „neuzeitliches Mittelalter“ ab und verwendet stattdessen die Rede von der „Vollendung der Neuzeit“. Dabei versucht Heidegger Antworten zu finden, was diese „Vollendung der Neuzeit“ kennzeichnet. Dabei kommt er im 115. Abschnitt auf das „Riesige“ als das Hauptkennzeichen dieser Vollendung zu sprechen:

„Das Riesige als das Kennzeichen der „Vollendung“ der Neuzeit. Das Riesige aber ist nichts „Quantitatives“, sondern die Qualität, die das Quantitative als solches, d. h. in seiner End- und Maßlosigkeit schlechthin zum „Quale“ „qualifiziert“. Erst jetzt erreicht alles Zahlenhafte seine Unheimlichkeit, nämlich die des Leeren und Entscheidungslosen. Das Riesige ist der echte Widergott des Großen (vgl. S. 99). Deshalb ist auch das Riesige eine einzigartige Form der geschichtlichen „Größe““[Ebd., S. 487 f.]

Schon am 9. Juni 1938 hatte Heidegger in Freiburg bei seinem Vortrag „Die Zeit des Weltbildes“ von dieser „Vollendung der Neuzeit“ gesprochen. Diesen Vortrag nahm Heidegger dann 1950 mit in die „Holzwege“ auf.

„(11) Denn jetzt vollzieht sich die Einschmelzung des sich vollendenden neuzeitlichen Wesens in das Selbstverständliche. Erst wenn dieses weltanschaulich gesichert ist, wächst der mögliche Nährboden für eine ursprüngliche Fragwürdigkeit des Seins, die den Spielraum der Entscheidung darüber öffnet, ob das Sein noch einmal eines Gottes fähig wird, ob das Wesen der Wahrheit des Seins das Wesen des Menschen anfänglicher in den Anspruch nimmt. Dort, wo die Vollendung der Neuzeit die Rücksichtslosigkeit der ihre eigenen Grösse erlangt, wird allein die zukünftige Geschichte vorbereitet“[Martin Heidegger, Holzwege, Tübingen 1950, hier nach 1977, S. 112: „Die Zeit des Weltbildes“ hier zitiert nach (4)1963 (ursprünglich als Vortrag gehalten in Freiburg am 9. Juni 1938 mit dem Titel „Die Begründung des neuzeitlichen Weltbildes durch die Metaphysik“)]

Ebenfalls aus der Zeit von 1938/39 stammt das posthum veröffentlichte Manuskript „Besinnung“, das im Anschluss an die „Beiträge zur Philosophie (Vom Ereignis) entstanden und seit 1997 über die Gesamtausgabe zugänglich ist [Martin Heidegger, Besinnung, Gesamtausgabe, Bd. 66, Teil 3, 1997]. Auch darin finden sich Abschnittsbezeichnungen wie „10. Die Vollendung der Neuzeit“ und „11. Die Kunst im Zeitalter der Vollendung der Neuzeit“. In diesem 10. Abschnitt heißt es:

„Die Vollendung der Neuzeit ist zugleich die Vollendung der metaphysischen – von der unausgesprochenen und ausgesprochenen Metaphysik getragenen – Geschichte des Abendlandes. Genauer: Die Vollendung der Metaphysik bestimmt und trägt den Beginn der Vollendung der Neuzeit. Vollendung besagt hier die uneingeschränkte und daher unverwickelte einfache Ermächtigung des Wesens des Zeitalters. Die Vollendung ist daher nicht die bloße Anstückelung eines noch [26] fehlenden Abschnittes und deshalb auch nicht der Auslauf des im Grunde schon Bekannten. Die Vollendung bringt vielmehr das letzte und höchste BEFREMDLICHE innerhalb des Zeitalters, das mit ihr nicht aufhört, sondern die Wesensherrschaft BEGINNT“[Ebd., S. 25].

Im darauffolgenden Kapitel (11. Abschnitt) führt Heidegger dies im Blick auf die Kunst näher aus:

„Die Kunst vollendet in diesem Zeitalter ihr bisheriges metaphysisches Wesen. Das Zeichen dafür ist das Verschwinden des KunstWERKES, wenngleich nicht der Kunst … Das Geschaffene stellt sich, anders als bisher, ganz in das „Seiende“ – die „Natur“ und die öffentliche „Welt“ – zurück; und dies nicht als Bestandstück, sondern als eine wesentliche Erwirkungsform seiner Machenschaft“[Ebd., S. 30].

