Thornton Wilder

Aus Romano-Guardini-Handbuch

Thornton Wilder (1897-1975) war ein US-amerikanischer Schriftsteller.

Biographie

Biographische Bezüge zu Guardini

Thornton Wilder war zum korrespondierenden Mitglied der Bayerischen Akademie der Schönen Künste berufen worden und machte wohl deshalb bei seiner ersten Europareise nach dem Zweiten Weltkrieg auch in München Halt. Denn bei einem vielbesuchten Vortrag am 16. Januar 1953 im Münchner Amerikahaus gab der amerikanische Generalkonsul James W. Thayer diese Ehrung bekannt. Hans Carossa - er spricht allerdings mißverständlicherweise vom „Winter 1953“ - erinnerte sich, dass Wilder jungen Autoren freundschaftliche Ratschläge geben und sie ermutigen wollte, „sich ja nicht vor der Beeinflussung durch andere Dichter und Schriftsteller zu fürchten, ja sich der Begeisterung für verehrte Meister getrost hinzugeben“ (Hans Carossa: Geschichte einer Jugend, Wiesbaden 1957, S. 547).

Wilder galt damals wie später als konservativ wegen seines christlichen Weltbildes, als revolutionär wegen der von ihm eingeleiteten ästhetischen Erneuerungen in der Dramentechnik (Wolfgang Meyer: Zum Widerspruch zwischen innovatorischer Dramaturgie und konservativer Weltsicht, o.O. 1979). Er selbst sagte bei jener Veranstaltung mit den jungen Autoren über sich: „Ich bin kein Erfinder neuer Moden, sondern – bestenfalls – ein Erneuerer alter Schätze. Ein Aufpolierer, wenn Sie wollen. Mein ganzes literarisches Leben ist nichts als eine Kette von immer neuem, törichten Erglühen für die Meister, die ich bewundere“ (Ein Amerikaner in München, in: Der Spiegel, Nr. 5, 28. Januar 1953). Und auch der Spiegelbericht von der Veranstaltung mit den jungen Autoren sprach von Wilders „optimistischen all-amerikanischen Menschheitsglauben“ (ebd.).

Am 1. März 1953 berichtete nun Färbers „Der christliche Sonntag“, dass der amerikanische Schriftsteller Thornton Wilder bei Guardini gewesen sei (Der christliche Sonntag: Thornton Wilder bei Guardini, in: Der christliche Sonntag, Freiburg, 1953, 9, 1. März). Wilder selbst erzählte von dieser Begegnung in einem Interview mit Georg Wagner auf die Frage, was er über die Beziehung zwischen Katholiken und Protestanten denke: „Today, more than ever before, the gap between the two has to be bridged; our most dearly held common convictions are at stake. A short while ago I had a talk with Professor Romano Guardini in Munich, and he made a deep impression on me. It is significant that he, who considers theology to be the crown of the arts and sciences (an idea I share), is able to address the seemingly least complex and simple manifestations of life from this all-embracing point-of-view. And he is so modest! He says: `I am an optimist, but maybe I´m wrong!´ I too am an optimist and maybe I´m mistaken too. And it is very much also a matter of temperament and disposition as to which ideas we embrace and in which direction we move. Above all, the writer has to be honest and sincere to himself and in his work has to avoid false pretenses. A Christian writer should display in every part of his work the spirit of divine love. Graham Greene and Francois Mauriac, for example, are often too relativistic. Their writings are not of a piece; there seem to exist two contradictory domains. And although the works of Paul Claudel used to mean much to me, that has changed very much for similar reasons. The overly zealous `Ego´ still plays too much of a role in his work. … A Christian should be Christian in every fiber of his being and his work. His work should be pervaded by all-encompassing divine love; to a large extent, life and works have to form a united whole” (Conversations with Thornton Wilder, hrsg. von Jackson R. Bryer, London 1992, S. 59f.; zuerst in: Freude an Büchern, 4, 1953, Juni, S. 126-128 (übersetzt von Irmgard Wolfe).

