Guardinis Konzept der "katholischen Demokratie"

Aus Romano-Guardini-Handbuch

Guardinis Konzept der "katholischen Demokratie" (Autor: Helmut Zenz)

Der personale "Gott ist ein Politikum"

Die personale Verantwortung vor einem personalen Gott zeigt sich im Bereich des Politischen für Guardini gerade in der “Demokratie”; diese aber nicht verstanden als „demokratistische“, d.h. ideologisch egalitäre Gesellschaftsform („Volksdemokratie“, „Basisdemokratie“) oder als „demokratistische“, d.h. ideologisch nicht minder totalitäre Staatsform („Führerdemokratie“). Abgesehen vom Ausschluss dieser Extreme bleibt die Frage nach der Gesellschafts- und Staatsform für Guardini wie auch schon für Ketteler letztlich sekundär. Entscheidend für die Beurteilung einer real-existierenden Demokratie als Staats- und Gesellschaftsform ist der von Guardini eindeutig formulierten Zusammenhang zwischen der Gottesleugnung und der Leugnung der Freiheit der Person: „Es wäre falsch, die Beziehung auf Gott mit einer bestimmten Form, etwa der monarchischen gleichzusetzen. Jede echte Staatsform ist auf Gott bezogen, ob sie nun Monarchie, oder Aristokratie, oder Demokratie ist. Verschieden sind nur die Weisen, wie jeweils die Autorität verkörpert und ausgeübt, wie ein Gesetz zu Stande gebracht und staatliche Entscheidungen getroffen werden. Ebenso wäre es falsch, die Demokratie mit liberaler oder skeptischer Weltanschauung gleichzusetzen. ... Auch die Demokratie muss ihre Autorität von Gott her begründen, wenn sie echter Staat, und nicht nur eine Sicherheits- und Wohlfahrtsorganisation sein will. … Auch hierin ist Gott ein Politikum. Er allein garantiert den sittlichen Charakter der politischen Existenz” (Guardini, Ethik, a.a.O., S. 881).

„Zum Problem der Demokratie“

Bereits 1946 nahm Guardini – in einem damals im Freundeskreis verbreiteten, aber erst 1970 von Felix Messerschmid aus dem Nachlass veröffentlichten - Text nachdrücklich Stellung “Zum Problem der Demokratie” (Zum Problem der Demokratie. Der Versuch einer Klärung, Staatsbibliothek München 1946, jetzt in: Geschichte und Wissenschaft, 21. Jg., 1970, S. 711-716; jetzt auch in: ders., Wurzeln eines großen Lebenswerks, Bd. 3, S. 320-328).

