Romano Guardini und die Friedensbewegung: Unterschied zwischen den Versionen
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[[Christoph]] | [[Christoph Weber]] behauptete in seinem Aufsatz „Christliche Pazifisten in der Weimarer Republik": „Die katholische Jugendbewegung, besonders die führende Gruppe des Quickborn unter Romano Guardini, hat sich nicht wirklich für den Friedens-bund eingesetzt. Die Gründe liegen letztlich in der romantisch-liturgisch-lebensreformerischen Mentalität, der man ungestraft ein Nicht-Verhältnis zur konkreten Politik“ (Christoph Weber: Christliche Pazifisten in der Weimarer Republik, in: Frieden in Geschichte und Gegenwart, hrsg. vom Historischen Seminar der Universität Düsseldorf, Düsseldorf 1985, S. 150-161, S. 153) Weber wusste zwar um die Rolle von Friedrich Dessauer im Friedensbund und im „Verein zur Abwehr des Antisemitismus“, aber offensichtlich nicht von seinen vielschichtigen Vernetzungen mit Guardini und dem Quickborn. | ||
Die gegenteilige Position vertritt zum Beispiel [[Christoph Koch]] im Anschluss an [[Dieter Riesenberger]], nach dem der 1919 gegründete Friedensbund deutscher Katholiken „seine Anhänger vor allem unter der niederen Geistlichkeit, bei Teilen der katholischen Jugendbewegung (Quickborn, Windthorst, Katholischer Jungmännerverband), bei einzelnen Regional- bzw. Lokalgruppen größerer Organisationen (Junges Zentrum, Kolpingverein), vermutlich wohl auch unter katholischen Arbeitervereinen“ fand (Christoph Koch (Hrsg.): Vom Junker zum Bürger: Hellmut von Gerlach - Demokrat und Pazifist in Kaiserreich und Republik, 2009, S. 179 unter Berufung auf Riesenberger, Dieter: Friedensbund deutscher Katholiken, in: Helmut Donat/Karl Holl (Hrsg.): Die Friedensbewegung. Organisierter Pazifismus in Deutschland, Österreich und in der Schweiz, Düsseldorf 1983 (Hermes Handlexikon), S. 140-142, hier S. 141). | Die gegenteilige Position vertritt zum Beispiel [[Christoph Koch]] im Anschluss an [[Dieter Riesenberger]], nach dem der 1919 gegründete Friedensbund deutscher Katholiken „seine Anhänger vor allem unter der niederen Geistlichkeit, bei Teilen der katholischen Jugendbewegung (Quickborn, Windthorst, Katholischer Jungmännerverband), bei einzelnen Regional- bzw. Lokalgruppen größerer Organisationen (Junges Zentrum, Kolpingverein), vermutlich wohl auch unter katholischen Arbeitervereinen“ fand (Christoph Koch (Hrsg.): Vom Junker zum Bürger: Hellmut von Gerlach - Demokrat und Pazifist in Kaiserreich und Republik, 2009, S. 179 unter Berufung auf Riesenberger, Dieter: Friedensbund deutscher Katholiken, in: Helmut Donat/Karl Holl (Hrsg.): Die Friedensbewegung. Organisierter Pazifismus in Deutschland, Österreich und in der Schweiz, Düsseldorf 1983 (Hermes Handlexikon), S. 140-142, hier S. 141). |
Version vom 2. Juli 2024, 17:06 Uhr
Romano Guardini und die Friedensbewegung
Vorbemerkung
Christoph Weber behauptete in seinem Aufsatz „Christliche Pazifisten in der Weimarer Republik": „Die katholische Jugendbewegung, besonders die führende Gruppe des Quickborn unter Romano Guardini, hat sich nicht wirklich für den Friedens-bund eingesetzt. Die Gründe liegen letztlich in der romantisch-liturgisch-lebensreformerischen Mentalität, der man ungestraft ein Nicht-Verhältnis zur konkreten Politik“ (Christoph Weber: Christliche Pazifisten in der Weimarer Republik, in: Frieden in Geschichte und Gegenwart, hrsg. vom Historischen Seminar der Universität Düsseldorf, Düsseldorf 1985, S. 150-161, S. 153) Weber wusste zwar um die Rolle von Friedrich Dessauer im Friedensbund und im „Verein zur Abwehr des Antisemitismus“, aber offensichtlich nicht von seinen vielschichtigen Vernetzungen mit Guardini und dem Quickborn.