Wilder war noch so lange von dieser Begegnung beeindruckt, dass er Guardini über Lambert Schneider sein Preisgeld für den 1957 erhaltenen Friedenspreises des Deutschen Buchhandels anvertraute, um damit junge Wissenschaftler zu fördern (Guardini, Stationen und Rückblicke/Berichte über mein Leben, a.a.O., S. 256, Eintrag zum 10. Februar 1958).

Die anlässlich der Preisverleihung gehaltene Dankesrede Wilders stand unter dem Thema „Kultur in einer Demokratie“. Er nahm darin Stellung zu den viel diskutierten Gefahren für die Kultur „im Zeitalter des Gemeinen Mannes, im Zeitalter der Demokratie“. Geradezu in Guardinis Tenor fasste er das Verhältnis von Kultur und Demokratie realistisch zusammen: „Die Führerschaft von Eliten macht der Führerschaft der Mehrheitsmeinung Platz. Das ist die Kultur unter einer Demokratie.“ Davon unabhängig sah er wie Guardini aber die Einstellung zu dieser Entwicklung, die wesentlich „von unserem Glauben an die möglichen Kräfte, an die sagen wir: intuitiven Fähigkeiten des Durchschnittsmenschen in einer Demokratie“ abhänge (www.boersenverein.de/sixcms/media.php/806/1957_wilder.pdf: Der Friedenspreis des Deutschen Buchhandels 1957: Thornton Wilder, S. 7). Es folgte eine harte Kritik der „feudalen Fiktion“, die bestärkt worden sei „durch das Gottesgnadentum, die Stellung des Vaters und die Gesetze der Schwerkraft.“ Er kritisierte das dahinterstehende Gottesbild von Gott als König und Vater und stellte ihm ein „Er ist Geist“ entgegen: „Er will uns nicht als Kinder, er will uns als Männer und Frauen. Und da es keine Könige mehr gibt, ist es nun unsere Pflicht, nicht länger mehr Untertanen zu sein, sondern Mitregenten. Gott steht nicht droben – er ist in uns und um uns und unter uns“ (ebd., S. 8 f.). Gegen diesen Feudalismus sei nun Demokratie „nicht nur das Streben nach einer sozialen Gleichheit der Menschen, sondern auch das Bemühen, ihnen die Gewissheit zu geben, dass sie in Gottes Gnade gleich sind – sie sind nicht Söhne und nicht Untertanen und nicht Niedriggeborene. Dieses Bemühen wird einige Zeit erfordern. ... Kultur unter einer Demokratie hat ihre Gefahren – aber auch eine Hoffnung und Verheißung: Ihr öffnet sich ein neues ungeheures Thema, das zu beschreiben, das mit Gedanken zu durchdringen, das auszudrücken und das zu erforschen ist: DER MENSCH ERHOBENEN HAUPTES.“ „Die Demokratie hat eine große Aufgabe, nämlich neue Mythen, neue Metaphern und neue Bilder zu erschaffen und den Stand der neuen Würde aufzuzeigen, in die der Mensch getreten ist“ (ebd., S. 9 f.).

Immerhin proklamierte Wilder hier 1957 die Entthronung des Vaters und damit ein wesentliches Leitbild konservativer Gesinnung, was es um so schwerer macht, ihn auf eine bestimmte Geisteshaltung oder bestimmte zeitgenössische Theaterrichtung festzulegen. Sein Optimismus, seine „nahezu unbekümmerte Bejahung des Lebens“ war so im konservativen Abendland nicht mehr anzutreffen (Heinz Beckmann: Thornton Wilder, Velber bei Hannover 1966, S. 11).

Es mag einigen immer noch schwer fallen, Guardini gemeinsam mit Wilder als „katholische Optimisten“ zu sehen, doch genau dies ist der Tenor ihrer Reden: Jeder einzelne muss die Demokratie zu dem machen, was sie auch sein kann: Mitregentschaft der „Menschen erhobenen Hauptes“ im „Stand der neuen Würde“.

Bibliographie zu Guardini

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