Fritz Leist und Willi Graf

Aus Romano-Guardini-Handbuch
Guardinis Verhältnis zur Quickborn-Jungenschaft
und sein Einfluss insbesondere auf Fritz Leist und Willi Graf
Jungenschaftlicher „Widerstand“ zwischen Romano Guardini und Eberhard Koebel, zwischen „Liturgischer Bewegung“ und bündischem nationalbolschewistischer dj.1.11.

Zusammenstellung von Helmut Zenz als Grundlage für den Vortrag "„... Guardini, der uns soviel zu zeigen und zu sagen hat.“ (Willi Graf, 01.12.1942). Der Einfluss der liturgischen Bewegung" bei der Internationalen Fachtagung am 11./12. Oktober 2023 mit dem Rahmenthema "„Jeder Einzelne trägt die ganze Verantwortung.“ (Willi Graf, 6. Juni 1942)" anlässlich des 80. Todestages von Willi Graf (02.01.1918-12.10.1943)

Die aufgrund der Zeitvorgabe stark gekürzte Version des Vortrags trug schließlich den Titel "Romano Guardini, die realistisch-volksliturgische und die kritisch-pädagogische "Phase" der liturgischen Bewegung und ihre Resonanz im Umfeld der Weißen Rose, vor allem bei Fritz Leist und Willi Graf".

In die nachfolgende Zusammenstellung sind auch nach dem Vortrag noch neue Erkenntnisse mit eingeflossen, insbesondere was das Verhältnis von Fritz Leist und Willi Graf sowie weitere Personen im Umfeld der Quickborn- und Deutschmeister-Jungenschaft angeht.

Bei der Tagung wurde auch darüber diskutiert, was genau von Guardini Willi Graf gelesen hat: Bis auf das Hölderlin-Buch und die Guardini-Hefte der „Christlichen Besinnung“ beruht in meiner Darstellung alles andere auf zwar gut begründete Indizien und Vermutungen aufgrund der gemachten Verknüpfungen, wie in Bezug auf Guardinis Dostojewskij-, Augustinus-, Pascal- und Rilkebuch, aber auch auf den Sammelband „In Spiegel und Gleichnis“ oder auf „Welt und Person“. Dies gilt insbesondere auch für die liturgischen Schriften Romano Guardinis von 1918 bis 1923, von denen meiner Kenntnis nach keine einzige von Willi Graf direkt erwähnt wird. Dies ist aber nicht weiter verwunderlich. Manche Jugendbewegte hatte sie aus bibliophilen Gründen in der eigenen Bibliothek stehen, die meisten aber kannten deren Inhalt sozusagen „durch Erleben“. Denn Ende der 1920er und in den dreißiger Jahren war es in der gesamten katholischen Jugendbewegung bereits zu einer neuen Selbstverständlichkeit gekommen: Man hat nicht mehr über die Liturgische Bewegung berichtet oder diskutiert, man hat es erlebt und gelebt.

A.H. Leugers-Scherzberg hat in einem Diskussionsbeitrag darauf hingewiesen, dass es in noch unveröffentlichten Tagebüchern und Briefen weitere Hinweise auf Guardini-Lektüren gebe. Diesem Hinweis konnte ich bislang leider noch nicht selbst nachgehen. Sollten die Archivalien demnächst veröffentlicht werden, würde ich diese nachtragen.

Vom Zusammenhang zwischen Mystik und sittlicher Gemeinschaft, zwischen Liturgie und Politik

Franz Marc schrieb 1911 in seiner Selbstbeschreibung der „Wilden“ Deutschlands: „Die `Mystik´ erwachte in den Seelen und mit ihr uralte Elemente der Kunst“. Der Text wurde erstmals gedruckt im Almanach „Der Blaue Reiter“ (1912).

Wenn ich dieses Wort an den Anfang einer Analyse über den Einfluss Romano Guardinis und der Liturgischen Bewegung auf Fritz Leist und Willi Graf stelle, tue ich es auch im Wissen darum, dass es sowohl in der „Weißen Rose“ eine hohe Wertschätzung gegenüber der expressionistischen Kunst eines Franz Marc und Paul Klee gab. So wird über Hans Scholls Entrüstung beim Besuch der Münchener Ausstellungen über „Entartete Kunst“ und „Deutsche Kunst“ im Jahr 1937 berichtet und davon dass noch in der Schlussphase in seiner Studentenbude eine Reproduktion von Kunstwerken Franz Marc´s hing. Für Hans Scholl gilt: Als er mit Gleichmacherei und Kadavergehorsam im Dritten Reich mehr und mehr in Konflikt kam, greift er "auf Vorstellungen der inzwischen verbotenen bündischen Jugend zurück und begeistert sich daher für die Schwärmereien eines Stefan George, die Sachlichkeit eines Bauhauses oder den Expressionismus eines Franz Marc“ (Porträt des Monats: Hans und Sophie Scholl, in: G/Geschichte, 2003, S. 64).

Bei Franz Marcs Aufgreifen einer neu erstarkten Mystik ging es letztlich um eine mystische Begegnung des Künstlers mit Gott als einem Gegenüber, einem lebendig-konkret erfahrbaren „Du“ und dies bewusst an Stelle einer Abstrahierung bzw. Entpersonalisierung Gottes im deutschen Idealismus (Kant, Hegel) oder auch gegenüber Gott „dem ganz Anderen“, dem „Außer-die Welt-Gesetzten“ im gnostischen Dualismus oder in dialektischen Theologien. Die lebensphilosophisch-expressionistische Abkehr vom bloßen Rationalismus und Idealismus Kants und Hegels und somit die Rückkehr zu einem lebendig-konkreten Gott als "Du", weg von der abstrakten Idee "Gott" oder der Entpersonalisierung Gottes zu einem "göttlich-numinosen Es" oder der dialektischen Erklärung Gottes zum heteronomen "Anderen", ist also das gemeinsame Thema und zwar ausdrücklich angesichts eines "Endes der Neuzeit", das Guardini nicht erst 1950 (vgl. Das Ende der Neuzeit), sondern bereits seit 1911 thematisierte (vgl. Das Interesse der deutschen Bildung an der Kultur der Renaissance) und für die Jahrhundertwende, also "um 1900" ausmachte.

In seiner Suche nach einem katholischen Expressionismus "am Ende der Neuzeit" pflichtet Guardini also dieser lebensphilosophisch und bergsonistisch geprägten Hinwendung zu einem personal-mystischen Gottesverhältnis ausdrücklich bei, aber ergänzt ganz „katholisch“, im gegensätzlich-umfassenden Sinne ein klares “Ja, aber”: Auch “Die Kirche (und der Staat) “erwachen in den Seelen”, sagt und schreibt Guardini, so in seinem Vortrag und Buch “Der Sinn der Kirche” (1919/21) und in seinem Selbstbildungsbrief “Der Staat in uns” (1924). Denn der christliche “Gott in uns” ist immer schon ein trinitarischer, ein relationaler und sittliche Gemeinschaften und somit auch ein Kirche und Staat stiftender Gott. Dieser trinitarische Gott ist daher das Spurbild (vestigia), die „Magna Charta“ jeder sittlichen Gemeinschaft “in uns”, schreibt Guardini bereits im einem Aufsatz aus dem Jahr 1916 (Die Bedeutung des Dogmas vom dreieinigen Gott für das sittliche Leben der Gemeinschaft).

Guardini sieht in der katholischen Lebens- und Kulturbewegung auch, dass in ihr das Bewusstsein der Zugehörigkeit zu und der aktiven Teilhabe (participatio actuosa) an sittlichen Gemeinschaften (vor allem eben auch Kirche und Staat) und deren Grundvollzügen Liturgie und Politik erwacht. Ganz in dieser Bewegung stehend beteiligt er sich z.B. mit seinem Kapitel “Liturgie als Spiel” aus “Vom Geist der Liturgie” an einem Sammelband “Der weiße Reiter” (1920).

Bei Guardini ist von seinen ersten Werken an eine Parallelität und Analogie zwischen der sittlichen Gemeinschaft „Kirche“ und ihrem Grundvollzug der Liturgie einerseits und der sittlichen Gemeinschaft „Staat“ und seinem Grundvollzug der Politik andererseits zu erkennen. Und auch wenn er den Weg von der Liturgischen Krise zur Liturgischen Erneuerung in seinem Werk intensiver aufzeigt als den Weg von der Politischen Krise zur Politischen Erneuerung fehlen doch keineswegs Texte, mit denen man in diesem Sinne analog zu den liturgischen Werken „Vom Geist der Liturgie“ und „Liturgische Bildung“ eine Sammlung „Vom Geist der Politik“ gewinnen und eine Aufsatz mit dem Titel „Politische Bildung“ gibt es tatsächlich bei Guardini. Man denke dabei an seine Texte und Ansprachen über den „Staat in uns“, über die neue politische Wirklichkeit durch Mahatma Gandhi (Mahatma Gandhi und wir), "Über die Möglichkeit öffentlichen Sprechens“ oder über „Volk und Europa“ (gehalten in Grüssau 1923) und „Zum politischen Problem des Völkerbundes“. Selbst wer diese Texte nicht kennt, wird gerade in seinen weltanschaulich-kontemplativen Gestalt-Interpretationen von Kierkegaard und Bonaventura, von Dostojewskij und Pascal, von Dante und Augustinus, von Hölderlin und schließlich in einem ersten Durchlauf von Rilke schnell erkennen, wie stark hier die Grundüberzeugungen einer Spannungseinheit von „Hingabe“ und „Selbsthaltung“, von „Gehorsam und Selbständigkeit“, von echter Freiheit und echter Autorität, von Person und Ordnung immer wieder herausgearbeitet und gegen eine Extremisierung des einen oder anderen Pols gestellt werden, und zwar immer sowohl in Richtung Kirche als auch in Richtung Staat mit ihren jeweils zentralen Grundvollzügen: der Liturgie und der Politik.

Guardini spricht bereits 1916 vom “heiligen Ring” um das Innerste (vgl. Die Bedeutung des Dogmas vom dreieinigen Gott für das sittliche Leben der Gemeinschaft), um die Selbstgehörigkeit der Person (vgl. Zum Begriff der sittlichen Freiheit), den keine sittliche Gemeinschaft brechen darf. Umgekehrt hat die Freiheit ihre Grenze im notwendigen “schöpferischen Gehorsam” gegenüber echter Autorität. Alles in allem geht es in Kirche und Staat angesichts einer festgestellten liturgischen bzw. politischen “Krise” also um eine “gemeinsam bewegte” Erneuerung durch “schöpferischen Gehorsam” und durch eine Stärkung der “participatio actuosa”, mit denen allein eine erneuerte „organische“ Eingliederung in eine sittliche Gemeinschaft möglich wird.

Was nach 1945 immer weniger verstanden oder als soziologisch-charismatische Aussagen missverstanden wurde, war in den zwanziger bis vierziger Jahren in der katholischen Jugendbewegung die bestimmende Haltung gegenüber Kirche und Staat, nämlich die eines "schöpferischen Gehorsams" gegenüber den jeweiligen obrigkeitlichen Autoritäten, bei gleichzeitiger unbedingter Bindung des Gewissens an den "Gott in uns" - gerade dann, wenn Kirche und/oder Staat in ihren Zerrbildern auftreten, insbesondere im Zerrbild der absolutistischen, sich absolut autonom erklärenden "Diktatur". Absolut autonom ist für Guardini und die von ihm beeinflusste Jugendbewegung nur Gott, die relative Autonomie und Heteronomie der Person und die relative Autonomie und Heteronomie des Staates sind nur garantiert in der Spannungseinheit einer Theonomie, in der "Gott das Höchste unseres Hohen und das Innerste unseres Innen" (hl. Augustinus) ist, also in der Polarität von "Oben" und "Innen".

Sicherlich ist dabei richtig, dass die Haltung, einen Staat, der die "participatio actuosa" ALLER Bürger verweigert, aktiv zurückzuweisen, mit Guardinis von Papst Pius X. stammenden Idee einer liturgischen "participatio actuosa" parallel geht (siehe abermals den Selbstbildungsbrief "Staat in uns"). Lediglich in der Wahl der Mittel dieses Kampfes für mehr participatio actuosa und gegen eine "Diktatur von oben" in Liturgie UND Politik wird es im Einzelfall Beurteilungsunterschiede geben, wobei Guardini während des Krieges durchaus auch einen Tyrannenmord für legitim erachtet hat (vgl. das einschlägige Zeugnis von Felix Messerschmid).

Guardinis Einstehen für echte Autorität als von Gott vermittelte Hoheit und für echte Freiheit als von Gott vermittelte Selbstgehörigkeit gerade in einer Diktatur, die eine echte Freiheit der Person als von Gott vermittelte Selbstgehörigkeit verneint oder gar vernichtet, ist ohne Frage auch eine Motivation für Widerstand, zu welcher Form und zu welchen Mitteln auch immer die im Gewissen verpflichtete Person dann auch greift und wie aktiv oder passiv dieser Widerstand dann konkret ausfallen mag. Denn es gilt: Dort, wo Staat oder Einzelne sich verabsolutieren oder gar zu Diktatur bzw. permanenter Revolution degenerieren, ist eine Zugehörigkeit aller Einzelnen zum - sowie eine “participatio actuosa” aller Einzelnen im Ganzen nicht mehr möglich. Insbesondere dort, wo Machthabende echte Autorität in total(itär)e Absolutheitsansprüche umbiegen, eine „participatio actuosa“ verweigern und eine absolute Unterordnung verlangen, kommt es geradezu naturgemäß zu legitimen Widerstand in seinen unterschiedlichen, jeweils vor dem Gewissen zu verantwortenden Formen, die bis hin zur Möglichkeit des sokratischen Selbstopfers „um der freimachenden Wahrheit willen“ und des Tyrannenmordes reichen. Nur wo Widerstand und Revolution selbst wiederum verabsolutiert werden und sie nicht im Gewissen theonom gebunden sind, wird dies von Guardini als „anderes Extrem“ abgelehnt. Es ist schwer vorstellbar, dass diese Zusammenhänge in Guardinis Weltanschauungs- und Gegensatzkonzeption, einem Willi Graf völlig unbekannt gewesen sind, als er von Guardini den im Titel des mir gestellten Themas zitierten Satz formuliert hat: „... Guardini, der uns soviel zu zeigen und zu sagen hat.“ (Willi Graf, 01.12.1942)

Diese Haltung kann im Übrigen sowohl die Vorsicht gegenüber einem aktiven Widerstand in der "Siegfriedstraße" (Fritz Leist, Hermann Krings, ...) als auch die Entschiedenheit eines Willi Graf und seiner Freunde in ihrem aktiven Widerstand erklären. Dies ist dann im Übrigen auch genau die Sinnrichtung von Guardinis Gedenkrede auf die Weiße Rose im November 1945, in einer Zeit in der es auch innerhalb der Kirche Kreise gab, die in den Aktivitäten der Weißen Rose abzulehnenden "Verrat" und "Revolution" sahen. Es geht handelt sich für Guardini immer um Gewissens-Taten. Denn solche Gesinnung und Haltung, die die „Waage des Daseins“ – so der Titel von Guardinis Gedenkrede auf die „Weiße Rose“ im November 1945 in München - zum Maßstab erhebt, stellt sich zwangsläufig auch die Frage nach der „Zeitgemäßheit“ der Grundvollzüge und somit nach der Liturgiefähigkeit bzw. Politikfähigkeit des „Zeitgenossen“. Guardini stellt 1918 in dem von ihm verfassten Teil des Vorworts Abt Ildefons Herwegens in seinem Werk “Vom Geist der Liturgie” – erstmals explizit die Frage nach der “Liturgiefähigkeit” des Menschen in der jeweils gegenwärtigen Situation als Herausforderung für die liturgische (Selbst-)Bildung. Es ging ihm daher bei der Rede von der “Liturgiefähigkeit” nie – auch später in den sechziger Jahren nicht - darum, den liturgischen Akt überhaupt aufzugeben, sondern um die Weise des Vollzugs der “liturgischen Geheimnisse”, "damit der heutige Mensch mit seiner Wahrheit in ihnen stehen könne”.

In einem Brief an Karlheinz Schmidthues, dem Herausgeber der Herder-Korrespondenz, wehrt sich Guardini gegen ein weit verbreitetes Missverständnis: „Worauf es mir vor allem ankam, war, zu zeigen, daß die liturgische Pädagogik noch nicht zum Grundproblem vorgedrungen sei. Dieses liege in der Frage, worin der tragende Akt des liturgischen Verhaltens bestehe. Man hat den Eindruck, dieses werde meist vom Rationalen her verstanden, während es sich in Wahrheit um ein in der Neuzeit verloren gegangenes religiöses Verhalten, den Kultakt handelt. Wenn ich dann die Frage gestellt habe, "ob man, anstatt von Erneuerung zu reden, nicht lieber überlegen sollte, in welcher Weise die liturgischen Geheimnisse zu feiern seien, damit der heutige Mensch mit seiner Wahrheit in ihnen stehen könne", so war das durchaus kein "in Frageform gekleideter Vorschlag", den liturgischen Akt überhaupt aufzugeben, sondern ein energischer Hinweis, sich um das eigentliche Problem zu bemühen. Das Gesagte wurde nun offenbar so aufgefaßt, als ob "der greise Guardini" irgendwie an der Sache irre geworden sei. Davon ist aber keine Rede, sondern es handelt sich um ein Problem, das ich schon in den "Schildgenossen" - also vor langer Zeit - erörtert habe.“

Und so wäre es analog auch bei der “Politikfähigkeit”. Denn ebensowenig wie Guardini an der liturgischen Sache, also dem liturgischen Akt, „irre geworden“ ist, ist er es an der politischen Sache, also am politischen Akt. Es geht ihm auch im Staat allein darum, in welcher Weise die „politischen Zeichenhandlungen“ richtig zu vollziehen sind, „damit der heutige Mensch mit seiner Wahrheit in ihnen stehen kann“.

Die liturgische Bewegung nach Guardini

Die Phasen- und Typeneinteilung Romano Guardinis

Die vier phänomenologischen Phasen (“Typen”) liturgischer Bewegung sind nach Guardini:

  1. die restaurativ-monachische Phase (ab 1837, Hochphase ab 1864) [monachisch ist hier wohl als Mischwort aus mönchisch und monastisch zu verstehen]
  2. die akademisch-wissenschaftliche Phase (ab 1863, Hochphase ab 1913/18)
  3. die realistisch-volksliturgische Phase (ab 1903, Hochphase ab 1920)
  4. die kritisch-pädagogische Phase (ab 1921, erste Hochphase ab 1938, Hoffnung auf die eigentliche Hochphase nach dem II. Vatikanum)

Guardinis Einteilung der liturgischen Bewegung in Phasen, die er seit etwa Mitte der 50er Jahre im Rückblick beschrieben hat, ist – entgegen mancher Kritik und manchem Missverständnis – nicht historisch-chronologisch gemeint, sondern die Phasen sind im Wesentlichen „Typen“, die zwar in ihren Schwerpunktsetzungen aufeinanderfolgen, aber sich durchaus auch historisch überlappen oder sogar parallel verlaufen und auch nie „rein“ vorliegen, sondern ineinander verwoben sind (vgl. dazu veröffentlicht Abendgespräch am Epiphanietag und Papst Pius XII. und die Liturgie sowie noch unveröffentlichte Typoskripte).

Die restaurativ-monachische Phase

Allein schon die Benennung zeigt dies an, wenn er in Bezug auf die erste Phase einmal von der restaurativen, das andere Mal von der monachischen Phase spricht, die im 19. Jahrhundert von Solemnes ausgegangen sei. Die Personen und Stichworte sind dabei: Guéranger, Jausions, Directorium Chori, Erneuerung des gregorianischen Chorals. Denn auch Beuron und Maria Laach verstehen sich als Bendiktinerklöster ja durchaus noch „monachisch“. „Restaurativ“ bezieht sich hingegen auf das Ziel einer Wiederherstellung der patristischen-antiken bzw. der mittelalterlichen lateinischen Liturgie.

Die akademisch-wissenschaftliche Phase

Dieser ersten Phase „folgt“, beginnend um die Jahrhundertwende, die einmal wissenschaftlich, einmal akademisch genannte Phase, deren Höhepunkt Guardini mit Beuron, Maria Laach und dem Katholischen Akademikerverband verbindet. Allein wenn man versucht, den im Beuroner Kontext herausgegeben „Schott“ in diese beiden Phasen zu integrieren, stößt man an Grenzen, da es sich beim Schott ja letztlich um eine pädagogische Verstehens- und Vorbereitungshilfe für die Liturgie handelt, die aber, – wie Guardini nicht müde wird zu betonen – wenn sie unmittelbar in der Feier selbst eingesetzt wird, kontraproduktiv zu der von Papst Pius X. gewünschten „participatio actuosa“ wirkt. Ein solcher Einsatz des „Schotts“ ist gegenüber dem Rosenkranzbeten während der Messe für Guardini kein wirklicher Fortschritt. Auch die vom Maria Laacher Abt Ildefons Herwegen mitgetragene katholische Akademikerbewegung versammelte sich zwar zur Mitfeier der Karliturgie in Maria Laach, letztlich ging es dabei aber um einen intensiveren Mitvollzug der liturgischen Hoch-Zeiten unter Einbezug der wissenschaftlichen, vor allem der liturgiegeschichtlichen Erkenntnisse. Eine umfassende participatio actuosa resultierte dadurch abermals nicht, sondern dieser Typ blieb letztlich im besseren Verstehen, aber letztlich doch nur Zuschauen bei dem stehen, was die Mönche in der Feier ihrer Liturgie vollzogen haben. Es wäre irrtümlich zu glauben, dass in der nächsten Phase die akademische und wissenschaftliche Betrachtung der Liturgie zugunsten einer volksliturgischen Praxis aufgehört habe.

Die realistisch-volksliturgische Phase

Erst die zwar ebenfalls von der Beuroner Kongregation getragenen, aber anders gearteten, von Maredsous und Louvain (Beauduin, Festugière) ausgehenden Bemühungen gingen dagegen klar vom Gedanken der „participatio actuosa“ aus, so wie ihn Papst Pius X. favorisiert hatte. Für die Idee, diesen „belgischen“ Ansatz auch in Deutschland zu verwirklichen, versuchte der Maria Laacher Mönch Cunibert Mohlberg, zunächst an Abt Ildefons Herwegen vorbei, bereits 1911 Romano Guardini zu gewinnen, der diese französischsprachigen Ansätze aus eigener Lektüre der einschlägigen Zeitschriften ebenfalls schon kannte. Daher wird der Anfang der volksliturgisch bzw. realistisch genannten Phase oft mit dem sogenannten „Mechelner Ereignis“ in Verbindung gebracht: der Rede Lambert Beauduins beim belgischen Katholikentag am 23. September 1909. Das gemeinsame Anliegen von wissenschaftlich-akademischer und realistisch-volksliturgischer Phase, nämlich die Ergebnisse der Liturgiegeschichte und der Liturgiewissenschaft auch in ihrem praktischen Nutzen zu stärken durch eine bessere Publikation, erfolgte im Rahmen des „Liturgischen Unternehmens“ in Maria Laach. Dieses Unternehmen war aber anders als bei den Trägern der volksliturgisch-realistischen Phase von einem starken Konkurrenzdenken (gegenüber franziskanischen oder auch jesuitischen Bemühungen) geprägt. Außerdem wurde das Unternehmen schon unmittelbar nach dem Erscheinen des ersten Bandes der Ecclesia orans, also Guardinis „Vom Geist der Liturgie“, konterkariert durch den Streit um die Notwendigkeit vorliturgischer Bemühungen im Bereich der Volksfrömmigkeit, insbesondere eine Neufassung verschiedener Andachtsformen. Herwegen und Odo Casel lehnten Guardinis Bemühungen um eine Erneuerung des Kreuzwegs ab, ebenso wie einen unmittelbaren Einbezug der Gemeinschaftlichen Messandacht in ihre eigene monachische Liturgie. Die Messandacht Guardinis wurde lediglich für bestimmte katholische Gruppen und Verbände oder Veranstaltungsformen für geeignet gehalten. Guardinis Anliegen und von ihm und mit ihm ausgehend die volksliturgischen und pfarreibezogenen Bemühungen der Leipziger Oratorianer und der Klosterneuburger Regularkanonikern um Pius Parsch hatten für Herwegen und Casel und viele andere Vertreter der wissenschaftlichen und akademischen Phase keinen eigenständigen „Wert“ innerhalb der eigentlichen Liturgie. Daher ist die volksliturgisch-realistische Phase der Liturgischen Bewegung abermals kein abrupter Übergang, sondern eine erneute Verlagerung des Schwerpunkts. Daneben bestand die akademisch-wissenschaftliche Phase ebenso weiter wie die restaurativ-monachische Phase.

Die kritisch-pädagogische Phase

Zur Frage, wann genau die einmal pädagogisch, einmal kritisch genannte Phase für Guardini begann, schreibt er in einem seiner Spätwerk: „So ist es zum Beispiel nicht zufällig, daß die jüngste Phase der liturgischen Bewegung ungefähr gleichzeitig mit dem Erwachen kirchlichen Sinnes eingesetzt hat. Gleichzeitig auch mit den pädagogischen Bewegungen, die ein richtigeres Bild vom Menschen zu Ehren brachten, als jenem Wesen, in welchem Leib und Geist, Äußeres und Inneres eine Einheit bilden, und mehr derart. Aus diesen Zusammenhängen könnte die Arbeit an der liturgischen Erneuerung manches lernen. Sehr ernste Erzieher haben darauf hingewiesen, daß für die Bildung gerade des heutigen Menschen bloßes Sagen, intellektuelles Erklären, formales Organisieren nicht genügen. Daß die Organe des Schauens, des Tuns, des Gestaltens geweckt und in den bildenden Vorgang einbezogen werden müssen; daß das musikalische Moment mehr ist als eine bloße Verzierung; daß die Gemeinschaft anderes bedeutet als ein Zusammensitzen, vielmehr Solidarität im Akt der Existenz undsofort.“ Damit terminiert Guardini den Anfang dieser Phase im Grunde nahezu gleichzeitig mit dem Beginn der Hochphase der volksliturgisch-realistischen Phase auf Burg Rothenfels, in Leipzig und in Klosterneuburg und dem Erscheinen seines Werkes „Vom Sinn der Kirche“ (1921). Gleichzeitig schreibt er aber im gleichen Text aus den sechziger Jahren: „Nun muß, auf den Impuls des 2. Vatikanischen Konzils gestützt, eine vierte Phase einsetzen; jene, die sich mit dem lebendigen Vollzug beschäftigt und fragt: Wie ist der echte liturgische Vorgang geartet - im Unterschied zu anderen religiösen Vorgängen, dem individuellen und dem sich frei bildenden Gemeinschaftsvorgang der "Volksandacht"? Wie ist der tragende Grundakt gebaut? Welche Formen nimmt er an? Welche Fehlgänge bedrohen ihn? Wie verhalten sich die Anforderungen, die er stellt, zur Struktur und zum Lebensbewußtsein des heutigen Menschen? Was muß geschehen, damit dieser ihn in echter und redlicher Weise lernen könne?“ Sie hat also bereits über 40 Jahre zuvor begonnen, muss aber jetzt nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil neuerlich „einsetzen“. Das heißt letztlich, für Guardini liegen die Anfänge viel früher als gemeinhin angenommen, das Ein- und Durchsetzen hingegen erst viel später. Tatsächlich bekam diese Phase für Guardini ein weiteres Gewicht in den dreißiger und vierziger Jahren, als er persönlich zur Zielscheibe der erneuten Kritik an der Liturgischen Bewegung durch integralistische Kreise von Gegnern der Liturgischen Bewegung wurde, die sich um Erzbischof Gröber gebildet haben, die sich in der weiteren Auflage des liturgiebewegungskritischen Buches von Max Kassiepe „Irrwege und Umwege im Frömmigkeitsleben der Gegenwart“ und in dem Siebzehn-Punkte-Memorandum Kardinal Gröbers vor seinen Bischofskollegen manifestierte, aber auch im Verbot einer Neuauflage des volksliturgischen Bandes „Volksliturgie und Seelsorge“ durch das Heilige Offizium. An diesem, wie auch am insbesondere von Erzbischof Gröber kritisierten Nachfolgeband „Parochia“, war Guardini maßgeblich beteiligt. Gleichzeitig wurden die liturgietheologischen Fundamente dieser Phase der Liturgischen Bewegung von Papst Pius XII. zunächst in der Enzyklika „Mystici Corporis Christi“ (29. Juni 1943) und dann in der Enzyklika „Mediator Dei“ (1947) gestärkt. Guardini warnte seither – beginnend mit dem Brief „Ein Wort zur liturgischen Frage“ an Albert Stohr (1940) – selbst vor einem einseitigen „Liturgismus“ und forderte ein „kritisches Bewußtsein“, das über den bisherigen, später über den „bis zum Konzil erreichten Stand der liturgischen Reform hinauszuführen vermag.“ Dieses kritisches Bewußtsein ist bei Guardini immer auch selbstkritisch verankert und meint konstruktive, nicht destruktive Kritik. Dazu gehört für Guardini eben auch die Frage nach der Liturgiefähigkeit des gegenwärtigen Menschen, so wie er sie erstmals aber schon ab 1918 formuliert hatte.

Von der liturgischen Krise zur liturgischen Erneuerung

Den Zusammenhang von Krise und konstruktiver Kritik war Guardini wohl schon von Beginn an bewußt. Guardini erinnert sich in seiner späten Zeit auch an ein Gespräch „mit dem verstorbenen großen Vorkämpfer der liturgischen Erneuerung, Abt Ildefons Herwegen von Maria Laach“ um das Jahr 1918: „Im Anschluß an vorausgegangene Überlegungen meinte ich, ein Zeichen dafür, daß die liturgische Arbeit ins Lebendige gehe, werde die "liturgische Krise" sein, und Abt Herwegen stimmte nachdenklich zu. Solange die liturgischen Handlungen nur objektiv "zelebriert", die Texte nur lesend "persolviert" werden, geht alles glatt, weil nichts in den Bereich des eigentlichen religiösen Vollzugs kommt. Sobald aber der Vorgang den Ernst des Gebetes gewinnt, zeigt sich, was in lebendiger Weise nicht mehr realisiert werden kann.“ (Guardini, Der Kultakt und die gegenwärtige Aufgabe der Liturgischen Bildung, in: ders., Liturgie und liturgische Bildung, Mainz (2)1992, S. 11).

Nach der Feststellung einer solchen liturgischen Krise, kann man mit der Arbeit der liturgischen Erneuerung beginnen. Diese umfasst bei Guardini aber mehrere notwendige Schritte:

  1. Die phänomenologische und weltanschaulich-kontemplative Suche nach dem „Geist der Liturgie“, gleichbedeutend mit dem „Wesen“ und dem „Sinn“ der Liturgie für die jeweilige Zeit, die sich wissenschaftlich nicht in Liturgiegeschichte erschöpfen darf, sondern einer umfassenden Liturgiewissenschaft bedarf, die letztlich aber in eine mentalen Welt-Anschauung bzw. -Kontemplation der Liturgie mündet. Ausgangspunkt ist dabei für Guardini die von Papst Pius X. als zu wenig ausgeprägt monierte „participatio actuosa“.
  2. Es braucht aus der Sicht Guardinis eine Einübung im vorliturgischen Bereich, also der „Volks- bzw. Laienfrömmigkeit“ (z.B. Der Kreuzweg)
  3. Es braucht Gebrauchstexte zur participatio actuosa („Gemeinschaftliche Andacht zur Feier der heiligen Messe“)
  4. Es braucht eine Erklärung der liturgischen Rituale und Symbole („Von Heiligen Zeichen“)
  5. Schließlich bedarf es einer (Grundlegung der) Liturgischen Bildungs(lehre), die in einer komplementären Polarität von Bild/Bildung einerseits und Bewegung/Bewährung andererseits besteht und dabei insbesondere auch die anthropologischen Gegebenheiten berücksichtigen muss (vgl. dazu übergreifend Guardinis Schrift "Grundlegung der Bildungslehre").

Einschub: Bei Guardinis "Kreuzweg", bei seiner "Gemeinschaftlichen Messandacht" und bei seiner Erklärung "Von Heiligen Zeichen" handelt es sich im Übrigen bis heute um Guardinis auflagenstärkste Schriften, sogar noch vor "Vom Geist der Liturgie", den "Briefen vom Comer See" oder seinem Werk "Das Ende der Neuzeit".

Erst nach diesen Schritten und zwar im gesamten Volk Gottes, nicht nur in einzelnen Gruppierungen, kann es zu einer nachhaltigen Erneuerung (renovatio) der Liturgie, zu einer echten, vom Volk Gottes in participatio actuosa getragenen Liturgiereform kommen. Insofern ist eine liturgische Erneuerung, die allein auf die liturgische Reform, nicht aber auf deren Nachhaltigkeit im Sinne einer Liturgischen Bildung zielt, für Guardini nicht zielführend. Ohne eine Liturgische Bildung, die beim inneren Bild des Menschen als Person und dem inneren Bild der Kirche als gottgestiftete Gemeinschaft von Personen, ansetzt und die dazu befähigt, Liturgie aus dem Wesen der Einzelpersonen und der Kirche als Gemeinschaft partizipativ-aktiv zu feiern, ist liturgische Reform zum Scheitern verurteilt. Die oft zu findende Unterstellung gegenüber Guardini, er habe an der Liturgiefähigkeit des Menschen grundsätzlich gezweifelt, hat er, wie oben bereits dargestellt, gegenüber Karlheinz Schmidthues als Herausgeber der Herder-Korrespondenz, mehr als deutlich zurückgewiesen. Leider blieb nach seinem Tod 1968 das Plädoyer Guardinis für eine Intensivierung der kritisch-pädagogischen Phase weitestgehend ungehört oder aber missverstanden und ging in den nachkonziliaren destruktiven und dialektischen Streitigkeiten unter. Vielleicht ist erst jetzt über fünfzig Jahre danach die Zeit reif, in Papst Franziskus Apostolischem Schreiben „Desiderio desideravi“ über die Liturgische Bildung des Volkes Gottes diese Phase wirklich einsetzen und sich durchsetzen zu lassen.

Nachdem Guardini also erkannt hatte, dass die wissenschaftliche und akademische Phase der Liturgischen Bewegung, so wie sie von Abt Herwegen und Odo Casel vertreten wurde, diese fünf Schritte nicht mitvollziehen wird, hat er sich nach seiner einschneidenden Begegnung mit den Quickbornern im August 1920 auf Burg Rothenfels ganz der volksliturgisch-realistischen Phase zugewandt - immer im Bewußtsein, dass dieser eine pädagogisch-kritische Phase folgen wird müssen, gerade weil sie in seinen Augen nicht nur eine gruppenspezifische Bewegung hin zu „Sonderliturgien“ oder „liturgischen Experimenten“ sein durfte, sondern über kurz oder lang die Pfarreien und das ganze heterogene Volk Gottes mitzunehmen hatte, und weil ein zu forscher und einseitiger „Liturgismus“ nicht selten in radikale, modernistische oder restaurative, dem Zeitgeist angepasste oder aber allzu nostalgisch-romantische Lösungen verfallen kann.

Guardini forderte daher – anders als andere Vertreter der Liturgischen Bewegung – nicht das Ende der lateinischen Sprache in der Liturgie, sondern versuchte durch das Beleben vorliturgischer und liturgischer Andachten, durch die zeitgemäße Übersetzung der liturgischen Gebete und Texten die Volksliturgie in den katholischen Verbänden und Pfarreien realistisch, wirklichkeitsnah zu stärken. Davon zeugen seine Werke „Heilige Zeit“ (1925), „In gloria Sanctorum“ (1928) und das gemeinsam mit Messerschmid erarbeitete „Deutsche Kantual“ (1931).

Im Blick auf das oben zur Parallelität von Liturgie und Politik Gesagte, erübrigt sich hier im Grunde der Verweis darauf, dass das hier entwickelte analog auch für den schrittweise Weg von der "politischen Krise" zur "politischen Erneuerung" gilt, weshalb es eine phänomenologische und weltanschaulich-kontemplative Suche nach dem "Geist der Politik" ebenso braucht, wie Möglichkeiten der Einübung im vorpolitischen Bereich, Instrumentarien für eine participatio actuosa des politischen "Laien", eine Erklärung der politischen Rituale und Symbole sowie eine Grundlegung der Politischen Bildungslehre.

Der institutionelle Teil der kritisch-pädagogischen Phase

Guardini beteiligte sich schließlich von Beginn an, also seit den dreißiger Jahren - an der Arbeit (volks)liturgischer Treffen, Arbeitskreise, Arbeitsgemeinschaften und auch an der von den deutschen und österreichischen Bischöfen angestoßenen Liturgischen Kommission und schließlich nach 1945 dem Liturgischen Institut in Trier. Dabei kam ihm zu seine Freundschaft zum Mainzer Mitseminaristen Albert Stohr, der dann Bischof von Mainz und mit dem Passauer Bischof Landersdorfer zusammen Beauftragte für Liturgie der Fuldaer Bischofskonferenz wurde, ebenso zu Hilfe wie seine gute Vernetzung insbesondere zu den Beuroner und Maria Laachern, aber auch zum Leipziger Oratorium.

Erste Treffen von 1935 bis 1937 in Maria Laach und Düsseldorf

Ein erstes liturgisches Treffen von Vertretern der liturgischen Erneuerungsarbeit, gab es auf Drängen der Leipziger Oratorianer und inbesondere auf Initiative Heinrich Kahlefelds bereits am 11./12. Juli 1935 in Maria Laach (Vgl. Theodor Maas-Ewerd, Unter „Schutz und Führung“ der Bischöfe. Zur Entstehung der Liturgischen Kommission im Jahre 1940 und zu ihrem Wirken bis 1947. In: Liturgisches Jahrbuch 40 (1990) S. 129–163, hier S. 147; Josef Gülden: Ludwig Wolker und die Leipziger Oratorianer, in: Walter Berger (Hrsg.): Ad personam Ludwig Wolker, 1975, S. 353-357, hier S. 354). Thema waren wohl vor allem "Grundsätze zur Feier des heiligen Meßopfers in der Gemeinde". Von dieser Zusammenkunft existiert ein Protokoll (vgl. Theodor Bogler, Suche den Frieden und jage ihm nach, 1964, S. 311 f (Anlage 3)). Erweitert traf sich dieser Arbeitskreis 1936 und 1937 unter Leitung des Jugendhauses Düsseldorf (Wolker) und hat sich weiter mit der Einheitsform der Gemeinschaftsmesse befaßt. Das Ergebnis der Zusammenarbeit von Praktikern und Wissenschaftlern wurde in den „Richtlinien über die Gestaltung der Gemeinschaftsmesse in den Pfarrgemeinden" "niedergelegt" (Theodor Maas-Ewerd, ebd.; Henrich, a.a.O., S. 214).

(Volks)Liturgische Arbeitsgemeinschaft in Fulda 1939

Auch auf Burg Rothenfels und im Leipziger Oratorium wurde schon des Öfteren erwogen, Vertreter der liturgischen Erneuerungsarbeit, aus konkretem Anlass zusammen zu rufen, was aber dann nie umgesetzt wurde. Dies geschah dann erst im August 1939, als Generalpräses Ludwig Wolker die "Liturgische" bzw. "Volksliturgische Arbeitsgemeinschaft" nach Fulda zusammenrief, mit dem Ziel, die immer noch freischweifende liturgische Bewegung zu organisieren, ihr eine klar umrissene Gestalt zu geben und sie somit vor Angriffen von außen und gegen Wildwuchs von innen zu schützen (vgl. dazu und zum Folgenden: Theodor Maas-Ewerd: Die Krise der liturgischen Bewegung in Deutschland und Österreich: zu den Auseinandersetzungen um die "liturgische Frage" in den Jahren 1939 bis 1944, 1981, S. 165 f. unter Berufung auf Johannes Wagner: Über den Stand und die Aufgaben der Liturgischen Erneuerung in Deutschland, in: Johannes Wagner/D. Zähringer (Hrsg.), Eucharistiefeier am Sonntag. Reden und Verhandlungen des Ersten Deutschen Liturgischen Kongresses, Trier (2)1951, S. 99).

Prälat Ludwig Wolker hatte zu dieser Konferenz nach Fulda eingeladen, um eine Neuausgabe des zuletzt 1930 vom Katholischen Jungmännerverband herausgegebenen „Kirchengebet für den Gemeinschaftsgottesdienst katholischer Jugend" (Vorwort Wolkers vom Osterfest 1930) vorzubereiten. Unter seinem Vorsitz nahmen neben an der Redaktionssitzung teil:

  • Josef Gülden
  • Heinrich Kahlefeld
  • Johannes Dischinger, damals Mitarbeiter Wolkers in Haus Altenberg,
  • die Beuroner Benediktinerpatres Sebastian Gögler und Hariolf Ettensperger, der „Jugend-Pater“ der Erzabtei
  • Pater Simon Stricker aus der Abtei Maria Laach
  • Johannes Wagner und
  • Ludwig A. Winterswyl

In diesem Kreis wurde schließlich der Beschluß gefaßt, anerkannte Führer der Liturgischen Bewegung zu bitten, eine Liturgische Arbeitsgemeinschaft zu bilden. Das eigentlich recht zufällig zusammengesetzte Kollegium einigte sich dabei auf folgenden Teilnehmerkreis:

  • Bischof Dr. Simon Landersdorfer OSB von Passau,
  • Prof. Romano Guardini
  • Prof. Josef Andreas Jungmann
  • der Trierer Generalvikar Dr. Heinrich von Meurers und
  • Heinrich Kahlefeld als Sekretär.

Treffen in Schweiklberg (21./22. Oktober 1939)

Tatsächlich kam diese Arbeitsgemeinschaft zustande und hielt bereits am 21. und 22. Oktober 1939 in der Abtei Schweiklberg (OSB) bei Vilshofen im Bistum Passau ihre erste, aber auch einzige Sitzung ab.

Von der Arbeitsgemeinschaft zur "Liturgischen Kommission"

Die Arbeitsgemeinschaft ging dann nahtlos - unmittelbar nachdem die Vollversammlung der deutschen und österreichischen Bischöfe vom 20. bis 22. August 1940 die Einrichtung eines "Liturgisches Referates" beschlossen und die Bischöfe Simon Landersdorfer und Albert Stohr zu Referenten für liturgische Fragen berufen hatte - in ein noch offizielleres Gremium über, nämlich in die "Liturgische Kommission" über, die vom 24. Oktober 1940 an bis Juni 1950 insgesamt 16 Sitzungen abhielt, wobei die erste Sitzung - wiederum in Schweiklberg - im Grunde eine erste Besprechung über Fragen des Liturgischen Referats war.

Der Kommission gehörten neben den Bischöfen an:

  • Abt Thomas Graf (als Sekretär des bischöflichen Referenten Landersdorfer)
  • Prof. Romano Guardini
  • Prof. Josef Andreas Jungmann
  • Ludwig Wolker (als Sekretär des bischöflichen Referenten Stohr).
  • Generalvikar Heinrich von Meurers (und mitunter sein Mitarbeiter Johannes Wagner)
  • P. Theodor Bogler als Vertreter der Abtei Maria Laach, und P. Böser als Vertreter der Erzabtei Beuron
  • Heinrich Kahlefeld als Vertreter des Oratoriums in Leipzig (mitunter zusätzlich auch Josef Gülden)
  • P. Pius Parsch als Vertreter von Klosterneuburg
  • Carl Meier, Pfarrer aus der Erzdiözese Freiburg
  • Dr. Karl Rudolf, Leiter des Wiener Seelsorgeamtes, der 1943 als Vertreter der österreichischen Seelsorgeämter zusätzlich in die Kommission berufen wurde.

Erste Sitzung in Schweiklberg am 24. Oktober 1940

Anwesend waren neben den beiden Bischöfen Romano Guardini, Josef Andreas Jungmann, Josef Gülden, Thomas Graf und Ludwig Wolker. Der Trierer Generalvikar konnte bei der ersten Sitzung noch nicht anwesend sein. Die Arbeitsgemeinschaft erbat sich aber von ihm Entwürfe für einen "Tauf-, Begräbnis- und Eheschließungsritus", nachdem dafür in Trier zu dieser Zeit "bereits gute Vorarbeiten" bestanden. Außerdem wollte man einen Entwurf für ein gemeinsames Rituale aller deutschen Bistümer sowie "Entwürfe für die Gestaltung des Pfarrhochamtes und einer Einheitsform der Gemeinschaftsmesse". Mit letzteren wurde das Leipziger Oratorium, in der Kommission vertreten durch Josef Gülden, beauftragt. Die Arbeit der Kommission führte zum Beispiel 1942 zum Beispiel zu den „Richtlinien zur liturgischen Gestaltung des pfarrlichen Gottesdienstes".

Zweite Sitzung in Fulda vom 16. bis 18. Juni 1941

Auf der zweiten Sitzung vom 16. bis 18. Juni 1941 in Fulda waren anwesend: die beiden Bischöfe, Jungmann, Parsch, Kahlefeld, Maier, P. Böser und P. Bogler, Ludwig Wolker als Sekretär der Kommission. Guardini fehlte wegen Krankheit, Meurers wegen dienstlicher Beanspruchung.

Dritte Sitzung in Würzburg vom 20. bis 22. Oktober 1941

Auf der dritten Sitzung vom 20. bis 22. Oktober 1941 in Würzburg waren anwesend: die beiden Bischöfe, P. Böser, P. Bogler, Jungmann, Kahlefeld, Maier, Meurers, Wolker und mit besonderer Ladung Johannes Wagner. Es fehlte Pius Parsch.

Vierte Sitzung in München vom 9. bis 12. Februar 1942

Auf der vierten Sitzung vom 9. bis 12. Februar 1942 in München waren anwesend: die beiden Bischöf, P. Böser, Gülden, Parsch, Guardini, Jungmann, Meurers, Wagner, Maier, Wolker, Kahlefeld.

Fünfte Sitzung in München vom 14. bis 16. April 1942

Auf der fünften Sitzung vom 14. bis 16. April 1942 in München waren anwesend: die beiden Bischöfe, Guardini, Jungmann, Kahlefeld, Meurers, Parsch, Wolker und Johannes Wagner. Es fehlten P. Böser und Pfarrer Maier.

Sechste Sitzung in Frankfurt vom 15. bis 18. Feburar 1943

Auf der sechsten Sitzung vom 15. bis 18. Februar 1943 in Frankfurt hat die Liturgische Kommission mehrere Wünsche an die Bischöfe herangetragen: ein deutsches Rituale, Genehmigung des Deutschen Hochamtes, den Vortrag von Lesung und Evangelium in deutscher Sprache, den abendlichen Zeitansatz für die Feier der Osternacht und die Liturgie am Gründonnerstag und Karfreitag sowie die baldige Revision des lateinischen Psalmentextes. (vgl. dazu Maas-Ewerd, Krise, a.a.O.,. S. 397-405). Laut Niederschrift waren anwesend: die beiden Bischöfe, Meurers, Guardini, Parsch, Jungmann, Kahlefeld, Maier, P. Bogler und Wolker, Gülden und Wagner, hinzugeladen erstmals Rudolf. Es fehlte P. Böser.

Die jeweiligen wichtigsten Ergebnisse der einzelnen Sitzungen werden noch nachgetragen.

Wirkung

Es ist schwer einzuschätzen, was genau von diesen organisatorischen Entwicklungen und den schrittweisen Ergebnissen zum Beispiel der Kreis um Fritz Leist oder im "Grauen Orden" beheimatete junge Priester wie Goergen, Schmich, Tausig oder Mauer und über sie vielleicht auch Willi Graf mitbekommen haben. Zumindest nahm die Siegfriedstraße, wie wir noch sehen werden, regen Anteil an den zugehörigen Diskussionen und Veröffentlichungen wie den von Karl Borgmann herausgegebenen "Volksliturgie und Seelsorge" und "Parochia".

Insgesamt ist die Außenwirkung dieser Bemühungen bislang wenig erforscht.

Eine erste Einschätzung über das Verhältnis von Willi Graf zu Romano Guardini und zur liturgischen Bewegung bei Anneliese Knoop-Graf

In ihrer Antwort auf das Statement des Redakteurs Christoph Lindenmeyer, Willi Graf habe „sich für Philosophie und Theologie“ interessiert, antwortete Frau Dr. Anneliese Knoop-Graf, damals 2. Vorsitzende der Weiße-Rose-Stiftung, im Gespräch für die Sendung des Bayerischen Rundfunks vom 18. Dezember 2007:

„Ja, aber das fand mehr im Kreise seiner Freunde z. B. aus diesem "Grauen Orden" statt. Das waren alles junge Leute, die mit der katholischen Jugendbewegung nicht mehr so viel im Sinn hatten, sondern nach ihrem eigenen Sein suchten, nach ihrer eigenen religiösen Betätigung. Es gab damals nämlich einen großen Kampf – und es ist interessant, dass das heute wieder einer zu werden scheint – um die Umstellung der katholischen Liturgie, die durch eine deutsche Liturgie ersetzt werden sollte. Das war ein großer Kampf, dem sich Willi sehr stark angeschlossen hatte: diese liturgische Bewegung, die Gebete in der Messe auf Deutsch und nicht auf Lateinisch zu sprechen. Damals in den 20er, 30er Jahren war das ein großer Durchbruch, wobei auch ein Mann namens Romano Guardini eine große Rolle spielte. Solche Dinge haben jedenfalls meinen Bruder beschäftigt.“

Hier scheint Anneliese Knoop-Graf aus der späten Erinnerung und der Spontaneität des Interviews heraus einiges unscharf zu werden, was sich chronologisch und kontextuell damals zugetragen hat.

Erstens war der Graue Orden immer Teil der katholischen Jugendbewegung geblieben und ihr Bruder Willi Graf stand auch nach dem Verbot vielfältig in Kontakt mit anderen neudeutschen und Quickborner Jugendführern. Es gab sehr wahrscheinlich nicht einmal einen Austritt Grafs aus dem Bund Neudeutschland.

Zweitens war Romano Guardini zunächst bis 1933 Leiter von Burg Rothenfels und Geistlicher Begleiter des Quickborn-Älterenbundes, ab 1933 aus rein taktischen Gründen Burgleiter und Vorsitzender des Vereins Freunde der Burg Rothenfels und der Stiftung Rothenfels, in der aber gerade die Quickborner und andere katholische Jugendbewegte sich bis 1939 auf Burg Rothenfels zu Ostern, Pfingsten, im Sommer und über Silvester zu Werkwochen und Geistlichen Exerzitien treffen konnten und davon auch Gebrauch machten. Es ging Guardini und der Mehrheit der Burg- und Bundesleitung und -versammlung letztlich darum, die Burg vor dem Zugriff der Hitlerjugend zu retten und stattdessen den "unpolitischeren" Freiwilligen Arbeitsdienst (FAD) mit auf die Burg zu holen.

Die Aussage von Anneliese Knoop-Graf zielt daher zwar richtigerweise darauf ab, dass mit den zunehmenden Verboten gegenüber einzelnen Bünden oder Aktivitäten Willi Grafs Beschäftigung mit Philosophie und Theologie nicht mehr unmittelbar im Kreise seiner Freunde im Bund Neudeutschland oder im Grauen Orden stattfand. Ihre Mutmaßung dass dies aber auch deshalb geschah, weil die jungen Leute „mit der katholischen Jugendbewegung nicht mehr so viel im Sinn hatten, sondern nach ihrem eigenen Sein suchten, nach ihrer eigenen religiösen Betätigung“, ist wohl nur ihr persönlicher Eindruck.

Bei den offiziellen und später inoffiziellen Treffen von Mitgliedern des Grauen Ordens handelt es sich, wie ich noch zeigen werde, allein schon aufgrund der Teilnehmer und aufgrund des Stellenwerts der katholischen Liturgie um Treffen der katholischen Jugendbewegung. Wenn Anneliese Knoop-Graf dabei gleichzeitig die „Liturgische Bewegung“ auf das Ziel reduzierte, „die Gebete in der Messe auf Deutsch und nicht auf Lateinisch zu sprechen“, so war das sicher nicht das Hauptziel der von Romano Guardini wesentlich angestoßenen und vertretenen „realistisch-volksliturgischen Phase“ der Liturgischen Bewegung auf Burg Rothenfels sowie im Umfeld der Leipziger Oratorianer und der volksliturgischen Bewegung in Klosterneuburg in Österreich; einer Phase bzw. eines Typus der Liturgischen Bewegung, von der Willi Graf besonders geprägt worden ist.

Woher kommt das Interesse eines Mitglieds des Bundes Neudeutschland, später des Grauen Ordens und schließlich im Widerstand aktiven Willi Graf an der Liturgischen Bewegung in der Zeit von 1928 bis 1943?

Auf der Grundlage der von Guardini entwickelten Einteilung in Phasen der Liturgischen Bewegung, die also keine aufeinanderfolgende, sondern sich entwickelnde „Typen“ und „Schwerpunktsetzungen“ sind, die sich eben auch überlappen und zum Teil mit unterschiedlichen Zweigen parallel existierten, ebenso wie auf der Grundlage seines Verständnis des Weges vom Erkennen der „liturgischen Krise“ bis zur „liturgischen Erneuerung“ als Wiedererlangung der „Liturgiefähigkeit“ durch „Liturgische (Selbst-)Bildung“, kann nun besser eingeschätzt werden, von welcher dieser Phasen, Zweige und Einschätzungen nun Willi Graf beeinflusst worden ist; welche Rolle dabei Romano Guardini selbst spielte, der sowohl Impulsgeber der Liturgischen Bewegung ist als auch ihr konstruktiver Kritiker und glaubwürdiger Erzieher war; und über welche weiteren von Guardini beeinflussten Personen und Kreise dieser Einfluss verstärkt worden sein könnte.

Die Pfarrei St. Johann in Saarbrücken

Für eine frühe Prägung, aber auch Wahrnehmung von Seiten Willi Grafs kommt bis zum Alter von zehn/elf Jahren ausschließlich seine Familie oder die Pfarrei St. Johann in Saarbrücken in Frage.

Familie

Seine Familie war eine gut katholische bäuerliche Familie, aufgrund der Übernahme des Johannishofes der katholischen Kirchengemeinde von Saarbrücken-St. Johann auch gut mit den jeweiligen Geistlichen vor Ort vernetzt, allerdings ist nichts darüber bekannt, dass sie selbst bereits mit der liturgischen Bewegung einer früheren Phase in Berührung gekommen wären.