In den „Überlegungen XI“ (1938/39), die ordnet Heidegger erneut die „Rassenpflege“ in die Rede von der „Vollendung der Neuzeit“ ein. Im Abschnitt 47 heißt es:

„Warum sollte nicht die Reinigung und Sicherung der Rasse dazu bestimmt sein, einmal eine große Mischung zur Folge zu haben: die mit dem Slaventum (dem Russischen – dem ja der Bolschewismus nur aufgedrängt und nichts Wurzelhaftes ist)? Müßte da nicht der deutsche Geist in seiner höchsten Kühle und Strenge ein echtes Dunkel meistern und zugleich als seinen Wurzelgrund anerkennen? Vermöchte so erst ein Menschentum geschichtlich werden, das einer Gründung der Wahrheit des Seins gewachsen wäre und zu einer Gottfähigkeit berufen? Wie, wenn die politische Vollendung der Neuzeit diese Einigung vorbereiten müßte, zunächst auf vielen Umwegen und in scheinbar äußersten Gegensätzen. Und wie sollte diese Zukunft des Abendlandes – die Allein dem Asiatischen noch einmal gewachsen wäre – nicht am Rande ihrer größten Gefahr entlangschreiten – daß jene Einigung zwischen Germanentum und Russentum nur noch zu einer alleräußersten Steigerung der Vollendung der Neuzeit hinreichte – daß die Unerschöpflichkeit der russischen Erde in die Unwiderstehlichkeit des deutschen Planens und Ordnens aufgenommen und beide einander durch ihre Unübertreffbarkeit in der Schwebe halten müßten und solche Schwebe zum Selbstzweck einer Vollendung des Riesenhaften in der Machenschaft würde. Fälschlicherweise und nur aus dem zurückgebliebenen Standort der Demokratien nennt man die Vollstrecker der Vollendung der Neuzeit zu ihrem höchsten Wesen „Diktatoren“ -; ihre Größe aber besteht darin, daß sie „diktativ“ zu sein vermögen – daß sie die verborgene Notwendigkeit der Machenschaft des Seins erspüren und durch keine Verführung sich aus der Bahn drängen lassen. (Vgl. S. 109)“[Martin Heidegger, Überlegungen VII-XI (Schwarze Hefte 1938/39), Gesamtausgabe, Bd. 95, hrsg. von Peter Trawny, Frankfurt am Main 2014, S. 402-404].

In den „Überlegungen XII“ von 1939 heißt es schließlich im Abschnitt 26:

„Das Äußerste an Verwüstung ist dann vorbereitet, wenn auch dem Nihilismus im wesentlichen Sinne als der dunkelhaften Ahnung des Geheimnisses des Seyns aus der weitesten Entfernung zu ihm, die Möglichkeit eines Durchgangs versagt wird und er nicht in seinem metaphysischen Wesen zum Austrag kommt. Die gleiche Wesensform trennt den Bolschewismus vom russisch-slavischen Volkstum. Dieselbe Wurzel liegt im neuzeitlichen Geschichtswesen der losgelassenen Machenschaft. Die unbedingten Ansprüche dieser erzwingen sich jedesmal die entsprechende Gegnerschaft und steigern die Verkennung der ursprünglichen Zugehörigkeit der Volkstümer. Alles Rassedenken ist neuzeitlich, bewegt sich in der Bahn der Auffassung des Menschen als Subjektum. Im Rassedenken wird der Subjektivismus der Neuzeit durch Einbeziehung der Leiblichkeit in das Subjektum und die vollständige Fassung des Subjektums als Menschentum der Menschenmasse vollendet. Gleichzeitig mit dieser Vollendung, und sie in ihren Dienst zwingend, vollzieht sich die Ermächtigung der Machenschaft in die Unbedingtheit. „Volkstümer“ sind nur Vorbehalte und Machtmittel und Machtzwecke – aber nicht mehr und überhaupt noch nicht Ursprung und Anfang – will sagen: wesend aus der Zugewiesenheit in eine Gründung der Wahrheit des Seyns. Das unerschlossene Geheimnis des Russentums (nicht des Bolschewismus) kann nur als ein solches gewährt und gegründet werden durch ein entsprechend ursprüngliches – alle Metaphysik und Alles christliche Kulturgetriebe hinter sich bringendes – denkerisches Ersagen des Abgrunds des Seyns (Hölderlin, der Vorstifter der Entscheidungen)“[Martin Heidegger, Überlegungen XII-XV (Schwarze Hefte 1939-1941), Gesamtausgabe, Bd. 96, hrsg. von Peter Trawny, Frankfurt am Main 2014, S. 47f, hier S. 48].

