Kirchliche Ökumene nach Guardinis Gegensatzlehre als Modellfall politischer Einheit in Vielfalt
Kirchliche Ökumene nach Guardinis Gegensatzlehre als Modellfall politischer Einheit in Vielfalt (Autor: Helmut Zenz)
Zur Vorarbeit Heinrich Dörings
Der von 1979 bis 2001 in München als Fundamentaltheologe wirkende Professor Heinrich Döring, Mitherausgeber der ökumenischen Zeitschrift „Una Sancta“, hat auf der Vollversammlung des Diözesanrates des Erzbistums Bamberg am 14. März 2003 seine ökumenische Erkenntnisbemühungen unter dem Motto „Einheit suchen – Dialog gestalten“ ausdrücklich auf Guardinis Gegensatzlehre als Grundposition ausgerichtet, insbesondere „an der bei ihm erkenntnismäßig erfassten Struktur des Konkret-Lebendigen“ (nicht mehr online, Text liegt HZ vor).
Dies erscheint Döring möglich, weil auch „die Gemeinschaft der Kirchen der Ökumene in all ihrer Gegensätzlichkeit ... ein Lebendig-Konkretes“ seien. Das Leben als Ganzes so auch die Ökumene als Aspekt des Lebens ist „eine Ordnung zweier Momente verstanden, die zueinander im Verhältnis der gegenseitigen Bedingungen und zugleich der gegenseitigen Ausschließung stehen“ (Döring, a.a.O. unter Verweis auf Guardini, Gegensatz und Gegensätze. Entwurf eines Systems der Typenlehre, Freiburg 1914, S. 5). Von Guardinis Gegensatzdenken her habe „auch für die Ökumene der Grundsatz Geltung, dass Gegensätze präzise vom Widerspruch zu unterscheiden sind. Mit einem Gegensatz kann man aneinander sein. Widersprüche hingegen schließen einander aus. Widerspruch fordert ein gegenseitiges Verneinen.“ Besonders bemerkenswert für die ökumenische Arbeit hält Döring dabei die Auffassung Guardinis, dass „die große Versuchung für das Denken .... gerade darin“ bestehe, „diesen Knäuel von Unvollziehbarkeit glatt zu streichen“ und so das Konkret-Lebendige, sprich auch die ökumenische Wirklichkeit alles in allem entweder einseitig rational oder einseitig intuitiv erfassen zu wollen (ebd., unter Verweis auf Guardini, Der Gegensatz. Versuche zu einer Philosophie des Lebendig-Konkreten, Mainz 1925, (2)1955 und (3)1985, mit einem Nachwort von H.. B. Gerl), S. 106 u. 104).
Döring konstatiert: „Zur Gefährdung des lebendigen Gegensatzverhältnisses kann es nach Guardini in drei Bereichen kommen. Er nennt drei `Untergangszonen´, die immer auch seine Grenzwerte sind. Mit den beiden „äußeren Grenzbereichen der Spannungseinheit sind die Untergangszonen des reinen Typs gemeint; mit dem inneren Grenzbereich (der Mitte zwischen zwei Polen) ist die Untergangszone der vollkommenen Harmonie ins Auge gefasst. In beiden Fällen handelt es sich um Wertvorstellungen, um `Vollendungsziele, Vollkommenheitsformen´ des Lebens und doch zugleich um seine Untergangsweisen. Lebensmöglich ist nur etwas, was im rechten Maße zueinander steht“ (ebd. unter Verweis auf Guardini, a.a.O., S. 127).
Daraus folgt, dass es auch in der ökumenischen Arbeit „unabhängig vom Maßverhältnis und damit vom Überwiegen der einen oder der anderen Gegensatzseite in einem Gegensatz stets ein Ordnungsverhältnis geben muss.“ Daher ist es entscheidend, „die in der Ökumene vorfindlichen Gegensätze nicht isoliert zu betrachten, sondern am Lebendig-Konkreten in seiner Gesamtheit abzulesen.“ Daher schlussfolgert Döring: „Katholisch bzw. im wahrsten Sinne ökumenisch ist der Mensch, der sich innerhalb der Grenzen der Lebensmöglichkeit bewegt und sie nicht zu den Zonen der Auflösung hin überschreitet. Wahre Katholizität umgreift alle typischen Möglichkeiten“ (vgl. dazu Heinrich Döring: Ökumenische Entdeckungen. Wege kreativer Integration (Beiträge zur Fundamentaltheologie und Religionsphilosophie, Bd. 6. hrsg. von Heinrich Döring und Armin Kreiner), Neuried 2000. 107-141).
„Was nämlich Michail Gorbatschow über das Zuspätkommen bei der Entwicklung säkularer Zustände sagte, das gilt auf besondere Weise auch für die Kirchen der Ökumene. Seherisch `im Angesicht des Todes´ sagte der christliche Märtyrer Alfred Delp bereits Jahrzehnte zuvor den Kirchen folgendes an: `Die Kirchen scheinen sich durch die Art ihrer geschichtlich gewordenen Daseinsweise selbst im Wege zu stehen. Ich glaube, überall da, wo wir uns nicht um des Lebens willen von der Lebensweise trennen, wird die geschehende Geschichte uns als richtender und zerstörender Blitz treffen´“ (Döring, Einheit suchen – Dialog gestalten, a.a.O., unter Verweis auf Alfred Delp: Im Angesicht des Todes, 105, zit. nach D. G. Jacob, Die Zukunft der Kirche in der Welt des Jahres 1985, in JK 28 (1967) 1-16).
Döring rechnet „angesichts der Spaltungen längst schon mit dem „Übergang zur felix culpa“, d.h. mit der Möglichkeit einer neuen Konkretgestalt der Einheit der Kirche.“ (Döring, Einheit suchen - Dialog gestalten, a.a.O.)