Pfarrer und Kapläne

Über die liturgische Ausrichtung von Pfarrer Alois Echelmeyer (1867-1929, von 1912 bis zu seinem Tod Pfarrer in Saarbrücken St. Johann) ist nichts bekannt. Sein Nachfolger wurde Philipp Kremer (von 1929 bis 1946 Pfarrer in Saarbrücken St. Johann), zuvor Landessekretär des Volksvereins für das katholische Deutschland, zunächst von 1923 bis 1926 in Frankfurt am Main und dann von 1926 bis 1929 in Trier. In Trier war er zeitgleich Diözesansekretär der katholischen Arbeitervereine. Der als kunstsinnig charakterisierte Priester war es schließlich, der sich sowohl für eine tiefgreifende Renovation der Pfarrkirche als auch für den Bau der Kirche St. Elisabeth im Osten Saarbrückens einsetzte. Dafür sammelte er einen Beraterkreis um sich, dem der Restaurator und Kunstmaler Ernst Sonnet, der Dombaumeister Weyres aus Köln, der Kaplan Johannes Thomas (bis 1932) und der 1933 designierte Johannes Kirschweng (1900-1951) angehörte. Letzterer, der als saarländischer Priesterdichter bekannt wurde, trat die Stelle aus gesundheitlichen Gründen nicht an und wurde vom Trier Bischof auf Dauer für seine freie Schriftstellerei beurlaubt, wozu er sich nach Waldgassen zurückzog. Bereits 1933 und 1934 fanden die ersten Maßnahmen statt. Den Bau der Kirche St. Elisabeth hingegen hat Kremer nicht mehr selbst umsetzen können, da sie erst nach seinem Weggang im Jahr 1946 realisierbar war. Michael Kißener betont im Blick auf das Verhältnis von Pfarrer Kremer und der Familie Graf: „Dr. Philipp Kremer war ein Freund der Familie“ (Michael Kißener: Von der Prägung eines widerständigen Katholiken (1933-1939), in: ders./Bernhard Schäfers: „Weitertragen“. Studien zur „Weissen Rose“, 2001, S. 11 ff.; hier S. 12). Für mich ist im Moment nicht ersichtlich, wie Philipp Kremer zur Liturgischen Bewegung stand, so dass er wohl weder ein „bekannter“ Protagonist noch Gegner von ihr war.

Willi Graf als Ministrant

Auch nicht ganz ersichtlich is es, wann Willi Graf genau seine Erste Heilige Kommunion hatte. Ministrant wird er aber wohl erst mit Beginn der Amtszeit von Pfarrer Kremer sowie unter Kaplan Johannes Thomas geworden sein. Anstatt des designierten Nachfolgers Kirschweng im Jahr 1933 kam von 1934 bis 1937 Joseph Höffner als Kaplan in die Pfarrei. So lernte Willi Graf den späteren Erzbischof von Köln und Kardinal Höffner kennen. Aber auch für Thomas, Kirschweng und Höffner gilt, dass sie zu dieser Zeit weder als Protagonisten noch als Gegner der Liturgischen Bewegung aufgefallen sind.

1930 Generalversammlung des Diözesan-Cäcilienvereins Trier in Saarbrücken

Inwieweit Graf als Zwölfjähriger die 21. Generalversammlung des Diözesan-Cäcilienvereins Trier in Saarbrücken am 12. und 13. Oktober 1930 mitbekommen hat, sei es als Ministrant, sei es über seine Eltern oder über den örtlichen Kirchenmusiker oder den mit der Familie befreundeten Pfarrer, ist wohl nicht mehr zu eruieren. Bei der Eröffnungsversammlung im Großen Saal des Johannishofes wurde das „Lobt den Herrn“ aus der „Deutschen Singmesse“ von J. Haas durch den örtlichen Kirchenchor zum Besten gegeben. An beiden Tagen gab es eine Kirchenmusikalische Andacht in St. Michael, einmal mit Motetten alter und neuer Meister, das andere Mal mit Messgesängen neuerer und neuester Meister. Referenten am ersten Tag waren zum einen der 1. Vizepräses Pfarrer Schröder aus Trier („Die apostolische Konstitution Pius I.“), in unserem Kontext aber wichtiger ist der Benediktinerpater Gregorius Böckeler OSB aus dem Kloster St. Matthias in Trier mit seinem Vortrag „Kirchenchor und volksliturgische Bewegung“. Für das Choral-Pontifikalamt kam Bischof Dr. Franz Rudolf Bornewasser in die Pfarrkirche St. Johann, bei der die Votivmesse vom Königsfest Christi vom Organistenverband ausgeführt wurden. Welche Aus- und Nachwirkungen dieses Fest in der örtlichen Pfarrei hatte ist nicht bekannt.

Bund Neudeutschland in Schule, im Saargau und als Bewegung

Vorgeschichte: Bund Neudeutschland und Liturgische Bewegung

Das Hirschbergprogramm

Der Bund Neudeutschland verabschiedete 1923 – vier Jahre nach seiner Gründung – auf Schloss Hirschberg in Franken ein neues Bundesprogramm, in dem die Ziele des Bundes formuliert wurden. Richard Egenter, Vertreter der Studentengeneration, und P. Manuwald geistlicher Leiter der Südmark, hatten dieses Programm entworfen und in einer ersten Fassung beschlossen.

Es enthielt eine deutliche Absage an „Fehlentwicklung(en) der Jugendbewegung wie Schwärmerei, Subjektivismus, Radikalismus“. Dies galt auch für die Feier der "Missa" als Gemeinschaftsmesse im Bund Neudeutschland, die sich selbst als eine - gegenüber anderen Formen wie der des Quickborn - gemäßigtere Form der Gemeinschaftsmesse verstand, auch in Rücksichtnahme auf die Haltung derjenigen Bischöfe, die die Missa in ihren Bistümern nicht erlaubt hatten.

Mit dem sechsten Bundestag auf Normannstein 1924 war dann wohl die entscheidende Epoche der geistigen Neuformung und des Aufbaus Neudeutschlands abgeschlossen. Nun galt es, das Erarbeitete in das konkrete Leben des Bundes auf allen Ebenen umzusetzen. Wegen des durch die Schule bedingten schnellen Wechsels der jeweiligen Führergeneration nahm dies aber doch noch einige Jahre in Anspruch.

Die Kreuzfahrt

Kommuniziert wurde dieser Aufbruch ab Weihnachten 1924 mit der Zeitschrift "Kreuzfahrt. Bundesschrift der älteren Neudeutschen" unter der Schriftleitung von P. M. Manuwald SJ und Sitz in München. Sie erschien im ersten Jahrgang von 1924 bis 1926, dann folgten noch der Jahrgang 1926/27 und der Jahrgang 1927/28. Weitere Mitarbeiter waren neben dem Bundesleiter Richard Egenter unter anderem Pater Böminghaus und Karl Holzamer. 1929 vereinigte sich die Zeitschrift "Kreuzfahrt" mit den Düsseldorfer "Stimmen der Jugend".

Die "Liturgische Messe"

Das Bundesthing der Gauleiter, Neujahr 1925 auf Normannstein, verabschiedete eine dritte Fassung des Hirschberg-Programmes und eine die Jungen stärker in die Bundesleitung einbeziehende Satzung. Ausdrücklich wird für alle Gautage im Frühjahr 1925 von der Feier der „Liturgischen Messe“ berichtet. P. Manuwald ging dabei bald der Ruf voraus, daß er besonders gründlich die Liturgische Messe einübe. Oft dauerte eine solche Vorbereitung zwei Stunden. Meßformen waren die Singmesse, die Liturgische Messe und das Choralamt (vgl. dazu Junge Saat 3, 1925/26, 2, S. 15 und 19]

Die "Christuskreise"

Beim Gautag der Altbayern, im April 1925 in Regensburg, sprach P. Manuwald über das Religiöse Geistesleben im ND und konzentrierte sich dabei ganz auf den Christusgedanken. Dabei erwähnte er zum ersten Mal die von ihm in seiner Münchener Gruppenarbeit entwickelten "Christuskreise" als Ort und Weg gemeinsamer Schriftlesung. Ähnliche Gedanken zur Christozentrik trug P. Manuwald in seiner berühmt gewordenen Rede in der Stuttgarter Liederhalle der Versammlung des Katholikentages 1925 vor und warb für die öftere Kommunion im Sinne von mehr als einmal im Monat (Martin Manuwald, Die katholische Liebe und die seelische Not unserer Jugend. Rede, gehalten am 24. Aug. 1925 in der 2. öffentlichen Versammlung in der Liederhalle, in: Die Reden, gehalten in den öffentlichen und geschlossenen Versammlungen der 64. General-Versammlung der Katholiken Deutschlands zu Stuttgart 22.-26. Aug. 1925, Würzburg 1925, S. 105-112, hier S. 109). In der Folgezeit gehörte für die Abhaltung dieser "Christuskriese" der "Rösch", eine Übersetzung des Neuen Testaments von P. Konstantin Rösch OMCap, zur Grundausstattung einer jeden Gruppe.

Die Normannsteiner – ein liturgisch bewegterer Seitenzweig von der Gründung 1924 bis zum vorläufigen Ende der Kreuzfahrer-Jungenschaft 1933

Der „Realismus“ des Hirschberger Programms stieß bei einem Teil der als „Großneudeutsche“ bezeichneten Studentengruppen auf Widerstand, gleichzeitig kam es zur Auseinandersetzung um die lediglich im Studentenbund vertretenen Mädchengruppen. Daraufhin trat ein wesentlicher Teil der „Großneudeutschen“ mit allen Mädchengruppen und einigen Jüngerengruppen im Sommer 1924 auf dem Bundestag auf Burg Normannstein aus dem Bund Neudeutschland aus und gründete die nach der im April 1921 vom Bund Neutschland erworbenen Burg an der Werra benannten „Normannsteiner“. Dieser stark durch Studentengruppen geprägte Bund vertrat im Gegensatz zum Bund Neudeutschland die Position, dass Jugendbewegung Selbstzweck sei und organisatorische Fragen wie zum Beispiel eine Vereinsgründung diesem untergeordnet seien. Zu ihren Themen gehörten Fragen der Liturgie und ihre Erneuerung, die Auseinandersetzung mit der Bergpredigt und dem Römerbrief sowie Fragen der Lebensführung und gemeinsamen Lebensgestaltung, zum Beispiel im Rahmen der 1925 gegründeten, wenn auch bald gescheiterten "Wirtschaftsgemeinschaft Werkland". Schon 1927 zeigte der Bund beim anstehenden Generationswechsel Auflösungserscheinungen. Er löste sich aber endgültig erst 1930/31. Innerhalb der Neudeutschen galten die hauptsächlich in der Ostmark vertretenen Normannsteiner als eine „Runde von Romantikern“ (vgl. Martin Lohmann: Aufbruch einer Jugend. Der Bund Neudeutschland von seiner Gründung bis zum Beginn des Dritten Reiches, Bonn 1988, S. 37-39), die von einem eigenen in sich ruhenden Jugendreich träumten (Binkowski, a.a.O., S. 171).

Sie hatten enge Verbindung zu den Kreuzfahrern. Sie hatten sich noch Anfang 1930 an die Kreuzfahrer-Jungenschaft angeschlossen, bis diese sich Mitte Juni 1933 selbst auflösten, sich größtenteils der Jungenschaft des 1920 entstandenen Böhmischen „Reichsbundes der deutschen katholischen Jugend“ anschlossen oder in den Untergrund gingen.

Die Kreuzfahrer waren 1922 ebenfalls als Abspaltung von einem größeren Bund entstanden, nämlich von dem katholischen Sportverband "Deutschen Jugendkraft". 1924 wurde Thomé Bundesleiter. Er gehörte später auch zu den Wegbereitern der ökumenischen Bewegung (Liturgisches Jahrbuch, 42/43, 1992, S. 129). Ihre Zeitschrift trug den Titel "Kreuzfahrer. Blätter der Wandernden katholischen Volksjugend". Als Schriftleiter fungierten Fritz Radeizak, später Alfred Hollenbeck und Fritz Becker. Sie erschien in sechs Jahrgängen von 1922 bis 1927.

„Die in Westfalen stark vertretenen Kreuzfahrer haben in Paderborn mit dem Religionslehrer Heinrich Hesse einen herausragenden geistlichen Führer, der die Gemeinschaftsmesse Guardinis mit seiner Jungengemeinde seit 1924 feiert“ (Reinhard Richter: Nationales Denken im Katholizismus der Weimarer Republik, 2000, S. 202, siehe auch FN 1313).

Nachdem die Fuldaer Bischofskonferenz Ende 1926 die Unterstellung unter die kirchliche Autorität verlangten, traf dies die Kreuzfahrer besonders hart. Vor allem die Älterenschicht sah keine Möglichkeit mehr zur Weiterarbeit und löste deshalb im Herbst 1927 die Gemeinschaft auf und stellte die bisherigen Zeitschriften ein (Franz Henrich: Die Bünde katholischer Jugendbewegung, 1968, S. 247, siehe Fußnote 32 und 33).

Die Jüngeren gründeten kurze Zeit später eine „Kreuzfahrer-Jungenschaft“ wieder. Diese galt als weniger radikaldemokratisch, aber immer noch stark anti-autoritär eingestellt. Sie war sozial engagiert und stand dem Friedensbund deutscher Katholiken nahe. Ihre Zeitschrift hießt "Fahrt ins Reich. Werkblatt der Kreuzfahrer-Jungenschaft". Als Herausgeber fungierte der Verein "Kreuzfahrer e. V.".

In liturgischen Fragen forderten sie "eine ganz neue Gestaltung der Liturgie ..., eine Neugestaltung, die dem Lebens- und Bewußtseinskreis des heutigen Menschen näher ist." Mittlerweile würden auch die Gutwilligen "in der Liturgie keinerlei Befriedigung" mehr finden. "Die Gebete der Kirche sprechen in einer fremden Sprache, auch, wenn sie ins Deutsche übertragen sind. Ihre Gebärden und Zeichen haben für uns nur zum geringen Teil noch den sinnbildlichen Wert ..." (Fahrt ins Reich, 1, 1928, S. 41, zitiert nach Henrich, Die Bünde katholischer Jugendbewegung, 1968, S. 149).

Von 1928 bis 1931 erschien - für die "Kreuzfahrer-Jungmannschaft" und die ebenfalls entstandene "Kreuzfahrer-Mannschaft oder Volkskraft" - die Zeitschrift „Deutsche Volkschaft“ (Franz Henrich: Die Bünde katholischer Jugendbewegung, 1968, S. 247, siehe Fußnote 39), für Walter Rest (1909-1992), Peter Furth (1909-2005), Johannes Droste (1899-????), Bernhard Berkenfeld (1907-1964) verantwortlich zeichneten. Die Zeitschrift stand der Christlich Sozialen Reichspartei (Vitus-Heller-Bewegung) nahe, die wiederum ihre Wurzeln im Quickborn hatte (Reinhard Richter: Nationales Denken im Katholizismus der Weimarer Republik, a.a.O., S. 202). Im Mai 1928 erschien die erste Nummer mit dem Untertitel „Volkspolitische Blätter jungkatholischer Bewegung“. Die Zeitschrift stellte sich vor als das »große, überbündische, unabhängige Werkblatt der katholischen Jugendbewegung, worin sich die Führer aller Bünde zur sachlichen Arbeit im Dienste des neuen Werdens treffen« (vgl. Doris Kaufmann: Katholisches Milieu in Münster 1928-1933: politische Aktionsformen ..., 1984, S. ???).

Auf einem Lager an Pfingsten 1929 schlossen sich die Kreuzfahrer-Jungenschaft und die Jungborn-Jungenschaft Westfalens zusammen. Zu der damit erhofften Bildung einer großen katholischen deutschen Jungenschaft, führte dies jedoch nicht. Eine Gewisse Nähe zum Bund der Quickborner vermittelte ihnen auch die Begegnung mit dem neuen Denken von Romano Guardini (Tigges/Föster (Hrsg.): Katholische Jugend in den Händen der Gestapo: Widerstand im ..., 2003, S. ???).

Im Jahr der Machtergreifung war ihr geistlicher Leiter [Heinrich] Hesse (1892-1951). Im Juni-Heft der Bundeszeitschrift schrieb er 1933 im Namen der Bundesleitung: „... gemäß unserer Auffassung von Ehrlichkeit dürfen wir auch nicht unsern Bund sich in sein Gegenteil verkehren lassen. Wir sehen darum keine Möglichkeit, weiter zu bestehen.“ Somit löste sich die Kreuzfahrer-Jungenschaft Mitte Juni 1933 selbst auf. Der verbliebene Rest schloss sich größtenteils der Jungenschaft des 1920 entstandenen Böhmischen „Reichsbundes der deutschen katholischen Jugend“ an oder ging in den Untergrund.

Bis zuletzt blieben auch diese Gruppen der Gemeinschaftsmesse und dem Anliegen der Liturgischen Erneuerung verbunden, was in ihren Zeitschriften und an den Veröffentlichungen ihrer Leitungen abzulesen ist.

Einer der Herausgeber der "Deutschen Volkschaft", Walter Rest, schloß sich mit Hanns Wienhausen, Josef Schürk und Arnold Münster 1934 enger zusammen. Während Wienhausen ebenfalls von den Kreuzfahrern herkam, war Schürk Mitglied in Neudeutschland. Arnold Münster hatte Verbindungen zum Quickborn und Neudeutschland. Er gehörte zu einer münsterischen Gruppe, "die 1933 aktiv wurde und zunächst ihre Arbeit ohne Verbindung zu anderen Gruppen oder Parteien begann. In ihr hatten sich ungefähr 30 junge Leute, Katholiken, Kommunisten, Sozialdemokraten, Mitglieder der sozialistischen Naturfreunde-Jugend und aus Sportorganisationen zusammengefunden. Neben Arnold Münster gehörte ihr der Sozialdemokrat und Schreiner Georg Kipp und der Jungkommunist und Bauarbeiter Heinrich Hartmann aktiv an. Arnold Münster ist im Übrigen der ältere Bruder von dem später über Walter Dirks und Dieter Sattler eng mit Guardini befreundete Clemens Münster.

Die ambivalente Position der geistlichen Leiter (meist Jesuiten) zur Liturgischen Bewegung

Insgesamt hängt die Intensität des Einflusses der Liturgischen Bewegung auch von den im Bund Neudeutschland hierarchischer vorgesetzten geistlichen Leitern ab. Dort wo sie vertreten waren, handelte es sich dabei oft um Jesuiten, die in sich sehr unterschiedliche Positionen vertraten. Konrad Stangl betont daher zurecht (Neudeutsche im Frankengau 1928-1936, in: Rolf Eilers (Hrsg.): Löscht den Geist nicht aus: der Bund Neudeutschland im Dritten Reich: Erlebnisberichte, 1985, S. 190 ff.), dass das Hirschbergprogramm 1923 zwar „Ziel und Weg des Bundes deutlich“ festgelegt habe, aber die einzelnen ND-Gruppen in der Region und in den Städten weitgehend „von persönlichen und örtlichen Einflüssen bestimmt“ waren. „Dabei spannte sich der Bogen von Gruppen, die als Mittel der Jugendpflege unter geistlicher Leitung verstanden wurden, über Gruppen, in denen in verschiedener Intensität Elemente der Pfadfinderschaft oder des Wandervogels oder der Freideutschen vorherrschend waren, bis zu „Wilden Gesellen“, die sich ein möglichst ungebundenes Jugendreich aufbauen wollten. Impulse für die jeweilige Akzentuierung gingen entscheidend von der Persönlichkeit des geistlichen Führers, jedoch oft mehr noch des Jugendführers aus. Weitere Faktoren wirkten mit, so z.B. die örtliche Situation anderer konfessioneller, bündischer oder auch politisch ausgerichteter Jugendgruppen (Freundschaften, Gegnerschaften, Konkurrenzen, usw.), das gegenseitige Verhältnis der geistlichen Führung zum jugendlichen Gruppenführer, Einflußnahme der Eltern, manchmal auch von Lehrern. Das einigende Band waren das Hirschbergprogramm mit seiner Forderung nach einer Lebensgestaltung in Christus, waren die liturgische Bewegung, Gemeinschaftserlebnisse bei Tagungen und Lagern, bei Gottesdiensten, im Singen oder Musizieren und auf Fahrten.“

Grundsätzlich war zum Beispiel Ludwig Esch als Bundesleiter der Liturgischen Bewegung offen gegenübergetreten, lehnte aber jeglichen Liturgismus ab. Von Alfred Stelzer wird eine Aussage von Esch überliefert (vgl. Jean-Yves Paraïso: "Brief über die Kirche": die Kontroverse um Ida Friederike Görres' Aufsatz: ein Dokumentationsband, 2005, S. 157-167, hier S. 160): „Ich möchte den durch Pater Esch etwas anders formulierten Gedanken erwähnen, dass die liturgische Bewegung schon viel weiter wäre, wenn mehr gütiges Verstehen von dem, wie er einmal sagte, „liturgisch Überbelichteten" geübt worden wäre.“

Diese Haltung gilt weitestgehend auch für die im Bund Neudeutschland einflussreichen Jesuiten Stanislaus von Dunin-Borkowski (1864-1934), Georg Habrich SJ (1883-1945), Theo Hoffmann SJ (1890-1953), Albert Maring SJ (1883-1943 im KZ Dachau), die Herausgeber und Schriftleiter des „Leuchtturm“, Pater Heinrich Jansen-Cron SJ (1891-1956) und P. Gustav Grauvogel SJ (1883-1957) sowie den Schriftleiter der „Burg“ Pater Ludwig Fatzaun SJ.

Auch bei den Bundesleitern gilt ähnliches: weder für Prälat Johannes Nikolaus Zender (1877-1948, Bundesleiter bis 1934), ein aus der Eifel stammender Düsseldorfer Religionslehrer und Priester, noch für den 1934 berufenen Münchner Regierungsassistenten Hans Hien (1905-1984) sind Anknüpfungspunkte zur Liturgischen Bewegung überliefert.

Von nur wenigen für Neudeutschland engagierten Jesuiten ist ein intensiverer Bezug zur Liturgischen Bewegung bekannt. Herausgehoben werden soll, wie schon bei Henrich (1968, a.a.O., S. 198): Pater Martin Manuwald SJ (1882-1961). Er versuchte insbesondere beim Normannsteiner Bundestag 1924 die Verbindung zur Liturgischen Bewegung. Allerdings hat Manuwald auf die Entwicklung vom Ende der zwanziger Jahre an im Neudeutschland nur noch wenig Einfluss.

Erwähnt werden müsste vermutlich noch Pater Ansgar Seibert SJ (* 1883), geboren in Kaiserslautern, als Jesuit dann wohl vor allem in München, der als volksliturgischer Schriftsteller im Verlag „Saarbrücker Druckerei und Verlag“ veröffentlichte, in dem auch die „Neudeutschen Werkhefte“ und andere Programmschriften des Bund Neudeutschland, verfasst unter anderem von Esch, Lossen und Fechter erschienen sind. Es handelt sich dabei in den Jahren 1928 bis 1933 um volksliturgische Texte in einer Schriftenreihe „Zu uns komme Dein Reich“. 1931 veröffentlichte er zum Beispiel eine „Volksliturgische Andacht zum Heiligen Geist und zur heiligsten Dreifaltigkeit. Nach Texten der heiligen Schrift und Liturgie“, um 1933 folgte eine von ihm bearbeitete „Volksliturgische Meßfeier“. Über die Wirkung dieser zwar einschlägigen Schriften im Bund Neudeutschland ist nur wenig bekannt. Später scheint Seibert dann in eine jesuitische Gemeinschaft in die Schweiz nach Luzern gegangen zu sein (nachweisbar von 1937 bis 1942).

Die liturgisch Bewegten unter den Jungenführern, Mark- und Gauleitern

Daher ist noch ein Blick auf die einflussreichen Jungenführer, Mark- und Gauleiter, teilweise bereits im Älterenbund, jedoch bei Tagungen und Lagern präsent, zu richten. Aber auch von ihnen fallen für die frühe Zeit eigentlich nur Heinrich Kahlefeld - und dieser auch nur anfänglich - sowie Richard Egenter und Josef Gülden ins Gewicht.

Heinrich Kahlefeld (1903-1980)

Bereits 1921 hatte der junge Theologiestudent Heinrich Kahlefeld, später in den dreißiger Jahren einer der engsten Mitarbeiter Romano Guardinis auf der Burg Rothenfels sowie Leipziger Oratorianer, einen neudeutschen Lebensstil gefordert, der auch die liturgische Bewegung stärker integrieren sollte. Kahlefeld wird sich dann – trotz Hirschberger Programm - weitgehend enttäuscht 1923 dem Quickborn anschließen. Damals wechselte wohl aus ähnlichen Beweggründen auch Werner Becker zum Quickborn.

Richard Egenter (1902-1981)

Richard Egenter, der 1927/28 Bundesleiter von Großneudeutschland ist, hatte Anfang der sechziger Jahre einen Aufsatz „Das Sentire cum Ecclesia im liturgischen Vollzug“ geschrieben, in dem er an die Verdienste der Liturgischen Bewegung erinnerte. Auch Georgine Lerch (Richard Egenter: Leben und Werk, 2000, S. 52) berichtet: „Die Hochschätzung, die Egenter der Liturgie entgegenbringt – er nennt sie z.B. die „innerste Lebensäußerung der Kirche“ -, wurde wohl wie andere seiner Grundüberzeugungen durch die Mitgliedschaft in der katholischen Jugendbewegung grundgelegt. Ein vertieftes religiöses Leben der einzelnen Mitglieder wie der Gruppen wurde von den Anfängen des Bundes Neudeutschland an als ein Auslese- und Unterscheidungsprinzip gewertet. Beginnend mit dem Quickborn (hauptsächlich unter dem Einfluß von Romano Guardini) wurde auch die liturgische Bewegung bzw. Erneuerung von der (katholischen) Jugendbewegung - aus deren Sehnsucht nach Gemeinschaft heraus - zu ihrem eigenen, tiefsten Anliegen gemacht; für den Bund Neudeutschland gilt dies vom Bundestag 1922 [sic!] auf Normannstein an.“ Egenter hatte diese Positionen sicherlich auch schon während seiner aktiven Bundeszeit vertreten.

Josef "Jupp" Gülden (1907-1993)

In dem Selbstbericht von Josef Gülden (in: Rolf Eilers, Löscht den Geist nicht aus, 1985, S. 84) heißt es: „Meinen Weg in der Zeit der Weimarer Republik Im Jahre 1919 kam ich in der Mönchengladbacher (damals M. Gladbacher) Urgruppe zum Bund. 1923 wurde ich mit 16 Jahren (in der Obersekunda) Gauleiter des Thomasgaues (Kempen, Krefeld, M. Gladbach, Neuss, Düren usw.), als unsere ältere Mannschaft (z. B. Werner Becker) fast geschlossen zum Quickborn gegangen war. So mußten Jüngere in leitende Bundesaufgaben hineingewählt werden. Mein Vorgänger war Heinz Dumoulin, der sein ganzes Leben als Jesuit in Japan gearbeitet hat. In den Tagen nach Weihnachten 1923 war ich zum ersten Mal bei der Gauleitertagung auf der Burg Normannstein dabei. Ich war auch 1924 auf der Burg an der Diskussion über die »Normannsteiner« beteiligt. Ich gehörte damals mit dem Westfalen Hans Hellweg, der später auch nach Japan ging, zu den wenigen Gauleitern, die sich bei der Entscheidung der Stimme enthalten haben. Wir waren keine „Normannsteiner“, aber wir wollten sie im Bund behalten und mit ihnen im Gespräch bleiben. Ein Vierteljahr später schlossen sich fast alle Teilnehmer einer Westmarktagung unserer Meinung an, was P. Esch große Sorgen bereitete."

Nach der ND-Romfahrt von 1926 blieb Gülden zum Studium in Innsbruck, von wo aus er zusammen mit anderen "im geheimen ein Oratorium" vorbereitete". Dort hat er bis 1928 in Großneudeutschen-Gruppe (GND) des Canisianums mitgearbeitet. Als er 1928 nach Bonn gegangen war, habe er auch im Leoninum die Gruppenarbeit mitgestaltet. Er sollte nach Ostern 1928 zum GND-Westmarkleiter gewählt werden, was aber seine älteren "Mitbrüder" verhinderten, indem sie ihn in ein Gastnoviziat für das kommende Oratorium zu den Benediktinern nach Beuron schickten.

Auf Egenters Bitte hin hält Josef „Jupp“ Gülden auf der GND-Tagung vom Breuberg vom 3.-7.10.1928 das Hauptreferat „Lebensprinzip und die Einordnung unserer Lebensbewegung und Lebensgemeinschaft“ (abgedruckt im 2. Heft der neu entstandenen „Werkblätter“ (Dezember 1928): Die neudeutschen Gruppen müssen als „Urzellen der Kirche“ „mithelfen, daß das Wesen der Kirche in den Gemeinden erwacht.“ Gülden erinnert sich an diese Begebenheit: "Mich beschäftigte, angesteckt durch den Urkreis des werdenden Oratoriums, die Frage: Ist unser Bund nicht zu rein akademisch interessiert, stehen wir nicht zu sehr neben den Pfarrgemeinden? Dieses Referat ist im 2. Heft der eben entstandenen »Werkblätter« (WBL) vom Dezember 1928 abgedruckt: »Lebensprinzip und Einordnung unserer Lebensbewegung und Lebensgemeinschaft«. Zu der Gründung der WBL war es gekommen, als wir die »Kreuzfahrt« aufgegeben hatten, um eine vereinigte Zeitschrift der katholischen Jugend zu unterstützen, die von G. Wagner im Namen von Ludwig Wolker unter dem Titel »Stimmen der Jugend« in Düsseldorf herausgegeben wurde. Wir hatten uns dazu entschlossen, um uns noch stärker in die Strukturen der Kirche einzuordnen, die eben auf der Basis Bistum / Pfarrgemeinde lebt und wirkt. So brauchten wir für uns ein Nachrichtenblatt. Es war ein grundsätzliches Referat über die Jugendbewegung, wie wir sie als junge Christen im Bund damals verstanden wissen wollten. Ich war angeregt durch die Ekklesiologie, wie sie in den Werken von M. Scheeben zum Ausdruck kommt. Diese Vorstellungen wurden durch P. Anselm Manser OSB ergänzt, den ich im Gastnoviziat in Beuron als Bibliothekar kennenlernte; er hatte eine Zeitlang großen Einfluß auf Max Scheler gehabt. Mich führte er zu einer »theologia cordis«, wie sie vom französischen Oratorium des 17. Jahrhunderts am stärksten entwickelt worden ist. Ich lernte die Gedanken von Kardinal Bérulle kennen, der eine Christologie und Christusfrömmigkeit, wie wir sie in den Christuskreisen gesucht hatten, in theologischer Tiefe entwickelt hat."

Nachdem Gülden für den Rest seines Studiums von Bonn und ins Kölner Priesterseminar umzog, habe er seiner Bonner Theologengruppe dies mit den Worten erklärt: "Wir müssen unser ganzes Leben für die Verkündigung der Wahrheit einsetzen, daß die Kirche corpus Christi mysticum ist und wir alle, Klerus und Volk, die Kirche sind." Diese Wahrheiten seien im Bonner Kreis schon lebendig gewesen, angeregt durch Guardinis Schriften und die Liturgische Bewegung.

Nach Abschluss des Studiums wurde Gülden 1932 in Aachen zum Priester geweiht. 1934 ging er schließlich in das 1930 gegründete Oratorium in Leipzig, blieb aber dem Bund Neudeutschland treu.

Die Herausgeber der "Werkblätter
Max Müller und Rolf Fechter (1932-1936)

Max Müller (1906-1994), der vom Quickborn und von Guardini her kam und erst während des weiteren Studiums in München und Freiburg zum Bund Neudeutschland kam, gab von 1932 bis 1935 die Werkblätter des Bundes Neudeutschland heraus. Über seine eigenen Erfahrungen berichtet er 1994 im Gespräch mit Wilhelm Vossenkuhl (Auseinandersetzung als Versöhnung, 1994, S. 123): „Wir hatten auch als junge Katholiken eine ganz andere Vorstellung von dem (Sie kennen ja die „Liturgische Bewegung“), was „Messe“ ist. Daß jenseits des fatalen Unterschiedes von Klerus und Volk, der ja im späten Mittelalter durch die Erbauung der „Lettner“ in der Trennung der „Stände“ gleichsam einen architektonisch sichtbaren Ausdruck fand, und in Spanien sogar unter Zerstörung der Einheit vieler schöner Kirchenräume eine besondere Kleruskirche in das Hauptschiff gesetzt hat, diese dauernde Integration der Differenz Priester und Volk gerade während der Messe sich vollziehen muß, wobei nicht die Abschaffung des Unterschiedes notwendig wäre, sondern eben die „Integration“, die die Differenz zur Voraussetzung hat. Solches war um 1925 überwiegend die Ansicht jener jungen Generation, als deren Träger wir uns fühlen zu dürfen meinten. Die Weise, wie Romano Guardini, wir meinten damals als erster, zelebrierte, schien uns das zu zeigen: Er zelebrierte die Messe dem Volk zugewandt „versus populum". […] In der ersten Hälfte meines Lebens hat mir die Absolutsetzung bestimmter klassischer Form stadtrömischer Liturgie, die ich nicht als römisch-imperiale Weise, sondern kuriale Enge nur auffaßte, oft zu schaffen gemacht und und mit mir ebenso sicher manchem meiner Freunde. Wir wehrten uns gegen eine „Verordnungskirche“, die alle Einzelheiten regeln wollte und kein freies Spiel religiöser Kräfte mehr zuzulassen schien. Wir meinten, die „Freiheit des Christenmenschen " solle sich nicht nur auf das „Gewissen" bei speziellen Entscheidungen beziehen, sondern universal die Lebensformen und die ganze geschichtliche Existenzweise umfassen, wo der analoge „Sinn" allein Maßstab und Regel der Weisen des Ganzen und damit auch des religiösen Lebensvollzuges sein sollte. […] Wir liebten die deutsche Gemeinschaftsmesse und pflegten sie. Daß aber auch das exemplarische Latein in seiner einigenden Formkraft nicht entwertet werden kann und daher nicht abgeschafft werden soll, sondern gerade auch in einem bestimmten Wechsel heute noch seinen Platz erhält; das ist kein „fauler" Kompromiß der Sprachen, sondern echte Zusammenkunft und Sammlung der Vielfalt in einem nicht untergegangenen Einen. Krisen der katholischen „Frömmigkeit“ Damals aber war die mangelnde Toleranz der offiziellen Kirche, die in jeder Pluralität statt Reichtum der Entfaltung nur Abspaltung und zu unterdrückendes Sektierertum sehen zu müssen glaubte, für uns schwer erträglich. […] Bei allem in der Jugendbewegung aufgebrochenem neuen „sentire cum ecclesia", das eine Folge jenes „Erwachen der Kirche in den Seelen“, wie es Guardini nannte, war, war doch als Störfaktor der Nachklang des unbewältigten „Modernismus-Konfliktes" des letzten Drittels des 19. Jahrhunderts immer noch präsent. Das Vaticanum II brachte für diese von der Jugendbewegung her bestimmte Generation nichts umstürzend Neues: Das Positive des um die Jahrhundertwende noch einseitig in seiner Ganzheit offiziell bekämpften und von Rom her zerschlagenen „Modernismus" lebte bei uns fort, ohne daß dessen (angebliche oder nicht angebliche) „Verirrungen“ mit übernommen wurden. Die heute wieder populär gewordenen und besonders in den Medien eine Rolle spielenden Schein - Gegensätze von „Amtskirche“ und „Volk Gottes", die zwischen 1970 und 1990 zu manchen Feindschaften und Zerreißproben führten, waren in den Jahren vor dem Zweiten Weltkrieg und unmittelbar nach ihm noch nicht zum Schlagwort entartet. Ein Gegensatz zur offiziellen Kirche war in mancher Hinsicht natürlich vorhanden, aber eben nur „in mancher Hinsicht". Wir wollten immer „Vortrupp" sein, aber nicht einfach der bestehenden Kirche, sondern einer neuen Gestalt ihrer selbst. […]“

Rolf Fechter (1912-1990), seit 1923 Mitglied im Bund Neudeutschland, später Leiter des Altbadengaus, hatte bereits 1929, als Heft 3 der Neudeutschen Werkhefte sein einflussreiches Buch „Jugend gestalten im Leben“ im Verlag „Saarbrücker Druckerei und Verlag“ veröffentlicht, das bereits im Jahr darauf in zweiter Auflage erschien. Während seines Studiums in Wien hat er dann 1932 zusammen mit dem evangelischen Pfarrer Friedrich Kröcker ein kleines Buch über „Die religiöse Situation der christlichen Jugend Deutschlands“ verfasst (Verlag Bonz, Stuttgart). Er schreibt dazu selbst: „Als Charakteristika einer insbesondere von der bündischen katholischen Jugend ausgehenden religiösen Erneuerung waren darin von mir genannt worden: Hinwendung zur Gemeinschaft, zum Ganzen, intensiveres Leben mit der Liturgie und schließlich ein Zug zum Wesentlichen: zum „ganzen Christus“ – weithin ein Anknüpfen an den Geist der Urkirche. Als ich Mitte 1933 nach Deutschland zurückkehrte, um in Heidelberg weiterzustudieren, saß Hitler schon fest an den Schalthebeln der Macht, und der Neudeutsche Älterenbund hatte keinen Leiter, ja, drohte auseinanderzufallen. In dieser Situation hielt fast allein Max Müller, Universitätslehrer in Freiburg, durch die Fortführung der Bundes-Zeitschrift »Werkblätter« (WBL) die Gemeinschaft über ein Jahr zusammen. Mein Buch verschwand hinter drängenderen Problemen. Ich entschloß mich, Max Müller auf seinen Wunsch als Mitarbeiter und Schriftleiter (der sich mehr um die organisatorischen Fragen kümmern sollte) beizustehen und habe das etwa zwei Solidarität mit dem zurückgetretenen Max Müller meine regelmäßige Tätigkeit bei den WBL aufgab. Aber es erschienen darin bis zu ihrem Ende 1939 noch Beiträge von mir.“ (Rolf Fechter: Vom Vaterland zum Konzentrationslager. Bemerkungen zur Arbeit mit den „Werkblättern“, in: Eilers (Hrsg.), a.a.O., S. 97 ff.)

Daher war auch schon unter Müller und Fechter die Liturgie und die Liturgische Bewegung in den Werkblättern durchaus präsent, wenn auch noch nicht wirklich prägend. Dies änderte sich erst ab 1936 mit Josef „Jupp“ Gülden.

Jupp Gülden (1936-1939)

1936 wurde schließlich Gülden Leiter des Neudeutschland-Älterenbundes und zugleich Redakteur der „Werkblätter“, während er aber seine pastoralliturgische Arbeit im Leipziger Oratorium und in der Liebfrauenkirche fortsetzte. Durch diese Verbindung "wurde die Zeitschrift der Großneudeutschen zu einem damaligen Mittelpunkt der Liturgischen Bewegung und Erneuerung" (Henrich, a.a.O., S. 212). Dabei trat unter seiner Leitung das Thema einer volksnahen Liturgie (unter Ablösung der lateinischen Sprache) in den Vordergrund. 1937 wurde die Zeitschrift vom Bund gelöst, der ohnehin 1936/37 bis auf einen Koordinator „totgelegt“ worden war.

In seinem "Vorwort zum `Volksliturgischen Sonderheft´" (in: Werkblätter 10, 1937/38, S. 38 f.) schrieb Gülden: „Die sogenannte 'Liturgische Bewegung' hat das größte Interesse daran, sich selbst zugunsten einer Gesamtarbeit des ganzen, in Haupt und Gliedern geeinten Gottesvolkes überflüssig zu machen.“ Theodor Maas-Ewerd (Die Krise der liturgischen Bewegung in Deutschland und ..., 1981, S. 165 f.) misst diesem Text eine gewisse Bedeutung zu, weil er „nach vielen Einzelbemühungen um die Gestaltung des gottesdienstlichen Lebens“ eine erste Zusammenfassung der praktischen Ergebnisse" und der „grundlegenden Erkenntnisse“ zu geben versuchte. So heißt es darin weiter: "Wir haben uns darum bemüht, aus der Struktur der überkommenen Liturgie heraus die Gesetze für eine Regel der heutigen Feier abzuleiten; aus dem Geist der wesentlichen und echten Traditionen eine Form zu finden, die von uns heute wirklich innerlich mitvollzogen werden kann; vorsichtig Beispiele dafür zu geben, in welcher Richtung die weitere Arbeit zu erfolgen hat; zu zeigen, wie die innere Anteilnahme des Volkes sichergestellt und ermöglicht werden kann". Es ging darum, „die trennenden Scheidewände zwischen Altar und Gläubigen zu beseitigen", die Gemeinde „möglichst intensiv und möglichst viel am priesterlichen Beten und Tun der Liturgie teilnehmen zu lassen" (ebd., S. 165). Güldens Vorwort spricht die berechtigte „Sorge um das tiefere Verständnis der wirklich wichtigen Dinge“ aus: „Es scheint uns hohe Zeit zu sein, dafür zu sorgen, daß die Gefahr vermieden wird, daß durch ein falsches, unerleuchtetes und sich von der schwierigen Aufgabe einer soliden theologischen Grundlegung dispensierendes Experimentieren die volksliturgische Arbeit um ihre eigentlichen Früchte gebracht und auch bei Gutmeinenden miẞkreditiert wird" (ebd.). Es sei „dringend notwendig, daß die volksliturgische Arbeit aus der Einschätzung, Steckenpferd einer bestimmten `Richtung´ innerhalb des Klerus und der Laien zu sein, herausgeholt wird und zum Anliegen der ganzen Kirche gemacht werden kann“ (ebd.) So beschäftigte sich auch Gülden in der Folgezeit vor allem mit "deutschen liturgischen Texten (J. Gülden, Deutsche liturgische Texte. Versuch eines geschichtlichen Überblickes, in: Werkblätter, 11, 1938/39, S. 55).

Das neue Ziel - insbesondere der Leipziger Oratorianer - war aber nun nicht mehr die lateinischen Texte nur zu übersetzen und "auch" nutzbar zu machen, letztlich aber im Sinne einer Hinführung zur "richtigen", der lateinischen Form, wie zum Beispiel noch bei der von den Grüssauer Benediktinern herausgegebenen Komplet, sondern die deutschen Texte als gleichberechtigt darzustellen und somit zum Beispiel die "Deutsche Komplet" eigenständig, ohne lateinische Ursprungstexte zu veröffentlichen (vgl. dazu E. Iserloh, Die Geschichte der Liturgischen Bewegung, a.a.O., S. 119). Diese Vorstellung wurde von Gülden über die Werkblätter auch in den Bund Neudeutschland getragen, wie man im Sommer 1939 am Sonderheft „Volk - Sprache - Kult" (Werkblätter, 11, 1938/39, Heft 4/5) sehen kann. Dort schreibt Gülden in seinem Vorwort, dass es nicht mehr um das Ziel selbst gehe, dieses sei hinreichend deutlich, sondern um den Weg, auf dem dieses Ziel zu erreichen sei: "Man kann heute … so viele Worte hören, die aus der Resignation kommen, Worte, die überall schon wieder eifrig innerkirchliche Gefahren wittern; dagegen stellen wir das Recht des freimütigen Wortes, das aus der Verantwortung kommt“ (J. Gülden, Vorwort zum Sonderheft „Volk - Sprache - Kult", in: Werkblätter, 11, 1938/39, S. 135).

Im verbotenerweise noch versandten letzten Heft der „Werkblätter“ im Jahr 1939 hieß es schließlich diesen volksliturgischen Prozess kennzeichnend: „Wir gingen alle nicht in die „Sakristei“, wir gingen an den Altar. Von da aus aber in die ganze Welt.“

Breuberger Bundestag 1935

Franz Henrich berichtet in seiner Arbeit über „Die Bünde katholischer Jugendbewegung“ (1968, S. 210) von einem Beschluss beim Bundestag der älteren Neudeutschen in Breuberg 1935 zum einen den Älterenbund zu straffe, zum anderen die Stärkung des Besuchs der Missa: „Wir haben bisher nur zu oft erleben müssen, daß primitivste Schlamperei unsere Überzeugung, daß die Messe das Zentrale all unserer Gemeinschaftsarbeit ist, zu einer luftigen Theorie zu machen drohte …“ Von jetzt an soll wieder gelten: „Die Messe muß zum Rhythmus unserer Gemeinschaftsarbeit werden. Theoretisch ist sie es schon lange. In der Praxis muß sie es jetzt oder nie werden.“ Zu den damaligen Führern gehörten P. Grauvogel, Egenter, Wühr, Hien, Puhl, Müller und Fechter.

Zusammenfassung

In ihrer aktiven Frühzeit können auch die Brüder Buschlinger, Rolf Fechter, Guido Fischer, Karl Holzamer, Helmut Ibach, Franz Mahr, Max Müller und viele andere als "Liturgiebewegte" angeführt werden, von denen Müller, Fechter und Gülden später auch als Herausgeber und Schriftleiter der Werkblätter verantwortlich zeichneten. Sie standen dabei in enger Verbindung zu Egenter. Gerade deshalb wehrt sich Max Müller später zu Recht gegen eine Darstellung Franz Niedermayers (Zeit- und Bundesgeschichte in ihrer Verschränkung, in: Hirschberg, 36, 1983, 432-438), der „einen Gegensatz von Richard Egenter zu meiner Schriftleitung und einigen anderen von mir herangezogenen Autoren (wie R. Fechter und O. Köhler) konstruieren will“. Dies sei ein Irrtum: „Richard Egenter stand durchaus auf unserer Seite, auf der gleichen Linie wie wir. Und was dort in jenem Hirschbergaufsatz, sonst noch über die WBL jener Jahre gesagt ist, kann nur (als aufgrund einer nicht sehr gründlichen Lektüre entstanden) als verletzend bezeichnet werden.“ (Rolf Eilers (Hrsg.): Löscht den Geist nicht aus: der Bund Neudeutschland im Dritten Reich: Erlebnisberichte, 1985, S. 57 f.)

Von keinem dieser frühen "Liturgiebewegten" im Bund Neudeutschland ist allerdings ein unmittelbarer Einfluss auf Willi Graf bekannt, am ehesten zu vermuten für Müller, Fechter und Gülden über die von ihnen geprägte Bundeszeitschrift der „Werkblätter“, die Graf wohl gekannt und teilweise auch gelesen haben dürfte.

1928 Schülergruppe des ND am Ludwigsgymnasium

Kurz nachdem Willi Graf 1928 Schüler das staatlichen Ludwigsgymnasiums zunächst in der Hohenzollernstraße (später im Comeniushaus in der Keplerstraße) in Saarbrücken geworden war, trat er 1929 (vgl. Gedenkstätte Deutscher Widerstand, Willi Graf – Biografie) dem katholischen Schülerbund „Neudeutschlands“ (ND), eine Jungenschaftsgruppe des ND, bei – „ein für Willi Grafs weiteren Lebensweg ganz entscheidender Schritt. Denn während er die Schule mehr als „Spiel“ auffasste und nahezu problemlos meisterte, wurde im „Neudeutschland“ zunehmend zu dem eigentlichen Bezugs- und Orientierungspunkt. Das jugendbewegte Fahrtenleben des Bundes, die Gemeinschaft mit Gleichaltrigen und Gleichgesinnten, die gemeinsame Suche nach Vorbildern und Idealen und da durchaus elitäre Züge tragende Bemühen nach eigener Vervollkommnung durch Bildung, vor allem in der Theologie, Philosophie, der Literatur- und Kunstgeschichte – dies alles prägte den jungen Schüler so sehr, dass „Neudeutschland“ schon bald mehr Einfluss auf sein Denken ausübte als sein Elternhaus.“ (Kißener, a.a.O., in: Michael Kißener/Bernhard Schäfers (Hrsg.): "Weitertragen": Studien zur "Weissen Rose", a.a.O., S. 12).

Die Aktivitäten des Bundes vor Ort dokumentiert Schäfer in einem eigenen Kapitel und durch die erstmalige Veröffentlichung von Grafs Tagebucheinträgen aus dem Jahr 1933 im Anhang seines Buches. (Franz Josef Schäfer, Willi Graf und der Graue Orden. Jugendliche zwischen Kreuz und Hakenkreuz. Röhrig Universitätsverlag, St. Ingbert 2017, S. 67)

Aktuell ist noch nicht ganz klar, wer an dieser Schule von wann bis wann geistlicher Leiter dieser Schülergruppe war. Mit dem dortigen Religionslehrer Studienrat Hilarius Willscheid (1884-1952) hatten sie aber aufgrund von dessen geistiger Nähe zum Gedankengut von Alfred Rosenberg ihre Schwierigkeiten.

Wichtige Freundschaften im Saarbrücker ND:

  • Rudi Alt (1915-2002): Willi Graf hatte Rudi Alt etwa 1932 kennengelernt, zu einer Zeit, da Rudi Alt als Führer einer ND-Gruppe Ziele der autonomen Jungenschaft zu verwirklichen suchte. Aus der Bewunderung des Jüngeren für die Ideen des Älteren entstand eine dauerhafte Freundschaft. Rudi Alt machte 1934 am Sulzbacher Gymnasium Abitur und begann ein Studium der Katholischen Theologie und Philosophie an der Universität Trier. Rudi Alt stand auch dem Kreis des „Grauen Ordens“ nahe. 1936 wurde er zum Reichsarbeitsdienst einberufen, von 1939 bis 1942 wurde er zum Kriegsdienst eingezogen und in Sewastopol schwer verwundet. Ab 1942 studierte er in Freiburg Klassische Philologie (Latein), Germanistik und Geschichte. Dort wurde er am 9. März 1943 wegen seiner Mitarbeit bei der Weißen Rose verhaftet und zu einer siebenjährigen Haftstrafe verurteilt, die ihm aber aufgrund seiner Kriegsverletzung erlassen wurde. Am 11. November 1944 verzog Alt nach Merzig und arbeitete als Prokurist. Nach dem Krieg heiratete er und gründete eine Familie.
  • Heinz Bollinger (1916-1990). Bollinger war von Anfang an kritisch gegenüber dem Nationalsozialismus eingestellt gewesen, zum einen aufgrund seines am Zentrum orientierten Elternhauses und seiner Mitgliedschaft im Bund Neudeutschland, zum anderen aufgrund seiner Informationen über die Verhältnisse unter der NS-Herrschaft zu der Zeit, als das Saarland noch nicht angegliedert war. Unter dem Eindruck des Überfalls auf die Sowjetunion hatte Bollinger dann im November 1941 den Entschluss gefasst, aktiv zu einem Kriegsende beizutragen, entweder durch einen Tyrannenmord oder durch ein Gesuch beim Papst. Beide Möglichkeiten erwiesen sich schnell als unrealistisch, weshalb Bollinger damit begann, zunächst nach Gesinnungsgenossen zu suchen. Einen ersten Bezugspunkt bildete die katholische Studentengemeinde, die damals von dem ohne Zweifel anti-nationalsozialistisch eingestellten Studentenpfarrer Hermann Schäufele, dem späteren Erzbischof, betreut wurde. Dieser riet Bollinger jedoch zur Zurückhaltung, um niemanden und vor allem nicht die Kirche zu gefährden.
  • Hein Jacobs (1917-1944, vermisst),
  • Helmut Bauer (1919-1952) und
  • Willi Bollinger (1919-1975)
  • Außerdem von den fünf Mauer-Brüdern zumindest: Ludwig (1911-?, Priester, in Russland vermisst), Alois (1920-1943, gefallen) und Josef Mauer (1922-?, vermisst) (alle auch G.O.)

Willi Graf beteiligte sich sowohl an der ND-Sommerfahrt 1933 nach Franken als auch an der ND-Sommerfahrt 1934 nach Ostpreußen. Ob er dagegen auch bei der Rom-Wallfahrt an Ostern 1934 beteiligt war, wie sich Helmut Gressung zu erinnern glaubt ("wohl auch Willi Graf"), ist nicht gesichert. Eher dürfte er auf Burg Rothenfels gewesen sein.

Der Freund Willi Bollinger schrieb später über diese gemeinsame Jugendzeit in Saarbrücken: „Die Jugend versuchte damals wie heute sich ihre Welt selbst zu gestalten. In der Grenzstadt Saarbrücken war das geistige Leben Anfang der dreißiger Jahre außerordentlich rege. An ungezählten Abenden wurde unter Gleichgesinnten diskutiert, kritisch fragten wir Jugendlichen nach verbindlichen Imperativen. Es war der Beginn der neuen liturgischen Bewegung. In theologischen Arbeitskreisen bemühten wir uns um tiefere Erfassung unseres Glaubens. Dichterlesungen, Musikabende, philosophische Diskussionen füllten die Freizeit zum größten Teil aus, Wanderungen, Fahrt und Lager waren aus unserem Leben nicht wegzudenken“ (Klaus-Michael Mallmann, ‎Hans-Walter Herrmann, ‎Gerhard Paul (Hrsg.): Das zersplitterte Nein: Saarländer gegen Hitler, 1989, S. 32).

1932-1936 Der neudeutsche Kaplan Johannes Wagner und die Deutschen Vesper/Komplet in Saarbrücken

Offensichtlicher in der liturgischen Bewegung stand ein junger Kaplan in Saarbrücken-Burbach, nämlich Johannes Wagner (1908-1999) - ab 1947 Mitarbeiter, ab 1950 Direktor des Liturgischen Instituts in Trier.

Johannes Wagner war selbst Mitte der 20er Jahre im Andernacher Stiftsgymnasium dem Bund Neudeutschland beigetreten und hatte es bis zum Gauvorsitzenden des Mittelrheingaues gebracht, dürfte daher im Bundesumfeld kein Unbekannter gewesen sein. Nach seiner Priesterweihe durch Bischof Bornewasser 1932 war Wagner zunächst Kaplan an St. Eligius in Saarbrücken-Burbach unter Pfarrer Nikolaus Schellenbach und gemeinsam mit den Mitkaplänen Joseph Guldner und Nikolaus Schneider; und dann ab 1935 ebendort als Caritasdirektor mit Sitz im Caritas-Haus in Saarbrücken-Malstatt tätig (vgl. Archiv-Vegelahn: https://www.archiv-vegelahn.de unter Autoren).

Hans Renner berichtete am 4. Juli 2001 in einem Interview mit Günter Gehl (Günter Gehl: Katholische Jugendliche im Dritten Reich in der katholischen Provinz: Grenzen der Gleichschaltung--drei Beispiele im Bistum Trier, 2008, ohne Seite): „Johannes Wagner brachte in Saarbrücken die Deutsche Komplet (alle 4 Wochen samstags) voran“, andere sprechen sogar davon, er habe die „Deutsche Komplet“ „regelmäßig Samstagsabends“ und zwar in der Kapelle des Caritas-Hauses in Saarbrücken-Malstatt [Kleine Schulstraße 11] und mit einer großen Zahl von Jugendlichen gefeiert. (Andreas Heintz, Das Komplet der Jugend in den vierziger Jahren, in: E. Renhardt/A. Schnider (Hrsg .), Sursum corda. Variationen zu einem liturgischen Motiv, Granz 1991, S. 185–188; ders., Evangelisierung durch die Liturgie. Jugendgottesdienste in Trier zur Zeit des NS-Kirchenkampfes und in den Nachkriegsjahren, in: Andreas Heinz/Wolfgang Lentzen-Deis und Ernst Schneck (Hrsg.), Wege der Evangelisierung. Heinz Feilzer zum 65. Geburtstag, Trier 1993, S. 147–165; Andreas Heinz: Jugend-Komplet in der Domkrypta. Gedenken an eine Tradition, die vor 50 Jahren in Trier begründet wurde, in: Trierer Bistumsblatt Paulinus, 23.3. 1993).