  • Anlass war ein Vortrag von Prof. Pierre-Paul Sagave (* 1913) und ein Referat von Felix Messerschmid, in denen unter anderem auch die Probleme der Demokratie behandelt wurde. Messerschmid hatte laut Guardini davon gesprochen, dass “die Jugend ... die Demokratie als eine Sache der Alten“ betrachte und „die Forderung, demokratisch zu denken, als einen Versuch der Alten, ihr die eigene Denkweise aufzuzwingen”, empfinde.
  • Guardini versuchte nun mit seiner Stellungnahme, das Problem für sich selbst und seinen Freundeskreis folgendermaßen zu klären und zu erkläen. Er begann mit einem Selbstbekenntnis: "Ich persönlich glaube wirklich, ein Demokrat zu sein - ich füge sofort hinzu, ein katholischer Demokrat, der absolute Werte und objektive Autoritäten als gegeben anerkennt.“
  • Aus dem durch seine Erfahrungen mit der Jugendbewegung, mit Quickborn und der Arbeit auf Burg Rothenfels bestimmten Gefühl heraus, beschrieb er sein Verständnis von Demokratie als „einen Zustand des Lebens, in welchem die primäre Initiative des sowohl persönlichen wie öffentlichen Tuns im einzelnen liegt. Dieser Initiative steht gegenüber ein wachsendes Bewusstsein vom Recht des anderen und vom Recht der Ganzheiten der res publica. Sobald Letztere in legitimer Form eine Sache definiert hat (Verfassung, Gesetz, Urteilsspruch usw.), bindet sie mich, auch wenn ich anderer Meinung bin. So bleibt mir denn nur der vom Gesetz vorgesehene Weg, dagegen anzugehen. Zum demokratischen Grundgefühl gehört weiter die unwillkürliche Geneigtheit, mehr als das: die Selbstverständlichkeit, dass alle Fragen, die in den Lebensbereich des anderen oder in den der Gemeinschaft greifen, in ebenbürtiger Verhandlung, in einem vernünftigen und von Achtung getragenen Ausgleich gelöst werden" (ebd., S. 712).
  • Guardini benannte dafür mehrere Voraussetzungen: "Der einzelne muss das Gefühl eines persönlichen, geformten Daseins haben; das, was die Vergangenheit mit dem Begriff nicht der Person, sondern der Persönlichkeit gemeint hat. Er empfindet die Einzigartigkeit jeder Persönlichkeit. ... Das Zweite ergibt sich ohne weiteres hieraus: Der demokratisch gesinnte Mensch ist fähig, auf sich selber zu stehen, seinen Weg zu gehen, sein eigenes Leben zu gestalten. Wohl verlangt er nach Gemeinschaft, aber als von Persönlichkeit zu Persönlichkeit, mit all den Spannungen, die aus der Einmaligkeit beider entspringen. Und er verlangt die Möglichkeit, immer wieder in den eigenen Bereich zurückzukehren, auch auf die Gefahr hin, darin nicht nur mit sich allein, sondern in sich einsam zu sein. ... Der demokratisch gesinnte Mensch empfindet ganz primär den Wert der Freiheit, und zwar der persönlichen sowohl wie der des Gesamtwesens, in welchem er steht. Letztere Freiheit wird nicht nur durch äußere Unterdrückung seitens fremder Mächte, sondern sogar viel mehr noch von innen her zerstört, sobald die Persönlichkeit nicht die Stellung hat, die ihr gebührt. Bisherige Demokratie setzt also ein Gleichgewichtsverhältnis zwischen individueller Selbständigkeit und objektiver Ordnung voraus. Das wiederum setzt voraus, dass die Anzahl der in Betracht kommenden Menschen nicht so groß ist, dass daraus die Masse wird, sondern dass die Persönlichkeit immer noch ein - wen auch noch so wenig erreichtes - Normbild darstellt. Setzt ferner voraus, dass die wirkenden ökonomischen, geistigen, sozialen Energien von Persönlichkeiten empfunden, getragen und vertreten sind, so dass sie nicht den anonymen Charakter durchgehender Gewalten annehmen" (ebd., S. 713).
  • Guardini stellte an dieser Stelle die rhetorische Frage, ob diese Voraussetzungen heute noch gegeben seien und bezweifelte dies: "Ich konstatiere im Durchschnitt der Menschen, besonders der jüngeren, folgendes: Sie empfinden die Persönlichkeit nicht mehr als unbedingten Wert. Sie verlangen nicht danach, sie selbst zu sein, sondern sind unwillkürlich bereit, in einem Ganzen aufzugehen. Die Ganzheit steht mit einer solchen Wucht im Bewusstsein, dass nicht einmal das Gefühl durchdringt, `Glied´ zu sein, was immer etwas Organisches bedeutet und eine Spannung des Einzelnen zum Ganzen voraussetzt, sondern Ziffer in einer Vielzahl, Element in einem Eigentlich-Seienden. Selten treffe ich auf das für die Demokratie elementare Verlangen nach Freiheit. Man will gar nicht frei sein, sondern man verlangt den Befehl und legt das Ethos in dessen saubere und sachliche Durchführung" (ebd., S. 714).
  • Ein noch bedeutenderes Faktum stellte für Guardini die Entstehung eines neuen Menschentypus dar, für den der einzelne wie die Masse unwichtig seien. Für diesen Typus gehe es primär um die Sicherung seiner eigenen Position in der Gesellschaft, um deretwillen er die ungeheuerlichsten Menschenopfer in Kauf nimmt (vgl. ebd., S. 715).
  • Offen schrieb Guardini abschließend über die Verunsicherung, die diese Entwicklung für ihn selbst bedeute, der zu den Menschentyp gehöre, „der seinem ganzen Wesen nach in der zu Ende gehenden Kultur wurzelt.“ Jeder müsse für sich entscheiden, wie er sich diesen geschichtlichen Umbrüchen stelle. Es werde „darauf ankommen, ob man sich darauf stützt, dass die geschichtlichen Umbrüche ja niemals mit einem Ruck vor sich gehen, sondern Stränge des Früheren noch lange über die Zeit hinaus laufen, in der der Mittelpunkt, der Schwerpunkt des Geschehens schon längst anderswohin gerückt war, und ob man sich so etwas sucht, worin das Frühere `noch´ besteht - oder ob man sich berufen fühlt, in das Neue einzutreten und dort mitzuwirken, um den Ertrag des Früheren hinüberzuretten, bzw. ob man nach der Weise sucht, wie das Menschlich-Unerlässliche im Neuen zur Geltung kommt" (ebd., S. 716).
  • Dieser letzte Satz ist für mich der Anlass, davon zu sprechen, Guardini habe eine "Politische Theologie des Menschlich-Unerlässlichen im Neuen" entwickelt und vertreten.