Die gegenteilige Position vertritt zum Beispiel Christoph Koch im Anschluss an Dieter Riesenberger, nach dem der 1919 gegründete Friedensbund deutscher Katholiken „seine Anhänger vor allem unter der niederen Geistlichkeit, bei Teilen der katholischen Jugendbewegung (Quickborn, Windthorst, Katholischer Jungmännerverband), bei einzelnen Regional- bzw. Lokalgruppen größerer Organisationen (Junges Zentrum, Kolpingverein), vermutlich wohl auch unter katholischen Arbeitervereinen“ fand (Christoph Koch (Hrsg.): Vom Junker zum Bürger: Hellmut von Gerlach - Demokrat und Pazifist in Kaiserreich und Republik, 2009, S. 179 unter Berufung auf Riesenberger, Dieter: Friedensbund deutscher Katholiken, in: Helmut Donat/Karl Holl (Hrsg.): Die Friedensbewegung. Organisierter Pazifismus in Deutschland, Österreich und in der Schweiz, Düsseldorf 1983 (Hermes Handlexikon), S. 140-142, hier S. 141).
Riesenberger hatte 1976 über den Friedensbund geschrieben: „Der Friedensbund verstand sich nicht als bewusst konstruierte Organisation, denn: `Wäre er ein künstliches Gewächs gewesen, nur Organisation und nicht gleichsam mit dem Herzblut einer kleinen opferfreudigen Schar bewusst pazifistisch eingestellter Katholiken getränkt und belebt worden, er wäre alsbald wieder zu Grabe getragen worden. Soweit unser Bund heute eine festgefügte Organisation ist, ist diese das Ergebnis einer organischen Entwicklung.´ [...] Der Wille, Bewegung zu sein und nicht Organisation, eine Gemeinschaft opfer- und kampffreudiger Katholiken zu sein und nicht Mitglieder eines künstlich gegründeten Vereins, hat seine Hintergründe und Ursprünge in der katholischen Jugendbewegung, in deren Verbindung mit der liturgischen und eucharistischen Bewegung, wie sie vor allem im `Quickborn´, in dem an Zahl und Bedeutung hervorragenden unter den nicht von der Amtskirche gegründeten Gruppierungen, sich darstellte. So verstand sich Quickborn ganz als Bewegung und religiöse Gemeinschaft: »Leben und Ziel der Gemeinschaft sollten nicht von Satzungen festgemauert, sondern vom lebendigen Zusammenspiel aller jeweiligen Träger der Bewegung geprägt werden.« (92 Fr. Henrich, Die Bünde katholischer Jugendbewegung. München 1968, S. 105.) Quickborn verstand sich nach R. Guardini als Gegenpol zur religiösen Situation, wie sie um 1900 gesehen wurde, in der die Kirche nicht als religiöse Wirklichkeit, sondern als formale Einrichtung und nicht als Gemeinschaft sich darstellte; in der es nur wenig Bindung der Gläubigen an die Pfarrgemeinde gab; in der das Kommunizieren als rein individualistisches Geschehen verstanden wurde; in der die Kirche vor allem religiöse Zweck- und Rechtsanstalt war und kein Empfinden für ihre mystische Wirklichkeit hatte (93 Guardini, Das Erwachen der Kirche in den Seelen, in: Id., Vom Sinn der Kirche. Fünf Vorträge. Der katholischen Jugend zu eigen. Mainz 21923, S. 7.) Diese negative Umschreibung dessen, was man positiv wollte, führte zu der Forderung, die Quickborner sollten »Katholiken der Tat« (94 Zitiert bei: Fr. Henrich, a.a.O., S. 98.) sein, um wirksam an der Erneuerung der Kirche zu arbeiten. Den Kern dieser Erneuerungsarbeit sah man in der Liturgie, da gerade sie zum `Christentum des Tuns erzieht. Nicht nur Epistel und Evangelium, sondern die ganze Liturgie weist ständig auf den unlösbaren Zusammenhang von Gesinnung und Tat hin“.