Johannes Hessen

Aus Romano-Guardini-Handbuch

Johannes Hessen (1889-1971) war ein deutscher, römisch-katholischer Philosoph, besonders Religionsphilosoph. Er gilt als einer der Hauptvertreter des Neoaugustinismus.

Biographie

  • Studium der Theologie und Philosophie in Münster
  • 1914 Priesterweihe in Münster
  • Kaplanstätigkeiten in Duisburg und Lette
  • 1916 Dr. mit einer Arbeit über „Die Religionsphilosophie des Neukantianismus“ (Johannes Hessen: Die Religionsphilosophie des Neukantianismus, Freiburg i.Br. Diss. 1919; (2. erw.)1924)
  • Ein Teildruck dieser Dissertation erschien unter dem Titel „Die Begründung der Erkenntnis nach dem Heiligen Augustinus“ (Münster i.W. 1916), 1919 bis 1921 dazu weiters die Schriften "Die unmittelbare Gotteserkenntnis nach dem hl. Augustinus" (Paderborn 1919); "Der augustinische Gottesbeweis" (Münster 1920) und "Augustinische und thomistische Erkenntnislehre" (Paderborn 1921). Guardini hat sich in seinen Arbeiten über Bonaventura mehrfach auf diese Dissertation in Bezug auf Augustinus berufen (Romano Guardini: Systembildende Elemente in der Theologie Bonaventuras, S. 74 und 85f.; ders.: Die Lehre des heiligen Bonaventura von der Erlösung, S. 148f. und 155f.)
  • Hessen hatte sich bis 1919 - neben Schell, Switalski, Wust, Müller, Rosenmöller, E. K. Winter, Blondel und Max Scheler - einen Namen als ausgewiesener Vertreter des Augustinismus bzw. Neoaugustinismus gemacht und vertrat infolgedessen philosophisch den Platonismus bzw. Neoplatonismus in der Nachfolge von Augustinus, der sich gegen die Scholastik als eine durch die Philosophie der Neuzeit, insbesondere durch die kopernikanische Wende Immanuel Kants, innerlich und endgültig überwundene Form des philosophischen Denkens gewendet. Damit geriete er wie viele andere Neuaugustiniker unter Modernismusverdacht, kam infolgedessen in Konflikt mit dem damals von der kirchlichen Obrigkeit geförderten und auch eingeforderten Neuthomismus. Aufgrund dessen, wie er seine Positionen "eigenwillig" vertrat, wurde er alsbald eine persona non grata. Er hatte sich viele kirchliche Gegner erworben, die diese Gegnerschaft auch noch nach dem Weltkrieg aufrecht erhielten.
  • Winter 1918/19 persönliche Begegnung mit Max Scheler
  • 1920 Habilitation in Köln auf Antrag Max Schelers
  • 1921 Lehrerlaubnis für das Fach Philosophie und beschäftigte sich vor allem mit Augustinus und Thomas von Aquin
  • erst 1928 Ernennung zum apl. Professor
  • 1928 Indizierung seiner Bücher „Die Weltanschauung des Thomas von Aquin“ und „Erkenntnistheorie“ durch die Bischöfe von Köln und Münster verboten. Der Versuch des Kölner Kardinal Karl Joseph Schulte, ihn als außerordentlichen Professor zu suspendieren, scheiterte an der juristischen Nichtdurchsetzbarkeit
  • ab dem Wintersemester 1928/29 Lehrauftrag für Geschichte der Philosophie des Mittelalters an der Universität Köln
  • 1934 Mitglied des Nationalsozialistischen Lehrerbundes
  • Verweigerung der Umwandlung seiner Stelle nach der Reichshabilitationsverordnung durch die Nationalsozialisten
  • Entzug der venia legendi durch die Nationalsozialisten mit Einbehaltung seines Gehalts
  • Verbot bzw. Einzug von drei seiner Bücher
  • 31. März 1940 Entlassung aus dem Hochschuldienst
  • 1942 Redeverbot, weil nach dem Reichssicherheitshauptamt „seine Reden staatsabträgliche Äußerungen enthalten", verbunden mit einer Drohung mit dem Konzentrationslager bei Nichteinhaltung
  • innere Emigration in Aegidienberg im Siebengebirge. Dort schrieb er sein dreibändiges „Lehrbuch der Philosophie“, das dann 1947 bis 1950 erschienen ist.
