Guardini-Begriffe

Aus Romano-Guardini-Handbuch

Die Seite Guardini-Begriffe listet die für Guardinis Werke zentralen Begriffe und seine "Terminologie" bzw. "Grammatik".

Einführung

Während für Philosophen wie Heidegger und Jaspers deren eigenständige Terminologie - auch aufgrund besonders eigenwilliger Begriffsbildungen - unstrittig ist, billigt man sie Guardini in der Regel kaum zu. Dies liegt zum einen daran, dass er eine bewusst einfache Sprache wählt, kaum Fachterminologie oder auch Lehn- und Fremdwörter benutzt, zum anderen daran, dass er weitgehend auf eigene Begriffsbildungen verzichtet. Dies führt insbesondere aber bei Übersetzungen oft zu willkürlichen Übersetzungen auch bei für Guardini an sich zentralen Begriffsfeldern wie zum Beispiel Gestalt/Gestaltung. Lediglich beim Begriff Weltanschauung hat sich auch international weitgehend durchgesetzt, diesen als nicht adäquat übersetzbar in der Ursprungssprache stehen zu lassen, nachdem sich andere Übersetzungen als inadäquat herausgestellt haben.

Die Begriffe

  1. Aktion als polarer Gegensatz zur Kontemplation
  2. Anschauung
  3. Antike
  4. Ausdruck
  5. Begegnung und Bewährung als polare Gegensätze zu Bild und Bildung
  6. Bild und Bildung als polarer Gegensätze zu Begegnung und Bewährung
  7. Charakter
  8. Dasein
  9. Erfahrungswissenschaft
  10. Ernst als polarer Gegensatz zum Spiel
  11. Ethos als polarer Gegensatz zum Logos
  12. Erkenntnis
  13. Ganzheit und Gesamtganzheit
  14. Gebet
  15. Gegensatz
  16. Geist
  17. Gentleman
  18. Gesinnung
  19. Gestalt/Gestaltung
  20. Grenze mit Grenzwert und Grenzfall
  21. Haltung
  22. Kontemplation als polarer Gegensatz zur Aktion
  23. Kunstwerk und Gesamtkunstwerk
  24. Leben
  25. Lehre
  26. Liturgie
  27. Logos als polarer Gegensatz zum Ethos
  28. Macht
  29. Metaphysik
  30. Mittelalter
  31. Mystik
  32. Neuzeit
  33. Partizipation
  34. Persönlichkeit
  35. Person
  36. Polarität
  37. Polyphonie
  38. Primat
  39. Ritterlichkeit
  40. Sammlung
  41. Selbstbildung
  42. Sinn
  43. Spannungseinheit
  44. Spiel als polarer Gegensatz zum Ernst
  45. Spurbild
  46. Tugend
  47. Typ
  48. Verheißung
  49. Vision
  50. Volksfrömmigkeit
  51. Waage
  52. Wahrheit
  53. Welt
  54. Werk
  55. Wert
  56. Wesen
  57. Weltanschauung
  58. Widerspruch

Theoreme

  1. Ende der Neuzeit
  2. Erwachen der Kirche in der Seele
  3. Es-Mächte
  4. Ethos der Macht
  5. Geist der Liturgie
  6. Ihr sollt nicht in der Messe beten, ihr sollt die Messe beten! (von Guardini dem Papst Pius X. unterlegtes Zitat)
  7. Liturgiefähigkeit
  8. Magna Charta der Pflicht und Würde jeder menschlichen Gemeinschaft
  9. Philosophie des Lebendig-Konkreten
  10. Primat des Logos über das Ethos
  11. Sinn der Kirche
  12. Sinn der Schwermut
  13. Solidarität aller Menschen in der Menschheitsverantwortung
  14. Spurbild der dreieinigen Gottesgemeinschaft
  15. Staat in uns
  16. Waage des Daseins
  17. Wesen katholischer Weltanschauung
  18. ...