Bemerkenswerterweise vollzieht sich nun in diesen Jahren der Wechsel in der Benennung im Gefolge Nietzsches als „letzten Metaphysikers des Abendlandes“[Martin Heidegger, Nietzsches Lehre vom Willen zur Macht als Erkenntnis – Vorlesung SS 1939, Gesamtausgabe, Bd. 47, Frankfurt am Main 1989, S. 8] auch für die (abendländische) Metaphysik und den Nihilismus, wo Heidegger zunächst eher vom „Ende“, dann gleichermaßen von „Ende“ und „Vollendung“ und schließlich fast nur noch von der „Vollendung der Metaphysik“ und von der „Vollendung des Nihilismus“ spricht.

Soweit ich sehe, lehnt Heidegger die Rede vom „Ende“ allerdings erst nach dem Erscheinen von Guardinis Buch „Das Ende der Neuzeit“ ausdrücklich ab. 1939 sah Heidegger dagegen in Nietzsche denjenigen, der das Denken durch die konsequente Vollendung der Metaphysik „in die härteste Schärfe der Entscheidung“[Ebd., S. 5] zwinge, „ob diese Endzeit der Abschluss der abendländischen Geschichte sei oder das Gegenspiel zu einem anderen Anfang“[Ebd., S. 8], obwohl Nietzsche diesen anderen Anfang selbst aber noch nicht eröffnet habe. Zu dieser Deutung von Nietzsches „metaphysischer Grundstellung“ am „Ende“ bzw. in der „Vollendung der Neuzeit“ sind dann im Jahr darauf die Vorlesungen über „Nietzsches Metaphysik“[Vgl. Martin Heidegger, Vorlesung über „Nietzsches Metaphysik“, in: ders., Nietzsches Metaphysik. Einleitung in die Philosophie, Denken und Dichten, Gesamtausgabe, Bd. 50, Frankfurt am Main 1990, S. 3-87] und „Nietzsche. Der europäische Nihilismus“[Martin Heidegger, Nietzsche. Der europäische Nihilismus (Vorlesung II. Trimester 1940), Gesamtausgabe, Bd. 48, Frankfurt am Main 1986] maßgeblich. 1943 folgt schließlich noch sein Text „Nietzsches Wort ‚Gott ist tot’“, die er dann wiederum 1950 in die „Holzwege“ mit aufnimmt und die für Guardini zum Auslöser werden, auch selbst noch einmal intensiver über Existenzialismus und Nihilismus nachzudenken [Heidegger, Nietzsches Wort „Gott ist tot“, 1943, in: ders., Holzwege, Frankfurt 1950; (4)1963, S. 193-246].

Nach 1945 greift Heidegger sein Theorem von der „Vollendung der Neuzeit“ wieder auf und zwar zunächst in einer Weise, die in Bezug auf seine historische Einsichtsfähigkeit sehr nachdenklich macht. So heißt es in den jüngst veröffentlichten „Anmerkungen III“ (1946/47):

„Die Zerstörung Europas ist, wie immer sie verlaufen mag, ob ohne oder mit Rußland, das Werk der Amerikaner. „Hitler“ ist nur der Vorwand. Doch die Amerikaner sind ins ganze gesehen Europäer. Europa zerstört sich selbst. Das entspricht der Subjektivität, in der die Vollendung der Neuzeit metaphysisch existiert“[Martin Heidegger, Anmerkungen III, in: ders., Anmerkungen I-V (Schwarze Hefte 1942-1948), Gesamtausgabe, Bd. 97, Frankfurt am Main 2015, S. 230].