Während seines Theologiestudiums hatte Wagner in seinem Dogmatikprofessor, Prof. Dr. Heinrich von Meurers den späteren Generalvikar des Bistums Trier (ab 1936) kennengelernt, der wiederum den jungen Johannes Wagner noch 1936 auf die neu geschaffene Stelle eines Diözesansekretärs der katholischen Aktion berief. Mit Johannes Wagner wurde die Deutsche Vesper und das Deutsche Komplet auch in Trier gefeiert/gebetet. Alsbald wurde Johannes Wagner in Trier als rechte Hand von Meurers als Sekretär für die Liturgischen Arbeitskreise und Kommissionen zuständig, zu denen unter anderen regelmäßig Romano Guardini gehörte. Auch wenn bislang keine unmittelbare Verbindung zwischen Johannes Wagner und Willi Graf für Saarbrücken nachweisbar ist, ist die Wahrscheinlichkeit dafür groß, da es nahezu unvorstellbar ist, dass Willi Graf ist nicht wahrgenommen hat, dass sich in der Kapelle im Caritas-Haus von Saarbrücken eine große Zahl von Jugendlichen für die Deutsche Vesper oder die Deutsche Komplet versammelten.

Richtungsweisend war dann aber Meurers offizielle Einführung der Deutschen Komplet ab 1942 als Ergebnis der Forderungen der liturgischen Bewegung: „Ab dem 6. Juni 1942 wurden jeden Samstagabend die Jugendlichen der Stadt Trier zunächst in der Welschnonnenkirche und später kriegsbedingt – trotz Widerständen aus den Reihen des Domkapitels – in die Ostkrypta des Trierer Domes zum Gesang der Deutschen Komplet eingeladen. Die Resonanz war groß. Die Jugendlichen versammelten sich um einen in der Mitte aufgestellten Holzaltar, der Priester war den Gläubigen zugewandt. Dies rief Proteste hervor, denen Bornewasser jedoch nicht nachgab.“ (Gehl, a.a.O., S. 122) Andernorts spricht Heinz von bis zu 200 Jugendlichen, die sich in dieser Kriegszeit in der Domkrypta versammelten.

In diese Richtung gehen auch die 1930 in Leipzig gegründeten Oratorianer. Die Gründung des Oratoriums in Leipzig basiert dabei auf einer unter dem Einfluss von Kardinal Newman und von Romano Guardini gewonnenen Idee der Innsbrucker Theologiestudenten Theodor Gunkel, Heinrich Kahlefeld, Ernst Musial, Philipp Dessauer und Klemens Tilmann.

Sie haben ab 1933 Heftchen herausgegeben mit Titeln wie “Deutsche Komplet. Zum Singen für die Gemeinde” (hrsg. von Theodor Gunkel und Heinrich Kahlefeld), “Deutsche Vesper zu verschiedenen Anlässen” u.v.m., die auch im Bund Neudeutschland eine weite Verbreitung gefunden haben.

"Liturgische Messe" und Exerzitien (Tagebuch 1933)

„Daß Willi Graf die Liturgie viel bedeutete, geht schon aus seinem ersten Tagebuch von 1933 hervor; immer wieder ist dort von Liturgie und von der 'Liturgischen Messe' die Rede; z.B. am 26.2., 19.3., 25.3., 5.5., 7.5.1933. Ebenso ist von Exerzitien bei P. Esch SJ im Kloster Ensdorf [Noviziat der Salesianer Don Boscos] die Rede: 17.-20.4.1933 [Osteroktav]“ (Vieregg/Siefken, Restistance to National Socialism, 1993, S. 62)

Auch schon sein Schott-Meßbuch gibt Zeugnis von dieser Bedeutung der Liturgie: „Insbesondere aber gibt sein völlig abgegriffenes Schott-Meßbuch Zeugnis von seiner intensiven Beschäftigung mit Glaubensfragen in der Praxis der Mitfeier des Gottesdienstes. Den äußeren Spuren nach zu schließen, hat Willi Graf – im wahrsten Wortsinn – Seite für Seite `durchgebetet´. Abgesehen von den Hochfesten spielen Gebete zu den Bekennern und Märtyrern der katholischen Kirche die oberste Rolle: Sie bestärkten ihn in der `Nachfolge: die Heiligen Stephanus, Laurentius, Cosmas und Damian, Johannes der Täufer. Studiert man in diesem Gebetbuch die Lesung am Fest Johannes des Täufers genau, so drückt sie einen Aufruf zum Widerstand aus. [Schott-Meßbuch Willi Grafs, o.O., S. 775)“ (Hildegard Vieregg: Christlicher Jugendwiderstand: Willi Graf, in: Resistance to National Socialism. Second Nottingham Symposium 1993, hrsg. v. Hinrich Siefken, Hildegard Vieregg, Nottingham 1993. II, S. 55).

Wenn Willi Graf also im Tagebuch des Jahres 1933 immer wieder von der „liturgischen Messe“ in den Gruppen von Bund Neudeutschland die Rede ist, kennen wir nicht deren konkrete Ausprägung, die immer sehr stark vom jeweiligen geistlichen Leiter abhing. Aber mit Franz Henrich gilt aber allgemein, daß auch der Bund Neudeutschland mit seiner »Missa«, neben dem Quickborn, aber noch »lange bevor die übrige katholische Jugend sich damit befaßt hatte, zu einem Wegbereiter der Gemeinschaftsmesse geworden war.“

Hinzu kommt, wie gesehen, sicher auch die starke Verankerung von Liturgie und Gemeinschaftsmesse im von Richard Egenter und dem Jesuiten P. Manuwald ausgearbeiteten, seit 1923 wirksamen sog. Hirschbergprogramm. Hier ist insbesondere auch auf P. Manuwalds Idee der “Christuskreise” zu verweisen, in denen auch eine intensive Vorbereitung auf liturgische Feiern vorgesehen ist. Ansonsten kommt bei Neudeutschland aber einschränkend hinzu, dass deren Gruppen häufig von Jesuiten begleitet wurden und sich unter diesen eine relativ hohe Skepsis bis hin zur Ablehnung der Quickborner Ausprägung der Liturgischen Bewegung nachweisen lässt, siehe auch die despektierliche Bezeichnung der Quickborner "Gemeinschaftsmesse mit deutscher Messandacht" als „Guardini-Messe“.

Es ist eher unwahrscheinlich, dass Willi Graf als Schüler von diesen Auseinandersetzungen, die ihren Schwerpunkt Mitte der zwanziger Jahre hatten, schon viel mitbekommen hat.

Leser der Zeitschrift "Junge Front" (1932 bis 1936)

Vor allem aber verweise ich noch auf die von der Sturmschar verantwortete, von 1932 bis 1936 erschienene Zeitschrift “Junge Front”, nach einem Verbot in der Nacht vom 6./7. März wenige Wochen später in “Michael” umbenannt, die auch nachweislich von Willi Graf gelesen wurde, zumindest im Jahr 1933. Man vergleiche dazu die Tagebucheintragung am 17.6.1933: „Übrigens erscheinen gleich geartete Gedanken über das Verhältnis von Meister und Jünger in Leitartikeln von Johannes Maaßens 'Junge Front'“ (Siefken/Vieregg, a.a.O., S. 61).

In der „Jungen Front“ (III/12) stehen zum Beispiel liturgiebewegte Aufrufe wie „Gebt uns Ostern wieder!“ als Forderung der „Jungen Kirche“ an die Kirche insgesamt, die Osterliturgie zu erneuern und die Ostervigil wieder als „Heilige Nacht“ in der Nacht von Karsamstag auf Ostersonntag zu feiern. Dieser Ruf wird von der volksliturgischen Bewegung aufgenommen und gelebt, so von Pius Parsch in „Bibel und Kirche“, von den Oratorianern in Leipzig (1932-1936) und auf Burg Rothenfels (1935-1939), mitunter durchaus auch in Auseinandersetzung mit den Ortsbischöfen, zum Beispiel auf Rothenfels mit Bischof Ehrenfried von Würzburg.

Der Hinweis auf die "Junge Front" erfolgt aber vor allem auch wegen der damit verbundenen liturgiebewegten Personen, die mit Graf teilweise freundschaftlich noch bis 1943 in Verbindung gestanden haben, also der Kirchenlieddichter Georg Thurmair und Journalist Johannes Maaßen, Otto Vieth (Grauer Orden), Josef Rommerskirchen (Grauer Orden) und Emil Piepke alias Michael Brink.

Johannes Maaßen (1902-1949)

Johannes Maaßen war bis 1936 verantwortlich für die „Junge Front“ bzw. des „Michael“. Er hatte seine geistige Heimat in Neudeutschland und zwar in einem der Gründerkreise um den Jesuitenpater Stanislaus von Dunin-Borkowski. Ab 1921 studierte er Philosophie und Theologie in Bonn, wechselte 1924 zu Literatur- und Kunstgeschichte, promovierte 1927 über Drama und Theater der Humanistenschule in Deutschland (Augsburg 1929). Er war in der Weimarer Republik Zentrumsmitglied.

In der auflagenstarken "Jungen Front" schrieb er vor allem die Leitartikel (vgl. Augustinus Reineke: Jugend zwischen Kreuz und Hakenkreuz, 1987, S. 29; zu Maaßen und zur Zeitschrift siehe Klaus Gotto: Die Wochenzeitung Junge Front/Michael. Eine Studie zum katholischen Selbstverständnis und ...). Laut Gotto entwickelte sich die Junge Front seit der Redaktionsübernahme durch Maaßen „sowohl das Selbstverständnis als auch der Leserkreis immer mehr in Richtung auf eine Wochenzeitung "der jungen Kirche." „Mit dem Begriff der „jungen Kirche“ wird diese neue und bedeutendste Leserschicht am besten erfaßt. Dieser Begriff bezeichnete ursprünglich die junge Christengemeinde, die ecclesiola, als die sich die Mitglieder der Sturmschar in ihrem Bestreben nach Mitarbeit in der Pfarrgemeinde empfanden. Doch allmählich wurde er für die Schicht der Katholiken signifikant, die meist aus der katholischen Jugendbewegung kamen und als mündige Laien am Gesamtleben der Kirche aktiv teilnehmen wollten. Sie forderten eine Reform des kirchlichen Lebens und traten für eine Erneuerung der Liturgie und für ein neues Selbstverständnis der Kirche ein. Sie begriffen den Laien als ein mündiges und vollwertiges Glied des corpus mysticum, von dem das Leben der Kirche und die Verwirklichung ihres Auftrages zur Weltgestaltung entscheidend abhinge. Es wäre unzutreffend, die „Junge Kirche“ mit der „Jugend der Kirche“ zu identifizieren. Treffend wurde demgegenüber 1937 in einer Art Bilanz der kirchlichen Jugendarbeit in der Sturmschar festgestellt, daß die Ausrichtung eines nicht unwesentlichen Teils der Jugendbewegung auf das Ziel Junge Kirche als ein Wesensmerkmal der Arbeit dieses Verbands anzusehen sei141 .“ (S. 229)

Maaßen wurde später auch von Willi Graf über die Aktivitäten der „Weißen Rose“ unterrichtet. Nach Vielhaber (Willi Graf, a.a.O., S. 394) beabsichtigte Willi Graf noch am letzten Wochenende vor seiner Verhaftung Maaßen in Lenggries zu besuchen, wie dies übrigens Hans Scholl schon zuvor getan hatte.“: „Willi Graf fuhr am Abend dieses Freitags zum Wochenende zu seinem Freund Walter Kastner nach Gaissach. Sie waren mit Fritz Leist und einem anderen Freund für den folgenden Tag auf einer Berghütte verabredet. Sie verfehlten sich. Die Hütte war verschlossen. Auf dem Rückweg besuchten sie in Lenggries noch kurz Johannes Maaßen, der lange dem katholischen Bund Neudeutschland angehört hatte.“ (Hinrich Siefken: Die Weisse Rose und ihre Flugblätter: Dokumente, Texte, ..., 1994, S. 109)

In Willis Tagebuch findet sich ein Wort von Johannes Maaßen: »Tapferkeit im Handeln, aber nicht weniger im Standhalten ... So müssen wir als Christen es ertragen, Unbilden zu ertragen, Härten, Verfolgung, Druck, Schmerzen. … Notzeiten für den Christen und die Kirche sind immer auch Zeiten des inneren Aufbaues der Herzen und der Festigung des Geistes gewesen .. .. Ja, dieses Volk wird aus seiner Asche kommen. Diese Christen werden. .. erkennen, was sie wollen. Sie werden gerufen, wenn einmal die Zerstörungen über das Abendland kommen, die ja heute schon im Anrollen sind. Denn dann muß man aufbauen im Abendland in Gerechtigkeit, Klugheit und Liebe ein Haus, in dem wir leben und nur leben können aus dem Glauben, aus dem Gebet und aus der Liebestat des Christen. Darauf müßt ihr euch unentwegt vorbereiten …“ (Michael Verhoeven/Mario Krebs: Die Weiße Rose: Der Widerstand Münchner Studenten gegen …, 2015, S. 1911)

Maaßen stand aus den eigenen Bonner Studienzeiten heraus auch später noch freundschaftlich auch mit Heinrich Lützeler in Verbindung, der ihm sogar einen Nachruf schrieb (Heinrich Lützeler: Johannes Maaßen zum Gedächtnis. Dem bedeutenden katholischen Publizisten und dem Freunde, in: Bonner Rundschau vom 20. Oktober 1949). Nur sein "Leben der Güte, Verbindlichkeit und Helle" erkläre die große und allgemeine Trauer um seinen Tod, schrieb Lützeler in diesem Gedächtnisartikel.

Georg Thurmair (1909-1984)

Georg Thurmair begann 1926 mit seiner Arbeit im Jugendhaus Düsseldorf unter Prälat Wolker. Gleichzeitig besuchte er das Abendgymnasium. Beim ersten Reichstreffen der Sturmschar in Koblenz im Mai 1932 gestaltete u.a. Thurmair die fünf Ausgaben der Lagerzeitung unter dem Titel „Junge Front“. Schon hier war die Zeitschrift bewusst gegen den aufkommenden Nationalsozialismus gerichtet (Maria Margarete Linner: Lied und Singen in der konfessionellen Jugendbewegung des …, 2009, S. 42) Dabei gilt auch schon für dieses Reichstreffen der Sturmschar: „Die Liturgie stand wie immer im Mittelpunkt. P. Gregor Schwake übte mit dreieinhalbtausend Jungen die zehnte Choralmesse für das liturgische Volkshochamt ein. Der Priester zelebrierte versus popolum.“ (S. 32) Die Sturmschar „trug so zu einem intensiven und neuen Schaffen von geistlichen Liedern innerhalb der katholischen Jugendbewegung bei, altes Kulturgut wurde wieder neu belebt."

Ab Juli 1934 teilte sich Georg Thurmair mit anderen die Schriftleitung der „Wacht".“ Er gilt als einer der wichtigsten oppositionellen Texter der katholischen Jugend in der NS-Zeit (Hinrich Siefken/Hildegard Vieregg: Resistance to national socialism: Kunst und Widerstand, 1995, S. 200). Noch bis 1937 war er in weiteren Redaktionen bündischer Periodica tätig und wurde nach deren Verbot schließlich auch noch Hauptschriftleiter der von 1933 bis 1941 erscheinenden Zeitschrift „Deutscher Kulturwart“

Thurmair und Willi Graf hatten sich wahrscheinlich über Otto Vieth (siehe Tagebuch vom 7.2.1943, Anm. 2) schon vor dem Krieg kennengelernt (Briefe und Aufzeichnungen, 1988, S. 274). Noch am 13. Juli 1942 besuchte Willi Graf die Mutter Georg Thurmairs in München, vielleicht in der Hoffnung dort auf Georg Thurmair selbst zu treffen oder ihm etwas ausrichten zu lassen.

Otto Vieth (1911-1987)

Der aus der Sturmschar kommende Journalist Otto Vieth war erfolgreicher Vertriebsleiter der Zeitschrift "Junge Front". Für das Jugendhaus Düsseldorf organisierte er auch den Vertrieb zahlreicher anderer Publikationen. Er hatte Willi Graf 1936 im Grauen Orden kennengelernt.

Emil Piepke alias Michael Brink (1914-1947)

Emil Piepke alias Michael Brink, ebenfalls zunächst Jugendführer beim katholischen Bund Neudeutschland und Theologiestudent, wirkte alsbald als freier Schriftsteller, gehörte aber dabei eben zu jenem Kreis kirchenkritischer Katholiken um Johannes Maaßen und der von ihm verantworteten Wochenzeitung Junge Front.

Bereits 1938 traf Willi Graf Michael Brink (ursprünglich Emil Piepke) bei einer Dichterlesung, wobei man darin übereinstimmte, »Aktivitäten gegen das Regime zu entfachen« (Graf, Briefe (Anm. 1214), S. 291).

Josef Rommerskirchen (1916-2010)

Josef Rommerskirchen machte 1934 ein Volontariat in der Redaktion der Wochenzeitschrift Junge Front, die im Verlag des Katholischen Jungmännerverbandes Deutschland, dem Jugendführungsverlag, erschien. Rommerskirchen war dann bereits in Mönchengladbach Angehöriger der Gemeinschaft Grauer Orden. Bereits für Mitte der 1930er Jahre schrieb Rommerskirchen an seinen Freund Willi Graf: „Gott, was nützt mir all das Geschwätz vieler alter Pastöre, wenn wir nicht einmal ganz einfach und echt glauben können. Was nützt alle Philosophie in Weinflaschen verpfropft, wenn die Dinge nicht gelebt werden. So ist es doch und das fehlt nicht der `lieben Jugend´, dieser Glaube, sondern mehr, viel mehr denen, die darum klagen. Das kann mich immer so wild machen und erschlagen, wenn wieder einmal einer meint, dass man unser Tun ja doch nicht verstehen könne. Das meinen immer die Herren Präsides für die Jungen. Wenn die wüssten, dass wir gar nicht so sehr bemuttert werden wollen. Aber einbilden tun sie sich allesamt etwas! Und weil sie oft doof gemacht worden sind mit ihrer Schulweisheit, meinen sie, die anderen seien gleich so. Aber wozu schimpfen, besser machen!“ (Archiv für Christlich-Demokratische Politik (ACDP) Nachlass Josef Rommerskirchen 01-234-008/2). Rommerskirchen wurde nach dem Zweiten Weltkrieg 1947 zum Bundesführer der Deutschen Katholischen Jugend.

Erinnerung des Schulfreundes und Neudeutschen Helmut Gressung (1918-2022)

Der erst im letzten Jahr verstorbene Pfarrer Helmut Gressung, Schulfreund von Willi Graf, berichtete in einem Brief vom 7. August 2006 an Peter Goergen (Peter Goergen: Willi Graf - ein Weg in den Widerstand, 2009, S. 47) über die Entwicklung vom Bund Neudeutschland hin zum Grauen Orden:

„…Weniger auffällig vollzog sich eine geistige Differenzierung, indem einige aus dem Bund anfingen, die bisherige Linie als spießig zu betrachten, was sich auch auf die Einstellung zu unseren geistigen Leitern auswirkte. Der Kreis derer, die diese Richtungsänderung mit vollzogen, begann sich eigentlich von uns anderen unbemerkt, getrennt von uns zu versammeln. Das führte nach und nach zu einer gewissen Entfremdung und zu Besorgnis der Bundesleitung von ND. Von einem direkten Austritt von Willi und anderen aus dem Bund habe ich eigentlich nie erfahren.“

Gressung, selbst Doppel-Mitglied im Bund Neudeutschland und in der Hitlerjugend, sagte nach dem Krieg, dass Willi Graf bei seinem Agieren einer internen ND-Weisung gefolgt sei, wonach man nicht auffallen und keinen Anlass zum Verbot geben solle (Vgl. Rieschy, „Manchmal glaube ich “, a.a.O., S. 163.)

Die Basis wappnet sich, sie schließt sich in ihren Idealen und in ihren äußerlichen Kennzeichen und Symbolen der freien Jugendbewegung, der Wandervogeltradition an, – die Bundesleitung ist besorgt, man entfremdet sich. Einzelne geistliche Leiter, wie der erwähnte Pater Jansen Cron, der in Tholey den ND auf den Widerstand vorbereiten wollte, werden bald einsam werden. Die Kothe, das oben offene Lappenzelt, dem Zelt der nordamerikanischen Prärieindianer ähnlich, ersetzt die Militärzelte. Militär ist out, fremde Kulturen sind in. In sind auch die modernen Lieder, oft mit Texten aus dem George-Kreis oder aus der russischen Kultur. Aber der ND im Ganzen kuscht, während sein Verbot schon vorbereitet wird.

Ausschluss Grafs aus dem Bund Neudeutschland?

Fritz Leist hat ca. Anfang der 70er Jahre in einem Interview mit Barry Pree dagegen gesagt, Willi Graf sei 1934 aufgrund eines ND-Verbotes der Doppelmitgliedschaft zwischen dem Bund Neudeutschland und dem „Grauen Orden“, damals noch der „rot-grau autonomen“ DJM-Gruppe, vom Bund Neudeutschland ausgeschlossen worden (Zankel, a.a.O., S. 119).

Die Anklageschrift 1937/38 spricht aber davon, er sei bis 1936, also bis zur Auflösung des ND im Saarland Mitglied im ND gewesen, was aber wiederum auch auf Aussagen Grafs zum Schutz anderer Mitglieder des Grauen Ordens zurückzuführen sein könnte.

1935/36 Auflösung der ND-Jungenschaft und Verbot der ND-Gruppe unter Heinrich Metzroth

In den Monaten nach der Saarabstimmung brach der Konflikt zwischen dem Reichskommissar Joseph Bürckel und dem geistlichen Leiter des Saarbrücker ND, Pfr. Heinrich Metzroth auf. Dieser endete schließlich damit, dass Metzroth noch 1935 die Auflösung der Jungenschaft verkündet (Vgl. dazu Kißener, a.a.O., S. 13). Schäfer bewertet den Vorgang als ein für Willi Graf prägendes Erlebnis: Die „vollständige Unterwerfung des geistlichen ND-Führers unter die Vorgaben des NS-Staates“ erkläre anschaulich, „dass Willi Graf und weitere Jugendliche im ND keine Heimat mehr fanden und letztlich ihren Idealen im Grauen Orden Ausdruck verliehen“ (Franz Josef Schäfer, Willi Graf und der Graue Orden. Jugendliche zwischen Kreuz und Hakenkreuz. Röhrig Universitätsverlag, St. Ingbert 2017, S. 67).

Metzroth hatte von 1927 an eine Stelle als Studienrat am Reform-Realgymnasium in Saarbrücken inne. Am 26. April 1936 wurde er von Saarbrücken aus an das Kaiserin-Augusta-Gymnasium nach Koblenz berufen. Nachdem er am 2. Oktober 1936 von Bischof Bornewasser ins Hohe Domkapitel berufen wurde, übernahm er bereits im Dezember 1936 als Geistlicher Rat das Schulreferat im Bischöflichen Generalvikariat. 1941 wurde er zum Weihbischof von Trier ernannt und geweiht. Während des Dritten Reiches ist auch für Metzroth keine eindeutige Haltung für oder gegen die Liturgische Bewegung zu ermitteln. Aufgrund seiner Vorliebe für kirchenmusikalische Fragen wurde er 1947 als Weihbischof zum Leiter der Kommission für die Erstellung einer Liste von „Einheitsliedern“ für den Gemeindegesang bestimmt. Er verstarb überraschend 1951. Schließlich wird die Saarbrücker ND-Gruppe 1936 endgültig verboten (Peter Goergen: Willi Graf - ein Weg in den Widerstand, 2009, S. 47)

Der Graue Orden, seine Geschichte und sein Verhältnis zur Liturgischen Bewegung

Frühgeschichte der Quickborn-Jungenschaft

Ab 1927 kam es innerhalb des Quickborn zur schrittweisen Gründung der Quickborn-Jungenschaft als Gliederung für die 14 bis 18jährigen Jungen. Es begann wohl mit dem Spessart-Lager der jüngeren Quickborner im Sommer 1927. Dort kam es zu ersten Ablösungserscheinungen vom Bund unter der treibenden Kraft des Gaugrafen des Alemannengaues, Theo Dengler (Binkowski, a.a.O., S. 126). Fortwährende Streitthemen waren bereits hier: Politische, auch parteipolitische Stellungnahmen einzelner Jungenschaftler, Entfernung vom Ursprungsgedanken der Abstinenz, Annäherung an die völkisch-bündische Jugendbewegung (Binkowski, S. 126 und 128).

Nach 1928 gingen einige Quickborn-Jungen zur 1928 aus Wandergruppen der DJK entstandenen Sturmschar oder zur 1929 aus mehreren katholischen Pfadfindergruppen gegründeten "Deutschen Pfadfinderschaft Sankt Georg". Die Sturmschar war Ende der zwanziger Jahre in den Jungmännerbund übergegangen, die Deutsche Pfadfinderschaft Sankt Georg wurde 1931 als Gliederung im katholischen Jungmännerbund aufgenommen. Die „Deutschmeister im Quickborn“ arbeiteten in der Folgezeit nicht nur mit dem Jungmännerbund insgesamt, sondern auch mit der Sturmschar und der Deutschen Pfadfinderschaft.

Einige weitere Quickborn-Jungen wechselten 1930 aber auch direkt zur neu gegründeten dj.1.11. – ausgeschrieben „Deutsche Jungenschaft vom 1.11.1929“. Eberhard Koebel, genannt "tusk", führte von 1928 an einen der beiden schwäbischen Gaue des gemäßigt nationalistischen Bundes Deutsche Freischar, wurde aber am 4. Mai 1930 zusammen mit seinen Anhängern aus dem Bund ausgeschlossen, was dann zur Gründung der dj.1.11 führte. Diese Jungenschaft war innerhalb der Deutschen Freischar als „Aufstand der Jungen“ gegen das bündische Lebensbund-Prinzip gerichtet worden, weil dadurch die Älteren zu großen Einfluss auf die Jungengruppen ausüben konnten. Im Gegenzug führte er zur Identitätsstiftung eigenes Liedgut, Kohte, Jurte und die blaue Jungenschaftsbluse als gemeinsame Kleidung, das Ritual der Fahnenwache sowie Extrem-Fahrten und -Lager ein. Zunächst eher völkisch-national ausgerichtet, wandte sich Koebel-tusk mit vielen Mitgliedern der politischen Linken zu.

Fritz Leist (1913-1974) und die Quickborn-Jungenschaft unter dem Einfluss Guardinis und des Bündischen (ab 1929)

Erste Begegnung von Leist mit Guardini

Der 16jährige Fritz Leist als Quickborn-Jungenschaftler hatte 1929 seine eigene erste Begegnung mit Romano Guardini und schreibt darüber an Guardini selbst in einem Brief vom 16.05.1963 (BSB):

"Im Sommer sind es genau 34 Jahre [1929] her, daß ich Sie zum ersten Mal gesehen und gehört habe. Es war während des 10jährigen Burgfestes in Rothenfels. Von da ab wurden Sie mir, wie so vielen anderen, der Geleiter. Es gibt wohl wenige Schriften Ihres großen Werkes, die ich nicht mehrere Male gelesen hätte. Ihr Werk "Der Herr" habe ich als Gymnasiast in den ersten Lieferungen gelesen. Als Buch wurde es mir zu einem Weihnachtsfest [1937/38] ins Gefängnis geschickt. Lassen Sie mich Ihnen für dieses alles, was Sie weit über ein Menschenalter in meinem Leben bedeutet haben, von Herzen danken.“

Fritz Leist, also selbst aus der Quickborn-Jungenschaft kommend, wirkte von 1930 bis 1933 als ihr „Gaugraf von der Saar“ im Saarland wirkte. 1931 ist er zudem auf einer Liste der Gauleiter des Quickborn-Älterenbundes für das Saargebiet verzeichnet. In dieser Rolle entwickelte Leist wie viele andere ein jungenschaftliches Selbstverständnis zwischen Romano Guardini und Eberhard Koebel, also "Liturgisch und politisch", "katholisch und bündisch"; dabei katholisch bei Guardini nicht kirchlich-konfessionell verstanden, sondern weltumspannend-gegensätzlich und politisch zunächst auch bei Koebel nicht parteipolitisch verstanden, wohl aber mit Nähe zu Stefan George, aber auch „nationalbolschewistischen“ Positionen von Jünger, Niekisch, Paetel oder Schulze-Boysen.

Dennoch ist Hans Jörg Oeschger einerseits recht zu geben, wenn er schreibt: „Jeder Versuch, z.B. auch eine bestimmte oder mehrere verschiedene politische Einstellungen (...) des Quickborn aus der vorliegenden bündischen Literatur abzuleiten oder gar zu begründen, ist auch für die Zeit bis 1933 unmöglich.“ (Hans Jörg Oeschger: Quickborn und Politik, a.a.O, zusammengefasst nach Hasenteufel, Paul: Katholische Jugend in ihrer Zeit, Bd. II: 1919-1932, Bamberg 1989, S. 545 f.) und auch die Jungenschaft war in sich nicht einheitlich. Dennoch wird sowohl gegenüber dem Quickborn-Älterenbund als auch gegenüber der Sturmschar und dem Katholischen Jungmännerverband eben die Beeinflussung der Jungenschaft durch Moeller van den Bruck, den Tat-Kreis, Ernst Jünger, Martin Heidegger, Ferdinand Frieds, oder aber auch Ernst Niekisch, Paetel und Schulze-Boysen der Auslöser der Krise sein. Obwohl man sich nicht auf eine parteipolitische Richtung festlegen wollte, waren es doch die politischen Vorstellungen und Ideen des Nationalbolschewismus und des Linksradikalismus die den Unterschied ausmachten (Binkowski, a.a.O., S. 130).

Begegnung von Fritz Leist und Josef Simons (1932)

Wesentlichen Anteil daran dürfte 1932 eine Begegnung von Fritz Leist mit Josef Simons auf Burg Rothenfels gewesen sein, die sich daraufhin befreundet haben. Noch 1932 schenkte Leist seinem Freund zum Geburtstag Goethes „Maximen und Relexionen“. Unter anderem unterhielt man sich eben über Stefan George. Simons berichtet davon, dass an Ostern 1932 die Jungen gegen die „Burschen und Jungfrauen“ revolutiert hätten: „In der Nacht hatten wir Jungen uns im Burghof versammelt und sangen Russenlieder, zum Ärger der `Weiber´ mit Haarreifen und Trachtenrock und der `feinen Kerle´, diesen Burschen in kurzen, um die Knie schlackernden, viel zu langen Hosen; während sie in Frohsinn und Volkstanz machten, protestierten wir mit atonalen Marschliedern in harten Rhythmen, spielten unsere Instrumente im Ragtime und mit Jungenschaftsliedern, die in dem Refrain gipfelten: `Nehmt fort die Hand, wir woll´n kein Band, ihr baut bei uns auf Sand, zerstört das Land, verbrennt den Tand und macht dem Herrgott Schand. Wir sind ja Hoi! Wir sind das wilde Heer und fürchten keine Wehr, und flucht ihr uns und jagt ihr uns, wir lachen hinterher.“ (zitiert nach Schäfer, a.a.O., S. 30 f.) Nach eigenem Bekunden war Simons dann bereits im Frühjahr 1933 aus dem Quickborn ausgeschlossen worden, weil er versuchte, die „schon oben erwähnte auf kommunistischer Grundlage stehende `Deutsche Jungenschaft 1.11.´ aufzuziehen.“ Der in Bochum geborene, aber in Schlesien aufgewachsene Simons gehörte 1929 neben dem Quickborn auch dem Windthorstbund und dem Friedensbund deutscher Katholiken an, habe aber auch schon früh Kontakt zu Eberhard Koebel gehabt. Zwischen 1929 und 1933 folgte ein großes Durcheinander, wie er selbst im Rückblick feststellt. Nach dem Ausschluss habe er eine Zeitlang dem Jungvolk angehört. Josef Simons sieht sich als Gründungsmitglied des „Grauen Ordens“ und als derjenige, der Graf für den Grauen Orden geworben hat, was aber bisher nur in Eigenreferenz belegbar ist. Wohl aber hatte Leist Simons 1933 gebeten, die Chancen einer Verbindung von dj.1.11. und katholischer Sturmschar auszuloten.

Im Winter 1933/34 (im Alter von 20 Jahren) wurde Simons dann fester Mitarbeiter im Verlag der Bündischen Jugend Günther Wolff in Plauen in Sachsen. Im Februar 1934 wurde er noch vor der im März bevorstehenden Reifeprüfung mit Oberprimarreife von der Oberrealschule ausgeschlossen, nachdem ihm sein Tagebuch gestohlen und ihm darin enthaltene kommunistische Ideen vorgeworfen wurden, die zudem bei einer Haussuchung durch den Fund kommunistischer Zeitungen und Zeitschriften sowie mehrerer Exemplare der „Neuen Revolution“ untermauert wurden. Im Juni 1934 wurde Simons in Düsseldorf im Jugendhausverlag als Sekretär in der Abteilung Wandernde Jugend eingestellt. In seinen Erinnerungen schreibt er über die Düsseldorfer Zeit: „Ich saß also im Generalsekretariat der Sturmschar und zog mit Franz Steber durch die Lande. Er wollte auch den Konservativen im Jugendhaus beweisen, dass die Sturmschar die Jungenschaft integrieren kann; ich wiederum, dass Jungenschaftsgruppen in der Sturmschar, seit Ostern legitim, ihre Jungenkultur ohne und auch gegen geistliche Führungsansprüche leben und dafür werben durften. Das ging eine Zeit ganz gut. In Essen, Mönchengladbach, in Unna, in Köln und in Koblenz gabs bald viele katholische Jungenschaften. Einige hatte ich organisiert. Andere Gruppen hatten in [der Zeitschrift] `Die Wacht´ und in der Zeitschrift `Sturmschar´ von uns gelesen, mich auch bei Diözesantreffen gesehen, wo ich ziemlich provozierend mit landesweit bekannten, kurzen Hosen, langen (aber gepflegten) Haaren und farbigen Haustüchern an der Seite Franz Stebers aufkreuzte.“ Wie wir gleich noch sehen werden, musste er dagegen im September 1934 das Jugendhaus Düsseldorf wieder verlassen. Später hat Simons schließlich in Freiburg, Breslau und Berlin Philosophie, Soziologie, Kunstgeschichte und Theaterwissenschaft studiert.

Am späteren, sog. „Zick-Zack-Kurs“ Koebels 1932/33 zwischen kommunistischer und nationalsozialistischer Jugend hat sich zumindest Leist wie auch die meisten von Koebels katholischen Anhängern allerdings nicht beteiligt.

Über die Benachteiligung der Quickborn-Jungenschaftler beim Abitur

Fritz Leist war von 1924 bis zu seinem Abitur im Jahr 1933 am Internatsgymnasium der Steyler Missionare, dem Wendalinum in St. Wendel. Er berichtet später dass die Mitgliedschaft in der Quickborn-Jungenschaft vielen seiner Mitabiturienten geschadet habe und sogar 10 Mitschüler das Abitur unter anderem deswegen nicht bestanden hätten (Interview mit dem Bayerischen Rundfunk 1966). Tatsächlich musste sich Oberstudiendirektor Franz Arens (1885-1955) dazu aber vielmehr dazu äußern, ob nicht Schüler, namentlich Fritz Leist und Johann Nikolaus Kohler (1913-1940), bei den Prüfungen bevorzugt wurden, deren Eltern den Verbleib im Saarbund und nicht die Eingliederung ins Deutsche Reich vertreten hätte. Die entsprechende Beschwerde des Privatgeistlichen und Chefarztes Wilhelm Heinrich Engländer (1878-1959), dass bei den Reifeprüfungen des Jahres 1933 Schüler des St. Wendeler Gymnasiums, die eine nationale Gesinnung vertraten, benachteiligt und Kinder, deren Eltern dem frankophilen Saarbund angehörten, bevorzugt worden seien, war dadurch ausgelöst worden, dass von 37 Schülern in zwei Abteilungen, die sich zur Reifeprüfung 1933 angemeldet hatten, acht nicht zugelassen wurden und acht weitere die Prüfung nicht bestanden hatten.“ Arens wies den Vorwurf zurück, zum einen weil nach dem Kriterium der deutschen Gesinnung nach, jedes Jahr sämtliche Schüler versetzt werden mussten und die Väter Leist und Kohler den Vorwurf der Saarbündelei entschieden zurückgewiesen haben. Demnach war der Bruder von Fritz Leist, Josef Leist, später als Oberprimaner HJ-Scharführer. Es existiert aus dieser Zeit auch noch ein Gutachten des Klassleiters über Fritz Leist: „Sein Charakter neigt zu allzu großer Selbstständigkeit, die durch die Betätigung in der Jugendbewegung bedeutend verstärkt wurde. Jahrelang leitete er als Gaugraf den Quickborn. Seitdem kostete ihn die Unterordnung unter Schule und Lehrer die allergrößte Überwindung. Dass er sich immer wieder der Schulzucht zu entziehen suchte, ist daher sehr begreiflich. Die Autorität des Elternhauses scheint sich nicht mit Erfolg gegen die Forderungen seines Eigensinnes durchgesetzt zu haben. Von den Kameraden hat er sich bewusst, auch auf dem Schulhofe, losgelöst und sich fast ausschließlich den Mitschülern seiner Bewegung gewidmet. Aus einem gewissen Eigensinn heraus hat er sich in der Rolle gefallen, in extravaganten Meinungen aufzutreten und zu prahlen. Seine Beobachtung ist einseitig und von seiner impulsiven Art getrübt. Seine Sonderinteressen liegen auf dem Gebiete der Jugendbewegung, zuerst des Quickborns und jetzt der „Deutschen Jugendkraft“. In der Schule haben ihn geschichtliche Fragen, soweit sie seinen momentanen Neigungen entsprachen, lebhaft interessiert. Daher hat er es auch verstanden, verschiedene wertvolle Referate zu halten und sich auf eingehende Vertiefung in einer Sonderfrage einzulassen. Auch beteiligte er sich an der altsprachlichen Arbeitsgemeinschaft. Sein Gesundheitszustand ist infolge starker Aufpeitschung der Nerven nicht auf der Höhe. Verschiedentlich musste er wochenlang zur Behebung seiner Nervosität aussetzen“ (zitiert nach Schäfer, S. 18 f.).

Ernst Müller dagegen bestätigt Leistens Sicht, dass auch die Quickborn-Mitgliedschaft ein Grund für eine strengere Behandlung war. Ernst Müller konnte sich erinnern, dass die Mitglieder des Quickborns wegen ihres selbständigen Denkens dem Schulleiter suspekt waren. (Schäfer, S. 19) Allerdings sieht er die harte Auswahl und Prüfung eher in der Konkurrenzssituation mit dem Ludwigsgymnasium begründet, gegenüber denen Leitung und Kollegium in St. Wendel Minderwertigkeitsgefühle hatten, so dass sie zu zeigen versuchten, dass auch in St. Wendel Höchstleistungen erwartet wurden.

Beginn des Theologiestudiums in Freiburg (ab Wintersemester 1933/34)

Nach seinem Abitur an St. Wendel studierte Fritz Leist ab dem Wintersemester 1933/34 in Freiburg Theologie.

Die Krise der Quickborn-Jungenschaft im Quickborn (1931-1933)

Ernst Fuhry als Reichsführer der Quickborn-Jungenschaft (1930/31)

Beim Osterthing 1930 wurde der sportbegeisterte Wormser Kunstgewerbler Ernst Fuhry (1903-1976) zum ersten "Reichsführer" der Quickborn-Jungenschaft gewählt, der sie in der Folgezeit als Fahrten- und Sportgemeinschaft straff leitete (Wilmes, a.a.O., S. 16; vgl. dazu: Kindt, Werner (Hrsg.): Die Deutsche Jugendbewegung 1920 bis 1933. Die bündische Zeit. Quellenschriften, Band 1, 1974, S. 685) und auch in der Bundesleitung vertrat. Er war seit April 1929 Schriftleiter der Zeitschrift „Deutsche Sportjugend“, war selbst Trainer und "Fußball-Vordenker". Noch nach 1933 war er Führer der katholisch-bündischen „Märkischen Jungenschaft“ in Berlin, bis 1935 in Preußen alle Jugendbünde außer der Hitler-Jugend verboten wurden

1935 erschien sein ambivalentes Buch „Kampf und Sieg, Junge! Das Sportbuch des deutschen Jungen", das trotz Hitler-Bild, "Worten des Führers" und völkischen Anklängen vor allem wegen der jugendbewegt-bündischen "Symbolwelt des Bündischen" in den Fotos, Grafiken, Gedichte, Lieder, Vignetten von Fritz Stelzer, Werner Helwig, Robert Götz, Alfred Knott, Karl Bloßfeld, Heinrich Heinen und Jürgen Riel 1938 verboten wurde. Jürgen Riel, der mit seinem abgedruckten Liedes „Kameraden wir marschieren“ geradezu gegen hitlerdeutsche Eroberungsfeldzüge gerichtet war, musste sich Ende 1935 ins Ausland absetzen, nachdem wegen „staatsfeindlicher Betätigung“ und wegen Verstoß gegen § 175 Haftbefehl gegen ihn erlassen worden war (vgl. dazu: Arno Klönne: „Kampf und Sieg, Junge!“, in: Splitter & Balken. Das Informationsportal für den Linken Niederrhein, http://www.splitter-und-balken.de/autoren.php?topic=97; Daniel Koerfer: Hertha unter dem Hakenkreuz: ein Berliner Fussballclub im Dritten Reich, 2009,. S. ???).

Dennoch wurde das Buch nach dem Krieg in der Sowjetischen Besatzungszone als "auszusondernde Literatur" des Nationalsozialismus eingestuft.

Die Bonner Quickborngruppe "Roter Ring" (ab März 1931)

Bereits Ende 1930 hatte sich ein Teil des Bonner Quickborns verselbständigt und sich der Quickborn-Jungenschaft unter Ernst Fuhry angeschlossen.

Im März 1931 stellte dann die von den Hermann jun. und Günter Platz (1915-2000)- beides Söhne des Guardini- und Quickborn-nahen Romanisten Hermann Platz - initiierte und gegründete Quickborn-Gruppe am Beethoven-Gymnasium mit dem Namen "Roter-Ring" einen Antrag auf Anerkennung als jugendpflegerischer Verein an die Stadt Bonn. Günter Platz erinnert sich, dass er bereits 1931 die blaue Jungenschaftsjacke der "Rotgrauen Aktion" Koebels getragen habe. Ihm war also der Stil und die Ideenwelt der dj.1.11. von der Quickborn-Jungenschaft her vertraut. Sie wurde für die eigene Gruppe so bestimmend, so dass man sich auch selbst bald Quickborn-Jungenschaftsgruppe nannte.

Zu Pfingsten 1933 trat der Rote Ring daher auch der Deutschmeisterjungenschaft bei. Unter dieser Bezeichnung organisierte der "Rote Ring" 1933 eine Sommerfahrt nach Schweden. Nach dieser Fahrt gliederte sich der "Rote Ring" in das "Deutsche Jungvolk" ein, so dass der Reisebericht an die Stadt Bonn mit "Früher Quickbornjungenschaft, jetzt Deutsches Jungvolk Bonn" unterschrieben wurde (vgl. Horst-Pierre Bothien: Die Jovy-Gruppe: eine historisch-soziologische Lokalstudie, 1995, S. 74). Hieraus erwächst die Bonner "Jovy-" bzw. "Platz-", besser wohl "Jovy-Platz-Gruppe".

Exkurs: Die Bonner "Jovy-Platz-Gruppe"

Fritz Schmidt berichtet über den weiteren Verlauf der Gruppe im Rheinland: „Günther Wolff war durch Schließung seines Verlages und 15 Monate Gefängnis mundtot gemacht, der weitverzweigte Bündische Selbstschutz zerschlagen worden, so daß die die bündische Jugend verfolgende Staatsgewalt, inzwischen noch unterstützt vom Sicherheitsdienst (SD) der SS "wähnen mochte, der dj.1.11-Hydra die Köpfe abgetrennt zu haben. Dabei hatte sich im Sommer der Weltausstellung 1937 eine Handvoll illegaler dj.1.11er angeschickt, das Dritte Reich in seinen Grundfesten zu erschüttern." Was war geschehen: "Günter Platz führte die Gruppe, die sich hauptsächlich aus katholischen Jugendverbänden rekrutierte und im Laufe der Jahre personell stark fluktuierte, im Sommer 1937 nach Frankreich. In Paris wurden die Fahrtenbrüder aufgrund ihrer Bekleidung von Sulamith Reuter, geb. Siliava (man erinnere sich des Namens) und ihrer Schwester Judith Siliava als deutsche Jugendbewegte erkannt. Die Schwestern brachten O. Paetel, dem mit tusk im Mai 1930 aus der Deutschen Freischar relegierten Schriftsteller, Emigranten und Zeitzeugen" (Fritz Schmidt: Ein Mann zwischen zwei Welten: Eberhard Koebels politische Entwicklung, seine ersten Jahre in der Emigration und seine Wirkung auf illegale dj. 1.11, 1997, S. 102). In anderen Quellen ist nicht von einer Gruppe, sondern von vier oder nur zwei Mitgliedern die Rede. In jedem Fall handelte es sich aber um Günter Platz und Edgar Lohner. Paetel stellte anlässlich einer weiteren Großfahrt der Bonner Gruppe im Sommer 1938 eine Begegnung mit tusk in Aussicht gestellt. Diese kam zwar nicht zustande, dennoch konnte Paetel die Jugendlichen animieren, sich politisch zu bilden, und überredete sie, entsprechende Schriften mitzunehmen, die u.a. in Feldflaschen nach Deutschland geschmuggelt wurden. Günter Platz selbst, der zwar wohl die "Heldenfibel" in den Kreis eingeführt hatte, stand der zunehmenden Politisierung unter dem Einfluß Paetels äußerst kritisch gegenüber. Dennoch gab es nach dieser Fahrt politische Schulungsabende, auf denen die einschlägige Literatur von Hitler, Jünger, Moeller van den Bruck, Rosenberg und Spengler studiert wurde. Die Lektüre des „Moorsoldaten"-Buches von Wolfgang Langhoff setzte nicht nur einen Kontrapunkt zur "Heldenfibel", sondern trug auch dazu bei, den NS-Staat zunehmend in Frage zu stellen.

Da Platz aber im Dezember 1938 zum Militär einrücken musste, hatte er keinen Einfluss mehr diese Entwicklung. An seine Stelle trat der von der ebenfalls jungenschaftlich ausgerichteten Görresgruppe des Neudeutschland-Bundes am Beethoven-Gymnasium herkommende (Ernst) Michael Jovy (1920-1984). Jovy war dort seit 1933 Mitglied, blieb dies auch nach seinem Schulwechsel ans Aloi­si­us­kol­leg (AKO) des Je­sui­ten­or­dens in Bad Go­des­berg und war insbesondere von tusks "Ordensidee" und "Heldenfibel" beeindruckt. 1935 hatte er die Führung eines "Fähnleins" übernommen. Offensichtlich stand Jovy mit tusk auch bald persönlich in Kontakt, denn in einem Brief vom 21. Januar 1952 bescheinigte Koebel-Tusk ihm einen seit beinahe zwei Jahrzehnte andauernden, recht engen geistigen Kontakt, hatte sich aber wohl schon früh von Koebels politischen Vorstellungen distanziert. Nach einem Zwischenspiel beim Grauen Orden, dessen Bonner Gruppe er wohl 1936 mit anführte, und im Deutschen Jungvolk (ab Frühjahr 1937) kam Michael Jovy 1937 zur Gruppe von Günter Platz. Er bildete alsbald - gemeinsam mit Platz sowie Ed­gar Loh­ner (1919-1975), Hel­mut Gie­sen (1920-1944), Hein­rich Raaf (1916-1943) - den Kern dieser Gruppe. Nachdem er die Leitung von Platz übernommen hatte, intensivierte unter dem Einfluss Paetels die "politische Bildungsarbeit" weiter. Nach be­stan­de­ner Rei­fe­prü­fung im Fe­bru­ar 1939 reis­te Jovy nach Pa­ris, wo er sich er­neut mit Pae­tel traf. Drei wei­te­re Mit­glie­der der Grup­pe fuh­ren im März 1939 zu Pae­tel nach Frank­reich. Die Ge­sta­po kam der Grup­pe über diese fran­zö­si­schen Kon­tak­te auf die Spur. Im Frühjahr 1939 fielen die Jugendlichen der Polizei außerdem während eines Auftritts der Don-Kosaken auf. Infolgedessen wurden ihre Aktivitäten verstärkt beobachtet. Im De­zem­ber 1939 er­folg­ten die ers­ten Ver­haf­tun­gen, wei­te­re folg­ten im Lau­fe der Er­mitt­lun­gen bis April 1940. Vor­ge­wor­fen wur­den ih­nen bün­di­sche Um­trie­be, Hoch­ver­rat und sitt­li­che Ver­ge­hen. Die Ge­sta­po ver­hör­te die Ju­gend­li­chen zu­nächst in Köln, dann ver­leg­te sie ih­re Ge­fan­ge­nen nach Ber­lin. Erst am 27.2.1940 ka­men sie in Un­ter­su­chungs­haft. Der Volks­ge­richts­hof ent­schied sich da­für, das Ver­fah­ren ge­gen die jün­ge­ren Grup­pen­mit­glie­der und das Um­feld ab­zu­tren­nen. In sechs Pro­zes­sen ver­han­del­te des­halb 1940 das Son­der­ge­richt Köln ge­gen zwölf Ju­gend­li­che we­gen bün­di­scher Um­trie­be. Ein wei­te­res Ver­fah­ren we­gen Un­sitt­lich­kei­ten fand in Ko­blenz statt. Die Anklageschrift für den Hauptprozess gegen Michael Ernst Jovy, Edgar Josef Lohner, Helmut Giesen, Heinrich Jakob Raaf, Alfred Kayser und Günter Platz vom 16. April 1941 war schließlich davon überzeugt, es werde erstmals gelingen, Angehörigen der bündischen Jugend die Vorbereitung einer hochverräterischen Unternehmung auch in subjektiver Hinsicht nachzuweisen, "wobei die Tat 1. darauf gerichtet war, zur Vorbereitung des Hochverrats einen organisatorischen Zusammenhalt herzustellen und aufrechtzuerhalten, 2. auch im Auslande begangen worden ist". Jovy wurde am 11. September 1941 we­gen Hoch­ver­rat zu sechs Jah­ren Zucht­haus ver­ur­teilt und wurde dazu ins Zuchthaus Siegburg überstellt. Vier wei­te­re An­ge­klag­te er­hiel­ten Zucht­haus- und Ge­fäng­nis­stra­fen zwischen einem und drei Jahren. Das Ver­fah­ren des an Nummer fünf geführten An­ge­klag­ten, Alfred Kayser, stell­te das Ge­richt - vermutlich wegen seiner holländischen Staatsangehörigkeit - ein (vgl. dazu: Dokumentation in: Horst-Pierre Bothien/Matthias von Hellfeld/Stefan Peil/Jürgen Reulecke (Hrsg.): Ein Leben gegen den Strom: Michael "Mike" Jovy - Widerstandkämpfer, Jungenschaftler, Diplomat, 2017, S. 155 f.)

Im Zuchthaus Siegburg bekam Jovy über den Kommunisten Johann Jülich (1902-1971) Kontakt zu dessen Sohn Jean, der bei den Kölner Edelweißpiraten war. Aus dem Ge­fäng­nis her­aus ver­such­te Jo­vy, die lo­sen Grup­pen von Edel­wei­ßpi­ra­ten po­li­tisch zu or­ga­ni­sie­ren. In­wie­weit sein En­ga­ge­ment tat­säch­lich Er­folg hat­te, lässt sich schwer ab­schät­zen. Im Ju­li 1944 wur­de Jo­vys Ge­such auf „Front­be­wäh­run­g“ statt­ge­ge­ben und er zum Be­wäh­rungs­ba­tail­lon 999 nach Baum­hol­der ein­ge­zo­gen und ab dem 17. September 1944 an den Westwall versetzt. Während eines Fronturlaubs Mit­te Ok­to­ber 1944 besuchte er sei­ne Mut­ter in Köln und stellte dabei fest, dass die meis­ten Edel­wei­ßpi­ra­ten be­reits von der Ge­sta­po ver­haf­tet wor­den. Er kehr­te zur Trup­pe zu­rück und wurde am 1. November 1944 Teil eines Spähtrupps, den er mit Hil­fe ei­nes 16-jäh­ri­gen Ös­ter­rei­chers zum Über­lau­fen zu den ame­ri­ka­ni­schen Trup­pen. Bei der Vernehmung verwies Jovy auf seine Bekanntschaft mit Paetel. Da der Vernehmungsoffizier diesen kannte, war auch Jo­vy rasch als Wi­der­stands­kämp­fer ak­zep­tiert. Er konn­te im März 1945 in ame­ri­ka­ni­scher Uni­form nach Köln zu­rück­keh­ren und 1946 in Köln Geschichte, Philosophie und Öffentliches Recht studieren. Nach dem Krieg gründete Jo­vy unter anderem zu­sam­men mit Jean Jü­lich den „Fahr­ten­bund Deut­scher Ju­gend“ (ab 1947/1948 „Deut­sche Jun­gen­schaf­t“). Er war in der bri­ti­schen Zo­ne be­zie­hungs­wei­se Nord­rhein-West­fa­len bis Januar 1953 Sprecher dieses Kreises. Nach seiner Promotion im Jahr 1932 mit einer Dis­ser­ta­ti­on über die Ju­gend­be­we­gung und der Na­tio­nal­so­zia­lis­mus trat Jovy nämlich 1953 in den Vor­be­rei­tungs­dienst für den hö­he­ren Aus­wär­ti­gen Dienst der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land ein. Trotz bestandener Prüfung erhob zwar der Verfassungsschutz unter Verweis auf seine Mitgliedschaft in kommunistischen Gruppierungen vor und nach dem Krieg Einspruch gegen seine Übernahme in Auswärtige Amt. Das Aus­wär­ti­ge Amt folg­te der Ar­gu­men­ta­ti­on nicht, so dass Jo­vy später als Bot­schaf­ter in (Bri­tisch-)Gu­ya­na, Su­dan, Al­ge­ri­en und Ru­mä­ni­en und zu­letzt als Ge­sand­ter an der deut­schen Bot­schaft in Rom wirken konnte (vgl. dazu: Ansgar S. Klein: Michael Jovy, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen am 13. März 2025 unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/michael-jovy/DE-2086/lido/57c92fc064f8d4.40102215).

Exkurs: Karl O. Paetel (1906-1975)

Karl Otto Paetel kam ursprünglich über einen Bibelkreis zum Bund der Köngener, gründete 1925 deren Ortsgruppe in Berlin-Charlottenburg, und schloss sich als deren Mitglied 1926 der Deutschen Freischar an. Er entwickelte als Publizist das Programm eines "Bündischen Sozialismus", den er als Synthese von Jugendbewegung und sozialrevolutionär-antikapitalistischen Nationalbolschewismus verstand. 1929 schrieb er: "Sozialismus ist eine Gesinnung, eine menschliche Haltung, die im Wir statt im Ich denkt. Sozialisten wurden wir als Glieder der bündischen Jugend, deren Lebensgefühl kollektivistisch-sozialistisch ist." Diese Linie schloss auch ein Bündnis mit der KPD nicht aus. Nach nur kurzer Zeit verlor er im August 1930 aufgrund dieser politischen Positionierung seine Stelle als Chefredakteur der überbündischen Zeitschrift "Die Kommenden" unter Herausgeber Ernst Jünger. Er gründete schließlich im Dezember 1930 die Gruppe "Sozialrevolutionärer Nationalisten" und gab ab 1931 die Zeitschrift "Sozialistische Nation" heraus. Am 30. Januar 1933 veröffentlichte Paetel die Schrift "Das Nationalbolschewistische Manifest", wofür er postwendend Schreibverbot erhielt. Da er sich nicht daran hielt, kam es zu mehreren Verhaftungen. Angeklagt nach dem Heimtückegesetz floh er 1935 nach Prag und arbeitete dort an der "Neuen Weltbühne mit". Anschließend floh er über Schweden nach Paris. Von dort aus versuchte er mit eigenen Zeitschriften (darunter 1936 die 2Blätter der Sozialistischen Nation") und Aktionen, den bündischen Jugendwiderstand gegen Hitler zu organisieren, notfalls auch durch Unterwanderung der Hitlerjugend. 1937 beteiligte er sich an der von Theo Hespers, der Quickborner war, und Hans Ebeling (plato) initiierten Gründung "Deutsche Jugendfront". Im gleichen Jahr traf er in Paris auf Ernst Niekisch und Harro Schulze-Boysen. Nach seiner Internierung durch die französische Polizei konnte er im Mai 1940 ausbrechen und über Süd-Frankreich und Spanien in die Vereinigten Staaten von Amerika fliehen.