  • 1945 unverzügliche Wiederaufnahme seine Lehrtätigkeit; alsbald aber Widerspruch des Universitätsestablishments und von Seiten der Kirche
  • WS 1945/46 Ankündigung eine Vorlesung „Der geistige Wiederaufbau Deutschlands“ (Zurechtweisung durch Dekan Rassow)
  • 7. Februar 1946 (möglicherweise von Hessen selbst angeregt): Petition von 52 Studenten, ihn zum Ordniarius zu ernennen.
  • 13. Februar 1946: Brief von Dekan Kroll an Oberbürgermeister Pünder: „Daß wir Herrn Hessen sein Recht nicht vorenthalten wollen, ist selbstverständlich. Ich fürchte, der Fall Hessen entwickelt sich zu einer psychopathischen Angelegenheit. Die Berufung auf einen Lehrstuhl wird für die Philosophische Fakultät schwerlich in Frage kommen. Man könnte es nicht verantworten, hier zuredend einen solchen Rat zu geben, denn, wie ich neuerdings erfahren habe, steht die kirchliche Behörde ihm so ablehnend gegenüber, daß sie die Berufung auf einen Lehrstuhl der Kölner Universität geradezu als einen Affront auffassen müsste“ (Kroll an Oberbürgermeister Pünder, 13.02.1946, ebd., zitiert nach: Haupts, ???; UAK Zug. 44/239. Auch die Stellungnahme zu Anwürfen Görlingers). Dies dokumentiert offensichtlich eine teilweise Abhängigkeit der Universität von der Kirche, formal bestand nämlich keinerlei Notwendigkeit einer „kirchlichen Lehrerlaubnis“. Daher ist die Schlechterbehandlung, in seinem Fall Nichtbeförderung vom Privatdozenten zum Professor, dem Umstand geschuldet, dass die Universitätsvertreter bereit waren, „Rücksichten“ auf kirchliche Befindlichkeiten zu nehmen und die Frage der Wiedergutmachung bei anerkannter Verfolgung gegenüber der Frage des Verhältnisses zu den aktuell relevanten Instanzen zurückzustellen (Golczewski, Kölner Universitätslehrer und der Nationalsozialismus, 1988, S. 415). Laut der Fakultätssitzung vom 13. März 1946 sollte der Antrag erst nach der Besetzung des zweiten philosophischen Lehrstuhls behandelt werden (Fakultätssitzung 13. März 1946 UAK Zug. 285/1)
  • 1947 Anerkennung als Diäten-Dozent, rückwirkend zum 1. April 1945, und somit als Beamter auf Widerruf
  • Frühjahr 1948 Brief der "Kölner Philosophiestudierenden", in deren Auftrag Clemens Grosche, an den Nordrhein-Westfälischen Sozialminister, wegen der fehlenden vollständigen Rehabilitierung: „Wir Studenten müssen schließlich an allem irre werden und können kein inneres Verhältnis zur Demokratie finden, wenn in ihr so krasses Unrecht möglich ist. Wir haben festgestellt, daß dieser Fall an keiner anderen deutschen Universität eine Parallele findet. Es ist überall für selbstverständlich erachtet worden, daß Opfer des Naziregimes rehabilitiert wurden.“ (Sozialminister NRW an Kultusminister NRW, 09.04.1948, UAK 44/ 239, zitiert nach Golczewski, a.a.O., S. 416, FN 93)
  • 2. Juli 1948 Beratung der mit der Frage seines Extraordinariates befaßten Kommission über Äußerungen Hessens gegenüber Studenten, die ein Disziplinarverfahren wahrscheinlich machten (UAK Zug. 285/1, 2. Juli 1948, zitiert nach Haupts, S. 173)
  • 1949 Festschrift zu seinem 60. Geburtstag, hrsg. von Willy Falkenhahn: "Veritati. Eine Sammlung geistesgeschichtlicher, philosophischer und theologischer Abhandlungen, als Festgabe für Johannes Hessen zu seinem 60. Geburtstag dargebracht von Kollegen, Freunden und Schülern" (München 1949)
  • 1950 erneutes Resümee seiner Forderungen an die Mitglieder der Philosophischen Fakultät; Antrag an den Dekan; Einschaltung eines Abgeordneten; dagegen hatten einige Kölner Philosophie-Professoren ein deutliches Gutachten gegen ihn formulierten; daraufhin sprach Hessen diesen die Urteilskompetenz ab (vgl. Golczewski, ebd., S. 416)