Keine Ablehnung der repräsentativ-parlamentarischen Demokratie als politisch-republikanische Form

Im Unterschied zu vielen anderen politischen Theologen seiner Zeit lehnte Guardini also zu keinem Zeitpunkt die repräsentativ-parlamentarische Demokratie als politisch-republikanische Form ab, auch wenn er deren Handhabung durch die politische Führungselite und die damaligen Parteien im Einzelfall durchaus kritisierte.

  • Dagegen äußerte er fundamentale Vorbehalte gegenüber allen identitär-plebiszitären Formen. Wie schon bei seinem Europaverständnis, ging es ihm um Demokratie als verantwortete Gesinnung und Haltung. Er forderte die aristokratische, anti-demokratistische Haltung des echten Demokraten in der Demokratie; und analog dazu die demokratische, anti-aristokratistische Haltung des echten Aristokraten in der Aristokratie. Jeglichem elitären Aristokratismus der römischen Monarchisten stand Guardini ebenso fern wie dem egalitären Demokratismus der anti-römischen Anarchisten. Man darf nicht vergessen, dass der Weg der Katholischen Kirche „aus dem Ghetto“ zu Beginn des 20. Jahrhunderts, tatsächlich die Bandbreite vom Katholischen Monarchismus bis zum Katholischen Anarchismus abdeckte. Beides lehnte Guardini als entweder „zu romanisch“ oder „zu germanisch“ entschieden ab, ebenso wie die zugehörigen nationalkirchlichen, antirömischen oder ultramontanen, antipreußischen „Affekte“.
    • Der Begriff „antirömischer Affekt“ wurde von Carl Schmitt als Schlagwort eingeführt zur Kennzeichnung jener Gegner, die in der römisch-katholischen Kirche die Haltungen des Romanismus, Jesuitismus, Ultramontanismus und Papalismus kritisierten, weil diese gerade auch auf der konstatierten, großen politischen Macht des römischen Katholizismus fußen. Vgl. Carl Schmitt: Römischer Katholizismus und politische Form, Hellerau 1923, S.7: “Es gibt einen antirömischen Affekt.“ Der Veröffentlichung geht auf einen Vortrag aus dem Jahr 1923 zurück. Vgl. dazu mit anderer Schwerpunktsetzung Hans Urs von Balthasar: Der antirömische Affekt, Freiburg u.a. 1974.
  • Guardini sah die Demokratie nicht so sehr als Herrschafts- oder Lebensform des Staates und der Gesellschaft selbst, sondern in jeder politischen Form immer nur den Ausdruck eines Inhalts oder einer Idee, nicht jedoch des Trägers, ob nun Obrigkeit oder Volk. Er lehnte damit indirekt auch die Rede vom „Obrigkeitsstaat“ bzw. „Volkstaat“ ab, denn er war gegenüber dem Bestand jeder politischen Form skeptisch, wenn es zwischen ihr und dem Inhalt eine massive Diskrepanz gab, weil der Träger entweder nicht ausreichend oder aber zu stark das Prinzip der Integration (Integralismus), entweder nicht ausreichend oder aber zu stark das Prinzip der Pluralität (Pluralismus) durchzusetzen versuchte. Auch hier stellte er sich jeglicher dialektischen Vereinseitigung in Richtung des Integralismus und des Pluralismus entgegen, sowohl in Bezug auf den Staat als auch in Bezug auf die Kirche. Insofern sich also mit der Vorstellung des „Obrigkeitsstaates“ die „Kabinettspolitik alten Stils“ verband, „für welche die Persönlichkeit des Einzelnen politisch bedeutungslos und die Völker lediglich Objekte waren“, lehnte er sie genau so ab wie die Vorstellung eines „Volksstaates“, der sich in nationalistischer oder sozialistischer Verengung der politischen Größe der Menschheit und damit auch der Menschenwürde und Menschenrechte nicht stellt (Romano Guardini: Rettung des Politischen (1924), in: ders.: Wurzeln eines großen Lebenswerkes, Mainz/Paderborn 2001, Bd. 2, S. 214).