Unter Theo Jung als Reichsführer der Quickborn-Jungenschaft (1931/32)

Im Jahr darauf, beim Osterthing 1931 (Ostersonntag war der 5. April 1931), folgte ihm Theo Jung als Reichsführer (Wilmes, a.a.O., S. 18). Jung war eher der Vertreter bündischen Singens und neben Paul Haubrich persönlich mit Koebel befreundet (vgl. Nachkriegstreffen). Jung war zuvor Musiklehrer der Deutschen Schulen in Santiago di Chile und in Istanbul (Konstantinopel) und als solcher Motor der Bewegung gerade auch an Schulen im Ausland (Barbara Radt (Hrsg. im Auftrag der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft und des Orient-Instituts, Abteilung Istanbul) Geschichte der Teutonia. Deutsches Vereinsleben in Istanbul 1847-2000, 2001; vgl. dazu: Theo Jung: Musikunterricht an Auslandsschulen und neuzeitliche Unterrichtswerke, in: Die Deutsche Schule im Auslande, 22, 1930, S. 232 ff.). Jung war im Dritten Reich zusammen mit Adolf Lohmann und Heinrich Weitkamp Herausgeber der Sammlung „Lieder des Volkes, Erbe und Aussaat, Liederbuch für die Deutsche Schule, Niederrheinsicher Liederschatz" (Wuppertal (6)1936). Er war ab 1941 bei der Kriegsmarine zuständig für die Ausbildung von Singeleitern und für Laienspiel und Puppenspiel. Er baute entsprechende Kreise mit Menschen aus der bündischen Jugend auf, die eng zusammenhzielten: „Und wenn nur einer übrig bliebe, er trüge unsre Kunde weiter!“ (Barbers, Aufbruch der Jugend, a.a.O., S. 26 unter Berufung auf einen Bericht Jungs vom März 1975 unter dem Titel „Über meine illegale Tätigkeit bei der Kriegsmarine“).

Zur Jahreswende 1931/32 kommt es wohl unter Jungs Führung auch zu einer zunehmenden Annäherung der Jungenschaftsführer zum Faschismus und zur – am 1.11.1919 gegründeten „dj.1.11.“. Ein Kreis um Paul Haubrich (Gaugraf vom Mittelrhein) pflegte dabei elitäre Übersteigerung von Rang und Blut, verehrte Stefan George als den Propheten der Jugend und forderte bereits 1931 zum Verbrennen „veralteter Literatur“ auf (Binkowski, a.a.O., S. 127).

Hansjörg Oeschger (1908-1998) forderte im gleichen Jahr im Werkblatt der Älteren im Quickborn in seinem Artikel “Nationaler Sozialismus” eine “vorübergehende demokratische Diktatur” (Hans Jörg Oeschger: Nationaler Sozialismus, in: Werkblatt der Älteren im Quickborn, 1931, S. 167). Allein durch die Titelwahl ist nunmehr sogar eine Annäherung an den Faschismus gegeben.

Oeschger selbst berichtete in seinen Erinnerungen für diese Zeit davon, dass es unter den Quickbornern schon vor 1933 völkische Tendenzen gegeben habe. Zwei Stuttgarter Gruppen seien wegen ihrer Mitarbeit bei der Hitler-Jugend, noch bevor sie Staatsjugend geworden sei, aus dem Quickborn ausgeschlossen worden. Außerdem spricht er davon, dass ältere Bundesbrüder die eigene Jungenschaft wegen ihres Liedguts, ihres öffentlichen Auftretens und ihrer Kluft der Neigung zum Militarismus und Nationalsozialismus verdächtigt hätten (Hans Jörg Oeschger: Quickborn und Politik. Versuch einer Darstellung. Kopie eines vierseitigen maschinenschriftlichen Textes vom 10. Dezember 1978 aus dem Nachlass von Paul Hasenteufel, vgl. dazu auch den Beitrag zur Dokumentation über die Quickborn- und nachfolgende Deutschmeister-Jungenschaft des Hans Jörg Oeschger, Freiburg von Hugo Blessenohl aus Bochum, der als Kopie eines sechsseitigen maschinenschriftlichen Textes im gleichen Nachlass enthalten ist. Blessenohl beschreibt darin sowohl das rege Fahrten- und Lagerleben sowie Liedgut und Lektüre zwischen 1932 und 1935 als auch die Quickborn-internen Diskussionen um eine Deutsche Jugendschaft als übergreifende Struktur für die Bünde und nicht zuletzt eine gewisse Kluft zwischen Jüngeren und Älteren, hervorgerufen durch das eher bündische Selbstverständnis der älteren Quickborner (hier zusammengefasst nach Paul Hasenteufel: Katholische Jugend in ihrer Zeit, Bd. II: 1919-1932, Bamberg 1989, S. 545 f.).

Einige Quickborner-Jungenschaftler zeigten sich seit Anfang 1932 so offen als Anhänger der zu dieser Zeit begonnenen rot-grauen Aktion Eberhard Koebels und seiner d.j.1.11 und von dessen Idee die besten Gruppen der Bünde zu einer Einheitsfront zusammenzufassen, dass es bereits in der Februar-Ausgabe des „Bubentyrker“, dem Nachrichtenblatt von Koebels „Lagerfeuer“ heißt, daß der südliche und westliche Teil der katholischen Quickborn-Jungenschaft geschlossen der Rotgrauen Aktion beigetreten sei. Insbesondere die Quickborn-Jungenschaft im Rheinland hatte sich unter dem Einfluss von Paul Haubrich - auch paljon, später old hein genannt - 1932 der „Rotgrauen Aktion“ von Eberhard Koebel angeschlossen (Fritz Schmidt: Ein Mann zwischen zwei Welten: Eberhard Koebels politische ..., 1997, S. ???). Eberhard Koebel (1907-1955) wurde gemeinhin auch „tusk“ („der Deutsche“) genannt. Mitunter wird dieser Beiname später auch dem Nachnamen als Koebel-tusk bzw. Koebel-Tusk beigestellt, erstmals offiziell 1950 beim Erscheinen des „Pinx“ im Verlag Atlantis (Eberhard Koebel-Tusk: Pinx der Buchfink, Freiburg im Breisgau 1950).

In dieser "rot-grauen" Linie steht aber an Ostern 1932 ein Eklat zwischen Älterenbund und Jungenschaft, entstanden durch die sog. “Blaue Stunde” von Paul Haubrich, während der ein Schuss an die Decke abgefeuert wurde. Dazu Felix Messerschmid später: “Immerhin zeigte der Abend, dass es in der katholischen Jugend damals keine durchgängige Immunität gegen den NS gab” (Brief Messerschmids an Oeschger vom 4. Oktober 1979, zitiert nach Binkowski, a.a.O., S. 127).

Am 7. Mai 1932 fand in Köln-Gürzenich ein Liederabend der Quickborn-Jungenschaft unter dem Motto "Rot-Grau singt 4/4 Takt" statt (vgl. Herbert Westenburger: Wir pfeifen auf den ganzen Schwindel: Versuche jugendlicher Selbstbestimmung, 2020, S. 260).

Schließlich trennte sich am 29. Juni 1932 die "Süd-westdeutsche autonome Jungenschaft im Quickborn" in Freiburg, Neuwied, Köln u.a. vom Quickborn, allerdings eben unter Beibehaltung des Namenszusatzes "im Quickborn“. Diese Gruppen umfassten „bald einige hundert Jungen (und später auch Mädchen) zwischen Köln und dem Bodensee“ (Matthias von Hellfeld: Bündische Jugend und Hitlerjugend, 1987, S. 142) Für den 22. Juli 1932 (1933???) ist ein Liederabend der Süd-westdeutsche autonome Jungenschaft im Quickborn unter dem Motto „Barrikaden. S.-W. [Süd-West] singt aus Revolutionen“ in Neuwied dokumentiert. Führend in der Neuwieder Gruppe war Fritz Hölzle, der stark für einen Übertritt der Gruppe zur d.j.1.11. eintrat (vgl. Herbert Westenburger: Wir pfeifen auf den ganzen Schwindel: Versuche jugendlicher Selbstbestimmung, 2020, S. 260. Die Jahresangabe 1933 scheint für Juli 1933 unwahrscheinlich, in der Einladung selbst ist keine Jahreszahl vermerkt). Auch der „Stamm 45“ aus Köln-Lindenthal organisierte im November 1933 (oder auch schon 1932???) in enger Anlehnung an eine Veranstaltung der Süd-westdeutschen autonomen Jungenschaft im Quickborn einen Jungvolk-Elternabend mit dem Titel „Stamm 45 macht Revolution“, bei dem Lieder und Texte von Bertolt Brecht rezitiert und die „Lieder der Eisbrechermannschaft“ gesungen wurden (Matthias von Hellfeld: Bündische Jugend und Hitlerjugend, 1987, S. 142).

Haltung der Älteren im Quickborn zu Koebel und der dj.1.11.

Den Älteren im Quickborn war Eberhard Koebels ambivalente politische Stellung suspekt. Sie rührte her von seiner Verankerung im Nationalbolschewismus her (Niekisch, Jünger, Möller van den Bruck, Paetel, Schulze-Boysen), die sich auch innerhalb der NSDAP (Röhm, Gr. und O. Strasser) fand. Diese Ablehnung dürfte sich aufgrund der weiteren Entwicklung in der dj.1.11. eher noch verschärft, denn gemildert haben.

Koebels Annäherung an den Kommunismus, das Ende der "rotgrauen Aktion" und die Abspaltung der "Jungentrucht" von der dj.1.11.

Koebels Abgabe der Reichsleitung der dj.1.11. und Eintritt in die KPD (April 1932)

Als Koebel im April 1932 die Reichsleitung der dj.1.11. niederlegte, sich öffentlich zum Marxismus und Kommunismus bekannte und demonstrativ der KJVD und am 20. April 1932 der KPD beitrat, rief er dabei alle über 18jährigen Mitgliedern der dj.1.11. zum sozialpolitischen Engagement im KulturKlub (KK) auf.

Absage der "Rotgrauen Aktion"

Im Juni 1932 hat Koebel wohl auch die "Rotgraue Aktion“ wieder abgeblasen (vgl. Franz Schmidt: Ein Mann zwischen zwei Welten, 1997, S. 102), weshalb auch dieser Versuch einer "Einheitsfront"-Bildung scheiterte. Stattdessen versuchte Koebel eine „rote Jungenschaft“ zu gründen.

Spaltung in die "Roten" und die Jungentrucht

Dies führte in der dj.1.11. zu starken Spannungen, bis sie sich in die „Roten“ und die „Jungentrucht“, welche den neuen politischen Kurs nicht mitmachen wollte.“ (vgl. dazu bereits 1942: Max Nitzsche: Bund und Staat. Wesen und Formen der bündischen Ideologie, 1942, S. 50). Insgesamt schrumpfte dabei die dj.1.11. auf einige hundert Mitglieder.

Exkurs: Trucht und Jungentrucht

Bereits an Pfingsten 1930 wurde die „Trucht“ - ausgerechnet - in Saarbrücken durch „teut (ansolt)“, alias Karl Christian Müller (1900-1975) gegründet, nach eigener Aussage, weil die Kirche für ihn als „tote“ und „verwesende“ Institution erschien, die keinen Halt mehr auf dem „schwankenden Boden der nackten Existenz“ bot (Brief von Karl Christian Müller an Hermann Büsing vom 14. Februar 1962, in: NL KCM, Mappe 177, zitiert nach: Torsten Mergen: Ein Kampf für das Recht der Musen. Leben und Werk von Karl Christian Müller alias Teut Ansolt (1900-1975), Göttingen 2012, )

Dieser war promovierter Philologe und Studienrat, Lyriker und Schriftsteller aus dem Saarland. Die Zeitschrift der "Trucht" hieß „Der große Wagen. Deutsche Jungenzeitschrift“. Weitere Zeitschriften sind für die Älteren „Der Folger“, für Gruppen in Polen „Zelte im Osten“.

Zwischen tusk und teut kam es auf dem Lager der Freischar in Ludwigswinkel zu einer Begegnung. Nach dem Ausschluß Tusks aus der Deutschen Freischar schlossen sich die „dj. 1. 11.“ Und die „Trucht“ zum „Fuldabund“ zusammen, der sich bald darauf in „Deutsche Autonome Jungenschaft“ (DAJ) umbenannte.

Mit dem Eintritt Tusks in die KPD und Müllers Kritik an dessen Extremismus am 20. April 1932 zerfiel zu Pfingsten 1932 die DAJ wieder in eine kleinere „dj. 1. 11“ und eine größere „Deutsche Jungentrucht“ (Jtr.) (vgl. Rudolf Kneip: Jugend der Weimarer Zeit. Handbuch der Jugendverbände 1919-1938, 1974, S. 155; Armin Mohler: Die Konservative Revolution in Deutschland 1918 – 1932. Ein Handbuch, 1999, S. 478)

Müller selbst war trotz seiner Extremismuskritik an der KPD dann allerdings bereits bald nach der Machtergreifung in die NSDAP und den Nationalsozialistischen Lehrerbund eingetreten. Im Sommer 1934 hatte die Trucht-Führung nach einem letzten Bundeslager gegenüber dem Nationalsozialismus eine Doppelstrategie verkündet, die eine Integration in die Hitlerjugend mit der illegalen Fortexistenz im Verborgenen verknüpfte: „Kameraden! Die Deutsche Jungentrucht ist aufgelöst. Am Feuer des Lagers zu Scharzfeld. Die Jungentrucht ist tot, es leben die Folgertrucht! Die Gruppen waren alle schon in die H.J. oder ins Jungvolk eingegliedert oder vorher ausgetreten. Somit trifft keine Gruppe die Auflösung.“ Er glaubte, dass die Werte der Jungentrucht in der Hitlerjugend und im Jungvolk weiterleben und im breiteren Raum fruchtbar werden. Allerdings legte er großen Wert darauf über fortbestehenden Truchtfolger und ihre Kreise genauestens Bescheid zu bekommen (Rundbrief von teut an alle Truchtinge vom Juni 1934, in: NL KCM, Mappe 274, berichtet nach Torsten Mergen: Ein Kampf für das Recht der Musen. Leben und Werk von Karl Christian Müller alias Teut Ansolt (1900-1975), Göttingen 2012, S. 158 f.)

Koebels Wiederübernahme der Leitung der dj.1.11 (August 1932)

Durch die Wiederübernahme der Leitung im August 1932 versuchte Koebel die Auflösung der dj.1.11. zu verhindern.

Das Herbstlager 1932

Auf ihrem Herbstlager 1932 wurde durch die Quickborn-Jungenschaft das Bundesgesetz der Abstinenz von Alkohol und Nikotin endgültig aufgegeben und damit der Leitsatz “Lebenserneuerung durch Verzicht” in Frage gestellt (Binkowski, a.a.O., S. 128). Alle Gaue und Gruppen, die am alten Quickborn-Ideal festhielten und den neuen Kurs nicht mitmachen wollten, wurden aus dem Jungenschaftsbund ausgeschlossen.

Hans-Jörg Oeschger als Reichsführer (ab Herbst 1932)

Oeschger war bei diesem Herbstlager 1932 zunächst kommissarisch, an Ostern 1933 (Ostersonntag=16.4.) auf dem sogenannten „Ost-West-Lager“ bei Liegnitz zum Reichsführer der Quickborn-Jungenschaft gewählt worden. Damit war zwar die Einheit der Jungenschaft rein äußerlich wiederhergestellt, verbunden aber mit einem großen Mitgliederschwund (Binkowski, a.a.O., S. 126).

Im Frühjahr 1933 verließ Koebel die KPD wieder und versuchte, eine leitende Position bei der Hitler-Jugend zu bekommen. Dazu verhandelte er direkt mit Baldur von Schirach. Koebel veröffentlichte unter anderem ein Manifest, in dem es heißt: die N.S.D.A.P. hat die gesamte Initiative ergriffen. Sie ist heute der Staat und es ist sinnlos, abseits zu verharren.“ In einem Rundbrief Koebels vom 24. Mai 1933 schreibt er: […] ihr werdet erfahren haben, dass ich mich für die aufnahme in die NSDAP und die SS. gemeldet habe […] der sieg der NSDAP hat ganz andere voraussetzungen geschaffen. Wir dulden es nicht, daß man uns jetzt wieder und wieder auf unsere vergangenheit deutet. Am innerpolitischen kampf haben wir teilgenommen, das ist uns das wesentliche. wir waren weder pazifisten noch etappenschwein! hitler hat gesiegt. er hat ganz und gar gesiegt. deutschland ist hitlerisch. es lebe der sieger! Der nächste kampf ist ein nationaler kampf: hitlerdeutschland gegen andere mächte. … […] wir wollen nicht die illusion pflegen, hitler habe nur äusserlich gesiegt. nein! wir wollen uns mit all den kultivierten kräften, die in dj.1.11 gewachsen sind, dem neuen deutschland zur verfügung stellen. so untrennbar wir kinder der wirklichkeit sind, sind wir kinder deutschlands. […] der nächste kampf ist ein aussenpolitischer und er muss uns auf der seite des hitlerdeutschlands sehen. [….]"

Einzelne und einzelne Gruppen aus der dj.1.11. schlossen sich darauf der Hitler-Jugend an, andere versuchten durch Zusammenarbeit einer Auflösung zu entgehen, wieder andere gingen „illegal“ in den Untergrund.

Die neue Führung der dj.1.11. unter Jochen Hene, versuchte im Frühjahr 1933 – im Blick auf bereits erfolgte Übertritte zur Hitler-Jugend, zum Beispiel in Ludwigsburg, und im Einvernehmen mit Koebel-tusk – sich mit der neuen Reichsjugendführung zu arrangieren und mit dem Jungvolk der Hitler-Jugend zu kooperieren. Ziel war es, innerhalb der Strukturen des Jungvolks die Fortexistenz jungenschaftlichen Lebens zu ermöglichen und örtliche Dominanz zu erreichen. Nach anfänglichen Erfolgen scheiterte dies jedoch vollständig.

Koebel selbst wurde am 18. Januar 1934 wegen kommunistischer Zersetzung von der Gestapo verhaftet. Er verübte zwei Selbstmordversuche und wurde schließlich, notdürftig wiederhergestellt, aus der Haft entlassen. Als er am 10. Juni von einer erneuten Verhaftung und geplanten Ermordung erfuhr, emigrierte über Schweden nach London. Von hier aus hielt Koebel Kontakt zu illegalen Jungenschaftsgruppen im Deutschen Reich, bis diese 1937 weitestgehend abbrachen.

Nachwirkungen und Rückblicke

Die engen Verbindungen zwischen Koebel und einigen Quickbornern zeigt sich noch 1955: „Eberhard Koebel, tusk, am 10. Juli 1955 auf der Neuerburg bei Neuwied. Er besuchte auf dieser Westreise kurz vor seinem Tod bündische Bekannte, die dem katholischen Jugendbund Quickborn angehört hatten und im Zuge der Rotgrauen Aktion zu dj.1.11. gekommen waren. Gastgeber war Theo Jung, von dem auch die Fotos stammen. Paul Haubrich (old hein) hatte tusk von Köln aus zu dem Treffen mitgebracht“ (Eckard Holler: Auf der Suche nach der Blauen Blume: Die großen Umwege des …, 2020, S. 274).

Hans Jörg Oeschger berief sich angesichts seiner wohlwollenden, zum Teil entschuldigenden Darstellung dieser Vorgänge darauf, selbst Guardini habe noch 1933 nicht im Nationalsozialismus, sondern im Bolschewismus die eigentliche Gefahr für Staat und Kirche gesehen (Hans Jörg Oeschger: Quickborn und Politik, a.a.O, zusammengefasst nach Paul Hasenteufel: Katholische Jugend in ihrer Zeit, Bd. II: 1919-1932, Bamberg 1989, S. 545f.) Für diese einseitige Behauptung fehlen allerdings jegliche Belege und ihr wurde von anderer Seite, vor allem von Felix Messerschmid widersprochen.

Gründung und Entwicklung der Deutschmeister-Jungenschaft (1933/34)

Gründung der Deutschmeister-Jungenschaft (Pfingsten 1933)

An Pfingsten 1933 (Der Pfingstsonntag war in diesem Jahr der 4. Juni) schloss sich die Quickborn-Jungenschaft dann mit den Normannsteinern zur „Deutschmeister-Jungenschaft“ bzw. zum „Bund der Deutschmeister“ als „Bund der Quickborn-Jungenschaft und der Normannsteiner” zusammen (Binkowski, a.a.O., S. 126). Fritz Leist wurde hier oder zumindest einer der Sprecher der Deutschmeister-Jungenschaft bzw. als solcher wahrgenommen.

Andere berichten – unbestätigt - bereits von einer Gründung des „Bundes der Deutschmeister“ für 1932 bzw. für die Silvesternacht 1932/33 (Paulus Buscher (1928-2011), selbst noch in einer späten Leipziger dj.1.11.-Gruppe im bündischen Widerstand, der sowohl mit den Oratorianern, insbesondere Josef Gülden, befreundet, und über ihn mit Guardini stand), für die Hans Baumann (1914-1988) während Exerzitien des Bundes Neudeutschland beim völkisch veranlagten Jesuiten Anton Stonner das Lied „Es zittern die morschen Knochen der Welt vor dem roten Krieg“ als Bundeslied geschrieben habe.

Für die Quickborn-Jungenschaft hatte zudem die Problematik bestanden, dass die Burgleitung ab Mitte Juni 1933 dem Freiwilligen Arbeitsdienst (FAD) Teile der Burg Rothenfels überlassen hat. Im Juli 1933 beschloss der Quickborn-Älterenbund dann die Selbstauflösung und die Übertragung der Burg auf die „Vereinigung der Freunde von Burg Rothenfels“, beides letztlich mit der Intention, die Burg vor dem Zugriff durch die Hitler-Jugend zu bewahren. Damit geriet die Quickborn-Jungenschaft in einen „luftleeren“ Raum, was ihre Eingliederung in die Deutschmeister-Jungenschaft und schließlich in die Sturmschar beschleunigen sollte.

Annäherung an den KJVD und Eingliederung in die Sturmschar (Sommer und Herbst 1933)

Hans Jörg Oeschger und ein großer Teil dieser neuen Jungenschaft suchte untermittelbar nach der Gründung der Deutschmeister-Jungenschaft zunächst Anschluss an den „Katholischer Jungmännerverband Deutschlands“, da dieser durch das Reichskonkordat (20. Juli 1933, rechtskräftig 10. September 1933) gesichert schien. Allerdings währte dies Hoffnung nur bis 1935 bzw. 1937, denn am 23. Juli 1935 wurde zunächst die DJK, am 7. Juli 1937 in Paderborn der erste Diözesanverband des KJMVD aufgelöst, weitere folgten, bis der Verband am 6. Februar vor der endgültigen Auflösung stand (vgl. dazu Schellenberger, Barbara: Katholische Jugend und Drittes Reich: eine Geschichte des Katholischen Jungmännerverbandes 1933-1939 unter besonderer Berücksichtigung der Rheinprovinz, Mainz 1975).

Der Eingliederungsprozess scheint bis Herbst 1933 weitgehend abgeschlossen zu sein und wird – wohl auf Drängen Ludwig Wolkers - durch eine Abgrenzungserklärung des Reichsführers der Deutschmeister-Jungenschaft (Oeschger) von der bündischen Jugend ergänzt. Anfang Oktober 1933 erschien folgende Pressemeldung des Jugendpressedienstes „Wille und Wahrheit“, hrsg. von Werner Kindt, vom 5. Oktober 1933: „Der Bundesführer der Deutschmeister-Jungenschaft, die sich vor kurzem in den Katholischen Jungmännerverband eingegliedert hat, wendet sich an seine bisherige Gefolgschaft mit der Erklärung, daß der Gedanke der Deutschen Jungenschaft, der bisher Haltung und Leben des Bundes bestimmt habe, für die katholische Jungenschaft erledigt sei. Wer lediglich aus diesem Grunde in der Deutschmeister-Jungenschaft gestanden habe, solle dahin gehen, wo dieser Gedanke heute seine Verwirklichung finde: in der Hitler-Jugend. Die Aufgabe der katholischen Jugendbewegung liege heute im Religiösen; sie müsse zuerst lebendiges, vorwärtstreibendes, ja revolutionäres Glied der jungen Kirche sein und werden. Der Deutschmeister-Jungenschaft könnten künftig nur diejenigen angehören, denen es mit der Erfüllung dieser Aufgabe ernst sei. Darum habe man sich auch in den Katholischen Jungmännerverband aufnehmen lassen, um gemeinsam mit den dort wirkenden Kräften an dem Werden einer großen katholischen Jungenschaft zu schaffen. Man verleugne seine bisherige Tradition nicht, sondern nehme diese als wertvolles Gut mit in die neue Arbeit: Rang, Auslese und Leistung müßten auch in Zukunft neben der rein seelsorgerischen Einstellung ihre Bedeutung behalten.“

Skepsis und Distanzierung bei einzelnen Gruppen

Fritz Leist ging angesichts dieser Forderung bereits früh auf Distanz zu dieser Eingliederung. Auch nachdem Romano Guardini aus taktischen Gründen den Quickborn-Älterenbund zugunsten der "Freunde der Burg Rothenfels" aufgelöst hatte, setzte Leist sich besonders stark für den Fortbestand der Quickborn-Jungenschaft ein. Gerade deshalb fungierte er alsbald auch als Sprecher der Deutschmeister-Jungenschaft, wollte diese aber eben eigenständig halten.

Auch mehrere Gruppen und Freundeskreise schlossen sich - ähnlich wie der „Graue Orden“ - Eingliederung nicht an, sondern gingen als befreundete, religiöse Bibel- und Liturgiekreise in den Untergrund, die sich auch weiterhin auf Lager und zu Fahrten trafen. Zum Beispiel geht aus einer Urteilsschrift gegen sieben frühere Paderborner Mitglieder der Deutschmeister vom Oktober 1937 (Sondergericht in Dortmund) hervor, daß diese Gruppe eine Reihe von illegalen Fahrten - teils als „Bibelkurse“ getarnt - durchführte und daß sie in ihrer Struktur und Führung der dj.1.11 angeglichen war. Darüber hinaus zeigt diese Urteilsschrift auch, in welcher Weise manche Gerichte die Gründe die zur Verurteilung von Jugendlichen (in diesem Fall zu 150, - und 200, - RM Geldstrafe) ausreichten, an den Haaren herbeizogen. Aufgrund von Treffen an Weihnachten 1935, Ostern 1936 und Sommer oder Herbst 1936 sowie Weihnachten bis Silvester 1936. Für dieses Weihnachtstreffen ist in der Anklageschrift vermerkt: „Das Treffen war zwar nicht ausdrücklich als ein Treffen der früheren ›Deutschmeister-Jungenschaft‹ in Westfalen bezeichnet, es wurde aber von den meisten Teilnehmern als solches empfunden“ (Sondergericht Dortmund, Az 19 K MS 8/37 Zentr. St. A., Urteil gegen 8 Paderborner Jugendliche vom 21.10.1937 (Privatarchiv Klönne), hier zitiert nach Hellfeld, Bündische Jugend und Hitlerjugend, 1987, S. 142 f.). Die Einschätzung der Gestapo, es handle sich bei den Treffen um als „Bibelkurse“ getarnte bündische Treffen, ist natürlich falsch. Faktisch handelte es sich nämlich um Bündische (und) Liturgie- bzw. Bibel-Kreise.

Exkurs: Entwicklungen in der Sturmschar

Franz Steber (1904-1983)

Franz Steber war von 1925 bis 1927 Verbandssekretär im Jugendsekretariat beim Landesjugendseelsorger von Bayern, wechselte 1927 als "Reichwanderwart" ins Jugendhaus des Jungmännerverbandes in Düsseldorf. Von 1929/30 bis 1935 war er schließlich Freichsführer der Sturmschar (Reichssturmscharfführer).

Steber erklärte 1932 in Trier öffentlich: „Wir wehren uns als Katholiken und auch als junge Deutsche gegen alle Formen eines absolutistischen Machtstaates.“ Er vertrat aber durchaus auch die Vorstellung einer autoritären, aber rechtsstaatlichen Demokratie: „1. Wir erstreben eine echte Demokratie, in der niemand besondere Vorrechte hat, niemand minderen Rechtes ist. 2. Notwendig ist eine autoritäre Führung. 3. Staatsbürgerliche Erziehung führt zu Verantwortungsbewusstsein.“ (zitiert nach Müller, Gregor: Ahaus 1933: Installation des nationalsozialistischen Systems, 2004, S. 36).

Kaplan Joseph C. Rossaint (1902-1991)

Rossaint hatte seit 1927 zunächst als Kaplan in Oberhausen, dann ab 1932 in Düsseldorf. Er hat sich seit 1928 im Friedensbund Deutscher Katholiken engagiert, war 1929 der Zentrumspartei beigetreten. Sofort nach deren Zustimmung zum „Ermächtigungsgesetz“ trat er aus.

Das Treffen von führenden Sturmscharlern mit Berta Karg (November 1933)

Am 1. November 1933 – also nach dem Verbot der kommunistischen Partei - hat Franz Steber eine Zusammenkunft führender Sturmscharler mit einer kommunistischen Funktionärin – Berta Karg – in der Wohnung des Dr. Joseph Rossaint, Kaplan und Jugendpräses bewirkt. Auch davor soll es schon Diskussionstreffen gegeben haben. Beim Treffen vom 1. November habe sie etwa eine Stunde mit dem Ziel gesprochen, eine antinazistische Einheitsfront mit den Kommunisten, den Sozialdemokraten, Gewerkschaftlern und eben der kath. Jugend zu bilden. Sie habe kath. Jugendgruppen mit Propagandamaterial beliefert und sogar die Herausgabe gemeinsamer Flugblätter und Broschüren sei erfolgt. Die Sturmscharler hatten dagegen das Ziel, die jungen Kommunisten für die katholische Sache zu gewinnen. Beide Seiten bezweifelten in den späteren Vernehmungen zwar einen nennenswerten Erfolg, dennoch wurde den katholischen Teilnehmern ein Strick allein aus dem Kooperationsversuch gedreht, weil sie versucht hätten, eine "katholische kommunistische Einheitsfront" zu bilden (siehe 1936/37).

Haltung Guardinis zur Jungenschaft (1933/34)

Wie schon angedeutet, ging die Quickborn-Jungenschaft einen Sonderweg. Kurt Döbler sprach später einmal davon, Guardini habe 1933 der Quickborn-Jungenschaft geraten, sich aufzulösen und in die Hitler-Jugend einzutreten. Dies wurde durch Hans Jörg Oeschger bestätigt, nachdem Binkowski die Äußerung als heute nicht mehr nachprüfbare Behauptung dargestellt hatte: „Ich habe im Sommer oder Herbst 1933 zweimal eine derartige Aufforderung (zum Eintritt in die HJ) telegrafisch und brieflich erhalten“ (Oeschger, Hans Jörg: Kritische Besprechung (Binkowkis) mit Ergänzungen aus der Sicht der Quickborn- und späteren Deutschmeisterjungenschaft, in: Quickborn, April 1982, S. 28 zitiert nach Gerl-Falkovitz, a.a.O., S. 245, FN 66). Das Telegramm bzw. den Brief konnte Oeschger allerdings nicht mehr beibringen.

Nach Binkowski zeigt diese Behauptung lediglich, „dass Guardini ein unpolitischer Mensch war, der in den Wirrungen dieses Jahres zu retten suchte, was zu retten möglich schien, aber nicht, dass er in irgendeiner Weise zum Nationalsozialismus tendierte“ (Binkowski, a.a.O., S. 229).

Dagegen schlussfolgerte Gerl (1985) aus dem Umstand, weil dieser Gedanke nur für 1933 belegt sei, „dass Guardini zu dieser Zeit noch von der Hoffnung beseelt war – wie manche andere -, die neuen Machthaber könnten durch solche Angliederungen zu einer gewissen Änderung ihrer geistigen Grundlegung veranlasst werden.“ Sie verwies dazu auf eine Erinnerung Görners, dass Guardini am 20. Januar 1934 zu ihm über die Hitler-Jugend gesagt habe: „Diese Jungen sind sehr eingebildet. Mit denen ist darum nicht viel anzufangen. Statt dass sie zur Bescheidenheit erzogen werden, redet man ihnen andauernd vor, dass sie die Zukunft Deutschlands sind usw. Genau wie in Italien. Die erste Jugendbewegung war zwar auch selbstbewusst. Aber das wurde dadurch kompensiert, dass sie ein Risiko hatte. Sie stand in der Auflehnung gegen Schule und alte Generation. Aber heute fehlt dieses Risiko ganz. Darum wirkt sich diese Selbstüberhebung viel gefährlicher aus“ (Romano Guardini im Gespräch mit Erich Görner 1933/34, S. 6 für den 20. Januar 1934). Die hier von Gerl hier unterstellte Änderung der Einschätzung gegenüber der Hitler-Jugend zwischen Machtergreifung und Januar 1934 wird aber durch nichts weiter bestätigt.

Ein damals führender Kopf von Bund Neudeutschland, nämlich Max Müller, personalisierte die Entscheidung in seinem Rückblick unter Berufung auf die Glaubwürdigkeit Oeschgers hin auf Guardini hin, wenn er schreibt, Guardini habe sogar „die Auflösung und Überführung dieser Quickborn-Jungenschaft in die Hitler-Jugend“ erwogen und habe dieses Vorhaben mit der Einflusslosigkeit in einer möglichen Isolation begründet. „Und dem damaligen Leiter der Quickborn-Jungenschaft Hans-Jörg Oeschger legte er, wie ich aus dessen Mund es persönlich zuverlässig erfahren habe, die Auflösung und Überführung dieser Quickborn- Jungenschaft in die Hitler-Jugend nahe. Ja, er drängte sogar darauf, „daß wir auch dort präsent seien und wirken könnten", was in der Isolierung nicht möglich sei. Oeschger hat dem widersprochen. Dem Ansehen Guardinis in meinen Augen und seiner für mich bleibenden Größe ...“ (Müller, Max: Auseinandersetzung als Versöhnung – Polemos Kai Eirene. Ein Gespräch über ein Leben mit der Philosophie, hrsg. von W. Vossenkuhl, Berlin 1994, S. 65f.).

Weitere Stellungnahmen aus Burg Rothenfels (Dezember 1933)

Was die zukünftigen Möglichkeiten der Zusammenarbeit von Quickbornern und Burg Rothenfels anbelangte, schrieb „Pater M.“, vermutlich P. Manfred Hörhammer, im Dezember 1933 einen Brief im "Burgbrief". Dieser fasste die damalige Situation ganz gut zusammen. Er sprach für die „Älteren“, die eine Weiterführung der Bundesgemeinschaft auch mit dem alten Familien-Charakter: Jungen-Mädchen-Ältere wollen. Die Entscheidung der Quickborn-Jungenschaft, bei Fühlung mit der Burg und zum Mädchenbund, sich mit den Normannsteiner zu den Deutschmeistern zusammenzuschließen, habe eine neue Situation geschaffen. Da die Jungen den Schlesier-Aufruf ablehnen und die Älteren im Westen die Form, wie sie der Schlesier-Aufruf meint, als unmöglich empfinden würden, zumal da die Burg und ihr Programm über Jahre gewachsen sei, könne es zu keiner Gesamtlösung kommen. Die Bundesgemeinschaft könne daher – so Pater M. - nur durch die Bindung an die Burg Rothenfels aufrechterhalten werden (Pater M.: Aus einem Brief, in: Burgbrief, 1933, Nr. 3 (Dezember), S. 29. Es handelt sich dabei vermutlich um Pater Manfred Hörhammer).

Erste Kontakte zwischen Leist und Graf (1934): “Ostern feiern wir zusammen”

Das Kennenlernen von Leist und Graf wird bisher mit „Weihnachten 1934“ datiert (aufgrund des Polizeiberichts von 1937/38). Gegenüber der Gestapo hatte Graf ein persönliches Kennenlernen angegeben: „Weihnachten 34 lernte ich gelegentlich einer Christmette durch andere N.D. Kameraden Fritz Leist kennen. Während meiner Unterhaltung mit ihm lernte ich ihn als einen besonders fähigen Menschen kennen. Da ich bezügl. der Erziehung der kath. Jugend die gleichen Interessen hatte wie Leist, kam ich im Laufe der Zeit öfters mit ihm zusammen und lernte auch die von Fritz Leist geführte Gemeinschaft näher kennen. Im Laufe des ersten Jahres unserer Bekanntschaft wuchs ich durch gegenseitigen Besuch und Briefverkehr immer mehr in die Gemeinschaft der Kameraden hinein.“

Dieses Treffen wird bislang auch mit dem „ersten“ Zusammentreffen zwischen Willi Graf und Fritz Leist (Elversberg) in Dudweiler/Saar identifiziert, vermittelt durch Rudi Alt (Friedrichsthal), der aus seiner ND-Gruppe eine autonome Jungenschaft machen wollte. Die Verknüpfung scheint eher willkürlich zu sein, die Angaben gegenüber der Gestapo zu spät (wohl auch zum Schutz Rudi Alts und früherer gemeinsamer Aktivitäten). Das Treffen könnte schon ein Jahr früher in den Weihnachtsferien Dezember 1933/Januar 1934 stattgefunden haben. Diese könnte erklären, warum Graf einen Rundbrief der Deutschmeisterjungenschaft von Anfang 1934 abschreiben konnte.

Denn im Tage-/Notiz- bzw. Fahrtenbuch Willi Grafs findet sich eine Abschrift von „Funk 8. Rundbrief der deutschmeisterjungenschaft …“ Der Rundbrief stammt von Anfang 1934. Er enthält einen Verweis auf ein vergangenes Lager und einen Ausblick auf die geplante „Finnland-Lappland-Großfahrt“. Er enthält u.a. Zitate von Novalis („hätten die nüchternen …“) und Rilke („unser sehnen muß sein: …“) einen Text von Ida Couvenhove, ein Liedgedicht („Für uns gilt nur: sieg oder tod!“). Dort finden sich aber von Fritz Leist die schon bekannten Sätze: „jungenschaft 1934. das heißt: eigene Wege suchen, die euch nicht vorgezeichnet sind. neue formen gestalten, viele warten darauf. das opfer der bünde sei nicht umsonst gebracht. Es gilt: alle lebendigen jungen im j.m.v. zusammenzuführen zu einem trupp im dienst der deutschen jugend. Ihr sollt diesen weg bereiten. sucht euch rücksichtslos die kameraden aus – ihr kennt sie am händedruck und am blick ihrer augen – fragt nicht nach vergangener bündischer verschiedenheit. ostern feiern wir zusammen. eure vorbereitung sei ohne pathetische aufrufe. schließt den ring in südwestdeutschland. sprecht wenig darüber. steht unbeirrt, fest hart. Liebt das schwere, harte, mühselige, das was wehe tut ..“

Vermutlich handelt es sich bei den von Anneliese Knoop-Graf gefundenen Eintragungen und Hinterlassenschaften tatsächlich um eine Verbindung zwischen Willi Graf und Rudi Alt hin zur von der „dj.1.11.“ geprägten „Deutschmeister Jungenschaft“ (vgl. Hildegard Vieregg/Hinrich Siefken (Resistance to National Socialism, 1993, S. 160) unter Verweis auf „das Nordland-Fahrtenbuch der Gruppe von Willi Graf von 1934 und die Darstellung von Anneliese Knoop-Graf, abgebildet in: Baybach-Bote. Mitteilungsblatt der Arbeitsgemeinschaft Burg Waldeck (Redaktion Paulus Buscher), Wuppertal/Sabershausen 1981/82. Siehe auch das persönliche Tagebuch von Willi Graf mit der Abbildung des Rundbriefes 'funk 8' der 'deutschmeisterjungenschaft' im Katholischen Jungmännerverband, abgebildet in: Baybach-Bote. Mitteilungsblatt der Arbeitsgemeinschaft Burg Waldeck (Redaktion Paulus Buscher), Wuppertal/Sabershausen 1985).

Eingliederung der Deutschmeister-Jungenschaft in die Sturmschar (1934/35)

Das Oster-Lager der Jungenschaftsführer auf dem Rheindampfer (Ende März 1934)

Als Wolker im Frühjahr 1934 mehrere Monate schwer krank war, versuchte Steber durch die Vereinigung der Deutschmeister-Jungenschaft mit der Sturmschar einen ersten Schritt auf einen „Hochbund der jungen Katholiken“ hin zu gehen (Karl Hofmann: Eine katholische Generation zwischen Kirche und Welt. Studien zur Sturmschar des Katholischen Jungmännerverbandes Deutschlands, Augsburg 1993, S. 142f.).

An Ostern 1934 war schließlich "ein großes Treffen auf Burg Rothenfels mit 200 Führern geplant, 20 Deutschmeister sollten auch dabei sein. Nach Angaben von Hans Renner wurde diese Zusammenkunft staatlicherseits verboten. Vermutlich hatte aber auch die Bundes- und Burgleitung dies zum Schutz der Burg und aufgrund der Anwesenheit von FAD-Leitern und Spitzeln abgelehnt (vgl. Gehl, a.a.O., S. 175).

Franz Steber mietete für Ostern 1934 schließlich einen Rheindampfer an, da der Rhein ein internationales Gewässer war, so dass die deutschen Behörden hier keine Zugriffsmöglichkeit hatten (Gehl, ebd.). Der Rheindampfer kam an Karsamstag [31. März 1934] mit 100 Sturmschärlern und 30 St. Georgspfadfindern aus Düsseldorf Koblenz an, wo Hans Renner gemeinsam mit andere 53 Mann dazustieg, darunter auch Leist, als einer der Sprecher der Deutschmeisterjungenschaft. Simons berichtet über die Anreise, dass er sich während seiner Wanderschaft ab Anfang März 1934 zu Ostern 1934 wieder mit der katholischen Jugend getroffen. Zunächst habe er sich in Heidelberg mit Karl Becker getroffen, sei dann gemeinsam mit diesem zu Günther Schmich und Bruno Tausig nach Mannheim gefahren. Dort sei man auf Fritz Leist und seine aus Freiburg angereiste Gruppe aus zehn bis zwölf Jungen zusammengekommen, die bei Schmichs in der Diele, im Salon und in der Mädchenkammer in der Mollstraße 15 schliefen. Fritz Leist und Josef Simons hätten bei Tausig am Mannheimer Markt geschlafen. Dort hätten sie mehrere Tage verbracht. Simons berichtet den weiteren Verlauf etwas anders als Renner: „Wir trampten derweil von Mannheim nach Koblenz und trafen uns dort mit 60 bis 70 Jungen aus unseren Horten u.a. vom Saarbezirk, Frankenland, von Köln und Westfalen in einem vermackerten Kloster am Koblenzer Hafen. Diese Jungen stammten aus mehreren katholischen Bünden, und waren in vieler Hinsicht offen, aufgeschlossen und risikobereit, für ein Fortbestehen ihrer Gruppen in der Illegalität zu kämpfen. Es war klar, dass Fritz die Leitung in Koblenz übernahm. Am Karfreitag enterten wir das Schiff. Das einzige Schiff auf dem Rhein ohne Hakenkreuzfahne.“

Auch Günther Schmich berichtet 1983 davon: „Ostern 1934 nahmen wir als `Deutschmeisterjungenschaft´ an einem `Lager´ der katholischen Jugend teil. Es gab bereits Uniformverbote und Betätigungseinschränkungen; je nach der Einstellung der Länder. Darum war das `Lager´ auf einem fahrenden Rheindampfer, der sich von gefährdeten Gebieten fernhalten konnte. Auf diesem Treffen wuchsen Kontakte mit Jungen aus dem Rheinland.“ Am Abend des Ostermontags hätten sich dreißig Jungen an der Mündung der Lahn in den Rhein beim Kloster Niederlahnstein auf dem Rheindamm getroffen. „Über das, was wir wollen und das, was wir sein wollen, machen wir keine Sprüch´ und legen kein Gelübde ab, aber wir versuchen es. Das alles wird schwer sein. Heute haben wir eine Stufe erreicht. Das Schwere beginnt noch.“ Dann verteilte Leist 30 graue Seidenkordeln an die Jungen, Studenten, Schüler und einige Lehrbuben. Günther Schmich las eine Erzählung von einem Jungen vor, der in der Einsamkeit nach Niederlagen in harten Proben mit neuen Übungen zum Jungenführer reift, Bruno Tausig las Gedichte der Teresa von Ávila. Josef Simons stand oben auf der Krone neben der Weide und hielt die graue Seidenfahne mit den drei roten ellen. Sie hing schlaff im Nebel des Stromes. [...] Wir trugen die Kordel unter der blauen Jungenschaftbluse. Nur vorne an der Verriegelung sah man ein wenig von der grauen Schnur. Ich wurde später manchmal mit Neugierde und Respekt darauf angesprochen. Warum? Es war eine seltsame Zeit. Es gab trotz der Nazis und trotz der geistigen Verrohung und des nazistischen Kollektivismus so etwas wie `die Verwandtschaft eigener Art´. Es gab in der Nazizeit, wahrscheinlich wie in jeder Diktatur, Menschen, die sich erkannten. Der Graue Orden war dem Wissenden vertraut. Wir selbst gebrauchten selten das Wort Orden. Für uns waren wir jahrelang die Gruppe und dann der Freundeskreis.“

Bei dem Treffen auf dem Rheindampfer ging es damals jedenfalls um die Eingliederung der DMJ in die Sturmschar. Unter der Alternative des Diktats von Ludwig Wolker, auf alles Bündische der dj1.11. zu verzichten, und des Aufrufs an alle, die an diesen bündischen Formen festhalten wollten, sich doch dann besser gleich mit der dj1.11. der Hitlerjugend anzuschließen, spaltet sich Fritz Leist bewußt „durch Verlassen des Dampfers bei Lahnstein“ mit seiner Freiburger und Saarbrücker Gruppe von den Deutschmeistern sowie einigen anderen Sturmscharlern und Pfadfindern der Deutschen Pfadfinderschaft St. Georg ab und geht im später so benannten „Grauen Orden“ seinen eigenen Untergrund-Weg (vgl. dazu Bernd Börger/Josef Homberg,Josef (Hrsg.): Sie hielten stand. Sturmschar im Katholischen Jungmännerverband, 2. Aufl. Düsseldorf 1990, S. 42-45. Zum späteren Weg dieser katholischen Jungenschaft, vgl. Hellfeld, Matthias von: Bündische Jugend und Hitlerjugend. Zur Geschichte von Anpassung und Widerstand 1930-1939, Köln 1987, S. 140-143).

Aloys Goergen hatte bei dieser Osterrheinfahrt ein geistig hochstehendes Programmreferat gehalten, das ihn noch bekannter machte und viele von seinen Führungsqualitäten überzeugte (Oeschger, Dokumentation, a.a.O., S. 29 (PA J. Oeschger), nach: a.a.O. Vgl. auch Börger, Sie hielten stand, a.a.O., 42 und Sturmschar 1934, H. 3).

Zur Ergänzung: „Einer der Organisationen war der 1908 geborene Hansjörg Oeschger, der Bundesführer der katholischen „Quickborn“-Jungenschaft seit 1932. Wegen dienstlicher Verpflichtungen als Forstassessor in Waldkirch konnte er selbst an dem Treffen nicht teilnehmen, wurde jedoch später für kurze Zeit verhaftet, mehrfach verhört und hatte schwerwiegende berufliche Nachteile zu erdulden“ (Haumann/Schadek: Geschichte der Stadt Freiburg im Breisgau, 1992, S. 342).

In der Sturmschar von 1934 schrieb der damalige Theologiestudent und Mitglied der Quickborn-Jungenschaft Nordbadens, Bertold Just (gef. 1939), wohl im Anschluss an die Vereinigung: „Ging es uns nicht oft so, daß wir mit heimlichem Neid über die Grenzen der Kirche schielten, nach jenen `Mutigen´, die sich um Kirche und Christentum überhaupt nicht kümmerten? Nach jenen wie tusk oder die Trucht. Nach jenen rein natürlichen Leistungen. Glaubten wir uns nicht den Weg dazu von der Kirche versperrt? Wir aber wissen, daß unser Sosein nur in der Kirche überhaupt Sinn hat. Wenn wir uns bewußt sind, daß unsere rein menschlichen, natürlichen Anlagen auch von Gott sind, daß er uns in ihnen sein größtes natürliches Geschenk gegeben.“ (Bertold Just: Die Deutschmeister, in: Sturmschar, 1934, S. 36-41, hier S. 38f.???; zitiert nach Matthias von Hellfeld: Bündische Jugend und Hitlerjugend. Zur Geschichte von Anpassung und Widerstand 1930-1939, Köln 1987 S. 41-44) So habe sich die Mehrheit von Sturmschar und Deutschmeister-Jungenschaft habe zu einer „höheren geformten Einheit“ geneigt (Sturmschar, 1934, S. 40).

Die Osterfahrt der katholischen Jugend nach Rom

Unabhängig von diesem Lager auf dem Rheindampfer ging die Fahrt der katholischen Jugend - inklusive des Bundes Neudeutschland - nach Rom von statten, unter anderem zur Heiligsprechung Don Boscos. Die etwa 350 Teilnehmer, Mitglieder von Sturmschar und Neudeutschland, konnten dort die Osterbotschaft des Papstes Pius XI. vom 1. April 1934 vernehmen, von dem Tag, an dem auch der Jugendapostel Johannes Bosco heiliggesprochen wurde. Diese enthielt an die katholische deutsche Jugend die klare Aufforderung, den totalitären Einschränkungen zu widerstehen: „Trotz alles Schweren, durch das Euch die Vorsehung hindurchleitet, und entgegen jener mit Lockrufen und mit Druck arbeitenden Propaganda für eine neue Lebensauffassung, die von Christus weg ins Heidentum zurückführt, habt Ihr dem Heiland und seiner Kirche den Schwur der Liebe und Treue gehalten und bleibt gerade deshalb um so gefestigter in der Hingabe an Volk und Heimat, denen Ihr, wie in vergangenen Zeiten, auch jetzt in engster Verbundenheit selbstlos dienen wollt. Wir kennen ... die Lage der katholischen Jugendlichen Deutschlands. Eure Verbände sollen jedenfalls wissen, dass ihre Sache Unsere Sache ist.“ (siehe den Auszug aus der Ansprache am Ostermontag bei Neuhäusler II, S. 294 ff.). Diese Osterbotschaft hatte natürlich auch seine Wirkung (vgl. dazu: Karl-Werner Goldhammer: Katholische Jugend Frankens im Dritten Reich, 1987, S. 232 f.).

Pfarrer Helmut Gressung meint sich zu erinnern können, dass Willi Graf an dieser Fahrt teilgenommen hat ("wohl auch Willi Graf").

Die zeitgleiche Ostertagung 1934 auf Burg Rothenfels (wohl mit Willi Graf)

Die Jugendlichen der Deutschmeister-Jungenschaft haben sich dagegen (ohne ihre Leiter wie Fritz Leist) gemeinsam mit vielen Quickbornern sehr wohl auf Burg Rothenfels versammelt. Ich halte es nach wie vor für plausibler, dass auch Willi Graf an Ostern 1934 tatsächlich auf Burg Rothenfels war, wie es durch Anneliese Knoop-Graf seit Mitte der sechziger Jahre überliefert wurde, inklusive der Diskussion über den Tyrannenmord: „Die Frage „Was haben wir dagegen zu tun?“ wurde zum Angelpunkt des Denkens. Auch die Frage des Tyrannenmordes wurde schon in einer nächtlichen Diskussion während der Ostertagung 1934 auf der Jugendburg Rothenfels angeschnitten.“ (vgl. Pielow, 1966 und Krebs, 1982 unter Bezug auf Knoop-Graf (1964), Ein Lebensbild, in: Vielhaber, S. 25). Die ganze Passage heißt bei Pielow (Winfried Pielow: Kategorischer Imperativ – Hochverrat (Rede zum Gedächtnis von Willi Graf), in: Neue Sammlung, 6, 1966, S. 515-526, S. 520: „Demgegenüber nun dieses: eine hochgelegene Burg – deutsche Volksliedlandschaft – Berge und Wälder – Burg Rothenfels anno domini 1934. Hier kommen Wanderburschen an: Ostertagung der katholischen Bündischen Jugend. Die Jungen lagern im Burghof. Man kann sich das alles vorstellen: Lied und Laute, das rührend Naive und Idealische. Aber nicht nur das. Die Jungen sind gar nicht so weltfern, sie wissen mehr als genug, kennen Hitler und – so wird berichtet - diskutieren hier, Burg Rothenfels 1934, eine Nacht hindurch über nichts anderes als Tyrannenmord. In tyrannos kennen wir das nicht auch aus einer anderen, aber doch gar nicht so unähnlichen Situation deutscher Geistesgeschichte? Würde man sich die Mühe machen, die Debatte der Jungen zu rekonstruieren, so müßte man am ehesten von Thomas von Aquin ausgehen, von dessen Auffassung über den „tyrannus regiminis “, bei dem es so aussieht, daß eine noch rechtmäßig erlangte Regierungsposition gegen die Interessen des Gemeinwohls verwaltet wird. Vielleicht so der Ausgangspunkt ihrer Debatte, die, wie man sofort erkennt, Zündstoff genug enthält, wenn man ihn auf Hitler überträgt. So darf man getrost feststellen, daß die Jungen sich im Gegensatz zu vielen anderen in dieser Zeit ihrer Sache und ihres Rechtes durchaus sicher sind.“ Es ist nicht völlig klar, ob, aber durchaus plausibel, dass Pielow dies hier wirklich auf eine Teilnahme Willi Grafs bezieht.

1934 hätte Willi Graf dort zwar noch nicht – wie im darauffolgenden Jahr zum ersten Mal – die Auferstehungsfeier in der Nacht von Karsamstag auf Ostersonntag mitgefeiert, sondern wie üblich noch am Karsamstag Vormittag, aber eben in der für den Quickborn liturgiebewegten, „mitgestalteten“ Form.

Auf der mit 600 Teilnehmern gut besuchten Ostertagung vom 26. März hielt Guardini eine Vortragsfolge über die „Grundfragen christlichen Daseins“, außerdem sprach Kahlefeld über „Die Wirklichkeit der Kirche im Leben der Christen“, und gemeinsam mit Felix Messerschmid fanden Chorübungen statt. Spätestens am 3. April war die Ostertagung für alle zu Ende, da die über Ostern beurlaubten Arbeitsdienstler zurückkehrten.

