Zum politischen Problem des Völkerbundes

Aus Romano-Guardini-Handbuch

147 (G 41/OO VI): Zum politischen Problem des Völkerbundes, in: Die Schildgenossen, 5, 1924/25, 3 (Mai 1925), S. 288-291 [Mercker 0197];

Nachdrucke und Auszüge

  • eingegangen in: Wurzeln eines großen Lebenswerks. Romano Guardini (1885-1968). Aufsätze und kleinere Schriften, Bd. II, 2001 (G 41), S. 252-257 [neu aufgenommen]

Guardini-Konkordanz

Übersetzungen (in mind. 1 Sprache)

  1. OO VI: Sul problema politico della Società delle Nazioni, in: Opera omnia VI. Scritti politici, Brescia 2005 (hrsg. von Michele Nicoletti), S. 195-200, ins Italienische übersetzt von Maurizio Merlo, Maurizio Ricciardi und Giulio Colombi [neu aufgenommen]

Zusammenfassung und Kommentierung (Helmut Zenz)

Auch das "politische Problem des Völkerbundes" beschäftigte Guardini weiter: "Ist der Völkerbund .... eine politische Wirklichkeit?" (252), war seine Fragestellung. Ethisch gesehen sei der Völkerbund sicher eine fragwürdige Sache, da "Menschen, die für die Völkerbundsidee arbeiten ... genau so unzulänglich" sind, "wie jene, die das staats-individualistische System vertreten." Demnach sind ethisch gesehen auch alle Staaten eine fragwürdige Angelegenheit (254).

Den Begriff des Staatsindividualismus gebrauchte in der Weimarer Republik unter anderem Hans Kelsen zur Unterscheidung seines eigenen Menschheitsuniversalismus mit einer Unterordnung der Souveränität unter das Völkerrecht gegenüber dem Festhalten Carl Schmitts an der klassischen Deutung der Souveränität als „ius ad bellum“: „Subjektive und objektive Rechtsanschauung stehen im Kampfe um die heutige Jurisprudenz. Sonderlich die Völkerrechtstheorie schwankt zwischen den Gegensätzen einer staats-individualistischen und einer menschheits-universalistischen Betrachtungsweise, zwischen dem Subjektivismus des Primats staatlicher Rechtsordnung und dem Objektivismus des Primats des Völkerrechts unsicher hin und her. ... Aber dennoch ist sie auf dem sicheren Wege zu einer objektivistischen Rechtsanschauung“[Hans Kelsen Das Problem der Souveränität und die Theorie des Völkerrechts, Tübingen (2)1928, S. 319 f.; Vgl. dazu Schmitt, Carl: Politische Theologie – Vier Kapitel zur Lehre von der Souveränität, München (2)1934, S. 11]. Kelsen sah ein Schwanken zwischen den beiden Gegensätzen mit einer eindeutigen Entwicklung zugunsten einer „objektivistischen“ Rechtsanschauung, bei ihm verbunden mit dem „Primat des Völkerrechts“.

Durch die Betonung der Unzulänglichkeiten auf beiden Seiten versuchte Guardini den Gegensatz dagegen in einer Spannung zu halten. Demnach ist der Völkerbund ebenso eine „politische Realität“ wie die Staaten, gerade weil auch er von Realpolitik erfasst wird. Er bleibt es also selbst gegen die Gesinnung und das konkrete Verhalten der Menschen und gegen die Empörung, "dass hier unter dem Deckmantel der höchsten Ideale dem eigenen Volk Unrecht getan wird." Der Völkerbund sei, so Guardini, zunächst – wie auch die Staaten - ein Werkzeug und nicht Geist, denn der liegt im Menschen, der das Werkzeug handhabt (256). Daher betonte Guardini, dass die Völkerbundsidee – ebenso wie die Staatsidee - an sich weder etwas mit Pazifismus noch mit Militarismus zu tun habe. Ob die Völkerbundsidee zum Frieden beiträgt oder zum Krieg führt, hänge vom lebendigen Menschen ab, der in jedem Fall die Idee ernst nehmen sollte (257).

Erneut grenzte sich Guardini gegen eine "machiavellistische, morallose Politik" ab, denn "was wirklich sittlich falsch ist, kann nicht politisch richtig sein." Und er verweist auf die politische Macht der sittlichen Mächte, "sobald sie politisch eingesetzt werden" (255 f.) Dennoch bestand Guardini darauf, "das Spezifisch-Politische in seiner Reinheit herauszustellen. Es gibt Durcheinander, wenn man die Gesichtspunkte vermengt. Sobald man in politische Fragen ethische Gesichtspunkte am unrechten Ort einführt, wird der Handelnde von den nächsten Wirklichkeiten abgelenkt; kommt in Versuchung, sich das Studium der Sachverhalte zu schenken" (256).