Vergleichbarkeit mit Ricarda Huch

Am ehesten vergleichbar ist Guardinis Auffassung dabei mit den Gedanken zur Demokratie, die Ricarda Huch (1864-1947) am 26. Juni 1946 vorgetragenen hat.

  • Die damals 82jährige Historikerin und Schriftstellerin eröffnete als Alterspräsidentin die beratende Landesversammlung des Thüringer Landtages in Weimar ganz im Guardinischen Duktus: “Demokratie ist eine Sache der Gesinnung. Sie mag formal noch so sorgsam ausgewogen sein, sie wird sich nicht als Volksfreiheit, was sie sein will, auswirken, wenn nicht Rechtsgefühl, Pflichtgefühl, Verantwortungsgefühl im Volke lebendig sind, mit diesen verbunden Selbstbewusstsein, das einem jeden festen Stand gibt und ihm verhindert, sich unter Willkür und totalitäre Staatsansprüche zu beugen. Dass es den Deutschen an diesen Eigenschaften fehlt, erklärt zu einem Teil wenigstens die Katastrophe, die wir erlebt haben” (Ricarda Octavia Huch: Gesammelte Werke: Gedichte, Dramen, Reden, Aufsätze und andere Schriften, 1966, Bd. 5, S. 827).
  • Ricarda Huch, die wie Guardini in rechten Kreisen als “große Konservative” und “antikapitalistisch, antimarxistisch, aber auch antidemokratisch” zu vereinnahmen versucht wird (vgl. zum Beispiel Wolfgang Saur: Natürliches Nationalgefühl, in: Junge Freiheit, 21/02 17. Mai 2002), sich selbst dagegen als “rebellische Republikanerin” sah, hatte 1919 in ihrem Essay “Entpersönlichung” die Zeiterscheinungen der geistlosen Rationalität, „der unheimlichen Neigung, Gesetze aufzusuchen“, der flachen Vergnügungen, der Gottferne, der Auflösung sozialer Bindungen als Verlust einer ursprünglichen Unbewusstheit und vormaligen Einheit kritisiert: "Mit der Umwandlung des Reichs der persönlichen Beziehungen in den unpersönlichen Staat, mit der Umwandlung der Naturalwirtschaft in Geldwirtschaft, mit der Begründung der Herrschaft der Wissenschaft begann die Entpersönlichung des Abendlandes" (Ricarda Huch: Entpersönlichung, Leipzig 1921, hier 1922, S. 12). Diese Einheit müsse wiedergewonnen werden in einer höheren Verbindung von Selbstbewusstsein und Gottesbewusstsein in der Liebe, aber nicht durch “das germanisch-mystische Raunen”, sondern durch “eine gescheitere, vielseitigere, vorurteilslosere, weniger rechthaberische Aufklärung” (Ricarda Winterswyl: Spiegelstücke der Erinnerung: biographisches und essayistisches über einige zeit- und kulturgeschichtliche Erscheinungen des 20. Jahrhunderts, 2000, S. 26f.). Nachdem sie selbst ihre “neuromantische Phase” (bis 1906) und ihre “historischen Phase” (1906-1915) durchlaufen hatte, hatte sich Huch in ihrer “philosophisch-religiösen Phase” (seit 1916) - diese Phaseneinteilung findet sich ebenfalls bei Ricarda Winterswyl (ebd., S. 17ff.) - eben jener Frage nach der Personalität zugewandt, die auch für Guardini bestimmend werden sollte. Die Entpersönlichung bzw. Verdinglichung des Menschen ist für Huch verursacht durch die mechanistische Denkart. Sie löse die Idee vom Leben und bevorzuge lebensfremde Abstraktionen. Sie atomisiere das Leben und mache auf diese Weise die Bahn frei für einen vielgestaltigen Impersonalismus; frei sowohl für die Entpersönlichung Gottes als auch die Entpersönlichung des anderen Menschen, schließlich zur Entpersönlichung des eigenen Selbst (Ricarda Huch: Entpersönlichung, Leipzig 1921; außerdem dies., Alte und neue Götter, Berlin/Zürich 1930; Zürich (Neuausg.)1944.)
  • Alfons Knoll weist bereits darauf hin, dass Guardini die Romantik-Schriften Huchs kannte und sich, von ihnen angeregt, mit Romantikern wie Novalis, Tieck, Brentano und Wackenroder beschäftigte (Vgl. Knoll, Glaube und Kultur, a.a.O., S. 75f. unter Berufung auf den unveröffentlichten Teil von Guardinis Berichten (Berichte. Erinnerungen aus meinem Leben (bis 1945; aber daraus nur einige Linien). Geistige Entwicklung und schriftstellerische Arbeit (7. März 1945), S. 23)).
  • Ricarda Huch teilte mit Guardini darüber hinaus die Wertschätzung gegenüber der Widerstandsgruppe “Weiße Rose” (Vgl. dazu Ricarda Huch: Nachruf auf Willi Graf, in: Die Wandlung, 1948. Weisenborn verarbeitete erstmals das von Ricarda Huch gesammelte Material (Vgl. Günther Weisenborn (Hrsg.): Der lautlose Aufstand: Bericht über die Widerstandsbewegung des deutschen Volkes 1933-1945, Hamburg 1953). Das eigentliche “Gedenkbuch” aus den im Nachlass befindlichen “Lebensbildern” und Materialien rekonstruierte dagegen erst neuerdings Wolfgang Matthias Schwiedrzik (Vgl. Ricarda Huch: In einem Gedenkbuch zu sammeln ...: Bilder deutscher Widerstandskämpfer, hrsg. und eingeleitet von Wolfgang Matthias Schwiedrzik, Leipzig 1997). Vgl. dazu außerdem Ricarda Huchs Autobiographie (Ricarda Huch: Erinnerungen an das eigene Leben, Köln 1980).)