Guardini: Die künftige Aufgabe von Burg Rothenfels

Guardini schreibt im „Burgbrief“ in seinem „Ausklang“ zur Ostertagung 1934: „Jeder katholische Christ soll, wie jeder andere Deutsche, im allgemeinen Leben des Volkes und Staates stehen. Zugleich muß er sich aber seines Glaubens vergewissern, immer tiefer und kräftiger, um aus ihm heraus sein Dasein verstehen und meistern zu können. Dafür ist die Burg da. Gebaut aus ihrer Gestalt, verpflichtet dieser Aufgabe; offen für Alle, die in solcher Absicht kommen. Fragen bündischer Art berühren sie nicht mehr. Diese Auseinandersetzungen müssen nach dem Gewissen Derer ausgetragen werden, die dafür verantwortlich sind. Die Burg steht in sich: in der Wahrheit ihres Bildes; in der Reinheit des Dienstes für Euch alle. Offen jedem, der in verwandtem Geiste kommt, weil er seines Glaubens tiefer inne werden will, nicht um aus der Zeit zu fliehen, sondern um darin besser seinen Mann zu stehen.“

Dies nahmen auch die Mitglieder des "Grauen Ordens" weiterhin als Einladung an, sich auf Burg Rothenfels zu treffen.

Sturmscharversammlung in Altenberg (Sommer 1934)

Laut Oeschger war die letzte gemeinsame Aktion der Diözesanführer der Sturmschar und einiger Gauführer der Deutschmeister-Jungenschaft eine Versammlung der Sturmschar vom 29. Juni bis 1. Juli 1934 in Altenberg (Oeschger nach Börger, Sie hielten stand, a.a.O., S. 44). Die Reichsführerschaft segnete dabei in Abwesenheit von Wolker, der wegen der Ermordung von Adalbert Probst, des Reichsführers der DJK, im Zusammenhang mit dem sogenannten Röhm-Putsch kurzfristig nach Berlin reisen musste, allerdings mit dessen grundsätzlicher Zustimmung die neue Entwicklung ab (vgl. Schellenberger, Katholische Jugend, S. 137f. Vgl. dazu auch Oeschger, Jörg: Art und Form der Eingliederung der Deutschmeister, in: Sturmschar, 1934, S. 98-100).

Nach Gehl (Katholische Jugendliche im Dritten Reich in der katholischen Provinz: Grenzen der Gleichschaltung--drei Beispiele im Bistum Trier, S. 168) wurde die Reichsführerschaft der Sturmschar aber vor allem deshalb zusammengerufen, „unter anderem um die Nachfolge Franz Stebers als Reichsführer zu regeln. Einer der drei Reichsführerkandidaten war Hans Renner, der für den eher bündischen Flügel in der Sturmschar stand. Die beiden anderen waren Hans Niermann, der die jüngere Jungmannschaft der Sturmschar repräsentierte und sich an der Linie des Verbandes orientierte, und der aus dem Saarland stammende Aloys Goergen, der die Mentalität des Bundes vertrat und die Eigenständigkeit der Sturmschar gegenüber Generalpräses Wolker wahren wollte." Vor der Wahl trat Renner, der zu den Stimmberechtigten gehörte, von einer Kandidatur zurück, da er sich der Aufgabe nicht gewachsen fühlte und angab, dass er ohne die Überredung von Franz Steber zu kandidieren, kein Kandidat geworden wäre."

Daher wurde dann Aloys Goergen (1911-2005) auch mit den Stimmen der Deutschmeister-Jungenschaft zum Reichsführer der Sturmschar als Nachfolger von Franz Steber gewählt, und Hans Niermann, der Diözesanführer der Sturmschar von Münster, als sein Stellvertreter (Oeschger, Dokumentation, a.a.O., S. 29 (PA J. Oeschger), nach: a.a.O. Vgl. auch Börger, Sie hielten stand, a.a.O., 42 und Sturmschar 1934, H. 3).

Veto Wolkers gegen Goergen- und Schneider-Wahl nach Ermordung von Adalbert Probst

Am 1. Juli 1934 wird Adalbert Probst in Braunslage bei einem Treffen mit Generalpräses Ludwig Wolker und dem Generalsekretär des KJMV Jakob Clemens verhaftet und am 2. Juli 1934 auf dem Transport nach Berlin ermordet, offiziell wurde von den Nazis verlautbart, er sei „auf der Flucht“ erschossen worden.

Erst im Dezember 1933 war Probst zum Reichsführer der Deutschen Jugendkraft (DJK), des Dachverbands der katholischen Turn- und Sportvereine, berufen worden, „womit die DJK unter dem sich abzeichnenden Konflikt mit dem NS-Staat das bisherige Präses-Führungsprinzip (priesterliche Leitungsspitze) aufgab. Die früher verbreitete Ansicht, es handelte sich um einen Mord an einem an den politischen Machtkämpfen, die Mitte 1934 im NS-Staat tobten, „völlig Unbeteiligten“, weicht allmählich einer, dass die Gründe für die Ermordung Probsts wohl doch, wie schon sein Freund Edmund Forschbach offenlegte, darin zu suchen sind, dass Probst eine Rolle bei den konservativen Staatsstreichplänen des Edgar-Jung-Kreises in den Jahren 1933/1934 zugedacht war: Probst soll über seinen Freund Johannes Schauff Kontakte zu den konservativen Regimegegnern gehabt haben und in den Monaten vor der „Röhm-Affäre“ eine „Vermittlerrolle“ zwischen der Reichswehr einerseits und den St. Sebastian-Schützenbruderschaften andererseits gespielt haben. Nach einem Umsturz sollte Probst als Verbindungmann zwischen den Verschwörern in Berlin und der Schützenbruderschaften im Rheinland fungieren, um diese auf die ihnen zugedachte Tätigkeit vorzubereiten und ihr Vorgehen gegen die SA und SS zu organisieren und anzuleiten. Außerdem habe Probst, laut Forschbach, die Übergabe von Waffen und Ausrüstung durch die Reichswehr an die St. Sebastian-Schützenvereine organisieren sollen, um diese in die Lage zu versetzen gewaltsam gegen die SA und SS einzuschreiten. (vgl. Rainer Orth, „Der Amtssitz der Opposition“?, 2016)

Die Ermordung von Probst durch die Nationalsozialisten mag mit dazu beigetragen haben, die Wahl des stark bündischen und von Wolker unabhängiger agieren wollenden Goergen nicht zu akzeptieren. Oeschger teilte in der Erinnerung dazu seinen Eindruck mit, dass sich die Entscheidung Wolkers nicht gegen Aloys Goergen persönlich richtete, sondern in seiner guten Kenntnis der Mentalität der überwiegenden Zahl der Sturmschargaue entschieden hat (siehe Börger, Sie hielten stand, a.a.O., S. 107). Da Wolker ein solches Vetorecht hatte, musste Steber bleiben.

Das Veto erstreckte sich auch auf den Nachfolger für Reichskaplan Hilger, dem der Wolker nicht genehme Quickborner Jupp Schneider folgen sollte. Der aus Koblenz stammende Quickborner und Feldkaplan der Deutschmeister-Jungenschaft Jupp Schneider war als Student Führer des Frankengaues der Quickborn-Jungenschaft gewesen. Er wurde schließlich Diözesanjugendseelsorger des Bistums Bamberg sowie nach 1945 Leiter der Jugendburg Feuerstein bei Ebermannstadt.

Wolker bestätigte lediglich die Wahl des Stellvertreters des Reichskaplans, Niermann.

Abermalige Forderung der Abgrenzung von der dj.1.11.

Im gemeinsamen Rundbrief der Sturmschar und der Deutschmeister-Jungenschaft 1934 hat es abermals geheißen: „Ging es uns nicht oft so, daß wir mit heimlichem Neid über die Grenzen der Kirche hinaus schielten nach jenen Mutigen, die sich um Kirche und Christentum überhaupt nicht kümmern? Nach jenen wie tusk oder die Trucht … Wir aber, wir wissen, daß unser So-Sein nur in der Kirche überhaupt Sinn hat.“ - ‚“Du merkst deutlich die Unterschiede: Wir in der Sturmschar lebten nie von der dj.1.11. Wenn auch die führenden Kerle bei uns aufmerksam die Entwicklung verfolgten und wahrscheinlich auch manche Anregung von dort bekamen - aber die katholischen Erben von dj.1.11. sind wir nicht“ – „Wer aber glaubt, bei der dj.1.11. genauso stehen zu können, der möge heute noch zur dj.1.11. gehen“ (zitiert nach: Uwe Böseler: Katholische Jugend vor Hitlers Richtern: der Dortmunder Prozess von 1937, 1990, S. 152).

Im August 1934 wurde Oeschger unter dem Vorwurf, er wolle die Hitler-Jugend zersetzen, ein erstes Mal verhaftet, wird aber nach Intervention seines Forstamtsleiters wieder freigelassen.

Der endgültig-eigene Weg der Gruppe um Fritz Leist

Fritz Leist ist mit seiner Freiburger Gruppe aber nicht zur dj.1.11. gegangen, auch nicht zur Hitlerjugend, wie nach dem Verbot und der Zerschlagung der dj.1.11. gefordert, sondern in den Untergrund. Nicht nur zahlreiche Deutschmeister-Jungenschaftler, sondern auch andere Sturmscharler fühlten sich zur Position von Leist hingezogen. Zum Beispiel auch der Koblenzer Hans Renner (1912-2004). Dieser war zunächst Mitglied des Katholischen Jünglingsvereins der Pfarrei St. Kastor gewesen, schloss sich dann aber bald der "Sturmschar" an (Günter Gehl: Katholische Jugendliche im Dritten Reich in der katholischen Provinz: Grenzen der Gleichschaltung--drei Beispiele im Bistum Trier, 2008, S. 169) und wurde 1933 zum Stadtführer gewählt. Er sympathisierte damals durchaus mit dem "Grauen Orden": »Vieles von der Kultur, die von der dj 1.11 herkam, das „bündische“ Leben, die „Jungenschaft“, gefiel auch mir.« Renner berichtet von einem Junktim Franz Stebers, der ihn vor die Wahl gestellt habe, sich entweder für Fritz Leist oder für die Übernahme der Diözesanführung der Sturmschar in Trier zu entscheiden. Renner entschied sich, so vor die Wahl gestellt, für Letzteres. Am 31. Oktober 1934 teilte Hans Renner Fritz Leist seine Entscheidung mit, nicht nach Freiburg zu dem Treffen des „Grauen Ordens“ zu kommen, sondern einer Einladung des Reichsführers Steber nach Köln zu folgen.“ (Gehl, a.a.O., S. 175)

Absehbarer Rückzug der Deutschmeister-Jungenschaft aus der Sturmschar (Dezember 1934)

Bereits im Laufe des Jahres 1934 hat die Deutschmeister-Jungenschaft den äußeren Zusammenhalt wieder verloren (Binkowski, a.a.O., S. 136), weshalb ein Teil von deren Mitgliedern wieder zum Quickborn zurückkehrte. Im September 1934 zählten die Quickborn-Jungen etwa 500 Jungen in vier selbständigen Gauen (Schwaben, Bayern, Rheingau und Westfalen, Oberschlesien) und darüber hinaus (Wilhelmi, in: Quickborn, Jg. 17, 1934, S. 43).

Erst als außerdem abzusehen war, dass sich die Deutschmeister-Jungenschaft zurückziehen würde, akzeptierte Wolker den Rücktritt von Reichskaplan Karl Hilger, so dass diese dieser zum 1. Dezember 1934 als Reichsführer ausscheiden konnte.

Auflösung der engen Verbindung der Deutschmeister-Jungenschaft zur Sturmschar (Februar 1935)

Die Deutschmeister-Jungenschaft schließlich im Februar 1935 erneut vor die Alternative gestellt worden, entweder ihre bündischen Besonderheiten abzulegen oder die Sturmschar doch wieder ganz zu verlassen. Unter diesem Druck löste Oeschger und die Deutschmeister-Jungenschaft die enge Verbindung zur Sturmschar wieder auf und beteiligte sich infolgedessen auch nicht mehr an der Romfahrt unter der Führung von Franz Steber und seinem Nachfolger im Amt des Reichsführers Hans Niermann zu Ostern 1935 (7. bis 21. April) mit 1570 Teilnehmern (Vgl. Börger, Sie hielten stand, a.a.O., S. 44). Während dieser Fahrt fand die „Schilderhebung“ Niermanns statt und Alfons Brands (1902-1982) wurde als neuer Reichskaplan der Sturmschar eingeführt. Ursprünglich war im Januar-/Februarrundbrief eine Romreise 1935 der Deutschmeister-Jungenschaft unter Reiseführerschaft von Dr. Dempf und Dr. Thieme angekündigt worden (in: Sturmschar, 1935, S. 2-20).

Im Sommer 1935 konnte, weil die NSDAP und ihre Spitzel es übersehen hatten, in Oberstdorf ein Reichstreffen der Jungenschaft mit 130 Jungen stattfinden, das anschließend aber als „illegales Quickborn-Jungenschaftstreffen“ gebrandmarkt wurde (Binkowski, a.a.O., S. 137).

Personelle Veränderungen bei der Sturmschar (ab April 1935)

Am 1. April 1935 wird Renner schließlich in Trier zum Diözesanwart ernannt. Er kündigt dafür seine Stelle als Bürovorsteher bei einem Rechtsanwalt und zieht von Koblenz nach Trier.

Ebenfalls 1935 wurde Hans Niermann (1913-1940) zum Nachfolger Stebers als Reichsführer der Sturmschar gewählt. Dieser war, bislang nur auf Pfarrebene aktiv, kurz zuvor erst zum Diözesanführer der Sturmschar der Diözese Münster gewählt worden. Für diese hauptamtliche Tätigkeit hatte er auch seinen Arbeitsplatz als Weber aufgegeben. In dieser Zeit wurde sein Kontakt zu der Führung des KJMVD und der Sturmschar enger. Dazu zählten vor allem der Generalpräses des KJMVD Ludwig Wolker, der Reichsführer der Sturmschar Franz Steber und der Generalsekretär des KJMVD Jakob Clemens, die ihn darauf förderten.

Romfahrt (April 1935) mit Schikanen und anschließenden Verhaftungen

Vom 13. bis 27. April 1935 fand die große Romfahrt der Sturmschar, der St. Georgspfadfinder und des Bundes Neudeutschland mit rund 1800 Teilnehmern statt, wovon 1500 zur Sturmschar des katholischen Jungmännerverbandes angehörten. Die Wallfahrtsfahrt der Sturmschar erfolgte mit 60 Bussen, davon vier aus der Diözese Trier. Die 1500 Jungen der Sturmschar, darunter auch Hans Renner, erhielten eine Audienz bei Papst Pius XI.

Am 18. April 1935 erfolgte während dieser Romreise der Amtswechsel.

An der deutschen Grenze erwartete die Rückkehrer dann allerdings eine schickanierende und diskriminierende Behandlung. die Busse werden hinter der Grenze festgehalten und durchsucht (vgl. Franz Henrich: Die Bünde katholischer Jugendbewegung, a.a.O., 1968, S. 279; Arno Klönne: Gegen den Strom. Bericht über den Jugendwiderstand im Dritten Reich, 1960, S. 76).

Am 12. Juli 1935 wird der Diözesanpräses Johannes Müller, der über die Vorkommnisse während der Rückfahrt von Rom einen Bericht angefertigt hatte, verhaftet.

Am 15. Juli 1935 ergeht auch gegen Hans Renner, der dessen Verhaftung publik gemacht hatte, Haftbefehl. Er wird von der Gestapo verhaftet, vernommen und kommt ins Gefängnis in Trier. Mitte Oktober 1935 wird auf Renners Beschwerde hin Haftbefehl gegen ihn aufgehoben. Doch er kommt nicht frei. Noch im Gefängnis händigt ihm die Gestapo einen „Schutzhaftbefehl" aus: "... wird aus den Ihnen bekannten Gründen (heimtückische Angriffe auf Staat und Partei) gegen Sie Schutzhaft verhängt auf unbestimmte Zeit. Ein Rechtsmittel gegen diesen Bescheid ist ausgeschlossen.“ Erst am 7. Dezember 1935 kommt Hans Renner unerwartet aus der „Schutzhaft" frei und wird aus dem Gefängnis entlassen.

Renner nimmt am Januar 1936 seinen Dienst in Trier wieder auf. Die Schikanen und Behinderungen setzen sich fort: Wiederholt kommt es zu Hausdurchsuchungen bei ihm, er wird verhört, vorübergehend inhaftiert, wieder verhört.

Renner organisierte daraufhin an Allerheiligen 1936 in der Nähe des Herzogsbuschs ein Treffen mit Fritz Leist und weiteren Jugendlichen aus dem Saargebiet, an dem auch Wagner teilnahm (Schäfer S. 69).

Verhaftungswelle gegen Katholischen Jungmännerverband, besonders gegen die Sturmschar (von Januar/Februar 1936 bis April 1937

Über die Verhaftung Wolkers und dann im Februar zahlreicher Sturmscharführer schreibt Otto Vieth am 11. Februar 1936 einen Brief an Heinrich "Heini" Schroers, der sich im Nachlass Schroers erhalten hatte. Schroers hatte zu diesem Zeitpunkt als Kaufmannslehrling (Buchhändler) im Jugendhaus zu Düsseldorf gearbeitet und war mit dem Generalsekretär der Sturmscharler Clemens ... befreundet. "Lieber heini! gerne hätte ich deinen brief sofort beantwortet, aber es kam so viel dazwischen. selbst sonntag hatte ich keine zeit dazu. heute muss es aber gehen. soeben schrieb ich an deinen vater in der alten prozessache. die verhandlung vor dem oberverwaltungsgericht in berlin hatte einen sehr guten ausgang. die 4 kerle wurden freigesprochen. die kosten von mk 25.- fallen dem beklagten, also dem landrat von geldern, zur last. urteilsabschrift werde ich dir schicken, wenn es ausgefertigt ist. hoffentlich ist die begründung des freispruchs so, dass wir in anderen prozessen die sache verwenden können. es hat sich trotz des schönen wetters - sonnenschein und kälte, leider ohne schnee! - hier manches zugetragen, was sehr unerfreulich ist und eine gemütsstimmung bewirkt, die nicht nur zum kotzen, sondern zum davonlaufen ist! aber was heisst das schon, man muss jetzt durchhalten. als man am donnerstagabend um 10 uhr den general [Generalpräses Ludwig Wolker] festnahm - ich hatte 10 minuten vorher noch mit ihm telefoniert, er wollte eben nach berlin fahren - waren wir alle erschlagen. aus welchen gründen diese festnahme? weiss keiner! man kann sich manches zusammenreimen, aber in solchen fällen bin ich dagegen. man muss abwarten, was die untersuchungen ergeben und was dem general zur last gelegt wird. ein anwalt ist ja erst dann zugelassen und kann erst dann die akten einsehen, wenn klage erhoben ist. es scheint aber, dass die sache beschleunigt geht, denn gs [Generalsekretär Clemens] ist gestern von berlin nach hier gebracht worden, drei kapläne haben ihn am bahnhof gesehen, das ist untrüglich. ich kam leider 5 minuten zu spät zum bahnhof, als ich gestern abend nach köln fuhr. generalvikar sieht sehr ernst, aber von der kirchl. behörde wird alles getan, was nur eben möglich ist. bischof galen hat sonntag in xanten gepredigt und hat auch über den gp [Generalpräses] gesprochen. eine pfundige predigt! - in düsseldorf sind eine ganze reihe sturmschärler [darunter Niermann und Schäfer] verhaftet. als erster wurde dr. rossaint festgenommen, schon vor ca. 14 tagen. dann franz steber und nach einigen tagen niermann, schäfer u.a. auch in anderen städten sind leute festgenommen. ob das nun alles zusammenhängt oder ob gp [Generalpräses] damit etwas zu tun hat, weiss man nicht genau. es ist alles so durcheinander gegangen und doch an einigen gleichen tagen, sodass schwer abzusehen ist, was dahintersteckt. - gs [Generalpräses] war ja krank in berlin, kam ins gefängnis-krankenhaus. dort ging es ihm verhältnismäßig gut, wenigstens schrieb er kurz das. gestern soll er nun ziemlich blass und eingefallen ausgesehen haben, obgleich er stramm schritt und klar schaute. er grüsste mit dem kopf, konnte natürlich sonst nichts tun. – ob in sachen michael-jugendführungsverlag der vorhang schon zugezogen ist, weiss ich nicht. ich bin nicht ganz so pessimistisch und meine, dass bestimmt ein ausweg noch gefunden werden kann. maassen ist gestern wieder nach berlin gefahren. donnerstag ist eine unterredung preysing-göbbels wahrscheinlich wegen der grundsätzlichen klärung der frage katholisch-kirchliche presse. wohl auch michael und jugendführungsverlag. wir müssen abwarten, was die schritte der kirchlichen behörde - der kölner schritt ist auch in diesem falle energisch und eindeutig! - für folgen haben und wie die verhandlungen sich fortsetzen lassen. du, wir müssen beten und alles tun, was in unseren kräften steht. vielleicht ergeben sich einige neue wege, wenn einmal alle fragen hin und her geklärt und umrissen sind. noch ist alles so neu und man kann es einfachhin nicht glauben, dass mit einem federstrich das werk zerschlagen wurde, das wir in vielen jahren mühsam aufgebaut haben und das doch ein gutes stück volkskraft darstellt, eine volkskraft, die auch im neuen deutschland nicht überflüssig sein dürfte. dass man uns immer noch nicht glaubt, dass man uns immer noch vorwirft, das volk spalten zu wollen und zwietracht zu saen, ist schmerzlich. was können wir aber schon tun? wir möchten dauernd unter beweis stellen, dass wir nur das wohl des volkes wollen, dass wir unser gutes stück dazu beitragen wollen, die ganzheit der nation zu bilden, über alle verschiedenheit hinweg - aber man lässt es nicht aussprechen. tragischer konflikt! wir müssen aber als junge deutsche katholiken den glauben haben, dass die kraft des jungen volkes nicht erlahmt, nicht erlahmt im glauben an christus und an unser deutsches volk, das wir uns ohne christus nicht denken können! in herzlicher treue dein Otto“.

Den zuerst verhafteten Generalpräses Wolker musste man auf höheren Druck von seiten des Vatikans wieder auf freien Fuß setzen. Die Ende Januar/Anfang Februar 1936 erfolgte breit angelegte Verhaftungsaktion umfasste unter anderen: Generalsekretär Dr. Clemens, Düsseldorf; Kaplan Hilgers, Düsseldorf, früherer Gauleiter des Quickborn«, Kaplan Kremer - Remscheid, der Reichsführer der »Sturmscharen« Steber, Kaplan Dr. Rossaint - Oberhausen, Kaplan Josef Tome [Thomé] — M. Gladbach, früherer Bundesführer der »Kreuzfahrer«, Jugendpräses Kaplan Spülbeck — M. Gladbach, Peter Himmes, Hermann Jülich und noch über hundert andere katholische Jugendführer des Rheinlandes, darunter zum Beispiel am 8. Februar Hermann Ahrens, der insgesamt acht Monate in Haft war. Niermann war in 1936 neun Monate in Haft.

In einem Interview mit Gehl am 4. Juli 2001 berichtet Hans Renner (a.a.O., S. 186): "Den Gedanken des aktiven Widerstandes gab es in der Sturmschar schon sehr früh. 1936, als unsere Reichsführung inhaftiert war [Wolker wurde im Februar 1936 inhaftiert und im Mai 1936 entlassen], fand ein Treffen von Sturmscharführern in Dortmund statt. Wir tagten im Brüderkrankenhaus oben auf dem Speicher und der Ruf nach aktivem Widerstand wurde sehr laut geäußert. Wolker, schon bald aus der Haft entlassen, hat uns zurückgepfiffen. Er machte uns klar, wie aussichtslos und töricht dies sei."

Die ganze Sache endete vor dem sogenannten Volksgerichtshof des Roland Freisler. Am 28. April 1937 verurteilte der Volksgerichthof im Namen des Deutschen Volkes wg. Verbindungen mit kommunistischen Widerständlern (Hochverrates) die katholischen Jugendführer Dr. Joseph Cornelius Rossaint (1902-1991) zu 11 Jahren Zuchthaus, Franz Steber zu 5 Jahren Zuchthaus, Hermann Jülich zu 2 Jahren Zuchthaus und Karl Kremer zu 18 Monaten Zuchthaus. Sein Neffe Reinhardt Rossaint beklagte später: „Rossaint wurde von der Kirchenführung alleingelassen. Niemand aus der Hierarchie des Erzbistums Köln setzte sich für ihn ein. Im Gegenteil, sein Verhalten wurde abgelehnt und verurteilt.“ Ein Teil der Verhafteten wurde nach monatelanger, teilweise einjähriger Haft wegen Mangels an Beweisen, aber auch erst auf Grund höherer Interventionen wieder freigelassen. Einige weitere wurden dann auch freigesprochen, darunter Wolker, Clemens und Hermann Ahrens (vgl. Rossaint-Prozeß, in: Wörterbuch der Geschichte, 1984, S. 933; Konrad Breitenborn: Der Friedensbund deutscher Katholiken, 1918/19-1951, 1981, S. 147; Karl Heinz Jahnke/Alexander Rossaint/Joseph Cornelius Rossaint: Hauptangeklagter im Berliner Katholikenprozess 1937: Kaplan Dr. ..., 2002, S. ???; auch Karl Heinz Jahnke: Jugend unter der NS-Diktatur, 1933-1945: eine Dokumentation, 2003, S. ???).

Steber wurde erst am 21. April 1941 nahezu erblindet aus der Haft entlassen. 1945 begründete er in Bayern die Christlich-Soziale Union mit.

Rossaint war vom 26. Mai 1937 bis zum 19. April 1945 im Zuchthaus Remscheid-Lüttringhausen inhaftiert. Nur mit Hilfe der Anstaltsleitung und von Angehörigen des Wachpersonals entging er kurz vor seiner Entlassung der Erschießung durch die Gestapo. Nach 1945 wurde Rossaint Vorsitzender des Bundes Christlicher Sozialisten.

Verbot und Umbenennung der Sturmschar in "Gemeinschaft Sankt Michael (ab November 1937)

Als dann im November 1937 auch die „Sturmschar“ verboten wurde, änderte man - zunächst in Köln, dann allgemein - den Namen in „Gemeinschaft Sankt Michael“ und entließ alle unter 18jährigen aus dem Bund.

Auch diese Gemeinschaft wurde aber nach mehreren regionalen Verboten, zum Beispiel in Bayern im Januar 1938.

Im Februar 1939 wurde auch die "Gemeinschaft Sankt Michael" gemeinsam mit dem Jungmännerbund endgültig verboten.

Der “Graue Orden” (1934-1937/38)

Rot-graue Aktivitäten in Freiburg

In Freiburg hatte wohl 1933 eine der autonomen Jungenschaften im Anschluss an Koebels „rot-graue Aktion“ den Namen „rot-grauer Orden“ (vielleicht auch nur ein Irrtum des Vernehmers Herrmann 1937/38) gewählt. Ihm hatte sich Leist 1934 angeschlossen und dort nach kurzer Zeit eine führende Rolle gespielt (Gewalt und Gewissen. Willi Graf und die Weisse Rose“, 1964, in Bezug auf die Polizeiberichte 1937/38). Diesem Kreis haben sich auch Fritz Leist, Günther Schmich und Ernst Müller angeschlossen. Wann genau, ist nicht mehr zu eruieren, vermutlich aber nicht erst nach ihrer Teilnahme am Treffen auf dem Rheindampfer zu Ostern 1934, wie noch Gehl vermutet: „Fritz Leist, Sprecher der Deutschmeister-Jungenschaft, war mit dieser Entwicklung nicht ganz einverstanden, verließ deshalb in Lahnstein den Rheindampfer und gründete von Freiburg aus den „Grauen Orden“ mit starken jungenschaftlichen Elementen“ (Gehl, a.a.O., S. 175).

Leist bekam in der Freiburger Gruppe dort nach kurzer Zeit eine führende Rolle (Gewalt und Gewissen. Willi Graf und die Weisse Rose“, 1964). So heißt es nämlich in den Untersuchungsergebnissen der Polizei und der Gestapo 1937/38, wonach Leist „bis 1934 dem katholischen Jungmännerverein" angehörte. "In Freiburg i. Br. bestand seit 1933 eine Gruppe von jungen Leuten, die sich „rot-grauer Orden“ nannte; dieser Gruppe schloß sich L. 1934 an und spielte dort nach kurzer Zeit eine führende Rolle ..."

Günther Schmich war ein konvertierte Jude, der als Schüler in Mannheim zum Bund Neudeutschland kam, der schließlich in Freiburg Theologie studierte, und sich dort mit Fritz Leist und Ernst Müller befreundet hatte (vgl. Peter Goergen, Willi Graf – ein Weg in den Widerstand, 2009, S. 48).

März 1934: Grauer Aktionsplan

In Freiburg wurde somit bereits ein Gegenprogramm gegen eine Zurückdrängung des Bündischen entwickelt, an dem insbesondere Fritz Leist und Ernst Müller, beide aus der Quickborn-Jungenschaft stammend sowie Günther Schmich aus der Mannheimer ND-Gruppe, alle drei in Freiburg studierend, beteiligt waren. In der Gestapoakte von Fritz Leist befindet sich bereits ein "Grauer Aktionsplan", der mit dem 10. März 1934 datiert ist. Darin heißt es:

„I. die graue kordel ist das symbol. sie wird nicht auf der strasse getragen. kameraden tragen sie beim fest. andere rangzeichen werden abgelegt. pfingsten werden die die kordel neu tragen, die gestern nicht mitfeiern konnten. keiner kann die kordel mißachten. II. im namen des grauen ordens mühen wir uns seine gesinnung zu verbreiten. neue kameraden machen wir ihm bekannt und verpflichten sie ihm; beim nächsten großen treffen tragen sie das zeichen; äußere formen werden sich ändern, die gesinnung wird es nie. folgt sie ihrem eigenen inneren gesetz. sie wird uns zusammenhalten und weitertragen. das präge man den neuen kameraden ein. trotz der großen räumlichen entfernung wird dauernd enge verbindung herrschen. III. wir sehen belastung und möglichkeiten, die sich durch unseren eintritt in die sturmschar ergeben, grundsätzlich reihen wir alle gesinnungsgleichen kameraden in den orden ein, das äußere ziel bleibt der schöpferische hochbund. es gibt keine eindeutige gemeinsame haltung und gesinnung in der sturmschar. den namen suchen wir durch einen besseren zu ersetzen. wir bauen von der jungenschaft auf. die führerschicht scheint uns größtenteils schon festgelegt. die haltung, die sich im block gestaltet, wird die besten formen. die führerbriefe werden durch ihn unnötig gemacht. die sendung bleibt. ihr gilt das versprechen, die gemeinschaft zu tragen, das ist ihr treu zu bleiben: weg zu bereiten einer jungen haltung. pfingsten findet irgendwo in westdeutschland unser lager statt. wir hoffen es unabhängig von anderen bindungen und hemmungen in eigenem rhythmus gestalten zu können, alle werden kommen, gleichgültig welche schwierigkeiten sie überwinden müssen.“

Beschreibung der Freiburger Gruppe durch Schmich

Günther Schmich hat in seiner Rede „Weg-Zeichen Willi Grafs“ zum Gedenken an den 40. Jahrestag der Hinrichtung von Willi Graf am 12.10.1983 in Saarbrücken die Freiburger Jungenschaftsgruppe des „Grauen Ordens“ beschrieben: „Unsere Freiburger Gruppe umfaßte Volksschüler, Gymnasiasten, Arbeiter, Handwerker. Wir trafen uns oft. Wir sangen die Lieder der d.j.1.11 und der bündischen Jugend. Wir trugen die blaue Jungenschaftsbluse. Auf Fahrt schliefen wir in der schwarzen Kohte, die Eberhard Köbel, genannt tusk, in Lappland erlebt und als Zeltform eingeführt hatte mit der Feuerstelle und dem offenen Rauchloch. Wir sprachen miteinander von Gott und von Kunst, von Stil, von Geschichte, wir gingen in Vorträge, wir gingen auf Fahrt, wir entdeckten Bücher für uns. Wir sprachen nicht über Politik. Wir lebten unser Leben abseits der üblichen Bahnen. [...] Wir waren bald Jungen aus dem ganzen süd- und westdeutschen Raum geworden. Es gab keine Organisation. Es gab keinen Führer. ... Wie viele wir waren, ist schwer zu sagen. Vielleicht 150.“ (Günther Schmich: Weg-Zeichen Willi Grafs. Rede anlässlich des 40. Jahrestages der Hinrichtung von Willi Graf am 12.10.1983 in Saarbrücken, zitiert nach Peter Goergen, Willi Graf – ein Weg in den Widerstand, 2009, S. 48) Dieses „Wir sprachen nicht über Politik“ passt zu Goergens Einschätzung von Fritz Leist und seinem Kreis, dieser sei „unpolitisch“ gewesen, bezieht sich aber bei beiden auf ein sehr enges Politikverständnis.

Ende April/Anfang Mai: Aus der Schutzhaft für Schmich zur Legende "Der Meister der Orden"

Einige Tage Ende April bis zum 30. April sowie wieder am 2. Mai 1934 wird Günther Schmich in "Schutzhaft" genommen. Daraus ist ersichtlich, daß die Gemeinschaft der Gestapo bereits aufgefallen war. Zudem wurde ihm auferlegt, "keine Verbindung mit den Freunden aufzunehmen.“

Nach eigenem Bekunden habe er im Gefängnis eine Legende geschrieben mit dem Titel "Der Meister des Ordens". "Ich las sie Pfingsten in einem Lager der Gruppe aus Oberwolfach im Schwarzwald vor. Da diese Legende später, als sie gedruckt wurde, in graues Papier gebunden war, entstand für unseren Kreis die Bezeichnung `Der Graue Orden´, die wir damals nie geführt haben …“ (Günther Schmich: Weg-Zeichen Willi Grafs, a.a.O.)

Die Geschichte, die eindeutige Bezüge auf Eberhard Koebel aufweist, war, wie Schmich 1938 gegenüber der Gestapo aussagte, sein „Vermächtnis als scheidender Führer an die Freiburger Gruppe.“ Dabei hätte er „im Augenblick des Verfassens nicht daran gedacht, dass es über die Gruppe hinauswirken sollte, wie dies dann tatsächlich später der Fall gewesen ist.“ (vgl. dazu: Zankel, a.a.O.)

Erstmals erschienen ist sie um 1935 und ohne Veranlassung von Schmich als eine Art Probeheft für die von Bruno Tausig verantworteten „Blätter für die Schule" (vgl. Fritz Schmidt: Ein Mann zwischen zwei Welten: Eberhard Koebels politische …, 1997, S. 78, der darauf hinweist, dass die „Blätter für die Schule“ unter der Verantwortung von Bruno Tausig aus dem „Grauen Orden“, „und nicht von Arthur Doerwaldt" kamen. "Nach Aussage von Fritz Hacker waren jedoch Bestrebungen im Gange, die "Vorhut" mit den "Blättern für die Schule" zu vereinigen.“). Ziel dieser wie anderer Veröffentlichungen des „Grauen Ordens“ war es, „die katholische Jugend in bündischer Art zu aktivieren.“ 1935/36 schrieb Schmich auch das Laienspiel für Jungen mit dem Titel „Entscheidung“, in dem es um den Verzicht auf die Gestaltung der Zeit geht und man stattdessen auf eine gute und sorgfältigere Vorbereitung des „Neuen Reiches“ durch den Orden zurückgeht, bevor man zur Revolution schreitet (vgl. Jovy, 1984, S. 167/212).

Dass die Namensgebung „Grauer Orden“ allein mit Schmichs Geschichte im „grauen Papier“ zurückgeht, wird dahingehend zu überprüfen sein, seit wann die Mitglieder als gemeinsames Zeichen alle die in anderen Jungenschaften allein dem Leiter vorbehaltene graue Kordel als Bundeszeichen trugen. Und ebenso, ob nicht die Bezeichnung „rot-graue“ Aktion (aus bündisch „grau“ und politisch „rot“) ausschlaggebend gewesen sein könnte, die das bündische „Grau“ unter Verzicht auf das „kommunistische“ Rot zu verwirklichen versuchte. Eine Verbindung mit dem im „Grauen Corps“ um Hans Blüher vorherrschenden libidinösen Charakter der Farbe Grau scheint ebenso wenig eine Rolle gespielt zu haben, wie das „tusk“sche Grau des Straßenstaubes und der soldatischen Haltung. Eher schon – es handelt sich zum Teil ja um katholische Theologiestudenten – könnten die Zisterzienser als der „graue Orden“ – eine Rolle gespielt haben.

Größenordnung und Gruppen des Grauen Ordens

Wachstum im süd- und westdeutschen Raum

Schmich berichtet, wie gesehen, ein rasches und weitgehend führer- und organisationsloses Wachstum an Jungen aus dem ganzen süd- und westdeutschen Raum und schätzte die Gesamtzahl auf „vielleicht 150“.

Laut Polizeibericht und Anklageschrift 1937/38 bestanden ähnliche Gruppen wie in Freiburg „in Koblenz unter der Führung eines Alfred Wa. [Wagner] in Saarbrücken unter der Führung des Angeschuldigten Schw. [Karl Schwarz], in M.-Gladbach mit Ro. [Rommerskirchen] und in Köln mit Go. [Gothmann] als Führer. Diese Gruppen, mit denen L. [Leist] ständig Fühlung unterhielt, unterstanden seiner Führung.“

Saarbrücker Gruppe

Zur Saarbrücker Gruppe unter Willi Graf und später unter Karl Schwarz, ursprünglich örtlicher Leiter des katholischen Schülerbundes, der laut Gestapobericht erst 1936 durch Willi Graf Fritz Leist kennengelernt hat, gehörten Heinz Ernst, Rudi Alt, wohl auch die Brüder Bollinger und Werner Reinert. Mitte der 30er Jahre war Willi Graf häufig in Freiburg gewesen (siehe auch Peter Goergen: Willi Graf - ein Weg in den Widerstand, 2009, S. 47). „Die Saarbrücker Gruppe verdankt ihr Entstehen wesentlich der Begegnung von Fritz Leist mit dem örtlichen Leiter des katholischen Schülerbundes „Neudeutschland“, Karl Schwarz (Nigger)" (so Werner Reinert, Erinnerung an den Saarbrücker Grauen Orden. Typoskript aus dem Privatarchiv von Frau Anneliese Knoop-Graf, 1983).

Schwarz war laut Anklageschrift des Sondergerichts Mannheim vom 21. April 1938 über Willi Graf zum „Grauen Orden“ gekommen war. Laut Aussage von Leist am 18. Januar 1938 [bei Schäfer versehentlich 1937] hatte er Schwarz im Frühjahr 1936 auf dem Bischofsjubiläum in Trier als ND-Gruppenführer kennengelernt, dann im Oktober 1936 näher durch Willi Graf (zitiert nach Schäfer S. 73) Die ND-Gruppe von Schwarz habe sich im Herbst (November) 1936 aufgelöst, einige blieben noch mit Schwarz zusammen: Gerlach, Linnebach, Kirn, Aloys und Jupp Mauer, Graf und auch Ernst (letztere kaum). Nach dem Breuberg-Treffen hat die Gruppe kaum mehr etwas unternommen.

Er war vom 19. Januar bis 6. Februar 1938 in Untersuchungshaft. Karl Schwarz fiel 1941 als Infanteriehauptmann in Rußland. Willi Graf hielt zu seiner Mutter Kontakt (vgl. Tagebuch 13.11.1942; Mitteilung in: Briefe und Aufzeichnungen, 1994, S. 287)

Der Saarbrücken-Burbacher Werner Reinert (1920-1987), selbst vormals Mitglied des Schülerbundes „Neu Deutschland“ und später wohl auch Mitglied des „Grauen Ordens“ oder zumindest dem Kreis nahestehend (Peter Goergen geht davon aus, dass er vermutlich nur sympathisiert hat (a.a.O., S. 47, andere nennen ihn regelmäßig als Mitglied), weist auf die personelle Heterogenität und die Ambivalenz ihrer damaligen Ziele hin: Der „Graue Orden“ sei „existentielle Heimat“ der auf Freundschaftsbeziehungen gegründeten Gemeinschaft gewesen, weil er „an der Einzigartigkeit und Unaustauschbarkeit jedes Menschen festhielt […] Seine ablehnende Haltung zum Nationalsozialismus gewann der Orden vornehmlich aus diesem in christlichen und humanitären Vorstellungen gründenden Menschenbild. Dabei wollten die Jungen zunächst nichts anderes als ihr eigenes Leben leben – nicht mehr, aber auch nicht weniger." "Söhne von Arbeitern, Kaufleuten, Handwerkern und Großbürgern, machten sie sich den Protest der Bündischen Jugend gegen das selbstzufriedene Bürgertum zu eigen. So wenig sie über einen Kamm geschoren waren – im Orden fanden sich sehr unterschiedliche Charaktere zusammen – ein scharfes Auge hätte sie auf dem Schulhof oder wo immer erkennen können. […] Kirche und Vaterland wußten sie sich verpflichtet. Die Lust am geistigen Abenteuer trieb sie auf die unruhige Suche nach Entdeckungen in Literatur, Philosophie und Kunst. Für fast alle von ihnen hatte das Elternhaus den christlichen Glauben grundgelegt. Die Jungen hielten an ihm fest und gewannen aus ihm Kraft für ihr Leben. Autoritäten hingegen waren ihnen Staub im Wind, wenn sie sich nicht menschlich und sachlich behaupten konnten. Als der geistliche Leiter der katholischen Jugend Deutschlands, Prälat Ludwig Wolker, die Mitglieder der verbotenen konfessionellen Jugendverbände zum Eintritt in die Hitlerjugend aufforderte, reagierten die Jungen mit Empörung. Ihre religiösen Fragen richteten sie nicht nur an das Christentum. Grenzen zu überschreiten, ohne Heimat aufzugeben – so sah der Orden seinen Weg.“

Mönchengladbacher Gruppe

Zur Mönchengladbacher Gruppe um Josef Rommerskirchen ist wenig bekannt, auch nicht wer weitere Mitglieder gewesen sein könnten.

Kölner Deutschmeister-Gruppe

Zur „Kölner Gruppe“ um Friedrich „Freddy“ bzw. „Fred“ Gothmann (1915-1942, gefallen), ist zu sagen, dass Gothmann aus dem Bund Neudeutschland kommend zum Stadtführer der Deutschmeister-Jungenschaft wurde, bis diese sich aufgrund von Schwierigkeiten mit dem Jugendhaus Düsseldorf selbst auflöste. Dass dieser sich daraufhin dem „Grauen Orden“ angeschlossen hätte, ist hingegen nicht belegt. Für die Zuordnung kommt wohl eher die Verbindung zum Ulmer Kreis von Hans Scholl in Frage. Denn Freddy Gothmann war mit dem Kölner Ernst Reden, damals Fähnlein-Führer in der Hitlerjugend, befreundet. Gemeinsam mit ihm sowie Siegfried Mühlberg und Hans Hackenberger wurde er 1935 des Hochverrats beschuldigt, weil sie bündische Jugendzeitschriften bezogen hätten und „der Mithilfe zur Errichtung gesonderter Jugendgruppen dringend verdächtig“ seien. Als sich Reden 1935 zum Wehrdienst meldete und diesen 1935/36 in Ulm ableistete, suchte er auf Vermittlung Gothmanns den Kontakt zu Hans Scholl, der im November 1935 zustande kam. Es war aber Ernst Reden der Hans Scholl die Ideen der dj.1.11. näherbrachte und ihm von seinem persönlichen Kontakt zu Koebel berichtete.

Friedrich Gothmann, im Freundeskreis „Freddy“ genannt, wurde am 12. Dezember 1915 in Köln geboren, gehörte zur Pfarrei St. Apostel, besuchte das nach dieser Pfarrei benannte Apostelgymnasium. Als Gymnasiast war er 1927 zunächst dem „Bund Neudeutschland“ beigetreten. Nachdem er das Gymnasium nach der Untertertia verließ, um eine Lehre als technischer Zeichner bei den Rheinischen Draht- und Kabelwerken anzutreten, trat der dem „Katholischen Jungmännerverband“ (KJMV) bei, stieg später zum Stadtführer der „Deutschmeister-Jungenschaft“ auf, bis diese sich – so Gothmanns eigene Darstellung vor der Gestapo - aufgrund mangelnder Unterstützung durch das Jugendhaus in Düsseldorf selbst auflöste. Danach war er dann seit 1934 unter der Führung von Kaplan Adelkamp ein sehr aktives Mitglied des KJMV in der Pfarre St. Aposteln. Dabei trafen sich die Jugendlichen scheinbar regelmäßig an der Kiesgrube Oberkomarweg, die von den Gebrüdern Martinez gepachtet wurde. Die Martinez hatten den Jugendlichen das Betreten des Geländes gestattet, das relativ einsam lag und Badegelegenheiten bot. Die Jugendlichen hatten deshalb sogar vor, in einer in der Nähe der Kiesgrube befindlichen Hütte für sich einen Aufenthaltsraum zu schaffen. Auch am 23. Juli 1934 trafen sich Jugendliche aus der Gemeinde dort zum Baden und und ihre Freizeit miteinander zu verbringen. Mitglieder der Klettenberger Ortsgruppe der NSDAP beobachteten sie bei einem verbotenen geländesportlichen Spiel und zeigten den Studenten Wilhelm W. an. Obwohl W. nur ein geringes Bußgeld zahlen musste, ist es fraglich, ob der Plan, in der Kiesgrube einen Aufenthaltsraum einzurichten, nach diesem Vorfall noch umgesetzt werden konnte. Auch der damals 19jährige Gothmann wurde in dieser Zeit beschuldigt, eine verbotene geländesportliche Übung mit Mitgliedern des katholischen Jungmännerverbands der Pfarre St. Aposteln abgehalten zu haben. Ein Passant hatte angeblich die Gruppe unter seiner Führung beim Exerzieren in der Kiesgrube am Oberkomarweg beobachtet und dies der Ortsgruppe Köln-Klettenberg der NSDAP gemeldet. Die Ortsgruppe benachrichtigte daraufhin die Polizei, die acht Jugendliche verhaftete, auf der Wache ihre Personalien aufnahm und dann entließ. Die aufgenommenen Zeugenaussagen widersprachen sich, weil die drei Leiter der Ortsgruppe Köln-Zollstock der NSDAP aussagten, dass die katholische Jugend in der Kiesgrube verbotene Übungen abgehalten und dabei ihre mitgebrachte Kluft angezogen hätten, die Jugendlichen darstellten, es habe sich bei dem Treffen in der Kiesgrube lediglich um ein geselliges Beisammensein gehandelt, das mit der Jugendvereinigung nichts zu tun gehabt hätte. Den Jungen sei nicht bewusst gewesen, etwas Verbotenes getan zu haben. Man habe erst gebadet und Ringtennis gespielt, dann aus Spaß und Langeweile Marschübungen abgehalten. Einen besonderen Führer habe es dabei nicht gegeben. Kluft oder Abzeichen seien nicht getragen worden. Das Sondergericht Köln beschließt am 8.8.1934, das Verfahren einzustellen, weil der Angeklagte noch nicht vorbestraft ist und keine höhere Strafe als 6 Monate oder 1000 RK zu erwarten ist.

Außerdem hatte die Pfarrei ein Ausflugsheim in Bensberg. Dort fand 1934 auch ein Jungschar-Lager der Pfarrei St. Aposteln an der Saaler Mühle statt. Hier kam es auch häufiger zu handgreiflichen Auseinandersetzungen mit der Hitlerjugend, was auf die Nähe der „Nationalpolitischen Erziehungsanstalt“ (NAPOLA) im Bensberger Schloss zurückzuführen war.

Über Pfingsten (8. bis 11. Juni 1935) verbringen 50 katholische "Jungmänner" der Pfarre St. Aposteln und 25 Jungschärler der Pfarre St. Pantaleon ein Wochenende im Kloster "Haus zur Mühlen" bei Siegburg. Eine Person namens T. erstattet am 10. Juni polizeiliche Anzeige mit folgendem Wortlaut: "In Müllerhof liegen ca. 80 bis 110 Sturmschärler in Uniform. Dieselben sind teils auf Fahrrädern und ein Teil im Auto aus der Kölner Gegend von Rodderberg. Dieselben beabsichtigen heute abend nach 18 Uhr wieder in ihre Heimat abzuwandern. Einer von den Sturmschärlern, der hier in Siegburg übernachtet hat, erklärte: "wenn einer von uns erwischt wird, wären 150 Mk Geldstrafe fällig." Daraufhin durchsucht die Polizei noch am 10. Juni das Haus und stellt folgendes fest: "Seit Samstag, den 8. Juni 1935 lagerten in "Haus zur Mühlen" etwa 140 kath. Jungmänner. Davon waren 27 Mann von Wesseling [...], 50 Mann von der Pfarre St. Aposteln in Köln [...], 36 Personen der Herz-Jesu-Pfarre in Aachen [...] und 25 Mann des kath. Jünglingvereins St. Pantaleon in Köln." Die einzelnen Gruppen müssen gesondert auf dem Hof antreten und ihr Gepäck durchsuchen lassen. Dabei werden 3 Schulterriemen und 6 Fahrtenmesser beschlagnahmt. Im Polizeiprotokoll heißt es weiter: "Einheitliche Uniform konnte nicht festgestellt werden, wohl trugen einzelne Jugendliche kurze schwarze Kniehosen, wie sie ähnlich vom Deutschen Jungvolk getragen werden." Die Jungen, bei denen Schulterriemen und Fahrtenmesser gefunden wurden, werden von der Gestapo vernommen. Sie sagen übereinstimmend aus, dass sie weder geschlossene Wanderungen unternommen noch Kluft getragen hätten, sondern sich lediglich innerhalb des Klostergeländes zum Baden bzw. außerhalb zum Kahnfahren aufgehalten hätten. Im Januar 1936 schreibt der ermittelnde Oberstaatsanwalt an den Leiter der Anklagebehörde bei dem Sondergericht: "Nach dem Ermittlungsergebnis ist ein geschlossener An- oder Abmarsch nicht erfolgt. Die Beschuldigten haben keine einheitliche Kleidung getragen und sich auch nicht sportlich betätigt. Es handelte sich vielmehr nach der unwiderlegbaren Einlassung der Beschuldigten um ein sogenanntes Wochenende, das den Jungens gegen billiges Entgelt gewährt wurde. Bei dieser Sachlage konnte den Beschuldigten ein Verstoss gegen ... die Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutze von Volk und Staat vom 28.2.1933 nicht nachgewiesen werden." Das Verfahren wird eingestellt, die beschlagnahmten Messer und Schulterriemen werden zurückgegeben.

Freddy Gothmann hat 1935 in Köln einen Keller im Hause eines "hohen Geistlichen" mit Bündischen schalldicht ausgebaut, damit die Jungengruppen dort russische Choräle einstudieren konnte. Die Gestapo enttarnte mit Hilfe von ehemals bündischen V-Männern diese „bündischen Umtriebe“ und verhaftete Gothmann (vgl. Köpfchen, Oktober 2005). Seit dem 1. Oktober 1936 leistete er seinen Arbeitsdienst ab.

Am 28. Januar 1937 wurde Freddy Gothmann wegen der früheren „bündischen Umtriebe“ zu einer Geldstrafe von 300 RM verurteilt. Ab Februar 1937 folgten weitere Vernehmungen über katholische Jugendorganisationen und die Rolle, die er in ihnen einnahm, über Fahrten und Treffen, Kontakte nach außen und die verbotene Verteilung von Schriften. Die hierüber angelegte Akte enthält zahlreiche Namen (Wilhelm Hackenberg, Ernst Didier, Ernst Bohlen, Maria Teusch, Mike Jovy) von katholischen Jugendführern aus der gesamten Erzdiözese Köln und ist ein weiterer Beleg für die besondere Rolle, die Gothmann in diesem Kontext einnahm. Mit der am 12. Februar 1937 erfolgten Beschlagnahme seiner „Klampfe“, auf der eine Kohte eingebrannt war, fand auch dieses Verfahren offenbar sein Ende.

Es ist bislang nicht zu klären gewesen, wer dieser "hohe Geistliche" gewesen ist, der den Jugendlichen seinen Keller für einen schalldichten Ausbau zur Verfügung stellte. Aber auch die Pfarrgeistlichen scheinen hinter den Jugendlichen gestanden zu haben. Neben dem schon erwähnten Kaplan Adelkamp gilt dies für den Pfarrer der Pfarrei St. Aposteln, Josef bzw. Joseph Könn bzw. Koenn (1876-1960), Dr. theol., der seit 1925 in St. Aposteln die Pfarrei leitete. Er gilt als ein bedeutender Vertreter der volksliturgischen Bewegung und Wegbereiter der Gemeinschaftsmesse gilt. Er verwendete bereits Anfang der dreißiger Jahre einen Stellaltar "versus populum" und war auch schon früh mit Morgenandachten im Rundfunk vertreten. Während des Dritten Reiches fanden bei ihm mehrere Haussuchungen sowie Beschlagnahme der Pfarrkartei durch die Gestapo statt. Außerdem zahlreiche Vorladungen und Verhöre, u.a. nach dem unter großer Anteilnahme der Gemeinde begangenen 40jährigen Priesterjubiläums Könns am 7.4.1940. Wegen Verschickung von Rundbriefen an Soldaten aus seiner Pfarrei von der Gestapo verwarnt, anschließend ständige Predigtüberwachung. Er blieb auch nach 1945 bis zu seinem Tod 1960 Pfarrer. Nachfolger wurde Dr. Theodor Schnitzler, der über Könn sagte: "Könn ging neue Wege; seine Gemeinschaftsmesse war ein Wagnis. Sein Volksaltar, der Gemeinde zugewandt, war eine Neuerung. Seine Schriftlesungen galten fast als andersgläubig. Seine Seelsorge durch das Laienapostostolat war unerhört neu. Sein Neuaufbau der zerstörten Basilika vermied die einfache Wiederherstellung, sondern schuf einen Raum, näher dem älteren Bau als der neuromanischen Gestalt der Vorkriegszeit." 1935/36 war Anton Thill, vorher Rektor eines katholischen Mütter-Erholungsheimes („Liebfrauenhaus“) auf dem Venusberg in Bonn (siehe Kürschner von 1930 bis 1934), bei dem sich auch die Bonner Quickborngruppen regelmäßig zu Zusammenkünften, Singnachmittagen oder Gemeinschaftsmessen trafen, als Kaplan nach St. Aposteln versetzt, möglicherweise strafversetzt. 1936/1937 ging er nach Paris, wenig später nach Brasilien, wo er nach dem Krieg Professor an der Philosophischen Fakultät von Santos wurde. Hans-Jörg Oeschger charakterisierte Thill wie folgt: „Für die religiöse Führungsarbeit stand neben dem jeweiligen Jungenschaftsführer ein Priester als Feldkaplan. Zuerst Toni Thill, Bonn, persönlich einer der Männer der ersten Stunde im Quickborn, der mit größtem Verständnis und Erfolg durch Wort und Schrift in der Quickborn-Jungenschaft wirkte“ (zitiert nach Bothien: Die Jovy-Gruppe, a.a.O., S. 73).

Koblenzer Gruppe

Willi Graf kannte aufgrund gemeinsamer Fahrten und Treffen Alfred Wagner (1917-2014), den späteren Schulleiter der Willi-Graf-Schule in Koblenz-Neuendorf, und seine Familie so gut, dass er als Wagner und andere Mitglieder des „Grauen Ordens“ in Koblenz festgenommen wurden, sofort die Familie in Koblenz-Neuendorf besuchte und ihnen Mut und Zuversicht zusprach.

