Theodor W. Adorno
Aus Romano-Guardini-Handbuch
Theodor W. Adorno (1903-1969)
Guardini bei Adorno
- Adorno nimmt in seiner Doktorarbeit über Kierkegaard von Guardinis Texten Kenntnis und zitiert sie. Vgl. Theodor W. Adorno: Kierkegaard. Konstruktion des Ästhetischen, 1933, S. 80 f., 117, Fußnoten S. 163 f. -https://books.google.de/books?id=Sz4AAAAAMAAJ; 1962, S. 131, 143, Fußnoten S. 187 und 261 - https://books.google.de/books?id=_jBIAAAAMAAJ; (Neudruck)1970, S. 104, 114, 148 - https://books.google.de/books?id=wDPXAAAAMAAJ; 1974, S. 131, 143, 187, Fußnoten 261 f. - https://books.google.de/books?id=l_XfAAAAMAAJ
- 1933, S. 80=1962, S. 131=1970, S. 104=1974, S. 131: "Die zentrale Stellung der Kategorie der Durchsichtigkeit in Kierkegaards Existenzlehre ist von Guardini erkannt worden."
- 1933, S. ???=1962, S. 143=1970, S. 114=1974, S. 143: "Die Krankheit zum Tode hebt an mit der Thesis des Spiritualismus: der Bestimmung des Existierens als Geist. Die Gefahr dessen hat Guardini scharf bezeichnet."
- 1933, S. 117=1962, S. ???=1970, S. 148=1974, S. 187: "Guardini hat richtig bemerkt, daß der »Versuch, die Ehe als sittliche, den Einzelnen entfaltende Ganzheit zu fassen«, abfällt, weil »sich die Konsequenz« durchsetzt."
- Er thematisiert seine Guardini-Lektüre auch in einem seiner Briefe (Briefe und Briefwechsel: Briefwechsel 1923-1966, 1994, S. 208 - https://books.google.de/books?id=6TbXAAAAMAAJ) - Brief Adorno an Kracauer vom 12. Mai 1930: "Ich habe unendlich viel dazu gelesen , das meiste ganz schlecht, Haecker und Guardini schneiden verhältnismäßig am besten ab der hochgerühmte Przywara ist ganz schlecht und ideologisch, das andere indiskutabel."
Adorno bei Guardini
- Guardini setzt nicht nur wenig mit Theodor W. Adorno auseinander. Laut Tagebucheintrag vom 12. Juni 1953 hat er einen Aufsatz Adornos über den Jazz im "Merkur" sowie seine "Minima moralia" gelesen: "Adorno hat im `Merkur´ einen Aufsatz über den Jazz veröffentlicht, in dem allerlei Gescheites steht. Aber man ist froh, wenn man durchgekommen ist. Es ist wie ein beständiges Dröhnen; eine Monotonie der Kritik aus einer bitteren Überlegenheit. Seine `Minima moralia´ sind geradeso. Was man mir über seine Figur und sein Schicksal gesagt hat, macht es verständlich. Ob er aber weiß, wie sehr er sich decouvriert?" (Stationen und Rückblicke/Berichte über mein Leben, S. 162). Dies ist zugleich die einzige Erwähnung Adornos bei Guardini.
= Hintergründe dieser Erwähnung
- In Adornos "Minima moralia. Reflexionen aus dem beschädigten Leben" stehen zum Beispiel Sätze wie: "Nicht umsonst ist Katholizismus nur ein griechisches Wort für das lateinische Totalität, das die Nationalsozialisten realisiert haben.“ (Frankfurt/M. 1969, S. 172)
- Aufgrund seines ausdrücklichen Bekenntnisses zur selbstverschlossenen Subjektivität, die als Bedingung der Möglichkeit einer positiven Seinserfahrung nur den Menschen kennt, kann die Kritische Theorie Theodor W. Adornos jegliche positive Seinserfahrung, die als Bedingung ihrer Möglichkeit das absolute Sein Gottes zu erkennen gibt (vgl. dazu Joseph F. Schmucker von Koch, a.a.O., S. 77, FN 34 mit Verweis auf Adorno, Negative Dialektik, Frankfurt 1970, S. 389 f. und auf die aufschlussreiche Auseinandersetzung zwischen den Theologen Koch/Kodalle und dem Adorno-Schüler Schweppenhäuser in dies.: Negativität und die Idee der Versöhnung, Stuttgart 1973)
Archivalien zum Verhältnis von Adorno und Guardini
- In der Privatbibliothek Romano Guardinis findet sich: ...
Vergleichspunkte
Auch in der Sekundärliteratur werden Guardini und Adorno nur selten miteinander verglichen, meist in Bezug auf die behandelten Themen Kierkegaard, Rilke oder Technik. Vgl. unter anderen:
- Joseph F. Schmucker-von Koch, a.a.O., S. 49: “Während andere philosophisch relevante Theorien des autonomen Begriffs, die seine immanente Kritik zum Inhalt haben wie etwa die `Negative Dialektik´ Theodor W. Adornos, in der Selbstreflexion des autonomen Begriffs auf die Abdankung des Begriffs überhaupt zutreiben (vgl. hierzu Schmucker, J.F.: Adorno-Logik des Zerfalls, Stuttgart 1977, S. 129-148) und einer `neuen Mythologie des Begrifflosen´ (Beierwaltes, W.: Identität und Differenz, Frankfurt 1980, S. 314) verfallen, vermag Guardini den Begriff als Erschließungsgestalt des Wirklichen zu retten: dadurch, dass er ihn durch die Rehabilitation des intuitiven Moments im Denken zu einer Achsendrehung seiner selbst führt.”