(95 Schildgenossen 4/1923/24, S. 87.) Kern des religiös-liturgischen Gemeinschaftserlebens war die eucharistische Feier.(96 Fr. Henrich, a.a.O., S. 121.) Dieses von R. Guardini stark beeinflußte Selbstverständnis des Quickborn mit seinem mehr „philosophisch-anthropologischen“ als „politisch- als »politisch-ideologischen« Verhältnis zum Staat und das starke liturgische Engagement verhinderten eine konkrete Stellungnahme des Bundes zu tagespolitischen Fragen.(Kl. Breuning, Die Vision des Reiches. Deutscher Katholizismus zwischen Demokratie und Diktatur (1929-1934). München 1969, S. 91 f.) Eine ähnliche Enthaltsamkeit findet sich in den ersten beiden Jahrgänger der „Katholischen Friedenswarte“, wenn auch – aber dies blieb einstweilen sporadisch – bereits im zweiten Heft des ersten Jahrganges angekündigt wurde, dass unter der Überschrift »Reale Friedenspolitik« ein außenpolitischer Aufsatz erscheinen sollte, »der durchgängig dem Versuch gewidmet ist, aus einer Betrachtung der jeweiligen Situation die realpolitischen Möglichkeiten einer positiven Friedensarbeit nachzuweisen«, da die Zeitschrift nicht nur der Erziehung zur Friedensgesinnung dienen sollte, »sondern zugleich der Klärung strittiger friedenspolitischer Fragen«.(98 Nachwort der Schriftleitung zum Aufsatz von H. Scharp, Reale Friedenspolitik, in: Katholische Friedenswarte 1/1924/25, H. 3/4, S. 12. - H. Scharp, Chefredakteur der RMV, war stark außenpolitisch orientiert) Diese mehr indirekten Zusammenhänge zwischen Quickborn, katholischer Jugendbewegung überhaupt und Friedensbund werden bestätigt, wenn man den personellen Verflechtungen zwischen beiden Gruppen nachzugehen versucht. Das Mitarbeiterverzeichnis in der ersten Nummer »Katholischen Friedenswarte« gibt dazu eine, wenn auch bescheidene, so doch ausreichende Möglichkeit.(99 Katholische Friedenswarte 1/1924/25, H. 1/2, S. 6.) Als führende und bekannte Persönlichkeiten aus den katholischen Jugendbünden werden E. Thrasolt, H. Platz, C. Noppel (S.J.), C. Mosterts, E. Michel, H. Hoffmann, N. Ehlen und J. Antz aufgeführt.(100 Angaben zu E. Thrasolt, H. Platz, C. Noppel, E. Michel, H. Hoffmann, N. Ehlen und J. Antz bei Fr. Henrich, a.a.O., Namensregister). Dieses Verzeichnis der Mitarbeiter läßt eine weitere bemerkenswerte Feststellung zu: Von den insgesamt 54 genannten Mitarbeitern gehörten etwa 14 dem geistlichen Stand an. Diese starke Beteiligung des Klerus zumindest in der frühen Zeit des Friedensbundes wird bestätigt von einer Übersicht der Ortsgruppen und Arbeitsgemeinschaften des F.D.K, aus dem Jahre 1925. Aus ihr geht hervor, dass von den insgesamt 51 Gruppen die überwiegende Mehrheit, nämlich 42 Gruppen, von angehenden oder amtierenden Geistlichen geleitet wurden, von denen wiederum 16 Theologiestudenten oder Kapläne waren, also dem jungen Klerus angehörten und – wie mit Sicherheit angenommen werden darf - der katholischen Jugendbewegung nahestanden.