Wagner war im Herbst 1934 zum „Grauen Orden“ gekommen. Anfang 1938, als er verhaftet wurde, gehörte er zum Trierer Priesterseminar und studierte Theologie. Wagner nahm an Allerheiligen an einem von Hans Renner organisierten Treffen mit Fritz Leist und weiteren Jugendlichen aus dem Saargebiet in der Nähe des Herzogsbuschs teil. Anders als Renner, der vor die Wahl gestellt, sich für den Verbleib in der Sturmschar entschied, wollte sich Wagner solchem Druck nicht beugen und nahm auch den damit verbundenen Ausschluss aus der Sturmschar zur Kenntnis (Schäfer S. 69). Auch nach dem Verbot der bündischen Jugend unternahm er mit seinen Jugendlichen an Pfingsten 1937 und zu Neujahr 1938 Fahrten in deren Stil nach Waldesch. „Dass diese Haltung bündisch war, geht auch daraus hervor, dass z.B. von Alfred Wagner die Jungenschaftsbluse der d.j.1.11. getragen wurde, dass bei den Fahrten nach Waldesch eine Kothe mitgeführt wurde, das Lappenzelt, das aus dem Lande übernommen war, welches das „Land der großen Sehnsucht“ der Bünde war. (…) Auch das Liedgut entsprach dem der bündischen Jugend." Wagner und 13 weitere Jugendliche wurden infolgedessen am 18./19. Februar 1938 vom in Koblenz tagenden Sondergericht Köln zu Geldstrafen verurteilt, Wagner zu 300.- Reichsmark, ersatzweise 30 Tage Gefängnis.

Weitere Gruppen

Zumindest in Bonn gab es Mitte der dreißiger Jahre eine Gruppe des "Grauen Ordens", zu der von 1934 bis 1936 auch Michael Jovy gehörte, bevor er 1937 zur Gruppe um Günter Platz wechselte. Dazu Bothien (a.a.O., S. 80): "Fest steht wohl, daß durch Hammerschlag M. Jovy und Lohner Kontakte zum Orden aufnahmen. Der Zeitzeuge Kersten erinnert sich an Heimabende des Grauen Ordens in Bonn, zu denen Lohner ihn mitgenommen hatte. Darüber hinaus läßt die Tatsache, daß die Anklageschrift gegen Leist u.a. von einer Kölner Gruppe mit Freddy Gothmann als Führer spricht, auf weitere Verbindungen zum Grauen Orden schließen. Zu Gothmann hatten die Bonner regelmäßigen Kontakt (vgl. Zeitzeuge Martinez), Fotos zeigen ihn mit den Bonnern." Jovy sagte dazu selbst gegenüber dem Ermittlungsrichter aus: "... Führer des Ordens war Fritz Leist in Freiburg. Führer unserer Bonner Gruppe war Hammerschlag. Ostern 1936 war ich mit Richter in dem Ordenslager bei Freiburg. Wir sahen, daß der Graue Orden nicht das war, was er versprochen hatte. Uns gefiel der Ordensführer nicht, das Lager ebensowenig und außerdem hatten wir den Eindruck, daß der Betrieb nicht lebendig genug war. Daraufhin trennte sich die Bonner Gruppe vom Grauen Orden. ..." (zitiert nach Bothien, S. 80). Zumindest galt dies wohl für den Freundeskreis von Michael Jovy und Edgar Lohner. Lohner hatte im Übrigen seine ersten bündischen Erfahrungen zunächst im Quickborn gemacht, wo er wahrscheinlich auch Günter Platz kennenlernte, wechselte nach kurzer Zeit aber zum Bund Neudeutschland über. Dort wuchs die Freundschaft zu seinen Klassenkameraden Helmut Giesen und Michael Jovy (Bothien, a.a.O., 1984, S. 84).

Der “Graue Orden” von Frühsommer 1934 bis zur Jahreswende 1937/38

Der "Graue Block" als Organ des "Grauen Ordens" (Frühsommer bis Herbst 1934)

Fritz Leist und Josef Simons waren also vom Rhein weiter ins Frankenland gezogen, um anderen Gruppen vom Schiff zu erzählen und Adressen für den Versand der geplanten Zeitschrift „Der graue Block“ zu sammeln und warben für das Sommerlager und die Fahrten. Simons erinnert sich: Günther Schmich und Fritz Leist hatten zur strafferen Erfassung unserer Gruppen in und außerhalb der Sturmschar schon im Frühsommer eine regelmäßig erscheinende Schrift konzipiert, die ich natürlich ohne „Jugendhausliche“ Imprimatur, aber auf Jugendhaus-Kosten kopieren und von dort versenden sollte. Die Schrift hieß „Der graue Block“. Sie wurde so genannt, weil sie einen grauen Umschlag hatte und Blockformat besaß. Die Mitarbeiter und Bezieher wurden als Arbeitsgemeinschaft unter gleichem Namen zusammengefasst. (Schäfer, S. 21) Die Schrift wurde von Angehörigen der Deutschmeister und der der Sturmschar in Freiburg herausgegeben, u.a. von Karl Friedrich Wieland, Berthold Just, Hans Oeschger und Fritz Leist. Das habe den Sommer 1934 über ganz gut geklappt.

Lappland-Fahrt (Sommer 1934)

In der Tradition der dj.1.11. Nordland- und Russland-Romantik fanden damals in vielen Jungenschaften Schweden- oder Lapplandfahrten statt, andererseits gab es eine Begeisterung für den Chor der Exil-Donkosaken unter Serge Jaroff. Der "Graue Orden" fuhr im Sommer 1934 nach Lappland. Das wohl als Kopie im Besitz Willi Grafs befindliche Fahrtentagebuch „Fahrt nach Nordland 1934“ der „gruppe des `Grauen Ordens um willi graf“ (baybach-Titel) ist ein Indiz für die Zugehörigkeit zur Deutschmeister-Jungenschaft und dann zum „Grauen Orden“ (Name wird wohl erst 1935 gebraucht!). Der Weg ging vom 3./4. August bis zum 7. September von Berlin über Kiel, Stockholm, Gällivare, Troneträsk (alle in Schweden) nach Narvik (Norwegen), dann über Masugnsbyn und Junosuando (Schweden) nach Pello, Torakangas nach Helsinki (alle in Finnland). Der Weg von Helsinki nach Berlin zurück führte übrigens über Königsberg. Teilnehmer waren laut Liste: Fritz [Leist] (* 1913), Ernst [Müller] (* 1913), Jürgen, Oha(?), Gustl [Sahm?], Klaus, Tøtra, Hermann, Wilhelm, Robert [Bu.] (* 1917], Lun(?), Hein(?) [Jacobs?], [Sepp] Frey, Helmut [Braun?] [* 1921]

Ende der Zusammenarbeit von Grauem Orden mit dem Jugendhaus Düsseldorf und der Sturmschar

Im Herbst 1934 hatte ihn Fritz Leist wieder nach Freiburg gerufen. „Auf der Trampfahrt machte ich Station bei mehreren Gruppen in Westfalen und im Rheinland. Die Gruppen hatten Schwierigkeiten mit einigen zölibatären Kaplänen, welche die Jungenschaft für die Nichterfüllung der Beichtpflicht und die zu kurzen Hosen verantwortlich machten." In Düsseldorf gabs neue Schwierigkeiten, als Simons im Herbstheft ein Gedicht drucken ließ:

„Jungenschaft 34 Kamerad durch alle Nächte heult der Sturm Es bricht das morsche Holz im Wald Im Tal ist Dacht an Dach und Ruh Und keiner wacht und jagt sein Ross hinaus. Doch Du, laß Tal und Dach und Ruh Und reit mit uns durch Sturm und Nacht Wirf weg, was hemmt, und gib dich ganz Dem Sturm, der werbend dich umbraust.“

Diese Verse wurden von der „geistlichen“ Führerriege als Aufruf des Grauen Ordens gegen die Sturmschar und gegen das Jugendhaus gedeutet. Simons ergänzt: „Es ist schon ein Treppenwitz der Geschichte, dass die Veröffentlichung des Gedichtchens von der Gestapo später u.a. als Beweis (!) für eine Provokation von Sturmscharführern gegen die Hitlerjugend unter dem Titel „Verächtlichmachung von Partei und Staat“ zum Anklagepunkt erhoben wurde. Meine mehr oder weniger offizielle Rolle als jungenschaftliches Ferment in der offiziellen vom Konkordat anerkannten katholischen Jugendbewegung war damit schmählich beendet.“

Laut Angaben gegenüber der Gestapo arbeitete Leist nach persönlichen Differenzen dann nicht mehr am „Grauen Block“ mit. Er trat laut Schäfer (S. 21) zudem aus der Sturmschar aus. Anders die Lesart von Steber: Unter Vermeidung eines förmlichen Ausschlusses sei Leist schließlich „in gegenseitigem Einverständnis ... ausgeschieden worden“ (Steber, in: Sturmschar, 1934, S. 162 f.)

Aber auch Simons schied im September 1934 dort aus, angeblich wegen religiöser Differenzen aus. Simons selbst spricht [in einem zeitnahen Brief vom 23. Dezember 1934 an Otto Strasser] von einer verlangten „weltanschaulichen Haltung, die bei mir nur hätte Heuchelei sein können.“ Im Grunde habe ein von Simons abgedrucktes Gedicht von Josef Simons im Organ des Grauen Ordens seine Tätigkeit in Düsseldorf beendet.

Am 7. November 1934, Josef Simons 21. Geburtstag, trafen sich die Freiburger mit den Führern der Gruppen aus dem Saargebiet, aus Karlsruhe, Mannheim, aus Würzburg, Koblenz und Köln in Freiburg, ungefähr 30 Jungen - darunter auch Bruno Tausig. „Dreißig blaue Jungen, mit der grauen Silberkordel, Schulter an Schulter, und dann sagte Fritz: `Wenn Jupp nicht für uns in Düsseldorf gestanden hätte, wären wir nicht das, was wir jetzt sind: der Graue Orden. Wir würden nicht das werden, was wir morgen sein wollen, Kristallisationspunkte in vielen Städten Deutschlands! Wir feiern heute seinen Geburtstag. Er wird uns bald verlassen. Wir bleiben Freunde. Gemeinsam werden wir überstehen!“

Simons nahm dann am 23. Dezember 1934 brieflichen Kontakt zu Otto Strasser und der von ihm geführten Schwarzen Front auf, dem er in besagtem Brief ein Treue- und Gefolgschaftsversprechen abgibt. Ob er diese Aktion mit seinem Freund Fritz Leist abgesprochen hatte, bleibt fraglich.

Erste Verhaftungen (Herbst und Winter 1934)

Fritz Leist berichtet von ersten Verhaftungsbefehlen gegen den „Grauen Orden“ für den Herbst und Winter 1934. In einem Brief an Arno Klönne vom 17. Dezember 1956 heißt es: "...Die Gruppen, die ich geführt habe und mit denen ich durch viele Jahre zusammen war, haben sich über ganz Süddeutschland und ganz Westdeutschland erstreckt, und es waren immerhin mehrere Hundert junge Menschen. Der Kampf gegen die Nazis begann am ersten Tag. Der erste Verhaftungsbefehl gegen Freunde von mir und mich wurde bereits im Herbst 1934 ausgestellt. Die erste Verhaftung mit einer ganzen Gruppe in Würzburg geschah im Winter 1934, und so ging es fort.“ (Arno Klönne: Jugendprotest und Jugendopposition. Von der HJ-Erziehung zum Cliquenwesen der Kriegszeit, in Martin Broszat/Elke Fröhlich (Hrsg.): Bayern in der NS-Zeit, 1981, S.527-620, S. 588; ebenso in ders.: Jugend im Dritten Reich. Die Hitler-Jugend und ihre Gegner, München 1990; von dort auch in der Zulassungsarbeit von Andreas Briegel: Katholische Jugend im Nationalsozialismus: Kapitel IV).

Im Oktober 1934 hatte Leist wohl an einer „Tagung der Sturmschar in Koblenz“ teilgenommen und dabei Selch die graue Kordel, das Abzeichen der Angehörigen des „Grauen Blocks“ übergeben. So im Verhörprotokoll: „Ich selbst studierte in Freiburg i. Br. Kath. Theol. und bin am Samstag, den 1. XII. 34 in meine Heimat Elversberg/Saar gefahren, weil meine Mutter z. Zt. krank ist. Auf dem Rückweg bin ich nun nach Würzburg gefahren, um meine Freunde, die ich von der Quickborn-Gruppe her kannte, einmal wieder zu sehen und sprechen zu können. Richtig ist, daß ich diesen erzählt habe, warum ich aus der Sturmschar ausgetreten bin. Es ist auch richtig, daß ich sie aufforderte, an dem Winterlagen der Sturmschar Süd/Baden teilzunehmen. Unrichtig ist, daß ich über den Aufbau bzw. Weiterführung des „Grauen Blocks“ in Franken gesprochen habe. Hierzu wäre ich nicht mehr berechtigt gewesen, weil ich, wie bereits erwähnt, mich von der Mitarbeit an der Herausgabe des „Grauen Blocks“ zurückgezogen habe. Der „Graue Block“ wird jetzt unter der Führung eines gew. Karl Becker, stud. theol. in Tübingen [1907-1986], herausgegeben.“ (zitiert nach Schäfer, S. 21 f.)

Tatsächlich wurde Leist am 5. Dezember 1934 gegen 24 Uhr auf Reichsgebiet, in der Wohnung des Reichsbahnsekretärs Johann Grebner in Würzburg, Gneisenaustraße 32, festgenommen und im Polizeigefängnis eingekerkert. Im Verhör vom 7. Dezember 1934 gab er an, dass er von 1927 bis 1933 der Quickborn-Gruppe in Elversberg angehört hatte. (vgl. Schäfer, S. 20)

Die acht in Würzburg verhafteten Jugendlichen wurden zwei Tage später wieder entlassen, da die Ermittler zur Ansicht gelangten, dass es sich um keine meldepflichtige Versammlung gehandelt habe.

Ein Sonderfall: Die Leipziger Gruppe "Die Gemeinschaft"

Ein weiteres Beispiel für die schwierige Standortbestimmung unter den neuen Bedingungen des Dritten Reiches isst die Gruppe „Die Gemeinschaft“, die der Oberschüler Werner Schütze (* 1914) und sein ehemaliger Mitschüler Willy Wolfram (* 1913) Ende 1934 in Leipzig gegründet hatten (Berichtet nach Lange, Alexander: Meuten, Broadway-Cliquen, Junge Garde: Leipziger Jugendgruppen im ..., 2010, S. 129ff.). Schütze war 1927 für anderthalb Jahre Mitglied des Nationalsozialistischen Schülerbundes in Leipzig gewesen, ehe er sich 1930 der dj 1.11 anschloss. Aufgrund Köbels zunehmender kommunistischer Tendenzen wechselte Schütze zur „Deutschen Jungentrucht“, wo er 1932 für einige Monate zum Kreisführer aufstieg. Aufgrund von Meinungsverschiedenheiten mit dem Jungentrucht-Gauführer Karl Daniel schied Schütze aus diesem Bund jedoch wieder aus, blieb in der Folgezeit zunächst ohne Anschluss und lebte sehr zurückgezogen. Nach eigenen Angaben habe er sich in dieser Zeit mit der Bibel, aber auch mit Werken von Nietzsche beschäftigt (Lange, a.a.O., unter Verweis auf StAL PP-S 4040 Bl. 5ff., Gestapo-Verhör von W. Schütze am 14. Januar 1935). Wolfram war dagegen Ende der 20er Jahre kurzzeitig beim Kolonialbund Deutscher Pfadfinder gewesen, im März 1934 für einige Monate dem Marinesturm der SA beigetreten (ebd., unter Verweis auf StAL PP-S 4040 Bl. 230, Gestapo-Verhör von W. Wolfram am 17. Januar 1935). Ihr erstes gemeinsames Gespräch vom 1. Dezember 1934 über alternative gemeinschaftliche Lebensformen stenographierten und vervielfältigten Schütze und Wolfram unter dem Titel „Sendung Nr. 1“, welche sie unter ihnen bekannten Bündischen verteilten. Das „Heim“ der Gruppe wurde im Wohnort von Schütze, in Wiederitzsch eingerichtet.

Im Verteilerkreis befand sich unter anderem der Oberschüler und früheren Quickborner Helmut „Helm“ Kupsch (* 1919), der Schütze schon vor 1933 kannte. Kupsch gab in seinem Verhör an, dass sie sich bei der Quickborn-Jungenschaft kennengelernt hatten, was Schütze allerdings nicht erwähnte. Allerdings gab es in den katholischen Gemeinden Leipzigs mindestens zwei „Quickborn-Jungenschaften" (Lange, a.a.O., S. ???). Kupsch gehörte im September 1933 kurzzeitig der Hitlerjugend an (ebd., unter Verweis auf StAL PP-S 4040, Bl. 14, Gestapo-Verhör von H. Kupsch am 15. Januar 1935). Ende 1933 habe er von Schütze auch mehrere Schriften der dj 1.11 bekommen. Im April 1934 trat Kupsch dann aber zunächst dem Jungvolk bei, wo er Leiter der Propagandaabteilung im Stadtteil Nord-Gohlis wurde. Im Herbst 1934 besuchte Kupsch Doerwaldt in Hamburg, der dort eine an der dj 1.11. orientierte Gruppe „Rotgraue Garnison III“ leitete, worauf Kupsch plante auch in Leipzig eine dj 1.11-Gruppe aufzubauen. Mitte Dezember bzw. Weihnachten 1934 trat der fünfzehnjährige Kupsch dann aber der „Gemeinschaft“ bei. Er sollte allerdings noch im Jungvolk bleiben, dort eine Gruppe und diese später in die „Gemeinschaft“ überführen (Lange, a.a.O., unter Verweis auf ebd., Bl. 15, Gestapo-Verhör von H. Kupsch am 15. Januar 1935). Bereits am Neujahrstag fuhr Kupsch nach Schweden, um sich dort mit einem emigrierten bündischen Leipziger zu treffen.

Allerdings wurde zu diesem Zeitpunkt, also Anfang Januar 1935, die neue Gruppe bereits der HJ-Führung in Leipzig bekannt, denn der Obergebietsführer Frank entließ Kupsch aus dem DJ und ließ ihn am Abend des 11. Januar festnehmen. Werner Schütze wurde weniger Tage später verhaftet und saß seit Mitte Februar im KZ Sachsenburg in „Schutzhaft“ (Lange, a.a.O., unter Verweis auf StAL PP-S 4040 Bl. 28, Gestapo-Bericht vom 18. Januar 1935). Gegen eine vorzeitige Aufhebung der Schutzhaft erhob der Lagerkommandant des KZ Sachsenburg Einspruch, da Schütze sich nicht in seinem Sinne geführt hatte und Mitte April sogar mit fünf Tagen „strengen Arrest“ bestraft wurde. Erst ein Jahr später, am 8. Januar 1936 wurde Schütze aus dem KZ entlassen. Über seinen weiteren Lebensweg ist nichts bekannt (Lange, a.a.O., S. 432).

Für Helmut Kupsch endete die erste Verhaftung mit „nur“ sechs Tagen Verwahrungshaft. Er wurde Mitte Januar 1935 wieder entlassen. Nach der Verhaftung wurde er erneut aktiv, unter anderem fanden die Staatsorgane in einer von ihm aus Leipzig abgeschickten Postsendung, mehrere Publikationen, darunter zwei Ausgaben "Tyrker" 7 und 8/1930. zwei Ausgaben "Pläne", Nr. 4 und 5 von 1932, und drei Ausgaben "Lagerfeuer" 14, 16 und 17/1932. Außerdem hatte er sich postlagernd Briefe unter „AHKK“ zusenden lassen. Da sich dies als Deckkürzel für „Albert Helmut Kupsch Kommunist“ herausstellte, wurde die Angelegenheit als "hochverräterisches Unternehmen, die Verfassung des Reiches gewaltsam zu ändern", an den Oberreichsanwalt beim Volksgerichtshof in Berlin abgegeben. Dieser forderte beim Gestapa eine Stellungnahme zum Bund dj. 1.11 an. Ein erster Bericht ging, unterzeichnet von Reinhard Heydrich, seinerzeit Leiter des Gestapa, am 23. Mai 1935 an den Oberreichsanwalt ab. Es war unausbleiblich, daß tusk als Führer des Bundes dj.1.11 und nun auch als Kommunist ins Spiel kam (Fritz Schmidt: Ein Mann zwischen zwei Welten: Eberhard Koebels politische ..., 1997, S. 67; Lange, a.a.O., unter Verweis auf StAL PP-S 1400, Bl. 28, Gestapo-Verhörprotokoll). Da zu dieser Zeit in Leipzig bereits beim russischen Ostergottesdienst 1935 eine dj. 1.11 orientierte Gruppe um Horst Vanja von der Polizei gesprengt worden war, wurde Helmut Kupsch am 29. Mai erneut verhaftet, am 29. Juni auch Karl Daniel und Gerhard Mehnert (Schmidt, Fritz: Ein Mann zwischen zwei Welten: Eberhard Koebels politische ..., 1997, S. ???).

Skilager 1934/35

Zur Jahreswende 1934/35 folgt ein Skilager des „Grauen Ordens“ am Turner/Schwarzwald. Willy Graf war gegen Ende 1934 bereits so stark in die Gruppe um Leist involviert, dass auf seine Vermittlung hin das Saarbrücker ND-Mitglied Heinz Ernst an diesem Skilager der Freiburger Gruppe (bereits „Grauer Orden“!) teilnahm. Unklar bleibt, ob auch Graf selbst teilgenommen hat.

1. März 1935 Rückkehr des Saargebiets in das Deutsche Reich

Willi Graf gehörte zu den „etwa zwölf“ von „etwa eintausend Schülern des Ludwigsgymnasiums“, die nicht HJ-Mitglieder waren. (a.a.O., S. 56)

Ostern 1935 auf Burg Rothenfels

Der „Graue Orden“ fühlte sich in der Folgezeit kirchlich, theologisch und liturgisch weiter stark dem Quickborn und Romano Guardini verbunden, nahm auch an den Tagungen auf Burg Rothenfels teil. So ist es Fritz Leist, der sich an den Karfreitag der Ostertagung 1935 [Karfreitag, 19. April 1935] erinnert: „Es muß am Karfreitag des Jahres 1935 gewesen sein, dass Guardini eine Betrachtung hielt, in der er den Satz formulierte: `Die letzte Auseinandersetzung des Christentums wird mit Buddha sein.´ Während mit Recht alle bedrängt und bedrückt waren durch das Tagesgeschehen, verweist er auf einen weiten Weg, auf die Begegnung zwischen Jesus und Buddha, auf die Heimholung buddhistischer Frömmigkeit und Weisheit in die Heimat des Christentums.“ (Fritz Leist: Können wir noch Christen sein? Professor Romano Guardini erhält den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels, in: ??? Nr. 230, S. 8)

Auch zu dieser Ostertagung ab 14. April gab es 620 Teilnehmer. Ernst Müller erinnert sich, dass an diesem Ostern so etwas wie der von Leist beschriebene „Auszug aus Burg Rothenfels“ stattgefunden habe, als man das eigene Lager nach zwei Tagen in einen großen Bauernhof ins Badische verlegt hatte. Da die Burg nicht für sämtliche Teilnehmer ausreichend Platz bot, wurden die Jungenschaftler „ausquartiert“. Man habe sich in einem Zeltlager unten am Main aufgehalten und ging zur Burg hoch.“ Dies führte dann wohl zum Abbruch des Zeltlagers und den Umzug ins Badische (so nach Schäfer, a.a.O., S. 31 f.).

Guardini sprach über „Der Mensch und sein Gott“ sowie in der Osternacht seine Ansprache „Heilige Nacht“. Winterswyl hielt seine Vorträge zum Thema „Heldentum und Opfer Christi“, Kahlefeld zur „Verwirklichung der Botschaft Christi. Zum ersten Mal wurde die Auferstehungsfeier in der Nacht von Karsamstag zu Ostern gefeiert.

Während also Fritz Leist an Ostern 1935 auf Burg Rothenfels miterlebt, wie erstmals die Auferstehungsfeier als „Heilige Nacht“ gefeiert wurde, konnte ein für 1935 geplanter Aufenthalt Willi Grafs auf Burg Rothenfels nicht realisiert werden, weil man (als ins Reich zurückgekehrter Saarländer) vorab eine Genehmigung einholen hätte müssen, was aber äußert unangenehme Befragungen zur Folge gehabt hätte (Brief an Hans Eckert, vom 10.11.1935, in: Willi Grafs Jugend, S. 19).

Italienfahrt mit Willi Graf (Sommer 1935)

Willi Graf nahm nachweislich an der Italienfahrt des Grauen Ordens im Sommer 1935 – nach Italien und Sardinien teil, wo er sich übrigens mit Malaria infizierte. Bei dieser Fahrt traf Graf wohl erstmals mit Schmich zusammen und wurde wohl während dieser Fahrt von Fritz Leist in den „Orden“ eingeführt bzw. „gekeilt“. Den Namen „Nurmi“ - nach dem finnischen Läufer und Olympiateilnehmer Paavo Nurmi - hat er dabei von einer früheren Benennung her beibehalten. Laut Schäfer wurde Willi Graf aber erst 1936 von Fritz Leist „gekeilt“ (Franz Josef Schäfer, Willi Graf und der Graue Orden. Jugendliche zwischen Kreuz und Hakenkreuz. Röhrig Universitätsverlag, St. Ingbert 2017, S. 67).

Erste Begegnung zwischen Willi Graf und August Sahm (1935)

1935 hatte Willi Graf auch August Sahm (1919-1997), vermittelt durch Fritz Leist, kennengelernt. Sahm kam ebenfalls aus dem Bund Neudeutschland (Mitglied seit 1928) und begann nach dem Abitur (1937???) Philosophie, Psychologie und vergleichende Religionswissenschaften zu studieren, vom September 1939 bis November 1942 an der Front, dann zum Weiterstudium in München beurlaubt.

Freundschaft mit Karl Bisa (1935)

Wohl schon seit 1935 ist Graf mit Karl Bisa (1917-2003) befreundet. Bisa studiert in Bonn Medizin. In Bisas Wohnung finden auch Dichterlesungen statt, so 1938 mit Michael Brink. „Kabi“ gehörte zunächst zum Quickborn, dann zu Neudeutschland, schließlich der Sturmschar und dann dem „Grauen Orden“ an. Als Angehörige des Bonner DRK fuhren beide gemeinsam getarnt durch die Rote-Kreuz-Uniform zu illegalen bündischen Treffs. Er war von 1939 an in der Wehrmacht, allerdings zwischendurch zum Weiterstudium beurlaubt. Zwischen dem 16. und dem 22. November 1942 trifft Graf sich in Bonn häufig mit Bisa. Bei seinem letzten Bonn-Aufenthalt im Januar 1943 übernachtet er bei ihm. Graf gibt bei Vernehmungen an, er habe Karl Bisa (Karbi/Kabi) erst auf dem Breuberg kennengelernt (vgl. Schäfer, S. 80).

Hans Böhler geht von Freiburg nach Ulm (Herbst 1935)

Im Herbst 1935 zieht Hans Böhler, in Freiburg Mitglied des „Grauen Ordens“, nach Ulm um und nimmt Kontakt mit Hans Scholl auf, dessen Gruppe in der Tradition der d.j.1.11 bekannt war. Böhler beteiligt sich dort an der „Schwedenfahrt“ der dj. 1.11.-Gruppe von Scholl (vgl. Robert M. Zoske: Flamme sein!: Hans Scholl und die Weiße Rose, 2021, S. 63 ff., und ders., Hans Scholl und Sophie Scholl zwischen Hitlerjugend und dj.1.11, Anhang S. 53-57). Demnach waren die Teilnehmer dieser Fahrt [neben Hans Böhler und Hans Scholl]: Udo Stengele, Rolf Futterknecht, Karl Haug, Hermann Heisch, Manfred Schmidt, Werner Scholl, Achim Jacobi und Alfred Reichle (vgl. dazu Vernehmung Hans Scholl, 21. Dezember 1937 (IfZ 12.2., Band 164), Tagebuch der Schwedenfahrt/ Nordlandfahrt «die jungenschaft» (IfZ 1.2., Band 2) und „Schwedenfahrt 1936“, in: Michael Fritz (Hg.): Die Ulmer «Trabanten», Anmerkung 3–9, S. 21).

Winterlager in Himmerod (Eifel) (Winter 1935/36)

Am Winterlager 1935/36 in Himmerod nahm auch Willi Graf teil.

Verbot der Deutschmeister-Jungenschaft (Februar 1936)

Am 4. Februar 1936 wurde die Deutschmeister-Jungenschaft zusammen mit allen Gruppen und Vereinen der Bündischen verboten. Neben der Deutschmeister-Jungenschaft wurden im Dekret explizit genannt: Großdeutscher Jugendbund, Deutscher Pfadfinderbund, die Deutsche Jungenschaft vom 1.11., die Trucht, die Deutsche Freischar, der Stromkreis, der Nerother Wandervogel, der Verein für Erhaltung der Rheinischen Jugendburg und das Grauen Korps. Die in der Sekundärliteratur zu findende Identifikation des „Grauem Orden“ mit dem im Verbot ausdrücklich genannten „Grauen Korps“ ist falsch.

Ostern 1936 in St. Peter im Schwarzwald

Auch an diesem Lager in St. Peter nahm Willi Graf teil.

Pfingsten 1936 in Haslach im Kinzigtal

Nämliches gilt für das Pfingstlager 1936 in Haslach im Kinzigtal/Schwarzwald, an dem Willi Graf ebenfalls teilnimmt.

Balkanfahrt im Sommer 1936

Willi Graf beteiligt sich im Sommer 1936 auch an der Balkanfahrt (Montenegro). Von dieser Fahrt existiert eine Fotografie (Aus: Briefe und Aufzeichnungen, 1994, S. 73) auf der alle Teilnehmer zu sehen sind - von links nach rechts: Ernst Müller, Heinz Ernst, Fritz Leist, Günther Schmich, Willi Frank, Helmut Braun, Willi Graf, Hans Eckert, Sepp Frey.

Verlagerung des Schwerpunkts des "Grauen Ordens" von Freiburg nach München (Wintersemester 1936/37)

1936 verlagert sich der örtliche Schwerpunkt des „Grauen Ordens“ bekanntlich von Freiburg nach München hin. Denn Fritz Leist nahm – zum Wintersemester 1936/37 sein Studium der Theologie und Philosophie und Tiefenpsychologie dort wieder auf, unter anderen bei Professor Kurt Huber.

Dort trifft er erstmals auf Hermann Krings (https://studylibde.com/doc/6232435/hermann-krings-interview-hermann-krings-die). Krings, selbst aus dem Bund Neudeutschland, hatte schon in Bonn bei von Fritz-Joachim Rintelen studierte, wollte bei ihm auch promovieren und ging daher mit diesem 1936 nach München. Krings berichtet darüber später: "Hier traf ich eine Gruppe, die sich aus ehemaligen Quickbornern und ehemaligen Mitgliedern des Bundes Neudeutschland zusammensetzte. Der Wortführer in dieser Gruppe war Fritz Leist. Im Wintersemester 1936/37 haben wir uns kennen gelernt. Wir saßen im Bibliotheksraum des Philosophischen Seminars I, ich hinter einem Packen mit Thomas-Bänden, er hinter einem Packen von Thomas-Bänden, die wir austauschten. Auf diese Weise lernten wir uns kennen.“ (Wolfhart Henckmann u.a.: Die Philosophie zwischen Anpassung und Selbstbehauptung. Gespräch mit Prof. Hermann Krings, in: Widerspruch. Münchner Zeitschrift für Philosophie, Nr. 13, 1987, S. 28-34, hier S. 28)

So entstand der Kreis um Leist und Krings, der sich später in Krings Wohnung in der Siegfriedstraße 18/III li. trifft. Vermieterin war eine Frau Hechtl (oder Höchtel). Seither habe man – so Hermann Krings – dort zahlreiche Arbeiten von Guardini gemeinsam durchgearbeitet (Diese und andere Einzelheiten: Mitteilung von Prof. Hermann Krings 11.11.1994 an Berthold Gerner). 1938 zog Fritz Leist zu Hermann Krings in die Siegfriedstraße.

Zum Freundeskreis von Hermann Krings in der Siegfriedstraße gehörte wohl schon seit 1936 der Medizinstudent Walter Kastner aus der Münchener ND-Gruppe. Er wurde dann 1938 Mitstudent von Willi Graf in Bonn. Kastner „war zeitweise Klassenkamerad von Alexander Schmorell, gehörte der Studentenkompanie an, lernte durch Willi Graf die Geschwister Scholl kennen und nahm an einer Zusammenkunft im Eickemeyerschen Atelier teil.“ (Knoop-Graf/Jens, 1994, S. 292)

Während Graf die Freiburger Gruppe des Grauen Ordens einige Male besucht hatte, ist dies für München zunächst nicht der Fall.

Silvester- und Neujahrstreffen 1936/37 des Grauen Ordens auf Burg Breuberg/Odenwald mit Willi Graf

Die Burg Breuberg im Odenwald gehörte zu den beim Bund Neudeutschland beliebten zum Deutschen Jugendherbergswerk gehörigen Burgen.

An diesem Treffen nahm auch Hansjörg Oeschger teil, den Graf hier zum letzten Mal traf (Heiko Haumann/Hans Schadek: Geschichte der Stadt Freiburg im Breisgau, 1992, S. 343). Aufgrund seiner Teilnahme wurde Oeschger 1937/38 ebenfalls verhaftet, mehrfach verhört und schließlich noch 1938 aus dem Staatsdienst als Forstassessor entfernt. Weiter unter Gestapo-Überwachung entzog er sich zu Kriegsbeginn einer befürchteten Liquidierung in einem Konzentrationslager durch die – von Wohlgesonnenen organisierte – sofortige, vorzeitige Einberufung zur Wehrmacht (vgl. Binkowski, S. 145).

Auf Burg Breuberg fand die erste Begegnung von Willi Graf mit Hermann Krings statt (Krings, Die Philosophie zwischen Anpassung und Selbstbehauptung (Interview), in: Widerspruch Nr. 13 Philosophie im deutschen Faschismus (1987), S. 28-34).

Dort lernte Graf aber auch jene Persönlichkeit kennen, von der es in der Graf-Tradition heißt, er habe ihn schon in den dreißiger Jahren auf die Schriften Theodor Haeckers aufmerksam gemacht (laut Hildegard Vieregg, allerdings ohne Quellenangabe). Die Rede ist von Aloys Goergen (1911-2005). Tatsächlich gehörte Goergen während seiner Münchner Studienzeit zum Haecker-Kreis. Krings spricht später davon, Goergen sei damals der „spiritus rector spiritueller Art“ der ganzen Gruppe gewesen. Das hat damit zu tun, dass Goergen bereits 1936 in Salzburg zum Priester geweiht wurde und so zu diesem Zeitpunkt der einzige Priester im Umfeld des „Grauen Ordens“ war. Denn Schmich, Tausig und Ludwig Mauer wurden erst später geweiht.

Der in Saarlouis-Freilautern geborene Goergen gehörte zunächst zur Sturmschar, hat Guardini seit 1926 intensiv gelesen und ab 1928 "Die Schildgenossen" bezogen. 1930 lernte er Guardini auf Burg Rothenfels kennen, hat ihm sogar ministriert. Nach seinem Abitur 1931 am Gymnasium am Stadtgarten in Saarlouis studierte er zunächst an den kirchlichen Hochschulen Trier (2 Semester) und Fulda (1 Semester) Philosophie studiert). Dann wechselte er zum Wintersemester 1932/33 nach München, wo er aufgrund von „Disziplinlosigkeit“ aber das Priesterseminar verlassen musste. Auch während des ganzen Studiums war Goergen von Guardini beeindruckt und beeinflusst, blieb aber bei der Sturmschar. Nach der Lektüre von heiligen Zeichen im Jahr 1932 und später nach dem Erlebnis der Osterfeiern auf Burg Rothenfels, wurde ihm der Weg zur Liturgiereform eröffnet, erinnert Goergen sich. Zu diesen Osterfeiern schreibt er: „Nichts in Deutschland war den drei Festtagen auf Rothenfels vergleichbar, die in der Osternacht ihren Höhepunkt hatten. Das in der Kultfeier den Sinnen zugängliche Mysterium, selbst in der rudimentären vorkonziliaren Form, öffnete sich der gläubigen Gemeinde. Hier gab es keine Zuschauer mehr, keinen Mönchschor und rundherum Gebildete mit dem Schott in der Hand. Hier leuchtete aus der leiblich-sinnlichen Einheit der Versammlung die Vision des neuen, kommenden Gottesvolkes auf. Wer nicht das große, von Felix Messerschmid eingeübte, im Rittersaal oder über die ganze Burg hinleuchtende Osterhalleluja gesungen hat, kann kaum ahnen, welch unwiderstehliche Kräfte von diesen Nächten aus sich über ganz Deutschland ausgebreitet haben, …“ [Goergen, Glaubensästhetik, hrsg. von A. Gerhards/ H. R. Schlette. Münster 2005, S. 18]. 1935 wurde er in München zum Dr. phil. promoviert mit der Arbeit „Kardinal Cajetans Lehre von der Analogie; ihr Verhältnis zu Thomas von Aquin“. Darin dankt er ausdrücklich auch einem seiner Münchner Lehrer, Kurt Huber. In München gehörte Goergen zum Kreis um Theodor Haecker. 1936 wurde Goergen in Salzburg zum Priester geweiht, hat dann dort und in Wien weiter Theologie, dazu aber auch Kunstgeschichte und Paläographie studiert. All diese Erfahrungen hat Goergen sicher auch in die liturgischen Feiern bei dem Breuberger Treffen 1936/37 einfließen lassen, da ja jede Eucharistiefeier bekanntlich eine Auferstehungsfeier ist.

Von diesem „Winterlager“ wird 1937/38 bekannt, dass auch dort bündische Lieder als Ausdruck des herrschenden Brauchtums gesungen wurden, vor allem Fahrtenlieder und darunter auch solche mit russischem Einschlag. So heißt es in der Anklageschrift vom 21.4.1934: „Ernst hat angegeben, daß auf dem Lager auf dem Breuberg Fahrtenlieder u.a. auch solche mit russischem Einklang gesungen wurden. [ ... ] Diese Lieder wurden von einem Karl Bisa (genannt Kabi) auf einer Balalaika begleitet.“ Damit sind zwei weitere sichere Teilnehmer des Treffens auf dem Breuberg identifiziert: Karl Bisa und Heinz Ernst.

Ernst Redens Bezug zum „Grauen Orden“

Dass die Gestapo und die Polizei deshalb eine Verbindung zwischen Grauen Orden und Hans Scholl vermutete, ist mittlerweile durch Fritz Schmidt belegt, der neben Hans Böhler und Bruno Tausig auch auf Ernst Reden verweist: „Inwieweit bei der Aufdeckung des Kreises um Fritz Leist, Günther Schmich und Kaplan Bruno Tausig, dem Willi Graf angehörte, die Postüberwachung von Ernst Reden eine Rolle gespielt hat, ist aus den mir vorliegenden Akten nur andeutungsweise ersichtlich. Aktenkundig im Zusammenhang mit der Postüberwachung E. Redens ist eine Einladung F. Leists zum Winterlager an Hans B. (s. Kap. III, Anm. 89) vom 19.12.1936 sowie ein Vermerk vom 16.11.1937, daß nach dem bisherigen Ermittlungsstand zwischen der illegalen dj. 1.11 und der Quickborn-Jungenschaft (so die damalige Bezeichnung) in den Städten Ulm, Freiburg i. Br. und Saarbrücken Verbindungen bestünden. Die Gerichtsverhandlungen fanden allerdings getrennt und je ohne konkreten Hinweis auf die angeführten Gruppierungen statt.“ (Fritz Schmidt, Ein Mann zwischen zwei Welten: Eberhard Koebels politische …, 1997, S. 118; siehe auch S. 100 unter Verweis auf ders.: Schriften zu tusk (Hg.): tusk ‒ Versuche über Eberhard Koebel. O. O. 1994. Der „politische“ Eberhard Koebel. Illegale dj. 1.11 und Deutsche Jungenschaft, in (Hg.): tusk – Versuche über Eberhard Koebel, S. 83‒119).

Bruno Tausigs Bezug zu Böhler und Scholl

Bruno Tausig (1912-1979) stammte aus einer jüdischen Kaufmannsfamilie in Mannheim, als Jugendlicher mit Taufe am 8. März 1932 zum katholischen Glauben konvertiert, zugleich führend in der katholischen Jugendbewegung des Katholischen Jungmännerverbandes. In den 1930er Jahren Mitarbeiter an der katholischen Jugendzeitschriften „St. Georg“, „Michael“, verantwortlich für die „Blätter für die Schule“.

Faktisch steht Scholls erste Verhaftung im November/Dezember 1937 also nicht nur im Zusammenhang mit Zwiauer, seiner Gründung der Ulmer dj-Gruppe "Trabanten" und der von ihm geführten Lappland-Fahrt im Sommer 1936, sondern auch mit Beziehungen zur katholischen Quickborn-Jungenschaft "Grauer Orden" (vgl. Eckhard Holler, Hans Scholl und die Ulmer `Trabanten´, in: Ulrich Herrmann (Hrsg.): Vom HJ-Führer zur Weißen Rose. Hans Scholl vor dem Stuttgarter Sondergericht 1937/38, Weinheim/Basel 2012, S. 38-67).

Tausig, der zuletzt als Geistlicher in Mannheim gewirkt hatte, war als konvertierter Jude und Kaplan nach der „Reichskristallnacht“ ins KZ Dachau verschleppt worden. Max Oppenheimer hatte ihn dort kennengelernt. Oppenheimer wusste, dass Tausig in London lebte und hatte bei der Vorbereitung der Weltjugendkonferenz über die katholische Jugend in London seine Adresse herausgefunden. Tausig wiederum wusste, dass tusk („von der dj.1.11., ein wichtiger Mann“) in London war, und empfahl Oppenheimer, tusk einzubeziehen, um den Eindruck der „Linkslastigkeit“ der deutschen Delegation zu begegnen (Eckhard Holler: Auf der Suche nach der Blauen Blume, 2020, S. 239). Später gibt Kaplan Bruno Tausig – gegenüber Koebel an – auch Hans Scholl in Ulm gut gekannt zu haben, was dieser missversteht und Hans Scholl dem katholischen „Grauen Orden“ zuordnet (vgl. Koebel in Zeitschrift „Tribüne“): „Der zweite, von dem hier gesprochen werden soll, Hans Scholl, gehörte der katholischen Jungenschaft an. Sein Freund Kaplan Bruno Tausig schrieb mir vor einiger Zeit hier in London: „Scholl I knew extremely well, stayed with him in Ulm, belonged to our so-called Grauer Orden.´“ (zitiert nach Knoll: Jugendbewegung: Phänomene, Eindrücke, Prägungen Ein Essay, 2013, S. 136). Der von Tausig genannte "Hans in Ulm" war aber nicht, wie tusk verstand, "Hans Scholl", sondern wohl Hans Böhler.

Zusammenfassende Beschreibungen der Aktivitäten

Aus dem Begleittext zum Film von Michael Verhoeven und Mario Krebs erfahren wir: „Die Fahrten, die sie unternahmen, glichen oft theologischen Seminaren, bei denen sie Neuerungen der Liturgie ausprobierten und sich gegenseitig Schriften von Romano Guardini und Psalmenübersetzungen von Martin Buber vorlasen.“ [Vgl. Verhoeven, Michael/Krebs, Mario: Die Weiße Rose. Der Widerstand Münchener Studenten gegen Hitler, Informationen zum Film, Frankfurt am Main 1982, S. 49 f.]

Die Verhaftungswelle und das Ende des “Grauen Ordens” (1937/38)

Das noch normale Lager- und Fahrtenleben 1937

Zu Ostern 1937 fand noch das Lager in Königshofen im Taunus statt, an dem auch Willi Graf teilnahm. In Königshofen lag auch damals schon das diözesane „Jugendhaus St. Michael“ (Limburg).

Auch das Pfingstlager 1937 in Kinzigtal bei Wolfach im Schwarzwald konnte noch wie gewohnt stattfinden, aber wohl ohne Graf (???).

Stattdessen berichtet der Lebenslauf in Knoop/Jens von einem weiteren (???) Lager in Königshofen/Taunus während eines Urlaubs beim Reichsarbeitsdienst vom April bis Oktober 1937 in Dillingen/Saar.

Aufgrund der größeren Gefahr, als bündische Fahrtengruppe entdeckt zu werden, fand die zweite Balkanfahrt im Sommer 1937 in zwei Gruppen, wohl ohne Willi Graf.

Anton Gerlach sollte für den Herbst 1937 noch innerhalb der Saarbrücker Gruppe ein Lager organisieren.

Vernehmungs- und Verhaftungswelle mit Domino-Effekt

Im November allerdings begann dann die große Vernehmungs- und Verhaftungswelle. Ausgangspunkt war Stuttgart mit Klaus Zwiauer: „Im November 1937 wurde der Staatspolizeileitstelle Berlin ein vertraulicher Hinweis über bündische Umtriebe in Stuttgart zugespielt, deren Initiator ein gewisser Dipl. Ing. Klaus Zwiauer sei. Aufgrund dieser Meldung wurde die Gestapo Stuttgart aktiv und deckte eine dj.1.11.-Nachfolgegruppe mit dem Namen „Rominshorte“ auf, die auf direkte Weisung Eberhard Koebels existierte.“ (vgl. Kißener, in: ders.,/Schäfers (Hrsg.) „Weitertragen“, 2001, S. 17). Klaus Zwiauer und Hans Seidel haben im August 1935 Koebel in seinem Londoner Exil besucht und gingen mit ihm auf Schottlandfahrt. Hans Seidel lernte dort seine spätere Frau Gabriele Schweitzer kennen. Wegen dieser Kontakte kam Seidel und seine Frau von 1.11.1937 bis Juli 1938 in Konzentrationslagern. Zwiauer war vom 8. November an in Untersuchungs-, anschließend in Schutzhaft und kam nach der Hauptverhandlung aufgrund der Amnestie frei.

Mit Zwiauer, so erfuhr die Gestapo bei den Verhören bald, stand Ernst Reden in Kontakt, der in Ulm Mitglied eines ähnlichen Kreises sei, den der Ulmer HJ-Führer Hans Scholl initiiert hatte. Scholl war damals bereits auf Distanz zum NS-Regime gegangen.

Wohl über seine Zugehörigkeit zur Scholl-Gruppe geriet auch Hans Böhler in die staatspolizeiliche Untersuchung und offenbarte in einem Verhör am 13. November 1937 – die näheren Umstände lassen die Akten nicht erkennen – seine Zugehörigkeit zu dem von Fritz Leist geführten »Grauen Orden«.

Laut Fritz Schmidt war aufgrund der Postüberwachung von Ernst Reden eine Einladung F. Leists zum Winterlager an Hans Böhler vom 19.12.1936 aktenkundig. Ein Gestapo-Vermerk vom 16.11.1937 belegt, daß diese zu diesem Zeitpunkt davon ausging, dass zwischen der illegalen dj. 1.11 und der Quickborn-Jungenschaft (so die damalige Bezeichnung) in den Städten Ulm, Freiburg i. Br. und Saarbrücken Verbindungen bestünden. Weitere Nachfragen ergaben erste Anhaltspunkte für die Fahrtentätigkeit der Leist-Gruppe und den daran beteiligten Personenkreis.“ „Auf Initiative des Leiters des SD-Oberabschnitts Südwest, SS-Untersturmführer Herrmann, der sich des Falles nun mit Eifer annahm, wurden zunächst Leist und Schmich am 10. Dezember 1937 festgenommen.

Während seiner Haftzeit über Weihnachten hat Leist nach eigenem Bekunden Guardinis „Der Herr“ gelesen.

Da Leist dem Bericht Hermanns zufolge bei seiner Vernehmung aussagte, „er und die Mitbeschuldigten hätten durch ihre Gemeinschaft das Erbgut der dj.1.11. in der katholischen Jugend lebendig machen wollen“, und weil an einem der Lager auch der Reichsführer der verbotenen Deutschmeister-Jungenschaft, Forstassessor Hansjörg Oeschger, teilgenommen hatte, wurden die geheimpolizeilichen Ermittlungen intensiviert.

Kurz nach dem 4. Januar 1938 begab sich Herrmann dann auch nach Saarbrücken, wo er die dortige Staatspolizeileitstelle zum Handeln drängte. Es dauerte dann allerdings nochmals fast drei Wochen, bis man Karl Schwarz (19. Januar 1938) und Willi Graf (22. Januar 1938) in Untersuchungshaft nahm.

„So kam bereits 1937, lange vor den Aktionen der „Weißen Rose“ und ohne dass den Beteiligten dies bewusst geworden wäre, eine Verbindung zwischen Hans Scholl und Willi Graf zustande!“ (Michael Kißener: Willi Graf. Von der Prägung eines widerständigen Katholiken (1933-1939), S. 17)

Neben den wohl nicht allzu tiefgehenden Beziehungen Hans Scholls über Freddy Gothmann und Ernst Reden zur Quickborn- bzw. Deutschmeisterjungenschaft oder über Hans Böhler zum "Grauen Orden", gibt es aber auch noch eine zweite frühe Verbindung zum Quickborn, nämlich die über Sophie Scholl ab 1937/38 zum Kreis um Otl Aicher. Diese ist aber nicht hier, sondern in einer eigenen Sammlung zu betrachten.

Ostern 1938 auf Burg Rothenfels

Josef Gülden berichtet über das Osterfest 1938 auf Burg Rothenfels: „1938 kamen zur Feier der Karwoche und des Osterfestes auf Burg Rothenfels auch manche neudeutsche Bundesbrüder. Ich selbst mußte in diesem Jahr meinen Mitbruder Heinrich Kahlefeld dabei vertreten. Von Leipzig aus, wo die Ostervigil schon seit 1932 wieder in der Osterfrühe (statt am Karsamstagmorgen) gefeiert wurde, hatte sich eine freiere Gestaltung der Ostervigil („Die Feier der Osternacht", erschienen bei Jakob Hegner, Leipzig) in vielen Gemeinden verbreitet. Einer unserer jungen Bundesbrüder, ein an Zuckerkrankheit früh gestorbener Medizinstudent, hatte sich mit einem Teilnehmer in Rothenfels befreundet und ihm alles erzählt, wie wir unsere Bundesarbeit (illegal) weitergeführt hatten. Der Mann war ein Spion. Dessen Bericht hat wohl zum Verbot des Älterenbundes beigetragen. Viele Akten sind mir bei mehreren Haussuchungen und Beschlagnahmungen durch Gestapo verloren gegangen.“ (Gülden, in: Rolf Eilers (Hrsg.): Löscht den Geist nicht aus: der Bund Neudeutschland im Dritten Reich: Erlebnisberichte, 1985, S. 89).

Anklage am 21. April 1938

Nach der Untersuchungshaft für Karl Schwarz (19.1. bis 6.2.) und Willi Graf (22.1. bis 5.2.) erfolgte am 21. April für Graf zusammen mit 17 anderen Jugendlichen wegen bündischer Umtriebe die Anklage.

Liste der Angeklagten (10 Saarbrücker, 6 Freiburger, 2 Metzer, 1 Mannheimer):

  1. der Student Fritz. L. [Leist], geb. 1913 in Rockershausen, Kreis Saarbrücken
  2. der Student Günther Sch. [Schmich], geb. 1913 in Mannheim
Freiburg
  1. der Blechnermeister Eugen F., geb. 1911 zu Freiburg i. Br.
  2. der Schüler Helmut Br. [Braun], geb. 1921 zu Freiburg i. Br.
  3. der Glaser Hans H., geb. 1918 zu Freiburg i. Br.
  4. der Schuhmacher Erich G., geb. 1916 zu Freiburg i. Br.
  5. der Lehrling Karl W., geb. 1921 zu Ebnet bei Freiburg i. Br.
  6. der Schüler Hans Bö. [Böhler], geb. 1922 zu Emmendingen [bei Freiburg i. Br.] - Ulm
Saarbrücken
  1. der Abiturient Karl Heinz Schw. [Schwarz], geb. 1919 zu Saarbrücken
  2. der Student Anton Ge. [Gerlach], geb. 1918 zu Saarbrücken
  3. der Schüler Willy Fr. [Frank], geb. 1920 zu Dudweiler, Kreis Saarbrücken
  4. der Handlungsgehilfe Rudolf We., geb. 1917 zu Elversberg, Kreis Osnabrück Saarbrücken
  5. der Student Hans E. [Eckert], geb. 1914 zu Landsweiler, Kreis Osnabrück Saarbrücken?
  6. der Student Günther Li., geb. 1916 zu Saarbrücken
  7. der Schüler Heinz Er. [Ernst], geb. 1920 zu Saarbrücken
  8. der Student Wilhelm G. [Graf], geboren am 2.1.1918 zu Kuchenheim – Saarbrücken – Bonn
Metz
  1. der Student Robert Bu., geb. 1917 zu Metz, 1929-1932 Mitglied des ND in Saarbrücken
  2. der Student Ernst M. [Müller], geb. 1913 zu Metz.
Einstellung der Verfahren wegen der Anschluss-Amnestie (Mai 1938)

Zu einer Verurteilung kam es jedoch nicht, da das Verfahren im Zuge einer von Adolf Hitler aus Anlass der Annexion Österreichs erlassenen Generalamnestie am 17. Mai 1938 eingestellt wurde.

Verurteilung von Josef Simons

Der am 24. November 1937 verhaftete Josef Simons wurde dagegen nicht amnestiert, sondern am 22. Juni 1938 vom Oberlandesgericht Breslau wegen „Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens“ zu einem Jahr Zuchthaus verurteilt, da er den Kontakt zwischen verbotenen bündischen und katholischen Jugendgruppen hergestellt habe. Dabei kam ihm zugute, dass der Caritasverband und Prälat Josef Martin Nathan ihm Dr. Jüttner aus Breslau zur Seite stellte, der persönlichen Einfluss bei zwei Herren des Strafsenats hatte. Nach seiner Haftentlassung hatte er weiterhin Kontakt zu den Mitgliedern des Grauen Ordens und auch zu Willi Graf.

Abermaliges Verbot der bündischen Jugend vom 20. Juli 1938

Am 20. Juli 1938 war das Verbot der bündischen Jugend schließlich durch eine Verordnung neu gefasst worden. Danach wurde die Fortführung der bündischen Jugend erneut untersagt. Namentlich wurden dort jetzt aufgeführt: die Quickborn-Jungenschaft, Deutschmeister-Jungenschaft und der „Graue Orden“ genannt. Weitere betroffene Gruppierungen waren: Deutsche Freischar, Freischar junge Nation, Großdeutscher Bund, Deutsche Jungenschaft vom 1.11., Deutsche Jugendtracht, Oesterreichisches Jungenkorps, Graues Korps, Nerother Bund, Bund für Errichtung der rheinischen Jugendburg, Reichsschaft deutscher Pfadfinder, Deutscher Pfadfinderbund, Oesterreichischer Pfadfinderbund, Christliche Pfadfinderschaft, Deutsche Pfadfinderschaft, St. Georg-Pfadfinderkorps, Stromkreis, Freischar Schill und Eidgenossen, Bündischer Selbstschutz, Navajo usw.