  • 16. Mai 1950 Kuratoriumsvotum, ihm kein planmäßiges Extraordinariat zu geben
  • 18. September 1950 Mitteilung des Dekans, die Fakultät könne ihm „aus grundsätzlichen
  • 1951 Artikel Hessens in der Theologischen Literaturzeitung (Nr. 8, S. 488), der die Universität und Fakultät heftig angreift.
  • 1952 Eingabe für die Wiedereinsetzung des Religionsphilosophen Johannes Hessen, an der Romano Guardini beteiligt war
  • Veröffentlichung der Schrift "Universitätsreform", in der er einen von Johannes Scherer verfassten Anhang über „Neonazismus an deutschen Universitäten?“ aufnahm; darin sah der Senat „schwerste Beleidigungen der Universität“ und bat daher die Kultusministerin, „Herrn Prof. Dr. Hessen ihr Befremden über diese Publikation zum Ausdruck (zu) bringen“ und ein Disziplinarverfahren zu prüfen; letzteres war aber gar nicht möglich, weil – entgegen der allgemeinen Annahme – Hessen gar nicht verbeamtet worden war.
  • Ernennung zum Dozenten und damit eine Pensionsberechtigung
  • 30. April 1954: Zuerkennung der Anstellung als außerordentlicher Professor in der Besoldungsgruppe H 2 der Reichsbesoldungsverordnung und einer Geldentschädigung nach der Einholung von Gutachten bei insgesamt neun Universitätsprofessoren, bezüglich der Frage, ob Hessen denn überhaupt Aussichten auf einen Lehrstuhl gehabt habe, wenn er nicht politisch verfolgt gewesen wäre, und wieweit er wirklich im Dritten Reich benachteiligt wurde. Unter anderem hat Karl Jaspers geäußert, er halte „die Leistungen Hessens für so beträchtlich, daß die Nichtberufung eine außerordentliche Ungerechtigkeit gewesen wäre, wenn man vergleicht mit dem Durchschnitt der Dozenten, die heute die Philosophischen Lehrstühle besetzen"
  • Dank Hessens an alle, „die an meinem Kampf um `Wiedergutmachung´ inneren Anteil genommen haben“: „Die von einer Clique ehemaliger Nazis beherrschte Philosophische Fakultät hat sich alle Mühe gegeben die Aktion des Ministeriums zu sabotieren. In der gleichen Richtung arbeiteten gewisse integral katholische Kreise“ (zitiert nach Golczewski, a.a.O., S. 417 f.); aufgrund der erneut als Beleidigung empfundenen Äußerungen Hessens äußerte der Dekan aber weiterhin, daß „die Philosophische Fakultät unter voller Wahrung ihres Berufungsrechtes nicht daran denkt, Herrn Hessen auf eine Berufungsliste zu setzen.“
  • 1. November 1954: Entpflichtung mit dem Datum der Vollendung seines 65. Lebensjahres; womit eine öffentliche Ernennung zum Extraordinarius nicht mehr erfolgte daher konnte Hessen sich faktisch erst nach seinem Ausscheiden aus dem aktiven Universitätsdienst als „emeritierter außerordentlicher Professor“ führen lassen
  • 1956 Mitglied der Gründungs-Herausgeber der Blätter für deutsche und internationale Politik
  • 1969 Ernennung zum Päpstlichen Ehrenprälaten durch Papst Paul VI.

Biographische Bezüge zu Guardini

Bibliographie zu Guardini

Sekundärbibliographie

  • Willy Falkenhahn (Hrsg.): Veritati. Eine Sammlung geistesgeschichtlicher und theologischer Abhandlungen, Festgabe für Johannes Hessen zum 60. Geburtstag, München 1949;
  • Johannes Hessen (1889-1971), UGK II, S. 476;
  • Frank Golczewski: Kölner Universitätslehrer und der Nationalsozialismus, 1988, S. 415-417.
  • Christoph Weber: Der Religionsphilosoph Johannes Hessen (1889-1971). Ein Gelehrtenleben zwischen Modernismus und Linkskatholizismus, Frankfurt am Main/Berlin/Bern/New York/Paris/Wien 1994;
  • Leo Haupts: Die Universität zu Köln im Übergang vom Nationalsozialismus zur Bundesrepublik, Köln/Weimar/Wien 2007.

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