Katholische Demokratie

  • Die Rede vom "Erwachen" der Kirche bzw. des Staates „in der Seele“, oder von der Kirche bzw. vom Staat „in uns“ zielte bei Guardini auf die Bewusstwerdung und die notwendige Formung der Idee, dass der Mensch als Person qua Schöpfung und Ebenbildlichkeit nie nur Einzelner, sondern immer auch ein Sozial-Zugehöriger ist. Der trinitarische Gott schafft in jeden Menschen dieses Spurbild (vestigium Dei) hinein.
  • Im Zuge seiner Grundpolarität „Oben-Innen“ besann Guardini sich aber nicht nur auf diese „Innengrenze“, sondern diese korrespondierte bei ihm mit der „Höhengrenze“, der „Hoheit“, die den Personen im Staat und in der Kirche entgegenkommt, um den Menschen vor eine Überhöhung der eigenen Person zu bewahren. Guardinis Rede von der “Katholischen Demokratie” steht nun genau in diesem Kontext. Sie bringt im Wesentlichen drei Dinge zum Ausdruck:
    • Erstens hält sie an der objektiven Gebundenheit politischer Ganzheiten in ihren pluralen Formen, dann an Werten und an der Wahrheit im platonisch-augustinischen Sinn der Idee und schließlich an der Rationalität und an Tugenden im aristotelisch-thomistischen Sinn der Haltung fest, letztlich also an einer zwar pluriversen und polyphonen, aber doch letztgültigen Wahrheit und Wahrhaftigkeit. Auch bezogen auf die politischen Gestalten und Ganzheiten betonte Guardini sein Diktum vom Primat des Logos über das Ethos, verstanden wie immer als Primat der Ordnung, ausdrücklich nicht als Primat der Würde. Inhalt und Form bleiben polare, gleich würdige Gegensätze, der Inhalt hat aber einen Vorrang der Ordnung vor der Form.
    • Zweitens wird von Guardini diese “katholische” Ordnung im Bild der “Waage des Daseins” symbolisiert. In diesem Sinne sind auch die Polaritäten des politischen Lebens in der Waage zu halten und immer neu abzuwägen, um sie in einer lebendig-konkreten Spannungseinheit aushalten zu können und sie nicht synthetisch aufzulösen oder derartig zu polarisieren, dass sie als extreme Widersprüche und nicht mehr als gegebene Gegensätze erscheinen. Grundpolarität ist dabei das Weltganze und die Einzelperson. Und auch hier gilt die gleiche Würde von Ganzheit und Einzelnem. Die Frage nach dem Ordnungsprimat geht hier bei Guardini aber eindeutig zugunsten der Personalität aus, da er diese mit dem Inhalt, die Ganzheit dagegen mit der Form verknüpft.
    • Drittens gelten Macht, Recht und Technik in einer „Katholischen Demokratie“ weder als gut noch als böse an sich, sie sind gegeben und so zu gestalten, dass nicht das “Es” bzw. die „Es-Mächte“ - im Sinne von unkontrollierten Trieben und undurchsichtigen Strukturen - übermächtig werden, sondern das “Ich - Du - Wir” der menschlichen Personalität als „Spurbild der dreieinigen Gottesgemeinschaft“ zum Tragen komme.