- René Buchholz: Zwischen Mythos und Bilderverbot: die Philosophie Adornos als Anstoss zu einer kritischen Fundamentaltheologie im Kontext der späten Moderne, 1991 - https://books.google.de/books?id=fSEQAQAAIAAJ - in indirekter Auseinandersetzung zu Romano Guardinis "Fundamentaltheologie" in "Briefe vom Comer See", "Die Technik und der Mensch" sowie "Das Ende der Neuzeit", S. 234-239. Bereits S. 47 sieht der Autor eine Ähnlichkeit zum Thema Technik zwischen Adorno (aus: Kritik. Kleine Schriften zur Gesellschaft, 1971, S. 80: Die Individuen "haben sich selbst der Apparatur ähnlich gemacht: nur so können sie unter den gegenwärtigen Bedingungen fortexistieren. Die Menschen werden nicht nur objektiv mehr stets zu Bestandstücken der Maschinerie geprägt, sondern sie werden auch für sich selber, ihrem eigenen Bewußtsein nach, zu Mitteln anstatt zu Zwecken.") und Guardini in "Das Ende der Neuzeit" (S. 52: "Im Zusammenhang mit der Technik kommt nun eine anders geartete Struktur herauf, für welche die Idee der sich selbst aufbauendenden schöpferischen Persönlichkeit, beziehungsweise des autonomen Subjekts offenbar nicht mehr maßgebend ist."). Zu beachten sei allerdings, daß Adorno - also im Unterschied zu Guardini - "nicht nur die Technik, sondern den gesamten gesellschaftlichen Prozeß, dessen Teil die Technik ist, vor Augen hat."
- Walter Dietz: Sören Kierkegaard: Existenz und Freiheit, 1993 - https://books.google.de/books?id=uPG7AAAAIAAJ - S. 101: "Eine durchgängige Fehlinterpretation des Geistbegriffs KIERKEGAARDS findet sich bei ADORNO (2. Habil. 1929). [...] ADORNOS Fehlintepretation rührt daher, daß er den SCHELLINGSCHEN Hintergrund von KIERKEGAARDS Geistbegriff und dessen antispiritualistische Schlagseite völlig verkennt. Auch die sich anschließende These (nach GUARDINI), Gott und Selbst seien als identisch gedacht (143), entbehrt jeder Grundlage im Text und führt insbesondere die für KIERKEGAARD fundamentale Kategorie des "vor Gott"-Seins ad absurdum. Im Gegensatz zu GUARDINI konstatiert ADORNO eine Abstraktheit und "Undurchsichtigkeit" des Selbst, die in der Substratlosigkeit der "Verdoppelung" begründet sei (144 f.)."
- Wolfgang Kramer: Technokratie als Entmaterialisierung der Welt, 1998 (Diss.) https://books.google.de/books?id=ZfaME0PKM7EC - S. 237: "Ebenso wie Adorno/Horkheimer in ihrer „Dialektik der Aufklärung“ und später Anders diagnostiziert Guardini eine Dialektik der Kultur."
- Sandra Kluwe: Krisis und Kairos: eine Analyse der Werkgeschichte Rainer Maria Rilkes, 2003 - https://books.google.de/books?id=X1EhAQAAIAAJ - S. 178 : "Guardini und Adorno , so divergent ihre Weltanschauungen auch waren, trafen sich doch in der Kritik der diktatorischen Schattenseite des Duineser `Diktats´."
- Angeline van Doveren-Kersten: Habitus des Denkens - Prüfstein des Glaubens: Verzweiflung als religionsphilosophische Kategorie, 2018 - https://books.google.de/books?id=_axSDwAAQBAJ - S. 110: "Dass sowohl Adorno als auch Guardini Kierkegaard vorwarfen, er räume der Vermittlung keinen Platz ein, ist wohl verständlich, weil er den Dialektiktyp der Paradox-Dialektik anwendete. Es ist jedoch schon von einer Vermittlungswirkung der Verzweiflung sowohl für den Glauben als auch die Selbst- und Gotteserkenntnis die Rede. Verzweiflung ist jedoch nur möglicherweise ein Vermittlungsort, nicht notwendigerweise. Dass Adorno diesen Moment offensichtlich übersieht, lässt sich damit erklären, dass Adorno weder Theologe ist noch den religiösen Gesichtspunkt einnimmt. Auch der Theologe Guardini übersieht dieses Moment. Dies lässt sich wohl damit erklären, dass er die Verzweiflung ohnehin nur negativ als Sackgasse betrachtet, statt sie als mögliche Phase im STATUS VIATORIS nach ihrem Potenzial zu befragen, obwohl er, wie ich in den Impressionen gezeigt habe, dem Verzweifelten als Leidenden und Verletzten gegenüber sehr vorsichtig ist."
Dazu findet sich auch noch ein Vergleich des Schreibstils Guardinis mit dem von Adorno:
- Mathias Schreiber: Ermutigung zum Blick auf das Ganze Hanna-Barbara Gerl über Leben und Werk Romano Guardinis, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, Nr. 131 (10. Juni 1985), auch in: Ein Bücher-Tagebuch, 1986 - https://books.google.de/books?id=JVwnAQAAIAAJ - S. 328: "Guardinis Sprache ist von prätentiöser Unauffälligkeit und darin überraschend gegenwärtiger geblieben als die Sprache derer, die in den sechziger Jahren so erfolgreich den „Jargon der Eigentlichkeit“ verdammt haben (Adorno, der diese Polemik anzettelte, ist hier weniger gemeint als seine Gemeinde)."
Internet
- Wikipedia-Biographie - https://de.wikipedia.org/wiki/Theodor_W._Adorno