(101 Katholische Friedenswarte 1, 1924/25, H. 9/10, S. 12.) Diese starke Beteiligung vor allem der jüngeren niederen Geistlichkeit stand in Gegensatz zu dem Verhalten der Bischöfe, die sich im allgemeinen dem Friedensbund gegenüber neutral, manchmal auch ablehnend gaben. Auch die Zusammensetzung des ersten Bundesvorstandes spiegelt den starken Einfluß des jüngeren Klerus wider.(102 1. Vorsitzender: Kreisschulrat Dr. Miller (Hechingen), 2. Vorsitzender: Pater Fr. M. Stratmann (Köln), 1. Schriftführer: Kuratus F. Hinz (Berlin), 2. Schriftführer: Kaplan Fr. Waibel (Heufelden), Als Beisitzer fungierten Frl. E. Hocks und Frau Cl. Siebert (M. d. bad. L.)) Es ist selbstverständlich, dass der Friedensbund, der sich ja bewusst als katholische Friedensorganisation verstand, um die katholische Geistlichkeit sich besonders bemühte - nicht zuletzt auch aus der Einsicht, dass die Mitwirkung der Geistlichkeit die Erfolgsaussichten des Friedensbundes unter den deutschen Katholiken entscheidend beeinflussen musste“ (Dieter Riesenberger: Die katholische Friedensbewegung in der Weimarer Republik, 1976, S. 43f.).
1981 ergänzte Riesenberger: „Der `Friedensbund Deutscher Katholiken´ sah seine Aufgabe darin, dem Friedensgedanken als dem zentralen christlichen Auftrag zur Geltung zu verhelfen, nicht zuletzt innerhalb der katholischen Kirche selbst. Unterstützt und getragen wurde die Friedensbewegung von einem vehementen religiös-kulturellen `Aufbruch´, von dem Erwachen eines `ver sacrum catholicum´ unter den jungen Katholiken, die sich z. T. unter der Leitung R. Guardinis im `Quickborn´, aber auch in anderen Bünden zusammengefunden hatten. Mit Recht wurde dazu festgestellt, es habe sich dabei keineswegs `um eine abseitige romantisch-sektiererhafte oder überhaupt politisch bedeutungslose Gruppe (gehandelt). Jeder Kenner des geistigen Raumes jener Jahre weiß, dass es sich hier um ein Geschehen von sehr hohem geistigem Rang und von beispielhafter Bedeutung handelte.´ Dieser religiöse Aufbruch wandte sich gegen einen Kirchenbegriff, der Kirche nicht als religiöse Realität, sondern als formale Einrichtung, nicht als Gemeinschaft, sondern als Organisation, nicht als mystische Wirklichkeit, sondern als religiöse Zweck- und Rechtsanstalt verstand. Die Hinwendung zur religiösen Substanz der Kirche führte zu weitreichenden Diskussionen über ein neues Selbstverständnis der Kirche in ihrer Begegnung mit der Welt, über ihre Wirkungsweise in der ...“ (Dieter Riesenberger: Der »Friedenshand Deutscher Katholiken« und der politische Katholizismus in der Weimarer Republik, in: Karl Holl/Wolfram Wette: Pazifismus in der Weimarer Republik, Paderborn 1981, S. 91-111, S. 102. Mit Zitat aus Lutz, Heinrich: Demokratie im Zwielicht, 1963, S. 110).
Einflüsse aus der deutschen Friedensbewegung und Friedenserziehung
Zeitgenössiche Entwicklungen in der katholischen Friedensbewegung
- Marc Sangnier, der Sillon und die Demokratische Internationale
- Max Joseph Metzger und der Friedensbund Deutscher Katholiken (siehe auch Friedrich Dessauer