Übersetzungshinweise

Nachfolgende Übersetzungshinweise sind vor allem für die Übersetzung ins Italienische und Englische formuliert, gelten aber analog auch für andere Sprachen:

  • Gestalt/Gestaltung/Umgestaltung ist im Italienischen mit figura, configurazione, trasfigurazione und im Englischen entsprechend mit figure, configuration und transfiguration widerzugeben. Eine Übersetzung von Gestalt mit forma/form (in der deutschen Rückübersetzung eindeutig Form) oder von Gestaltung mit formazione/formation bzw. im Englischen mitunter sogar mit design verbietet sich.
  • Guardini weißt darauf hin, dass der dem Begriff Weltanschauung zugrunde gelegte Begriff Anschauung synynom mit Kontemplation und infolgedessen auch mit Betrachtung sei. Daher ist im Italienischen für Anschauung auch contemplazione und auch im Englischen contemplation zu verwenden. Weltanschauung wäre daher am ehesten mit contemplazione del mondo bzw. contemplation of the world zu übersetzen. Dem scheint die heutige Verwendung von Kontemplation für meditative Gebetspraxis entgegenzustehen. Bei Guardini ist Kontemplation aber eine Erkenntnisweise, keine Gestaltungsweise. Er stimmt darin begrifflich mit der auch noch bei Hannah Arendt zu findenden Polarität von contemplatio und actio überein. Diese Polarität geht nämlich auch bei Guardini nicht parallel zur benediktinischen Lebensgestaltung nach dem Motto Ora et labora parallel.
  • Guardini verwendet die Begriffe Wesen, Geist und Sinn weitgehend synonym (zunächst bis zu Klages Gegenüberstellung von Geist und Seele auch noch Seele). Wesen steht dabei als zum Sein gehörig in einer kontemplementären Ergänzung zum Dasein. Da die Polarität von der lateinischen Lehnwörter Essenz (Essentialismus) und Existenz (Existentialismus) im deutschen philosophischen Diskurs anders als Wesen und Dasein eine extremere Gegenüberstellung erfahren haben als dies bei Guardini für Wesen und Dasein der Fall ist, verbietet sich somit im doppelten Sinne Wesen im Italienischen mit essenza und im Englischen mit essence zu übersetzen, ebenso wie Dasein mit esistenza und im Englischen mit existence. Ansonsten kommt es bei der Rückübersetzung zu Konfusionen, zumal Guardini auch im Deutschen die Lehnwörter Existenz und Essenz einige Male eigenständig gebraucht. Daher empfehle ich sowohl im Italienischen wie im Englischen die Klammerübersetzung essere bzw. being (Wesen) und essere bzw. being (Dasein); auch um deutlich zu machen, dass im Begriffsfeld von Sein die deutsche Sprache mehr Ausdrucksmöglichkeiten hat als das Italienische und erst recht als das Englische. Insofern ist Guardinis synyome Verwendung der Formeln Vom Geist der Liturgie, Vom Sinn der Kirche und Vom Wesen des Kunstwerks mit der weitgehenden Synonymität von spirito, senso und essere bzw. spirit, sense und being zu übertragen.
  • Das Englische meaning für Guardinis Begriff Sinn zu verwenden ist aufgrund dessen Nähe zum deutschen Meinung nicht sinnvoll. Daher ist der Begriff Sinn im Englischen grundsätzlich mit sense zu übersetzen.
  • Die deutschen Begriffe Schwermut bzw. Schwermütigkeit wurden schon zu Lebzeiten Guardinis in einigen Sprachen mangels Alternativen mit Melancholie gleichgesetzt. Für Guardini ist Melancholie eine Gemütsart im Sinne von Temperament (ähnlich wie für alle klassischen Temperamente sowie für Gemütsarten wie optimistisch-pessimistisch oder aktiv-passiv), Schwermut hingegen ein Gemütszustand auch im Sinne von Geisteshaltung - im Unterschied dann zum polaren Gegensatz des Leichtmuts und in Antivalenz zu Leichtfertigkeit. Daher ist es nicht verständlich, wenn auch in Sprachen - wie zum Beispiel im Holländischen - wo eine wörtliche Übersetzung möglich wäre, auch auf Melancholie ausgewichen wird.