Und wenig später im Text ergänzt er:

„Der viel beredete Gegensatz zwischen Osten und Westen ist nur so lange ein solcher, als beide auf derselben Ebene verharren. Das tun sie nicht nur, sie streben ihr sogar zu. Ihr Streit mag ausgehen wie immer, er bringt keine Entscheidung, weil er aus keiner Entscheidung kommt. Alles bleibt noch im Vollzug der Vollendung der Neu-Zeit“[Ebd., S. 237].

Frühgeschichte der Rede vom „Ende der Neuzeit“

Nun ist die Rede vom „Ende der Neuzeit“ oder von der „Nachneuzeit“ selbst schon keine „Erfindung“ Guardinis oder Heideggers. Sie findet sich nachweislich bereits bei Max Stirner (1806-1856), dem wohl wichtigsten Vor-Denker Nietzsches in Deutschland. Dieser setzte sich 1845 in der Schrift „Der Einzige und sein Eigentum“ mit Bruno Bauer und Feuerbach sowie mit der „bürgerlichen Sittlichkeit“ „in diesem Ende der Neuzeit“ auseinander. Er spricht also am Beginn der Verwendungsgeschichte des Terminus „Neuzeit“, auch schon wieder von einem „Ende“:

„Dem Menschen ist erst ‚wahrhaft wohl’, wenn er auch ‚geistig frei’ ist! Denn der Mensch ist Geist, darum müssen alle Mächte, die ihm, dem Geiste, fremd sind, alle übermenschlichen, himmlischen, unmenschlichen Mächte müssen gestürzt werden, und der Name ‚Mensch’ muss über alle Namen sein. So kehrt in diesem Ende der Neuzeit (Zeit der Neuen) als Hauptsache wieder, was im Anfange derselben Hauptsache gewesen war: die „geistige Freiheit""[Max Stirner, Der Einzige und sein Eigenthum, 1845, S. 171; entspricht: Der Einzige und sein Eigentum, hrsg. von Ahlrich Meyer, Stuttgart 1972, S. 142. In der Guardini-Bibliothek in München (gb 3942) steht davon ein Exemplar mit der handschriftlichen Datumsangabe „Berlin 27.II“, allerdings ohne Jahreszahl].

Im Gefolge Nietzsches findet man zu Beginn der dreißiger Jahre schließlich das Theorem zum einen wieder bei Friedrich Würzbach (1886-1961)[Friedrich Würzbach, Zwei unveröffentlichte Manuskripte aus dem Nachlass. I. Das Bild des Menschen. II. Vom Ende der Neuzeit bis zu den Brücken der Zukunft dargestellt an Hölderlin – Nietzsche – Rilke, Essen 1984, S. 69-119], der 1919 in München Mitbegründer und erster Leiter der Nietzsche-Gesellschaft sowie und ab 1925 Mitherausgeber des „Jahrbuchs der Nietzsche-Gesellschaft“ war. Nach dem zweiten Weltkrieg setzte sich Würzbach sowohl mit Martin Heideggers „Einführung in die Metaphysik“[Friedrich Würzbach, Rezension zu: Heidegger, Einführung in die Metaphysik, in: Welt und Wort, 9, 1954, S. 282] als auch mit Guardini „Die Macht“[Friedrich Würzbach, Rezension zu: Guardini, Die Macht, in: Welt und Wort, Tübingen, 7, 1952, S. 329] auseinander.

Zum anderen wird die Formulierung auch durch den Soziologen Ernst Wilhelm Eschmann (1904-1987)[Vgl. M. Frederik Plöger, Soziologie in totalitären Zeiten. Zu Leben und Werk von Ernst Wilhelm Eschmann (1904-1987), Berlin-Hamburg-Münster 2007] verwendet, der ab 1929 einer der Redakteur der Zeitschrift „Die Tat“ war und darin vor allem unter dem Pseudonym „Leopold Dingräve“ publizierte. 1933 erschien darin ein Artikel mit dem expliziten Titel „Das Ende der Neuzeit“[Leopold Dingräve, Das Ende der Neuzeit, in: Die Tat, 24, 1933, 11, S. 960-967], in dem er den großen Umbruch mit „dem Verlust der Denksicherheit“ durch die Auflösung des Rationalismus, das er als „das letzte große Glaubenssystem Europas“ bezeichnete. Von 1933 an gab Eschmann zusammen mit Wirsing eine Zeitschrift mit dem Titel „Das XX. Jahrhundert“ heraus und war bis 1943 zudem zunächst Dozent, dann Professor für Soziologie an der Universität Berlin.