Lapidar hieß es: „Wer es unternimmt, den organisatorischen Zusammenhalt einer früheren bündischen Vereinigung aufrecht zu erhalten oder eine neue bündische Vereinigung zu bilden, insbesondere wer auf andere Personen durch Weitergeben von bündischen Schrifttums, Liederbüchern, u. dergl. in diesem Sinne einwirkt oder wer bündische Bestrebungen in anderer Weise unterstützt, wird ... bestraft“ (hier zitiert nach Hans-Christian Brandenburg: Die Geschichte der HJ, 1982, S. 316).

Wirkungen auf die Gruppe

Die Aussage „Unbeschadet durch die Erfahrung von Gestapo und NS-Sonderjustiz hielt Graf weiterhin Kontakt zu seinen Freunden im „Grauen Orden“ und nahm an Fahrten und Wanderungen teil.“ muss allerdings relativiert werden.

Die Untersuchungshaft und Anklage hatte auf Fritz Leist und die älteren Mitglieder, die zum Teil vor Studienabschlüssen standen oder Promotionen beabsichtigten, eine größere Wirkung als auf den erst zu Beginn seines Studiums stehenden Willi Graf, der zunächst bis 1939 nur noch sporadisch Kontakt zu Fritz Leist in München hatte.

Diese äußeren Ereignisse führten bei den Treffen in der Siegfriedstraße ab Sommer 1938 zu einer schwierigen Gruppendynamik, insgesamt aber zu einer größeren Vorsicht bei Fritz Leist und Hermann Krings. Diese saßen während der Vernehmungen und Haftzeiten nämlich an ihren Promotionsarbeiten bei Friedrich von Rintelen.

Krings wurde im Dezember 1938 bei Rintelen mit einer Dissertation über „Ordo. Philosophisch-historische Grundlegung einer abendländischen Idee“. Obwohl die Vorbereitung zum Druck sofort begann, erschien die Arbeit erst 1941. Krings war vom WS 1938/39 bis 1948 – unterbrochen vom Militärdienst - auf einer halben Stelle wissenschaftlicher Hilfskraft am verwaisten Philosophischen Seminar I, ab Sommer 1941 führte er allein die „Geschäfte“ (nur während einer Krankheitszeit übernahm dies im Sommersemester 1944 Kurt Schilling)

Ebenfalls 1938 wurde Leist mit einer Arbeit über „Die sensus interiores bei Thomas von Aquin“ promoviert, allerdings erst nachdem der Rektor Leopold Köbl nach Intervention des Doktorvaters Rintelen die Verweigerung der Zulassung zur Promotion durch Dekan Walther Wüst wegen staatsfeindlicher Tätigkeit aufhob. Der Tag der mündlichen Prüfung war aber schon der 6. Juli 1938. Die Arbeit wurde ebenfalls erst 1940 gedruckt. Allerdings konnte Leist anschließend nicht mehr habilitieren oder eine Assistentenstelle besetzen (vgl. Antrag auf Entschädigung vom 14. September 1954).

Krings erinnert sich, dass für ihn und Fritz Leist während der ersten Kriegsjahre Guardinis „Hölderlin-Buch ... eine wichtige Sache“ gewesen sei (Wolfhart Henckmann u.a.: Die Philosophie zwischen Anpassung und Selbstbehauptung. Gespräch mit Prof. Hermann Krings, in: Widerspruch. Münchner Zeitschrift für Philosophie, 1987, Nr. 13, S. 31).

Willi Grafs Studium in Bonn und sein Wechsel nach München (1937/38-1939/40)

Ab Wintersemester 1937/38 Medizinstudium in Bonn – Begegnungen mit Heinrich Lützeler (1902-1988)

„Nach einer halbjährigen Pflichtzeit im Reichsarbeitsdienst begann Willi Graf also mit dem Wintersemester 1937/38 sein Medizinstudium in Bonn.“ (Hildegard Vieregg/Hinrich Siefken: Resistance to National Socialism: Arbeiter, Christen, 1993, S. 41). Graf pflegte hier insbesondere freundschaftliche Kontakte mit Karl Bisa, Marita Herfeldt, Hein Jacobs und Walter Kastner. Mit seinem Bonner Freundeskreis hat er dabei bis zu seinem Wechsel nach München Lützelers Vorlesungen und Seminare besucht.

Der überzeugte Katholik Lützeler hatte als Student selbst Guardinis Vorlesungen als Privatdozent in Bonn gehört und wahr auch noch später von ihm beeinflusst (vgl. Heinrich Lützelers fröhliche Wissenschaft: in dieser Vorlesung darf gelacht werden, 1976, S. 21: „… spricht (Spr. 8, 30 f.): „Ich war bei ihm, alles ordnend und war in Entzücken Tag um Tag, spielend vor ihm allzeit, spielend auf dem Erdkreis.“ Guardini greift dieses Wort auf in seinen herrlichen Seiten über die „Liturgie als Spiel“, und er fährt fort: „Und das ist das Leben der höchsten Wesen, der Engel ...“

Lützeler war schon durch seine publizistischen und journalistischen Aktivitäten ab 1931 in Konflikt zum heraufkommenden Nationalsozialismus in Konflikt geraten, da er sich in seinen Artikeln vehement gegen die rassische Geschichtsdeutung des nationalsozialistischen Chefideologen Alfred Rosenberg positionierte (vgl. Frank-Lothar Kroll: Intellektueller Widerstand im Dritten Reich, in: ders./Rüdiger von Voss (Hrsg.): Schriftsteller und Widerstand: Facetten und Probleme der Emigration, 2012, S. 34).

1940 wurde er von der nationalsozialistischen Obrigkeit mit einem Lehrverbot belegt. Seinen Abschiedsvortrag [Februar 1940] an der Universität Bonn mit dem Titel Vom Beruf des Hochschullehrers wurde von Studenten und Freunden unter der Hand gedruckt und weit über das Umfeld Bonns und der Universitäten hinaus bekannt, auch über Willi Graf bei seine Freunden im Saarland und in München. Graf freut sich über diese mutige Abschiedsrede (vgl. Hildegard Vieregg/Hinrich Siefken: Resistance to National Socialism: Arbeiter, Christen, 1993, S. 41).

1942 erhielt Lützeler auch noch Schreib- und Sprechverbot für das gesamte Großdeutsche Reich und stand teilweise unter Beobachtung.

Ostpreußenfahrt von Willi Graf und Otto Vieth (Sommer 1938)

In diesem Sommer 1938 – also nach Verhaftung und dem Untersuchungsgefängnis – geht Willi Graf mit seinem Freund Otto Vieth, ebenfalls zum „Grauen Orden“ gehörig, auf eine mehrwöchige Trampfahrt nach Ostpreußen.

1938 zeichnet Otto Vieth gemeinsam mit Georg Thurmair für den „Jungenkalender 1939“ verantwortlich. Georg Thurmaier ist zu dieser Zeit Lektor des Christopherus-Verlages in München. Auch seine Mutter lebt dort. Er wird 1940 als Soldat eingezogen.

„Privatsekretär“ von Vieth war 1938 wiederum der Leiter der Mönchengladbacher Ordensgruppe Josef Rommerskirchen, 1934 Volontär und später Autor bei der „Jungen Front“ und 1935-1937 „Schriftleiter i.A:“ im Jugendhaus Verlag; während dieser Zeit Mitglied des "Grauen Ordens".

Ebenfalls mit 1938 wird ein gemeinsames Foto von Graf, Vieth und Josef Rommerskirchen datiert.

Priesterweihe von Günther Schmich

Ebenfalls noch 1938 wurde Günther Schmich in Trier (wohl aber für die Diözese Speyer) zum Priester geweiht, wirkte kurzzeitig als Hilfspriester in Königsbach (Diözese Speyer), war bis Ende des Kriegs dort in der Finanzverwaltung tätig, nach 1945 schließlich als Religionslehrer in Ludwigshafen.

Begegnung zwischen Willi Graf und Michael Brink

1938 war Willi Graf mit Michael Brink zusammengetroffen, anlässlich einer Dichterlesung in der Wohnung von Karl Bisa.

Goergen als Sekretär Guardinis

1938 wechselte er nach Berlin und war dort kurzzeitig (ein Jahr lang) Sekretär Romano Guardinis. Anschließend ging er nach Wien, wo er 1940 bei Michael Pfliegler zum Dr. theol. promovierte. In Wien wirkte er außerdem als Kaplan an der privaten Neulandschule, wo sich eine Jugendgruppe um den Widerständler Friedrich Hansen-Löve gebildet hatte. Der Bund Neuland war das österreichische Pendant zum Quickborn. Noch 1940 wurde Goergen eingezogen. 1944 wurde er durch ein Kriegsgericht an der Ostfront wegen Wehrkraftzersetzung verurteilt, entzog sich aber durch eine Flucht nach Wien, wo er erneut Kontakt zum Widerstand aufnahm.

Willi Grafs Entfremdung von der Siegfriedstraße

Die „schwierige Gruppendynamik“ innerhalb der Siegfriedstraße führt natürlich erst recht zu Unklarheiten im Blick auf die „räumlich“ Entfernten, die sich wie Willi Graf auch innerlich „entfernt“ wahrnehmen.

Dem entgegenzuwirken, lädt Fritz Leist im Dezember 1938 Willy Graf wohl nach München ein. Diese Einladung lehnt Graf am 8. Dezember 1938 in einem, seine innere Not bezüglich seiner Zugehörigkeit zum Ausdruck bringenden Brief letztlich ab: „Ich kann mich jedenfalls der Ahnung nicht erwehren, daß wir uns vorläufig keinen gründlichen und in vielen Dingen tiefschürfenden Brief schreiben können, ehe wir uns nicht gründlich wiederkennen gelernt haben“ (zitiert nach Sönke Zankel: Mit Flugblättern gegen Hitler. Der Widerstandskreis um Hans Scholl, 2008, S. 134; nach Peter Goergen: Willi Graf - ein Weg in den Widerstand, 2009, S. 64, der dort wohl irrtümlich mit 12. Dezember datiert; außerdem nach: Willi Grafs Jugend, a.a.O., S. 35). Ein gründliches „Wiederkennenlernen“ erschien Graf in Briefen und kurzen Treffen wohl als Unmöglichkeit.

Letztlich fuhr Graf, wie im Brief als Plan vorgestellt wohl zu einem Wintertreffen von Saarbrücker und Freiburger Freunden aus dem „Grauen Orden“ in einer Skihütte im Schwarzwald, organisiert von Hans Eckert, zusammen mit Willi [Frank] (* 1920), Ali [Alois Mauer] (1920-1943, gefallen, G.O. seit 1935) und Helmut [Braun] (* 1921]. Hans Eckert war seit 1. Oktober Vater eines Sohnes gleichen Vornamens (1938-2012).

Der Kreis von der Siegfriedstraße kann sicher nicht als Fortsetzung des „Grauen Ordens“ oder gar als konspirativer "geheimer Treffpunkt des Freundeskreises" des "Grauen Ordens" verstanden werden. Hier ist Zankel (a.a.O., 2008, S. 134) gegenüber Tatjana Blaha (Willi Graf, a.a.O., S. 49) recht zu geben. Dennoch scheint es zu einer gewissen Isolierung des Gruppenrestes des „Grauen Ordens“ gekommen zu sein, wodurch sich Graf als Fremdkörper empfand. Die personelle und religiöse Kontinuität zum „Grauen Orden“ fand keine Entsprechung im Selbstverständnis der Mitglieder.

So spricht auch Emil Martin rückblickend davon: „Das Wort 'Grauer Orden' habe ich in der Siegfriedstraße nur ganz selten gehört und wenn, dann nur so, wie man von Jugendsünden' spricht. [...] Der Graue Orden war wie gesagt, unter uns kein Thema. Die Leute, die kamen, waren einfach Freunde von Fritz und Hermann. In der Regel mehr von Fritz. […] Die Siegfriedstraße war die Anlaufadresse für alle Freunde, die zum Studium nach München kamen oder in ihrem Urlaub Kontakt suchten. Eine „konspirative Adresse“ im heutigen Sinne war die Siegfriedstraße nicht, da dort keinerlei politische Unternehmungen geplant wurden“ (Anlage zum Brief von Emil Martin an Anneliese Knoop-Graf, 17. Oktober 1984, Nachlass Emil Martin, zitiert nach Zankel, a.a.O., 2008, S. 134). Als vormaliger Leiter der Münchner KJM, Emil Martin, teilte mit Franz Steber und seinem Freund Fritz Leist vielmehr die Überzeugung, dass gerade diese Elite der katholischen Jugend dazu berufen sei, die während des Dritten Reiches offenbar gewordene Notwendigkeit nicht nur liturgischer Erneuerung sondern auch umfassender innerkirchlicher Reformen voran zu treiben, so im Gespräch mit Sigrid Martin (am 14.7.2005). "Einige aus unserem Freundeskreis wußten, daß Willi Mitglied der Weißen Rose war, deren Flugblätter in der Uni kursierten und deren Parolen wir an den Wänden sahen. Die >Autoritäten< des Freundeskreises blockten die Versuche Nurmis, so nannten wir Willi, uns für die Weiße Rose zu gewinnen, kategorisch ab. Vor mir blieb diese Auseinandersetzung verborgen, ich ahnte sie nur. Willi mußte sich von seinen besten Freunden verlassen fühlen. Er ging seinen Weg in großer Einsamkeit zu Ende." (zitiert nach Anneliese Knoop-Graf: Hochverräter? Willi Graf und die Ausweitung des Widerstands, in: Rudolf Lill (Hrsg.): Hochverrat? Die »Weiße Rose« und ihr Umfeld, Konstanz 1993, S. 43-88, hier S. 63). Emil Martin sah darin später im Rückblick ein Versagen des Freundeskreises, ein Im-Stich-Lassen Willi Grafs.

Guardini-Lektüre nicht nur zu Liturgie und Theologie, sondern auch zur Literatur-Interpretationen

An dieser Stelle sei auch darauf hingewiesen, dass Willi Graf und seine Freunde eben nicht nur Guardinis liturgische und theologische Schriften lesen, sondern nachweislich auch Guardinis Literaturinterpretationen zu Hölderlin, zu Rilke, und im Gespräch mit seinen Bonner Freunden wird sogar „jünger und guardini“ verglichen, „wie sie die welt ringsum aufnehmen und reflektieren“. Dabei ist die bewußt christliche Hölderlin-Deutung Guardinis gegen den deutsch-völkischen Missbrauch Hölderlins durch die Nazis ebensowenig „unpolitisch“ wie die Beschäftigung mit Guardinis Interpretation der Duineser Elegien von Rilke, der den Nazis damals als „unschöpferische kraftlose Ästhetennatur, dekadenter Verskünstler, weltfremder Stimmungsmacher, rassisch minderwertiger Typ und deutschfeindlicher Pazifist“ galt, wie 1939 in der Münchner Zeitschrift „Der SA-Mann“ zu lesen war.

Ostern 1939

Ostern bzw. Frühling 1939 verbrachte Willi Graf mit Gustel Sahm (wie wir aus einem Brief an Sahm vom 23. November 1939 wissen). Vermutlich fand dieses Treffen aber gemeinsam mit anderen im Rahmen eines „Theologischen Zeltlagers an der Isar“ statt, wobei „Isar“ in der Regel die Gegend um Lenggries bzw. Gaißach meint.

Von diesem Lager wissen wir seit 1965 durch Winfried Pielow (Kategorischer Imperativ – Hochverrat (Rede zum Gedächtnis von Willi Graf, in: Neue Sammlung, 6, 1966, S. 519 f.), der sich dabei auf einen „noch Lebenden, der mit Graf auf großer Fahrt war“ beruft. Ausgehend von diesem Treffen „in einem kalten Frühling“ blickt dieser Augenzeuge allgemein auf die früheren Lager der Gruppe zurück: „es sei üblich gewesen, daß ein jeder so seine fünf bis zehn Bände theologischer Literatur mitgeschleppt habe und daß man im Lager ernst zu nehmende theologische Seminare abgehalten habe; man hätte Psalmen gelesen, übersetzt, interpretiert, hätte waghalsige Neuerungen in der Liturgie geplant und experimentiert, man hätte sich strengen Riten unterworfen, kirchlichen Stundengebeten, Nachtwachen. Daneben auch philosophische und theologische Studien: sie hätten ihren Rilke gekannt, ihren Hölderlin, hätten sich viel mit Guardini und Theodor Haecker beschäftigt. Und schließlich wäre in der Gruppe um Graf gar ein Plan eines gemeinsamen mönchischen Lebens entstanden, einer Gemeinschaft des Lebens, Betens und Arbeitens.“ Abschließend ist die Rede von „Meditation und Liturgiereform im Zelt“.

Aus all den Plänen – fährt Pielow fort - „wurde, so kommentiert der Augenzeuge, nichts; er fragt aber sofort: Oder wurde mehr daraus? Meditation und Liturgiereform im Zelt - man darf dabei nicht vergessen, daß diese Jungen immer auch ihre besondere Sympathie für das Östliche bewahrten, genauer für das östliche Christentum. Daneben, sozusagen das Eigentliche, das Religiös-Unbedingte umspielend, blieb Koltschak, blieben Kosaken-Lieder, blieb viel Elegisch-Romantisches in Richtung Rußland, aber auch in Richtung Schweden, Finnland, Lappland, blieben die Klänge der Balalaika. - Der „Graue Orden“ legt nun – und das mag für einige andere Gruppen aus diesen Jahren auch gelten die Vermutung nahe, daß eine doppelte Opposition bestand: einerseits grundsätzlich gegen alles, was mit dem Regime zu tun hatte, andererseits aber auch - jetzt, allerdings auf der Grundlage eines gemeinsamen Fundamentes - gegen die Kirche, das heißt vor allem gegen alles Konservative in Theologie und Liturgie. Diese zweite Oppositionsrichtung wurde schärfer im Politischen, das heißt bei Gelegenheit der Frage des aktiven Widerstandes gegen Hitler.“

Ostern 1939 verbrachte Willi Graf also in jedem Fall mit Gustel Sahm, vermutlich auch noch mit anderen – vielleicht eben an der Isar [möglich wäre Gaißach bei Kastner] (Vgl. Brief vom 23. November 1939): „Wie kommt es, daß ich so wenig Anteil am Geschehen der letzten beiden Jahre habe? […] Nur aus der Entfernung habe ich teilgenommen. Denn schon Ostern empfand ich eine Entfernung, obwohl wir zusammen waren.“

Währenddessen feiert man auf Burg Rothenfels das letzte Mal die Osternacht. Franz Mahr berichtet davon aus der Erinnerung: "1939 besuchte mich in Miltenberg Hans Hirsch und lud mich ein, mit ihm die Ostertagung auf Burg Rothenfels mitzuerleben, die noch nicht verboten war. Aber es war den Verantwortlichen klar, daß in diesem Jahr wohl für lange Zeit zum letzten Mal dieses Beisammensein möglich war. Die Gestapo kontrollierte die Teilnehmerlisten und bespitzelte die Vorträge. Ein Dutzend Jungen aus meiner Schweinfurter Gruppe, die in den Vorjahren auf Breuberg mit mir Ostern gefeiert hatten, wurde in Rothenfels nicht zugelassen, weil eine geschlossene Gruppe die Aufmerksamkeit der Spitzel erregt hätte. So übernachteten sie im Pfarrhaus des gegenüberliegenden Dorfes Zimmern, wo ein früherer Schweinfurter Kaplan Seelsorger war, und nahmen als Einzelgäste an den Feiern teil. - Noch von einer anderen Seite kamen nicht unerwartete Schwierigkeiten. Bischof Matthias Ehrenfried von Würzburg hatte in einem Schreiben an den Ortspfarrer von Rothenfels alle »Neuerungen« untersagt. Bischof Ehrenfried war kein Freund der Burg Rothenfels und der Liturgischen Bewegung. Bei einem Besuch hatte er die von Rudolf Schwarz so schlicht und formschön gestaltete Burgkapelle für kahl und häßlich erklärt und die moderne Madonna von Eulenburg mußte in die Sakristei verbannt werden. Sollten also jetzt die Feier in der Nacht, die Muttersprache und die deutsche Gregorianik verboten sein, also gerade das, was uns besonders begeisterte? Aber in einem Gespräch mit dem Ortspfarrer konnte Heinrich Kahlefeld das Wort »Neuerungen« dahin interpretieren, daß man die Feiern in der bisher gewohnten Weise feiere und nichts Neues einführe. Es waren ungefähr 900 Teilnehmer aus allen Teilen Deutschlands gekommen. Während auf unserer Feier auf dem Breuberg kein Teilnehmer über 20 Jahre alt war, fanden sich hier alle Jahrgänge zusammen. Es waren ältere Quickborner, die schon die Anfänge der Burg vor 20 Jahren miterlebt hatten" ((Aus meinem Leben, in: Rolf Eilers (Hrsg.): Löscht den Geist nicht aus. Der Bund Neudeutschland im Dritten Reich, Mainz 1985, S. 206-221, hier S. 214).

Ob und wie viele ehemalige Quickborn- und Deutschmeister-Jungenschaftler hier noch dabei waren, ist schwer zu sagen.

Im August 1939: Ende aller katholischer Jugendarbeit

Ab Mitte Juni 1939 erfolgte schließlich die endgültige Auflösung nahezu aller ohnehin nur noch "illegal" bestehenden Jugendorganisationen, unter anderem am 20. Juni die Bündische Jugend, am 27. Juni der Bund Neudeutschland. Der Quickborn wurde dabei gleich zwei Mal verboten: Er wurde am 20. Juni ausdrücklich als Bündische Jugend aufgeführt.

Im August 1939 kam es dann zu einem letzten großen Angriff auf die katholische Jugendbewegung. Mit der Aufhebung der Burg Rothenfels und des Jugendhauses Düsseldorf, dem endgültiges Verbot der noch bestehenden katholischen Verbände Quickborn, Neudeutschland, usw. samt deren Zeitschriften sollte die katholische Jugendarbeit zum Erliegen gebracht werden. Einzig die von Guardini getragene Kulturzeitschrift „Die Schildgenossen“ blieb von den Verboten verschont.

Hans Eckert als Sekretär Guardinis (1939/40)

1939/40 war Grafs Freund Hans Eckert (1914-1941) Assistent von Guardini in der Berliner Studentengemeinde, was sich aber von Seiten der Guardini-Forschung noch nicht unabhängig bestätigen lässt. Er berichtete Willi Graf über Diskussionen in diesem Kreis.

Ab September 1939 Grafs Trisemester in München

Nachdem er im September 1939 die Prüfung für das Physikum im Rahmen des Medizin-Studiums bestanden hatte, aber kurz nach Kriegsbeginn die Universität Bonn geschlossen wurde, setzte er sein Studium in München fort. Willi Graf kam im September 1939 für ein Trisemester nach München an die Universität. Dabei wohnt er in der Nordenstr. 20/1 in Schwabing. Er ging von dort aus auch in der Siegfriedstraße aus und ein.

Die in diesem Herbst 1939 folgenden Gespräch mit Fritz Leist und Hermann Krings brachten ebenfalls wenig Klärung, so dass er am 23. November 1939 an seinen Freund August Sahm schrieb: „Ziemlich plötzlich und unverhofft bin ich seit Ende September in München angekommen. Dazu muß ich bis jetzt sagen, daß ich mich hier nicht zurechtfinde. Ich laufe und lebe einfach neben den Anderen her, ohne daß es mir gelingt, ein wesentliches Verhältnis zu finden. Du wirst es wissen. Einfach gesagt, ich bin zu stumpf, um mich hineinzufinden. Manchmal ist mir das Zusammensein mit den Andern unerträglich. Ich spüre oft nachher, daß ich etwas versäumt habe. Wie kommt es, daß ich so wenig Anteil am Geschehen der beiden letzten Jahre habe? Ich weiß, daß in dieser Zeit sehr viel, Ungeheures geschehen ist, was wohl auch Dir erst einen Sinn des Lebens gegeben hat. Nur aus der Entfernung habe ich ein wenig teilgenommen. Du weißt, die Begegnungen und Gespräche bisher hier in München brachten wenig Klärung. Ich sprach mit Fritz, ein Anfang wurde versucht. Zu Hermann ist kein Verhältnis geschaffen. Vielmehr wird es mir von Tag zu Tag schwerer, ich sehe noch keinen Weg, der neue Möglichkeit bringen muß an dem Geschehen, das Euch berührt und getroffen hat. Es muß aber einen Weg geben, sonst zerbreche ich. Ein Abfall muß undenkbar bleiben. Wenigstens von mir her gesehen, wenn auch noch so große Hindernisse auf diesem Weg liegen. Ich weiß, daß mir dieses Gemeinsame nicht einfach zufällt. Ich suche ja auch nur eine Möglichkeit, die mich stückweise weiterbringt. Die Kluft ist aber sehr groß, die so übersprungen werden muß“ (zitiert nach Peter Goergen: Willi Graf - ein Weg in den Widerstand, 2009, S. 78. Er führt den Brief unter 23.9.1940. Jos. Schätzler/Hildegard Vieregg, (Hrsg.), Willi Grafs Jugend im Nationalsozialismus im Spiegel von Briefen. Faksimiledruck. München 1984, S. 81 datiert den Brief mit 23.11.1940. In den Graf, Willi: Briefe und Aufzeichnungen, hrsg. von Anneliese Knoop und Inge Jens, 1994, S. 326 wird er mit 23.11.1939 angegeben, so auch bei Blaha, Tatjana: Wille Graf und die Weisse Rose, 2003, S. 43. Dort heißt es wohl richtigerweise: „Unveröffentlicher Brief an seinen Freund August Sahm vom 23. November 1939“. Die Datierungen mit 23.9.1940 und 23.11.1940 sind nämlich beide zu spät).

In der verbleibenden Zeit bis Januar 1940 war die Kluft wohl nicht mehr zu überwinden und blieb ungeklärt.

Einberufung und Kriegsverlauf

Von München aus wurde Willi Graf aber im Januar 1940 als Sanitätssoldat einberufen und in der Sanitätsersatzabteilung in München zum Sa­ni­tä­ter aus­ge­bil­det, be­vor er im Fe­bru­ar zu ei­ner Kran­ken­trans­port­ab­tei­lung in Bad Wild­bad im Schwarz­wald ab­kom­man­diert wur­de.

Im Brief an Hans Eckert und Joseph „Jupp“ Simons vom 26. März 1940 erwähnt Willi Graf Guardinis Buch „Hölderlin. Weltbild und Frömmigkeit“ (1939). Im gleichen Brief berichtet er von der endgültigen Suspendierung Lützelers in Bonn.

Am 2. Mai 1940 schreibt er nach 9 Wochen im Schwarzwald an seinen Freund Gustel Sahm.

Zu­nächst ein hal­bes Jahr fern­ab vom Kriegs­ge­sche­hen, folg­te für den Sa­ni­täts­un­ter­of­fi­zier Graf im Sep­tem­ber die Ver­set­zung an die fran­zö­si­sche Ka­nal­küs­te, von wo aus er an Günther Schmich am 11.10.1940 schrieb, den er wohl noch in (Bad) Wildbad im Schwarzwald getroffen hatte.

Dort hat er während seiner Ausbildung übrigens Hubert Furtwängler kennengelernt.

Nach einem dreieinhalbtägigen Aufenthalt in München Anfang November kam er für vierzehn Tage nach Flandern und dann Ende November nach Burgund.

Vom 7. bis 11. Februar 1941 machte er Schiurlaub in Gaissach, einem kleinen Ort bei Bad Tölz, wo sein Bonner Studienfreund Walter Kastner wohnte.

Im Brief vom 21. März 1941 aus Posen an Günther Schmich beklagt sich über die Kürze des Front-Urlaubs: "Schließlich muß man auch etwas Übung im Urlaub-Leben besitzen, man kommt sonst nirgends zur Ruhe". Er fügte hinzu, er versuche "einige wenige Dinge bei Guardini zu arbeiten" (zitiert nach Hinrich Siefken: Die Weisse Rose und ihre Flugblätter: Dokumente, Texte, Lebensbilder, Erläuterungen, 1994, S. 97).

Im Früh­jahr 1941 nahm Graf dann mit sei­ner Ein­heit am Bal­kan­feld­zug ge­gen Ju­go­sla­wi­en und Grie­chen­land teil. („weit durch kroatien gefahren“ (13. April 1941) „wir sind in einem bauernhof in der nähe agrams [alter Name für Zagreb]“ (14.4.1941)“ (zitiert nach: Vieregg/Siefken: Resistance to National Socialism, 1993, S. 60).

Be­reits im Mai 1941 wur­de Grafs Ein­heit in Vor­be­rei­tung des An­griffs auf die So­wjet­uni­on im be­setz­ten Po­len sta­tio­niert. Für den 2. Mai [1941, bei Peter Goergen versehentlich 1940!] notiert er in Litzmannstadt (Lodz) ein Treffen mit dem ebenfalls eingezogenen und dort stationierten Alois Goergen.

Von dort aus geht es für Graf wohl im Juni 1941 nach Russland. Er bleibt dort bis April 1942 im Einsatz. In einem Brief an Günther Schmich vom 24. Juli 1941 schildert er: „Bis zur letzten Stunde wollte ich noch nicht an diesen Krieg glauben, obwohl hier im Osten doch alle Zeichen es sichtbar machten, erst beim ersten Schuß in der Frühe des 22. VI. lagen dann die Dinge klar. Es begann ein Krieg, für den ich keine Vergleiche habe, dazu eben in diesem Land, das uns doch immer ein Rätsel geblieben.“

"Christliche Besinnung" als wertvolle Begleiter im Krieg (Juni 1941 bis April 1942)

Im Kriegseinsatz vom Juni 1941 bis April 1942 in Russland, kommt Graf nur selten zum Lesen, wenn aber dann seien es „Hölderlin Gedichte und kurze Schriebe von Guardini. Dann „steht unversehens wieder ein anderes Leben vor mir, das ich schon lang vermissen muß. Wann wird es wieder einmal Tatsache sein?“ (Brief an Schmich vom 24. Juli 1941, zitiert nach Knoop-Graf/Jens, S. 129...)

Über viele Wege und Personen stand also Willi Graf und seine Freunde mit Guardini und Burg Rothenfels in Verbindung. Für Willi Graf werden schließlich die von dort ausgehenden kleinen Hefte der „Christlichen Besinnung“ bedeutsam. Im Rückblick auf die Kriegswinter 1940/41 und 1941/42 – in einem Brief an seine Tante vom 20.6.1942 schreibt Graf: „Die kleinen Hefte der „Christlichen Besinnung“ waren mir draußen wertvolle Begleiter, die ich besonders im Winter nicht mehr missen mochte“, handelt es sich bei den „kurzen Schrieben“ also um diese kleinen Hefte, von denen 1939/40 insgesamt vierzig Hefte in fünf kleinen Schubern erschienen sind. Davon stammen allein zwölf von Guardini selbst. Eins davon bekam eine besondere Bedeutung, das Heft „Glaubensgeschichte und Glaubenszweifel“, wie aus dem schon oft erwähnten Brief vom 6. Juni 1942 an seine Schwester Anneliese hervorgeht.

April 1942 Rückkehr über Berlin nach München

Von Berlin kommend: 7.4.42: „um ½ 7 bin ich in münchen, herrliches wetter und ungeahnte wärme zur siegfriedstraße. fr. und e. sitzen beim frühstück. es ist alles so ruhig. mit fr. durch den engl. garten, ich sehe die ersten blumen und soviel grün. in deutschland ist frühling. etwas kann ich erzählen, aber ich finde mich einfach nicht zurecht. allgemeine gespräche“ (zitiert nach Gewalt und Gewissen: Willi Graf und die "Weisse Rose", 1964, S. 64).

In die 2. Münchener Studentenkompanie abgeordnet, lernt er dort Hans Scholl und Alexander Schmorell kennen. Dort traf mit Walter Kastner auch einen Bonner Mitstudenten wieder und sah ihn fast täglich. Kastner bewunderte die Zivilcourage des Freundes und beschrieb in einem Brief ein Erlebnis: "Kriegsgefangenen heimlich etwas zum Essen zuzustecken, geschehe öfter. Aber sich wie Willi in einer Straßenbahn, also völlig öffentlich, auf russisch mit einer Zwangsarbeiterin zu unterhalten, und das auch noch in Uniform – dazu gehöre Mut."

Auf Empfehlung von Krings besuchte er neben seinen medizinischen Kursen auch die philosophiegeschichtlichen Vorlesungen von Professor Huber. Außerdem trat er dem Münchner Bachchor bei und nahm das Sportfechten wieder auf. Im Bachchor hatte er freundschaftlichen Kontakt zu den selbst von Guardini, dem Quickborn und der Liturgischen Bewegung beeinflussten: Otmar Hammerstein (vgl. Autobiographie) und Josef Gielen (vgl. Briefe).

Mai/Juni 1942 Distanz gegenüber dem Kreis der Siegfriedstraße

Auch für den Frühsommer 1942 lässt sich diese Distanz zum Personenkreis der Siegfriedstraße beobachten und nachweisen. In den Tagebucheintragungen vom Mai und Juni dieses Jahres wird sie sehr deutlich (zitiert nach Zankel, Sönke: Mit Flugblättern gegen Hitler. Der Widerstandskreis um Hans Scholl, 2008, S. 134 f.):

  • „Ich fühle mich in der Siegfriedstraße so überflüssig. Was soll ich da noch. Trotzdem zieht es mich nur dorthin." (10. Mai 1942)
  • „Fast meine ich, dort zu stören." (17. Mai 1942)
  • „Zur Siegfriedstraße, wo ich bald wieder verschwinde." (19. Mai 1942)
  • „Kurz in der Siegfriedstraße, und da schlägt es mich nun leicht nieder, ich weiß nicht, woher es kommt.“ (8. Juni 1942)
Juni 1942 Theologische Beschäftigung

In seinem Brief vom 6. Juni 1942 an seine Schwester Anneliese, die ihm gegenüber Glaubensschwierigkeiten geäußert hatte: Lektüre der „Christliche Besinnung“ heißt es: „Ich lege Dir eine kleine Arbeit von Guardini bei, die Du richtig durcharbeiten mußt, aber auch in aller Offenheit.“ Laut Knoop-Graf (Briefe und Aufzeichnungen, 1994, S. 162) handelte es sich dabei um eine keine Arbeit von Guardini, Romano Guardini, `Glaubensgeschichte und Glaubenszweifel, Christliche Besinnung, Jg. 1939, H. 5)

Auch 15.6.1942 notiert er: „Ein Aufsatz von Guardini“ (vermutlich erneut aus CB) Von den 1939/40 in fünf Schüben und auch Schubern erschienenen, insgesamt 40 Heften der „Christlichen Besinnung“ stammen zwölf von Romano Guardini.

Christliche Besinnung, Erste Folge, Würzburg 1939:

  • 1. Romano Guardini: Was Jesus unter der Vorsehung versteht,
  • 2. Josef Weiger: Maria. Die Mutter des Glaubens
  • 3. Romano Guardini: Gottes Walten und die Freiheit des Menschen
  • 4. Isabella Rüttenauer: Ein christlicher Hausvater. Gespräch über Matthias Claudius
  • 5. Romano Guardini: Glaubensgeschichte und Glaubenszweifel
  • 6. Ludwig A. Winterswyl: Das Gloria der Messe
  • 7. Josef Weiger: Das Sterben der Heiligen
  • 8. Ludger Augsten (=Winterswyl): Die Heiligkeit der Kirche

Christliche Besinnung, Zweite Folge, Würzburg 1939:

  • 9: Werner Becker: Das Harren des Christen
  • 10: Aus den Hirtenschriften des heiligen Bischofs Cyprian über das große Sterben und den Segen der Geduld
  • 11: Romano Guardini: Das Herrentum Christi
  • 12: Idamaria Solltmann: Die heilige Frau Elisabeth
  • 13: Ludwig A. Winterswyl: Ritterliche Frömmigkeit. Dargestellt an Wolfram von Eschenbachs Parzival (Christliche Besinnung; 13), Würzburg 1939
  • 14: Isabella Rüttenauer: Sorge und Vorsehung. Aus der christlichen Weisheit deutscher Volkssprichwörter
  • 15: Romano Guardini: Der Glaube als Überwindung
  • 16: Josef Weiger: Das wahre Gesicht der menschlichen Leiden

Christliche Besinnung, Dritte Folge, Würzburg 1940:

  • 17: Romano Guardini: Das Fegfeuer
  • 18: Von der vollkommenen Freude, von der Demut und von der Armut. Aus Leben und Lehre des heiligen Franziskus. Ausgewählt und übertragen von Wolfgang Rüttenauer
  • 19: Drei Andachten zur göttlichen Vorsehung
  • 20: Josef Weiger; Der Siegelverwahrer der Geheimnisse Gottes
  • 21: Romano Guardini: Die Anbetung
  • 22: Sprüche deutscher Mystik. Ausgewählt und übertragen von Hermann Kunisch
  • 23: Romano Guardini: Gottes Geduld
  • 24: Joseph Joubert:: Christliche Weisheit. Auswahl und Übertragung von Wolfgang Rüttenauer

Christliche Besinnung, Vierte Folge, Würzburg 1940:

  • 25: Romano Guardini: Die Heiligen
  • 26: Viktor Emil Frhr. Von Gebsattel: In seelischer Not
  • 27: Annemarie von Puttkamer: Mutterschaft und Gotteskindschaft
  • 28: Romano Guardini: Das Dogma
  • 29: Hans Eduard Hengstenberg: Askese als Mittel göttlicher Vorsehung und Führung
  • 30: Felix Messerschmid; Ostersingen
  • 31: Österliche Ansprachen der Kirchenväter. Ausgewählt und übertragen von Ludwig A. Winterswyl
  • 32: Ludwig A: Winterswyl: Sinn und Gestalt der kirchlichen Osterfeier

Christliche Besinnung, Fünfte Folge, Würzburg 1940:

  • 33: Romano Guardini: Die Offenbarung als Geschichte [NZ Willi Graf]
  • 34: Ludwig Winterswyl: Die christliche Caritas
  • 35: Viktor Emil von Gebsattel: Von der christlichen Gelassenheit. Brief eines Arztes
  • 36: Karl Becker: Der ganze Christus; nach Sankt Augustinus
  • 37: Romano Guardini: Der Widersacher
  • 38: Josef Weiger: Vom Schutzengel und von den Engeln im allgemeinen
  • 39: Isabella Rüttenauer: Gottessegen auf allen Wegen: Sprichwörterweisheit
  • 40: Ludwig A. Winterswyl: Das Credo der Messe

Im Werkbundverlag sind im Übrigen 1940 auch mehrere Texte von Reinhold Schneider erschienen:

  • Reinhold Schneider: “Zur Zeit der Scheide zwischen Nacht und Tag“: der Lebenskampf der Droste, Würzburg 1940 (Werkbundverlag, Abteilung „Die Burg“)
  • Reinhold Schneider: Der Katarakt: Das Schicksal Nikolaus Lenaus, Würzburg 1940 (Werkbundverlag)
  • Reinhold Schneider: Der Pilger. Eichendorffs Weltgefühl, Würzburg 1940 (Werkbundverlag, Abteilung „Die Burg“)

Guardini wirkte mit Reinhold Schneider sowohl in der Berliner „Una sancta“, als auch im Blick auf den Freiburger Färber/Schneider-Kreis und den Kolmarer Alsatia-Verlag zusammen.

Romano Guardini: Glaubensgeschichte und Glaubenszweifel (1944: in: Glaubenserkenntnis)
  • Der erster Satz dieses Heftes lautet: „Der glaubende Mensch steht im gleichen Dasein wie jeder sonst. …“
  • Der Glaube „bildet eine sehr hoch organisierte Lebenseinheit – wenn es wirklich ist, was er zu sein beansprucht, müssen wir sagen, die höchste schlechthin. Er ist voll von Ideen, Werten, Kräften; hat eine große Sinnmacht und gibt eine Sicherheit, die alle anderen Lebenssicherheiten übersteigt. Zugleich ist er aber, wie jedes hochorganisierte Leben – verletztlich.“
  • „Glaube ist echtes Leben, ja das Leben im endgültigen Sinn; so wird er immer wieder durch Krisen hindurchgehen, die nicht nur Einzelnes in ihm, sondern auch sein Ganzes, seinen Sinn und seine Möglichkeit betreffen.“
  • „Der Glaubenszweifel deutet fast immer auf innere Umlagerungen hin, und der Mensch, dem an seinem religiösen Leben liegt, hat die Aufgabe, das zu erkennen – ebenso wie jene, die für ihn Sorge tragen, die Aufgabe haben, ihm dabei zu helfen.“
  • Es folgt: Die Entwicklung der Glaubensgestalt in den unterschiedlichen Lebensalter
Das eigentliche Christentum

Im Brief vom 6.6.1942 schreibt Graf an seine Schwester Anneliese: „Alles, was Dir als Kind selbstverständlich war, mußte einmal fraglich werden, das ist in jedem Leben so, dann ist eine Entscheidung zu treffen, welche Wege und Richtungen eingeschlagen werden. […] Jeder Einzelne trägt die ganze Verantwortung. Für uns aber ist die Pflicht, dem Zweifel zu begegnen und irgendwann eine eindeutige Richtung einzuschlagen. […] Urteilskraft und lebendige Überzeugung haben wir nicht mitbekommen, um eventuell in der Lage zu sein, diese Weltanschauung zu verteidigen. Ich behaupte, daß dies garnicht das eigentliche Christentum war, was wir all die Jahre zu sehen bekamen und das uns zur Nachahmung empfohlen wurde. In Wirklichkeit ist Christentum ein viel schwereres und ungewisseres Leben, das voller Anstrengung ist und immer wieder neue Überwindung kostet, um es zu vollziehen.. Der Glaube ist keine solch einfache Sache, wie es uns erschien, in ihm geht nicht alles so glatt auf, wie man wohl gemeint hat und sich vielleicht auch wünschte, um möglichst wenig Unruhe zu verspüren, denn das ist für viele doch etwas reichlich Unangenehmes. […] Mein Rat besteht eigentlich darin, daß Du praktisch Theologie studieren mußt – das hört sich sicher sehr seltsam an, ist aber schließlich die Aufgabe jedes denkenden Menschen. – […] Ich lege Dir eine kleine Arbeit von Guardini bei, die Du richtig durcharbeiten mußt, aber auch in aller Offenheit.“

Am 15. Juni 1942 schreibt er in sein Tagebuch: „Sigi ist da, kurz gehe ich nachher noch mit ihm spazieren. Ein Aufsatz von Guardini. Am späten Abend in die Kaserne.“. Gemäß der Anmerkung handelt es sich vermutlich um einen in der von Ludwig A. Winterswyl herausgegebenen Reihe „Christliche Besinnung“ (1.-5. Folge, Mainz, 1939-1940) erschienener Aufsatz.

In einem Brief vom 20. Juni 1942 an seine Tante mütterlicherseits, Mariana Gölden (1880-1956), Ordensfrau der Kongregation vom Armen Kinde Jesu, von 1933–1948 Schulleiterin des Gymnasium Marienberg (Neuss), damals Lyzeum Marienberg mit Studienanstalt realgymnasialer Richtung, schreibt er: „Die Linien sind jetzt wenigstens klarer und ich weiß, wo ich mit der Arbeit beginnen kann und wie die Arbeit aussieht. […] Wichtig ist vor allem die theologische Arbeit. Die kleinen Hefte der „Christlichen Besinnung“ waren mir draußen wertvolle Begleiter, die ich besonders im Winter nicht mehr missen mochte. Doch nun will ich weiter ausholen und gründlicher arbeiten. Kannst Du Dir vorstellen, daß man richtig hungrig wird in einer solch langen Zeit, die oft doch richtig trostlos war? Man will die Wahrheit nach allen Seiten durchdringen. Deshalb bin ich ganz besonders froh, nun wieder weiterstudieren zu können, weil jetzt die Mittel wieder zur Hand sind."

Im gleichen Brief berichtet er von Predigten, die er in einer Münchner Kirche hört: "Augenblicklich werden in einer Münchner Kirche recht gute dogmatische Predigten gehalten, die viel Anregung bringen und die Arbeit fördern können. Es gilt ja in dieser Zeit nicht nur, die Ausbildung in beruflicher Richtung weiterzuführen. Wichtiger noch ist für mich die Ausbildung im Christlichen, um es einmal durch diese kurze Formel auszudrücken. Es ist viel nachzuholen und manches von Grund auf neuzubauen, und das fällt einem nicht ohne Mühe in den Schoß.“ Gemeint sein könnten die Predigten von Alfred Delp in St. Georg in München-Bogenhausen. Dieser wirkte dort in seit 1939 als Seelsorger, von 1941 bis 1944 dort Kirchenrektor von St. Georg. Er war für seine theologisch und insofern auch dogmatisch gehaltvollen Predigten bekannt. „Seine Predigten – sie kreisen fast alle um „das Thema“ [die Abgrenzung vom Nationalsozialismus] – in der kleinen Rokokokirche sind hinreißend, und bald kommen aus ganz München die Menschen, um ihn zu hören. Sie spüren, daß hier genau das gesagt wird, was jeder unausgesprochen empfindet: bis hierher und nicht weiter.“ (Oskar Simmel: Alfred Delp SJ † 2. 2. 1945, in: Stimmen der Zeit, 175, 1965, S. 321ff, hier S. 323)

Fünf Tage später, am 25. Juni 1942, schreibt er in einem Brief an seine Schwester Anneliese, die von ihren Schwierigkeiten mit dem Neuen Testament und dem Glauben sprach, zum Abschluss: „Erzähle mir einmal, was Du mit dem Aufsatz von Guardini anfangen konntest, es interessiert mich sehr.“ (Auch hier ist wohl der Text über Glaubensgeschichte und Glaubenszweifel gemeint, den er ihr am 6. Juni 1942 zugesandt hatte.)

Ende Juli/Ende Oktober 1942: Ostfront

Mit Hans Scholl und Alexander Schmorell wird Graf von Ende Juli bis Ende Oktober 1942 zur "Feldfamulatur" an der Ostfront eingesetzt. Erst in einem Tagebucheintrag vom September 1942 ist wieder von Guardini die Rede, am 18. September heißt es: „Doch gelingt es mir heute, in der ruhigen Mittagsstunde, bei Guardini zu lesen.“

Weitere Entwicklung im Umfeld bis zu den Anfängen der “Weißen Rose”

Der Fall Rintelen

1939 wurde in München Rintelen – trotz NSDAP-Mitgliedschaft - vom Gauleiter der Universität verwiesen und 1941 ganz enthoben, bis auf Weiteres beurlaubt und sein Lehrstuhl aufgehoben. Unter Leitung der Geschwister Scholl demonstrierten deshalb etwa 70 Studierende vor Rinteles Wohnung, um ihre Verbundenheit zu bezeugen. Er zog sich anschließend aber weitgehend nach Deidesheim zurück, behielt aber sein Haus in München.

Rintelen war auch der einzige Duz-Kollege von Kurt Huber und wusste von ihm über die Verfassung und Verteilung der Flugblätter der „Weißen Rose“ Bescheid.

Auch in seinem Haus traf er sich mit Studenten aus dem Umfeld der Weißen Rose, darunter auch mit Willi Graf. Nach Darstellung von Leist handelte es sich dabei insbesondere um seinen Kreis aus der vormaligen „Siegfriedstraße“. Bereits früher, außerhalb der Vorlesungen hatte Rintelen die Möglichkeit zur „Unterhaltung“ geboten. Leist berichtet, Rintelen habe ihnen auch auf dem Land Unterkünfte für Tagungen besorgt. Dafür sei er später selbst ins Visier des SD gekommen.

Wohl im Februar 1943 gab es ein Treffen zwischen Dr. Josef Müller und den Professoren Rintelen und Huber. Josef Müller berichtet dazu an Barry Pree: „Prof. Huber kam zu mir, wobei Professor Huber mehrfach schon vorbereitete Exemplare der „Weißen Rose“ zur Besprechung mitbrachte ... Lieber Mister Pree, die Veranlassung dazu, dass ich Professor Huber geraten habe darauf hinzuwirken, dass keine weiteren Exemplare der „Weißen Rose“ in der Universität verteilt werden, gab mir der damalige Chef der Abwehr beim Wehrkreiskommando VII, Nikolaus Ficht. Er frug mich, ob ich nicht zu einem Professor, der eine Schrift abgefasst habe und nach dem das Reichssicherheitshauptamt in Berlin und der SD in München fahnden würden, in Beziehung stünde. Ich war mit Ficht befreundet und er war Canaris nicht nur unterstellt, sondern auch ergeben, so dass seine Warnung wohl gemeint war und von mir so ernst genommen wurde, dass ich Professor Huber klar zu machen versuchte, dass vom Standpunkt des Widerstandes aus die Wirkung der Verbreitung der „Weißen Rose“ im Universitätsbereich nicht den letzten Einsatz lohne. Ich würde vielmehr vorschlagen, dass ich nach wie vor Exemplare der „Weißen Rose“ mit nach Rom nehme und über den Vatikansender an BBC weiterleiten lasse, da die Verbreitung angesichts der Tatsache, dass viele Leute damals BBC schwarz hörten, im Vergleich zu dem kleinen Verbreitungskreise der Universität, außerordentlich groß sei. Ficht sagte mir damals auch, dass Eile geboten sei, weil der SD gereizt sei, denn in der Ludwigstrasse an Gebäuden der Universität, aber auch an anderen seien Aufschriften wie „Der Krieg ist verloren“– „Weg mit Hitler“– usw. Der oben genannte Oberstleutnant Ficht war in der Verhandlung des Volksgerichtshofes als Zuhörer und berichtete mir nachher, dass sich die Angeklagten also die Geschwister Scholl und Professor Huber heldenmütig verhalten hätten.“ Rintelen bestätigte gegenüber Pree den von Müller berichteten Vorgang.

Rintelen selbst sah sich immer stark von Guardini geprägt, während Guardini ihn kaum wahrgenommen hat, wie ein Briefwechsel über die Beteiligung Guardinis an einer Festschrift für Rintelen zeigt. Guardini sagt einen Beitrag ab, da er Rintelen kaum kenne.

Guardinis Einfluss auf die Scholls

Die Geschwister Scholl stammten aus einer protestantischen Familie, die sich aber eingehend auch mit zeitgenössischen katholischen Autoren beschäftigte. So kamen Hans und Sophie Scholl früh mit Werken von Georges Bernanos, Alois Dempf, Romano Guardini, Jacques Maritain in Berührung. Nach und nach kam Scholl in Konflikt mit übergeordneten Führern, insbesondere aufgrund der Verehrung von Dichtern wie Stefan George, Stefan Zweig oder Thomas Mann, für das Bauhaus - beeinflusst vom Bauhaus schrieb man zum Beispiel in Kleinschrift - und die expressionistische Malerei, insbesondere eines Franz Marc. Sie galten den Nationalsozialisten als „entartet“. Völlig desillusioniert kehrt er vom Nürnberger Reichsparteitag zurück. Einige Jahre lang versuchte er sich noch einigermaßen zu arrangieren, aber auch innerlich zu distanzieren. Dabei half ihm seine Bibliophilie. So schreibt er am 27. April 1941 an seine Freundin Rose Nägele, mit der Scholl von Anfang 1941 bis Ende 1941 intensiv, dann vom Herbst 1942 bis zum letzten Brief 16. Februar 1943 wieder regelmäßige Korrespondenz führte: „Es ist die richtige Zeit zum Bücherlesen. Ich habe wieder die frühen Gedichte von Rilke vor mir, die ich allerdings jetzt anders aufnehme als vor fünf Jahren. Damals war Rilke für mich alles. Erst jetzt habe ich den wahren Rilke gefunden, deshalb fange ich nochmals von vorne an. Außerdem bin ich mit Grimm´s Michelangelo noch lange nicht zu Ende. Dann wartet Guardinis Hölderlin-Darstellung auf mich. Und am 2. Mai beginnen endlich die Vorlesungen. Ich bin wirklich wissensdurstig. (Ich war es lange nicht.) ...“ (Scholl, Hans: Brief an Rose Nägele, München, 27. April 1941, in: Fischer, S.: Hans Scholl, Sophie Scholl. Briefe und Aufzeichnungen, Frankfurt am Main 1984, S. 52 f.). Die Art der Formulierung lässt darauf schließen, dass dies keineswegs das erste Buch Guardinis war, das Hans Scholl gelesen hatte, und dass er voraussetzt, dass seine Freundin Guardini und dessen Werk kennt. Interessant ist auch, dass Hans Scholl sich mit Rilke und Michelangelo auseinandergesetzt hat. Wie sehr jedoch Scholl letztlich doch eine „Tat“-Mensch war, zeigt eine Bemerkung in einem Brief vom 29. April 1940, in dem er doch klar Stefan George den Vorzug vor Rilke gab (ebd., S. 30. 1937 hatte ihm seine Schwester Inge den „Stern des Bundes“ von George zum Geburtstag geschenkt (ebd., S. 11 und S. 242): „Wir ahnen ihn, seine überragende, untastbare, einsame Größe.“). Es ist erstaunlich wie ähnlich Hans Scholl seine Schwermut beschreibt, wohl erstmals in aller Offenheit in seinem ersten überlieferten Brief an seine Freundin Rose Nägele im Februar 1941, dann klarer und unter Nennung des Problems noch deutlicher in seinem Russlandtagebuch „Über die Schwermut“ vom 17. August 1942 (ebd., S. 43 und S. 96f. – siehe auch 24. Februar 1941, S. 44 f.). Und noch mehr fühlt man sich an Guardini erinnert, wenn Scholl seiner Freundin über seine geistige Krise und vor allem ihre Überwindung schreibt (ebd., S. 67).

Carl Muth (Herbst 1941)

Allein räumlich bedingt, standen die Geschwister Hans, Sophie und Inge Scholl sowie Inges Freund Otto Aicher zunächst vor allem mit dem Münchner Carl Muth in engem freundschaftlichen Kontakt. Otto („Otl“) Aicher kannte Carl Muth so gut, dass er in den entscheidenden Tagen in dessen Haus während des Genesungsurlaubs von einer Kriegsverwundung einige Tage in München verbringen wollte. Er hatte im Herbst 1941 auch Hans Scholl mit Muth bekannt gemacht. Dieser hat sich während seiner Münchner Semester häufig im Hause Muths aufgehalten und sogar dessen Bibliothek katalogisiert. Erst durch Muth als Mentor gelangte Scholl zu einer intensiven Beschäftigung mit Religion. Wohl durch Muth ist er bald auf ein Buch von Karl Pfleger aus dem Jahre 1934 aufmerksam geworden mit essayistischen Abhandlungen über Bloy, Péguy, Gide, Chesterton, Dostojewski, Solowjew und Berdjajew. Er verschlingt geradezu in der Folgezeit „Das neue Mittelalter“, „Die menschliche Persönlichkeit und die überpersönlichen Werte“ und „Die Philosophie der Freiheit“ von Berdjajew und versucht auch Otl Aicher dafür zu begeistern (vgl. S. Fischer: Hans Scholl. Sophie Scholl. Briefe und Aufzeichnungen, Frankfurt am Main 1984, S. 66-70 sowie 257-263). Über Carl Muth lernte Hans Scholl viele „katholische Menschen großen Formats“ kennen.