Kurz vor Herausgabe des Buches hat neben dem schon erwähnten Rudolf Stadelmann auch Herbert Cysarz vom „Ende der Neuzeit“ gesprochen [Herbert Cysarz, Am Ende der Neuzeit, in: ders., Welträtsel im Wort. Studien zur europäischen Dichtung und Philosophie, 1948, S. 311-321]. In seinem Buch „Der Untergang der Neuzeit – und der Aufgang wessen?“ (1953) schreibt er dazu:

„Ich darf noch vorausschicken, daß die Ausdrücke „Ende der Neuzeit“ und „Aufgang des Vierten Äons“ meines Wissens erstmals von mir als Titel gebraucht worden sind, seit Anfang 1948; in den letzten Jahren tauchen sie immer öfter auf, natürlich ohne daß sich allemal von einem Zusammenhang reden läßt, um so öfter von Konvergenz der Beobachtungen und Auslegungen“[Herbert Cysarz, Der Untergang der Neuzeit – und der Aufgang wessen?, 1953, S. 4].

Und 1965 meint Cysarz betonen zu müssen:

„Geschichte ist und tut immer auch das Gegenteil dessen, was nötig wäre. Das steht nicht erst bei Guardini zu lesen („Das Ende der Neuzeit“, 1950), sondern beispielshalber schon bei mir selbst („Am Ende der Neuzeit“, Schlußstück der „Welträtsel im Wort“, 1948) – und zuvor oder später bei Vielen mehr, die diesen Befund weder erstmals entdeckt noch abgeschrieben haben. Der Untergang der Neuzeit wurde manifest mit dem Kriegsbeginn 1914“[Herbert Cysarz, Deutsches Geistesleben der Gegenwart. Sumpf und Festland, 1965, S. 19].

Wie gesehen, irrt Cysarz bereits in der Frage des Titels „Ende der Neuzeit“ im Blick auf Dingräves Aufsatz aus dem Jahr 1933, der Gebrauch des Theorems selbst, ist bereits, wie er richtig anmerkt, viel älter. Allerdings weicht sein Verständnis des „Endes“ als „Untergang der Neuzeit“ diametral sowohl von Guardinis Vorstellung eines folgenden „neuen Mittelalters“ als auch von Heideggers Vorstellung einer „Vollendung der Neuzeit“ ab. Genau hier müsste aber sowohl im Blick auf Untergangsszenarien und Postmoderne-Diskurse genauer hingeschaut werden. Vermutlich gäbe es für eine Verwendung dieses Theorems „vor“ Guardini und Heidegger auch noch zahlreiche weitere Belege. Insgesamt wäre es gerade für die Guardini- und die Heidegger-Forschung eine lohnende Aufgabe, diese Abhängigkeiten, Zusammenhänge, Unterschiede und Widersprüche genauer herauszuarbeiten.

Vergleich mit "Ende der Moderne" und "Postmoderne"

  • Johann Baptist Metz: Theologie im Angesicht und vor dem Ende der Moderne, in: Concilium, 20, 1984, 1, S. 14-18
  • Rolf Bauerdick: Transzendentale Subjektivität und Transzendentalität des Subjekts: die mystische Theologie Karl Rahners am Ende der Moderne, in: Freiburger Zeitschrift für Philosophie und Theologie, 33, 1986, 3, S. 291-310
  • "Florian Pitschl: "Wenn ihr nicht werde wie die Kinder...": Ferdinand Ulrichs Philosophische Anthropologie der Kindheit im Gespräch mit den Wertvorstellungen am Ende der Moderne, in: Internationale Katholische Zeitschrift "Communio", 24, 1995, 1, S. 50 ff.
    • Religiosität am Ende der Moderne: Krise oder Aufbruch? (Vorlesungen und Festvortrag der Salzburger Hochschulwochen, die in der Zeit vom 26. Juli bis 6. August 1999 an der Universität Salzburg abgehalten wurden]; Innsbruck/Wien 1999