Am Morgen des 18. Februar 1943, als das letzte Flugblatt der “Weißen Rose” in den Lichthof der Universität flatterte, war Otl Aicher mit Hans Scholl auf halb zwölf Uhr in Muths Wohnung in der Franz-Joseph-Straße verabredet. Statt des Freundes empfing ihn die Gestapo, die bei Muth eine Haussuchung durchführten. Professor Muth konnte sich nur mit Mühe einer Verhaftung entziehen. Auch Muth wurde verhört, doch konnte ihm keine Mitwisserschaft an den Widerstandsaktionen nachgewiesen werden.

Alfred von Martin und Fedor Stepun (Anfang 1942)

So war er mit Muth bei einem Nachmittag in der Familie von Professor Alfred von Martin im Beisein des Ehepaars Stepun dabei (ebd., S. 261). Am 10. Februar 1942 schreibt er über den russischen Philosophen an seine Schwester Elisabeth: „Er ist einer von den Menschen, ein Geschichtsphilosoph, der so hoch über der Zeit steht, in der ich wühle und mich abmühe, dass er sagt, es komme nur darauf an, dass das Wesentliche erhalten bleibe. Und dies bleibe uns unter allen Umständen erhalten. Darin hat er recht“ (ebd., S. 78).

Theodor Haecker (Februar 1942)

Am 12. Februar 1942 schreibt Hans Scholl an Alfred Reichle, er habe Haecker neulich persönlich kennengelernt. Außerdem lernt er durch Muth Werner Bergengruen und Sigismund von Radecki kennen und schätzen. Allmählich wird ihm Hans Carossa wichtiger als George und nach der persönlichen Bekanntschaft mit Bergengruen schätzt er diesen „über alle lebenden deutschen Schriftsteller“ (ebd., S. 113).

Am 10. Juli 1942 liest Haecker im Freundeskreis aus “Der Christ und die Geschichte”. Ende Juli 1942 traf Inge Scholl auf Haecker bei Muth. Sie schreibt ihm am 6. September 1942, dass ihr Vater in Haft sei und ihre Post kontrolliert werde. Am 19. Dezember 1942 ist Hans Scholl schließlich erneut bei Haecker.

Die Verbindungen wurden so intensiv, dass im Zuge der Verhaftungen im Umfeld der Weißen Rose auch bei Haecker Haussuchen durchgeführt wurden, er sich aber einer Verhaftung mit Mühe entziehen konnte und doch am 1. März 1943 auch ein Verfahren gegen Haecker wegen Vorbereitung zum Hochverrat in Berlin eröffnet wurde. Doch wird das Verfahren noch 1943 mangels an Beweisen eingestellt. Bis Ende März 1943 wird er jedoch von der Gestapo beschattet.

Kurt Huber (Juni 1942)

Im Mai 1942, mit Beginn des 7. Semesters von Hans Scholl, nahm auch Sophie Scholl ihr Studium in München auf und wurde in die Freundesgruppe des Bruders aufgenommen. Am 3. Juni 1942 lernten Hans Scholl und Alexander Schmorell den Musikwissenschaftler und Ethnologen Prof. Kurt Huber (1893-1943) auf einer privaten Lesung im Hause von Frau Dr. Mertens kennen, die anschließend in ein politisches Streitgespräch mündete.

Der Quickborn im Umfeld der Weißen Rose: Bachchor und Otl Aicher

Otmar Hammerstein gehörte zu Stützen des Bachchores. Er war im Quickborn beheimatet. Er vermittelte auch Josef Gieles in den Bachchor (vgl. dazu: Josef Gieles: Studentenbriefe 1939-1942, hrsg. von Agnes Kanz-Gieles und Heinrich Kanz, 1992, S. 302; sowie: Notker Hammerstein: Aus dem Freundeskreis der »Weißen Rose": Otmar Hammerstein, 2014)

Otl Aicher kann als der Quickborn-nahe Vermittler zu Carl Muth gesehen werden (vgl. dazu u.a. Peter Goergen: Willi Graf - ein Weg in den Widerstand, 2009, S. 118).

wird noch ausgeführt

Alfred von Martin

wird noch ausgeführt

Carl Muth

wird noch ausgeführt

Dieter Sattler

Das mit Guardini eng befreundete Ehepaar Dieter und Maria Sattler verfügte durch den gemeinsamen Freund Haecker, den katholischen Hochlandkreis sowie durch Verwandtschaftsbande - die Frau von Christoph Probst, Herta, war eine geborene Dohrn und damit eine Cousine Dieter Sattlers - über Anknüpfungspunkte zum Kreis der Weißen Rose, kannte. Es kannte auch deren Flugblätter, denn ihren Kindern erzählten die Sattlers später, "daß sie in ihrer Wohnung in der Kaulbachstraße die Flugblätter zwischen den Büchern im Bücherregal versteckt hielten. F. Sattler, Gespräch vom 18.11.1997. Angeblich war die Wohnung in der Kaulbachstraße, zu der Herta Probst einen Schlüssel besaß, auch einer der Treffpunkte der Studenten mit Professor Huber. Mit diesem waren Sattlers im übrigen ebenfalls gut bekannt; M. Sattler, Gespräch vom 28.12.1999." (Stoll, a.a.O., S. 68, Anmerkung 165).

Guardini war während des Dritten Reiches oft bei er Familie in Grendach am Waginger See zu Besuch (vgl. dazu Ulrike Stoll: Kulturpolitik als Beruf: Dieter Sattler (1906-1968), 2005 (Veröffentlichungen der Kommission für Zeitgeschichte), S. 68).

Willi Graf im Winter 1942/43 zwischen nur noch liturgiebewegtem "Grauen Orden" und widerständiger "Weißer Rose"

Nach der Rückkehr von der Ostfront

Am 8. November 1942 schreibt er an Walter Kastner: „Daneben las ich immer noch etwas, und vor allem ist es die Lektüre von Stifters „Nachsommer“, die einen nachhaltigen Eindruck hinterließ. Zuletzt im Feldlazarett arbeitete ich etwas in Guardinis Schriften, und das möchte ich vermehrt jetzt im kommenden Semester weitertun.“

Besuch in Bonn: Gespräch über Guardini

Bei einem Besuch in Bonn traf er sich am 17. November 1942 mit einem alten Freund von Neu-Deutschland: „gang durch die stadt mit m. [Marita Herfeldt, * 1915, Studium der Slawistik und Kunstgeschichte, später verheiratete Jacobs-Herfeldt] und h. [Hein Jacobs], wir vergleichen jünger und guardini, wie sie die welt ringsum aufnehmen und reflektieren.“[1290 Graf, Tagebuch, 17.11.1942, in: ders. Briefe, S. 78]. Hein Jacobs aus Dudweiler (1917-1944, in Russland vermisst) war mit Graf im Schülerorchester und der ND-Gruppe, studierten 1937 bis 1939 gemeinsam in Bonn.

Ende November 1942: Gebet und Liturgie

Schließlich wird ab Ende November 1942 dann das Thema Gebet und Liturgie für Willi Graf bestimmend, beginnend mit einem Besuch bei Fritz Leist am 24. November 1942 in Elversberg. Am Abend seien einige hinzu gekommen: „Mittags fahre ich zu Fr. [Fritz Leist], wir sitzen in der Ruhe des Zimmers und sprechen von den letzten Monaten und was nun werden wird. Aber es gelingt nicht, in die Nähe zu rücken. Ich freue mich auf die Wochen, die wir in München zusammen sein werden. Am Abend kommen einige dazu, dann lesen wir Guardini und sprechen über das Gebet.“ Da Guardinis „Vorschule des Betens“ erst 1943 erscheint, meint er hier möglicherweise bereits den Beitrag Guardinis über das christliche Gebetsleben im Sammelband „Volksliturgie und Seelsorge“, der dann teilweise in das Schlusskapitel von „Vorschule des Betens“ eingegangen ist. Wenn ich damit richtig liege, werden ihm die Texte so wichtig, dass er sich vier Tage vor seiner Verhaftung, am 15. Februar 1943, selbst dieses Buch kaufte. Neben dem Text über das Gebet findet sich darin auch noch Guardinis Aufsatz über „die mystagogische Predigt“.

Am 25. November 1942 liest Graf Gogols „Betrachtungen über die göttliche Liturgie“.

Und in einem Brief an seinen Freund Otto Vieth vom 1. Dezember 1942 heißt es: „[Ich werde fortfahren, die Dogmatik von Schmaus durchzuarbeiten], daneben lese ich immer wieder und oft bei Guardini, der uns soviel zu zeigen und zu sagen hat.“ Hier ist darauf zu verweisen, dass Schmaus´ Dogmatik selbst wesentlich von Guardini geprägt ist.

Beteiligung am fünften Flugblatt der "Weißen Rose"

Am 4. Dezember 1942 notiert Graf in sein Tagebuch: „Wieder Huber-Vorlesung, die ich regelmäßig besuchen werde. [...] Besuch bei Fr. [Fritz Leist], mit dem einige wichtige Dinge zu besprechen sind. Wichtig ist, daß er hier in München bleibt. Abends sitzen Anneliese und ich bei Scholls, wir sprechen von Büchern und den Menschen, deren Leben dahinter steht“ (Willi Graf: Briefe und Aufzeichnungen, hrsg. von Anneliese Knoop-Graf und Inge Jens, 1994, S. 84).

Im Laufe des Dezembers beteiligt sich Graf an der Entstehung des 5. Flugblattes, das dann aber erst Mitte Januar 1943 über Hans Scholl als Entwurf an Kurt Huber geht, der es dann nach diesem Entwurf verfasst und zur Vervielfältigung freigibt.

Weihnachtsferien in Saarbrücken (22. Dezember 1942 bis 6. Januar 1943)

Nicht zuletzt dadurch angeregt, beteiligt sich Graf ab dem 18. Dezember 1942 an den Liturgievorbereitungen in der Siegfriedstraße, zumindest notiert er sie erstmals: "abend in der siegfriedstraße, wir bereiten die liturgie des samstag vor".

Den Weihnachtsurlaub verbringt Willi Graf in Saarbrücken. So bereitet er am 22. Dezember in Saarbücken auch die „liturgische Messe“, also die Gemeinschaftsmesse am 25. Dezember, mit vor: „Am Nachmittag kommen Hein und Willi bei mir vorbei. Besuch bei Ali, dort besprechen wir die liturgische Messe.“

Am 24. Dezember 1942 besucht Willi Graf in der Basilika St. Johann, Katholisch-Kirch-Straße, die letzte Christmette seines Lebens.

Einen Tag später feiert er mit zwölf Freunden von der früheren Saarbrücker Gruppe des Grauen Ordens eine Gemeinschaftsmesse, die er selbst mit vorbereitet hatte. [Tagebuch 24. und 25. Dezember 1942. – Willi Graf, Briefe und Aufzeichnungen. Frankfurt am Main 1988, S. 90 f.]. Der Zelebrant ist der Bruder von Alois, Ludwig Mauer, selbst Mitglied des Saarbrücker ND und später des Grauen Ordens, in dem er als „theologische und moralische Autorität“ (so Reinert) galt.

Nach der Gemeinschaftsmesse traf er an diesem 25. Dezember 1942 mit Freunden zusammen; Grafs Vater, als Inhaber des Johannishofes, hatte dazu eingeladen. Einer der Freunde, Heinrich "Heinz" Bollinger (1916-1990), später Philosophie-Professor, erinnerte sich an die Begegnung nach der „Missa“: „Danach war gemeinsamer Kaffee und Gespräch über die politische und militärische Situation. Ich denke, es waren etwa zwölf Leute dabei, viele waren Offiziere. Die gängige Auffassung war die, daß zuerst der Krieg gewonnen werden müsse und dann erst etwas gegen das Dritte Reich unternommen werden könne. Willi, der damals versuchen wollte, in Freiburg (dort war ich Assistent für Philosophie), Saarbrücken, Bonn, Köln und Münster Widerstandsgruppen zu gründen, verstand bei der Diskussion meine vorsichtigen Fragen und mein Schweigen richtig und besuchte mich zwei Tage später in meiner Wohnung.“ Auch Bollingers Bruder Wilhelm "Willi" Bollinger (1919-1975) war mit dabei.

Am 27. Dezember war Graf bei den Bollinger-Brüdern in der Burbacher Wilhelmstraße 12: „Wir verstanden uns sofort, und ich sagte ihm, daß er nicht nach Freiburg zu kommen brauche, da ich dort schon eine Widerstandsgruppe gebildet hätte. Für Saarbrücken übernahm diese Aufgabe mein Bruder (Willi Bollinger ), der damals Sanitätssoldat im Reservelazarett war und der für Willi Urlaubsscheine und …“ (z.B. in: Anneliese Knoop-Graf/Rolf-Ulrich Kunze/Bernhard Schäfers: Ausgewählte Aufsätze, 2006, S. 51). Willi Graf notierte bereits am 27. Dezember 1942 in sein Tagebuch: „Am Morgen besuche ich Fam. Bollinger. Wir sprechen über Freiburger Verhältnisse, dann verstehen wir uns aber rasch, sind uns ganz einig“ (zitiert nach: Willi Graf, Briefe und Aufzeichnungen, Frankfurt am Main 1988, S. 91).

Heinz Bollinger hatte seine Dissertation bei Martin Honecker über „Das Vorlogische in der Erkenntnis bei Max Scheler“ am 24. Juni 1942 abgeschlossen und seit Sommer 1942 die Stelle des Assistenten am Philosophischen Seminar inne. Für die Widerstandsgruppe um Bollinger stehen die Namen: Rudi Alt und Helmut Bauer - beide aus gesundheitlichen Gründen zum Studium in Freiburg freigestellt und Joseph Epp (1916-1995), in Walldürn im Odenwald geboren, dazu ältere „Mentoren“ Josef Ruby (1885-1960), Alois Eckert (1887-1976) und Karl Färber (1888-1979). Nach letzterem ist wiederum der Freiburger Schneider/Färber-Kreis benannt. Färber und Schneider standen vor allem über Johannes Spörl, Ludwig Winterswyl, Karl Borgmann und Walter Dirks in Kontakt. Heinz Bollinger verkehrt in Freiburg außerdem im Haus von Josef Ruby (1885-1960), von dem aus der Sicht Bollingers ebenfalls Hilfe zu erwarten gewesen wäre (vgl. dazu: Lill/Kissener/Altgeld: Hochverrat?: die "Weisse Rose" und ihr Umfeld, 1993, S. 71).

Nach den Erinnerungen Heinz Bollingers bestand diese Einigkeit in der Auffassung, daß der Krieg schon verloren sei und daß der Krieg nicht gewonnen werden dürfe; daß aktiver und passiver Widerstand geleistet werden. müsse, entgegen der Auffassung der Kirchen, untertan sein zu müssen gegenüber der obrigkeitlichen Gewalt, auch wenn sie böse ist; daß wir die Waffen, die wir uns beschafften, auch gebrauchen wollten und daß unser Hauptziel die Tötung Hitlers sei. […] Willi erklärte mir die Auffassung der Münchener Gruppe: Der Krieg an der Front müsse zu Ende gehen, indem die Generäle sich mit den Alliierten verständigten und in Richtung Heimat marschierten, um die Nazis zu überwinden. Das sei dann die Stunde der örtlichen Widerstandsgruppen, die überall sofort die Nazi-Befehlszentralen beseitigen müßten, was aber sorgfältig, auch psychologisch (deshalb die Flugblätter) vorbereitet werden müsse. Jede Gruppe brauche einen Vervielfältigungsapparat und Geld für die Flugblätter, die mit der Post zu verschicken seien.“ [Bericht Heinz Bollinger, zit. nach Vielhaber/Hanisch/Knoop-Graf, Gewalt und Gewissen, S. 29]

Am 27. Dezember folgt noch ein weiteres Gespräch mit Fritz Leist und Ali (Alois Mauer) „über die Schaffung einer deutschen Liturgie, die immer noch als Möglichkeit vor uns steht.“ Offensichtlich scheint Fritz Leist gut über die Fortschritte der kritisch-pädagogischen Phase der Liturgischen Bewegung informiert zu sein und dieses Wissen auch weiterzugeben.

Am 30. Dezember 1942 besucht Graf mit Bollingers noch Rudi Alt: „am vormittag fahren h., w. und ich zu r. wir sitzen zusammen und tasten uns ab. Unterm fallenden schnee gehen wir nach merchingen zur kirche des dominikus böhm. Rudi kann recht gut mitmarschieren, ich bin sehr erstaunt. an diesem nachmittag werden recht vernünftige sätze gesagt, wir verstehen uns. was soll ich über w. sagen? fast scheint es, als ob er eine private welt um sich aufgebaut habe und nun daraus hervorschaue und ein wenig an unserem leben anteil nehme. Am Abend fahren wir heim, dort sind die Leute noch auf, und ich erzähle noch ein wenig" (zitiert nach Peter Goergen: Willi Graf - ein Weg in den Widerstand, 2009, S. 48).

Am 31. Dezember 1942 traf man sich in Elversberg: „[…] um 7 uhr fahre ich noch nach e [Elversberg]., wo die andern seit mittag zusammen sind. Fr. ist außerordentlich lebendig und aktiv. wir lesen eine interpretation eines rilke-gedichtes. später die aufsätze reinhold schneiders. erinnerungen tauchen auf, wir sprechen darüber.“ 1941 erschien erstmals eine Interpretation Guardinis zu einigen der Duineser Elegien. Rilke galt im Dritten Reich unter den Nationalsozialisten als unerwünschter Dichter. Vgl. Münchner Zeitschrift „Der SA-Mann“ von 1939: „Die nationalsozialistische Jugend und mit ihr das neue Deutschland lehnen Kulturangst, mittelalterliche Weltentsagung, internationalen Pazifismus und damit unschöpferische kraftlose Ästhetennaturen, dekadente Verskünstler, weltfremde Stimmungsmacher, rassisch minderwertige Typen und deutschfeindliche Pazifisten wie Rainer Maria Rilke ab.“

Für den 1. Januar 1943 berichtet er nochmals von einem guten Gespräch bei Bollinger am Vormittag, von einem Treffen mit Alfred Reuther und seinen Angehörigen am Mittag, den Abend verbringt er in der Familie. Hein Jacobs kommt zu Besuch und zusammen mit Anneliese und Mathilde Graf spricht man "bis weit in die Nacht hinein", dann zu zweit noch weiter. Etwas verklausuliert heißt es dazu in seinem Tagebuch: "In der Nacht bleibt Hein hier, und wir reden zusammen, zunächst bin ich überrascht, doch dann kann man darüber reden." Natürlich könnte sich dieses "darüber" auf die Aktivitäten der "Weißen Rose" beziehen. Am Nachmittag des folgenden Tages, den 2. Januar kommt Hein Jacobs wieder. Dann kommt auch noch "Karo", Karl-Heinz Scheer (1918-1979), zu Besuch, der "von seinem leben und der anstrengenden arbeit erzählt. interessante dinge erfahre ich so." Am Abend dieses 2. Januars sind die Gebrüder Bollinger wieder bei Graf: "über karo hinweg unterhalten wir uns über den wirklichen sinn der dinge und mächte. es war schon sehr aufschlußreich für uns. Leider kam ich nicht mehr dazu, mit Hein zu reden, hoffentlich gelingt es noch in den wenigen Tagen der Ferien." Auch am Sonntag, den 3. Januar, ist Heinz Bollinger zu Besuch bei Graf. Er "erzählt von seiner Situation, es ist fast wie eine Dozierung der Metaphysik des Lebens unserer Zeit. Nachher kommt mir das Gespräch so weit entfernt, besser zeitlos vor, daß ich überrascht bin." Dann besucht Graf nachmittags Hein Jacobs um das Gespräch nachzuholen: "Wir reden an diesem Nachmittag, aber es fehlt vielleicht das Überspringen des Funkens, der unser Reden aus der sachlichen Tatsächlichkeit heraushebt. Es gelingt uns nicht, diese Unterhaltung zu beenden." Während Graf am 4. Januar daheim in der Familie bleibt, kommt am 5. Januar Willi Bollinger zu Besuch "wir gehen durch den Schnee des Stadtwaldes, sehen den klaren strahlenden Winterhimmel, atmen die freie Luft. Es kommt zum ersten Gespräch mit Willi, wir reden darüber, was nun eigentlich nach zwei Jahren Pause am dringendsten erscheint, damit es getan werde. Es ist zunächst ein Suchen und Orientieren, aber dann zeigt sich, daß alle Arbeit im Theologischen mündet." Dann fährt Graf nach Dudweiler zu Hein Jacobs, wo auch Marita Herfeldt zu Besuch ist. Die Gespräche beim Spaziergang und Zusammensitzen bleibt aber unverbindlich: "wir kommen zu nichts Wesentlichem". Von Dudweiler aus fährt Graf nach Saarbrücken und trifft sich dort mit Ludwig Mauer: "Ich bedauere es außerordentlich, nicht länger mehr Zeit zu haben, denn wir trafen uns in unseren ansichten im verlauf des gesprächs schon früh."

Irgendwann in diesem Zeitrahmen hat er sich wohl auch mit Hans Renner getroffen. Denn in einem Interview mit Gehl am 4. Juli 2001 berichtet Renner (Gehl, S. 186): „Das Beispiel von Willi Graf ist typisch. Er hat in einem langen Gespräch, welches ich mit ihm in Saarbrücken führte, noch versucht, seine alten Freunde für seine Linie des aktiven Widerstandes zu gewinnen. […] Willi Graf war sehr enttäuscht, dass seine alten Freunde nicht bereit waren, seinen Weg mitzugehen. Ich fuhr sehr nachdenklich nach Hause und habe ihm damals gesagt, dass es bei dieser Aussichtslosigkeit nur das Leben koste und dies so wegzugeben, hielte auch ich nicht für richtig".

Nach der Rückkehr nach München (7. Januar bis 16. Januar)

In der Nacht vom 6. auf den 7. Januar 1943 fuhr Graf zurück nach München in die Kaserne. Mittags trifft er sich zur "Teestunde" mit Hans Scholl. "g.", wohl Gustl, "kommt bei mir vorbei, wir verabreden uns für den abend. für einige zeit bin ich dann noch bei hans. später lange zeit in der siegfriedstraße."

Nach der Rückkehr nach München wird noch drei Mal die Rede von dieser Liturgievorbereitung sein. Am 9. Januar heißt es dabei ausdrücklich: „Am Abend in der Siegfriedstraße. Hermann und Gustel. Zunächst reden wir über den Alltag, dann bereiten wir die Liturgie des Sonntags vor. Das ist wohl die Weise, wie ein Zugang zur Liturgie möglich ist, wenn es auch jedesmal eine Anstrengung bedeutet. So muß man sich jahrelang die Mühe machen, bekommt dafür aber das richtige Verständnis.“ Auch die Woche darauf, am 16. Januar traf man sich: „Am Abend Vorbereitung der Liturgie mit den anderen.“

Die Reise vom 20. bis 24. Januar 1943

Bei einer Reise vom 20. bis 24. Januar 1943 versucht Graf erneut, Unterstützung bei Freunden.

Besuch bei Kaplan Franz Tack in Köln (21. Januar 1943)

Zunächst war Graf am 21. Januar in Köln bei Kaplan Franz Tack. So vermerkt er für diesen Tag einen „interessanten Besuch“ in Köln, der laut Anmerkungen „Kaplan Dr. Franz Tack (1908-1981) galt. „Tack war Subsidiar-Pfarrer an St. Georg in Köln und Studentenseelsorger der Musikhochschule Köln. Den Kontakt zu ihm hatte Heinz Bollinger vermittelt, der die regimefeindliche Einstellung des Kaplans kannte und ihn für fähig hielt, im Raum Köln eine Widerstandsgruppe zu organisieren. Die Formulierung des TB-Eintrags läßt auf Franz Tacks Bereitschaft schließen, sich den geplanten Unternehmungen zur Verfügung zu stellen. Im Verhör vom 7.3.1943 schilderte WG diese Begegnung allerdings anders: Bei Kaplan Tack, dem er Grüße von Heinz Bollinger bestellen wollte, habe er sich am Vormittag etwa eine halbe Stunde aufgehalten, wobei Tack von einem größeren Fliegerangriff auf Köln, dem Brand seiner Pfarrkirche und von seiner Studentenseelsorge erzählt habe. WG versicherte, Tack gegenüber von der „Propaganda-Aktion mit keinem Wort gesprochen“ zu haben. (ZPA, NJ 1704). So war Tack – auf Veranlassung von Heinz Bollinger durch Werner Reinert rechtzeitig gewarnt – bei seiner Vernehmung nicht nachzuweisen, daß er von WG über die Aktionen unterrichtet worden sei (Brief Werner Reinert, S. 9, 1985)." Franz Tack, der neben seiner Tätigkeit als Seelsorger auch als Wissenschaftler, Publizist und Dirigent wirkte, war zuletzt Künstlerpfarrer im Erzbistum Köln und Direktor des Erzbischöflichen Archivs für Kirchenmusikforschung. Nach seinem Wiedererscheinen übernimmt er das offizielle Cäcilienvereinsorgan als verantwortlicher Herausgeber.

Besuch bei Wilhelm Bollinger in Saarbrücken (22./23. Januar 1943)

22. Januar 1943 Übernachtung in der Wohnung von Wilhelm Bollinger, in Saarbrücken bevor er am nächsten Morgen nach Freiburg weiterreist (Hinrich Siefken: Die Weisse Rose und ihre Flugblätter, 1994, S. 106). Wilhelm Bollinger hinterließ eine Erinnerung an seine letzten Begegnung mit Willi Graf: „(…) Wir waren uns durchaus bewußt, daß das, was getan werden mußte, äußerst gefährlich war und daß jeder Einzelne mit sich selbst zu Rate gehen mußte, ob er bereit sei, für dieses Tun sein Leben zu opfern. Es sollte bewußt eine geistige Revolution sein, die Überwindung des Nationalsozialismus durch den Geist und durch die moralische Haltung des einzelnen. Solange ich Willi kannte, war er kein Enthusiast gewesen, der sich emotionell zu Dingen hinreißen ließ, die er später nicht hätte verantworten und billigen können. Das, was wir an jenem wie Abend zu tun beschlossen, erschien uns von der gleichen logischen Konsequenz wie das Essen und Trinken. Die geistige Verpflichtung dazu war so bindend, daß es davon kein Entrinnen mehr gab. An diesem Abend wurden die Chancen, ob diese geistige Revolution Erfolg haben könnte oder nicht, so nüchtern berechnet wie in einer Mathematikstunde. Da wir aber als Christen die Überwindung des Bösen durch den Tod kannten, erschien uns der primäre Erfolg gar nicht einmal so wichtig, sondern wir glaubten, daß es Zeit sei, diesen geistigen Protest zu beginnen, weil unser Gewissen uns dazu verpflichtete. Am Morgen bevor wir uns trennten, erzählte ich Willi noch einen Traum, den ich in der Nacht hatte, in welchem der Tod wie in einem Holbein-Gemälde versuchte, uns umzumähen, und wir trennten uns so, als ob es für immer wäre.“

Treffen mit Helmut Bauer in Freiburg (23. Januar 1943)

Am 23. Januar traf er in Freiburg ein, fand hier aber nur Helmut Bauer vor. Von Bauer dürfte er aber wohl erfahren haben, dass Bollinger die Zeit für einen aktiven Widerstand noch nicht für reif hielt („Ich bin der Meinung, es müssen noch viel mehr Bomben fallen, bis dieses blöde Volk etwas begreift.“) Obwohl er eine Verbreitung der Flugblätter eigentlich ablehnte, informierte jedoch trotzdem in Freiburg Helmut Bauer und Rudi Alt. Im Januar 1943 kamen Alt, Bauer und Bollinger nämlich im „Löwen“ in der Herrenstraße zusammen und besprachen. Möglichkeiten, die Flugblätter der „Weißen Rose“ doch zu verteilen. Alt dachte, die Flugblätter als Kriegsverletzter, dem ein Wehrmachtsfahrschein zustand und der bevorzugt behandelt wurde, im Reichsgebiet transportieren zu können.

Treffen mit Bollinger bei Max Müller (23./24. Januar 1943)

Da Bollinger bei seinem Lehrer und Freund Max Müller in Ulm zu Besuch war, fuhr auch Graf dorthin weiter (Hinrich Siefken: Die Weisse Rose und ihre Flugblätter, 1994, S. 106). Müller war dort im Sommer 1942 als Abteilungsleiter an das Arbeitsamt Ulm/Donau dienstverpflichtet worden. Max Müller schreibt selbst davon: "Am 23.1.1943 besuchte mich hier Heinz Bollinger. Er erzählte mir vom Kreis der »Weißen Rose« und daß unser Bundesbruder Willi Graf sich einmal mit mir darüber aussprechen wolle. Über diesen Besuch in Ulm hat Bollinger am 8.11.1945 aus gegebenem Anlaß die folgende, gerichtlich beglaubigte Erklärung abgegeben: »Ich, Dr. Heinrich Philipp Bollinger, geb. 23.4.16 in Saarbrücken, bin durch Urteil des Volksgerichtshofes, 1. Senat vom 28.4.43 aufgrund der Hauptverhandlung vom 19.4.43 im Zusammenhang mit der Flugblatt-Aktion und Widerstandsbewegung Hans Scholl-Kurt Huber-Willi Graf (sog. Münchener Studentenputsch) zu sieben Jahren Zuchthaus verurteilt worden. Ich bestätige Herrn Dozenten Dr. Max Müller, geb. 6.9.06, daß ich zusammen mit dem dann durch das gleiche Urteil zum Tode verurteilten Willi Graf am 23. und 24.1.1943 ihn in Ulm besucht habe und ihn in alle mir bekannten Pläne der Widerstandsbewegung einweihte und um Rat anging. Es ist mir bekannt, daß Dr. Müller deswegen am 12.3.43 in Ulm von der Gestapo inhaftiert worden ist. Ich habe Dr. Müller in allen Angelegenheiten der Widerstandsbewegung zu Rate gezogen, weil mir seine Haltung als entschiedener Gegner der nationalsozialistischen Bewegung schon lange bekannt war. Ich wußte, daß er >aus politisch-weltanschaulichen Gründen‹ von der Universität gewiesen worden war; ebenso, daß er seit Jahren einen sog. ›Neudeutschen Kreis‹ gesammelt hatte, in dem er aktiv junge Studenten in einem bewußt christlichen und antinationalsozialistischen Geiste heranbildete. Als mit einem bewußten Vertreter geistigen Widerstandsbewegung, auf den sehr viele Menschen hörten, stand ich seit Frühjahr 1939 in ununterbrochener engster Beziehung mit ihm." (gez. Dr. Heinz Bollinger)" (zitiert nach Max Müller, in: Eilers (Hrsg.): Löscht den Geist nicht aus: der Bund Neudeutschland im Dritten Reich: Erlebnisberichte, 1985, S. 79).

In einem Interview mit Max Müller fragte Günter Gehl (Katholische Jugendliche im Dritten Reich in der katholischen Provinz: Grenzen der Gleichschaltung - drei Beispiele im Bistum Trier, 2008, S. 248), ob dieser „Verbindung zu einer Gruppe gehabt, Kontakte zu Willi Graf, der auch aus der katholischen Jugend gekommen war, zur Weißen Rose, zu Edelweißpiraten oder auch Kontakte zu anderen Widerstandsgruppen, wie z. B. zur Roten Kapelle“ habe. Daraufhin antwortete Müller: „Ich hatte auf der Uni durch Freunde Kontakte zur Roten Kapelle, ich habe aber auch Leute aus der Willi Graf-Gruppe gekannt. Obwohl wir manche Dinge, die die Willi Graf-Gruppe gemacht hat, z.B. mit den Flugblättern, das haben wir also als nicht vernünftig angesehen. Wir haben versucht, anders zu arbeiten, mehr im Untergrund und wir haben versucht, auch bei Examensarbeiten Nichtnazis zu helfen. Dann war in Marburg eine ganz starke Gemeinschaft, die über die katholische und evangelische Studentengemeinde gearbeitet hat. Es war ökumenisch bis zum „Geht nicht mehr“, solange es Antinazis waren.“

Letzte Liturgie-Vorbereitung in der Siegfriedstraße

30. Januar 1943: „In der Siegfriedstraße bereiten wir die Liturgie des Sonntags vor. „Der Sturm auf dem Meer“.

Beteiligung an Innenstadt-Aktionen und am sechsten Flugblatt

Im Februar 1943 beteiligt er sich an den Freiheitsparolen der Gruppe in der Münchener Innenstadt und unterstützt die Herstellung und Verbreitung des sechsten Flugblattes der Weißen Rose: „Am folgenden Tag [12. Februar 1943] vervielfältigte Willi Graf mit Hans Scholl und Alexander Schmorell das sechste Flugblatt, das Professor Huber verfaßt hatte. Dabei riß die Matritze, sodaß zwei Versionen entstanden, die sich nur durch die Überschrift unterschieden: 'Studentinnen Studenten' und 'Kommilitoninnen Kommilitonen'" (Hinrich Siefken: Die Weiße Rose und ihre Flugblätter, 1994, S. 109).

Letzter Ausflug nach Gaißach

Willi Graf fuhr am Abend dieses Freitags für das Wochenende 13./14. Februar zu seinem Freund Walter Kastner nach Gaißach, wo dessen Mutter lebte. Sie hatten geplant, am folgenden Tag von dort aus, sich au einer Berghütte mit Fritz Leist und Emil zu treffen. Da sie aber erst nach Mittag mit dem Rad wegfahren, verpassen sie wohl die beiden Freunde, die mit dem Mittagszug kommen wollten. So heißt es: „Über Wegscheid zur Hütte. Es ist kein Mensch zu sehen. Ich ärgere mich ja doch, bin auf dem Berg, ohne Ski. Es beginnt zu schneien. So begeben wir uns wohl oder übel auf dem Heimweg, kurzer Besuch bei Maaßen.“ (in Lenggries). Gemeint ist Johannes Maaßen, der vormalige ND-ler und Hauptschriftleiter der katholischen Wochenzeitung "Junge Front"/"Michael". "Am nächsten Tag dann doch noch Skifahren, am Abend zurück nach München."

Zum Schluss: “Volksliturgie und Seelsorge”

Am 15. Februar 1943, erwarb Willi Graf ein letztes Buch: Es war ausgerechnet ein Buch mitten aus der Liturgischen Bewegung: „Volksliturgie und Seelsorge“ (1942). In dem Band befinden sich folgende Beiträge von Guardini:

  • Der Gesamtzusammenhang des christlichen Gebetslebens, S. 18-24 (teilweise eingegangen in das Schlusskapitel von „Vorschule des Betens“ (1943)
  • Die mystagogische Predigt, S. 157-169.

Es scheint durchaus zutreffend, was Hildegard Vieregg 1993 (Christlicher Jugendwiderstand: Willi Graf, in: Resistance to National Socialism. Second Nottingham Symposium 1993, hrsg. v. Hinrich Siefken, Hildegard Vieregg, 1993. II, S. 55) vor allem von diesem zuletzt gekauften Buch „Volksliturgie und Seelsorge“ auf die Motivation zu Willi Grafs Glaubenszeugnis schließt: „So ist die Frage zu stellen, was Willi Graf letztlich zum Glaubenszeugnis bewegte. Willi Graf muß sich – wie er es in seinem `Lebenslauf´ darstellte, viele Jahre lang intensiv mit dem Glauben auseinandergesetzt haben. Beste Zeugnisse dafür sind seine Bücher - etwa Volksliturgie und Seelsorge, Werkbuch zur Gestaltung des Gottesdienstes in der Pfarrgemeinde, mit Beiträgen von Romano Guardini, Heinrich Kahlefeld und Jupp Gülden.“

Immerhin hatte dieser Sammelband noch einmal die Gegner der Liturgischen Bewegung um den Freiburger Erzbischof Gröber auf den Plan gerufen. Gröber verbot nach der Lektüre dieses Buches in seiner Diözese sogar die Gemeinschaftsmesse, da sie in seinen Augen als „Mittel zur Propaganda der Irrlehren vom Laienpriestertum und vom Mitopfern der Gläubigen“ diene. In seinem Vortrag in der Freiburger Konviktskirche am 16. März 1943 über „Theologische Fragen der Gegenwart" nahm er abermals darauf Bezug. Der Inhalt des Vortrags deckte sich mit seinen “Siebzehn Punkten“ vom 18. Januar 1943, die er seinen Amtskollegen vorlegte. Eben diese „Siebzehn Punkte“ Gröbers „setzten sich nicht zuletzt mit dem von Karl Borgmann herausgegebenen Sammelband "Volksliturgie und Seelsorge. Ein Werkbuch zur Gestaltung des Gottesdienstes in der Pfarrei“ (Kolmar 1942) auseinander, an dem u.a. Guardini mitgearbeitet hatte. Vor allem hatte Gröber darin Jungmanns These vom Subjekt der Liturgie angegriffen und lehnte kategorisch die Gemeinschaftsmesse als „Mittel zur Propaganda der Irrlehren vom Laienpriestertum und vom Mitopfern der Gläubigen“ ab. „Ich hatte grundsätzlich nichts gegen sie einzuwenden, bis ich das Buch von Borgmann gelesen habe. Seitdem bin ich ihr Gegner … Jetzt habe ich gemerkt, daß man sie zum „Mitopfern“ gebraucht. Darum werde ich nie zugeben, daß Gemeinschaftsmessen in meiner Diözese stattfinden.“ Damit hatte er sie verboten.

Josef Gülden war zufällig Zeuge der Rede Erzbischof Gröbers und machte sich eine stenographische Mitschrift. Vormittags hatte er den Erzbischof besucht - auf den Rat seines Nachfolgers, der ihm sagte: „Der einzige „Haeretiker“ in bezug auf das allgemeine Priestertum ist unser Erzbischof; der glaubt nämlich überhaupt nicht daran. Gehen Sie zu ihm, damit er weiß, daß einer von Ihnen seine Rede hört; dann ist er in der Form milder. "Erzbischof Gröber erklärte auch im persönlichen Gespräch die Auffassung vom Laienpriestertum für falsch. „Ich schätze P. Jungmann; aber diese Sätze gehen nicht. Das Buch kommt auf den Index. "Allerdings fügte er hinzu: „Ich habe Euch nicht angezeigt."

Der Grund für Güldens Anwesenheit in Freiburg war das Manuskript des zweiten Borgmannbandes, das er in der Tasche bei sich trug. In vier Wochen hatte man das Material in Leipzig gesammelt, um durch Aufweis der volks- liturgischen Arbeit in der Praxis die Vorwürfe zu widerlegen. Er war auf dem Weg nach Kolmar.

Anschließend fuhr er zu P. Jungmann nach Hainstetten. Dieser zeigte ihm die Postkarte seines Bruders, der in Rom mit P. Tromp am Entwurf der Enzyklika “Mystici corporis" saß. Dort hatte man ein Exemplar von „Volksliturgie und Seelsorge" erhalten und daraus den Satz über das Mitopfern der Gläubigen in den Enzyklika-Text übernommen, der sich in der endgültigen Fassung in aller Klarheit wiederfindet Schon Pius XI. hatte den Gedanken in seiner Herz-Jesu-Enzyklika von 1928 zitiert. Gülden berichtet weiter: „Die Antwort auf alle Angriffe, nicht nur auf das Buch, sondern auf die Grundsätze und die damalige Praxis der volksliturgischen Arbeit in Deutschland, soweit sie vom Oratorium ausgegangen war, bildet der 2. Borgmannband „Parochia“, der Mitte 1943 in Kolmar erschien. Die Fahnen dieses Bandes waren - nachdem das Manuskript auf dem Postweg zuerst vier Wochen bei der Gestapo verschwunden war - von Bischof Landersdorfer, Präl. Wolker, Dr. Stakemeier, Prof. Brinktrine und Regens Präl. Rasche (Paderborn) durchgearbeitet worden; Kardinal Faulhaber und der Bischof von Passau hatten zur Absicherung des Buches drei eigene Beiträge zur Verfügung gestellt.

In einer ausführlichen Besprechung der „Parochia“ von Dr. Theoderich Kampmann (Theologie und Glaube 35, 1943, S. 45-47) bedauert der Verfasser, daß „die Gruppe Jungmanns“ nur mit dem einen Beitrag von Karl Rahner über den „Pfarrer“ vertreten sei. Wer aber das Vorwort zum Band … las, stieß darin auf die Hauptanliegen Jungmanns.“ Kampmann urteilt: „Über die liturgiepastoralen Grundbestrebungen, welche das vorliegende Werke auf jeder Seite durchschimmern läßt, wird es unter vernünftigen Seelsorgern und Theologen kaum noch ernste Meinungsverschiedenheiten geben … Die kirchliche Integrität der in unserem Sammelband gebotenen `Materialien´ wird durch die Tatsache unterstrichen, daß Kardinal Faulhaber zwei und Bischof Landersdorfer einen Hirtenbrief einfügten. Man kann nur herzhaft wünschen, daß Pfarrer und Gemeinden in einer für ihre jeweiligen Sonderverhältnisse geeigneten Form die zentralen Absichten der ,Parochia' zu ihren eigenen machen."

Auch Josef Gülden spricht im Vorwort des „Parochia“-Bandes davon, wieviel „theologische Klärung“ den praktischen Bemühungen der liturgischen Erneuerungsarbeit noch vorausgehen müßte; die „wissenschaftliche theologische Arbeit“ sei „hinter der praktischen zurückgeblieben“. Von daher wird auch die Maßnahme des Heiligen Offiziums einigermaßen verständlich, eine Neuauflage von „Volksliturgie und Seelsorge“ zu untersagen.

Letztlich ging aber so die Gefahr einer Indizierung vorüber. Am 29. Juni 1943 erschien die Enzyklika „Mystici corporis“; sie fand an der Liturgischen Bewegung kaum mehr zu tadeln, als es Guardini bereits in einer Schrift „Ein Wort zur liturgischen Frage“ (Mainz 1940) selber getan hatte: Von unbesonnenen Liturgiereformern hatte er sich schon damals entschieden distanziert.“ (Vgl. zum Vorgang: Maas-Ewerd: Die Krise der liturgischen Bewegung in Deutschland und Österreich, 1981, S. 323 und 500 f.; Neufeld, Die Brüder Rahner: eine Biographie, 2004, S. 170). Immerhin wurde dort der Satz über das Mitopfern der Gläubigen aus „Volksliturgie und Seelsorge“ übernommen. Und da sich im Nachfolgeband „Parochia“ vom Sommer 1943 auch „liturgiebewegte“ Texte der Bischöfe Landersdorfer und Faulhaber befanden, war den Gegnern der Wind aus den Segeln genommen. Diese Einigung war ein wichtiger, nachhaltiger Schritt innerhalb der kritisch-pädagogischen Phase der Liturgischen Bewegung.

Verhaftung der Kerngruppe (18. Februar 1943)

Am 18. Februar 1943 wurden Hans und Sophie Scholl beim Auslegen von Flugblättern an der Münchener Universität gefasst und inhaftiert. Wenige Stunden später wurde auch Graf zusammen mit seiner Schwester Anneliese in München festgenommen und inhaftiert.

Verhaftung von Bezugspersonen (Februar/März 1943)

Willi Graf hatte im Verhör zunächst versucht, auch seine Reise nach Freiburg und Ulm zu verschweigen. Dies war jedoch nicht möglich gewesen, und die Gestapo kannte auch bereits wohl durch eine Denunziation - zumindest den Namen Bollingers, später auch den von Bauer und Alt. Wegen der Aktivitäten der Gruppenmitglieder fahndete die Geheime Staatspolizei im Februar 1943 nach Helmut Bauer und Heinz Bollinger.

Graf war es in seinen strategischen Stellungnahmen, die Verhörenden davon zu überzeugen, Bollinger habe – wie Bauer und Alt - vollkommen und grundsätzlich ablehnend auf seine Versuche reagiert, ihn in eine Widerstandsaktion hineinzuziehen. Lediglich Stillschweigen sei von ihm versprochen worden.

Heinrich Bollinger wurde am 5. März 1943 von der Gestapo verhaftet. Von Freiburg aus wurde er in ein Münchner Gefängnis verlegt und dort verhört. Eine Beteiligung konnte ihm jedoch nicht nachgewiesen werden. Die Anklage vor dem Volksgerichtshof unter Vorsitz von Roland Freisler lautete daher nur auf Kenntnis und Nichtanzeige der Aktion und auf das Hören von Feindsendern. Er wurde zu sieben Jahren Zuchthaus verurteilt. Seine Haftzeit verbrachte er im Zuchthaus Ludwigsburg, wo er als Bibliothekar arbeitete. Er wurde am 12. April 1945 "vorzeitig" vom Direktor des Zuchthauses entlassen, wofür dieser nach dem Krieg auch um einen "Persilschein" bat.

Helmut Bauer hatte sich in einer Hütte im Schwarzwald versteckt, wurde dort aber am 5. März 1943 festgenommen und in das Freiburger Gefängnis verbracht, später in ein Münchener Gefängnis verlegt und dort verhört. Bei der Gerichtsverhandlung konnte eine aktive Beteiligung Bauers nicht nachgewiesen werden, weil Willi Graf ihn nicht durch eine Aussage belastet hatte. Am 19. April 1943 wurde wie Heinz Bollinger durch den Volksgerichtshof zu sieben Jahren Zuchthaus verurteilt, weil er das Wissen über die Weiße Rose nicht angezeigt und Informationen aus dem britischen Rundfunk bezogen hatte. Es folgte im Mai die Internierung im Zuchthaus Ludwigsburg. In Ludwigsburg wurde Bauer zur Arbeit als Arzthelfer in der Tuberkulose-Station auf dem Hohenasperg verpflichtet. Ende des Jahres 1943 wurde er ins Zuchthaus zurückverlegt. Am 12. April 1945 wurde er wie Bollinger vom Direktor "vorzeitig" entlassen mit der Feststellung „Bedingte Strafaussetzung“. Durch seine Tätigkeit zog er sich eine TBC-Infektion zu und erkrankte an einer Haftpsychose.

Willi Grafs Freund Rudi Alt wurde am 9. März 1943 verhaftet und am 17. März wieder entlassen worden. Auch Rudi Alt wurde von Willi Graf in dessen Verhören überzeugend gedeckt, blieb daher von einer Verurteilung verschont. Die Verhöre hatten kein Ergebnis gebracht, sein Regimentskommandeur v. Pappenheim war persönlich bei Himmler für seine Zuverlässigkeit eingetreten. Eine wichtige Rolle spielte gewiß auch Alts schwere Kriegsverletzung: Sie diente als Begründung für seine Entlassung. Er mußte allerdings unter Aufsicht der Gestapo bleiben und konnte erst in den Wirren nach dem Bombenangriff vom November 1944 untertauchen.

Entlastend dürfte für alle vier gewirkt haben, daß Prof. Kurt Huber in den Vernehmungen abstritt, jemals die Namen Bollinger, Bauer, Alt und Müller gehört zu haben.

Letzte Tage

Im Herbst 1943 gelang es Günter Schmich noch, als angehender Priester mit Hilfe des Gefängnispfarrers Willi Graf für zehn Minuten in seiner Zelle zu besuchen. Willi Graf hatte Schmich bewusst nicht in die Widerstandspläne eingeweiht, da dieser als „Mischling ersten Grades“ galt und daher unter besonderer Beobachtung und Gefahr stand.

In einem letzten Gruß – übermittelt durch den Gefängnisgeistlichen Kaplan Heinrich Sperr – bittet er seine Schwester, sich namentlich mit zwei Freunden in Verbindung zu setzen und seinen letzten Gruß zu übermitteln: „Vor allem mit Hein Jacobs und Dr. Fritz Leist.“

Die nunmehr folgende liturgische Erneuerung in der Kirche hat Willi Graf nicht mehr erlebt. Er wurde am 12. Oktober 1943 im Gefängnis Stadelheim enthauptet.

Zusammenfassende Zeugnisse

Quasi als Zusammenfassung nehme ich das Zeugnis Walter Kastners über den Grauen Orden und die Siegfriedstraße in seinen Briefen vom 4. Dezember 1984 und vom 18. Mai 1986 an Anneliese Knoop-Graf, das meines Erachtens den Einfluss von Romano Guardini und von der Liturgischen Bewegung auf Fritz Leist und Willi Graf und ihre Freunde richtig erklärt:

„Hermann Krings und Fritz Leist, das war die Siegfriedstraße. Es war in dieser unruhigen Zeit […] ein ruhender Punkt, wo man Menschen traf, mit denen man sprechen konnte. Es war eine geistige Heimat […] Ohne die Siegfriedstraße wären wir nicht in dem Maße immun gegen den Geist der Zeit gewesen, gegen den man sich abschirmen mußte“ (1984)

„In den Gesprächsrunden wurde der Einzelne nach sokratischer Art dazu gebracht, seine eigene Situation zu erkennen, Vorurteile und einfach Übernommenes zu durchschauen, aus sicher scheinenden Reserven herauszutreten, auch in der Kirche nicht fraglos die Autorität der Amtskirche hinzunehmen, Wesentliches von Randerscheinungen unterscheiden zu lernen, ausgetretene Wege der Frömmigkeit nicht allein deshalb für richtig zu halten, weil sie Tradition geworden waren; es gehörte auch dazu, sich Sonntag für Sonntag gemeinsam auf die Liturgie vorzubereiten. Aus dieser Selbständigkeit und inneren Freiheit erwuchs von selbst jene Sensibilität, Unrecht wahrzunehmen, wo immer es geschah; so entstand eine Solidarität auch mit den Opfern, die nicht zum `eigenen Stall´ zählten.“ (1986)

Winfried Pielow (Kategorischer Imperativ – Hochverrat - Rede zum Gedächtnis von Willi Graf, in: Neue Sammlung, 6, 1966, S. 515-526, hier S. 519 f.) sieht die damaligen Unterschiede im "Phänomen der Entschiedenheit": „Unter diesen Voraussetzungen das Erbe der Bündischen Jugend, die Realisierung großer Träume in den letzten, späten, äußerst strengen Gruppen wie der des „Grauen Ordens “ -, unter solchen Voraussetzungen also bei Willi Graf die frühbewußte krasse Ablehnung des Regimes. Das Phänomen der Entschiedenheit! Letztlich – und das ist zu ergänzen – wohl nur zu erklären von Individuellen aus: früh schon muß der Junge einen ausgeprägten Spürsinn für falsch und richtig, wahr und unwahr besessen haben. Dieses Grundaxiom jetzt in Wechselwirkung mit positiven Einflüssen aus dem Elternhaus, der Heimat, dem Leben in der Gruppe so vielleicht läßt es sich am ehesten fassen. Willi Graf wird somit allen Regungen des Regimes gegenüber und derer gab es sehr verschiedenartige, brutale, aber auch sehr subtile -, er wird schlichtweg gefeit gewesen sein gegenüber den Schlichen einer massiven, vorher nie für möglich gehaltenen Propaganda.“

Wenn Walter Jens in seiner Einleitung zur Tagebuchausgabe 1988 schreibt: „So zeigt sich Willi Graf dem Leser seiner Aufzeichnungen und Briefe inmitten der kleinen Gruppe des Bundes `Neudeutschland´, im Orden der katholischen Hitler-Gegner und Verächter einer kompromißlerisch mit ihren Todfeinden paktierenden Amtskirche“, zeigt dies das damals noch nicht vorhandene Allgemeinwissen um die Herkunft des Grauen Ordens und übersieht, dass es nicht die „Amtskirche“ selbst, ein Begriff, der erst viel später aus einem Missverständnis über katholisches Kirchenverständnis entsteht, ist, die verachtet wird, sondern die paktierenden Amtsträger, während die Kirche, die nach Guardini in den Seelen der Menschen erwacht ist, zutiefst geliebt bleibt, auch inklusive derjenigen Priester und Bischöfe, die sich auf die Seite der widerstehenden Jugend gestellt habe, sei es in der Immunisierung, sei es in der Aktion. Ebenso kritisch, weil im Kern verengend ist Jens´ Sicht auf den Einfluss der Siegfriedstraße zu sehen, wenn er schreibt: „So ist schwer vorstellbar, von Romano Guardini belehrt, unter den Aufrechten, den Bibellesern, die Gottesdienste nach mönchisch-strengen Vorbildern feiern, ritterliche Liturgie-Formen entwickeln, Grals-Rituale in einer Zeit, wo Spießer, Landsknechte und devote Pfaffen das Sagen haben, so sehen wir ihn vor uns: das Herrenmahl in beiderlei Gestalt feiernd und über die Schriften SEINER Heiligen, der Dichter-Denker Hölderlin, Pascal und Dostojewskij gebeugt. Da kommen klösterliche Muster ins Spiel, aristokratische Verhaltensweisen der wenigen, die sich als Vorhut verstehen: Mund der Unmündigen, Anwalt der Schweigenden.“ Da gralsbündlerisch-aristokratische-bündische, von Koebels d.j.1.11. kommende Profil des „Grauen Ordens“ zwischen der Verfolgung 1938 und dem Jahr 1942 deutlich abgeschwächt worden ist, ist die Stilisierung von Jens für 1942 überzogen. Ohne Frage aber hat deren „liturgischer Flügel“ immer noch eine Anziehungskraft und die Feier der Liturgie selbst einen Quellcharakter, der auch für Willi Grafs aktiven Widerstand nicht zu unterschätzen ist.

Auch Michael Kißener fasst 2001 für Willi Graf zusammen: „Willi Graf las Ernst Wiechert, der 1938 von der Gestapo festgenommen und unter Aufsicht gestellt wurde. Er beschäftigte sich mit der französischen Bewegung des »Renouveau Catholique«, mit Georges Bernanos und Paul Claudel, die einen erneuerten Katholizismus „jenseits der verkarsteten Kirchenstrukturen“ erstrebten. Die Heilige Schrift und das Schott-Messbuch waren ebenso Bestandteile seiner ständig benutzten Bibliothek wie Romano Guardinis Schriften, der mit seiner Forderung nach einer neuen Liturgie später beim II. Vatikanischen Konzil Gehör finden sollte.“ (Kißener, in: ders./Bernhard Schäfers, „Weitertragen“. Studien zur „Weissen Rose“, 2001, S. 15)

Der Weg von Guardini und von der von ihm geprägten Liturgischen Bewegung führt demnach über die Selbstständigkeit und die innere Freiheit zur „participatio actuosa“ nicht nur in der Liturgie, sondern auch in der Politik. Und dort, wo diese von Kirche oder Staat einzelnen oder allen eingeschränkt oder verweigert werden, entwickelt sich jene Solidarität mit den Opfern und jener Widerstand gegen das Diktat und gegen die Diktatur, der auch Willi Graf auszeichnete. Im Übrigen ein Gedanke der sich bei Guardini schon früh in Schriften aus der Zeit von 1916 bis 1924 findet. 1924 erscheint nicht nur sein Selbstbildungsbrief „Staat in uns“, in der er die Parallele zur „in den Seelen erwachenden Kirche“ zieht, sondern auch sein Aufsatz „Eine neue politische Wirklichkeit“, in der er sich als einer der ersten deutschen katholischen Theologen mit dem gewaltlosen Widerstand Mahatma Gandhis gegen die englische Kolonialmacht auseinandersetzt. Fritz Leist hat nach eigenem Bekunden alle Texte Guardinis mehrfach gelesen, und er hat seine Erkenntnisse mit den Mitgliedern des Grauen Ordens geteilt, auch mit Willi Graf. Auch wenn wir nicht wissen, welche Texte Guardinis genau Graf eigenständig gelesen hat, hat auch er seinen Guardini, der soviel zu zeigen und zu sagen hat, gekannt.